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Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:00von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
http://www.youtube.com/watch?v=RYzJQ5FERkc
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Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
- In den schwarzen Wäldern -
Meine Träume waren kalte Wellen und meine Gedanken waren flüssiges Eis. Ich konnte die Augen nicht öffnen, denn sie sahen kein Licht und ich fürchtete mich vor der Schwärze. Ich konnte die Arme nicht ausstrecken, denn meine Hände fanden keinen Halt. Atmen konnte ich nicht, denn ich schluckte nur dunkles Wasser und meine Lungen brannten in tödlichem Feuer. So trieb ich dahin – in einem unbekannten Strom, der mich gefangen hatte, als ich einen kantigen Fels hinaufgestiegen war.
Es war Nacht im Düsterwald und ich sah meine Schritte nicht, die vorsichtig Wurzeln und Gestein auf dem Pfad zu ertasten suchten, den ich nur erahnen konnte. Und war der Schatten sonst mein Freund, der mich verbarg und wie ein schützender Mantel umgab, so war er hier einer Finsternis gewichen, die dem Wanderer tückische Fallen stellte. Jedes Licht war verschluckt, jedes Geräusch erloschen – bis auf die Trommeln. Die Trommeln. Sie waren immer da, hallten von Berg zu Berg und von Baum zu Baum. Und das Rauschen. Das Rauschen der Flügel, die die Lüfte hoch droben zerschnitten. Messerscharfe schwarze Schwingen, die jene Nacht über diese Lande gebracht hatten. Ich hörte die Biester schreien und hob den Kopf. Ich hielt inne. Doch dann tat ich den falschen Schritt, der mich straucheln und schließlich stürzen ließ. Wo ich nur einen Hang gewähnt hatte, war eine Schlucht. Und das Rauschen war nicht das Schlagen der Flügel jener schrecklichen Biester, die den Nazgul dienten, sondern das Maul eines Flusses auf ihrem Grund.
Meine Finger schrammten nur über rissige Erde, die mir entglitt, als ich den Sturz in die Tiefe aufzuhalten suchte. Meine Füße brachen morsche Wurzeln und mein Umhang fing nur trockenes Gestrüpp, das zu Staub zerfiel. Der Wald ließ mich im Stich, er eilte mir nicht mit Armen und Händen zu Hilfe und so fiel ich schließlich in das Wasser, das mehrere Meter tief durch die enge Schlucht eilte. Der Sog des Flusses erfaßte mich sogleich und zog mich hinab. Mein Kopf tauchte unter, meine Kleider durchdrangen Kälte und Nässe. Mein Umhang wickelte sich um mich und preßte sich mir an den Leib, als wolle er mich schützen. Doch es fühlte sich nur an, als würde ich langsam erdrückt.
Mit der Schulter traf ich einen Felsen, der aus der Flut ragte. Mit dem Kopf einen Baumstamm, der vom Ufer über die Schlucht wuchs. So sehr ich mich bemühte, meine Kraft reichte nicht, an die Oberfläche zu gelangen und mein Wille ergab sich müder Benommenheit. Ich trieb immer weiter, drehte mich um mich selbst – endlos, wie es schien. Und als ich schon dachte, daß ich meinen letzten Atemzug tun würde, die letzte Luft in meinen Lungen dem kalten Wasser weichen und ich ertrinken würde, da verlangsamte sich plötzlich die wilde Fahrt.
Die Schlucht wurde breiter, das Wasser flacher und der Sog ließ nach. Ich stieß meine Füße unter mich, um ein wenig Auftrieb zu bekommen und endlich durchstieß mein Kopf die schwarze Oberfläche des Wassers. Sterne sah ich für einen Moment über mir blinken, als ich den Mund weit aufriß und verzweifelt nach Atem rang. Noch immer riß mich der Fluß mit sich, doch ich erkannte seine Ufer. Die Bäume wichen zurück und das Land wurde seicht. Wenn ich nur ein wenig noch durchhalten konnte, vielleicht würde ich es erreichen können. Vielleicht.
Meine Hände waren kalt und steif, der Tritt meiner Beine langsam. Die Wärme rann aus meinem Leib, viel Kraft blieb mir nicht. Ich verwandte sie darauf, mich zu drehen und in eine Welle zu geraten, die dem Ufer entgegen trieb. Ein kleiner Baum wuchs nicht fern von mir und streckte einen Ast über das Wasser aus. Nur ein Schemen, doch die einzige Hoffnung. Ich biß die Zähne zusammen und eine Träne verließ meinen Augenwinkel, mischte sich mit dem Wasser auf meinen Wangen. Und dann packte ich zu.
Ich packte zu? Nein, ich packte nicht zu. ER packte mich! Und dann richtete er sich auf und riß kräftig an meinem Arm, daß ich dachte, er müsse mir aus dem Gelenk springen. Ein zweiter Ast schälte sich aus dem Baum und griff nach meiner Schulter, wo er etwas von meinem Haar und meinem Umhang zu fassen bekam. Ein Schmerz lief meinen Rücken hinab, meinen Nacken. Und ich konnte nur noch eines denken: ich wäre lieber ertrunken, als von einem Ork aus dem Wasser gezogen zu werden!
Es verging etwas Zeit. Wie viel Zeit, das wußte ich später nicht mehr. Es war immer noch dunkel, aber das war nicht wichtig, denn in diesen Wäldern wurde es niemals richtig hell. Ich hatte aufgehört zu denken. Ich hatte nur noch geflucht. Aber ich war auch überrascht. Ich spürte etwas Weiches auf meiner Haut. Und etwas, das sehr warm war und mein Gesicht beschien. Es war ein Feuer, gleich neben mir. Der Stoff, der mich schützend umfing, ein Fell. Meine Kleider lagen ausgebreitet um das Feuer verstreut und ich mußte nicht den Kopf drehen und das Fell anheben, um zu wissen, daß es all meine Kleider waren, die dort lagen. So albern es mir erscheinen mochte, konnte ich nicht verhindern, daß ich verlegen wurde und Röte in mein Gesicht stieg. Ich mußte wohl geseufzt haben, denn das Seufzen schreckte nun die Gestalt auf, die regungslos neben mir verharrt hatte. Ich nahm ihre Bewegung aus dem Augenwinkel wahr, dann erschien ihr Gesicht in meinem Blickfeld und verhüllte die Sterne. Es war der Baum. Der Ork. Nein, es war nichts von alledem. Es war ein Mann, mit hellen blauen Augen und einem dunklen Bart. Ich war nun wirklich beschämt und hob langsam die Arme, schlang sie unter dem Fell über meine Brust. Dann zog er den Kopf wieder zurück und richtete den Blick von meinem Gesicht in das Feuer. Er hatte gesehen, daß ich aufgewacht war. Vielleicht hatte er auch meine Scham bemerkt. Wahrhaftig war er kein Ork.
„Sagt mir doch, warum ich mitten in der Nacht statt meines Abendessens eine junge Dame aus diesem Fluß gefischt habe...“, begann er mit ruhiger Stimme. Sie klang tief. Ich setzte mich leicht auf, darauf bedacht, daß das Fell nicht herunterrutschte, obgleich er zweifellos zuvor schon gesehen hatte, was sich darunter verbarg. Und so wenig mir das gefiel, mußte ich wohl eingestehen, daß er mir das Leben gerettet hatte. Ich war nicht ertrunken und ich war nicht erfroren. Aber was mir ebenso wenig gefiel, war, daß er sich nicht vorstellte. Ich strich mir das Haar zurück. Es war feucht, aber nicht mehr naß.
„Vermutlich, weil sie hineingefallen ist.“, antwortete ich dann. Ich hörte ihn leise lachen. „Ja, vermutlich. Und warum ist sie hineingefallen?“, fuhr er dann fort und drehte sich wieder zu mir um. Ich wich instinktiv zurück. Er hielt mir etwas hin, einen zerbeulten Becher. Etwas darin dampfte. Tee.
Als er den Arm ausstreckte, sah ich, daß er eine Rüstung trug, die zuvor ein langer gemusterter Umhang verdeckt hatte. Der Umhang war dreckig und zerrissen, aber dennoch trug er ihn mit Stolz. Vielleicht wegen des verblichenen Wappens darauf, vielleicht bedeutete es ihm irgendetwas. Zögerlich nahm ich den Tee. „Weil sie niemand festgehalten hat.“, flüsterte ich müde und trank vorsichtig einen Schluck. Der Tee war mit Rum vermischt und brannte mir auf der Zunge, aber er tat wohl und ich nahm einen weiteren Schluck.
Mein Begleiter sah wieder in das knisternde Feuer, dem einzigen Lichtschein, der jedoch nicht einmal einen halben Schritt weit zu reichen schien. Wo er an Kraft zu verlieren begann, verschluckte ihn wieder die übermächtige Finsternis. „So, allein auf Reisen. Warum ich alleine reise, das weiß ich. Aber warum tut es ein Fräulein, das zu klein, zu mager, und schon gar nicht kräftig genug ist, sich an einem Baum oder einem Stein festzuhalten? Könnt Ihr nicht dort hinten den großen Schatten erkennen? Dort oben auf dem Berggipfel?“ Er klang nicht unfreundlich, aber durch seine Worte verwandelte sich meine Scham augenblicklich in Zorn. „Ich bin nicht zu...zu....klein!“, wollte ich ihm antworten, aber er hatte Recht. Sonst säße ich ja nun nicht hier. So schluckte ich meinen Ärger hinunter und folgte seinem Fingerzeig. Ja, ich sah den Schatten....
„Wißt Ihr überhaupt, was das für ein Schatten ist? Und WO Ihr hier überhaupt seid, Miss?“ Ich schluckte wieder. „Natürlich weiß ich das. Das ist Dol Guldur. Und ob Ihr es mir nun glaubt oder nicht – das war mein Ziel.“ Ich erwiderte es so gleichmütig, wie ich es konnte. Er hob die Augenbrauen in die Höhe. „Wenn Ihr das wißt, dann seid Ihr nicht nur zu klein, zu mager, zu kraftlos – sondern auch noch dumm. Ihr habt hier nicht das Geringste verloren.“ Nun war ich es, die leise lachen mußte. „So, und was ist mit Euch? Welch gewichtigen Grund könntet Ihr wohl haben hier zu sein, der es nur Euch und keinem anderen erlaubt?“, gab ich trotzig zurück. Mich für meine Rettung zu bedanken war mir in diesem Moment vollkommen fern.
Der Mann sagte nichts. Aber er legte die Hand auf etwas, das neben ihm auf der Decke ruhte, auf der er saß. Ein großes Schwert, das mir wohl als Antwort genügen sollte. „Oh, ich verstehe – Ihr seid hergekommen, um große Heldentaten zu vollbringen. Geht es Euch um Ruhm? Vielleicht um Rache? Wirklich, ich bin sicher, Ihr seid tapferer als alle anderen. Und ich bin sicher, Ihr werdet etwas tun, das noch keiner vor Euch vollbrachte – vielleicht den ersten Ork in diesen Landen erschlagen. Das nehmen sich allerdings Viele vor.“ Der Spott in meiner Stimme war unverkennbar. Aber im Grunde hätte ich mich auch über mich selbst lustig machen können, denn ich hatte genau das Gleiche vorgehabt. Außer das mit dem ersten Ork erschlagen. Ich wollte nur den dunklen Turm sehen. Unbedingt hatte ich das gewollt. Es war ein einfacher Beweggrund, er hatte nichts Heldenhaftes an sich, denn ich hatte zu keiner Zeit vorgehabt ihn zu betreten oder mir auch nur eingebildet, daß ich gegen die Macht in seinem Inneren länger als einen Atemzug bestehen könnte. Ich reckte das Kinn und strich mir das lange Haar hinter die Ohren. Argwöhnisch betrachtete ich den Fremden. Solche wie ihn gab es Viele. Einsame Wanderer, die Mut in ihrem Herzen wähnten, wo keiner war. Denn Mut war so leicht zu verwechseln mit Eitelkeit.
Der Fremde reagierte nicht auf meinen Hohn. Ich erwartete nun eine Erzählung, die mir von seinem Schicksal künden sollte. Von einem Auftrag, dem er sein Leben verschrieben hatte. Irgendein edler Kreuzzug, den er beging. Eine Geschichte, wie man sie in jeder Taverne zu Hauf vernahm. Aber er sagte nichts. Er sah immer noch den Schatten in der Ferne an. Also sprach ich weiter: „Wenn man sich auf das Kundschaften versteht und das Verstecken, braucht man kein großer Kämpfer zu sein. Man erreicht auch so sein Ziel. Oder jedenfalls beinahe. Ich war schon fast dort, bevor...mir etwas dazwischen kam.“, schloß ich und trank den Tee aus.
„Ich bin auch hier gestrandet.“, gestand mein Begleiter dann zu meinem Erstaunen. Ich setzte mich weiter auf. Das war ein Geständnis, das mich verblüffte. Aber es war ehrlich und es stimmte. Wir waren hier gestrandet, beschönigen konnte man das nicht. „Wo sind denn Eure Gefährten?“, fragte ich. Er drehte sich zu mir um und hob eine Augenbraue. „Und wo sind die Euren, Missy?“ Ich ließ eine Schulter hängen. „Nicht da.“, erwiderte ich matt. Er nickte mir zu. „Ja, nicht da. Meine auch nicht. Nur Euch traf ich, ein kleines Mädchen, das beinahe im Fluß ertrunken wäre. Hier sind nicht viele, die dem Ruf des Krieges folgen. Noch nicht.“
Er betrachtete mich. Ich schlang die Arme um meine Knie. „Glaubt Ihr, es war wirklich Dummheit, daß ich alleine in diese Wälder gezogen bin? Ebenso wie Ihr?“, fragte ich ihn dann. Sein Blick wurde sanft, er lächelte sogar ein wenig. „Nein. Wahrscheinlich blieb Euch einfach nichts anderes übrig. Genau wie mir.“ Ich lächelte auch ein wenig, auch wenn mir eigentlich nicht danach war, denn seine Worte waren traurig. „Und was werden wir nun also mit uns anfangen?.“, meinte ich, ein bißchen zu ihm gewandt und ein bißchen zu mir selbst. Alles, was er noch sagte, war: „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Dann schwieg er. Und ich schwieg auch.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:02von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Eine Eule rief irgendwo in der Ferne durch die Nacht. Ihr Ruf beruhigte mich, er war wie ein kleines Wunder. Ein Zeichen, das noch nicht alles in diesen schwarzen Wäldern zerstört oder verdorben war. Und mir war das Schweigen irgendwann unangenehm, das nun zwischen und mir meinem Begleiter herrschte. Aber er schien nicht mehr gewillt, weiterhin mit mir zu sprechen. Seinen Namen hatte ich immer noch nicht erfahren – und er hatte auch nicht nach dem meinen gefragt. Wir saßen stumm am Feuer, bis er schließlich seinen Umhang löste, ihn zusammenrollte und hinter sich auf die Decke schob. Dann ließ er sich zurückfallen und streckte sich aus. Er schloß die Augen und drehte den Kopf auf die Seite, von mir abgewandt. Abermals war ich verwundert, aber ich akzeptierte, daß er nun wohl zu schlafen gedachte. Ich berührte eins meiner Kleidungsstücke. Es war noch klamm und ich zog es näher zum Feuer, daß es rascher trocknete. Ich wollte von hier fort. Zum ersten Male kam mir der Gedanke, daß unser kleines Feuer in der vollkommenen Dunkelheit des Waldes weithin zu sehen sein mußte. Vor allem von dem Bergfried aus, auf dem die Feste von Dol Guldur ruhte. Mir wurde mulmig. Ich hatte keine Waffen mehr, auch das fiel mir nun ein. Meinen Dolch hatte ich im Fluß verloren, samt meines Gürtels, an dem mein Geldbeutel gehangen hatte. Mein Rucksack war fort. Ich griff nach einem Stiefel und sah hinein. Die kleine Klinge, die ich darin verbarg, war ebenfalls fort.
Ich erschrak, als der Fremde, sich plötzlich regte und mir einen kleinen schlanken Dolch vor das Gesicht hielt. „Ihr sucht wohl den hier.“, sagte er leise. Es war meine Klinge und ich nickte sacht. „Ich habe sie an mich genommen. Ich weiß nicht, wer Ihr seid – und was Ihr vorhabt. Vielleicht wißt Ihr eine Wohltat nicht zu schätzen und treibt Unfug mit einer Waffe an Eurem Wohltäter.“, meinte er. Ich zog die Brauen zusammen. „Ihr habt mich auch nicht gefragt, wer ich bin.“, entgegnete ich. Er warf mir den Dolch hin und zuckte dann die Achseln. „Ihr würdet mir irgendeinen Namen nennen. Euren eigenen oder irgendeinen anderen. Wer Ihr seid wüßte ich dann immer noch nicht. Und mit Verlaub, ich habe auch mit mir selbst genug zu tun.“ Ich nahm den Dolch an mich, ich spürte wieder Ärger in mir aufsteigen. Er schloß erneut die Augen und drehte sich auf die Seite. Eine seiner Hände ruhte nun auf seinem Schwert. Zumindest wußte ich nun, woran er glaubte...
Er schlief ein. Und obgleich ich mehr als erschöpft war, konnte ich es ihm nicht gleichtun. Etwas in mir riet mir deutlich, daß ein wachsames Auge mehr als geraten war. So sah ich mißmutig zu meinem Begleiter hinüber, der ruhig auf seiner Decke lag, den Kopf in die Ellbeuge seines Armes vergraben. Erneut vernahm ich den Ruf der Eule und lauschte ihm nach. Die vollkommene Finsternis, die außerhalb des Lichtkreises des Feuers herrschte, verunsicherte mich zunehmend. Meine Augen konnten sie nicht einmal annähernd durchdringen, ich war wie blind und ich fürchtete mich davor in diesen Wäldern blind zu sein. Das hatte mich schließlich den Abhang hinab und in den Fluß befördert. Und so richtete ich den Blick schließlich wieder in die Flammen, dem einzigen tröstenden Licht weit und breit. Aus dem Augenwinkel nahm ich dann aber wahr, wie sich die Hand meines Freundes langsam um den Heft seines Schwertes zu schließen begann. Erst behutsam griffen seine Finger zu, dann immer fester, bis die Klinge so fest in seiner Hand lag, daß seine Fingerknöchel weiß anliefen. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Hatte er etwas gesehen oder gehört? Schlief er vielleicht doch nicht und ich hatte nur nicht bemerkt, daß er wachte? Ich beugte mich vor und lauschte wieder angestrengt. Nichts, da war nichts – außer dem fernen Schrei der Eule und dem Knistern des Feuers.
Sein Leib lag immer noch still auf der Seite, doch auch sein Kopf bewegte sich jetzt. Er verbarg ihn tiefer an seinem Arm und ich vernahm seinen Atem, der schwerer und flacher wurde. Noch näher beugte ich mich zu ihm und sah, daß ihm das braune Haar plötzlich naß im Genick klebte. Ein Zittern durchfuhr ihn und beinahe instinktiv streckte ich eine Hand nach ihm aus. Er träumte! Doch bevor ich mit einer beruhigenden Geste seine Schulter berühren konnte, zog ich sie wieder zurück. Als er erneut erbebte, ahnte ich, daß es kein guter Traum war, doch noch war ich nicht entschlossen, ihn zu wecken. Ich kannte ihn nicht – und das fest umklammerte Schwert in seiner Hand hinterließ kein gutes Gefühl in mir. Es traten nun deutlich die Adern auf seinem Handrücken hervor, so fest hielt er es immer noch. Ich biß mir auf die Unterlippe und dann riß ich plötzlich den Mund auf, als ich auf seinem Handgelenk etwas Dunkles entdeckte: es schien wie eine Spur von Blut. Getrocknet, verwaschen, aber dennoch sichtbar. Tiefrot. Ja, bestimmt war es Blut!
Ich vergaß meine Unruhe, meinen Zweifel und meine Vorsicht und griff nach seinem Arm. Packte ihn mit einer Hand am Gelenk und zog mit der anderen an seinem Wams. Das weckte ihn und er fuhr auf, doch ich ließ ihn nicht los. Die Klinge schnellte nicht nach mir, wie ich befürchtet hatte, sie entglitt ihm, denn seine Hand begann wieder zu zittern. Ich hatte indes seinen Unterarm freigelegt und fand noch mehr Blut. Betroffen blickte ich meinen Begleiter an – und ebenso betroffen blickte er zurück. Verwirrt vom Schlaf noch, vom Traum – aber wissend. Sein Gesicht war bleich, der Schweiß stand nun auch auf seiner Stirn und mir wurde bewußt, was seine Blässe, sein Zittern und seinen unruhigen Schlaf verursacht hatte: er war nicht nur verletzt worden, in seiner Wunde wirkte Gift. Ork-Gift.
„Warum habt Ihr nichts gesagt!“, fuhr ich ihn an, zornig und besorgt zugleich. Es spielte jetzt keine Rolle mehr, daß ich ihn nicht kannte. Er hatte mich gefunden und ich wollte hier in diesen Wäldern nun nicht mehr alleine bleiben. „Ich...“, begann er, doch eine richtige Antwort hatte er nicht. Ich ließ seinen Arm los und stopfte mir trotzig meine Felldecke unter die Achseln, damit sie nicht verrutschte. Aber ich ließ nicht den Blick von ihm, als könnte ich in seinem Gesicht erkennen, was ich nun tun sollte. Was wir beide tun sollten. „Zeigt mir, wo Ihr verletzt seid.“, sagte ich schließlich, es klang trauriger als ich es beabsichtigt hatte. Er nickte stumm und knöpfte dann sein Wams an der Innenseite seines Unterarmes auf. Auf seinem Oberarm war ein Schnitt, den er mit irgendetwas nachlässig verbunden hatte. Nicht lang, nicht tief, ein Kratzer nur und offensichtlich von meinem Begleiter unterschätzt. Doch als ich die Stoffstreifen, die er darüber gelegt hatte, beiseite schob, sah ich, daß ich mich nicht geirrt hatte: Gift war am Werk und es war tief eingedrungen. Die Haut um die kleine Wunde war dunkel verfärbt. Ich ließ die Hände in den Schoß sinken und biß die Kiefer aufeinander, dann wandte ich mich ab. Auch, wenn ich kaum Hoffnung hatte, begann ich meine ausgebreiteten Kleider, die immer noch um das Feuer herum verstreut lagen, zu durchsuchen. „Was tut Ihr? Wollt Ihr aufbrechen?“, hörte ich meinen Begleiter dunkler Stimme fragen, beinahe mißbilligend. „Nein...“, gab ich zurück. „Ich werde dem Schicksal genügen, das uns offenbar heute zusammenbrachte, auf daß wir uns gegenseitig das Leben schulden. Ihr werdet morgen früh tot sein, wenn ich nicht das Gift aus Eurem Leib ziehe, das Euch durch die Adern fließt. Und während ich, mit der vagen Hoffnung im Herzen, daß nicht alle meine Habseligkeiten im Fluß verloren gegangen sind, nach etwas suche, das Euch helfen wird, könnt Ihr mir berichten, wie das geschehen ist. Und...fangt mit Eurem Namen an!“
Ich drehte mich nun wieder fort und ging auf die Knie, ihm den Rücken zuwendend. Die Arme preßte ich mir seitlich an den Leib und hielt so meine Felldecke fest. Mein Rücken lag bloß und ich spürte, daß er ihn einen Moment überrascht betrachtete, bevor er den Kopf senkte, aber dieser Gedanke kümmerte mich nur für einen Augenblick. Fieberhaft durchwühlte ich die Taschen in meiner Hose, vor allem jene, die nicht sichtbar auf den Innenseiten der Beine eingenäht waren. Normalerweise verbarg ich darin vielleicht kleine Schmuckstücke oder Edelsteine, die mir auf meinen Wegen begegneten (und ja, die auch zuvor an anderen Ohren als den meinen gehangen hatten...), doch wenn ich in die Wildnis aufbrach, dann waren sie bestückt mit allerlei Nützlichem wie Wundtränken und vor allem Essenzen, die Gifte unschädlich machten. Die meisten Feinde, vor allem Orks und Bilwisse, die zu Hauf durch die Lande außerhalb der Siedlungen von Elb und Mensch zogen, benutzten Gift auf ihren Waffen – ihre Art des Kampfes war nicht edel und mutig. Und die meine war es auch nicht, daher besaß ich schon seit langer Zeit große Kenntnis über allerlei Gifte und war vorbereitet.
In einer der Taschen fand ich eine schmale Phiole, doch sie war zerbrochen, der Inhalt verloren. Eine andere Tasche war leer und ich seufzte lautlos.
Ich hörte, wie mein Begleiter hinter mir tief ausatmete. „Aegmar.“, sagte er dann unvermittelt. Ich hielt kurz inne. „Ich heiße Aegmar.“ Ich sah ihn kurz an. Er hob einen Mundwinkel, als wollte er lächeln, doch es mißlang. Ich nickte knapp. „Nariena.“, antwortete ich leise und er deutete ein Nicken seines Kopfes an, einer Verbeugung ähnlich. Doch damit war unsere gegenseitige Vorstellung auch schon abgeschlossen, weitere Höflichkeiten folgten nicht, und ich wandte mich wieder meinen Kleidern zu. Rasch glitten meine Finger durch den klammen Stoff. Wir hatten beide keine Zeit zu verlieren, sie war es, die gerade zu unserem größten Feind wurde.
Ich erwartete, daß Aegmar nun weiter sprach, was er nach einem weiteren Seufzen auch tat: „Vorgestern...ungefähr zur Mittagsstunde...gerieten wir in einen Hinterhalt. Es müssen ein Dutzend gewesen sein. Orks, meine ich. Ein Troll...war auch bei Ihnen. Er setzte mich schließlich außer Gefecht.“, erklärte er leise und ich vernahm die Bitterkeit in seiner Stimme. Er legte sich eine Hand in den Nacken und rieb leicht über eine bestimmte Stelle unter seinem Haaransatz. „Warum sie mich nicht getötet haben, weiß ich nicht – vielleicht dachten sie auch, daß ich erschlagen war, als ich zu Boden ging und daß ich nicht mehr....“
Er brach seine Erzählung ab und seine Hand ballte sich zu einer Faust, die er sich in die offene Handfläche schlug. „Sie brauchten Euch nicht zu töten, wenn sie davon ausgingen, daß das Gift dies früher oder später für sie tun würde.“, erwiderte ich. Aegmar schnaufte. „Erzählt mir nichts über Orks, Miss Nariena! Ich habe davon mehr gesehen, als ich Euch je sagen könnte.“ Gewiß hatte er das und ich warf ihm einen kurzen, entschuldigenden Blick zu, meine Suche nicht unterbrechend. Ich griff nun nach meinem Hemd. Aegmar entspannte sich wieder leicht und preßte die Lippen zusammen. Geduldig, soweit ich das in diesem Augenblick sein konnte, wartete ich ab. Er mußte noch mehr zu sagen haben, andernfalls würde ihm der Bericht über das Geschehene nicht so schwerfallen – und das tat es offenbar. Ich sah ihm an, daß er sich an, was auch immer passiert sein mochte, die Schuld gab. „Ihr sagtet ~wir~ gerieten in einen Hinterhalt....wer war bei Euch?“, fragte ich behutsam.
„Ein Freund. Wir wurden während des Kampfes getrennt. Es waren zu viele...und wir entschieden, daß wir sie in verschiedene Richtungen locken wollten. Vielleicht würden sie sich zwischen den Bäumen verstreuen und uns verlieren. Wir machten einen Treffpunkt aus, einen Felsen, an dem wir zuvor vorbeigeritten waren...“, antwortete er. „Aber Euer Freund ist nicht dorthin zurückgekehrt.“, führte ich seinen nächsten Satz aus. Aegmar nickte nur. „Nein, er ist nicht zurückgekehrt. Ich habe bis zum Abend auf ihn gewartet, dann habe ich mich entschlossen, alleine weiterzugehen. Unsere Pferde waren schon tot...doch ich mußte weiter, ich mußte Thangulhad erreichen. Es war wichtig.“ „Thangulhad? Wo liegt das?“, fragte ich und griff nun nach meinem Umhang. Aegmar hob das Kinn und deutete nach Osten, wo in der Schwärze der Bergfried Dol Guldurs in den Himmel ragte. „Auf der anderen Seite der Berge. Es ist ein Außenposten der Elben in den Wäldern...erobert, vor Kurzem...ich hatte eine wichtige Nachricht dorthin zu überbringen. Sobald ich das getan hatte, wollte ich mich auf den Rückweg machen und nach...nun....nach Therowig suchen.“
Ich runzelte kurz die Stirn. „Therowig...heißt so Euer Freund?“ „Ja, so heißt er.“ Ich dachte für einen Moment über diesen Namen nach, dann machte mein Herz plötzlich einen Satz und beinahe wäre mir ein Ausruf der Freude entglitten, hätte ich ihn nicht gleich unterdrückt – doch meine Finger fühlten einen kleinen harten Gegenstand. Eine Phiole! Hastig zog ich sie aus einer der eingenähten Taschen meines Umhangs und da lag sie in meiner Handfläche: verschmutzt, verkratzt, doch ihr Inhalt schimmerte hellgrün und klar. „Binsenwasser!“, rief ich aus. „Elendil seis gedankt.“ Erleichtert ließ ich mich etwas zurückfallen und drehte mich zu Aegmar um und hielt die Phiole hoch. Ich kam auf die Füße und ging zwei Schritte zu ihm hin, dann ließ ich mich neben ihm wieder auf die Knie fallen und bedeutete ihm, daß er den Verband von seinem Arm entfernen sollte. „Herr Aegmar, Ihr werdet nicht sterben – auch wenn alle Orks in diesem Wald Euch das zweifellos gewünscht haben. Doch...was Euren Freund betrifft...so will ich Euch sagen, daß er sicherlich nicht mehr am Leben ist. Wenn ihr die Orks kennt, dann wißt Ihr das. Und es tut mir leid, denn so wie Ihr sprecht, war er Euch ein sehr guter Freund.“
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:04von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Aegmar sah mich dunkel an, er preßte die Kiefer so fest aufeinander, daß ich die Muskeln an seinen Wangen hervortreten sah und in seinen Augen blitzte etwas auf. „Ich werde mich erst damit abfinden, daß er tot ist, wenn ich etwas gefunden habe, das mir eindeutig beweist, daß er es ist! Also wagt es nicht, so mit mir zu sprechen!“, stieß er hervor und ich schluckte. Rasch senkte ich den Blick, ich hielt dem seinen plötzlich nicht mehr stand. Eine abgründige Abscheu darin traf mich mit einer solchen Wucht, als hätte Aegmar mir ins Gesicht geschlagen. Um mich zu fassen hob ich wieder die Phiole mit dem Binsenwasser. Der Korken in dem kleinen Flakon hatte sich voller Flußwasser gesogen und war aufgequollen. Er saß so fest in dem schmalen Hals, daß ich die Zähne gebrauchen mußte, um ihn herauszuziehen. Doch er bewegte sich kein Stück und drohte nur zu reißen und abzubrechen.
Etwas hilflos setzte ich die Phiole wieder ab und sah mich um. Um das Gift in der Wunde zu reinigen, hätte es vermutlich nur weniger Tropfen der Essenz bedurft, doch es schien mir wohl nichts anderes übrig zu bleiben, als ihn zu zerstören, wollte ich ihn überhaupt öffnen. Ich tastete ein wenig auf dem Boden unter den trockenen Blättern umher und fand schließlich einen flachen Stein, den ich zwischen mich und Aegmar legte. Bedauernd sah ich auf das Fläschchen in meiner Hand, dann schlug ich es fest auf das harte Felsstück und es zerbrach. Mit der hohlen Hand fing ich rasch so viel ich nur konnte von dem kostbaren Inhalt auf und zerrieb die zähflüssige Essenz in meinen Handflächen. Dann legte ich sie behutsam, aber doch mit leichtem Druck, auf den Schnitt an Aegmars Oberarm.
Er zuckte kurz zusammen, dann entspannte er sich wieder und fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. „Verzeiht.“, sagte er langsam. Ich schüttelte den Kopf, während das Binsenwasser unter meiner Hand zu wirken begann und ich eine leichte und heilende Wärme spürte, die in Aegmars Arm überging. „Nein, es gibt nichts zu verzeihen.“, entgegnete ich. „Ich verstehe Euch vollkommen. Und vielleicht bin ich voreilig. Die Orks mögen in diesen Tagen ebenso neugierig und begierig auf Informationen sein, wie wir. Sie sind einfältig und roh, aber nicht nachlässig und ihre Tücke und Hinterlist ist von besonderer Art. Ihre Anführer sind zudem gewiß nicht dumm und haben längst erkannt, daß die freien Völker zum Schlag gegen sie ausholen und Vorbereitungen treffen, den Düsterwald von ihnen zu befreien. Vielleicht haben sie Euren Freund also auch nur gefangen, um auf diesem Wege zu erfahren....was sie vielleicht darüber zu erfahren wünschen.“
Aegmar nickte nachdenklich und drehte den Kopf, er sah auf meine Hände, die immer noch auf seinem Arm lagen. „Ich habe gestern Nacht meine Suche begonnen. Aber ich muß zugeben....daß ich nicht weiß, wo ich suchen muß. Es gibt so viele Lager, die von Orks nur so wimmeln. Was Ihr aussprecht, war meine Hoffnung, die mich trieb, bevor meine Kräfte langsam zu schwinden begannen wegen...wegen dem hier.“ Er machte mit dem Kinn eine Bewegung zu seiner Verletzung hin. „Doch wohin...wohin soll ich mich wenden....daß ich Euch noch aus dem Fluß ziehen konnte, war reines Glück in einem guten Moment.“, erwiderte er. „Orks entfernen sich selten weit von ihren Lagern. Sie sind ebenso feige, wie sie grausam sind und brauchen ihre Horde in ihrem Rücken. Möglicherweise würdet Ihr Herrn Therowig also gar nicht so weit fort von dem Ort wiederfinden, an dem Ihr...nun, an dem Ihr ihn verloren habt. Würdet Ihr wieder an jene Stelle zurückfinden, wo Ihr angegriffen worden seid?“, fragte ich. Aegmar hob den Blick von meinen Händen in mein Gesicht. „Das würde ich.“, antwortete er fest und ich sah einen Schimmer froher Entschlossenheit über seine Züge huschen. Er richtete sich auf und griff nach seiner Klinge, meine Hände glitten beinahe von seinem Arm und ich verstärkte den Druck, um sie dort zu halten. „Ich meinte damit nicht, daß Ihr sofort aufbrechen sollt. Ein wenig Ruhe solltet Ihr Euch nehmen, sonst seid Ihr weder Herrn Therowig noch mir eine Hilfe bei der Suche.“
Kaum hatte ich das gesagt, biß ich mir auf die Unterlippe und fluchte lautlos. Aegmar sah mich überrascht an. „Euch? Wollt Ihr mir etwa beistehen?“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und ich spürte, wie ich errötete. Wollte ich das? Ich hatte es gedacht und offenbar auch ausgesprochen, noch bevor ich es selbst wahrgenommen hatte. Ich seufzte. „Ja. Ich werde Euch helfen.“, hörte ich es mich erneut aussprechen und fragte mich im gleichen Augenblick, warum ich das tat. Doch als ich bemerkte, daß Aegmar sich darüber zu freuen schien, erschien es mir auch gut und richtig zu sein. „Wohlan...ein geschlagener Krieger und ein kleines Mädchen machen sich daran, ein Lager der Orks anzugreifen - wenn das nicht den Klang einer legendären Tat hat....“, rief er aus.
„Macht Euch nicht über mich lustig!“, erwiderte ich schroff. Sollte ich meine Entscheidung etwa doch bereuen? Aber nein, Aegmar war nicht belustigt, als ich ihn ansah und schon den Mund öffnete, um mein Versprechen rückgängig zu machen. Das Lachen verschwand aus sein Blick und barg stattdessen nun Anerkennung. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. „Das tue ich nicht. Ich danke Euch. Dafür und....auch hierfür.“ Er deutete wieder auf seinen Arm. Doch dann zog er abrupt seine Hand von meine Schulter und seine freundschaftliche Geste endete beschämt, als er bemerkte, daß die Haut auf meiner Schulter ja bloß lag. Ich spürte es im gleichen Augenblick und entzog mich ebenso abrupt seiner Berührung. „Verzeiht.“, murmelte er erneut – und nun war ich es, die trotz allem ein wenig lachen mußte.
Anstand war vermutlich etwas, über das wir uns in der Lage, in der wir uns befanden, die geringsten Gedanken machen mußten. Daß Aegmar es dennoch tat, machte ihn für mich in diesem Moment und in allen weiteren, die noch folgen würden, zu einen jener besonderen Menschen, denen man nur selten im Leben begegnet. Und das sollte sich auch für immer tief in mein Bewußtsein einprägen.
Wir warteten bis zum Morgengrauen oder zumindest bis zu jener Stunde, die wir für das Morgengrauen hielten. Das Schwarz um uns herum wurde zu einem dunklen Grau, das jedoch immer noch undurchdringlich und schwermütig schien. Ein paar silberne Streifen angedeuteten Tageslichts zogen sich über den Himmel.
Meine Kleider waren getrocknet und ich zog sie rasch an. Aegmar war aufgestanden und hatte sich höflich abgewandt. Er rollte seine Decke sorgfältig zusammen und steckte dann beinahe ehrfürchtig sein Schwert in das Gehänge an seinem Gürtel. Er strich sich über den Bart und richtete sich den fleckigen und zerrissenen Umhang. Dann schulterte er sein Bündel und richtete sich hoch auf, seine Augen blickten klar und stolz. Ich trat neben ihn und auch wenn wir entschlossen wirken mochten, so bot unsere Erscheinung doch einen recht jämmerlichen Eindruck – so zerschunden, verschmutzt und müde, wie wir zweifellos waren. Aegmar blickte auf mich hinab, er war gut einen Kopf größer als ich und machte dann eine galante Verbeugung, bei der er seinen Arm weit ausstreckte. „Nach Euch, Mylady, es geht nach Westen – der Heimat entgegen.“, sprach er und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Ich band mir das lange Haar notdürftig zu einem Zopf zusammen und trat an ihm vorbei auf das Unterholz zu. Eine schmale Schneise war zu erkennen. Kein Pfad oder gar ein Weg, aber gewiß ein Fingerzeig, der uns zu unserem Ziel geleiten konnte.
Aegmar ließ mich vorangehen und ich spürte stets seinen wachsamen Blick, der entweder auf mir oder der Umgebung um uns herum ruhte. Nur ab und an blieb er stehen, um sich zu orientieren und mir eine neue Richtung zu weisen. Nur selten führten uns unsere Schritte einen geraden Weg entlang. Wir wichen allzu dichtem Unterholz aus und vor allem den Tieren und den Spuren anderer Wesen, auf die wir immer wieder stießen. Aber wir gingen nicht lange, dann trafen wir auf eine dürftig gepflasterte, schmale Straße, die von Moos und welkem Gras überwachsen war. Vermutlich war sie vor langen Jahren angelegt worden, als noch die Elben diese Wälder bewohnt hatten. Ich erinnerte mich, daß auch ich dieser Straße vor ein paar Tagen eine Weile gefolgt war, bevor ich wähnte, daß der Weg nach Dol Guldur durch den östlichen Wald kürzer war. Um wieviel gefährlicher er aber auch war, hatte ich umso deutlicher spüren müssen.
Die Straße schlängelte sich um einige riesenhafte Bäume herum in östlicher und westlicher Richtung. Ich hörte, wie Aegmar hinter mir sein Schwert zog. Metallisch schliff der Stahl gegen die Schwertscheide und ich fuhr zu ihm herum. Er hob sofort die Hand, um mir zu bedeuten, daß er nur vorsichtig war und keine unmittelbare Gefahr drohte. Doch dann ging er an mir vorbei und übernahm die Führung. Er wählte den Weg weiter nach Westen und setzte bedächtig einen Schritt vor den anderen. Ich mußte dennoch etwas schneller gehen, um ihm zu folgen, denn er holte weit aus. So gingen wir wieder eine Weile, den Blick nach vorn gerichtet und stets zwischen die dunklen Bäume, die neben uns am Straßenrand aufragten. Ab und an sah Aegmar über seine Schulter, als fürchte er, daß ich plötzlich verschwunden sei. Ich lächelte ihm so gut ich konnte zu und er lächelte, so gut er es konnte, zurück. Die meiste Zeit über schwiegen wir und konzentrierten uns nur auf das, was unsere Augen und Ohren wahrnahmen. Wenn man Furcht im Herzen spürt, ist das nicht immer leicht von dem zu unterscheiden, was die Gedanken an Trugbildern erschaffen. Und ich hatte Furcht im Herzen, Aegmar dagegen schritt forsch voran. Vielleicht verdrängte er seine Zweifel, vielleicht hatte er auch keine und ein wenig bewunderte ich ihn dafür. Sein sicherer Schritt gab mir Zuversicht. Ich konnte sie gut gebrauchen.
Doch dann blieb er irgendwann stehen und hob die Hand. Ich hielt ebenfalls inne. Der Nachmittag war längst vorüber und schon kroch die Dunkelheit der kommenden Nacht wie ein schleichendes Tier um unsere Füße. Ich preßte die Lippen aufeinander und lauschte angestrengt. Da waren sie: die Trommeln. Die Trommeln der Orks, die Nachrichten und schmähende Lieder durch die Wälder jagten. Über ihre Feinde. Über uns.
Ich trat nahe an Aegmar heran. Er überlegte und drehte sich ein wenig zur Seite. Vor uns lag eine Wegbiegung, die nur schwer einzusehen war, doch ich erkannte nach einigen Momenten einige abgerissene Äste, die auf dem Pflaster lagen und sah nach oben. Auch in den Baumkronen über uns, die an dieser Stelle über die Straße ragten und sich zu einem dichten Dach zusammen schlossen, hingen abgeknickte Zweige. Die Büsche am Straßenrand waren zertrampelt und ein scheußlicher Geruch hing in der Luft. Aegmar ging langsam weiter und griff abwesend nach meinem Arm. Seine Augen suchten das zerstörte Unterholz zu unserer Linken ab. Ich verzog ein wenig den Mund, sein Griff war fest – ein wenig zu fest, aber er bemerkte es nicht. Er war darauf gefaßt, mich augenblicklich hinter sich zu ziehen, sollte das, was vormals durch diese Büsche gebrochen und aus den Bäumen hinab gekommen war, abermals über uns herfallen. Ich vermutete, daß wir uns an jener Stelle befanden, an der und Herr Therowig überfallen worden waren. Als wir in die Biegung der Straße traten, entdeckte ich den Grund des Gestanks: am Wegesrand lag ein totes Pferd. Aegmar wandte sich ab und ich sah, wie er kurz die Augen zusammen kniff. Ich ahnte, daß es sein Pferd gewesen war. Er deutete in die andere Richtung und wir verließen die Straße. Eine breite Bresche war hier in das Unterholz geschlagen worden und er folgte diesem Weg. Er ließ mich los und ich hatte wieder ein wenig Mühe, mit ihm Schritt zu halten, als er beschleunigte und geradewegs auf eine kleine Lichtung zu lief. Das Licht nahm nun immer weiter ab und hinter der Lichtung sah ich winzige Lichtpunkte zwischen den Bäumen in der Ferne glimmen. Das Trommeln wurde lauter, wir näherten uns einem der Orklager.
Ich spürte meine Furcht nun ganz deutlich, mein Herz schlug mit einigem Widerhall bis in meine Kehle hinauf und mein Mund wurde trocken. Ich war niemand, der offen in eine Schlacht zog und den direkten Kampf suchte. Aber ich wußte, daß Aegmar dafür umso mehr jemand war, der das gewohnt war, und mir wurde schmerzlich bewußt, daß wir uns keinerlei Plan über unser Vorgehen erdacht und besprochen hatten. Für mich war eines deutlich und selbstverständlich gewesen: ich hätte mich an das Lager herangeschlichen, ich hätte mit nötigem Abstand gekundschaftet und dann abgewogen, ob es möglich war, dort ungesehen hinein zu gelangen, um meinen Auftrag auszuführen. Und für Aegmar war es deutlich und selbstverständlich gewesen, daß er keinerlei Heimlichkeiten anwenden, sondern mit hoch erhobener Klinge jeden einzelnen Ork offen herausfordern und bekämpfen würde. Entsetzt starrte ich auf seinen Rücken, als ich nun doch deutlich spürte, wie sehr er und ich uns voneinander unterschieden. Ich verstand nun auch, warum er zuerst gelacht hatte, als ich ihm meine Hilfe anbot – er hatte längst gewußt, wer ich war. Darum hatte er auch meinen verborgenen Dolch an sich genommen, den er in meinem Stiefel gefunden hatte. Seine Annahme, daß ich ihm nicht meinen richtigen Namen nennen würde, wenn er danach fragte, war niemals beleidigend gemeint gewesen, sondern schlicht wissend um meine Art. Ich schluckte. „Herr Aegmar...“, begann ich. Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Die einzige Antwort, die ich bekam, war ein hastiges „Pscht!“. Ich schwieg augenblicklich. Hätte ich mich nicht aus einem mir recht unverständlichen Grund an mein Hilfeversprechen gebunden gefühlt, ich wäre an jedem anderen Tag sofort umgekehrt und fortgelaufen. Nach wie vor blieb ich aber wie angewurzelt stehen und konnte nichts anderes tun, als Aegmars breiten Rücken anzustarren, auf dem das schmutzige Wappen, das er mit so großem Stolz trug, in Fetzen hing. Ich versuchte noch einmal, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Meine Stimme versagte gänzlich und nicht einmal ein Krächzen verließ meine Lippen – etwas anderes hatte Aegmar auch längst gebannt. Er fiel plötzlich auf die Knie und begann mit den Händen die zahllosen Blätter beiseite zu fegen, die den Waldboden bedeckten. Er bemühte sich, etwas freizulegen, das offenbar darunter verborgen lag und das er entdeckt hatte. Ich zog die Brauen zusammen, als etwas vor uns im fahlen und nur mehr sehr dürftigen Licht zu glänzen begann.
Aegmar hatte eine größere Fläche auf dem moosigen Boden freigeräumt und lehnte sich dann mit einem erleichterten Aufatmen zurück. Ich trat schließlich neben ihn und sah über seine Schulter. Vor ihm lag ein großer, schwerer Schild. Er war an einer der Ecken stark zerbeult und eingedellt, als hätte ihn etwas mit großer Wucht getroffen. Ich erinnerte mich an den Troll, von dem Aegmar berichtet hatte. Es mußte ein gewaltiger Schlag gewesen sein, der ihn getroffen hatte. Er hatte Aegmar den Schild entrissen und ihn niedergeschlagen, aber ihn nicht getötet. Mir kam der Gedanke, daß Aegmars Arm, mit dem er den Schild gehalten hatte, vielleicht gebrochen worden war und blickte ihn wieder sorgenvoll an. Doch wenn es so wahr, dann hatte er mir nichts davon gesagt und es einfach ertragen. Ich schüttelte wieder den Kopf, dann sah ich auf den Schild, den Aegmar nun vorsichtig anhob und von den letzten Zweigen und Blättern befreite. Trotz der Beschädigungen war darauf das gleiche Wappen zu erkennen, das auch seinen Umhang zierte. „Es ist das Wappen des Hauses, dem Ihr dient, nicht?“, flüsterte ich, jedoch mehr feststellend als fragend. Aegmar sagte nichts, sondern griff den Schild nun fest und erhob sich. Er drehte sich zu mir um, nahm den großen Schild hoch vor seine Brust und schlug mit der behandschuhten Faust dagegen. Sein Blick, der nun auf mich herabfiel, barst nur so von grimmigem Stolz und selbstsicherer Erhabenheit, so daß ich beinahe tatsächlich geglaubt hätte, daß alles wieder gut werden könnte. Daß uns nichts geschehen könnte, ganz gleich, was noch auf uns warten mochte – bei den Trommeln. Bei den Orkfeuern. Und ich hatte mich in einem Gedanken geirrt. Ich hatte mich sogar sehr geirrt. Aegmar diente nicht diesem Haus, dessen Wappen ihn auszeichnete. Er war darüber Herr und führte es an.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:05von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Wir sahen uns für wenige Momente noch an, dann erlosch das letzte Abendlicht und alle Fragen, die ich Aegmar so gerne noch gestellt hätte, blieben unbeantwortet. Die Dunkelheit war nun vollkommen und ich konnte nurmehr Aegmars Umrisse erkennen, in seinem Rücken brannten die fernen Orkfeuer. Ich hörte ihn atmen, ruhig und tief.
Aber dann, ohne daß wir einander sehen konnten, ohne daß wir uns warnten, sahen wir plötzlich ihn! Nein, vielmehr erahnten wir ihn und der stumme Pakt, den wir wenige Augenblicke zuvor geschlossen hatten, rettete uns nun das Leben. Innerhalb eines Herzschlages, innerhalb eines kurzen Luftholens vernahmen wir das Rascheln, das Grunzen und das Scharren von ledrigen Fußsohlen, das direkt neben uns aus dem Gebüsch auftauchte. Ich schloß die Augen und ließ mich fallen, meine Knie trafen unvermittelt auf den Boden und ich fühlte feuchtes Moos durch den Stoff meiner Hose an meine Haut dringen. Ein leises Singen war in der Luft über mir und der schwere Schild in Aegmars Hand streifte noch mein Haar, als er ihn hochriß und über mich hinweg schwang. Ein dumpfes Aufstöhnen erklang aus seiner Kehle und ein grollendes Knurren aus der Kehle des Orks, dem er den Schild vor die Brust gestoßen hatte. Beide zogen wir nun unsere Klingen: Aegmar, als er über mich hinweg dem Ork nachsetzte, der zurückgetaumelt war und ich, als ich mich nun in die Hocke begab und herumdrehte, um dem Feind nicht den Rücken zuzuwenden. Ich hörte wieder einen Schlag, dann ein Knacken und das weiche Moos neben mir erzitterte, als der Körper des Orks schwer zu Boden fiel. Benommen versuchte die Kreatur sich herumzuwälzen, doch Aegmars Schwert stieß durch ihren Bauch und nagelte sie fest. Der Ork röchelte, er gluckste. Aegmar drehte das Schwert in der Wunde und stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Schaft der Klinge. Dann kehrte wieder Stille ein. Ein langer, letzter Atemzug ließ das unselige Leben aus dem Leib unseres Gegners rinnen und er starb.
Aegmar zog angewidert das Schwert aus dem leblosen Körper und trat einen Schritt zurück. Ich hockte immer noch auf dem Boden, erstarrt, und doch mit zitternden Händen. Ich spürte, wie Aegmar nach mir griff. Er tastete über meine Schulter, dann bekam er meinen Oberarm zu fassen und zog mich auf die Füße. „Seid Ihr unversehrt?“, fragte er atemlos. Ich konnte nur nicken und berührte ebenfalls seinen Arm. Seine Muskeln waren angespannt und nur langsam lockerten sie sich wieder. Zu meiner Überraschung hörte ich Aegmar dann leise lachen. „Ausgrechnet die anbrechende Nacht suchen wir uns aus, um den Orks einen Besuch abzustatten, wo es doch ihre liebste Stunde ist, in der sie aus ihren faulen Löchern kriechen und anfangen herumzustreunen.“, flüsterte er, immer noch mit einem belustigten Unterton in der Stimme. Ich hob eine Augenbraue. Aegmar stieß mit der Schwertspitze gegen den toten Ork, als wolle er prüfen, ob er auch tatsächlich tot war. Kein Zweifel konnte daran jedoch bestehen. „Sie werden bald ihren Freund hier vermissen....“, stellte er dann fest und ich mußte ihm zustimmen. Wir hatten keine Zeit mehr zu verlieren.
Ich steckte meinen Dolch wieder zurück in meinen Stiefel und Aegmar säuberte hastig die blutgetränkte Klinge seines Schwertes an dem, was der Ork wohl Rüstung genannt hatte. Viel mehr als einige schmutzige und grob zusammengenähte Fetzen aus Stoff und Leder waren es nicht, aber sie reichten, um das Schwert von dem stinkenden Blut zu befreien.
Ich machte ein paar Schritte in Richtung des Lagers und hörte, wie Aegmar hinter mir seinen Schild schulterte, dann folgte er. Diesmal waren wir wachsam, denn Aegmar hatte mehr als recht gehabt: tagsüber waren Orks meist träge und zogen sich zurück, doch sobald die Nacht kam, streiften sie umher. Und in der absoluten Nähe ihrer Bauten und Anlagen hatten wir mit vielen Patrouillen und Wachen zu rechnen.
Wir gingen von Baum zu Baum, von Busch zu Busch, bis der Wald etwas lichter wurde und den Blick auf das Lager freigab. Es war von Palisaden umgeben, die ungefähr vier Schritt maßen. Zu unserer Linken waren sie an einer Stelle ausgespart und mit einem Tor versehen, das in jenem Moment, da wir den äußersten Rand der Lichtung erreichten, offenstand, um eine kleine Gruppe von fünf Orks zu entlassen, die sich westwärts über einen kleinen Pfad aufmachten und dann in der Dunkelheit verschwanden. Sie waren mit Äxten und Tartschen bewaffnet, aber nur leicht gepanzert. Ein Spähtrupp, wehrhaft, aber nicht unbeweglich.
Aegmar und ich suchten Schutz in den Schatten einer großen Eiche. Er stellte sich dicht hinter mich, seine Brust spürte ich an meinem Rücken und seinen Atem nahe an meinem Ohr, als er sich leicht vorbeugte und die Augen verengte. Er sah über meine Schulter und sein Blick war so entschlossen und flammend, als könne er mit purer Willenskraft die dichte Wand der Palisaden durchdringen und finden, was in er ihrem Innern so dringend suchte. Ich merkte, wie er sich wieder anspannte und schüttelte sachte den Kopf, als ich seine Gedanken zu erraten meinte, die er im Zaum zu halten suchte, um nicht sofort loszustürmen und in das Lager vor uns einzudringen.
„Nein, nicht.“, flüsterte ich und Aegmars Blick senkte sich auf mich. Ich drehte mich herum und legte ihm die Hände auf die Schultern, ihn leicht zurückschiebend, weil ich fürchtete, daß man uns entdecken würde, wenn er sich noch weiter vorbeugte. Die Eiche, die uns verbarg, war alt und stämmig, aber nicht breit genug, um zwei Menschen für immer zu verbergen. Vor allem nicht, wenn der eine kurz davor war, seine Fassung zu verlieren. Aegmar atmete tief aus und dieses Geräusch spiegelte seine Anspannung nur allzu deutlich wider. Er sah wieder hinüber zum Tor und ich verstärkte den Druck meiner Hände leicht auf seinen Schultern. Ich wollte ihm in die Augen sehen und seinen Blick suchen, um ihn abzulenken, doch ich hätte es vermutlich nicht einmal vermocht, wenn ich mich auf die Zehenspitzen gestellt hätte. „Herr Aegmar...“, begann ich bittend. Es war, als wollte ich mit bloßen Händen einen Drachen davon abhalten, seine Schwingen auszubreiten und sich in die Luft zu erheben. „Herr Aegmar!“, versuchte ich es erneut und diesmal hatte ich es wohl geschafft, denn er sah mich wieder an. Seine blauen Augen hatten sich in kaltes Eis verwandelt. „Ich weiß, daß Ihr wütend seid, doch ich beschwöre Euch – laßt uns noch ausharren und nachdenken.“, sprach ich. Aegmars Nasenflügel weiteten sich leicht und er preßte die Lippen aufeinander. Hinter uns wurde wieder das Tor geöffnet und ein weiterer Spähtrupp verließ das Lager. Ostwärts zogen sie diesmal und kamen bis auf wenige Schritt an uns heran, als sie unsere Stellung passierten. Wir hörten sie grunzen und schnuppern und hielten den Atem an. Mißtrauisch glitten die Blicke ihrer kleinen Augen über die Baumstämme und streiften gewiß auch jenen, hinter dem wir uns verbargen. Noch näher zusammengedrängt jetzt. Aegmar hatte wieder meinen Arm gepackt und mich fest an seine Seite gezogen.
Für die Dauer einiger weniger Wimpernschläge blieben die Orks auf dem Pfad stehen und ich spürte schon, wie mir das Herz versagen wollte, als sie ein letztes Mal schnupperten und dann doch endlich weiterzogen. Murrend und fluchend, langsamer als zuvor – doch sie entfernten sich wieder. Ich dankte Elendil mit all meinen Gedanken und guten Wünschen dafür.
Ein wenig wagte ich es, mich nun wieder herumzudrehen. Aegmar und ich verharrten wieder Rücken an Brust. „Das Lager ist nicht groß.“, sagte er schließlich und erneut dankte ich Elendil, denn seine Stimme klang wieder gefaßter und auch seine Haltung veränderte sich leicht. „Vielleicht zwei Dutzend da drinnen, was meint Ihr, Miss Nariena?“ Ich stütze mich an der harten Borke der Eiche ab und wagte einen offenen Blick um den runden Stamm herum in Richtung des Lagers. Langsam nickte ich. „Acht haben das Lager verlassen, seit wir hier sind. Zwei stehen am Tor, um es jederzeit zu öffnen und einen habe ich gesehen, der es bewacht, wenn es geöffnet wird. Drei gehen oben auf den Palisaden umher, vermutlich gibt es auf der Innenseite einen Rundgang mit vielleicht ein oder zwei Aufgängen, auch diese werden bewacht sein.“, antwortete ich. „Nein, es sind vier auf der Palisade.“, sagte Aegmar und beinahe glaubte ich, daß er schon wieder leicht schmunzelte. Er hob einen Zeigefinger und deutete auf den hinteren Teil der Anlage, die schon wieder leicht im Dunkel der Bäume lag. Dort war nur ein Kopf zu erkennen, aber es war eindeutig der Kopf eines Orks und ich neigte mein Haupt, um Aegmar stattzugeben. Er hatte Recht. Aber gleichzeitig wußte ich nun, daß genau dies der Punkt war, an dem wir die Palisade überwinden mußten. Nein, eigentlich wußte ich, daß ich dort über die Palisade klettern würde, denn mir wurde bewußt, daß ich Aegmar nicht mitnehmen konnte.
Als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, wußte Aegmar, was ich in diesem Moment entschieden hatte. Er widersprach nicht, er seufzte nur. Ich hob meine Hände leicht hoch, lockerte die Finger und massierte kurz meine Fingerknöchel, um sie zu entspannen. Um die Wand zu überwinden, würde ich meine gesamte Geschicklichkeit brauchen. „Wenn sie das Tor öffnen, um den nächsten Trupp aus dem Lager zu schicken, sind sie für einen Augenblick abgelenkt. Dann werdet Ihr hinüber klettern.“, raunte er mir zu. „Und wenn sie es in dieser Nacht nicht mehr öffnen?“, warf ich ein. Es war nur ein kleines Lager, vielleicht ein mittelgroßes, aber sie würden es gewiß nicht vollkommen unbewacht lassen – vor allem nicht, wenn ich Recht behalten sollte und sie Herrn Therowig dort gefangen gesetzt hatten.
Aegmar strich sich über den Bart und ließ dann behutsam seinen Schild hinab gleiten, so daß er neben seinem Fuß weich auf dem Waldboden aufsetzte. „Keine Sorge, sie werden das Tor öffnen. Ich verspreche es Euch. Und sie werden fast alle hinausgehen....während Ihr kundschaftet, wird es meine Aufgabe sein, das zu bewerkstelligen.“ Sein Blick glitt an mir vorbei auf eine Anhöhe zu, die sich hinter dem Lager erhob. „Aber wir sollten uns beeilen, wir wissen nicht, wann das Tor wieder geöffnet wird und wir müssen auf die Rückseite der Anlage gelangen, bevor es soweit ist. Kommt.“ er bückte sich und griff wieder nach seinem Schild. Hastig schob ich die Finger in meine Hosentasche. Ich hatte dort den kläglichen Rest meines Zundersteins gefunden, als ich nach dem Gegengift gesucht hatte. Ich zog ihn heraus und drückte ihn Aegmar in die Hand. „Vielleicht hilft Euch das.“, sagte ich. „Ja, vielleicht.“, erwiderte er knapp, dann zog er mich zurück – wieder tiefer in den Wald hinein.
Wir hielten uns in östlicher Richtung, den Blick stets nach links zum Lager hin gewandt. Bemüht, den Schatten der Bäume nicht zu verlassen, wollten wir uns aber nicht zu weit entfernen, damit uns nichts entgehen konnte, was zwischen den Orks vor sich gehen mochte. Schier endlos schien es zu dauern, bis wir das Lager auch nur halb auf diese Weise umrundet hatten. Und immer nagte die Furcht an mir, daß eine der Patrouillen zurückkehren konnte. Daß sie wieder unseren Weg kreuzte und unser Wagnis zunichte machen würde.
Der Wald wuchs dichter auf der rückwärtigen Seite des Lagers und ich wußte nicht, wie oft ich Elendil an diesem Tag noch würde danken müssen, daß er uns mit mehr Glück versah, als wir es verdient haben mochten. An der östlichsten Biegung der Lichtung standen zwei hohe Ulmen so versetzt zueinander, daß sie uns einerseits verbergen und andererseits einen recht offenen Blick auf die Palisade gewähren konnten.
Wir drängten uns dicht an die Stämme und sahen jetzt auch den Kopf des Orks, der an der rückwärtigen Befestigung des Lagers Wache hielt. Konnten wir zuvor nur seinen Kopf erspähen, so sahen wir nun auch seine Schultern und seinen Rumpf, dann wieder nur seinen Kopf. Offenbar gab es an dieser Stelle einen Aufgang, den er hinauf und hinunter ging.
Ich ließ mich sanft in die Hocke hinab und nahm eine Handvoll Erde auf, die ich zwischen meinen Fingern zerrieb und mir dann auf Wangen und Stirn zu verteilen begann. Auch verengte ich die Augen, damit das Weiß, das meine Iris umgab, nicht so deutlich zu sehen sein würde in den Schatten, die die Nacht auf uns warf. Dann suchte ich nach einem Stein, hielt ihn fest und richtete mich wieder auf. Aegmar hatte seinen Schild abgelegt und lehnte ihn behutsam an einen der beiden Baumstämme. Wehmütig blickte er darauf, da er ihn vorerst wieder zurücklassen mußte, aber bei dem, was wir nun vorhatten, würde er uns nur hindern. Wir mußten den wachhabenden Ork auf der Ostseite beseitigen, wollte ich über die Palisade klettern – und das mußte mit so großer Schnelligkeit erfolgen, daß wir nichts mit uns nehmen konnten, daß uns auch nur annähernd belastete. Ich legte meinen Umhang ab und verhüllte damit den Schild.
Aegmar sah mich an und ich deutete stumm mit dem Kinn auf den Stein in meiner Handfläche und dann mit der Hand in Richtung der Palisade. Ich würde ihn gegen die Holzwand werfen, ein Stück weiter rechts von jenem Punkt, an dem immer wieder der Kopf des wachenden Orks zum Vorschein kam und wieder verschwand. Ich konnte nur hoffen, daß uns dies den winzigen Moment der Ablenkung verschaffen würde, den wir brauchten, um die Distanz zwischen unserem Versteck und der Palisade zu überwinden.
Aegmar nickte mir knapp zu, dann zog er sein Schwert – langsam und so leise wie möglich. Dennoch verursachte es ein metallisches Schleifen, daß die stille Nachtluft wie ein Kreischen zu zerreißen schien. Er hielt immer wieder inne, bevor er die scharfe Schneide gänzlich aus der Scheide zog. Ich spürte Schweiß auf meine Stirn treten. Vermutlich hatten die Bäume jedes Geräusch verschluckt, dennoch waren meine Sinne über die Maßen geschärft für alles, das sich verdächtig anhören und uns ein jähes Ende einbringen konnte. So wagte ich auch kaum zu atmen und blickte angestrengt in Richtung des Lagers, doch ich sah keine Wachen, die in unsere Richtung blickten – jedenfalls nicht gezielt und suchend.
Wir warteten noch einige Momente, dann traten wir aus unserem Versteck hervor, jedoch nicht so weit, daß wir in den Lichtschein, der das Lager umgab, gerieten. Unsere Blicke wendeten sich nun zum Tor.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis es sich abermals öffnete und die dritte und vermutlich auch letzte Patrouille in dieser Nacht freigab. Der Ork auf der Palisade wandte sich nicht wie erhofft dem Tor zu, um wenigstens für einen Moment seinen Gefährten nachzublicken, als sie es passierten – und so war dies der Augenblick, in dem ich aus den Schatten trat, meine Muskeln spannte und so genau zielte, wie ich es in nur einem Sekundenbruchteil konnte, und dann den Stein warf. Nun hatte es begonnen. Nun war unser Vorhaben nicht mehr aufzuhalten. Nun würde es gelingen oder scheitern.
Der Stein flog in einem kleinen Bogen nach Osten davon, ein winziger dunkler Fleck gegen den Feuerschein, der aus dem Inneren des Lagers drang. Mit einem dumpfen Plock! traf er auf die Palisade. Nicht laut genug, um das gesamte Lager zu alarmieren, aber ausreichend, um die Wache den Kopf drehen und in die Richtung des plötzlichen und unerwarteten Geräusches blicken zu lassen.
Aegmar und ich rannten gleichzeitig los. Die Köpfe leicht gesenkt und auf das Äußerste angespannt liefen wir so schnell wir konnten auf das Lager zu. Es waren nur wenige Schritte und doch kam es mir vor, als wären es Meilen gewesen, bevor wir uns endlich mit dem Rücken an die Palisade preßten und wieder inne hielten. Über uns machte der Ork kehrt und kehrte zu seinem Posten zurück, aus dem Augenwinkel hatte er uns gewiß bemerkt und schon ragte sein Kopf über die Befestigung. Er entdeckte uns – doch sein warnender Ruf, den er ausstoßen wollte, verließ nie seine Kehle. Ich sah schon seine Fangzähne, das schwarze Innere seines Mauls, als er es öffnete, doch Aegmar packte sein Schwert sogleich mit beiden Händen am Schaft und stieß mit aller Kraft genau senkrecht nach oben. Die Spitze drang in die Kehle des Orks und zerfetzte sie. Sein Schrei erstarb und er riß die kleinen runden Augen weit auf. Ungläubig und zornig, doch dann wurde sein Blick trüb und erlosch. Aegmar spannte die Armmuskeln an und hielt das Schwert über seinem Kopf – und den Ork damit aufrecht.
Aus dem Inneren des Lagers mußte es so aussehen, als würde der Ork nur über die Mauer blicken. Aegmar verzog das Gesicht und fluchte lautlos, als Blut aus der durchtrennten Kehle des Orks auf seine Hände tropfte, die das Schwert eisern umklammert hielten. Langsam rann es seine Unterarme hinab und begann den Umhang auf seinen Schultern zu besudeln. Er warf mir einen hastigen Blick zu. Ich konnte nichts für ihn tun. So legte ich ihm nur für einen kurzen Moment noch die Hand auf die Brust, um mich zu verabschieden. Was er vorhatte, sobald ich über die Mauer geklettert war, wußte ich nicht, auch wenn ich sicher war, daß er einen Plan hatte. Kurz spürte ich einen Stich und die Furcht, daß ich meinen neuen Freund vielleicht nie wiedersehen würde, doch ich verdrängte die Gedanken sogleich wieder. Ich zog meine Hand zurück, wandte mich ab, ging leicht in die Knie und konzentrierte mich. Dann trat ich einen Schritt zurück, nahm etwas Anlauf und stieß mich aus den Sprungelenken vom Boden ab. Eine Fußspitze hieb ich gegen die Holzwand, um mich weiter nach oben hin abzustoßen und riß dann die Arme hoch. Meine Hände bekamen eines der angespitzten Enden der Holzpfähle zu fassen, welche die Palisade bildeten und ich zog mich hoch. Daß Aegmar mich erst gestern noch„...zu klein und zu dürr, um sich in den Düsterwald zu wagen....“ genannt hatte, ließ mich auf einmal schmunzeln, als ich mich nun ganz über die Palisade zog. Ich mußte gut darauf achtgeben, mich nicht selbst an den spitzen Enden aufzuspießen, doch es ging einfach und rasch und meine Füße berührten alsbald den grob gezimmerten Rundgang, der etwa einen Schritt unterhalb des oberen Palisadenendes an der Wand entlang verlief. Wer klein ist, ist eben auch leicht...
Und dies war auch nicht das erste Mal, daß ich mir Zugang zu etwas verschafft hatte, aus dem man ungebetene Gäste normalerweise lieber heraushielt.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:06von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Ich ging sofort wieder in die Hocke und sah mich um. Auf den ersten Blick entdeckte ich fünf von ihnen. Fünf Orks. Aber keinen in meiner unmittelbaren Nähe. Immer noch geduckt machte ich einen Schritt nach links, wo der tote Ork immer noch mit dem Kopf leicht über die Palisade geneigt hing. Ich sah mich noch einmal um, dann wagte ich es, mich aufzurichten und nach unten zu blicken. Aegmar sah mich erleichtert an, schwarzes Orkblut benetzte nun auch seine Stirn. Langsam zog er seine Klinge aus der Kehle des Orks und ich packte seinen Leib, damit er nicht zusammensackte. Er war schwer und fühlte sich aufgedunsen an, zudem verbreitete er einen abscheulichen Geruch. Ich nahm meine Kraft zusammen und hob ihn ein Stück hoch, so daß sich ein Stück seiner Lederrüstung an einem der Holzpfähle verfing und er nach wie vor aufgerichtet stehen blieb. Das Schwert stützte ihn jetzt nicht mehr, aber so würde er zumindest eine kleine Weile noch den Anschein erwecken, daß er nur über die Mauer blickte. Ich legte auch noch eine seiner Klauen auf den oberen Rand der Wand, so, als würde er sich festhalten, und hoffte, daß die Täuschung gelang.
Jedenfalls so lange, bis ich irgendein Zeichen von Herrn Therowig entdeckt hatte – oder sicher sein konnte, daß er nicht hier war. Ein letztes Mal sah ich zu Aegmar hinunter und bedeutete ihm, daß ich mit meinem Werk an dem toten Ork fertig war. Er nickte, dann hob er die Hand und winkte mir zu. Schließlich drehte er sich um und hielt sich im Schatten der Palisade, um nun seinen eigenen Weg zu gehen. Ich verlor ihn rasch aus dem Blick, er verschwand wieder zwischen den Bäumen und mir blieb nichts, als ihm Glück zu wünschen – und auch mir selbst.
Einige Orks unter mir begannen etwas zu brüllen und ich vernahm, wie das Tor geschlossen wurde. Es war höchste Zeit, von dem Rundgang zu verschwinden. Rasch überprüfte ich noch, ob ich meinen Dolch nicht verloren hatte. Er war meine einzige Verteidigung, das Einzige, was mich für eine Weile noch vor dem Tod bewahren konnte, sollte ich entdeckt und ganz sicher angegriffen werden.
Mit einem Satz war ich auf der Treppe, die tatsächlich von dieser Stelle aus hinab in das Lager führte. Sie war nicht sehr stabil und knarzte und ich machte einen weiteren hastigen Satz, übersprang die letzten Sprossen und verbarg mich dann unter der Treppe, wo sie einen langen Schatten warf. Erst hier wagte ich wieder einen Atemzug zu tun. Mir kam es vor, als hätte ich das die letzten Minuten beinahe vergessen.
Wieder sah ich mich um. Acht Orks waren es nun. Ich sah drei weitere zwischen einigen Zelten und an einer Feuerstelle stehen, die kreisförmig um die Mitte des Lagers angeordnet waren. Eines der Zelte, schief und mit groben Tierhäuten über einem knorrigen Holzgestell verspannt, war drei Armeslängen von mir entfernt. Mir stockte erneut der Atem, als ich einen besonders großen Ork, der beinahe die Größe eines Uruk-Hai hatte, direkt davor stehen sah. Er trug nur einen Schurz um die Hüften – vor allem aber eine riesige Holzkeule, deren klobiges Ende mit Metallspitzen versehen war. Sie leuchteten grünlich und glänzten feucht. Sie waren mit Gift überzogen. Ein Stich von Wut und Bedauern fuhr mir in den Leib, als ich an Aegmar dachte. Vielleicht hatte ich hier jenen Ork vor mir, der ihn verletzt und fast das Leben gekostet hatte. Aber ich wußte es nicht sicher und so gerne ich diesem großen Ork meinen Dolch ins Genick getrieben hätte, war es nun doch meine Aufgabe, Herrn Therowig zu finden.
Ein loderndes Feuer sandte rotglühende Funken auf in den Nachthimmel. Es brannte genau in der Mitte der Anlage, mehrere kleine Feuerstellen zogen sich an der Palisade entlang. Ich bemerkte auch Feuertöpfe und Vorrichtungen für Brandpfeile. Sollte sich ein Heer oder auch nur eine größere Abordnung von Feinden aus den Wäldern nähern, hätten die Orks die nahen Bäume am Rande der Lichtung sofort in Brand stecken können. Das hätte ihnen nicht nur bessere Sicht verschafft, sondern vermutlich auch jeglichen Angriff zerschlagen und vorerst aufgehalten.
Ich blickte wieder zu dem großen Ork hinüber, der nun seine Keule schulterte und mit einem Fuß auf dem Boden herumscharrte, den Eingang des Zeltes aber nicht verließ. Gewiß war er der Anführer und ich wähnte, daß er weder dumm noch einfältig war. Die Art, wie er sein Lager zu verteidigen gedachte, war bedacht und ausgewählt. Er scharrte wieder mit den Füßen und kratzte sich am Rücken. Daß er auf die Weise angegriffen werden könnte, wie Aegmar und ich es geplant hatten, schien ihm aber keineswegs einzufallen. Ich gab zu, daß mich das überraschte. Entweder war er sehr selbstgefällig und fühlte sich vollkommen sicher, oder (was wahrscheinlicher war), er ging davon aus, daß niemand tatsächlich so töricht sein konnte, hier alleine einzudringen. Widerstrebend mußte ich zugeben, daß er Recht hatte, wenn er das annahm – denn töricht traf meinen Plan vermutlich recht genau. Ich hoffte weiterhin, daß aber genau dies mein Vorteil bleiben würde.
Ich zog mich weiter hinter das Zelt zurück. Der Lichtschein des großen Feuers erhellte es schwach, aber die Tierhaut, die es überspannte, war nicht durchlässig genug, daß ich etwas in seinem Inneren hätte erkennen können. Aber ich hörte etwas. Zwei der Orks, die um das große Feuer gestanden hatten, lösten sich nun und traten zu ihrem Anführer hinüber. Sie waren kleiner als er, schmaler und hielten die Köpfe furchtsam gesenkt, als sie vor ihm standen und er seine Keule von der Schulter zog. Mit dem Kopfende rammte er sie in den staubigen Boden und stützte sich mit den Händen darauf. Sie unterhielten sich in ihrer groben, dunklen Sprache und wechselten ein paar Wortfetzen, bevor sie sich umdrehten und das Zelt betraten.
Ich ging auf die Knie und kauerte mich, so nah ich konnte und ohne das Gleichgewicht zu verlieren, an die Zeltwand. Die Muskeln in meinem Körper waren bis zum Zerreißen gespannt und ich zwang mich, dennoch ruhig zu atmen.
Die Orks begannen wieder zu sprechen. Nein, wahrscheinlich war es nur der große Ork, denn zu meinem Erstaunen konnte ich ihn plötzlich verstehen. Es klang unsauber, falsch und grotesk, dennoch wählte er seine Worte in Westron: „Du! Aufztehen!“, raunte er jemandem im Inneren des Zeltes zu und meine Augen weiteten sich vor Überraschung und Anspannung. Es erfolgte jedoch keine Antwort auf seine Aufforderung und er knurrte unzufrieden auf. Noch einmal sprach er: „Ich zagte, aufztehen!“, diesmal brüllte er fast. „Du hast vergessen, bitte zu sagen.“, erwiderte dann jemand, langsam und ruhig. Es war die Stimme eines Mannes. Sie klang angenehm und tief und ich hörte zwar einen ernsten Unterton in ihr heraus, aber keinerlei Furcht. Unwillkürlich hob ich eine Augenbraue und legte mir eine Hand auf die Brust, als könne ich so mein Herz beruhigen, das plötzlich über die Maßen zu Klopfen begann. Ich zuckte zusammen, als das Geräusch eines Schlages erklang. Die Zeltwand erzitterte kurz.
„Mensch, du zolltest aufpazzen, was du zagst. Nicht mehr lange brauchen wir dich, dann stirbzt du. Und niemand hat mir gezagt, daß es schnell gehen muzz!“, sprach wieder der Ork. Ich nahm meine Hand zurück und ballte sie zu einer Faust. Zweifellos hielten die Orks einen Gefangenen in diesem Zelt fest und es war ein Mann, doch ich durfte nichts überstürzen. Vielleicht war es nicht Herr Therowig. Und auch wenn mein Gewissen mir bestimmt riet, daß ich jeden, ganz gleich wer es war, hier nicht zurücklassen dürfte, so würde ich es doch tun, wenn es nicht Aegmars Freund war.
Ich betrachtete die Zeltwand und spielte kurz mit dem Gedanken, meinen Dolch zu benutzen und einen schmalen Schlitz hineinzuschneiden. Gewiß würde ich dann sehr viel mehr sehen können, aber gleichermaßen stieg die Gefahr, daß auch ich gesehen werden konnte. Es gefiel mir nicht, aber ich mußte noch warten.
Was Aegmar wohl gerade tat?, dachte ich und seufzte lautlos. Dann zog der große Ork wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Zeltwand zitterte erneut und einige scharrende Geräusche erklangen. Vermutlich hatten die Orks ihren Gefangenen gepackt und selbst auf die Beine gezogen.
„Hinaus mit ihm!“, hörte ich den Anführer knurren und die Zeltplanen vor dem Eingang wurden zurückgezogen, als die Orks das Zelt verließen.
Ich mußte mir ein anderes Versteck suchen, hier konnte ich nicht mehr genug sehen. Zu meiner Linken waren einige Kisten aufgestapelt, in etwa fünf Schritt Entfernung. Wenn ich einen guten Moment abpaßte, würde ich bis dorthin schleichen können. Ich erhob mich von den Knien und ging wieder in eine bequemere Position in der Hocke. Ich begann mich zu konzentrieren. Schritte entfernten sich nun von dem Zelt und ich war sicher, daß alle Blicke nun in diese und damit auch in meine Richtung gewandt waren. Ich konnte mich nicht bewegen, noch nicht. Die Orks begannen zu rufen, zu knurren. Vielleicht war es Hohn, oder Spott und er sollte gewiß ihren Gefangenen treffen.
Ich biß mir auf die Unterlippe, mein Herz begann erneut zu klopfen. Und schon überlegte ich, ob ich den Sprung hinter die Kisten nicht doch einfach wagen sollte, als – ja, als plötzlich irgendwo im Osten ein lauter Knall ertönte und die Köpfe der Orks erschrocken herumfuhren. Tumult brach im Lager aus, mehr Orks eilten herbei, es waren nun zehn. Sie rannten hinauf auf den Rundgang an der Palisade und reckten Köpfe und Hälse. Sie zeigten auf etwas, ich konnte nicht sehen auf was. Doch dies war meine Gelegenheit.
Ich sprang.
Atemlos kauerte ich mich hinter die Kisten und lugte vorsichtig über das morsche Holz hinaus. Gerade weit genug, daß ich den Platz in der Mitte des Lagers überblicken konnte. Ich atmete tief durch. Der große Ork schwang seine Keule über seinem Kopf und brüllte wilde Befehle, doch wich er nicht von der Seite seines Gefangenen. Es war tatsächlich ein Mann, groß gewachsen, kräftig und mit rotbraunem Haar, daß ihm bis auf die Schultern reichte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, denn er wandte mir den Rücken zu.
Die beiden Orks, die ihn aus dem Zelt gezerrt hatten, hielten ihn an den Armen fest. Er wehrte sich nicht, er stand vielmehr hoch und unbeweglich aufgerichtet zwischen ihnen und überragte sie um eine ganze Kopflänge. Als er einmal leicht das Haupt drehte, meinte ich, daß er seinen Bewachern nur einen verächtlichen Blick zuwarf. Er war stolz und ich hielt ihn für einen kurzen Moment sogar für einen Narren, daß er keinerlei Furcht zeigte – aber wenn er das getan hätte, hätte er vermutlich ihre Krallen gespürt. Noch mehr, als er es zweifelsohne bereits getan hatte.
Er war ein Krieger, er trug noch die zerkratzten Hosen einer ehemals kostbaren und schweren Rüstung, doch keinen Brustpanzer. Stattdessen nur ein zerrissenes Hemd. Seine Ausrüstung war geplündert oder irgendwo versteckt worden.
Die Orks hatten sich nun beinahe alle auf der Brüstung der Palisade versammelt und ich bemerkte, wie der Anführer ungeduldig wurde. Er sah zwischen dem Tor und seinem Gefangenen hin und her und schien nicht so recht zu wissen, was er nun mit ihm anfangen sollte. Offenbar hatte er vorgehabt, ihn zu verhören und war nun so jäh unterbrochen worden. Irgendetwas schreckte die Orks auf und sie fürchteten sich. Zudem wußten sie nicht, was es war – doch sie fühlten sich bedroht, was sie noch gefährlicher und unberechenbarer machte.
Schließlich brüllte der große Ork wieder einen Befehl, fuhr mit der klauenartigen Hand durch die Luft und seine beiden Begleiter setzten sich mit ihrem Gefangenen in Bewegung. Sie packten ihn fester und zogen ihn zu einem anderen, kleineren Zelt, stießen ihn aber nicht hinein. Vielmehr begannen sie ihn nun an einem Stapel von aufgeschichteten Baumstämmen festzubinden, die bereits zusammengetäut und angespitzt waren, um einige morsche Stellen in der Palisade auszubessern. Sie drückten ihn mit dem Rücken dagegen und verdrehten ihm beinahe die Arme, als sie seine Handgelenke daran fesselten. Er verzog kurz das Gesicht und ich sah ihn das erste Mal an, ihn genau betrachtend, als könne mir das sagen, wer er war. Er trug einen Bart, auf ähnliche Weise, wie auch Aegmar es tat. Aber keinerlei Wappen oder Siegelzeichen war an ihm zu erkennen. Er sah müde aus, erschöpft und seine Arme wiesen deutliche Spuren davon auf, daß er zu einem früheren Zeitpunkt bereits verhört worden war.
Abermals ließ er die Orks gewähren, als einer von ihnen letztendlich die Fesseln prüfte, sie ein letztes Mal verknotete und ihm dabei sichtlich Schmerzen zufügte. Mit einem einzigen Faustschlag hätte er die beiden Kreaturen zuvor zu Boden schlagen und sich ihrer entledigen können, aber er ließ alles über sich ergehen. Sein Blick war wachsam und ich erkannte, daß er genau wie ich unauffällig darum bemüht war, Informationen zu sammeln und seine Situation einzuschätzen. Hätte er aufbegehrt, hätten die Orks ihn vermutlich auf der Stelle getötet – und so war er in der Tat kein Narr, noch ein Feigling. Nicht im geringsten, er wußte genau, was er tat.
Als sie sicher waren, daß er nicht würde entkommen können, ließen sie ihn allein und sprangen hinauf auf den Rundgang, wo sich mittlerweile eine große Gruppe um den Anführer gesammelt hatte. Der Gefangene behielt sie dabei genau im Auge. Er zog einmal an den Stricken, die um seine Arme gewunden waren, prüfte ihre Festigkeit, und ließ dann leicht den Kopf hängen, als er wohl feststellte, daß sie äußerst fest saßen.
Ich spürte Mitleid mit ihm und hoffte, daß er der war, den ich suchte, denn es würde mir mehr als schwer fallen einen Verbündeten den Orks und damit dem Tode zu überlassen – vor allem einem solchen Tod, der qualvoll war. Der große Anführer würde seine Drohung wahr machen, wenn es soweit war. Daran bestand kein Zweifel.
Ich war erleichtert, daß der Gefangene über Blessuren von einigen Schlägen hinaus, unversehrt schien. Nur ein wenig das Bein hatte er nachgezogen, konnte aber Laufen, was für eine Flucht mehr als ein Segen war. Wieder einmal mußte ich Elendil danken. Orks hatten oftmals die Angewohnheit, ihren Gefangenen die Beine abzuschlagen oder sie zumindest so zu verletzen, daß sie aus eigener Kraft nicht mehr gehen konnten. Vielleicht hatten sie Befehl gehabt, diesen hier irgendwann in ein anderes Lager zu verlegen oder ihn gar in den dunklen Turm von Dol Guldur selbst zu bringen.
Doch bevor ich an Flucht denken konnte, mußte ich ihn befreien.
Es waren mehrere Schritt bis zu seinem Platz und die Orks waren immer noch abgelenkt. Ich sah jetzt weit hinter ihnen über dem Wald einen hellen Lichtschein am Nachthimmel glühen. Es war kein stetes Glühen, vielmehr flackerte es und tanzte. Ein Feuer, ein gewaltiges Feuer. Ich dachte an meinen kleinen Zunderstein. Vielleicht war dies Aegmars Werk gewesen, vielleicht hatte er im Wald eine gute Stelle gefunden, um ein Feuer zu legen und aus einem winzigen Funken war ein Inferno geworden.
Ich lächelte knapp, als mein Blick auf die Vorrichtungen im Lager fiel, die dazu dienten, sich selbst auf diese Weise zu verteidigen. Die Orks mußten davon ausgehen, daß irgendwo eines der benachbarten Lager angegriffen worden war und ihre Verbündeten den Wald in Brand gesteckt hatten, um die Feinde aufzuhalten und zu vernichten.
Wahrscheinlich beratschlagten sie daher aufgeregt, ob sie zu Hilfe eilen sollten oder nicht. Ich zollte Aegmar meine Bewunderung, er kannte die Orks gut – wenn ich davon ausging, daß es tatsächlich sein Werk war. Aber das tat ich. Der Himmel war wolkenlos, so war weder ein Blitz herabgegangen, noch konnte ich mir vorstellen, daß das Heer der Elben bereits ausgerückt war. Nein, es mußte Aegmar gewesen sein.
Ich tippte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf mein Knie, dann entschied ich, daß ich mein Versteck abermals verlassen würde. Ich schlich zurück hinter das Zelt, aus dessen Schatten ich gekommen war, umrundete es und hielt mich auf der anderen Seite dicht an der Wand. Ein Stück Felsen bildete hier einen Teil der Palisade. Die Orks beachteten mich nicht, sie beachteten auch ihren Gefangenen nicht. Etwa Fünf von ihnen verließen schließlich den Rundgang und trabten auf die Kistenstapel zu, hinter denen ich mich eben noch verborgen hatte. Ich hatte mich nicht eine Sekunde zu früh von dort zurückgezogen. Sie wühlten in den Kisten, brachen die Deckel auf und zogen kleine Tartschen und Kriegsäxte hervor. Auch Tiegel mit grüner Flüssigkeit steckten sie ein – wieder das hinterlistige Gift, das sie benutzten. Dann machten sich die Fünf auf zum Tor, das bereits langsam geöffnet wurde. Der große Ork hatte sich also entschieden, Unterstützung zu senden. Diesmal dankte ich nicht Elendil, sondern Aegmar für seine List.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:07von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Ich wagte mich noch einige Schritte vor, dann befand ich mich unmittelbar hinter dem Holzstapel, an dem der Gefangene festgebunden war. Ich sah, wie angespannt die Muskeln in seinen Armen waren, noch immer versuchte er, die Stricke zu lösen. Ich ging wieder in die Hocke und war nun fast neben ihm. Abrupt ebbten seine Bewegungen ab und seine Muskeln entspannten sich, er hatte mich nicht gesehen, aber bemerkt. Und hielt mich vermutlich für einen Ork. So richtete ich mich behutsam auf und trat direkt hinter ihn, darauf bedacht, daß mich der Stamm, der ihn hielt, und sein Körper verdeckten. Ich berührte knapp seinen Arm, um ihm zu bedeuten, daß ich kein Ork war: meine Hand fühlte sich gewiß anders an. Überrascht hörte ich ihn ausatmen, glücklicherweise beging er aber nicht den Fehler, sich nach mir umdrehen zu wollen. „Seid Ihr Herr Therowig?“, fragte ich ihn unvermittelt und flüsternd in sein Ohr. Bevor er antwortete, warf er einen Blick zu den Orks, die sich nun aufgeteilt hatten. Die eine Hälfte machte sich am Tor zu schaffen, die andere stand immer noch oben an der Palisade. Doch der große Ork war verschwunden und war nirgendwo zu entdecken, was mich auf einmal mit einiger Unruhe zu erfüllen begann.
„Ich bin Therowig Bayard. Und wer seid Ihr?“, raunte er leise. Seine Stimme klang gedämpft, verhalten. Er bewegte die Lippen kaum, um mich nicht zu verraten. „Ein Freund. Herr Aegmar schickt mich.“, erwiderte ich ebenso leise und trat dann zurück, direkt hinter Herrn Therowig. Ich konnte nicht verhindern, daß mir ein Seufzer der Erleichterung und der Freude entkam. Therowig nickte nur.
Ich zog vorsichtig den Dolch aus meinem Stiefelschaft und stellte mich dann auf die Zehenspitzen, um die Stricke erreichen zu können, die Herrn Therowig hielten. „Ich werde jetzt Eure Fesseln durchtrennen, nehmt die Hände nicht herunter, bevor ich es Euch sage!“, flüsterte ich ihm eindringlich zu. „Selbstverständlich nicht.“, knurrte er dunkel und wandte mir nun doch ein wenig den Kopf zu, drehte ihn dann aber sofort wieder nach vorn und behielt wachsam die Orks im Auge, um mich warnen zu können, sollten sie sich umdrehen oder gar nähern. So froh ich war, Aegmars Freund tatsächlich gefunden zu haben – so sehr erfüllte mich jetzt aber wieder das Verschwinden des großen Orks mit Sorge.
So oft ich konnte, wandte ich den Blick von den Stricken, zwischen die ich nun behutsam die feine Klinge meines Dolches schob. Weder mich selbst noch Herrn Therowigs wollte ich verletzen, doch ich mußte wissen, wo der Anführer war! Ich konzentrierte mich, sah auf jeden huschenden Schatten, der an meinen Augenwinkeln vorbeizog, doch zumeist war es nur das Feuer, das mir eine Bewegung vorgaukelte. Langsam, unendlich langsam löste sich eine Faser nach der anderen an den starken Tauen und der Widerstand des Seils gegen meine Dolchklinge ließ nach.
Therowig verlagerte sein Gewicht, er wurde ungeduldig, wollte genau wie ich endlich diesem scheußlichen Ort entkommen. Doch würde ich nun etwas überstürzen, dann wäre alles verloren.
Ich beschleunigte meine Bewegungen jetzt leicht. Der Strick um Therowigs rechtes Handgelenk löste sich und der Knoten hing bereits in Fetzen. Als er nur noch zwei oder drei dünne Fasern stark war, ließ ich ab und machte einen Schritt zur Seite. Der Knoten auf der linken Seite drückte sich tief in Therowigs Haut und ich kniff die Augen zusammen. Es war schwierig, die Klinge so unter das Seil zu bringen, daß ich Therowig nicht dabei schneiden würde.
Als ich zögerte, drehte Therowig leicht den Kopf zur Seite und sprach flüsternd zu mir. „Was Ihr tun müßt, tut.“, sagte er leise. Es klang weder aufgebracht, noch verübelnd. Ich nickte also knapp und atmete lautlos aus. So behutsam ich dennoch konnte, schob ich den kalten Stahl der Klinge über seine Hand und unter den Strick. Ein Tropfen Blut bildete sich und ich bemühte mich, ihn nicht anzusehen, als ich den Dolch langsam auf und ab gleiten ließ und die Seile zerschnitt.
Auch diesmal schien wieder eine Ewigkeit zu vergehen und ich spürte, wie sich meine Finger langsam verkrampften vor Anstrengung. Aber ich durfte nun nicht aufhören. Wieder löste sich Faser um Faser und dann war es soweit. Das Seil fiel nicht herab, aber es hielt seinen Gefangenen auch nicht mehr. Mit einer einzigen leichten Bewegung konnte Therowig sich befreien. Dann, wenn der richtige Augenblick dafür kam.
Ich zog mich zurück, verbarg mich wieder im Schatten hinter Therowig und steckte den Dolch zurück in den Stiefel. Das Tor war mittlerweile geöffnet worden und hatte jenen Trupp entlassen, der den vermeintlich Angegriffenen zu Hilfe eilen sollte. Bald würden sie feststellen, daß keine Hilfe vonnöten gewesen war und wieder zurückkehren. Wir hatten nicht viel Zeit.
Therowig sah ebenso wie ich hinüber zum Tor. Es schloß sich langsam. Zwei Orks schoben die schweren, eisenverstärkten Flügel zu, zwei andere hielten Wache. Vier nur, dachte ich. Vier. Das war zu schaffen. Daß der Anführer immer noch verschwunden war, daran dachte ich in diesem Moment nicht mehr. Ich sah nur noch das Tor. Fünf Schritt, vier Schritt. Bald war es wieder verschlossen. „Jetzt?“, murmelte Therowig. „Jetzt.“, bestätigte ich. Er spannte die Muskeln und riß an den Seilen. Widerstandslos gaben sie nach und zerrissen. Er war frei. Geduckt packte er einen der Stämme, schwang sich daran herum und war mit einem Satz neben mir. Das Halbdunkel verhüllte ihn und er sah mich zum ersten Mal. Ein Ausdruck des Erstaunens huschte über sein Gesicht und ich preßte die Lippen zusammen. Was hatte er erwartet? Einen großgewachsenen Krieger, oder gar ein ganzes Heer, das nun hinter ihm stehen würde? Ich wollte beinahe schon zu einer Rechtfertigung ansetzen, obgleich Therowig nicht das geringste gesagt hatte, als er mich plötzlich jäh packte und zur Seite stieß.
Mir fuhr die Luft aus den Lungen und ich fiel zu Boden. Dann splitterte Holz und mir flogen Späne und Stücke eines gebrochenen Balkens um die Ohren. Instinktiv schlang ich die Arme um den Kopf, um mich zu schützen und drückte mich noch fester in die kalte Erde. Ich erschrak, als ich ein lautes Krachen hörte und ein dunkles, wütendes Brüllen: der große Ork war nicht verschwunden, er stand nun direkt zwischen Herrn Therowig und mir. Seine Keule war in den Holzpfahl gefahren, an dem Therowig noch vor wenigen Augenblicken festgebunden gewesen war. Dort, wo wir beide gestanden hatten, war nun nichts als ein Haufen zertrümmerten Holzes.
Ich hob den Kopf wieder an, der Ork zog die Keule aus dem Holz und holte erneut aus. Therowig duckte sich unter dem Schlag weg und sprang nach vorn. Er packte den großen Ork am Arm und riß diesen zur Seite. Abermals verfehlte ihn die Keule nur knapp.
Das Brüllen ihres Anführers scheuchte nun auch die anderen Orks am Tor auf. Sie wirbelten herum, sahen ihren Gefangenen befreit – und packten ihre Äxte. Sie überquerten den Platz und waren rasch bei uns.
Ich atmete tief ein, um meine Lunge wieder mit Luft zu füllen und rollte mich auf die Seite. So schnell ich konnte, war ich auf den Knien und riß den Dolch aus meinem Stiefel, daß er mir fast entglitt. Therowig rang immer noch mit dem Anführer. Ich stieß den Dolch vor und traf seine Kniekehle. Der Ork jaulte auf, sein Bein knickte ein und er begann das Gleichgewicht zu verlieren. Der Arm, der die gewaltige Keule hielt, sank herab. Therowig winkelte einen Arm an, ballte eine Faust und sammelte Kraft: dann hieb er dem Ork den Ellbogen auf die Schulter, genau dorthin, wo Hals und Schlüsselbein zusammentrafen. Die Keule fiel zu Boden. Ich zog meinen Dolch zurück.
Mit dem Fuß trat Therowig die klobige Waffe fort, außer Reichweite des Orks, hieb ihm die Faust in den Magen und sah zu, wie er auf die Knie stürzte. Therowig ließ sich ebenfalls auf die Knie fallen. Er sah mich nicht an, vielmehr blickte er dem mitten ins Gesicht, der ihn gefangen hatte. Und ich wußte: nun würde er Rache üben.
Abermals holte er mit der Faust aus. Die Nase des Orks brach, schwarzes Blut klebte nun an Therowigs Fingerknöcheln. Dann löste er die Faust, griff in den Nacken der Kreatur und drehte ihren Kopf mit einem Ruck herum. Als ein Knacken ertönte, schloß ich die Augen. Das Genick des Orks war gebrochen und ich hörte nur noch, wie Therowig zufrieden ausspuckte. Doch der Sieg währte nicht lange, denn als ich die Augen wieder öffnete, sah ich die vier Orks, die nun vom Tor zu uns herangekommen waren. Sie stürzten sich auf Therowig, hieben nach ihm. Und obwohl er auswich und sie ihn wunderhaft nicht einmal zu streifen schienen, konnte er doch nicht verhindern, daß sie sich schließlich an seinem Bauch, Armen und Schultern verkrallten und ihn umrissen. Direkt neben mir schlug er auf, die Orks auf ihm – wütend und aufgebracht über den Tod ihres Anführers hieben sie blind und außer sich weiter nach ihm. Ich mußte handeln.
Ich sprang über Therowig hinweg, kam zu seinen Füßen wieder zum Stehen und packte den ersten Ork, der zu oberst auf ihm lag. Am verfilzten, dünnen Haar zerrte ich ihn zurück, und ein feiner, rascher Schnitt meines Dolches durch seine Kehle beraubte ihn seiner Lebenskraft.
Therowig brüllte, er wehrte sich, er schlug zu und ich war sicher, mindestens ein weiterer unserer Gegner hatte durch einen Fausthieb das Bewußtsein verloren. Aber da waren noch zwei – und diese erinnerten sich nun daran, daß sie immer noch ihre Äxte in der Hand hielten. Mehr aus Verzweiflung, denn aus kämpferischem Wissen heraus, warf ich mich auf den Ork, der mir nun am nächsten war, um zu verhindern, daß er die seine auch benutzen würde. Mein Dolch wirkte lachhaft klein und unnütz gegen die grobe Axt, die er hielt, aber die Klinge fand die Sehnen in seinem Unterarm und durchtrennte sie wie Grashalme.
Er konnte die schwere Waffe nicht mehr halten und sie fiel. Das dunkle Blatt schlug direkt neben Therowigs Kopf auf. Ein zweites Mal warf er mir einen ungläubigen Blick zu, aber er währte nicht lang, denn jener Ork, der nun als letztes verblieben war, brüllte laut auf. Die Besinnung verlor er beinahe vor Wut und Schaum bildete sich vor seinem Maul. Seine runden Augen glühten und seine Hände schlossen sich um Therowigs Hals. Er drückte zu, mit einer Kraft, die kaum aufzuhalten war. Therowig wurde blaß, und ich schrie auf.
Der Ork trug einen Panzer, mein Dolch glitt daran ab. Mit Faust und Dolchschaft hämmerte ich auf den Rücken der Kreatur ein, doch meine Schläge mußten ihn nur treffen wie Regentropfen. Sie verhallten ohne Wirkung und mir traten ungewollt Tränen in die Augen. „Laß ihn los!“, schrie ich.
Ich hatte Therowig gefunden. Ich hatte ihn befreit. Ich würde ihn jetzt nicht wieder verlieren!
„Loslassen!“, schrie ich erneut, als könnte es dieses Mal vielleicht etwas nützen. Therowigs Hände fuhren an die Arme des Orks, versuchten sie zurückzubiegen, aber es gelang ihm nicht. Die Farbe wich weiter aus seinem Gesicht, als er nach Atem zu ringen suchte. Aber keine Luft konnte zu ihm dringen. Keine.
Die Muskeln in seinen Armen spannten sich zum Zerreißen an und ich sah, wie sehr er sich dagegen wehrte, bewußtlos zu werden und die Kraft zu verlieren.
Grauen erfaßte mich und unsägliche Furcht. Wieder schlug ich mit den Fäusten auf den Rücken des Orks ein – und dann kam mir der Gedanke an die Keule des Anführers, die in einiger Entfernung von uns noch auf dem Boden lag. Ich sprang auf. Ich mußte sie holen.
Fieberhaft suchte ich die Stelle, wo sie liegen mußte und fand sie. Sie war unendlich schwer, als ich sie mit beiden Händen packte und sie hinüber zu Herrn Therowig und dem Ork schleifte. Mit der größten Anstrengung, die ich je vollbracht hatte, so schien es mir, hob ich sie hoch über meinen Kopf. Meine Knie wurden weich, meine Arme zitterten, dennoch versuchte ich zu zielen. Dann ließ ich sie niedersausen.
Es gab ein furchtbares Geräusch. Ein Knacken, ein Krachen, ein Quetschen. Für einen Moment war es totenstill. Meine Knie zitterten. Das Gewicht der Keule, das nun gänzlich auf dem gespaltenen Schädel des Orks ruhte, drohte mich nach vorn zu ziehen. Ich ließ die Keule los und taumelte einen Schritt zurück.
Wie benommen blinzelte ich, als ich eine Bewegung wahrnahm und einen tiefen Atemzug hörte. Therowig schob den toten Ork von sich herunter und richtete sich langsam auf. Er griff sich an den Hals und beugte sich vornüber. Er hustete und sog gierig Luft in seine Lungen. Ich stand wie angewurzelt da und starrte ihn an. Hatten wir es geschafft?
Hinter mir knisterte nur das große Feuer in der Mitte des Lagers. Es war vollkommen leer. Orks lagen erschlagen um uns herum. Ihre Waffen verstreut, zwischen ihnen Holzsplitter und zerschnittene Stricke. Ja, wir hatten es geschafft.
Therowig kam nun gänzlich auf die Füße. Benommen machte er einen Schritt auf mich zu, er hielt sich die Seite. Er war verletzt, aber er lebte. Er nickte knapp, dann bückte er sich und hob eine der Orkäxte vom Boden auf. Er wog sie in der freien Hand und murmelte etwas darüber, daß sie schlecht ausgewogen war, für den Moment aber taugen müsse. Das riß mich jäh aus meiner Erstarrung. Er machte sich Gedanken über die kunstlose Beschaffenheit von Orkwaffen? Beinahe belustigte mich das, aber mir wurde schlagartig bewußt, daß wir über keinerlei andere Ausrüstung verfügten. Und dann kamen auch die Gedanken an Aegmar zurück.
„Wir sollten hier weg.“, sagte ich. Therowig trat an mich heran und sah auf mich hinab. Er hatte grüne Augen. Er lächelte leicht und an seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen, die ihm tatsächlich etwas Freundliches verliehen. Ein kleines Licht in dieser vollkommenen Dunkelheit. Meine Zuversicht wuchs wieder. So drehte ich mich um zum Tor, es stand noch einen Schritt weit offen. Ich schob mir den Dolch in den Gürtel meiner Hose und wandte mich um. Ich wollte gehen.
„Danke.“, sagte Therowig leise und ich hielt inne. Ich wurde verlegen und ich wußte auch nicht, was ich ihm antworten sollte. Er bedankte sich für das, was ich für ihn getan hatte. Dabei verstand ich selbst noch nicht einmal, was ich getan hatte. Und auch nicht, warum ich es getan hatte. Selten hatte ich für andere gehandelt, wenn sich mir selbst nicht ein Vorteil daraus erboten hatte. Wo hätte hier mein Vorteil liegen sollen? In meinem Tod? Aegmar hatte mir nicht einmal eine Entlohnung in Aussicht gestellt. Und doch war ich plötzlich zufrieden. Ich hätte nicht zufriedener sein können, selbst wenn eine Kiste Gold auf mich gewartet hätte.
„Ich danke Euch.“, sagte Therowig noch einmal und ich wußte, was mich so zufrieden machte. Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme und die Freundschaft, die er mir für meine Tat nun entgegen zu bringen schien, ohne daß er mich überhaupt kannte.
Ich atmete tief aus und wurde vollkommen ruhig. Ich streckte sogar eine Hand nach ihm aus, die er erst zögerlich ergriff und dann fest umschloß. „Es ist noch nicht vorbei.“, sagte ich und tat dann ein paar Schritte auf das knapp offen stehende Tor zu. „Aber ich freue mich, daß Ihr bei mir seid, Therowig Bayard. Ich bin Nariena Ghaldean.“
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:09von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Ich schlüpfte zuerst durch das Tor und sah mich sofort um. Der Wald, der sich vor mir erstreckte, lag still im Dunkel der Nacht da, doch noch immer erglühte der Himmel in einiger Entfernung in einem bedrohlichen Rot. Hinter mir hörte ich plötzlich ein Knarren, Therowig hatte das Tor ein Stück weiter aufschieben müssen. Ich erschrak kurz, aber dann mußte ich lachen. Er hatte nicht durch den schmalen Spalt gepaßt, der noch übrig geblieben war. Etwas verlegen und entschuldigend sah er mich an. Mein Lachen wollte so ganz und gar nicht in diese Umgebung passen und so bemühte ich mich, es auch sofort wieder zu unterdrücken. Doch ein Schmunzeln blieb auf meinem Gesicht zurück, als wir uns dann sicher waren, das keine Orks zurückgeblieben waren. Jedenfalls keine, die noch lebten.
Wir wußten, bald würden sicher die ersten Patrouillen zurückkehren, die Aegmar und ich hatten ausrücken sehen und so mußten wir so schnell wie möglich diesen Ort verlassen.
Aegmar. Ja, Aegmar. Wo konnte er nun sein? Das Lächeln auf meinem Gesicht erstarb, als ich in den Schutz der Bäume trat. Therowig war direkt hinter mir und sah sich um. Ich versuchte die Stelle wieder zu finden, an der wir Umhänge und Aegmars Schild zurückgelassen hatten. Ich mußte nachdenken, fand den Baum aber nach wenigen Schritten. Unsere wenigen Habseligkeiten waren noch dort und ich nahm meinen Umhang auf, legte ihn um meine Schultern und zog mir die dunkle Kapuze tief ins Gesicht. Therowig ging in die Hocke und berührte Aegmars Schild mit den Fingerspitzen. Er runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen, als wäre er überrascht nur den Schild des Freundes zu sehen und nicht ihn selbst.
Als er sich wieder aufrichtete, machte er einige rasche Schritte auf mich zu. Er hinkte immer noch leicht und zog den rechten Fuß nach, aber er war schnell genug, um mich unvermittelt an der Schulter zu fassen. „Wo ist Aegmar?“, fragte er mißtrauisch. „Ich weiß nicht, wo er ist.“, erwiderte ich leise und bemühte mich dabei, den Umhang fest um meinen Leib zu schlingen. Ich fror plötzlich. Meine Kleider waren feucht, ich hatte geschwitzt, und auch mein Haar klebte mir am Kopf. Sicherlich war auch schwarzes Orkblut dabei. Ich zuckte jäh zusammen, als Therowig mich auf einmal anfuhr: „Was soll das heißen, Ihr wißt nicht, wo er ist?!?“
Sprachlos sah ich zu Therowig auf. Sein Griff an meiner Schulter verstärkte sich und begann zu schmerzen, so daß ich mich ihm entwand. „Nun, er...er mußte doch für eine Ablenkung sorgen und die Orks fortlocken, damit ich Euch befreien konnte.“, versuchte ich die Abwesenheit des Freundes zu erklären. Therowig fluchte. Er kam wieder auf mich zu und ich trat einen Schritt zurück, aber ich entkam ihm nicht. Er packte mich erneut. „Ihr hättet mich lassen sollen, wo ich war!“, gab er aufgebracht zurück. Sein Blick fiel über mich hinweg zu dem roten Glühen am Himmel hinter uns und er verstand augenblicklich, was ich gemeint hatte. Er ließ mich los, dann packte er Aegmars Schild. Er würde ihn mitnehmen. Wir würden Aegmar suchen. Und schon machte Therowig sich auf den Weg - dem Inferno entgegen.
Er beschleunigte alsbald seine Schritte und obgleich sein Fuß verletzt war, war er erstaunlich schnell, so daß ich ihm nur nachstolpern konnte. Er hielt Aegmars Schild fest gepackt und vor sich erhoben, hieb damit Unterholz und kleine, herabhängende Äste aus dem Weg.
Unsere Flucht wurde zu einer Jagd.
Rauch stieg uns irgendwann in die Nase, beißend und schwer. Wie Nebel zog er zwischen den Baumstämmen umher und erschwerte uns die Sicht. Gefährlich nahe wagten wir uns an die brennenden Feuer heran, die Aegmar gelegt hatte. Der Wald zu unserer Rechten stand lichterloh in Flammen und wir hörten die Orks rufen. Sie waren damit beschäftigt, die Brände zu löschen und zu verhindern, daß ihre Befestigungen bloßgelegt und ungeschützt sichtbar sein würden. Sie brauchten die Bäume zu ihrer eigenen Verteidigung.
Aegmar und ich hatten keinen Treffpunkt verabredet, wo wir wieder zusammenfinden wollten, nachdem wir uns getrennt hatten und mir wurde schmerzlich bewußt, daß er davon ausgegangen war, daß er seinen Ablenkungsversuch nicht überleben würde. Für ihn war es nur darum gegangen, daß ich seinen besten Freund befreite und daß Therowig wieder sicher in die Heimat zurückkehrte. Aber Therowig wollte diesen Preis dafür nicht bezahlen, nun verstand ich auch seine Wut.
Eine solche Freundschaft, eine solche Güte und eine solche Bereitschaft zu Loyalität unterscheidet wahrhaftig die Menschen von den Orks, schoß es mir durch den Kopf. Und gleichzeitig auch der Gedanke, daß ich nie eines dieser drei Dinge für mich selbst in Anspruch genommen, noch es selbst gegeben hatte.
Ich folgte Therowig weiter durch den schwelenden Wald. Immer wieder blieb er stehen, sah sich um, packte Schild und Orkaxt wieder fester. Er war entschlossen. So entschlossen, wie es Aegmar zuvor gewesen war. Und ich war mit Stolz erfüllt. Darauf, daß ich in die Geschichte dieser beiden Freunde geraten war und ein kleines Kapitel daran mitgeschrieben hatte. Und darauf, daß sie mich vielleicht auch etwas über mich selbst gelehrt hatten: Leben und Tod stehen manchmal eng beieinander und es ist einfacher dem einen als auch dem anderen nicht immer allein begegnen zu müssen. Vielleicht würde ich darüber noch einmal nachdenken. Irgendwann.
Therowig blieb nun wieder stehen und bedeutete mir, daß ich es auch tun sollte. Vor uns brachen ein paar Orks durch die Bäume, hastigen Schrittes. Sie sahen uns nicht. Sie schleppten Kübel, aus denen Wasser schwappte. Doch noch eine andere, größere Abteilung Orks rannte an uns vorbei – in die entgegengesetzte Richtung. Sie waren bewaffnet. Therowig drehte sich knapp zu mir herum. „Sie suchen jemanden, das ist eine Jagdgruppe. Vielleicht sogar eine der Patrouillen aus dem Lager, ich erkenne den Anführer wieder mit dem Helm, der aussieht wie der Schädel eines Wildschweins.“, raunte er mir zu. „Vielleicht suchen sie Herrn Aegmar.“, erwiderte ich. „Wen sonst.“, gab Therowig zurück und ich sah Hoffnung in seinen Augen aufleuchten. Er deutete mit dem Schildarm nach rechts. „Wir folgen ihnen.“ Und kaum hatte er es ausgesprochen, war Therowig auf der Spur der Orks.
Sie schienen so abgelenkt, daß sie nicht einmal zurückblickten und zu ahnen begannen, daß ihnen Verfolger auf den Fersen waren. Und Therowig bediente sich nicht so leiser Schritte, wie ich es tat. Er sprang über Felsen, trat abgeknickte Äste einfach nieder und behielt nur den Jagdtrupp im Auge. Hinter uns knisterte und knackte der Wald im Feuer und vor uns riefen und fluchten die Orks. Der Gedanke an Frieden rückte in weite Ferne. Der Düsterwald verdiente wirklich seinen Namen und ich begann die Stunde zu verwünschen, in der ich ersonnen hatte, überhaupt jemals hier hin zu wandern. Östlich der Feuer begann ein hauchdünner Silberstreif am Himmel aufzuziehen, der Morgen nahte langsam.
Die Orks liefen in keine klare Richtung, ihr Weg führte sie im Kreis, dann wieder eine Weile geradeaus. Nach Ost, nach West, nach Nord. Fieberhaft suchten sie ihre Widersacher, vielleicht dachten sie sogar, daß sie es mit einem ganzen Heer zu tun hatten, denn eines schien deutlich: sie drängten sich so dicht aneinander, daß ihnen bang sein mußte vor Furcht und Grauen.
Therowig blieb plötzlich stehen, denn auch die Orks waren stehen geblieben.
Vor uns hörten wir Kampfgeräusche. Sie klangen verhalten durch den Rauch. Die Orks wandten sich nach Norden und auch wir folgten ihnen, bis hin zu einer kleinen Lichtung. Wir rochen immer noch das Feuer, doch waren wir nun ein gutes Stück davon entfernt. Ich wähnte, daß die alte Elbenstraße nicht mehr fern lag.
Wir wagten uns bis zu der Lichtung vor und sahen, daß es vielmehr der Hang eines Hügels war, der mit dichtem hohen Farn bewachsen war, aber nur wenige Bäume hatten hier ihre Wurzeln in den Boden geschlagen. Sie waren kahl und gedrungen, im Sterben begriffen. Doch am Stamm einer grauen Birke, mittwärts auf halber Höhe des Hügels, lehnte ein einzelner Mann. Ich wußte sofort, wer er war. Und auch Therowig erkannte ihn sogleich. Er preßte sich mit dem Rücken an das morsche Holz und hielt mit beiden Händen ein Schwert vor sich ausgestreckt. Mehrere tote Orks lagen zu seinen Füßen oder den Hügel hinab verstreut. Er hatte sie getötet, doch er war am Ende seiner Kräfte. Seine Knie waren leicht gebeugt, das Schwert in seinen Händen zitterte und sein Kopf drohte ihm immer wieder auf die Brust zu sacken.
Es war Aegmar.
Mir stockte der Atem, doch ich griff an den schmalen Dolch, der in meinem Gürtel steckte, und zog ihn. Therowig stellte sich vor mich und sein Blick glitt zwischen dem Jagdtrupp und seinem Freund hin und her. Einer der Orks zog einen Kurzbogen von seiner Schulter und legte einen Pfeil an. Er zielte auf Aegmar.
Und schien alle Kraft aufgebraucht, alle Hoffnung verloren, alle Tapferkeit in Schmerz erstickt und jeder Mut schon aufgebracht – so war dies doch der Moment, in dem eines aus unseren Herzen hervorbrach und uns alles zurückgab, um uns auch diesen letzten Kampf noch überstehen zu lassen: Freundschaft!
Der Ork hob den Bogen höher, spannte die Sehne und Therowig preschte los. Wie ein Sturm aus Blitz und Donner brach er aus den Büschen und schrie so laut, daß es die Orks bis ins Mark erschütterte. Es war ein verzweifelter Schrei, aber einer, der gewiß werden ließ, daß wir nicht besiegt waren. Noch nicht. Ohne Nachzudenken, so schien es mir, rannte er mitten in den Trupp hinein und setzte einen wilden Schlag mit dem Schild nach links und einen mit der Axt nach rechts. Der Bogenschütze fuhr überrascht herum und legte nun auf Therowig an, doch der verlor keine Zeit und hieb ihm Aegmars Schild gleich gegen die Kehle.
Die Überraschung der Orks währte jedoch nicht lang. Sie knurrten, fuhren herum und stürzten sich auf Therowig. Ich sah Aegmar sich von seinem Baum lösen. Er hob das Schwert hoch über seine Schulter und lief uns entgegen. Die Orks waren genau zwischen uns. Ich warf meinen Dolch, dann stürmte auch ich los. Wir waren nur zu Dritt, doch wir brandeten wie eine tosende Welle über ihnen zusammen.
Es war keine Schlacht, in die wir uns stürzten. Es war ein tiefes Luftholen und ein großes Ausatmen, das die Orks von den Beinen fegte. Der Kampf dauerte nicht lange, wenige Minuten nur, dann stand keiner mehr von ihnen. Wir hatten nicht mit Genauigkeit gehandelt, nicht mit Fertigkeit oder mit Taktik, wir hatten einfach nur gehandelt. Mit Entschlossenheit und Willen. Und nun war es endlich vorbei. Die Orks lagen tot im Farn, nichts hatten sie uns entgegen zu setzen gehabt. Ihre eigene Furcht hatte sie besiegt, die sie in kopflose Rage versetzt hatte gegen drei Menschen, die nichts mehr zu verlieren gehabt hatten - außer sich selbst. Orks kämpften nicht für sich, sie wurden zum Kampf getrieben, mit Gewalt und mit Angst. Das machte sie feige und oftmals wenig entschlossen und so kam es mir im Nachhinein beinahe so vor, als hätten sie uns nicht besiegen wollen. Als wäre ihnen die Niederlage bewußt gewesen, noch bevor wir sie getötet hatten. Sie hatten gewinselt, ohne Gnade zu erwarten.
Und doch war ein Sieg ein Sieg und das Ziel, nach dem wir gegriffen hatten, lag nun in unseren Händen.
Therowig schleuderte mit tiefster Verachtung die Orkaxt in einen Busch, als würde sie ihm nun, da er sie nicht mehr brauchte, die Hand verbrennen. Ich zog meinen Dolch aus einem der toten Leiber und wischte sie an einem moosbewachsenen Stein ab. Lächelnd richtete ich mich auf und steckte mir die Klinge wieder in den Stiefel, hoffend, daß ich sie so bald nicht mehr ziehen müßte. Das Licht am Himmel nahm zu und warf einen silbernen Schein auf den Hügel, der das Farn grau leuchten ließ.
Aegmar kam rasch zu uns herüber und schlug Therowig freundschaftlich und mit solcher Herzlichkeit auf die Schulter, daß es mich tief in meinem Innern rührte. Dann erhielt er seinen Schild zurück, der nun gewiß noch ein paar Kerben und Beulen mehr aufzuweisen hatte. Auch Therowig nahm freudig Aegmars Hand entgegen und sie schlugen fest ein. Sie sagten nichts, aber die Blicke, die sie wechselten, mußten auch nicht in Worte gekleidet werden. Sie waren mehr als froh, einander zu sehen.
Ich strich meinen Umhang glatt, es schien mir angebracht, denn in diesem Augenblick, da wir uns alle wiedersahen, war mir plötzlich feierlich zumute. Ich schob die Kapuze meines Umhang über das Haar zurück und fuhr mir mit den Fingern hindurch. Meine Locken hingen wirr und auch sie wollte ich richten, bevor ich zu Aegmar und Therowig trat.
Dann machte ich einen Schritt auf die beiden Männer zu – und hielt sofort wieder inne. Nein. Etwas hielt mich auf einmal zurück. Ein Gedanke, das Aufflackern einer Eingebung. Ich blieb stehen und rührte mich nicht. Ich betrachtete sie nur, wie sie dort standen, immer noch die Hände eingeschlagen und sich auf die Schulter klopfend, die Gesichter freudestrahlend, dankbar. Wiederum Nein. Ich wollte nicht dazwischen treten. Es war ein Moment voller Zauber, voller Magie, in dem ich nichts verloren hatte. Den Schritt, den ich getan hatte, ging ich wieder zurück. Und noch einen. Und noch einen weiteren, bis ich wieder am Rande der Lichtung stand und die ersten Bäume mich verschluckten.
Mit einem Lächeln betrachtete ich die Freunde auf der Lichtung. Auch meine Freunde?
Aber wie auch immer es war, die Geschichte endete nun hier. Sie war eine Geschichte voller Finsternis und Freundschaft gewesen, und so gut sie ausgegangen war, für den Moment konnte ich sie einfach nicht weiterführen. Ich beschloss, Aegmar und Therowig zu verlassen und zu gehen. In Stille und in Frieden. Ich zog mich weiter in das Dunkel zurück und tat noch einen Schritt. Das Lächeln auf meinem Gesicht wich einem Seufzen. Ich spürte Bedauern und hob den Kopf. Meine Augen glänzten und ich nahm einen tiefen Atemzug. Dann senkte ich den Blick wieder und versuchte den Pfad wiederzufinden, auf dem ich gekommen war. Mein Bedauern stieg und ich wußte nicht warum. Ich bedauerte, Aegmar zu verlassen, wie ich anfangs bedauert hatte, ihm begegnet zu sein. Und ich bedauerte, auch von Therowig zu gehen, obgleich ich nach wie vor nicht verstand, warum ich ihm geholfen hatte.
Es war schmerzlich, aber der Kreis hatte sich geschlossen. Allein war ich gekommen und allein würde ich nun gehen, wie ich es immer getan hatte.
Ich drehte mich ein letztes Mal um, warf ihnen einen letzten Blick zwischen den Bäumen hindurch zu. Sie richteten sich die Gewänder, Aegmar schulterte seinen zerbeulten Schild und Therowig schien sogar zu lachen, denn er legte den Kopf in den Nacken. Sie hatten nicht bemerkt, daß ich gegangen war.
So drehte ich mich also wieder um, um dem Pfad zu folgen. Aber ich sah auf einmal die Bäume vor mir nicht mehr. Ich sah etwas anderes! Es war groß und es war grau. Ich hatte mich geirrt. Es war noch nicht vorbei. Der Kreis hatte sich noch nicht geschlossen. Ich fuhr herum, streckte eine hilfesuchende Hand aus – und sah Aegmars Schild mit dem eingedrückten Ende und dem Loch darin. Er kam näher, füllte plötzlich mein gesamtes Sichtfeld aus.
Ja, der Schild. Das Loch darin. Einer fehlte noch in dieser Geschichte. Der, der es dort hineingebracht und Aegmar und mich zusammengeführt hatte.
Der Troll.
Ich schrie auf.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil I
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:11von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Epilog
Meine Träume waren kalte Wellen und meine Gedanken waren flüssiges Eis. Ich konnte die Augen nicht öffnen, denn sie sahen kein Licht und ich fürchtete mich vor der Schwärze. Ich konnte die Arme nicht ausstrecken, denn meine Hände fanden keinen Halt. Atmen konnte ich nicht, denn ich schluckte nur dunkles Wasser und meine Lungen brannten in tödlichem Feuer. So trieb ich dahin – in einem unbekannten Strom, der mich gefangen hatte, als ich einen kantigen Fels hinaufgestiegen war....
Mit einem tiefen, erschrockenen Luftholen erwachte ich und fuhr auf. Ein Schmerz durchfuhr meinen Kopf und ließ kleine Lichtblitze vor meinen Augen entstehen. Ich kniff sie rasch wieder zu und ließ mich zurückfallen. Schwer atmend blieb ich liegen und wagte die Augen erst wieder zu öffnen, als ich spürte, daß es kein kaltes Flußwasser war, das mich umfing. Und das ich nicht in Dunkelheit lag, sondern daß irgendwo ein Kaminfeuer brannte und ein goldenes Licht auf mich warf. Eine Kerze brannte ebenfalls neben mir auf einem kleinen Tisch. Weiße Decken waren über meinen Leib gebreitet und dufteten nach Kräutern, in meinem Rücken betteten mich weiche Kissen. Kein Wasser war in meinen Lungen, nur frische Luft. Und über mir zogen sich bunte Ornamente über eine geschnitzte Holzdecke, so wie über die Wände um mich herum.
Ich blinzelte, als der Schmerz in meinem Kopf nachließ und wollte meine Stirn berühren. Doch eine andere Hand kam der meinen zuvor und legte sich sanft auf mein Haar. Ich konnte nicht erkennen, woher sie kam, noch wem sie gehörte, doch sie beruhigte mich und die Träume, die ich gehabt hatte, verschwanden aus meinem Bewußtsein. „Nariena...“, hörte ich eine Stimme neben mir sprechen. Ich blinzelte erneut, sie war mir vertraut, doch ich konnte kein Gesicht erinnern, das zu ihr gehörte. Ich konnte mich eigentlich an gar nichts erinnern. Wo war ich? Und wie war ich hierher gekommen?
Das Licht der Kerze zu meiner Rechten verdunkelte sich plötzlich. In meinem Augenwinkel erhob sich eine Gestalt, beugte sich erst über mich und setzte sich dann an meine Seite auf die Bettkante. Das Gesicht, das ich nun sah, fügte sich verschwommen mit der Stimme zusammen, die ich vernommen hatte. „Nariena.“, sagte sie wieder und ich nickte schwach. Ich konnte den Kopf nicht sehr gut drehen, sofort durchzuckte ihn wieder ein gleißender Blitz aus Schmerz. Die Hand löste sich von meiner Stirn, griff nach etwas auf dem Tisch. Ich hörte Wasser tröpfeln, dann legte sich etwas kühles, wohltuendes auf meinen Kopf und ich schloß die Augen.
„Ich weiß nicht, was Euch dazu bewegte, Euch einfach davonmachen zu wollen, aber ich kann Euch sagen, daß dies nicht nur unhöflich ist, nach allem was passierte...sondern auch leichtsinnig und gefährlich.“, sagte die Stimme wieder. „Was...was ist denn passiert?“, fragte ich flüsternd. Die Stimme lachte, aber es klang nicht belustigt. „Mein Schild mochte dem Schlag durch einen Troll nur bedingt standzuhalten, zum Glück ist Euer Kopf wohl etwas härter, denn Ihr seid noch am Leben!“, rief sie dann aus. Der Schild. Ja, an einen Schild erinnerte ich mich auch. Ich öffnete vorsichtig die Augen wieder und blinzelte noch einmal, um endlich die Verschwommenheit aus meinem Blick zu vertreiben. Ich seufzte, denn endlich erkannte ich die Gestalt, die bei mir weilte. Entfernt erinnerte sie mich an jenen Mann, dem ich vor wenigen Tagen begegnet war und der mich aus dem dunklen Fluß gezogen hatte, von dem ich nun nur noch geträumt hatte und der durch ihn nicht zu meinem Grab geworden war.
Aber er war jetzt gekämmt, sein braunes Haar war glatt und glänzte weich. Er war gewaschen, sein Bart gestutzt und kein Blut klebte auf seiner Haut. Auch war seine Kleidung nicht mehr zerrissen, viel mehr trug er feine Gewänder. Schlicht, aber kostbar, von elbischer Art. Nur ein Verband, der unter dem Kragen seines Rocks hervorblickte, erinnerte noch daran, was ihm widerfahren war. Trotz seiner Worte sah er freundlich auf mich herab mit jenen hellblauen Augen, die ihm zu eigen waren, und in die ich nun stumm zurückblickte. „Herr Aegmar.“, sagte ich dann. Leise. Er nickte und in seinem Blick lag plötzlich etwas Undeutbares. Er wandte ihn ab und richtete ihn zu Boden, auch nahm er die Hand von meiner Stirn und ließ nur die Tücher darauf zurück, die mir Linderung verschaffen sollten. Trotz des dumpfen Stechens in meinen Schläfen richtete ich mich nun etwas auf und schob eines der großen Kissen in meinem Rücken so zu recht, daß ich nicht gleich wieder hinabsank. „Nicht, Ihr solltet liegen bleiben. Euer Kopf ist verletzt und...“, sprach er und deutete auf meinen Bauch. Ich hob leicht die wollenen Decken an und sah unter dem langen Hemd, in das man mich gekleidet hatte Verbände, die um meine Mitte geschlungen waren. Vermutlich hatte mich der Troll nicht nur am Kopf getroffen, sondern auch einige Rippen waren gebrochen. Ich blinzelte zum letzten Mal, die Erinnerungen kehrten langsam zurück und ich atmete tief aus.
Aegmar sah mich nun wieder an, er erwartete eine Erklärung von mir. Er hatte Recht, es stimmte, ich war einfach gegangen. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und in Worte zu fassen. Aber es fiel mir nicht leicht, vor allem nicht, da ich nicht damit gerechnet hatte, Herrn Aegmar je etwas erklären zu müssen, was mich betraf. Aber ich wollte es versuchen. „Nun...“, begann ich zögerlich. „Ich glaube, ich wollte Euch nicht stören. Dort, auf der Lichtung.“ „Wie bitte?!“, entfuhr es Aegmar und ich zuckte leicht zusammen. Er sah mich vollkommen verständnislos an und konnte sich offenbar nicht im geringsten vorstellen, was ich damit damit nur meinte. Und nun, da ich meinen Worten nachhorchte, verstand ich sie selbst nicht. Ich versuchte es erneut: „Herr Aegmar, das ist Eure Welt. Kampf, Freundschaft, Gefährten, große Taten...es ist nicht die meine. Ich fürchte mich vor solchen Dingen. Ich habe vor langer Zeit allen Gemeinschaften den Rücken gekehrt und außer den Banden zu meiner Familie, gibt es nichts, das mich bindet. Noch mache ich mir etwas aus Ehre und Tugend, noch etwas daraus, in diesen Tagen eine größere Rolle zu spielen, als ich sie mir selbst zuschreibe. Fragt mich nicht, warum ich überhaupt Anteil an Euch genommen habe. Vermutlich nur, weil ich dank Euch nicht ertrunken bin. Doch danach hätte alles abgegolten sein müssen. Eine andere Erkärung kann ich Euch nicht geben. Ich bin, was ich bin – Ihr habt meine Art doch bereits erkannt. Ihr wißt, daß ich dem Gesindel angehöre, vor dem Ihr normalerweise die Nase rümpfen würdet.“
Aegmar schüttelte entschieden den Kopf und verschränkte die Arme. „Das glaube ich Euch nicht, darüber hinaus ist mir diese Erklärung zu einfach.“, sagte er und sein Blick wurde ernst. Ich war nun diejenige, der ein ungläubiges „Wie bitte?!“, entfuhr. Aegmar hob das Kinn an und winkte ab. „Aber wie dem auch sei, dann werde ich zu einem anderen Zeitpunkt erneut eine Erklärung einfordern und hoffen, daß sie dann besser sein wird. Ich bin sicher, daß Ihr jede Menge über Euch zu sagen habt, Miss Nariena, aber vielleicht ist der Zeitpunkt noch nicht gekommen, an dem ich Euch wirklich verstehen soll. Niemand zieht sich aus einer Gemeinschaft zurück und nimmt keinen Anteil mehr an anderen, bloß weil er es so will. Für den Moment erwarte ich also nur von Euch, daß Ihr das nächste Mal 'Auf Wiedersehen!' sagt.“ „Auf Wiedersehen.“, sagte ich prompt. Aegmar blickte mich nun streng an, daß ich mich etwas tiefer in die Kissen drückte. „Doch nicht jetzt!“, erwiderte er, dann schmunzelte er und schüttelte den Kopf.
Er hatte also vor, noch zu bleiben und ich biß mir auf die Unterlippe. Ich freute mich. Und ich wollte ihm noch einige Fragen stellen. „Herr Aegmar, wo sind wir hier?“, begann ich mit der ersten. „In der Feste Galadh.“, meinte er und schürzte leicht die Lippen, als stimmte ihn das nachdenklich. Ja, die Feste kannte ich. Ich hatte sie besucht, bevor ich gen Dol Guldur aufgebrochen war. Sie war der größte Stützpunkt der Elben im Düsterwald, hier lief alles zusammen, hier sammelte sich das Heer. Und sie lag einige Meilen westwärts von jenem Punkt, an dem wir auf den Troll getroffen waren und den letzten Kampf gefochten hatten. Ich sah ein zweites Mal auf die Verbände, die über meiner Seite lagen. „Habt Ihr mich den ganzen Weg bis hierhin getragen?“, fragte ich vorsichtig. Aegmar hob wieder den Kopf und sah mich an. „Nein.“, meinte er. „Herr Therowig hat Euch getragen.“, fuhr er dann fort. „Aber das kann er Euch bald selbst erzählen. Zuvor....habe ich noch ein Wörtchen mit Euch zu reden, Miss Nariena.“
Ich hob leicht die Augenbrauen an, als er aufstand, die Hände auf dem Rücken verschränkte und im Zimmer auf und ab zu gehen begann. Ein ungutes Gefühl beschlich mich und hätte mich der Kopfschmerz nicht belehrt, daß es besser war, auszuharren, so wäre ich zu gerne aufgestanden und hätte mir einen Weg gesucht, um zu entkommen. Ich ahnte bereits, um was es Aegmar gehen würde. Und als sich plötzlich die Zimmertüre öffnete und eine Elbin in einem langen hellgrünen Kleid das Zimmer betrat, wußte ich meine Ahnung bestätigt. Die Elbin grüßte Aegmar lächelnd, mir nickte sie knapp zu. Dann blieb Aegmar stehen und wieder setzte er jenen Blick auf, mit dem man streng ein Kind zurechtweist, das einen Fehler begangen hatte. Ich schluckte, ich begann mich unwohl zu fühlen.
„Gut, daß Ihr mich fragtet, wo wir sind. Und gut, daß ich Euch sagen konnte, daß wir uns in der Feste Galadh befinden.“, begann Aegmar erneut und sein Ton hatte sich gänzlich geändert. Er klang mißmutig und meine Kehle wurde trocken. „Es war nicht leicht, in Eurer Gesellschaft, Miss Nariena, die Tore zu dieser Zuflucht zu passieren und wohl nur unserem Zustand und dem großherzigen Mitgefühl der Elben ist es zu verdanken, daß wir es überhaupt durften. Denn wie ich feststellen mußte, seid Ihr hier nicht unbekannt – und zwar auf äußerst ungebührliche Art und Weise, die mich schlicht entsetzt.“ Aegmar machte eine Pause, meine Finger verkrampften sich in die Decke und ich zog sie ein Stück höher über meine Brust, als könne mich das vor seinem Blick und seinen Worten schützen. „Auch mag es dem Umstand zu verdanken sein, daß Herr Therowig und ich hier normalerweise als enge Verbündete des goldenen Heeres äußerst gern gesehen sind, und dadurch auch Euch Pflege und Aufenthalt nicht versagt wurden. Denn, und das kann ich nur mit äußerstem Unbill mitteilen, ist es wohl so, daß Ihr jenes Gegengift, daß Ihr mir zur Behandlung habt zuteil werden lassen, aus den Beständen dieser Festung gestohlen habt. Darüber hinaus noch einige Phiolen mit Wundheiltrank sowie einige Päckchen mit Lembas und einen Weinschlauch.“
Ich drehte den Kopf zur Seite, mir traten unwillkürlich Tränen in die Augen und ich wollte nicht, daß Aegmar es bemerkte. „Wiederum ist es der außerordentlichen Großzügigkeit der Elben zu verdanken, daß sie, nachdem sie von mir gehört hatten, was Ihr inzwischen geleistet habt, bereit waren über eine schlichte Entschädigung zu verhandeln und die Angelegenheit damit zu vergessen. Euch sogar weitere Anwesenheit in der Feste nicht zu untersagen und Euch jegliche Hilfe zukommen zu lassen, die Ihr aufgrund Eurer Verletzungen benötigt.“ Aegmar machte erneut eine Pause. Ich schloß die Augen, eine Träne löste sich und rollte über meine Wange. Seine Worte trafen mich und ich tat etwas, das ich so gut wie nie zuvor in meinem Leben getan hatte: ich schämte mich.
„Da Ihr aber, Miss Nariena, wohl kaum in der Lage seid, eine solche Entschädigung zu leisten, habe ich mich verpflichtet, sie auf mich zu nehmen und den Schaden zu ersetzen, sobald ich mich wieder zu Hause befinde. Vornehmlich, weil ich, wenn auch unwissend, aber zu Dank verpflichtet, schlußendlich der Nutznießer Eures Diebstahls gewesen bin. Wenn Ihr dies Angebot meinerseits, für Euch die Schuld zu tragen, annehmt, Nariena, wird auch Lanendiriel hier...“, er sah zu der anwesenden Elbin und deutete eine Verbeugung in ihre Richtung an, „...es akzeptieren und alles wird damit abgegolten und vergessen sein.“ Ich hielt die Augen immer noch geschlossen. Ich kannte Lanendiriel, sie war es, die über die Vorräte der Feste wachte, und die ich betrogen und ausgetrickst hatte, um an die Tränke und den Proviant zu kommen. Aegmar hatte in allem Recht und sein Angebot beschämte mich umso mehr. Doch mir blieb nichts übrig, als zu nicken und mir zu wünschen, weit fort von hier zu sein. „Dann soll es so sein. Meinen Dank an Euch, Dame Lanendiriel.“, schloß Aegmar. Die Elbin warf mir einen letzten Blick zu, dann nickte sie und verließ das Zimmer wieder. Zurück blieben Aegmar und ich – und ich wagte es nicht, ihn anzusehen.
Da war eine drückende Stille zwischen uns. Aegmar stand noch immer mitten im Raum, hielt die Hände verschränkt und sah auf die Zimmertüre, durch die die Elbin wieder verschwunden war. Ich hob langsam eine Hand und wischte mir rasch eine weitere Träne von der Wange, die meinen Augen entkommen war. Unzählige Ausreden fielen mir ein, unzählige Rechtfertigungen: ich hatte mir nichts dabei gedacht, als ich die Tränke genommen hatte. Zwar gab es nicht viele davon, aber ich brauchte ja auch nicht viele – der Rest würde schon für andere reichen. Und wie hätte ich ahnen können, daß ich jemals wieder hierhin zurückkehrte; mein Diebstahl wäre gar nicht aufgefallen, hätte ich mich nicht dazu hinreißen lassen, von meinem eigentlichen Vorhaben, den dunklen Turm zu erkunden, abzusehen und mich Herrn Aegmar anzuschließen. Meine Gedanken trösteten mich ein wenig, bis Aegmar wieder zu mir an das Bett trat und der Schatten seiner großen Gestalt auf mich fiel.
„Seid Ihr jemals auf den Gedanken gekommen, einfach zu fragen, ob Ihr etwas mitnehmen dürft?“, sagte er und es klang wieder versöhnlich und freundlich. Abrupt fuhr mein Kopf zu ihm herum und er wurde gleich wieder mit einem durchzuckenden Schmerz dafür bestraft. Ich nahm das kühlende Tuch von meiner Stirn und ließ es in die Wasserschale fallen, die hinter der Kerze auf dem Tisch stand. „Ich bin kein schlechter Mensch.“, erwiderte ich matt und es war meine einzige Antwort. Sie war vielleicht etwas unpassend, aber ich wollte Aegmar davon überzeugen, daß es so war. Nach allem, was er nun über mich erfahren hatte. Nötig war es nicht. Er setzte sich wieder zu mir.
„Das weiß ich.“, erwiderte er. „Aber...Ihr braucht jemanden, der Euch ab und an daran erinnert und der auf Euch aufpaßt. Da Ihr mir nun etwas schuldet, Miss Nariena, werde ich dieser jemand sein. Zumindest noch für eine ganze Weile.“
Ich versuchte, mich aufzusetzen. Aegmar hielt mich davon ab, seine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich sah ihn an. „Was auch immer Ihr den Elben zahlen werdet, Ihr bekommt es auf Silber- und Kupferling von mir zurück.“, entschied ich. Er winkte ab. „Gold spielt hierbei keine Rolle. Aber mich bezahlen werdet Ihr. Ich brauche noch einen Kundschafter, der mich und Herrn Therowig zurück nach Hause begleitet. Das werdet Ihr sein. Wir nehmen Euch mit.“ Das entschied er und ich konnte nicht widersprechen. „Ihr seid keinem anderen Fürsten verpflichtet, wie ich Euren Worten entnahm. Aber zwingen, Euch meinem Haus anzuschließen, werde ich Euch natürlich nicht. Daß mir das auch nicht gelingen würde, weiß ich ohnehin. Ich werde darauf vertrauen, daß Ihr mir eine Freundin seid. Weil ich mich auch darüber freuen würde.“ So schloß er und seine Hand wanderte von meiner Schulter an mein Gesicht, wo sie mir eine dunkle Haarsträhne aus der Schläfe strich. Dann zog er die Hand zurück und sah mich erwartungsvoll an.
Nein, widersprechen konnte ich nicht und ich wollte es auch nicht. Ich fing nur den Blick seiner Augen. „Ich bin Eure Freundin.“, sagte ich. Und so war es.
Die Türe zu meinem Zimmer öffnete sich schließlich erneut und Herr Therowig trat ein. Ein Lächeln zierte sein Gesicht und auch er war gebadet und hergerichtet. Er trug ein glänzendes Kettenhemd, das leise klirrte, als er zu Aegmar und mir herüberkam. „Na?“, rief er strahlend aus und ich bemerkte wieder die kleinen Lachfältchen um seine Augenwinkel. „Wie geht es unserer Trollschlägerin heute morgen?“ Ich lächelte. „Ich glaube, ganz gut.“, erwiderte ich zaghaft und Therowig nickte zufrieden. „Das ist hervorragend. Wie ich hörte, haben wir noch eine lange Heimreise vor uns, auf die Ihr uns begleiten werdet.“, meinte er dann und ich war überrascht, daß er bereits davon wußte. Als ich aber Aegmar ansah und er schmunzelte, war mir nur zu deutlich bewußt, daß die beiden Herren sich bereits über die Umstände abgesprochen hatten. „Natürlich sollt Ihr noch ein paar Tage genesen. Wie wir alle – oder wie zumindest auch Herr Aegmar hier. Mir selbst geht es schon überragend, ich könnte durchaus wieder den Kampf mit drei Trollen aufnehmen. Ja, das fehlt mir beinahe schon!“, triumphierte er und reckte eine Faust in die Höhe, daß Aegmar und ich erst uns und dann ihn schief anblickten. „Jaja. Sicher.“, meinte Aegmar und erhob sich mit einem schweren Seufzen. Er ging zur Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um. „Ich werde einmal zusehen, daß ich ein paar Trolle für Dich finde und sie dann hierher schicken. Nebenbei kümmere ich mich noch um unser Reisegepäck, falls Du das auch als wichtig erachten solltest. Ohne Schwert kämpft es sich so schlecht gegen Trolle.“ Er zwinkerte, dann war er verschwunden und die Tür schloß sich behutsam hinter ihm.
Therowig lachte auf. Dann ließ auch er sich neben mir auf die Bettkante sinken, das Bett knarzte ein wenig dabei. Er schlug sich fröhlich auf die Schenkel. „Ich habe Euch etwas mitgebracht. Ich dachte, ich vertreibe Euch ein bißchen die Zeit, bis wir wieder aufbrechen können.“, kündigte er an und zog dann aus seinem Wams ein kleines Buch hervor, daß er sogleich auf der ersten Seite aufschlug. Er sah mich über den Rand hinweg an, so daß ich deutlich den Titel lesen konnte. „Ich lese Euch etwas vor, jeden Tag ein Kapitel. Das wird Euch gewiß interessieren, kleine Trollbezwingerin.“ Und dann begann er zu lesen. Ich verzog den Mund und ließ mich ergeben in die Kissen fallen.
Der Titel des Buches war:
„Recht, Gesetz und Ordnung im Breeland“
~ENDE~
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Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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