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Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:32
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

http://www.youtube.com/watch?v=NYuVePd-fFs&feature=related
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Von Finsternis und Freundschaft, Teil III

- Das Erbe der Väter -



“Nariena, bist Du das?!?“

Therowigs Augen weiteten sich erstaunt und ein Flackern lief über sein Gesicht, ein Tanz aus Licht und Schatten, den die Fackeln an den Wänden des schmalen Flures auf seinem Antlitz vollführten.
Ich wagte nicht, zu nicken. Ich wagte nicht, mich überhaupt zu rühren. Nicht, solange er seinen Langdolch fest an meine Kehle preßte....






Am frühen Vormittag war ich aufgebrochen. Nebel hing noch über den Feldern und Hügeln des Breelandes und eine aufgehende Sonne hatte das Land in einen matten goldenen Schimmer getaucht, der einen warmen und freundlichen Sommertag verhieß. Ein einsames Huhn lief über den Hof und Magda, die alte Köchin, war es, die es mit angestrengtem Blick und zusammengekniffenen Lippen verfolgte. „Bleib stehen, dumme Henne....wirst Du wohl stehenbleiben!“, hatte sie ab und an vor sich hergemurmelt und war dem flinken Tier dann weiter kreuz und quer über das Gelände gefolgt. Mich hatte sie nur mit einem knappen Blick bedacht, denn sie war äußerst verstimmt darüber, daß ich im Begriff war, aufzubrechen und das Anwesen zu verlassen. Für sie stand ich nun unter ihrem Befehl, und das einzig und ausschließlich. Seit ich ihre neue Gehilfin geworden war, war Herrn Aegmars Verfügungsgewalt über mich erloschen. Und daß ich nun auf sein Geheiß hin gehen mußte, und das auch noch an jenem Tage, da zu einem Festessen und zu einer kleinen Feier geladen war, um die Fertigstellung des neuen Hauses und unserer Zuflucht zu ehren, das fand nicht gerade Magdas Verständnis.
Das Huhn tat mir ein wenig leid, würde es doch heute im Kochtopf landen. Um seinem Schicksal zu entgehen, flüchtete es sich nun in den Garten und kroch unter die Hecke, die das Grundstück begrenzte. Vielleicht würde doch etwas anderes als Hauptgang aufgetischt? Ich mußte schmunzeln. Magda fluchte nun laut. Aber ich hatte keine Zeit, um ihr zu helfen. Ich wandte mich dem Pferd zu, das ich aus dem Stall geführt hatte und zurrte den Sattelgurt fest. Behutsam klopfte ich dem Tier auf den starken Hals. Es war nicht mein Pferd, es war Herrn Aegmars Pferd: ein Schlachtroß, schnell und ausdauernd und für lange Ritte und anstrengende Reisen bestimmt. Ich setzte einen Stiefel in den Steigbügel und hielt mich am Sattelknauf fest, um mich auf den Rücken meines Reittieres zu schwingen, als sich leise die Türe des Hauses öffnete. Ich hielt inne und wandte den Kopf, Aegmar trat aus der Pforte und kam langsam zu mir herüber. Er sah sich um. „Ist sie weg?“, raunte er mir zu und deutete mit dem Kopf in eine unbestimmte Richtung, aber es mochte jene gewesen sein, in die Magda entschwunden war, um dem Hühnchen nachzujagen. Ich nickte und lächelte. Er nickte auch. „Gut. Kaum war ich wach, fing sie an mit mir zu schimpfen, warum ich Dich gerade heute nach Bruchtal schicken muß, Nariena.“, sagte er und griff in sein Hemd. Er zog einen versiegelten Umschlag heraus und reichte ihn mir. „Hier, es ist alles von mir wie vereinbart aufgesetzt und unterschrieben. Behalte das gut im Auge, solche Papiere sollten nicht in die falschen Hände geraten.“, riet er mir leise und ich sah ihn einigermaßen schief an, so daß er sofort lächelte und den Blick entschuldigend senkte.
Ich wußte nur zu gut, was er mir überreicht hatte. Es war ein Schuldschein. Nahezu Aegmars gesamtes Vermögen hatte der Neubau des Hauses aufgebraucht mitsamt allem, was er neu hatte anschaffen müssen. Es war nahezu alles verbrannt, was er besessen hatte. Und auch wenn Magda und ebenso die meisten anderen Angestellten ihm angeboten hatten, den Dienst vorerst ohne Entgelt zu tun, so hatte er dieses Angebot nicht annehmen wollen. Er hatte einen Freund angeschrieben und um Hilfe gebeten. Es war ein sehr alter Freund von ihm und ich kannte ihn nicht, ich wußte nur, daß sein Name Galuior war und er bald für zwei Tage in Bruchtal verweilen würde, wohin ihn eigene Geschäfte und Aufträge führten. Natürlich hatte er Aegmar Hilfe zugesagt und lieh ihm eine nicht unerhebliche Summe von Goldstücken, was Aegmar rechtens und anständig zu beurkunden gedachte. Er sagte, Gold hat schon so manche Freundschaft gefährdet und er wolle es auf keinen Fall je soweit kommen lassen, daß diese hier daran zerbrach. Galuior selbst konnte nicht nach Bree reisen, seine Zeit ließ es nicht zu und so würde ich ihn in Bruchtal aufsuchen und mich mit ihm treffen.
Es war Aegmar schwergefallen sich zu verschulden und ich konnte nur ahnen, wie sehr sein Stolz ihm davon abgeraten haben mußte. Aber letztendlich hatte er diese Entscheidung fällen müssen.

So nahm ich den Umschlag mit festem Griff entgegen und verstaute ihn sorgsam unter meinem Wams, ganz nah an meinem Herzen. Ich betrachtete Aegmars Gesicht, vor allem die auffällige Narbe darin, die sein linkes Auge zierte und ihm einen etwas düsteren Blick verlieh, hätte man nicht sofort sein gütiges Wesen dahinter erkannt.
„Sorge Dich nicht.“, sprach ich sanft und legte wieder eine Hand um den Sattelknauf. „Ich bin in spätestens zehn Tagen wieder zurück. Und Magda sag ruhig, daß ich ohnehin keine Feste mag. Großer Tanz und Zauber sind nicht nach meinem Geschmack. Sie erinnern mich zu sehr an Dinge, die einmal waren und nun nicht mehr sind. Mhm...nein, Letzteres sag ihr nicht. Sie würde mich sonst nur weiter danach fragen.“ Ich zwinkerte und als Aegmar mich erstaunt ansah, fügte ich noch hinzu: „Auch Du frag mich danach nicht. Also sag ihr einfach, daß ich keine Feiern leiden kann. Bedingt ist das sogar die Wahrheit, das Üble an solchen Feierlichkeiten, wo sich edles Volk tummelt, ist nämlich, daß es mich zwingt, mich in unliebsame Kleider und Mieder zu schnüren. Außerdem...bin ich auch nicht der einzige Gast, der fehlt. Therowig scheint mir auch nicht anwesend zu sein, jedenfalls habe ich ihn seit gestern nicht mehr gesehen.“
Ich stieg in den Sattel, Aegmar griff nach meinem Unterschenkel und half mir auf den Rücken des großen Pferdes. Er wurde nun nachdenklich. „Ja, Du hast Recht. Ich habe ihn auch nicht gesehen. Das ist seltsam. Aber wohlan...wenn jemand auf sich selbst aufpassen kann, dann ist er es.“
Ich nahm die Zügel in die Hand und ließ Aegmar noch einige Momente Zeit, in denen er seinem Pferd über die Nüstern strich. „Um Deinen Gaul mußt Du Dich auch nicht sorgen. Meine Mutter brachte ihren Kindern das Reiten bei, noch bevor sie laufen konnten.“, sagte ich. Aegmar knurrte leise. „Das ist kein bloßer Gaul! Das hat meine Mutter ihren Kindern beigebracht, bevor sie laufen konnten!“ Ich lachte, aber ich verstummte sogleich, als ich den Schatten sah, der sich bei diesen Worten auf Aegmars Gesicht legte. Ich sah ihm an, woran er denken mußte: an das Grab, in dem sein Bruder ruhte – auf den Hügeln, gleich hinter uns. Und frei war er auch nicht von dem Gedanken, daß er nun das letzte verbliebene Kind seines Hauses war. Aber der Schatten verschwand, als Aegmar den Kopf schüttelte. „Ach, ich bin töricht.“, meinte er. „Ich sollte Dir lieber Glück wünschen und Dir sagen, daß ich möchte, daß vor allem Du wohlbehalten wieder hierher zurückkehrst. Es ist ein langer Weg bis nach Bruchtal.“ „Dann nehme ich Deine guten Wünsche nun mit mir. Leb wohl.“, erwiderte ich und gab dem Pferd behutsam Antrieb. Es trottete zum Tor. Knapp drehte ich mich noch einmal um und sah über meine Schulter zurück. Aegmar hob zum Abschied die Hand und strich sich über den dunklen Bart.
Manchmal glaubte ich, daß er mir nie gänzlich vertrauen würde. Und dann wieder meinte ich, daß er nie etwas anderes tun könnte, als mir all sein Vertrauen mitzugeben. Es war immer etwas in seinen Augen, daß ich nicht deuten konnte. Und so war es auch jetzt. Es beunruhigte mich nicht, aber es beschäftigte mich noch eine ganze Weile, als ich die Siedlung schließlich verließ, auf die Oststraße einbog und meinen Ritt begann.

Es wurde Abend, als ich die „verlassene Herberge“ erreichte. Ein Gasthaus von eher schlechterem Stand als die meisten anderen im Breeland, aber das Einzige, das es noch gab, bevor die Oststraße hinter den Wetterbergen durch einen Landstrich führte, den man gemeinhin als die „einsamen Lande“ bezeichnete. Ein weite Ödnis voller Gestrüpp und Geröll, nur spärlich bewachsen und noch spärlicher bevölkert. Eine Gegend, durch die man nicht bei Nacht zog, und so suchte ich mir Quartier in der Herberge. Eine andere Wahl hatte ich ja auch kaum. Hier begann die Wildnis und ich wollte keinem Warg oder Ork bei Nacht begegnen, wenn ich es nicht unbedingt mußte.
Der zu kleine Stall des Gasthauses war bereits voll gefüllt mit allerlei Tieren: viele Pferde, aber auch einige Ochsen. Karren und Gespanne dazu standen auf dem Hof vor der Herberge. Viel Volk war dieser Tage auf der Oststraße unterwegs: sie alle reisten bis zur großen Furt des Bruinen, der die Trollhöhen teilte, bevor man Bruchtal erreichte, und zogen dort weiter nach Eregion, um Moria zu durchstreifen oder weiter nach Lorien und zum Düsterwald. Abenteurer, Soldaten, Händler und vor allem viele Söldner, die der Krieg anzog.
Ich mußte an jenen Tag denken, an dem ich Aegmar begegnet war und schmunzelte beinahe bei dem Gedanken, daß sich nun kaum noch einsame Wanderer in den Wäldern jenseits des Anduin verlaufen würden. Ein großes Heer war dort angelangt und immer mehr Nachschub folgte aus dem Westen.
Ich hatte ein wenig Mühe, auch mein Pferd noch im Stall unterzubringen, doch ich war mit Aegmars letztem Geld und auch mit dem Siegel seines Hauses ausgestattet – ein guter Name und einhergehende Großzügigkeit öffneten noch so manches Tor, das schon verschlossen war. Und so durfte ich mein Pferd in einem Verschlag unterbringen, der hinter dem Gasthaus stand und eigentlich der Lagerung von Fässern diente.
Nur ein einzelnes Zimmer für mich konnte ich nicht mehr bekommen und mußte mich mit einem Schlafplatz in einem der Gemeinschaftsschlafsäle begnügen. Ich verstaute meinen Reisesack unter der mir zugewiesenen Matratze und ruhte mich für einige Momente aus. Der Rücken tat mir von dem stundenlangen Ritt weh und ich lehnte mich an die Wand und streckte die Beine aus.
Einige meiner Mitreisenden lagen bereits auf ihren Matratzen oder bloßen Strohsäcken und schliefen. Ich mutmaßte, woher sie wohl kamen. Die meisten waren Menschen, nur zwei Halblinge und ein Zwerg waren unter ihnen. Schwerter lehnten an der Wand und einige Helme lagen umher. Reisegepäck türmte sich und Kleidung. Wanderumhänge, wetterfeste Mäntel und Roben. Es roch ein wenig nach Heu, nach feuchtem Gras und Schlamm. Ich hatte wahrlich schon schlimmere Gerüche in solchen Sälen wahrgenommen, aber fast alle hier standen vermutlich noch am Anfang ihrer Reise und waren noch halbwegs sauber und gewaschen. Direkt neben mir lag ein ältlicher Mann mit einem dichten schwarzen Bart und schnarchte ungeniert. Auf seinem beachtlichen Bauch ruhte ein kurzer Wanderstock, den er fest umklammert hielt, als fürchte er aus dem Schlaf gerissen und sofort zur Verteidigung gezwungen zu werden. Ich verzog leicht das Gesicht, schob mir dann die Kapuze meines Umhangs tief in die Stirn und verbarg sorgsam mein Haar darunter. Ich wollte nicht gleich als Frau erkannt werden und schon gar nicht als ich selbst.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 23.02.2012 22:08 | nach oben springen

#2

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:33
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Nach einiger Zeit erhob ich mich wieder von meinem Lager und suchte den Weg in den Schankraum des Gasthauses. Wenn ich neben dem schnarchenden Wanderer mit dem Stock einschlafen wollte, mußte ich entweder sehr müde oder sehr betrunken werden. Ich war beides noch nicht und mein Magen meldete mir auch mit einem ausgedehnten Knurren, daß ich etwas essen sollte.
Die Tische in der Gaststube waren weitgehend unbesetzt, obgleich der Raum gut besucht war. Die Meisten jedoch sammelten sich an der Theke und waren in laute und sehr ausgedehnte Gespräche vertieft. Vielleicht auch eher in Prahlerei über die Taten, die sie im Krieg zu begehen dachten und deren immerwährenden Ruhmes sie sich jetzt schon sicher waren. Dummköpfe, dachte ich. So manch einer, der mit seiner Tapferkeit und seinem Heldenmut angibt, läuft sogleich davon, sobald er seines ersten Orks ansichtig wird. Und viele von denen, die jetzt noch so voller Tatendrang und guten Willens waren, würden die erste Schlacht nicht einmal überleben. Ich schüttelte den Kopf, hielt eine der Schankfrauen an, als sie an mir vorüberkam, und bestellte mir ein Stück Brot, Käse und einen Teller Suppe. Dazu Bier, etwas anderes gab es hier auch nicht zu trinken. Dann suchte ich mir einen Tisch, der klein genug war, daß niemand außer mir mehr daran Platz fand.
Bisher hatte man mich zwar nicht beachtet, aber der Abend war auch noch nicht sehr weit fortgeschritten und ich wußte nicht, wie voll es in der „Verlassen Herberge“ noch werden würde. Sie war am heutigen Abend alles andere als verlassen.
Es dauerte nicht lange, als ich mein Essen bekam. Ich bezahlte sogleich und bestellte mir noch ein Bier, denn das erste trank ich sofort leer. Ich merkte erst jetzt, wie durstig ich war, meine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Dann begann ich zu essen – und kaum schob ich mir den ersten Brocken Brot in den Mund (es war nicht besonders frisch), passierte etwas sehr Merkwürdiges.

Die Tür zur Gaststube flog auf und schlug um, so daß sie an die nebenliegende Wand krachte. Ein paar der Gäste sahen erstaunt auf, andere murrten über den unerwarteten Krach, aber niemanden schien dieses Eintreten einer Gruppe von Männern, die nun folgte, für länger als einige Wimpernschläge zu beschäftigen. Niemanden außer mir.
Es waren Südländer, ihre Haut war dunkler als die der meisten Anwesenden und sie wirkten grob und ungepflegt. Mehr mit den Ellbogen als mit höflichen Worten bahnten sie sich ihren Weg durch den Raum. Es waren Drei und bei ihnen war ein Vierter, der zwar ebenso düster und ungepflegt wirkte, aber etwas an sich hatte, das ihn deutlich vom Rest der Gruppe unterschied.
Ich schluckte das Brot hinunter und kniff leicht die Augen zusammen. Die Kerze, die auf meinem Tisch brannte, schob ich fort und zog mich leicht in die Ecke zurück. Ich behielt den Mann im Auge, beobachtete ihn. Noch konnte ich nicht feststellen, was es war, aber ich wußte, ich spürte förmlich, daß ich ihn kannte. Er trug einen langen grauen Umhang mit einer weiten Kapuze und ich konnte nichts an ihm erkennen, das ihn ausgewiesen hätte. Vielleicht war es seine Art, sich zu bewegen. Sie war nicht grobschlächtig, sie war viel mehr gespannt und selbstsicher, vor allem aber war sie aufrecht. Vielleicht war es auch sein Gang. Er setzte den rechten Fuß in einer bestimmten Weise auf, zog ihn leicht nach, ohne aber zu hinken. Ich schürzte die Lippen.
Er folgte den Südländern bis in eine der hinteren Ecken, wo sie sich nach ihm umdrehten und ihn erwartungsvoll anblickten. Er blieb vor ihnen stehen und sie begannen sogleich auf ihn einzureden. Es war laut in der Schankstube und obgleich ich mich nun sehr konzentrierte und das Gespräch der Südländer mit ihrem seltsamen Gefährten schon bald in ein Streitgespräch umzuschlagen begann, konnte ich nicht verstehen, worüber sie sprachen. Ich verfolgte nur ihre wilden Gesten, ihr stetes Kopfschütteln und ab und an ihr Ausspucken auf den Holzboden. Irgendwann stieß einer der Südländer den Mann in dem grauen Umhang mit der Faust gegen die Schulter und ich machte einen kleinen Satz auf meinem Stuhl, als daraufhin plötzlich unter dem Umhang ein Arm hervorschoß und die Hand des Südländers packte, sie verdrehte und dann wieder losließ, als der Kerl aufjaulte und das Gesicht verzog. In diesem Moment verschob sich die Kapuze des Verhüllten und ich sah für ein oder zwei Sekunden ein wenig von seinem Gesicht. Ich mußte ein Husten unterdrücken, als ich einen rotbraunen Bart in diesem Gesicht erkannte und aufblitzende grüne Augen.

Therowig?

Ich war beinahe starr vor Erstaunen, als ich in der verhüllten Gestalt den Freund wähnte. Und nun wußte ich, daß es tatsächlich sein Gang war, den ich wiedererkannt hatte. Therowig zog den Fuß leicht nach (kaum merklich eigentlich für jemanden, der ihn nicht gut kannte), seit er während seiner Gefangenschaft im Düsterwald von Orks am Knie verwundet worden war. Die Wunde hatte ihn nicht schwer getroffen, obgleich sie seine Flucht aus ihren Klauen hatte verhindern sollen, aber sie hatte seine Sehnen verletzt und seitdem setzte er den rechten Fuß anders auf.

Ja, Therowig.

Was, bei Elendil, er mit einer Gruppe von Südländern zu schaffen hatte, wollte mir wahrlich nicht einfallen. Aber er war hier, er war bei ihnen und hatte mit ihnen das Gasthaus betreten. Und es schien mir nicht so, als hätte er sie eben erst vor der Türe angetroffen, sondern sei viel mehr mit ihnen hergereist. Seine Kleidung war ungewöhnlich und sein Auftreten umso mehr. Der Streit, den er mit ihnen führte, ging weiter und nahm an Hitzigkeit zu, auch wenn keiner der Männer es nun mehr wagte, Therowig anzurühren.
Ich verspürte keinen Hunger mehr. Noch weiter zog ich mich in meine Ecke zurück – und dann kehrte plötzlich Ruhe in die streitende Gruppe ein. Therowig richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch die Südländer strafften sich, zwei von ihnen zuckten die Achseln. Der Dritte erhob drohend seinen Zeigefinger, zischte Therowig noch etwas zu, wobei er seine gelben Zähne bleckte, und ging. Er gab sich keine Mühe, Therowig auszuweichen, als er sich an ihm vorbeischob und stieß ihn gegen die Schulter. Die Türe des Gasthauses öffnete sich erneut, ich sah zwei der Südländer hinaus ins Freie treten, der letzte von ihnen verschwand irgendwo in der Menge.
Therowig atmete ein paarmal tief durch und drehte sich langsam um. Er strich sich über Schulter und Oberarm und ich sah erneut seine Augen im Dunkel der Kapuze aufblitzen. Er war zornig. Für einige Momente noch blieb er stehen, unschlüssig, vielleicht nachdenklich. Dann ging auch er, umrundete die Gäste, die dicht gedrängt an der Theke standen und nahm im vorderen Teil der Stube den Weg die Treppe hinauf ins erste Stockwerk, wo die Einzelzimmer untergebracht waren.

Sofort schob ich meinen Stuhl zurück und verließ meinen Platz. Mein Abendessen ließ ich unbeachtet zurück und folgte dem Freund.
Ungeduldig drängte ich mich zwischen den Gästen hindurch, ich wollte Therowig nicht aus den Augen verlieren, aber als auch ich die Treppe erreichte, hatte ich das längst getan. Dunkel gähnte mir die Stiege entgegen, nur erhellt von dem flackernden Licht eines Kerzenhalters, der am oberen Treppenabsatz schief an der Wand hing. Ich drehte mich noch einmal über meine Schulter um, dann hielt ich mich an der linken Wand und begann den Aufstieg.
Die Treppe mündete in einen kleinen Flur, der sich in zwei Richtungen verzweigte – und der vollkommen leer war. Ich seufzte lautlos. Therowig war gewiß in einem der Zimmer verschwunden, doch in welchem, das konnte ich nicht ausmachen. Es gab etwa ein Dutzend Türen und sie alle waren verschlossen. Behutsam hielt ich das Ohr an die erste Türe, die gleich neben mir in die Wand eingelassen war. Dahinter herrschte Stille. Auch hinter der nächsten Türe war es ruhig. Ich rieb nervös die Finger aneinander. Ich konnte kaum erwarten, daß Therowig in seiner Kammer Lärm machte oder gar Selbstgespräche führte, anhand dessen ich ihn erkennen konnte. Aber für den Moment blieb mir nichts anderes übrig, als zu lauschen. Vor der nächsten Türe ließ ich mich auf die Knie hinab. Ein Lichtschein drang unter der Türe hindurch, denn sie hing ein wenig schräg in den Angeln. Ich drückte die Wange auf den Holzboden und versuchte durch den Türschlitz zu spähen. Erkennen konnte ich nichts. Ich versuchte es mit dem Schlüsselloch. Mein Blickfeld reichte nicht aus, um mehr als ein geöffnetes Fenster zu erkennen, vor dem ein Mantel hing. Aber es war nicht Therowigs Mantel und so schlich ich langsam weiter.
Ich hatte mich für den östlichen Gang entschieden und er machte nun einen Knick nach links. Auf meiner Seite blieb noch eine Türe übrig und ich wollte mich wieder ein wenig bücken, um durch das Schlüsselloch zu sehen, als ich plötzlich im Genick gepackt und herumgerissen wurde. Mir blieb keine Zeit, einen überraschten Laut von mir zu geben, denn eine große Hand preßte sich fest auf meinen Mund. Beinahe starr vor Schreck ließ ich es geschehen, daß ich um die Biegung des Ganges gezerrt und mit einem dumpfen Stoß gegen die Wand gedrückt wurde. Ich verspürte einen Schmerz im Rücken und die Luft fuhr mir aus den Lungen; ich keuchte gegen die Hand, die über meinen Lippen lag. Ich kniff kurz die Augen zusammen, um mich zu fassen, und spannte den Körper an – doch jegliche Verteidigung, die ich in diesem Moment ersann, jede Gegenwehr, fiel in sich zusammen, als ich ein metallisches Schleifen vernahm und sich dann eine kühle scharfe Klinge an meinen Hals setzte.
Ich hielt die Luft an, ich wagte nicht einmal mehr zu schlucken. „Das hast Du Dir wohl so gedacht, Schuft. Abmachung ist nicht Abmachung bei Euresgleichen, was? Ich habs doch gewußt.“, fuhr mich dunkel eine tiefe Stimme an. Und obgleich sie düster und heiser klang, schrecklich wütend und von kaltem Zorn verzerrt, wußte ich, daß sie Therowig gehörte. Er starrte mich an, sein Arm nagelte meine Schulter an die Wand und die andere Hand hielt einen Langdolch an meine Kehle. Für endlose Augenblicke verharrten wir so, bis er sich langsam löste. Die Klinge löste sich nicht von mir, wohl aber sein Griff, der mich festhielt. Er neigte leicht den Kopf, sein Blick glitt an mir hinab. Er stutzte leicht, als er erkannte, daß meine Statur nicht zu der paßte, die wohl seinem erwarteten Angreifer gebührt hätte. Sein Arm löste sich von meiner Schulter, dann seine Hand von meinem Mund. Er griff nach meiner Kapuze und riß sie zurück. Er packte mich am Kinn und drehte meinen Kopf zur Seite in den matten Lichtschimmer.


“Nariena, bist Du das?!?“

Therowigs Augen weiteten sich erstaunt und ein Flackern lief über sein Gesicht, ein Tanz aus Licht und Schatten, den die Fackeln an den Wänden des schmalen Flures auf seinem Antlitz vollführten.
Ich wagte nicht, zu nicken. Ich wagte nicht, mich überhaupt zu rühren. Nicht, solange er seinen Langdolch immer noch fest an meine Kehle preßte.


Er atmete überrascht aus und sein Arm senkte sich an seine Seite. „Was...was zum...was machst Du hier, bei Eorl? Ich....ich dachte....“, stotterte er und dann starrte er mich noch einmal direkt an, kam meinem Gesicht mit dem seinen ganz nahe. „Du bist es doch, oder?“ Ich bewegte mich immer noch nicht. Aber ich versuchte langsam meine Hand zu heben, darauf bedacht, daß sich meine Schulter dabei nicht hob, um die Klinge an meinem Hals nicht zu einem unglücklichen Schnitt zu bringen.
Schließlich schob ich meine Hand zwischen uns und es gelang mir, auf den Dolch zu deuten. Ein wenig versuchte ich sogar zu lächeln, war aber immer noch auf das Äußerste gespannt. „Oh.“, sagte Therowig endlich und sein Blick heftete sich auf die Klinge. Er schien noch einen Moment zu überlegen, ob es wirklich sicher sei, sie herabzunehmen, aber dann tat er es. „Natürlich. Entschuldige.“, meinte er betreten und verbarg sie wieder unter seinem grauen Umhang. Ich sog Luft in meine Lungen und lehnte mich atemlos an die Wand. Therowig blieb vor mir stehen und stützte diesmal den Arm an der Wand neben meinem Kopf ab. Er nahm wieder mein Kinn in die Hand, diesmal weitaus behutsamer, und drehte mein Gesicht zu sich. „Was...machst Du hier....?“, fragte er leise und klang immer noch erstaunt, aber keineswegs mehr verärgert oder gar wütend. Ich richtete den Blick auf in seine Augen und versuchte, etwas darin zu erkennen, aber sie waren stumm und verschlossen. Therowig hatte immer solch einen lebendigen Blick gehabt, er strahlte heiter und er war fröhlich. Doch nun war er hart und kühl, so wie damals, als ich ihm zum ersten Mal begegnet war und er mich zunächst für einen Ork gehalten hatte. Ein bißchen wie Ironie kam es mir vor, daß er mich auch diesmal bei einem unverhofften Treffen wieder für eine niedere Kreatur hielt, die ihm Übles wollte.
„Aegmar hat mich nach Bruchtal geschickt, ich bin sicher, Du weißt davon. Du bist sein bester Freund, er wird Dir von seinem Vorhaben erzählt haben. Ich übernachte hier also nur auf dem Weg dorthin.“, erwiderte ich. Mehr wollte ich hier nicht sagen und erklären, an solchen Orten sprach man nicht über Geld, und schon gar nicht über Schulden. „Ich frage mich aber vielmehr, was DU hier machst!“, fuhr ich dann fort. „Ach ja, richtig. Aegmar.“, brummte Therowig. Ich hob leicht die Augenbrauen und wartete, daß er noch etwas anfügte. Aber er tat es nicht. Er hob stattdessen den Kopf. „Hast Du hier ein Zimmer?“, fragte er. Ich verneinte mit einem Kopfschütteln. „Ich habe einen Schlafplatz unten im Saal.“, antwortete ich nur. „Dann komm.“, sagte Therowig, richtete sich auf und nahm meine Hand. Er zog mich den Gang hinunter, noch bevor ich zustimmen oder ablehnen konnte. Sein Schritt war schwer und schnell und ich hatte ein wenig Mühe, ihm zu folgen.
Vor einer Türe am Ende des Flures blieb er stehen, suchte nach einem Schlüssel in seiner Hosentasche und schloß dann auf. Er sah sich um, schob mich in das Zimmer und folgte dann. Die Tür schloß er sorgsam wieder hinter uns ab. „Nun erkläre mir auch, warum DU hier ein Zimmer hast, Therowig. Du wartest auf jemanden, und das nicht auf eine neue Liebschaft und schon gar nicht auf mich. Ich habe Dich bereits unten in der Stube erkannt und muß sagen, daß ich Deine...Gesellschaft....mehr als zweifelhaft finde. Hast Du Schwierigkeiten?“, begann ich sofort und ohne Umschweife.
Therowig bedeutete mir nur, daß ich mich auf einen Stuhl setzen sollte. Den einzigen, den es in dem kleinen Zimmer gab. Es standen nur noch ein Bett und ein Schrank und eine Kommode darin, auf der eine Waschschüssel und ein Krug mit Wasser warteten. Er ging ein wenig im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor der Kommode stehen und löste den grauen Umhang. Unachtsam warf er ihn einfach zu Boden und fuhr sich mit den Händen durch das halblange Haar und über den Bart. Er sah mich abwesend an. „Ungefähr so könnte man es wohl ausdrücken.“, gab er dann zu und wandte sich wieder ab. Ich wurde ungeduldig und erhob mich wieder von dem Stuhl. Auch ich löste nun meinen Umhang und warf ihn auf das Bett. „Therowig!“, rief ich aus und sah ihn forschend an. Er hob beschwichtigend die Hände. „Hör zu, Nariena, vielleicht wäre es das Beste, wenn Du Deine Sachen holst und gleich weiterreist. Ich weiß, Du bist müde, aber Du solltest nicht hier bei mir sein.“, sagte er nur. Ich schüttelte den Kopf. „Wenn Du Ärger hast, Therowig, dann will ich wissen, was hier geschieht. Ich darf wohl behaupten, daß wir Freunde sind – und daher kannst Du nicht von mir erwarten, daß ich Dich mit jenem Ärger alleine hier zurücklasse.“ „Du wirst selbst in größerem Ärger stecken als ich, wenn du nicht, wie von Aegmar aufgetragen, weiter nach Bruchtal reist.“, gab er zurück. „Das bezweifle ich. Also sag mir endlich, was hier los ist!“, hielt ich ihm stand.
Therowig hob erneut die Hände und nickte endlich. „Na schön. Setz Dich wieder.“, meinte er. Ich ließ mich diesmal auf das Bett fallen, es war nicht sehr bequem, aber bequemer als der alte Holzstuhl.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#3

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:34
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Therowig runzelte leicht die Stirn und hob das Kinn. Er warf einen Blick an die Decke, aber er betrachtete kaum die dunklen Holzbalken, sondern begann seine Gedanken zu ordnen. Ich schlug die Beine übereinander und sah ihn erwartungsvoll an. Er griff an seinen Hemdskragen und öffnete den obersten Knopf. Er stand nun zwischen mir und der Kommode und wandte mir seine Seite zu. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen Fehler begangen habe oder nicht – aber Du hast Recht, mir sind einige Schwierigkeiten entstanden. Und ich versuche sie nicht mit der Klinge zu lösen, sondern mit meinem Verstand – so, wie es besser ist.“, begann er. Er öffnete auch den zweiten Knopf und ich hob eine Augenbraue. Therowig senkte jetzt den Blick auf den Boden und seine Finger fanden den dritten Knopf. „Ich bin gestern morgen nach Bree geritten. Eigentlich...hatte ich nicht vor, dort lange zu bleiben. Ich wollte nur jemanden treffen und eine Information einholen über...ach, nein, das ist jetzt nicht wichtig.“ Er öffnete das Hemd nun ganz und zog es sich langsam von den Schultern. Ich wandte meinen Blick ab. Nicht, weil ich befangen war, ich war keine hohe Dame, die sich nun gekränkt gefühlt hätte – nein, ich sah nur nicht gerne auf die Narben, die jeder Krieger mit sich trug. Und Therowig hatte gewiß nicht wenig davon. In friedvollen Stunden wollte ich mich nicht an den Krieg erinnern.
Er drehte sich zu der Kommode und wandte mir den breiten Rücken zu, dann goß er Wasser in die Schale und tauchte die Hände hinein. „Da war eine alte Dame, wahrscheinlich war sie zum Einkaufen in die Stadt gekommen. Und da waren diese Raufbolde, die, mit denen Du mich auch vorhin gesehen hast, die nahmen ihren Korb weg und warfen alles, was darin war, auf die Straße. Sie schimpfte und klagte, aber sie wurde von ihnen fortgestoßen. Als sie hinfiel und kaum mehr auf die Beine kam, habe ich eingegriffen. Ich wußte, daß es Südländer waren, die neuerdings durch die Gegend um Bree und Bockland streifen, seit die Miliz sich größtenteils nach Osten begeben hat, aber...nenn mich töricht....sie tat mir leid und ich wollte das eben nicht zulassen.“ Er beugte sich über die Schüssel und wusch sich das Gesicht. Ich schmunzelte. „Das war nett von Dir.“, sagte ich freundlich. Therowig knurrte. „Ja, nett...aber nun hatte ich diese Kerle am Hals. Und ich ahnte ja nicht, daß es nicht einfach nur ein paar Halunken waren, die ein bißchen Ärger suchten, sondern daß sie ein ganz bestimmtes Ziel verfolgten. Es waren Söldner, die es gezielt auf die Frau abgesehen hatten. Warum, das sagten sie mir zuerst nicht, aber sie verlangten eine Entschädigung von mir, als sich die gute Dame plötzlich aus dem Staub machte und sie sich um ihre sogenannte Beute betrogen sahen.“ Nun mußte ich leise lachen. „Wie bitte? Das ist ja vielleicht ein Unsinn. Sie treiben Unfug mit einer alten Frau, von der sie scheinbar irgendetwas wollten, und Du sollst sie dafür entlohnen, wenn sie ihnen entwischt? Was wollten sie denn haben? Ein paar Eier und einen Kohlkopf?“ Therowig tauchte wieder die Hände in das Wasser, drehte sich halb zu mir um und steckte sie dann unter seine Achseln. „Nein, zwanzig Goldstücke.“ Nun mußte ich wirklich lachen. „Das ist ja lächerlich! Diese Kerle waren ordentlich betrunken, oder?“, gab ich amüsiert zurück. „Nein, ganz im Gegenteil.“, meinte Therowig und auf seinem Gesicht sah ich nicht den geringsten Anschein dafür, daß auch er die Angelegenheit als Scherz betrachtete. Ich legte den Kopf schief. Er fuhr sich über die Brust und strich sich dann das nasse Haar aus der Stirn. Mit den Augen suchte er nach einem frischen Hemd.
„Naja, Nariena, weißt Du...“, fuhr er fort und ging ein paar Schritte. Ich wich ihm leicht aus, als er sich neben mich hockte und unter dem Bett eine Tasche hervorzog, in der zu suchen begann. „Es gibt Dinge, die auf den ersten Blick keinerlei Sinn ergeben, aber in der Tiefe schon. Es passieren mehr Abscheulichkeiten in Mittelerde als nur die Schlachten zwischen den Orks und den freien Völkern.“ Ich schürzte leicht die Lippen. „Dann solltest Du mir vielleicht alles erzählen – noch hast Du mir nicht erklärt, warum Du hier bist.“ Therowig nickte und zog ein zerknittertes Hemd aus der Tasche, das er hastig eingesteckt haben mußte. Er zog es sich über und krempelte die Ärmel bis zu den Ellbogen auf, dann zog er sich den Stuhl heran, drehte ihn herum und setzte sich. Die Arme legte er auf die Lehne und sah mich dann darüber hinweg an. „Du gibst keine Ruhe...“ „Nein, tue ich nicht.“ Er nickte wieder. „Dann hole ich etwas weiter aus. Jene alte Frau...mochte in ihrer Vergangenheit etwas getan haben und einer Sippe angehören, die in gewissen Kreisen nicht sehr angesehen ist. Und jene, ich meine jene Söldner, wußten davon. Sie hatten wohl versucht, von ihr Gold zu erpressen um damit ihre Ruhe und ihren Frieden zu erkaufen. Sie hätten sie sonst weiter belästigt, gar verraten. Es gibt Wesen, die verdienen gerne ihr Gold mit der Schande oder der Not anderer. Ich bin sicher, Du weißt das. Aber wie dem auch sei...sie standen nun vor mir und verlangten von mir das Geld, wenn ich die alte Dame schützen wollte. Ich hätte allen Dreien auf der Stelle den Kopf abschlagen können, aber wie hätte das wohl ausgesehen – mitten auf dem Marktplatz von Bree! Halunken und Söldner hin oder her, selbst in Bree erschlägt man nicht einfach jemanden auf offener Straße. Abgesehen davon fand ich es auch nicht sehr angebracht, das war nur eine Kleinigkeit. Zunächst. Selbstverständlich wollte ich nicht einmal einen Kupferling springen lassen und wäre wohl einfach gegangen, wenn die Drei mir dann nicht gesagt hätten, wer die Dame war. Sie war jemand, den ich seit langer Zeit gesucht hatte – und deretwegen ich eigentlich einen Bekannten aufsuchen wollte, weil er etwas über sie und ihren Verbleib zu wissen schien. Ich sah mich nun also in der Situation, die Frau auf jeden Fall schützen zu müssen. Und mit ihr noch andere, die ich gesucht hatte und über die die Söldnergruppe ebenfalls Bescheid wußte. Ich konnte von ihnen Informationen bekommen, scheinbar fast alle, die ich mir in der Vergangenheit mühsam zusammen gesucht hatte und weitere, die ich mir genauso mühsam noch würde suchen müssen. Es war eine....schwierige Entscheidung, eine Sache zu Ende zu bringen, die mich seit Langem beschäftigt und gutes Gold dabei in die Hände von solchem Abschaum zu legen oder die Finger davon zu lassen. Letztlich entschied ich mich aber dafür und bemühte mich um Verhandlungen. Ich sollte ihren Anführer heute Abend treffen, bis jetzt ist er allerdings noch nicht hier eingetroffen.“
Therowig schlug mit der flachen Hand auf die Stuhllehne und ich sah ihn ungläubig an. „Nur, daß ich Dich richtig verstehe, Freund, Du bezahlst den Anführer einer Söldnergruppe, die sich der Erpressung verschrieben hat, um die Erpreßten zu beschützen und weitere von ihnen aufzuspüren? Weil Dich das schon lange beschäftigt?“, fragte ich behutsam nach. „Nun, ja.“, meinte Therowig und nickte nachdenklich.

„Du bist ja verrückt.“, entfuhr es mir dann und ich legte eine Hand auf die seine, um mich sogleich zu entschuldigen. „Warum solltest Du das tun, Therowig?“, fragte ich dann. „Erklär mir auch das.“ Er zögerte und lehnte sich leicht zurück. „Das ist Politik, Nariena, ich glaube nicht, daß Du viel davon verstehst.“, erwiderte er. Ich schnaufte. „Nun hör endlich auf so zu tun, als ob ich ein kleines Mädchen wäre, das noch nie die Welt außerhalb seines Zimmers gesehen hat. Du weißt, daß es nicht so ist. Ich verstehe eine ganze Menge von Politik, mehr als Du ahnst! Und ich meine damit nicht irgendwelche kleinen Intrigen- und Ränkespielchen, die sich um den unwichtigsten aller Männer drehen, nämlich unseren geschätzten Bürgermeister von Bree!“ Ich fuhr Therowig leicht an, mehr als ich es beabsichtigt hatte und ich wußte, daß etwas in meinen Augen aufgeblitzt haben mußte, denn seine Miene verschloß sich sofort und sein Blick wurde hart.
„Na, dann kennst Du ja einige der Ansichten aus Gondor, in deren Auffassung alle Männer und Frauen zu Feiglingen geworden sind, die Gondor verließen, als man die freundschaftlichen Bande zu Rohan einschlafen ließ. Es gab Etliche, die sich darüber wunderten und die darüber hinaus dieses Verhalten für falsch hielten. In Gondor schien man plötzlich der Ansicht zu sein, daß man seine Angelegenheiten alleine regeln könnte und über umfassendes Wissen über alle Geschehnisse außerhalb seiner Grenzen Bescheid wußte. Es wurde sogar gemunkelt, daß der Herr Denethor, seines Zeichens Herrscher im weißen Turm von Gondor, zum Hellseher geworden sei, obgleich er niemanden mehr empfing und sich alleine dort einschloß. Aber Gondor braucht Rohan – und es wird der Tag kommen, an dem sie einander mehr als je zuvor brauchen werden. Viele aus dem diplomatischen Corps Gondors blieben sogar in Rohan und am Hofe König Thèodens, um den vollständigen Bruch zu verhindern. Und sie mißtrauten der kühlen Zurückgezogenheit ihres Herren, ebenso wie er ihnen nun zu mißtrauen schien. Wir hörten viele Gerüchte darüber, daß er schweigsam sei, argwöhnisch und von kalter Unfreundlichkeit. Aber niemand konnte verhindern, daß Rohan und Gondor nun nicht mehr miteinander sprachen – und als auch der König von Rohan sich zurückzuziehen begann und die Staatsgeschäfte anderen überließ, seltsamen Beratern und Einflüssen aus unbekannten Quellen, da wurde wahrlich Unmut laut und es gab solche, die ihre Heimat verließen. Es hat viele über ganz Eriador und Rhovanion verstreut, zu Verwandten sind sie gezogen oder einfach nur weit fort von den östlichen Mauern Mordors, die irgendwann fallen würden, wenn sie nicht gemeinsam von den starken Händen Gondors und Rohans gehalten würden. Und diese Leute suche ich! Weil es mir vor langer Zeit aufgetragen wurde, von meinem Hauptmann. Du weißt, daß ich aus Rohan stamme – und vielleicht hast du Dich schon einmal gefragt, wie es jemanden wie mich ausgerechnet nach Bree verschlagen konnte. Nun weißt Du es. Es gibt noch welche am Hofe Rohans, die nicht vergessen haben, was Stärke und Entschlossenheit und Mut bedeuten. Und sie lassen alle wissen, die gegangen sind, daß sie gebraucht werden und man die Hand über sie halten wird. Eigentlich werden sie sogar aufgefordert, zurückzukehren und sich jenen Rohirrim anzuschließen, die treu zur Sache der freien Völker stehen. Es wird bald jeder gebraucht werden! Die Waldläufer, die Dunedain, verlassen bereits das Breeland und ziehen nach Osten und jeder Soldat, jeder Kämpfer, der eine Waffe halten kann, muß ihnen irgendwann folgen. Rohan hat viele Überbringer dieser Botschaft, so wie ich einer bin, ausgesandt und das Schlimme daran mag sein, daß es nicht gerade leicht ist, jene zu finden, die im Exil leben. Noch schlimmer ist es, daß ich nicht zurück kann, denn die Pforte von Rohan ist verschlossen. Aber...das wird mich nicht davon abhalten, meinen Auftrag auszuführen und meine Nachrichten zu überbringen. Und gerade jetzt habe ich wieder eine Gelegenheit dazu!“

Therowig klang verbittert, als er mir das erzählte. Nein, ich hatte wirklich nichts von dem Weg gewußt, den er zurückgelegt hatte. Mir war bekannt, daß er aus Rohan stammte, aber warum er hier war, das hatte ich mich bisher nur für wenige Momente gefragt und nie eine Antwort erwartet. Ich nahm Dinge zumeist einfach hin und fragte nicht weiter nach ihnen, wenn sie es mir nicht von selbst erzählten. So hatte ich gedacht, möglichst wenig in Schwierigkeiten zu geraten, wenn ich nicht allzu viel über jemanden wußte. Und darüber hinaus mochte ich es ja selbst nicht, über mich etwas gefragt zu werden. Aber ich biß mir nun auf die Unterlippe und sah Therowig an. Sein Blick war immer noch kühl, aber er hatte auch etwas Trauriges und ich lehnte versöhnlich den Kopf etwas vor. Ich würde ihm nun auch etwas erzählen.
„Therowig, das tut mir leid. Du bist von Vielen getrennt, die Dir etwas bedeuten. Wahrscheinlich mehr als Deine Freunde und Gefährten hier. Und es ehrt Dich, daß du dennoch nicht pflichtvergessen bist. Gewiß warst Du stets ein Besonderer unter den Männern am Hofe Rohans und Du bist auch ein besonderer unter meinen Freunden. Du bist sogar einer der Wenigen, den ich überhaupt Freund nenne. Ich mag es nicht, das leichtfertig zu tun. Ich entschuldige mich bei Dir für mein Aufbrausen, doch will ich Dir sagen, daß ich die Gerüchte und Ansichten kenne – denn, und das konntest Du nicht wissen, weil auch das nur Wenige wissen, ich selbst stamme nicht aus dem Breeland und ich wurde auch nicht in Bree geboren, wie es fast jedermann meint. Ich komme aus Gondor, selbst wenn ich es noch im Kindesalter verlassen habe. Ich kenne auch die Ebenen Rohans und die weiten Berge, die sie von Gondor trennen. Ebenfalls durch Kinderaugen betrachtet, doch im Herzen so verwoben, daß es eine unzerbrechliche Bande der Liebe ist. Mein Vater diente viele Jahre im diplomatischen Dienst am Hofe Rohans, dorthin ausgesandt von der Hand seines Truchsessen Denethor. Und wir erlebten dort die Taten und Nachrichten, die folgten, als unsere Herrscherin Finduilas verstarb und Herr Denethor fortan ein Leben in Einsamkeit führte, das von Mißtrauen und tiefer Nachdenklichkeit angefüllt war. Mein Vater gehörte zu jenen, die hierher in den Westen zogen und sowohl Gondor als auch Rohan den Rücken kehrten. Es hatte jedoch nichts damit zu tun, daß er ein Feigling gewesen wäre, sondern viel mehr mit der Trauer, die er nach dem Tod meiner Mutter empfand. Er wollte weg aus den Landen, wo sie gestorben war und zu anderen gehen, die er kannte. Vor allem die Gerüchte über den Verbleib der Dunedain in den alten Königreichen beschäftigten ihn und ich war zu klein, um auf seine Entscheidung Einfluß zu nehmen. Ich weiß aber wohl, daß sein Fortgang unter bösen Zungen und dunklen Herzen als Feigheit gilt und bei jenen, die sogar gänzlich von Bosheit erfüllt sind, ihm den Ruf von Verrat eingebracht haben. Und ich bin sicher, daß auch noch andere, die aus den Landen Gondor und Rohan hierher gekommen sind, keine Feiglinge sind. Vermutlich die Meisten von ihnen nicht. Du bist ja auch keiner – es ist nur allen das Eine gemeinsam: sie können im Moment nicht zurück nach Hause, selbst, wenn sie es wollten.“

Nun war es Therowig, der mich überaus erstaunt anblickte. „Du bist aus Gondor? Das ist wirklich eine Überraschung. Warum erzählst Du es niemandem?“, fragte er mich dann und zog die Brauen hoch. Ich lächelte knapp. „Ich weiß nicht recht, Therowig. Spielt es denn eine Rolle? Ich muß sagen, ich gefiel mir irgendwann ganz gut in dem Bild, das man von mir hatte. Ich neige selbst dazu, unwirsch zu sein und mich nicht eben gut zu benehmen, wenn ich das Gefühl habe, daß man mir zu nahe kommt. Ich vertreibe normalerweise gerne jene wieder, die mich mögen und die ich mag, denn beinahe immer kam der Tag, an dem entweder ich oder sie verletzt wurden. Wer für einen ausgemachten Schurken, der in den staubigen Gassen von Bree aufgewachsen ist, gehalten wird, dem kommt man auch nicht zu nahe. Und er wird daher auch nicht verletzt.“ Therowig nickte bedächtig. „Ich verstehe es ein wenig, aber eigenartig finde ich es dennoch. Vertrauen halte ich für eine große Tugend, selbst wenn es solche gibt, die Vertrauen ausnutzen. Das ist kein Grund, es für sich zu behalten.“, sagte er. Ich lächelte ihn nun etwas freundlicher an. „Ich bin eben eigen, so war ich immer und Du mußt es auch nicht verstehen. Aber Du bist ein großzügigerer Mensch als ich und gehst unbedächtiger mit Deinem Vertrauen als ich um. Das macht Dich auch zu einem ehrenhafteren Menschen als mich, aber ich habe mich gebessert. Sehr viel sogar, ich bin auch langsam schon etwas zu alt für zu viele Eigenheiten. Nicht zuletzt seit ich Herrn Aegmar kenne. Die Menschen sind vielleicht nicht alle so schlecht, wie ich eine ganze Weile angenommen hatte, bevor ich ihn kannte. Und bevor ich Dich kannte.“
Therowig schüttelte den Kopf. „Nein, sie sind nicht schlecht. Und jene, die es sind, die werden bald beweisen können, daß sie doch zu mehr fähig sind. Außer jenen vielleicht, die einer Bande von Südländern angehören, die meinen, sie müßten Unruhe schüren und den Frieden anschließend verkaufen. Ich habe selbst manches Mal gespürt, daß gerade im Breeland Fremde nicht immer sehr willkommen sind. Die Breeländer sind sich ja selbst manchmal untereinander fremd, haben gar Angst voreinander und machen sich das Leben schwer. Großes Volk, kleines Volk, fremdes Volk – solche Aussagen und Urteile hört man in allen Gassen. Und es nimmt zu. Fremde werden mit Argwohn betrachtet, vor allem, wenn die Zeiten dunkel sind. Da ist es nicht schwer, Schrecken zu schüren und an jenen zu verdienen, die hier ihre Ruhe haben möchten. So, wie die alte Frau, um die es ging und deretwegen ich in dieser Lage bin. Ich hörte von einer seltsamen alten Dame, die im Bockland lebt und die aus Gondor gekommen sein soll. Die Halblinge sprachen über sie, denn es ist selten, daß sich Menschen an den Ufern des Brandywein niederlassen und sich nicht daran stören, was andere über sie sagen und davon halten. Sie ist wohl gut bekannt und angeblich hat sie einen Sohn. Für jenen habe ich einen Brief. Also mußte ich sie beschützen. Aber sie war fort, bevor ich sie etwas fragen konnte.“, meinte Therowig und senkte den Blick.
Ich setzte mich nun gerade auf und spürte, wie mein Herz laut zu pochen begann. Eine alte Dame, die im Bockland lebte, die kannte ich ebenfalls. Und Therowig hatte Recht, sehr viele vom Volke der Menschen wohnten dort nicht. „Darf....darf ich fragen, wie sie heißt?“, wagte ich mich vor und meine Stimme wurde heiser, meine Kehle trocken. Ich hoffte, daß er nicht den Namen sagte, den ich nun zu erahnen begann – doch er sagte ihn: „Mmmmh, sie heißt Ghaldean. Galawyn Ghaldean.“
Ich stieß hart die Luft aus und schloß die Augen.

Es war der Name meiner Großmutter.

ch spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich und meine Lippen zu zittern begannen. Ebenfalls mußte ich Therowig fassungslos angestarrt haben, denn er zog plötzlich die Brauen zusammen und sah mich besorgt an. Sein Blick suchte in meinem Gesicht zu lesen und schweifte zwischen meinen Augen hin und her. Und dann wurde auch er mit einem Male blass und erstarrte. Er hob langsam eine Hand, senkte den Kopf bis auf die Lehne des Stuhles vor sich herab und schlug sich auf die Stirn. „Ich Esel....“, murmelte er. „Ich bin doch der größte Esel, der je unter der Sonne Mittelerdes seinen dummen Schädel ins Licht gestreckt hat!“, rief er und breitete die Arme aus. Er schien außer sich und starrte mich dann wiederum an. „Ghaldean! Natürlich! Ghaldean! Das ist doch auch Dein Name!“, sagte er erstickt. Er hatte verstanden und ich nickte stumm. Ich konnte immer noch keine Worte finden und wollte es auch nicht. Ich sah einfach auf den Boden und legte die Hände in den Schoß.
Therowig erhob sich, fuhr sich durch das Haar und über den Bart und ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Schließlich blieb er wieder stehen, stemmte eine Hand in die Hüfte und kratzte sich mit der anderen am Kinn, als er sich zu mir herumdrehte. „Deine Mutter? Nein, zu alt. Deine Tante?“, fragte er. Ich schluckte und holte dann vorsichtig Luft. „Meine Großmutter.“, erwiderte ich nach einigen Momenten heiser. „Ah...ja...natürlich. Großmutter.“, meinte Therowig dann zu sich selbst. Er setzte sich irgendwann wieder auf den Stuhl, diesmal richtig herum, und beugte sich zu mir vor. Er lehnte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Hände. „Hör zu, Nariena....es tut mir leid. Ich möchte mich entschuldigen. Ich habe....ich habe einfach nicht darüber nachgedacht, daß Du...daß und Du Galawyn Ghaldean verwandt sein könntet. Ich glaube, ich habe Deinen Nachnamen auch nur ein einziges Mal gehört. Ich weiß nicht, warum ich nicht....“, begann er, aber ich unterbrach ihn und sah ihn grimmig an: „Aber ich weiß es! Weil niemand darüber nachdenkt, ob jemand wie ich eine Familie haben könnte. Und schon gar nicht eine, die nicht dafür bekannt ist, daß sie stehlend und bettelnd durch das Breeland zieht. Du mußt Dich jedoch nicht entschuldigen, Therowig, denn in der Tat hast Du nur einmal meinen Namen gehört – damals als Du zuerst meine Klinge an Deinem Arm gespürt hast, die Dich von Orkfesseln befreite. Ich nehme Dir das nicht übel, doch verstehe, daß mich erschüttert, daß nicht nur Du, sondern offenbar meine Familie in Schwierigkeiten steckt. Sogar der Grund für die Deinen ist.“ Therowig schüttelte den Kopf. „Ich habe nie angenommen, daß Du einer Familie von Räubern entstammst. Ich dachte eigentlich, daß Du sie verloren hast, weil Du weder über sie sprichst, noch ich Dich in ihrer Nähe gesehen habe. Und das ist für mich schon ungewöhnlich genug, denn wäre meine Familie gar nur durch einen Ritt von vielen Tagen zu erreichen, dann würde ich sie oft besuchen und bei ihr sein, wann immer ich kann.“, widersprach er. „Ich sehe meine Familie oft genug, glaub das. Doch geht sie andere Wege als ich und ist mit dem meinen nicht immer einverstanden. Ich habe einen Vater, Therowig, eine Großmutter und zwei Schwestern. Wir alle haben hier in Eriador nun ein Leben und daher muß ich Dir auch sagen, daß ich es vielleicht gar nicht so wollen würde, wenn Du meinem Vater jenen Brief überbringst, der ihn möglicherweise wieder zurück in die Heimat ruft. Er würde sich verpflichtet fühlen, er war einst Soldat – doch er ist nun alt und ich bin nicht sicher, ob er überhaupt die Strapazen einer solchen Reise überstehen würde. Er hat seinen Frieden hier gemacht, belasse es dabei.“ Therowig schüttelte abermals den Kopf. „Ich finde, das sollte er selbst entscheiden, meinst Du nicht?“, sagte er.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#4

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:35
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich zuckte nur die Achseln und kaute auf meiner Unterlippe. Mich begannen nun vielmehr die Gedanken zu beschäftigen, daß Therowigs Angelegenheit und sein Streit mit den Südländern doch noch viel mehr zu meiner Angelegenheit und meinem Streit geworden war, als ich es abgesehen hatte. Ich liebte meine Großmutter sehr, und jeder, der Hand an sie legte, den konnte ich nur verachten. Umso mehr schätzte ich die, die ihr beistanden und so sah ich Therowig nun wieder etwas freundlicher an. Er aber hatte keinen einzigen freundlichen Blick, er betrachtete mich ernst und lehnte sich dann langsam zurück. Er knöpfte sein Hemd zu und stopfte es sich mürrisch in die Hose.
„Du mußt hier verschwinden. Und zwar auf der Stelle. Noch eine Ghaldean in Reichweite eines Südländers wäre wahrhaft ein Unglück – für uns beide. Also...“ Er drehte sich mir direkt zu und streckte eine Hand nach mir aus. Ich blieb sitzen und rührte mich nicht. „Ich gehe nicht. Du steckst in Schwierigkeiten, darum bin ich hier. Und ich bleibe erst recht, wenn es um meine Familie geht!“, entgegnete ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hörte Therowig leise knurren, dann langte seine Hand vor, packte nach meinem Oberarm und zog mich so rasch auf die Füße, daß mir gar keine Gelegenheit blieb, mich zu dagegen zu sträuben. Er ragte nun vor mir auf und sah auf mich hinab. „Nariena, das ist kein Spiel! Du gehst!“, brummte er. Ich erwiderte den Blick. „Nie war irgendetwas ein Spiel, Therowig! Du kannst mich hinauswerfen – aber wenn Du mich auch nur ein bißchen kennst, dann weißt Du, daß ich einen Weg finden werde, um zurückzukehren! Wir können den Dingen also gemeinsam begegnen oder es jeder auf seine Weise tun, es liegt ganz bei Dir.“, sagte ich ihm.
Er ließ mich los, trat einen Schritt zurück und fluchte. Er biß die Kiefer aufeinander und ich konnte ihm deutlich ansehen, daß er zornig wurde. Seine Augen glänzten und unter dem Hemd spannten sich seine Muskeln an. Auch mein Körper spannte sich an und ich wußte, daß dies ein Moment war, in dem unsere Freundschaft entweder Schaden nehmen oder noch weiter gefestigt werden würde. Ich wurde nervös, aber ich wollte nicht zurückstehen. Ich sah Therowig schließlich traurig an und mein Blick bat ihn, sich nicht gegen mich zu entscheiden.

„Bitte, Therowig....“, flüsterte ich, ohne daß ich es wollte. Er starrte mich noch für einen weiteren Moment an, dann trat er noch weiter zurück und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Türe. Auf seinem Gesicht lag ein Schatten. „Du warst und Du bist stets gut in dem, was Du tust, nicht? Du warst eine lange Zeit direkt vor meinem Angesicht und obwohl ich Dich gesucht habe, habe ich Dich nicht als das gesehen, was Du bist, sondern nur als das, was Du andere sehen lassen willst. Gibt es jemanden, der Dich wirklich kennt, Nariena Ghaldean?“, sagte er duster, dann schüttelte er leicht den Kopf. „Ich wäre ein Narr, Dich wegzuschicken, aber ich möchte nicht, daß Unheil über Dich kommt – obgleich ich nicht weiß, ob ich mich beschwindelt fühlen soll oder blind durch meine eigene Schuld.“
Ich machte einen behutsamen Schritt auf Therowig zu. „Ich habe Dich nie belogen. Ich habe Dir nur den Eindruck gelassen, den Du Dir selbst von mir gemacht hast. Menschen neigen dazu, nicht zu hinterfragen, was sie sehen und als sicher erachten. Das, so will ich zugeben, kommt mir gelegen und ich nutze es für gewöhnlich aus. Aber jetzt weißt Du etwas über mich, das nicht sichtbar ist. Und ich hoffe, daß Du fortan danach entscheiden wirst, Freund.“, sagte ich leise.

Ich hörte ihn tief ausatmen und dann wurde er plötzlich vollkommen still. Sein Kopf drehte sich zur Seite und er lauschte. Ich wurde ebenfalls ruhig und versuchte etwas zu hören. Da waren Schritte auf dem Gang, doch im gleichen Moment, da Therowig sie vernommen hatte, schienen sie zu verstummen. Er löste sich von der Türe, hob kurz die Finger an die Lippen und durchquerte dann das Zimmer. Er löschte die Kerze, die auf der Kommode gebrannt hatte und trat neben mich. War er zuvor ärgerlich über mich gewesen, so war er es jetzt nicht mehr. Er stand so dicht neben mir, daß ich sein Herz pochen hörte. Vielleicht erahnte ich es auch nur oder meinte es zu spüren, denn meines tat nun einen nervösen Schlag. „Nun ist es wohl zu spät, daß Du verschwindest...“, flüsterte er mir ins Ohr. Therowig wußte, daß jemand vor der Zimmertüre stand. Ich wußte es auch. Ich begann zu überlegen, was ich nun tun konnte, um seinem Wunsch zu entsprechen und mich nicht gleich zu verraten. Im Zimmer war es dunkel bis auf einen schmalen Streifen fahlen Mondlichts, der matt durch das Fenster einfiel und einen kaum sichtbaren Fleck milchiggrauen Lichtes auf dem Fußboden hinterließ. Noch bevor ich meine Gedanken zu Ende gebracht hatte, bückte ich mich und ließ meine Finger über die Dielen gleiten, um das Hemd zu finden, das Therowig abgelegt hatte. Ein oder zwei Atemzüge lang tastete ich im Nichts umher, dann bekam ich den Stoff in die Hand. Ich hob es auf und klemmte es mir unter die Achsel. In Windeseile griff ich dann an mein Wams und öffnete es. Ich trat einen Schritt zurück, fort von dem wenigen Licht, das uns blieb, um mich in der vollkommenen Dunkelheit zu entkleiden. Therowig sah mich nicht, aber er hörte mich. Er lauschte weiterhin auf die Türe, wieder waren Schritte zu hören, eine zweite Person näherte sich. „Was tust Du...?“, raunte er mir zu. „Vertrau mir. Und nenn mich nicht mehr Nariena.“, gab ich zurück und ließ meine Kleider fallen. Mit dem Fuß schob ich sie unter das Bett und hoffte, daß es sie gänzlich verbergen würde. Dann schlüpfte ich in Therowigs Hemd, krempelte die Ärmel auf und stopfte es locker und unordentlich in meine Hose, so daß es sich genug bauschte, um meine Statur zu verbergen. Ich nahm mein Haar, drehte es zu einem Zopf und schob es dann hinten in meinen Hemdskragen. Das würde nicht verbergen, daß es lang war, aber als ich Therowig bat, mir noch seinen Umhang zu reichen und die Kapuze düber den Kopf zog, war ich sicher, daß der Eindruck, den ich erwecken wollte, unachtsamen Blicken standhielt: nur der genaue Betrachter würde mich nicht für einen Burschen halten, so hoffte ich. Und wenn es Südlander waren, die nun vor der Türe warteten, so würden sie doch gewiß ihr Augenmerk zuerst auf Therowig richten. „Sag mir, was Du vorhast!“, zischte er. Ich griff unter den Umhang und zog das Hemd noch ein wenig weiter hinauf. Ich staute es auf meinen Schultern, um sie wenigstens ein bißchen breiter erscheinen zu lassen. „Ich bin ab sofort Dein Knappe. Nenn mich...nenn mich....“, erklärte ich hastig und suchte fieberhaft nach einem Namen.

Doch dann klopfte es.

Therowig warf mir einen zögernden Blick zu. „...Eogar.“, führte er meinen Satz zu Ende. Ich wollte nicken, doch dann hielt ich in der Bewegung inne. „So heißt doch Dein Pferd!“, protestierte ich so leise wie ich konnte und so laut, wie es eben möglich war. Therowig zuckte nervös die Schulter. „Na, wenn Dir etwas Besseres einf....“, rechtfertigte er sich, wurde aber jäh unterbrochen, als es erneut klopfte – und zwar energischer als zuvor. Therowig wandte sich um und öffnete die Tür einen Spalt weit. Auf der Schwelle ragten zwei dunkel gekleidete Gestalten auf, das matte Licht im Flur hinter ihnen warf lange Schatten an die Wand. Therowig wechselte einige geflüsterte Worte mit ihnen, dann zog er die Türe ganz auf und Licht fiel in das Zimmer. Als sie mich erblickten, fuhren ihre Hände an ihre Gürtel, wo Messer und Dolche steckten. „Wer ist das?“, hörte ich eine der beiden Gestalten raunen. „Mein Bursche. Eogar. Er wird uns begleiten.“, antwortete Therowig knapp und trat hinaus in den Flur. Er ließ sein Schwert im Zimmer zurück und ich betrachtete es mit einiger Sorge, aber vermutlich waren die Südländer klug genug gewesen, einem für sie Fremden nicht zu trauen und hatten vereinbart, daß sie nur unbewaffnet mit ihm sprechen würden.
Therowig wartete auf mich und so verließ auch ich die Kammer. Mit verhaltenem Schritt trat ich auf den Flur und achtete darauf, mich nicht in die direkte Nähe der Kerzenhalter an den Wänden zu begeben.
Die Südländer ließen Therowig vorgehen, dann mich und dann folgten sie schließlich. Wir sprachen nicht und verließen ruhigen und unauffälligen Schrittes das Gasthaus. Die meisten Gäste hatten sich bereits schlafen gelegt und Gespräche und Gemurmel hatten deutlich abgenommen. Man beachtete uns nicht, nur ein Schleier von verbrauchtem Pfeifenkraut hing noch in der Luft und ich beneidete sie um ihre friedlichen und ungestörten Nachtstunden. Ich hätte nun ebenfalls schlafend und nichts ahnend auf meinem Lager ruhen können. Ich seufzte innerlich. Gab es denn wirklich noch Frieden? Selbst jene, die ihre Augen vor dem Krieg im Osten verschlossen, mußten ihn doch spüren. Er war allgegenwärtig. Vielleicht hörten sie nicht den Lärm der Schlacht und sahen nicht die Pfeile der Orks, die auf ein Heer der freien Völker niedergingen, aber sie sahen ihn in den Augen der Fremden, die an ihnen vorüberzogen und hörten ihn in den Stimmen derer, die nun laute und grobe Worte des Unheils sprachen, weil sie glaubten, es gäbe niemanden mehr, der sie dafür zurechtweisen würde. Jeder kam nun irgendwie mit sich selbst zurecht und mußte es auch mit denen, die früher einfache Nachbarn gewesen waren und nun gierig auf das Hab und Gut anderer blickten, da sich Ordnung und Grenzen langsam aufzulösen schienen.

Mir war mulmig zumute, als wir hinaus in die Nacht traten. Schwarz zeichneten sich die kahlen Berge vor einem klaren Sternenhimmel ab. Zikaden zirpten in den trockenen Büschen und im fahlen Gras. Die Stunde hätte beinahe friedlich angemutet, wären Therowig und ich nicht in Gesellschaft solcher gewesen, die sich vorgenommen hatten, den Frieden in diesen Landen zu stören.
Nein, es waren wirklich nicht nur die, die in die offene Schlacht weit in den Tiefen des Düsterwaldes zogen, die Leid erfuhren. Es waren genauso auch die, die zurück in ihrer Heimat blieben: Bauern, Händler, Landbesteller. Das einfache Volk, die Kinder, die Alten. Auch ihnen widerfuhr Leid, denn es gab immer solche, die sich daran bereicherten, wenn andere Not litten. Ich drehte leicht den Kopf zu einem der Südländer, der hinter mir stehen geblieben war. Was ihn bewogen hatte, sich einer Bande von Räubern anzuschließen, durch die Lande zu streichen und auf den Höfen und Weilern Unruhe zu stiften? Nur für ein bißchen Gold, das in der Tasche klingelte und aus Erpressung und erkauftem Frieden von den Bauern gewonnen war? Ich hatte schon viel in meinem Leben ersonnen, daß mir Gold verschafft hatte, aber es gab immer noch eine Grenze, die zwischen einem Dieb und einem gemeinen Halunken gezogen war. Der Dieb kannte diese Grenze – und ich fragte mich weiter, ob der Mann, den ich ansah, sie auch kannte oder ob ihm alles gleich war. Man mochte es Stolz nennen: in seinen Augen konnte ich nichts davon erkennen. Und so wandte ich den Blick wieder von ihm ab, als er das Kinn vorreckte und mich anfunkelte. „Was glotzte denn so?“, meinte er duster, kaute auf irgendetwas herum und spuckte es dann aus.
Nein, von diesem einen hier war gewiß nicht das geringste bißchen Stolz zu erwarten. Da war keine Seele in diesem Leib, nur Habgier. Er stieß mich gegen die Schulter und ich stolperte einen Schritt vorwärts. Therowig war sogleich neben mir. Er hob eine Hand, als wollte er nach mir greifen, ließ sie dann aber sofort wieder sinken. „Laß den Burschen zufrieden, er ist nur ein...Junge.“, sagte er. Der Südländer schnaufte. „Wo kommt der überhaupt so plötzlich her?“, fragte er.
Therowig verlagerte sein Gewicht leicht. „Er war die ganze Zeit bei mir. Habt Ihr das etwa nicht bemerkt?“, antwortete er und ich nahm einen gewissen Spott in seiner Stimme wahr, der Südländer schien ihn aber nicht zu erkennen. „Naja, wie dem auch sei. Verabredet war, daß wir nur Euch zu unserem Lager und zum Anführer bringen. Von einem Begleiter war keine Rede.“, murrte er. Therowig zuckte die Achseln. „Tja, ich bestehe aber nun darauf...“, gab er zurück und verschränkte die Arme. Der Südländer machte einen Schritt auf ihn zu und sah ihn direkt an. „Wie der feine Herr meinen...“, sagte er langsam, hob dann einen Arm und schnippte mit den Fingern zu seinem Gefährten herüber, ohne sich dabei umzudrehen. „Dann ist der Kleine nun unser Pfand dafür, daß Ihr Euch ordentlich benehmen werdet.“

Kaum hatte er es ausgesprochen, wurde ich von hinten gepackt. Ein Arm schlang sich um meine Schultern und hielt mich fest. Ich spürte, wie mein Rücken gegen die Brust des anderen Südländers gedrückt wurde. Sein Atem pfiff an meinem Ohr entlang. Therowig spannte sich an, verlor aber nicht seine Haltung. Er warf mir nur einen Blick zu, ich schüttelte sofort den Kopf und verneinte seine unausgesprochene Frage: nein, er sollte nicht eingreifen. Therowig nickte kaum merklich und machte dann eine abwehrende Geste mit der Hand. „Von mir aus. Im Augenblick gibt es ja kein Gepäck, daß er für mich zu tragen hat.“ Therowig warf mir einen letzten Blick zu, drehte sich dann um und betrachtete sie dunklen Hügel, die jenseits der Straße lagen. „Also, welche Richtung?“, fragte er unbeteiligt. „Da lang...“, sprach der Südländer, der immer noch vor ihm stand. Er überholte Therowig und ging voran. Auch ich wurde vorwärts gestoßen, der Arm, der meine Schultern umklammert hielt, löste sich nicht. Aber ich lächelte leicht. Ich wußte, daß Therowig mich keinen Atemzug lang aus den Augen lassen würde – auch wenn er mich nicht mehr direkt ansah und wir auch kein Wort mehr miteinander sprachen, als wir uns in Bewegung setzten und geradewegs auf die Berge zuhielten.

Trockenes Gras strich uns an Stiefeln und Beinen entlang und staubig war der Boden unter unseren Füßen. Ein ausgetrocknetes Bachbett kreuzte unseren Weg und die Südländer hielten inne. Hinter einem großen Felsen bargen sie ein verstautes Bündel und nahmen eine kleine Laterne daraus hervor. Sie warf ein mattes Licht auf den weglosen Hang, der vor uns in den Nachthimmel aufragte. Ich mußtmaßte, daß wir nach Norden gingen. Die Herberge lag hinter uns im Dunkel und ich war froh, daß wir nun ein kleines Licht bei uns hatten. Es war schwer, sich in unbekanntem Gelände zu bewegen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich mich zurechtgefunden, aber immer noch hielt mich ein Arm um die Schultern gepackt und schob mich ungelenk vorwärts. Ich stieß stetig mit dem Mann zusammen und stolperte gegen seine Stiefel. Sein Arm packte dann jedesmal fester zu, als wollte er sich an mir festhalten. Narr, dachte ich. Wenn ich das Gleichgewicht verlor, würde er es ebenfalls. Er hätte höchstens noch das Glück, daß er auf mir landen würde, wenn wir fielen – und soweit wollte ich es sicher kommen lassen. Ich brachte all meine Konzentration auf, all mein Geschick und war vermutlich deswegen ausgerechnet einem Südländer dankbar, daß er nun ein kleines Licht in der Hand hielt, das uns den Aufstieg erleichterte und mir erlaubte, mich einigermaßen von seinem Gefährten fern zu halten.
Vielleicht eine Stunde lang waren wir durch das verlassene Land gewandert, langsam und uns immer mit Argwohn umblickend. Der Mond zog träge über uns hinweg und ich konnte erkennen, daß die Umgebung nun felsiger wurde. Hin und wieder rutschten meine Stiefel auf kleinen Steinen und Felsstücken weg, so daß sich jedesmal wieder der Arm fester um mich schloß und einige Male bedrohlich nahe an meinen Hals kam. Ich wagte es nicht, einen mißmutigen Laut von mir zu geben. Wenn ich meine Rolle gut spielen wollte, mußte ich ergeben sein. Und sie stand ohnehin auf keinem sicheren Grund. Sobald es hell werden würde, mußten sie erkennen, daß ich kein Stallbursche war. Daß ich überhaupt kein Bursche war. Ich hoffte, daß wir bald unser Ziel erreichten und die Nacht noch einige Stunden währte. Mitternacht mußte es bereits sein.
Da endlich erreichten wir einige große Felsen, die auf der Kuppe des Hügels aufragten. Einige Krüppelkiefern wuchsen in den Spalten des Gesteins und verdeckten den Schein eines Lagerfeuers. Als wir die Felsen umrundeten, konnte ich vier Männer ausmachen. Sie saßen um einen eisernen Kessel, der über dem Feuer hing und rührten darin herum. Etwas in seinem Inneren dampfte, roch aber nicht sehr appetitlich. Sie sahen auf, als wir in den Lichtschein des Lagers traten, doch nur einer von ihnen erhob sich. Ihre Blicke streiften mich nur, sie hefteten sich sogleich auf Therowig. Vor allem der Mann, der aufgestanden war und uns nun entgegen trat, musterte ihn eingehend. Er sah zerlumpt aus, schmutzig. Sein Haar war strähnig und staubig und irgendwann einmal blond gewesen. Ein ungepflegter Bart überzog sein Kinn und seine Wangen und in seinem Wams war ein großer Riß zu sehen. Hätte er freundlich dreingeschaut und der Grund unseres Zusammentreffens wäre ein anderer gewesen, dann hätte ich vermutlich Mitleid für ihn empfunden. Aber ich empfand nichts. Ich war nur äußerst angespannt und das leise Pochen in meinem Magen erkannte ich als Furcht.

Er sagte nichts, er wies Therowig mit der Hand nur einen Platz am Feuer zu. Mein Begleiter löste den Arm um meine Schultern und griff nach meinem Handgelenk. Es mußte ihm umgewöhnlich schmal vorkommen, aber er ließ es sich nicht anmerken. Vielleicht fiel es ihm auch wirklich nicht auf, er betrachtete ebenso wie die anderen Therowig mit äußerst mißtrauischer, aber doch unverhohlen neugieriger Miene. Der Blonde setzte sich als Letzter. Um den Hals trug er eine merkwürdige Kette: eine Lederschnur, an der er Federn, einen kleinen Stein und eine Münze mit einem Loch in der Mitte befestigt hatte. Ich hob eine Augenbraue – aber nun, in der Wildnis fand man vielleicht nichts anderes, um sich als Anführer auszuweisen. Und das war er zweifellos.


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#5

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:37
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Er saß Therowig dicht gegenüber, sie waren beinahe gleich groß, doch hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Sie musterten sich und der Anführer der Südländer ergriff schließlich als Erster das Wort: „Ich bin Olrik. Du wolltest mich sprechen – und daß ich Dir das überhaupt erlaube hat nur den einen Grund: Du hast mir etwas zu bieten. Hoffe, daß es mich auch interessiert, sonst bin ich der Letzte, mit dem Du in Deinem Leben gesprochen hast.“, sprach er. Seine Stimme war rau und er hustete leicht. Dann spuckte er aus und ich konnte erkennen, daß ihm beide Schneidezähne fehlten. Therowig atmete tief ein. „Ich habe Deine Drohung zur Kenntnis genommen und ich könnte sie jetzt erwidern, aber ich glaube kaum, daß uns das weiterbringt. Also werde ich einfach sprechen.“, entgegnete er ruhig. Ich schluckte trocken und mein Blick vermischte sich mit dem der anderen und haftete gebannt auf Therowig. Ein wenig bewunderte ich ihn für seine Ruhe und seine Gefaßtheit, auch wenn ich wußte, daß er sich wie kaum ein anderer dazu zwingen konnte, wenn ihm Gefahr drohte.
Ich mußte wieder an unsere erste Begegnung in jener Nacht im Düsterwald denken, in der ich ihn für einen Narren gehalten hatte, weil er gegenüber einem Ork keine Furcht gezeigt hatte. Und wie sehr hatte ich mich doch geirrt: Therowig wußte, was Furcht war, aber er bewahrte sich davor, sie sein Denken beherrschen zu lassen. So auch jetzt. Nur an seinen Augen erkannte ich, wie angespannt er war. Er holte noch einmal Luft. „Mit Mißbilligung kann ich nur hinnehmen, was Du und Deine Leute im Breeland und den Landen nördlich davon treiben. Ihr schreckt Bauern auf, bestehlt Händler und zu allem Überdruß erpreßt ihr jene um das bißchen Frieden, das ihnen noch bleibt, seit es Krieg gibt.“ Er hob abwehrend die Hände, als Olrik sich bereits zu ereifern begann, seine Hand an seinen Gürtel wanderte, an dem ein eisenbeschlagener Knüppel hing, und sein Blick sich zornig verfinsterte. „Du bist nicht hier, damit ich mir von Dir anhöre, was Dir an meinen Taten nicht gefällt. So ein feiner Herr wie Du hat leicht seine sogenannte Mißbilligung verteilt und ausgesprochen. Das interessiert mich nicht.“, herrschte er Therowig an und ich spürte, wie mein Herz sich einen Augenblick lang weigern wollte, weiter zu schlagen. Therowig blieb immer noch vollkommen ruhig und aufrecht sitzen, die Hände erhoben. „Du hast Recht, wir sind auch nicht hier, um das zu diskutieren. Weswegen ich hier bin ist der Umstand, daß Du und Deine Bande während Eurer Raubzüge einige Leute aufgespürt habt, die mich interessieren und über deren Verbleib ich mir Informationen erhoffe. Und außerdem...die Zusicherung, daß Du sie in Ruhe lassen und weiterziehen wirst.“, sprach er weiter und schwieg dann.
Olrik spuckte erneut aus und kniff die Augen leicht zusammen. „Das ist ein ziemlich ungewöhnliches Anliegen. Schätze, Du hättest uns auch einfach die verbliebene Miliz auf den Hals hetzen können – aber dann wärs vorbei mit Informationen, was?“ Olrik lachte heiser. Es ging wieder in ein Husten über. „Sag' mir, was das für Leute sind, und dann sag ich Dir, ob ich mir überlege, mich darauf einzulassen oder nicht.“ Therowig ließ langsam die Hände sinken. „Was ich von ihnen will, ist meine Angelegenheit.“, sagte er. Olrik beugte sich vor. „Nein, das ist sie nicht. Denn weißt Du...ich will auch etwas von diesen Leuten, nämlich ihr Geld. Oder vielleicht sogar ihr Haus, die schöne Magd....was weiß ich. Und Du solltest mir nicht in die Quere kommen. Also erzähls mir lieber, denn ich werde nicht dulden, daß Du meine Geschäfte übernimmst, verstanden?“, raunte er. „Ich will Deine Geschäfte nicht übernehmen. Ich will sie nur finden und muß sicherstellen, daß sie wohlauf sind. Und es auch bleiben, denn einige von ihnen werden bald gebraucht werden.“, erklärte Therowig zögerlich. Olrik lehnte sich wieder zurück und sah nun skeptisch drein. „Gebraucht? Wofür? Spucks endlich aus, Mann!“, fragte er ungeduldig nach. Therowig nahm sich jedoch die Zeit, einen weiteren Moment zu überlegen. Dann entschied er sich für die Wahrheit. „Sie werden im Krieg gebraucht werden.“

Olrik lachte und ich war überrascht. Auch Therowig schien für einen winzigen Moment verunsichert und blinzelte einmal. „Das sind Bauern, Mann! Einfache Leute. Schneider, Handwerker. Viele Einwanderer aus Ländern, die ich nicht mal aussprechen kann. Die sind froh, daß sie ein Stück Land ergattert haben, daß sie bestellen dürfen. Darum zahlen sie auch gut dafür, dieses Privileg weiterhin behalten zu dürfen.“, rief Olrik aus und lachte wieder. Therowig schüttelte den Kopf. „Einige waren früher etwas anderes und es wird der Tag kommen, an dem sie sich wieder daran erinnern müssen. Und ich werde sie daran erinnern, das ist alles.“, schloß er. Olrik runzelte die Stirn. „Aha, mhm, soso.“, machte er. „Naja, davon versteh ich nichts und das ist mir auch egal. Was immer ihr Krieger da treibt im Osten...so schlimm wird’s schon nicht werden, daß ihr nicht ohne ein paar Breeländer Bauern auskämt.“, mußtmaßte er und ich mußte beinahe schmunzeln.
Ich glaubte aber, Olrik ansehen zu können, daß er verwundert war. Und als er weitersprach, war ich sicher, daß er tatsächlich überrascht und neugierig war: „So einer wie Du redet normalerweise nicht mit einem wie mir. Du hättest meine Faust gespürt und ich vielleicht Deine, also scheint die Sache tatsächlich wichtig zu sein – und ich nehme daher an, daß Du bereit bist, deswegen auch ordentlich was springen zu lassen. Ich würde schließlich einige....Kostenausfälle haben.“, fuhr er an Therowig gewandt fort.
Ich sah nun sehr interessiert zu und beobachtete Olrik noch genauer als zuvor. Ich hielt ihn plötzlich nicht mehr für einfältig, auch wenn er ob seiner ungepflegten Erscheinung und seinem gierigen Blick diesen Eindruck machte. Auf gewisse Weise schien er von Therowigs Handeln beeindruckt zu sein - ein Edelmann, der mit ihm sprach, anstatt sich mit ihm zu schlagen. Aber er mißtraute Therowig, er war vorsichtig. Und wenn er seine Neugier verlor, würde er vermutlich nicht zögern, die Worte verstummen zu lassen und den Schlag nachzuholen. Dennoch war er anders als seine Gefährten, die nervös um das Feuer herumsaßen und ungeduldig auf den Moment warteten, in dem Olrik endlich über die Höhe der Bezahlung verhandeln würde. Es waren streitsüchtige Halsabschneider, nicht mehr und nicht weniger. Aber Olrik erinnerte mich sogar ein wenig an Aramir, Aegmars Bruder – einer, der irgendwann aus irgendeinem Grund von seinem Wege abgekommen war. Und weil er ihn nicht wiederfinden konnte, ging er den falschen, bis es kein Zurück mehr gab. Aber das änderte nichts an unserer Lage und es war auch keine Entschuldigung. Für gar nichts. Das wußte ich wohl am Besten.

Die Männer rückten näher zusammen und vor allem dichter an Therowig heran. Ich betrachtete es mit Sorge. Sie würden eine Antwort erwarten. Was würde Therowig ihnen anbieten? Was würde er ihnen zahlen? Er atmete zum dritten Male tief ein und verlagerte sein Gewicht leicht. Dann hob er das Kinn und sah Olrik an. „Ich glaube, nicht, daß ich genug Gold habe, um Dir das zu bezahlen, was Du verlangen würdest.“, sagte er schließlich und diesmal setzte mein Herz wirklich einen Schlag lang aus. Meine Knie wurden weich und ich setzte einen Fuß nach vorn, doch der Griff um mein Handgelenk sagte mir deutlich, daß ich mich ja nicht bewegen sollte, wenn mir mein Leben lieb war.
Olrik sah Therowig ungläubig an und erstarrte. Er hielt das Gesagte wohl für einen Scherz und das war ein Glück, denn ich war sicher, er hätte sonst sofort ein Messer gezogen und es Therowig zwischen die Rippen gestoßen. Aber nichts geschah. Noch nicht. Ich hoffte ebenfalls, daß Therowig wirklich nur einen Scherz gemacht hatte, so unpassend er auch gewesen war. „Was?“, fragte Olrik, immer noch fassungslos. Therowig nickte und hob leicht die Schultern. „Ich sagte...ich habe vermutlich nicht genug Geld, um Dich zu bezahlen. Ich hoffte jedoch, in diesen Zeiten würdest Du...“ Therowig kam nicht dazu, seinen Satz zu vollenden. Ich wußte, was er hatte sagen wollen. Und so erschrocken ich war, so stolz war ich auch einerseits auf ihn, daß er tatsächlich an das Herz eines solchen Mannes wie Olrik zu appellieren gedachte. Aber töricht war es obendrein, denn es gab eben Männer, die niemals Ehre besitzen würden. Niemals, ganz gleich, wie finster die Zeiten waren. Daß Therowig sich das nicht vorstellen konnte, war seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute zu verdanken und es tat mir leid, daß er nun enttäuscht wurde. Olrik war aufgesprungen und hatte Therowig gepackt. Er hatte ihn umgestoßen, war über ihm und zog ein Messer, daß er ihm an die Kehle hielt. „Ihr feinen Herren seid solch elende Hunde! Reitet durch die Lande in Euren polierten Rüstungen und bildet Euch auf Herkunft und Stand soviel ein, daß es mehr stinkt als die dreckigen Hinterlassenschaften Eurer Pferde! Was bildest Du Dir eigentlich ein, hierher zu kommen mit NICHTS als irgendeinem unsinnigen Geschwafel, daß mir so fern ist wie der Hintern irgendeines dunklen Feldherren, von dem diese Elben die ganze Zeit quatschen, wenn sie irgendwo vorbeiziehen? Ich bin nicht irgendein Junge, den Du herumbefehligen kannst, wie es Dir paßt, verstanden? Also entweder hast Du jetzt Gold dabei oder ich schneide Dir auf der Stelle die Kehle durch!“, fuhr er Therowig an und setzte ein Knie auf seine Brust. Auch die anderen Südländer kamen nun heran, zogen Knüppel, Keulen und einige sogar nur ein paar Steine aus ihren Taschen. „Na los, antworte!“, keifte Olrik weiter und ich sah, wie er das Bein bewegte, um auszuholen und Therowig den Stiefel gegen die Schläfe zu treten. Ich schloß die Augen. Ich wußte, ich hatte nun eine Entscheidung zu treffen.

Eine Entscheidung, die ich zwischen zwei Freunden treffen mußte – und die ich nie hätte fällen wollen. Meine freie Hand wanderte zu dem Schuldschein, der immer noch unter meinem Hemd verborgen an meinem Herzen lag.

Die Nacht wurde zu einem vollkommenen Schwarz hinter meinen Lidern. Ich sah das Lager nicht mehr, ich sah auch die Südländer nicht mehr. Ich sah Aegmars Gesicht, als meine Fingerspitzen das Pergament unter dem Stoff meines Hemdes fühlten. Ich sah den Kampf in seinen Augen, den er mit sich ausgetragen hatte, bevor er es unterschrieben hatte. Unterschrieben, um zu helfen. Unterschrieben, damit das Leben weiterging. Nicht nur für ihn, sondern für alle, die seinem Haus angehörten. Ich sah Therowig, mit dem unendlich guten Herzen, mit seinem fast kindlichen Glauben daran, daß alles gut werden und die Menschen zu sich selbst finden würden, wenn die Welt über ihnen zusammenbrach. Ich wußte, ich war ungehalten mit ihm, daß er nur diesen einen Plan gehabt hatte, nur diesen einen Gedanken, obgleich er sonst so besonnen war und in Kampf und Schlacht mit dem wahrhaft Bösen erfahren. Aber ich konnte kaum zulassen, daß er nun verletzt wurde.
Doch am allerwenigsten konnte ich zulassen, daß meiner Familie etwas geschah. Meiner Großmutter, die unwissend Therowig auf die Fährte jener gebracht hatte, die er zurück nach Hause und in den Kampf holen sollte. Die ihn ebenso unwissend mit den Südländern zusammengebracht hatte. Meinem Vater, dem ich seinen Frieden am allermeisten wünschte. Sie hatten mich beschützt, immer, ganz gleich, was ich getan hatte. Ich mußte nun sie beschützen. Ich mußte...

Und so öffnete ich die Augen wieder. Ich sah immer noch Olriks Fuß, der sich langsam in dem schäbigen Stiefel hob und sich auf Therowigs Kopf zu senken begann.

„Aufhören!“, schrie ich.

Olrik fuhr zu mir herum. Sein Fuß stampfte dicht neben Therowigs Gesicht auf den Boden auf und traf sein langes Haar, daß Therowig leicht den Mund verzog, dem schweren Tritt aber entging. Auch die Köpfe der anderen Südländer drehten sich mir hastig zu. „Wer ist das?!“, rief Olrik aus, bebend vor Wut. „Der Knappe.“, antwortete sein Gefährte, der mich immer noch am Handgelenk festhielt. Ich mußte nun rasch handeln. Sehr rasch. Und meine Entscheidung fiel.
Die Worte meines Bewachers erinnerten mich wieder daran, daß ich eine Rolle zu spielen hatte und so zwang ich mich, meine Stimme zu senken, als ich weitersprach. Daß sie zitterte, konnte ich jedoch nicht verhindern.
„Aufhören. Wir...haben Gold. Mehr...als Ihr Euch vorstellen könnt.“, fuhr ich fort und zog mit der freien Hand langsam Aegmars Schuldschein aus meinem Hemdskragen. Mir wurde elend, als ich mir selbst dabei zusah, wie ich den Arm austreckte und Olrik das Pergament entgegen hielt. Therowigs Lippen formten ein stummes „Nein!“ und seine Augen begannen traurig zu glänzen, doch es war nun geschehen. Olrik ließ von Therowig ab und kam auf mich zu. Er riß mir den Schuldschein aus der Hand, trat zurück in den Lichtkreis des Lagerfeuers – und brach das Siegel.


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#6

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:38
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich schluckte trocken, als ich sah, wie sich seine Stirn in Falten legte und seine Augen über die Zeilen flogen. Er konnte lesen. Seine Gefährten konnten es nicht. Sie drängten sich um ihn herum und blickten ihn schließlich fragend an. „Was steht drin?“, raunte einer von ihnen. Olrik schürzte die Lippen und richtete den Blick langsam wieder auf mich. „Das ist ein Schuldschein.“, meinte er ruhig und sah dann wieder auf das Pergament. „Ausgestellt auf die Summe von 250 Goldstücken. Unterzeichnet von einem A., angetragen an einen Galuior. Wer ist das? Ein Geldverleiher? Ich kenne den Namen nicht.“ Ich atmete einmal tief durch. Ich hatte das Spiel begonnen, nun mußte ich es zu Ende spielen. Daß in Therowigs Augen die Traurigkeit langsam zu Enttäuschung und schließlich Verachtung wurde, durfte ich nicht in meine Gedanken lassen – obgleich ich es deutlich in meinem Herzen spürte. Er sah mich unentwegt an, die Lippen zusammengepreßt und mit einem dunklen Blick, der mir den Verrat vorwarf, ohne daß er ihn mit schmerzenden Worten aussprach. Aber das mußte er auch nicht, die Ahnung dessen, was in ihm vorging, reichte aus, das Blut in meinen Adern in gefrierendes Wasser zu verwandeln und mir Mut und Atem zu rauben.
In seinen Augen hatte ich den Menschen verraten, der am Wenigsten einen schrecklichen Verrat verdiente: Aegmar.
Aber ich konnte ihm jetzt nicht sagen, daß ich keinesfalls vorhatte, das Schriftstück tatsächlich aus den Händen zu geben. Daß ich vorhatte, es zurückzubekommen, noch bevor den Südländern bewußt wurde, wieviel 250 Goldstücke tatsächlich wert waren. Daß es eine Finte war, um aus den Hügeln zu entkommen und dieser grauen Nacht ein Ende zu bereiten. Ich konnte es ihm jetzt nicht sagen, wenn ich das Spiel nicht verlieren wollte – für uns beide nicht.
In sein Gesicht zu sehen ließ jedoch etwas in mir zerbrechen, denn dort stand nicht nur der Vorwurf geschrieben, sondern auch die Erkenntnis: „Ich habe es gewußt. Ich habe gewußt, daß Du uns eines Tages im Stich lassen wirst. Jemandem wie Dir ist eben nicht zu trauen...“ Das sagten seine Augen, das sagten die harten Fältchen, die sich plötzlich in Bitterkeit um seine Mundwinkel legten. Dann seufzte er kraftlos, ließ die Schultern hängen und wandte sich von mir ab.
Ich mußte ein Zittern unterdrücken und den unbändigen Wunsch, mich loszureißen und die Hand nach Therowig auszustrecken, seine kräftige Schulter zu ergreifen und ihm zu sagen: „Vertrau mir, vertrau mir doch!“
Aber jemand ergriff meine Schulter und ich blinzelte. Olrik stand nun genau vor mir, den Schuldschein in der rechten Faust hoch erhoben. Mir war es, als sanken hinter seinem Gesicht alle Sterne vom Himmel, tauchten in das fahle Gras dieses Landes und hauchten dort jeden Funken hoffnungsvollen Lichtes aus, den ich noch in meinem Herzen verspürt hatte. Es war plötzlich kalt, die Luft klirrte und ein dumpfer Schleier legte sich taub auf meine Sinne. So fühlte es sich wohl an, wenn die Welt auf einmal in weite Ferne rückt und ein Wesen einsam zurückläßt, um es zu vergessen. Ich war einsam, inmitten all der Mannen, die mich anstarrten. Und ihnen allen voran war es Olrik, der das tat.
Der Griff an meiner Schulter verstärkte sich, er schüttelte mich leicht, was mich wieder zu Verstand und Klarheit brachte. Seine Stimme riß mich vollends zurück und ich zwang mich, ihn anzusehen. „Der Brief ist vollkommen wertlos.“, knurrte er. „Warum sollte er wertlos sein?“, entgegnete ich leise. Olrik hob eine Augenbraue. „Nun, diesem Galuior ist es vermutlich gleichgültig, wer das Geld bei ihm abholt. Von seinem Interesse ist nur, daß sein Schuldner es ihm zurückzahlt. Aber weder kennen wir diesen Galuior, noch wissen wir, wo er ist. Und alles in allem wäre es uns wohl lieber, wenn Ihr das Gold gleich dabei gehabt hättet!“, fuhr er fort. Ich verlagerte mein Gewicht leicht und beugte den Kopf nach vorn. „Für 250 Goldstücke solltest Du Dir überlegen, ob ein Fußmarsch von ein paar Meilen nicht etwas ist, daß Du auf Dich nehmen könntest, Mann! Und außerdem weiß ich, wo Galuior sich aufhält!“, erwiderte ich.

Ich warf einen Blick über Olriks Schulter auf Therowig. Er saß immer noch am Feuer, den Kopf hatte er in eine Hand gestemmt. Ich mußte nun meine ganze Kraft sammeln, meine ganze Beherrschung, denn in dem, was ich nun sagen würde, lag meine letzte Gelegenheit, Therowig zu erreichen und ihm irgendwie verständlich zu machen, was ich vorhatte: „Galuior ist neu in Bree, er hat ein Haus auf der Hohen Treppe seit Kurzem. Hausnummer 29, wenn ich nicht irre. Aber seine Geschäfte laufen gut, und er ist angesehen. Er ist ein Mensch, ein alter Knabe mit kurzgeschorenem weißen Haar und einer Narbe auf der Stirn.“ Ich sprach es so laut wie möglich aus. Ich hoffte, daß Therowig mir zugehört hatte – dann mußte er einfach wissen, daß nichts von dem, was ich gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Weder war Galuior ein Mensch, noch lebte er in Bree. Und die Hohe Treppe Nr. 29 war ein Zeughaus der Stadtwache gewesen, ob sie es noch benutzten, wußte ich jedoch nicht.
Wie gebannt starrte ich nun Therowig an. Er regte sich nicht, er blickte immer noch in die Glut. Ich vernahm nur ein leichtes Anspannen seiner Kiefermuskeln, aber er sah nicht auf. Ich wagte nicht zu deuten, ob er meine Worte verstanden hatte. Ich konnte es nur hoffen.
„Hmmm....“, machte Olrik nachdenklich. Er überflog noch einmal das Pergament in seiner Hand. Drei seiner Männer, die hinter ihm gestanden hatten, lösten sich plötzlich von ihm. Verhalten gingen sie ein paar Schritte in Richtung des kleinen Lagerfeuers, wo ein Vierter bei Therowig wartete. Sie begannen miteinander zu sprechen. Es war nicht zu verstehen, und auch Olrik bemerkte es nicht. „Hmmm.“, meinte er erneut und fuhr sich mit der freien Hand über das Kinn. Schließlich nickte er und wandte sich ab. „Ich meine, das wäre zu gefährlich. Und auch zu aufwendig.“, sprach er an seine Gefährten gewandt und sah in die Runde.
Einer der Männer am Feuer trat vor und verzog den Mund kopfschüttelnd zu einer Grimasse. „Weißt Du, Olrik, irgendwie dachten wir uns schon, daß Du so befinden würdest. Und – wir sind ganz und gar nicht Deiner Meinung!“ Ein Zweiter trat hervor. „So ist es. Du bist in der letzten Zeit wohl etwas weich geworden. Seit Tagen sitzen wir hier in diesem verdorrten Land herum, ohne etwas zu beißen, ohne die Beute, die Du uns versprochen hast. Triffst Dich sogar mit Edelmännern – zum Reden!“, sagte er duster und spuckte dann verächtlich aus. Olrik erhob die Hände, er begann genauso wie ich zu ahnen, daß sich ein Streit anzubahnen begann. Ich biß mir auf die Unterlippe, das hatte ich nicht vorausgeplant und es kam mir auch nicht eben entgegen.
Olrik erhob wieder den Schuldschein und trat noch näher an das Feuer heran. Mein Bewacher zog mich ein Stück am Arm zurück. Es bahnte sich nicht nur ein Streit an, er brach augenblicklich unter den Südländern aus, kaum, daß Olrik zurück in ihren Kreis getreten war. Er machte einen großen Fehler, er betonte noch einmal die Summe von 250 Goldstücken. Und hatte er noch einmal mit Vernunft handeln und seine Mannen warnen wollen, so ließ dies nur die Gier in ihren Seelen aufflackern und nicht die Vorsicht.
Ich zog scharf die Luft ein, als Olrik der Schuldschein aus der Hand gerissen wurde. Instinktiv streckte ich den Arm vor, als könne ich es verhindern, aber mit einem schmerzhaften Zugriff um meinen Oberarm wurde ich sofort daran erinnert, daß ich nichts tun konnte. Gar nichts. Zweifel nagten an mir: hatte ich doch zu hoch gespielt? Hatte ich nur einen Aufschub für Therowig und mich gewonnen, aber das Spiel verloren und den Einsatz dazu noch unnötig erhöht?

Es wurde laut um mich herum, Stimmen jagten durcheinander, Schimpfen und Brüllen. Und dann fiel der Schlag. Er traf Olrik an der Schläfe und schickte den Hauptmann der Südländer auf die Knie. Den ehemaligen Hauptmann, denn sofort war einer der anderen Männer neben ihm und riß ihm grob die Kette vom Hals, die ihn als Anführer ausgezeichnet hatte. „Wir holen uns das Geld – und Dich möge der Schatten holen, Olrik!“, stieß er drohend aus. Olrik brach zusammen, als ihn erneut ein Schlag traf. Ich erschrak.
Ich hätte geschrien, hätte sich mir nicht eine schmutzige Hand auf den Mund gepreßt, als sie auf Therowig zugingen. Er sprang auf die Füße und ballte die Hände zu Fäusten. Ein vertrauter Griff an seine Hüfte blieb unbeantwortet, sein Schwert war nicht da. Es stand noch am Kopfende seines Bettes in der Taverne.
Ich schloß die Augen, als auch ihn ein Schlag traf. Ich konnte sie nicht mehr öffnen. Und wären es nicht meine Hände, die nun festgehalten worden wären, ich hätte sie auf meine Ohren gepreßt. Der dumpfe Laut, mit dem mein Freund zu Boden fiel, schwer und meinetwegen, war der unerträglichste von allen Klängen, die heute in den Hügeln widerhallten. Einsam war dies Land in der Tat und wo doch Gemeinschaft war, da wurde sie nun entzweit.

„Wenn Du den Schuldschein bei Dir hattest, dann wird dieser Galuior Dich kennen. Das macht es uns einfach. Wir gehen also nach Bree! Auf, Männer!“, hörte ich eine Stimme in mein Gesicht sprechen. Nur mühsam öffnete ich ein Auge und sah verschwommen eine Hand, die sich Olriks zerrissene Kette um den Hals legte. Dann schloß ich es wieder. Ich verlor den Boden unter den Füßen. Ich wurde hochgehoben. Für einen Moment war ich eins mit der schwarzen Nacht. Ein paar Sterne blinkten über mir am Himmel, ein letztes Licht. Ein letztes Paar beschützender Augen. Und dann war es dunkel.


---~---

Therowig drehte sich auf den Rücken. Seine Hand fuhr an seine Stirn und fühlte dort etwas Feuchtes. Sie tastete vorsichtig weiter und zerrieb zwischen den Händen, was sie auch in seinem Haar spürte, an seiner Schläfe, seinem Kinn und weiter hinab an seinem Hals. Er hob die Hand vor seine Augen, die sich nur langsam öffnen wollten und den Blick nicht freigaben auf den grauen Himmel, der weit über ihm in der Morgensonne zu schimmern begann. Er schloß die Augen wieder, wischte die Hand am dürren Gras ab und wälzte sich auf die Seite. Er verbarg das Gesicht in der Beuge seines Ellbogens und atmete tief durch. Vielleicht würde es ja den dumpfen Schmerz vertreiben, der hinter seiner Stirn pochte, in seinem Hinterkopf und irgendwo seitlich unter seiner Schädeldecke. Noch wollte er ihn nicht freigeben und seine Sinne schärfen, seinen Körper seinem Willen überlassen und er atmete erneut tief aus.
Eine Weile blieb er noch so liegen, ruhig in sein Inneres blickend, wie ein Wanderer, der den Pfad inmitten dunkler Nacht verloren hatte und ihn wiederzufinden suchte. Eine Krähe setzte sich unweit auf einen Felsen und blickte auf den Mann hinab, der im halbhohen Gras lag, neben einem erloschenen Lagerfeuer. Sie neigte ruckartig den Kopf, von einer Seite zur anderen und suchte die Augen in dem blutverschmierten, blassen Gesicht, das ihr halb zugewandt war. Vielleicht würde er sterben und vielleicht hatte er schöne Augen, mochte sie gedacht haben, als sie kurz den Schnabel öffnete und auf dem Stein zwischen ihren Krallen herumpickte.
Doch Therowig war weit davon entfernt, dem Tod auch nur einen winzigen Schritt entgegen zu gehen. Er verspürte Übelkeit, als er sich irgendwann mit den Händen auf dem staubigen Boden abstützte, den Oberkörper aufrichtete und sich zwang, sich aufrecht hinzusetzen. Er fluchte. Und er wußte, wenn er fluchen konnte, dann war er davon gekommen und es ging ihm nicht so schlecht, wie er sich dennoch fühlen mochte.
Er schüttelte den Kopf und öffnete die Augen wieder. Mit dem Handrücken wischte er sich endlich das Blut aus dem Gesicht. Zornig riß er ein Büschel vergilbtes Gras aus und schleuderte es im hohen Bogen davon. Die Krähe breitete die Flügel aus und hüpfte zur Seite. „Miststück...“, knurrte Therowig und biß zornig die Zähne aufeinander. Die Krähe ruckte wieder mit dem Kopf und betrachtete den Menschen. „Dich meine ich....und sie meine ich genauso!“, fuhr Therowig den Vogel an. Er ballte eine Faust und wieder flog etwas in Richtung der Krähe, ein Stein, ein Klumpen dreckiger Erde. Der Vogel hüpfte erneut auf und brachte diesmal einen größeren Abstand zwischen sich und den Menschen. „Ja, sie meine ich auch....“, flüsterte Therowig heiser und seine Miene verfinsterte sich. „Was hat sie sich nur dabei gedacht...“

„Sie hat Dir das Leben gerettet, Krieger.“ Eine Stimme schreckte Therowig plötzlich auf und er fuhr herum, bestraft wurde er sogleich mit einem sengenden Schmerz, der von seinem Hinterkopf hinab in seinen Nacken schoß. Er verzog leicht den Mund, doch sein Blick war nun wach und er suchte das Gesicht, zu dem diese Stimme gehörte. Olrik, es war Olrik, und Therowig stutzte. Er drehte sich weiter herum, diesmal ballten sich beide Hände zu Fäusten. Der Südländer-Anführer kniete direkt hinter ihm im gelblichen Gras und rieb sich das Kinn, auch an seiner Haut klebten dunkle Spuren von trockenem Blut. Sein Haar hing ihm in Strähnen in das ungewaschene Gesicht – und er lachte heiser. „Du solltest Dich lieber fragen, was Ihr beide Euch eigentlich gedacht habt. Nur zwei Dinge haben Euch gerettet: die Habgier meiner Männer und der Mut dieses Weibstücks, ihnen jenen Schuldschein zum Fraß vorzuwerfen. Wo auch immer sie ihn herhatte, ganz gewiß war er nicht für uns bestimmt gewesen.“, sagte er und spuckte aus. Therowig runzelte die Stirn. „Woher weißt...“, setzte er an, doch Olrik fiel ihm ins Wort: „Woher ich weiß, daß Dein angeblicher Knappe ein Mädchen ist? Das konnte man sehen, Mann. Als sie mir den Schuldschein hinhielt. Ich kenne keinen Knappen, der so feine Hände und solch schmale Finger hat ohne jegliche Schwielen oder sonstige Merkmale von Arbeit daran. Ich bin doch kein Dummkopf.“, erklärte er und kam dann auf die Füße. Er strich sich über die speckige Hose und klopfte sich den Staub aus dem zerrissenen Hemd. Zu Therowigs Überraschung trat er dann nahe an ihn heran und streckte ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Therowig ergriff sie zögerlich, nickte dann aber dankend.
„Tja, Krieger, so stehen wir hier. Dein Weib ist weg und meine Männer sind es auch. Und vielleicht heitert Dich der Gedanke ja ein wenig auf, daß auch sie sicher bald herausfinden, daß sie kein Kerl ist.“, meinte Olrik, setzte ein schiefes, zahnloses Grinsen auf und lachte erneut. Es klang hämisch. Noch bevor Therowig selbst wußte, was er tat, sah er seine Faust vorschnellen und spürte, wie seine Fingerknöchel Olrik hart am Kinn trafen. Der Südländer sackte wieder auf die Knie, doch sein Lachen riß nicht ab. Er schlug mit der flachen Hand auf den Boden und zuckte die Schultern. „Das hast Du Dir wohl alles ein wenig anders vorgestellt, Krieger.“, sagte er heiser. Therowig wandte sich ab und massierte nachdenklich seine Faust.
Gedanken jagten durch seinen Kopf und doch war keiner klar genug, daß er ihn fassen und genau betrachten konnte. Nur eine Frage war ihm überdeutlich: was sollte er nun tun?

Wieder war es Olrik, der das Wort nach einer Weile ergriff. „Es ist Dir nicht gleichgültig?“, fragte er, blieb aber sitzen und sah Therowig nur von unten an. „Was soll mir nicht gleichgültig sein?“, knurrte Therowig. „Daß sie weg ist...“, erklärte Olrik. Therowig preßte die Kiefer aufeinander und antwortete nicht sogleich. Er spürte noch den Moment des Verrats in seiner Brust, die lähmende Erkenntnis, daß Nariena das größte Geheimnis preisgegeben hatte, daß sie bei sich trug. Und doch konnte er nicht ganz verwerfen, nicht gänzlich widerlegen, daß Olrik ein wenig Recht hatte: es hatte sie beide gerettet. Jedenfalls für den Moment. Doch was war nun: er lebte noch und sie war fort. Olrik war zurückgelassen von seinen Männern, die zweifelsohne auf dem Weg nach Bree waren, um Aegmars Geld zu beschaffen. Aegmars Geld, das ihn zum Schuldner von einem Haufen Halunken machte, ohne daß die Not gelindert werden konnte, für die er jene Schuld überhaupt erst auf sich genommen hatte.
Doch dann fiel es Therowig plötzlich ein. Nein, es fiel ihm auf. Bree. Olrik hatte Bree gesagt. Weil Nariena Bree gesagt hatte. Und Galuior, ein Mensch mit kurzem weißen Haar sollte er sein. Nein nein nein, auf dem Weg nach Bruchtal war sie gewesen, sie hatte es ihm zuvor doch so erzählt. Unten in der Taverne! Bruchtal, nicht Bree. Und Galuior, das wußte er, er kannte ihn schließlich auch, war ein Elb. „Verflucht...welch Irrsinn...verflucht....“, stieß er hervor und legte sich eine Hand auf die Stirn. Es stimmte also, irgendetwas war nicht so, wie es schien. Etwas war gut, das er als falsch erachtet hatte. Nariena hatte in der Tat das Vertrauen gebrochen, das ihr geschenkt worden war, aber sie hatte die Südländer gleichzeitig auf eine falsche Fährte gelockt. Es war an ihm, nun die richtigen Schlüsse zu ziehen. Was hatte sie vor? Daß sie etwas vorhatte war ohne jeden Zweifel. Ebenso, daß sie ihn brauchte...
Therowig drehte sich erneut um zu Olrik. Seine Augen verengten sich. Und dann tat er etwas, das ihm ebenfalls als Irrsinn erschien: er war es nun, der Olrik die helfende Hand hinstreckte. „Du hast Recht, Südländer, es ist mir kein bißchen egal. Und Dir? Ists Dir egal, daß Deine Männer Dich zurückgelassen haben?“ Olrik kam wieder auf die Füße und sah Therowig erstaunt an. Für einen Moment sahen sie sich in die Augen und schwiegen. Dann verschränkte Olrik die Arme vor der Brust. „Glaubst Du, ich will Rache, Krieger? Und wenn ja, wie sollte ich das wohl anstellen?“
Therowigs Lippen verzogen sich zu einem kühlen Lächeln und er zog eine Augenbraue hoch. „Nun...Südländer...ich helfe Dir, wenn Du mir hilfst. So hätte es doch von Anfang an sein sollen, nicht?“

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Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#7

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:39
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Als ich die Augen aufschlug, ahnte ich nicht, daß Therowig vor wenigen Momenten dasselbe getan hatte. Und doch galt mein erster Gedanke ihm. Es dämmerte und ich spürte ein eigenartiges Ruckeln. Mein Körper ebbte auf und nieder, als segelte er im Sturmwind auf einem Floß dahin. Meine Füße schmerzten und meine Handgelenke. Zugleich vernahm ich einen eigenartigen Geruch. Er war streng und alt und meine Wange schabte über trockenes Leder und etwas, daß sich anfühlte wie ein räudiges Fell.
Ich hob leicht den Kopf und sah etwas Graues – doch es war nicht der Morgenhimmel, in den Therowig geblickt hatte, als er zu sich gekommen war. Nein, es war tatsächlich ein Fell, kurz und dicht, und gehörte zu einem Tier. Einem Esel, auf dessen Rücken ich bäuchlings lag. Ich wagte es kaum, um mich zu blicken. Wenn man mich auf einen Esel gebunden hatte, denn so war es, ich spürte die Stricke um meine Handgelenke, so war ich nicht allein. Ich verengte die Augen wieder und ließ das Haupt sinken. Unter mir zog träge das Pflaster einer Straße dahin. Lautlos seufzte ich. Tief einzuatmen wagte ich nicht, ich wollte die Lungen und vor allem meine Nase nicht mehr als nötig mit dem Geruch meines Reittieres füllen.
Das Gras in den Zwischenräumen der Pflastersteine war immer noch gelblich, doch der Straßenrand schimmerte grün. Wir mußten irgendwo in der Nähe der Wetterberge sein, vielleicht auf der Wetterstraße: dort, wo die Einsamen Lande in das Breeland übergingen.
Ich lehnte das Gesicht an den Sattelgurt, der nahe meiner Wange um den Bauch des Esels verlief. „Therowig...“, hallte es in meinen Gedanken und es war ein trauriges Echo, das sie hinterließen. Ich horchte in mich hinein, in das Loch, das plötzlich in meinem Inneren entstanden zu sein schien.
Ich fühlte mich allein, Therowig fehlte. Aber dennoch hatte ich nicht das Gefühl, das unser Abschied, der so plötzlich über uns gekommen war, für immer gewesen sein sollte. Vielleicht war es nur mein Wunsch, denn mein Wissen konnte es kaum sein, daß er noch irgendwo bei mir war. Irgendwo in der Welt. Und daß er vor allem lebendig war. Aber ob es mein Wunsch war, oder meine Hoffnung, sie hielt mich davon ab, mich zu ergeben und einen Funken in meinem Geist zu bewahren, der mir sagte, daß noch nichts vorbei und verloren war. Nein, das Spiel hatte gerade erst begonnen.
„Ich glaube, er ist wach!“, hörte ich eine tiefe Stimme neben mir. Dann griff eine Hand in den Stoff meiner Kapuze und das Haar darunter und riß beides nach oben. Ich unterdrückte einen Laut und funkelte den Südländer an, der mir geradewegs ins Gesicht starrte und plötzlich die Augenbrauen hochzog.
Der Esel kam zum Stehen und mein Bewacher zog meinen Kopf noch weiter hoch, bog ihn zurück in den Nacken, daß ich aufzischte und die Zähne aufeinanderbiß. Eine lange Haarsträhne hatte sich aus meiner Kapuze gelöst und legte sich verräterisch in dunklen Locken auf meine Schulter. „Was ist denn das?!“, rief der Mann aus und ich spürte einen Stich in der Brust. Ja, das Spiel hatte gerade erst begonnen – und wieder einmal würde ich den Einsatz erhöhen müssen.

Ein zweiter Südländer trat zu uns und seine Hand schob sich vor, an mein Haar. Verwundert hielt er die schwarze Locke in seiner Hand und starrte sie an. Dann wurde ich von dem Rücken des Esels gezogen und sollte mich wohl hinstellen, doch meine Beine gaben nach und ich fiel hin. Sie waren taub und kraftlos und so sehr ich gewollt hatte, ich konnte nicht gerade stehen. So gut es ging, bemühte ich mich mit den gebundenen Händen meine Waden zu massieren, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen und das lähmende Gefühl zu vertreiben. Ich beachtete nicht, daß mir die Kapuze vom Haar geschoben wurde und es nun vier Männer waren, die mich beäugten und neugierig betrachteten. Gleich würden sie mir die einfältige Frage stellen, wer ich war, dachte ich duster. Doch auch die noch so einfältigste Frage brauchte eine gute Antwort, wenn man sich in meiner Lage befand. Ich überlegte, während ich weiter meine Waden und meine Füße knetete.

„Was soll das? Wer bist du?“

Da war sie, die Frage. „Offensichtlich kein Knappe.“, war meine vorläufige Antwort. Ich ignorierte die Südländer immer noch und setzte mich nun gerade auf, den Blick richtete ich geradeaus. Ich wollte feststellen, wo ich war. Ich hatte mich nicht getäuscht, die Wetterberge lagen hinter uns. Wir hatten die Oststraße erreicht und die ersten Ausläufer der Mückenwassermoore waren nicht weit.
„Das sehe ich auch, aber das beantwortet die Frage nicht, Weib!“, knurrte einer der Männer. Der neue Anführer der Gruppe, er trug Olriks Halskette. Ich fühlte mich seltsam ruhig, als ich endlich aufblickte und den Mann betrachtete. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen, war schmal und sein Gesicht wirkte ausgezehrt. In seinen Augen jedoch glomm ein waches Licht und ich schätzte ihn sofort ein: schlicht, aber konsequent. Keinesfalls war er gebildet, so wie Olrik es gewesen zu sein schien, aber das würde ihn nicht davon abhalten ein ehrgeiziges Ziel zu verfolgen. Und dieses Ziel war eindeutig: 250 Goldstücke. Seine Schwäche stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Aber wer Schwächen hatte, der hatte auch Stärken, und die kannte ich noch nicht. Ich lehnte mich leicht zurück. Ich würde mehr als vorsichtig sein müssen. Und auch meine Erklärung mußte es sein.
„Ich bin Herrn Therowigs Ehefrau.“, sagte ich. Die Südländer wirkten erst überrascht, dann begannen sie zu lachen. Es klang heiser. „Seine Ehefrau?“, fragte der Anführer nach. „Warum um alles in der Welt sollte ein Edelmann sein Weib mit auf so eine Reise nehmen? Das ergibt keinen Sinn. Die feinen Herren lassen ihre Frauen zu Hause, das wäre ihren Gewändern und ihrem Geschmeide abträglich.“, spottete er, aber ich war noch nicht am Ende meiner Erklärung: „Er wußte auch nicht, daß ich ihm gefolgt bin, bis er mich in der Verlassenen Herberge traf. Da blieb ihm wohl nichts übrig, als mich mitzunehmen, denn gerade, als er mich fortschicken wollte, standen er...“, ich deutete auf einen der Südländer, „...und er vor unserer Zimmertüre, um ihn abzuholen.“
Die Verblüffung unter den Männern wuchs und ich konnte in ihren Mienen noch nicht lesen, ob sie mir glauben würden oder nicht. Aber es streckte sich eine Hand nach meinem Kinn aus und hob mein Gesicht an. „Hübsch, ganz hübsch. Da wird er aber traurig um den Verlust sein, der gute Ehemann.“, sagte der Anführer. Es war seine Hand. Ich entwand ihm mein Kinn rasch, als sein Blick über mich zu wandern begann. „Ja, und Du solltest jetzt keinen Fehler machen, den Du bereuen könntest.“, erwiderte ich.
Grob fuhr die Hand wieder an mein Kinn vor und drückte es schmerzhaft zusammen. „Du hast mir nicht zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe, Weib. Das hat niemand. Und schon gar nicht Du!“, sagte er und das Licht in seinen Augen flackerte auf. „Du hast Recht...“, brachte ich mühsam hervor. „Aber Deine Männer haben es. Denn wenn Du mich anrührst, wird es das Lösegeld erheblich senken, daß Du noch von meinem Mann für mich einfordern könntest. Und ich bin sicher, das würde Deiner Bande nicht so gut gefallen, wenn ich plötzlich weniger wert wäre. Bei Olrik hat es ihnen auch nicht gefallen. Du erinnerst Dich doch noch daran, was Ihr mit ihm gemacht habt?“, fragte ich dann und spannte mich an.
Erleichtert atmete ich innerlich auf, als ich sah, daß meine Worte wirkten. Der Mann stutzte, ein mißtrauischer Blick ging über seine Schulter hintwärts zu seinen Mannen und er rieb sich die Stirn. Er ließ mich schließlich los. „Hmmm.“, machte er und zog sich dann endlich zurück. „Naja, vielleicht.“ Dann machte er eine Kopfbewegung und winkte ihnen zu. „Wir gehen weiter.“, entschied er schließlich. Seine Stimme war nicht mehr so fest wie zuvor, ich hatte Argwohn in ihm geweckt und das war gut so. Zwei seiner Gefährten machten sich daran, mich wieder auf den Esel zu setzen, doch ich hob die gebundenen Hände. „Wenn Ihr nach Bree wollt, wäre es im Übrigen unklug, die Straße zu nehmen.“, sagte ich behutsam und deutete hinüber auf das nahe Moor. „Betrug, Erpressung und Entführung dürften Euch hier nun einen Ruf eingebracht haben, wie ihn nicht viele angesehene Räuber und Diebe genießen - also wählt lieber einen Weg, der nicht bewacht wird, sonst ist es ganz schnell vorbei mit dem Ruf.“
Die beiden Männer lachten wieder, es klang nervös, und sie sahen zu ihrem Anführer. Er knurrte leise. Gewiß wollte er sich von mir keinen Rat geben lassen, doch ich hatte Recht. Das Moor war ein ungesehener, unbewachter Weg. Und ich, ich mußte Zeit gewinnen.
Sie würden nach Bree gehen, aber ich mußte verhindern, daß sie schnell dorthin kamen. Denn meine Worte würden nicht lange wirken, nicht lange genug. Und die Hoffnung war nicht erloschen, daß Therowig mich einholen würde.


---~---

Therowig stieß leise die Luft aus, als er mit den Händen Wasser aus der Schüssel schöpfte und es sich ins Gesicht warf. Es kühlte seine Stirn und seine Wangen, doch vermochte es nicht den Zorn in seinem Inneren zu löschen. Mit düsterem Blick starrte er in das Naß, das zwischen seinen Fingern hindurchrann: es war das gleiche Wasser, das er selbst erst am Abend zuvor in jene Schüssel gegossen hatte. Als Nariena noch bei ihm gewesen war und sein Vorhaben nicht den unseligen Verlauf genommen hatte, wie es nun unabänderlich geschehen war.
Er stützte die Arme auf den Rand des hölzernen Tischchens, auf dem die Wasserschale stand. Hinter ihm räusperte sich jemand vernehmlich. „Krieger, Du wolltest nur Dein Schwert holen und das Gepäck von diesem Weib. Denkst Du nicht, daß wir nun lange genug getrödelt haben und uns langsam auf den Weg machen sollten?“, fragte Olrik ärgerlich. Ihm war in dem Gasthaus, in das sie zurückgekehrt waren, unwohl zumute. Die Blicke des Gastwirtes hatten ihn nervös gemacht und sein Mißtrauen, als Therowig darum gebeten hatte, auch die Sachen Narienas an sich nehmen zu dürfen, hatten ihnen nichts als mißtrauische Fragen eingebracht und seine Laune nicht gerade verbessert.
Doch Therowig rührte sich noch nicht. Er richtete sich nur langsam wieder auf und fühlte noch einmal an der Beule an seinem Hinterkopf. „Krieger!“, rief Olrik erneut, diesmal klang es beinahe wütend. Therowig fuhr zu ihm herum. „Du darfst mich Therowig nennen – und bei Eorl, dann sei still! Ich denke nach.“ Eine andere Antwort bekam Olrik nicht mehr. Therowig wandte den Blick von ihm ab, setzte sich auf das Bett und nach einem kurzen Zögern begann er in Narienas Reisetasche etwas zu suchen. Er hoffte, daß sie irgendetwas bei sich gehabt hatte, daß ihm weiterhelfen konnte. Bestimmt war sie auf Vieles vorbereitet gewesen, daß ihr während ihrer Reise durch die Trollhöhen hätte zustoßen können, wenn nicht gar auf alles. Doch erstaunt stellte er fest, daß sie nicht einmal eine Landkarte mit sich führte. Er fand Wäsche, eingewickeltes Brot, das er sogleich in seine Tasche umpackte, ein paar Kerzen, einen Feuerstein – und ein Buch. „Recht, Gesetz und Ordnung im Breeland“. Er hatte es ihr einst geschenkt, vor etlichen Monaten, wie es ihm vorkam. Damals, nachdem er ihr zum ersten Mal begegnet war und ihm bald klar wurde, daß ihr Leben keineswegs von Ordnung und Gesetz bestimmt war. Warum hatte sie es ausgerechnet jetzt bei sich?
Therowig runzelte die Stirn, dann blätterte er langsam ein paar Seiten um. Er fand getrocknete Athelasblätter, doch als er zwischen den letzten Seiten zwei Passierscheine und sogar ein Empfehlungsschreiben des Bürgermeisters von Bree höchstselbst fand (und welche offensichtlich alle drei gefälscht waren – anders konnte es kaum sein, wenn man Nariena kannte), mußte er plötzlich lachen.

Olrik sah ihn verständnislos an und schüttelte den Kopf. Therowig schlug das Buch wieder zu und steckte es immer noch lachend zurück in die Tasche. Dann endlich fand er, was er suchte, oder zumindest fand er etwas, was ihm wenigstens ein bißchen hilfreich erschien: in einer Seitentasche bewahrte sie ein ledernes Etui auf, in dem eine schmale Feile, zwei Dietriche und mehrere Schlüssel lagen. Er steckte es in seine Hosentasche, dann verschloß er Narienas Rucksack wieder sorgsam und warf ihn sich über die Schulter.
„Wir brechen jetzt auf.“, verkündete er und ging zur Türe. „Na endlich!“, knurrte Olrik. „Es ist ein weiter Marsch bis Bree!“ Therowig hielt dem ehemaligen Räuber höflich die Tür auf. „Oh, ich habe nicht vor, zu laufen.“, meinte er und eilte dann die Stufen hinab. Olrik folgte ihm mit hochgezogenen Brauen.
Therowigs Pferd stand noch im Stall und ganz so, wie er es dem Wirt mit Bitte und vor allem großzügigen Trinkgeld aufgetragen hatte, stand Aegmars Pferd daneben, das Nariena hierher gebracht hatte. Therowig nahm seinen Sattel von der Wand und begann sein Tier zu satteln. „Steh' nicht rum, nimm den anderen Sattel. Der Schwarze da ist Deiner, zumindest für eine Weile.“, raunte er Olrik zu, der auf einmal ganz benommen auf das große dunkle Pferd starrte. „Ich hoffe doch, Du kannst reiten.“, fügte Therowig fragend hinzu. „Natürlich kann ich reiten. Es ist...nur schon eine Weile her. Und ich habe noch nie so ein gutes Pferd gesehen...“, gestand Olrik. Vorsichtig trat er an den Hengst heran und umrundete ihn, als befürchtete er, daß er jeden Augenblick wieder verschwinden könnte. „Gut. Soll ich Dir helfen oder weißt Du wenigstens noch, wie man ein Pferd sattelt?“, fuhr Therowig fort. Behutsam zog er den Sattelgurt um den Bauch seines Reittieres fest.
Olrik sagte nichts mehr, mit beinahe erstaunlich geschickten Händen machte er sich nun seinerseits ans Werk und wuchtete den Sattel auf das schwarze Pferd. Dann zäumte er es auf und führte es langsam aus dem Stall. Das Aufsitzen gelang ihm leicht, aber er senkte den Kopf, als er bemerkte, wie Therowig ihn dabei genau beobachtete. Vielleicht aus Sorge um das edle Pferd, vielleicht auch aus Verwunderung. „Man wird nicht als Räuber geboren, genausowenig wie man als Soldat geboren wird. Es ist ein langer Weg bis dahin.“, beantwortete Olrik Therowigs unausgesprochene Frage.
Therowig nickte. „Wenn Du das sagst, Olrik...“, meinte er schlicht und schwang sich dann seinerseits in den Sattel. Er nahm die Zügel und sie trotteten langsam zur Straße.

Es standen Wolken am Himmel und bald würde es anfangen zu regnen. In der Luft lag ein Knistern, vielleicht würde auch ein Gewitter heraufziehen. Therowig war das Recht, denn wenn das Wetter schlecht war, waren auch weniger Reisende auf den Straßen unterwegs. Er ritt voran und Olrik folgte ihm. Sie waren eine merkwürdige kleine Gesellschaft und in der Tat waren es die Pferde, die dieses Bild bewirkten. Zwei Rösser, die ausgebildet für Schlacht und Krieg waren: groß und stark und bestückt mit dem besten Zaum und dem teuersten Sattel, die lange Reisen überstehen konnten, ohne viel Schaden zu nehmen. Doch die Reiter paßten keineswegs zu diesen Tieren: der eine, der vorgab, ein einfacher Landsmann zu sein und in staubigem Leinen steckte, weil er einen Handel mit südländischen Räubern hatte schließen wollen – und der andere tatsächlich einst ein Räuber, der nun keiner mehr war, weil er diesem Handel nicht hatte stattgeben wollen.
Therowig schüttelte abermals den Kopf. Sollte die Miliz ihn und Olrik aufgreifen, würde er in große Erklärungsnot kommen und konnte nur hoffen, das vielleicht das ein oder andere bekannte Gesicht darunter wäre. Vielleicht wurde das Wetter aber sogar zu schlecht für die Miliz, denn wie die Dinge nun lagen, war es das Beste, jeden, der irgendetwas mit dem breeländischen Gesetz zu tun hatte, aus diesen Dingen herauszuhalten. Daß er das einmal denken, geschweige denn jemals in die Tat umsetzen würde, hätte er sich gerade einmal vor zwei Tagen noch nicht vorstellen können. Nein, er hätte es auch nicht annähernd in Erwägung gezogen und ein bißchen konnte er sich dafür aber nun vorstellen, wie es Nariena manchmal ergehen mußte.
Es gab Angelegenheiten, die regelte man besser auf seine Weise und auch wenn man mit der Miliz, dem Recht und der verfügten Ordnung dabei sogar auf der gleichen Seite stand, konnte einem das nicht weiterhelfen. Und wenn man einmal in Konflikt mit den Obrigkeiten geraten war, dann war das vielleicht gar nicht mehr gutzumachen und sie halfen einem nie wieder. Doch soweit würde Therowig es keinesfalls kommen lassen. Trotzdem seufzte er, als er einen Blick zurück über seine Schulter auf seinen Begleiter warf.

Olrik schloß im gleichen Moment zu ihm auf, als hätte er diesen Blick als Aufforderung verstanden. „Sag mal, Therowig...was mich wirklich beschäftigt...es war tatsächlich Dein Ernst, als Du zu mir und meinen Männern gekommen bist, daß Du nicht vorhattest uns irgendetwas anderes anzubieten als Ehre und Vernunft?“, sagte er. Er grinste leicht dabei, doch als Therowig ihn ansah, schien da auch eine ernsthafte Neugier im Gesicht des Räubers zu stehen, die er zu verbergen suchte. „Was ist falsch an Ehre und Vernunft?“, entgegnete er, fügte aber gleich hinzu: „Ja, das war mein Ernst – und offensichtlich der größte Irrsinn, der mir je eingefallen ist.“ Olriks Grinsen wurde etwas breiter, aber gleichzeitig nickte er. „Irrsinn, ja, so scheint es wohl. Und dennoch halte ich Dich einfach nicht für dumm genug, Therowig, als daß ich glauben würde, daß Du nicht einen guten Grund für Dein Handeln hattest. Du hast vom Krieg gesprochen, und Leuten, die Du finden willst, weil sie gebraucht werden. Alle reden vom Krieg, in jeder Gegend, in die ich kam. Das hat mich bisher nicht sehr interessiert, aber seit Deiner Tat gestern kann ich nicht mehr sagen, daß dieser Krieg nur eine Kleinigkeit zu sein scheint, die hier niemanden zu kümmern braucht.“, meinte Olrik.
Therowig atmete tief aus. „Sieh es einmal so, Olrik: wenn der Krieg auch bis hierher kommen wird, und das wird er, wenn sich niemand dem Gegner stellt, dann wirst weder Du noch Deine Bande lange etwas von den Reichtümern haben, die ihr ergaunert habt. Insofern sollte es überaus vernünftig sein, denen, die sich geschworen haben, daß sie sich dem Kommenden stellen werden, nicht im Weg zu sein.“
Olrik senkte den Blick. „Wie lange glaubst Du, wird es dauern?“, fragte er. „Was? Der Krieg?“, sagte Therowig und sah hinauf in die Wolken, sie waren jetzt dicht und zogen schnell über den Himmel. Sobald der Wind sich legte, würde es regnen. „Nein, bis man ihn auch in Bree spüren wird.“, erwiderte Olrik. Therowig zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht, Orks sind schnell. Und das, was sie antreibt, wird ihnen erst recht Beine machen. Noch ist er weit im Osten und wir glauben, daß die Orks bald den Goldenen Wald von Lothlorien angreifen werden. Darum haben die Elben zuerst die Schlacht über den Anduin getragen: den Feind schwächen, bevor er zu stark wird. Das halte ich für eine weise Entscheidung, auch wenn das Kreaturen geweckt hat, deren Schrecklichkeit Du Dir nicht annähernd vorstellen kannst.“, erklärte er dann.
Olrik schien weiterhin interessiert. „Und hast Du gegen sie gekämpft? Diese Kreaturen, meine ich.“ Therowig nickte zögernd. Über Orks, Trolle, geflügelte Untiere und Ringgeister wollte er sich jetzt nicht unterhalten. „Ja, das habe ich. Ich war dort. Darum weiß ich auch, daß die Elben von Lothlorien jeden Verbündeten an ihrer Seite brauchen, den sie bekommen können.“ Mehr sagte er nicht und preßte die Lippen aufeinander. Er richtete den Blick geradeaus auf die Wetterberge. Ihre Spitzen versanken bereits in tiefhängenden Wolken und grauer Nebel zog an ihren Flanken vorbei.
Olrik fragte nichts mehr. „Dann muß Dir mein Leben wirklich verachtenswert erscheinen.“, meinte er nur noch. Therowig sah ihn ein letztes Mal an. „Leben ist nie etwas, das man verachten sollte.“


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#8

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:40
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Meine Füße sanken immer wieder leicht in den sumpfigen Boden ein. Bald waren sie naß und ich hatte das Gefühl, die Sohlen meiner Stiefel seien so durchweicht, daß sie sich bald auflösen würden. Tatsächlich geriet ich ständig in knietiefe Wasserlöcher, die mit Gras und Schilf überwachsen waren, so daß sie kaum zu erkennen waren. Das brackige Wasser des Moores lief mir oben in die Stiefel hinein und sog sich im Stoff meiner Hose fest.
Mein Trost war jedoch, daß es meinen Begleitern nicht besser erging – und einige von ihnen hatten nicht einmal Stiefel an. Wir kamen nur langsam im Moor voran. Der Untergrund war matschig, moderig und nur an wenigen Stellen fest genug, daß er einem Pfad ähnelte. Leid tat mir nur der Esel, der bei uns war, und dem die Männer ihr ganzes Gepäck aufgebürdet hatten, seit ich mich geweigert hatte, mich noch einmal auf dieses Tier zu setzen. Er sank bis zum Bauch ein und sie zogen dann so fest an seiner Leine, daß ich wähnte, sie würden ihm den Kopf abreißen.
Doch das Einzige, was mich nun kümmern durfte, war der Gedanke daran, Bree zu erreichen.
Yarik hieß der neue Anführer der Bande, das hatte ich herausgefunden, während ich ihren kargen Gesprächen gelauscht hatte. Und er war es auch, der meinen Schuldschein bei sich trug. Ich behielt ihn im Auge, ich wandte kaum den Blick von ihm – jedenfalls so oft, wie ich konnte, ohne daß ich befürchten mußte, daß er bemerkte, daß ich mich nicht so sehr in mein Schicksal ergeben hatte, wie ich es ihn glauben lassen wollte.
Ein paarmal dachte ich sogar daran, ob es mir nicht doch gelingen könnte, ihm den Brief zu entwenden und zu entkommen, doch bis jetzt hatten sie mir die Hände noch nicht losbinden wollen. Und ich bezweifelte fast, daß sie es überhaupt tun würden. So war es schwer, das Gleichgewicht zu halten und ich hatte damit für den Moment nur die Sorge, nicht im Moor zu versinken und zu hoffen, daß wir bald einen Trampelpfad oder eine andere Passage entdecken würden, die uns das Vorankommen wenigstens etwas erleichterte.

Gegen Mittag begann es zu regnen und ich seufzte innerlich. Alles, was an Kleidern noch trocken gewesen war, wurde nun ebenfalls naß und ich ließ die Schultern hängen. Tief zog ich mir die Kapuze meines Umhangs über das Haar und in die Stirn. Therowigs Hemd war es, daß ich immer noch trug, auch nachdem mein Mummenschanz längst aufgeflogen war, das mich unter dem Reisemantel noch ein bißchen wärmte und daran erinnerte, daß auch der schwerste Weg ein Ziel hatte und ich nicht so allein war, wie ich mich fühlte.
Ich ertappte mich immer wieder dabei, daß ich mich umdrehte oder nach Süden in Richtung der weit entfernten Straße blickte, um Ausschau zu halten, ob ich ihn nicht vielleicht irgendwo am wolkenverhangenen Horizont entdecken konnte. Doch ich blieb einsam. Allein mit fünf Südländern und nur einer vagen Hoffnung darauf, daß das Spiel, das ich begonnen hatte, doch noch gewonnen werden konnte.

Der Tag war grau und die Sonne fand ihren Weg nicht zurück ins Breeland. Wir wußten es nicht, konnten es nur ahnen, daß uns die Dämmerung bevorstand, als die Wolken über uns immer dunkler wurden. Wir waren viele Meilen gegangen, aber weit waren wir nicht gekommen. Oftmals mußten wir große Bogen gehen, um moderige Tümpel und weite Wasserlöcher herum. Ich hatte erreicht, was ich wollte: dieser Weg durch das Moor kostete viel Zeit und Mühe. Wir kamen Bree nur langsam näher und wenn wir die Stadt erreichen würden, dann würden wir erschöpft sein und ohne Kraft. Doch auch meine Kraft war es, die langsam schwand.
Die Männer um mich herum fluchten und ich vernahm, wie sie die Entscheidung, diesen Weg zu wählen, in große Zweifel zogen. Yarik, zum Glück, blieb standhaft und machte nicht rückgängig, daß wir diese Pfade nahmen.
Er gab sich große Mühe, seine Sache als Anführer besser zu machen als Olrik – meine Worte wirkten noch in ihm und schürten immer noch die Unsicherheit, daß er seinen neuen Posten genauso schnell loswerden könnte wie Olrik zuvor. Es war nach wie vor das größere Übel für ihn, entdeckt zu werden, als jenen kraftschindenden Weg durch das Moor zu gehen.
Langsam begann die Männer jedoch der Gedanke zu beschäftigen, was sie weiterhin tun sollten, wenn wir Bree erreicht hatten. Mitten durch die Stadt zu gehen, noch dazu mit einer gefesselten Frau in ihrer Gesellschaft, erschien selbst diesen Tölpeln als unmöglich. Ich hoffte darauf, daß Yarik wieder meinen Rat suchen würde – und wenn er es tat, dann würde ich ihm schon sagen, was er tun sollte...

Es begann zu donnern und die Nacht senkte sich über den Sumpf. Yarik hatte versucht eine Fackel zu entzünden, doch der Regen löschte sie immer wieder aus. Und in der Finsternis über das Moor zu stolpern, würde bald zu einer tödlichen Falle werden. Als wir eine Stelle fanden an einem der zahlreichen Tümpel, die einigermaßen mit festem Untergrund umgeben war, ließen wir uns einfach nieder. Ich versuchte mich an dem Gedanken zu erhellen, daß uns der Regen wenigstens die Mücken vom Leibe hielt, die dem Moor seinen Namen gegeben hatten. Noch.

Ich zog die Knie unter das Kinn und lehnte die Wange darauf. Ich dachte zurück an mein Zimmer in dem schönen großen Haus, das nur einen Tagesritt von diesem Lagerplatz im Sumpf entfernt irgendwo in den Hügeln um Bree lag, und das ich erst vor zwei Tagen zurückgelassen hatte. War es wirklich erst zwei Tage her? Die Ereignisse hatten sich in dieser kurzen Zeit so überschlagen, daß es mir vorkam, als sei ich bereits vor Wochen aufgebrochen. Ich dachte an Magda, die um diese Zeit das Abendessen bereitete und das Feuer, das im Kamin in der Halle brannte und das bei einem aufziehenden Gewitter umso einladender und gemütlicher wirkte. Und an Aegmar, der gewiß in seinem Arbeitszimmer saß, an seinem großen geschnitzten Schreibtisch und der ahnungslos war über das, was ich getan hatte. Ich seufzte und legte die Stirn nun auf meine Knie.
Der Donner grollte lauter und vermischte sich mit Yariks Stimme: „Natürlich können wir nicht am hellichten Tage die Stadt durchqueren, wir werden warten, bis die Nachtwache beginnt. Und dann gehen wir durch das Nordtor, das ist der kürzeste Weg zur Hohen Treppe. Wir lassen das Weib vorgehen, und wenn dieser Geldverleiher einem nächtlichen Besucher den Kopf abschlagen möchte, dann wird es wenigstens ihrer sein.“ Ich schmunzelte, als ich ihn so reden hörte. Und sogleich gab es einen Protest: „Wenn er sie umbringt, bekommen wir kein Lösegeld. Wir locken ihn aus dem Haus. Dann sind wir Fünf gegen Einen!“
Ich verdrehte leicht die Augen. Gegen harmlose Bauern und alte Damen wie meine Großmutter mochten diese Kerle wohl großen Schrecken verbreiten, aber wirklich große Geschäfte hatten sie offenbar noch nie gemacht – sonst hätten sie wohl gewußt, daß man das nicht auf offener Straße tat.
Ich schüttelte den Kopf. Yarik bemerkte es. „Aha, das Weibsbild ist nicht einverstanden. Was würdest Du denn vorschlagen, hm?“
Ich hob leicht das Kinn. „Vergeßt nicht, daß nicht nur ihr etwas von Galuior wollt, sondern er auch von euch. Er ist froh, wenn er Geld verleihen kann, schließlich lebt er von den Zinsen. Er wird niemanden umbringen, das verdirbt die guten Beziehungen zur Kundschaft.“, erwiderte ich und konnte mir einen sarkastischen Unterton nicht verwehren. Yarik reagierte darauf jedoch nicht. „Aber Du hast recht, daß ihr nicht am Tage zu ihm gehen könnt. Und zudem sollte einer von euch allein vorgehen und euch anmelden.“, fuhr ich fort. Ich wollte erreichen, daß sie sich trennten – aber Yarik schnaubte mißbilligend. „Allein?“, meinte er. Ich nickte rasch. „Einer von euch fällt nicht auf in Bree. Auch der Zweite nicht, der ihm bald folgt. Und der Dritte ein wenig später...“ Yarik schnaubte wieder, aber er sagte nichts mehr. Ich ahnte, daß er nachdachte. Ich hoffte es.

Ich fand kaum Schlaf in dieser Nacht. Bei Weitem nicht genug, daß es mir mühelos gelang, mich am nächsten Morgen auf die Beine zerren zu lassen. Es gab für jeden ein Stück altbackenes, im Regen aufgeweichtes Brot zum Frühstück, dann trieb Yarik die Schar weiter. Der Regen hatte aufgehört, dafür kamen die Mücken.
In endlosen Schwärmen kreisten sie uns ein und besetzten jedes Stückchen Haut, das nicht von genügend Stoff verhüllt war. Ich war dankbar für den langen Umhang, den ich besaß, und ertrug die Blicke der Männer nur schwer, die sich immer wieder darauf hefteten.
Nacheinander trotteten wir dahin, die Augen auf den Untergrund gerichtet, um nicht doch unversehens in eines der sumpfigen Löcher zu geraten, die uns verschlucken würden.
Ich versuchte meine Gedanken mit etwas zu beschäftigen, das mich ablenken würde. Das meinen Willen geradeaus richtete auf das, was kommen würde. Doch es gab zuviel, das unsicher war und es gelang mir nicht. Ich wußte ja nicht einmal, ob Therowig auf meiner Spur war. Wenn er es nicht war, wenn wir ihn nicht irgendwo in Bree treffen würden, dann mußte ich erklären können, warum es in dem Haus, das ich beschrieben hatte, weder einen Galuior noch große Reichtümer gab – und warum es vielleicht sogar noch im Besitz der Stadtwache als Zeughaus war. Vermutlich würde es keine Erklärung geben, die gut genug war, um zu verleugnen, daß ich im Sinn gehabt hatte, die Südländer irre zu führen und zu betrügen. Doch für den Moment mußte mir genügen, daß mir nicht einer von ihnen meinen Umhang stahl, um sich selbst vor den Mücken zu schützen.
Sie krochen in die Haare, in die Hemdskrägen und Ärmel. Sie saßen in den Stiefeln und gar in Ohren und Nasen.
Kaum hatte ich das gedacht und wieder einen gierigen Blick finster beantwortet, griff eine Hand nach mir und packte mich am Arm. Sie stieß mich grob an und mit den gebundenen Händen konnte ich mein Gleichgewicht nicht halten. Ich fiel hin. Ich griff in den Stoff und bohrte meine Finger hinein, so fest ich nur konnte. „Gib mir den Mantel, Weib.“, knurrte mich eine Stimme an. Meine Augen funkelten und ich schüttelte wild den Kopf. Ich spürte Wut in mir, die ich kaum zurückhalten konnte.
„Ihr habt mir bereits viel genommen. Ihr werdet mir nicht auch noch das wegnehmen.“, sagte ich und blickte entschlossen auf. Der Mann, der sich nun nach mir bückte und wieder nach meinem Arm griff, lachte auf. „Sieh an, das ist ja eine richtige Wildkatze. Wie schade, daß wir schon andere Pläne mit Dir haben, sonst wärst Du ganz nach meinem Geschmack.“, grunzte er. Ich preßte die Lippen zusammen. Yarik trat zu uns, seine Miene war sichtlich amüsiert. „Was ist denn los?“, fragte er. Sein Freund richtete sich auf. „Ich will den Umhang, gegen diese verdammten Mücken. Aber sie läßt ihn nicht los.“, erwiderte er. Yarik hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme. „Für gewöhnlich nehmen wir uns einfach, was wir haben wollen.“, meinte er dann. „Du hast gesagt, die Frau bleibt unangetastet. Wirst Du Deine Meinung ändern, Yarik?“ wandte sich der Räuber wieder an ihn. Yarik schürzte die Lippen und ich legte aufmerksam den Kopf schief, ihn genau beobachtend.

Yariks Männer waren unzufrieden, sie waren launisch. Der Weg durch den Sumpf machte ihnen zu schaffen – vielleicht würde er seine Meinung wirklich ändern, um sie aufzuheitern. Und ja: er tat es. Er nickte.

„Warum machen wir uns nicht einen kleinen Spaß und Du kämpfst mit ihr um den Umhang?“, schlug er vor. Der Südländer sah ihn ungläubig an. Ich tat es ebenso. „Ich soll gegen ein Mädchen kämpfen?“, fragte er skeptisch. „Na, warum nicht? Gerauft hast Du ja schon mit ihr. Wenn sie ihren Umhang so verteidigt, soll sie es doch tun. Oder traust Du Dich nicht gegen ein Weib, Eron?“, grinste Yarik nun.
Auch die anderen Südländer traten an uns heran. Einer von ihnen pfiff laut. Dann lachten sie. Eron, der Angesprochene strich sich mit der Hand über das Kinn, dann griff er nach mir, zog mich auf die Beine und nahm sein Messer aus dem Hosenbund. Er zerschnitt die Stricke um meine Handgelenke und ich seufzte beinahe dankbar auf. Sofort spürte ich ein Kribbeln in den Händen, als die Taubheit in ihnen nachließ. Eron behielt das Messer in der Hand. Ich drehte mich zu Yarik. „Und womit soll ich kämpfen? Er hat ein Messer, ich habe keins.“, sagte ich.
Yarik löste seine Arme und griff nun seinerseits hinten an seinen Gürtel. Er zog ein schartiges Häutemesser hervor. „Hier, Du kannst das nehmen. Das reicht, ich will nicht, daß Ihr Euch ernsthaft verletzt. Aber ich will nicht sagen, daß ich jemandem die Möglichkeit nehmen würde, sein Eigentum zu verteidigen.“ Ich nahm das Messer. „Hälst Du das bei Deinen Überfällen auf Bauern und Händler auch so?“, sagte ich spöttisch, als ich es betrachtete. Yarik antwortete nicht. Ich hatte auch keine Antwort erwartet. Stattdessen meinte er aber: „Nein, aber bei Frauen, die nicht sind, was sie vorgeben. Nicht wahr, Stallbursche? Oder doch lieber Ehefrau eines Kriegers? Oder was auch immer Du bist?“
Ich hatte nun die Wahl: ich konnte ihnen zeigen, wer ich war. Dann würden sie mir nicht mehr glauben, was ich ihnen gesagt hatte – und noch zu sagen plante. Oder ich verlor meinen Umhang und der Rest dieser Reise würde mir so unangenehm werden, daß ich es vermutlich kaum noch ertragen konnte. Ich betrachtete abermals das Messer in meiner Hand. Wieder stand ich vor einer Entscheidung, die ich kaum treffen wollte – vor allem nicht, als wieder ein Dutzend Mücken auf meinem Handrücken landeten und nach meinem Blut stachen.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#9

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:41
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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Das Pferd tänzelte leicht unter ihm, als Therowig plötzlich straff die Zügel anzog, um das Tier zum Halten zu Zwingen. Er hob eine Hand an die Kapuze und schob sie aus der Stirn. Sein Blick war ernst und er verengte leicht die Augen. Bree lag im Dunst der Mittagssonne vor ihm, die Felder um die Stadt dampften noch vom Regen der vergangenen Nacht und bildeten Mauern aus weißem Nebel, der zwischen den Grashalmen umherkroch.
Olrik schloß zu Therowig auf. „Da sind wir.“, sagte er leise und blickte den Gefährten von der Seite an. Therowig erwiderte den Blick nicht, aber er griff an seine Schulter, zog den Reisesack herunter und warf ihn Olrik zu. „Zieh irgendwas davon an. Wenn wir in die Stadt reiten, solltest Du wenigstens nicht wie ein Räuber aussehen, auch wenn Du einer bist.“ Olrik schnaufte, öffnete die Tasche aber und suchte mißmutig darin herum. „Ach ja, und Du glaubst, das ändert irgendetwas, Therowig? Ich vergaß, Du glaubst ja an viele merkwürdige Dinge.“, spottete er, als er sich ein Hemd aus der Tasche nahm, vom Pferd absprang und dann begann sich umzukleiden: in Gewänder, die eigentlich Therowig gehörten, einem Edelmann. Einem Soldaten. Was von Beidem Therowig nun aus ihm zu machen versuchte, schien noch nicht entschieden zu sein. Aber es leuchtete Olrik ein, daß es wohl besser war, seinem Gedanken Folge zu leisten. In Bree würde ihn sonst jedermann anstarren – und vielleicht Fragen stellen.
„Ich fürchte, ich habe in den letzten Tagen lernen müssen, daß die Dinge oftmals nicht so sind, wie sie scheinen. Das man sein kann, was man sein möchte – wenn nur andere glauben, daß man es ist. Und man kann es sie glauben machen, dazu gibt es offenbar genügend Wege.“, sagte Therowig. Daß er dabei an Nariena dachte, sagte er nicht.
Olrik betrachtete seine alte zerschlissene Kleidung, seine zerrissene Hose und sein geflicktes Wams, die nun zu seinen Füßen auf der Straße lagen, dann stieß er sie achtlos ins Gebüsch. Mit den Händen rieb er sich über das Gesicht, um ein wenig den Schmutz und den Staub daraus zu vertreiben.
Seit Jahren hatte er sich nicht beklagt, nie daran gezweifelt, daß es nicht genug war, das Wenige zu besitzen, das er hatte. Niemand zu sein und sich dennoch zu nehmen, was ihm gerade über den Weg lief – es aber auch genauso schnell wieder zu verlieren. Aber jetzt schlüpfte er in die Haut eines anderen Mannes, der er vielleicht vor langer Zeit einmal gewesen war, und der er wieder sein könnte, auch wenn nur neue Kleider dazu nicht ausreichten. Er griff in die Mähne des schwarzen Pferdes, das ruhig neben ihm stand, und das diesem Mann gehörte. Er setzte den Stiefel in den Steigbügel des Sattels und schwang sich wieder auf den Rücken des edlen Tieres. Therowig fing die Tasche auf, als Olrik sie ihm zurückgab. Seine Miene war immer noch unbewegt.

„Du denkst an das Mädchen.“, meinte Olrik. Therowig warf ihm einen Seitenblick zu, richtete die Augen dann wieder über die Felder in Richtung der Stadt und nickte. „Warum gehst Du nicht einfach zum Quartier der Stadtwache und sagst ihnen, was vorgefallen ist? Sobald sich meine Männer auch nur durch das Stadttor trauen, wären sie gefangen.“, fuhr Olrik fort. Therowig schmunzelte, dann lachte er leise – aber es klang keineswegs fröhlich. „Das könnte ich wohl tun, aber dann hätte ich einige Dinge zu erklären, welche die Wache nicht zwingend auf meine Seite bringen würde. Oder glaubst Du, Geschäfte mit Südländern machen hier einen besonders guten Eindruck?“, erwiderte er. Olrik hob eine Braue. „Du hattest kaum eine Wahl.“, entgegnete Olrik, aber Therowig schüttelte abermals den Kopf. „Ich bringe das aus eigener Kraft zu Ende.“, entschied er. „Deine Ehre, ich verstehe.“, spottete Olrik erneut, schwieg aber sofort wieder, als er in Therowigs Gesicht blickte. Olrik hatte schon in viele Gesichter geblickt, die entschlossen waren. Aber das, in welches er nun blickte, barg nicht nur Entschlossenheit, sondern auch Schuld, die ihn plötzlich sonderbar berührte. „Du wirst nicht zulassen, daß dem Mädchen etwas passiert. Daß sie vielleicht sogar stirbt. Ich habs begriffen.“, murmelte er und zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht, daß Du das begreifst, aber Du hast Recht, denn so wird es sein.“, erwiderte Therowig, dann trabte er langsam wieder an,. Olrik seufzte und folgte ihm.
„Übrigens, Krieger...haben wir noch eine Vereinbarung zu treffen.“, wandte er sich nach einer Weile wieder an seinen Begleiter. „So?“ Therowig antwortete nur knapp. „Ich helfe Dir, so war es abgemacht. Aber ich will, daß Du mir Yarik überläßt. Du rührst ihn nicht an, er ist meine Sache. Diese Rechnung werde ich begleichen.“ Therowig dachte einen Moment nach, dann nickte er. „Rache ist Dein Geschäft, Olrik. Ich werde versuchen, Dir nicht im Weg zu sein.“
Olrik war zufrieden. Er strich sich das Haar zurück und richtete sein neues Hemd. Schweigend ritten sie weiter, durch die Felder. Das Gras duftete nach Blumen und Kräutern und irgendwo in der Ferne wurde Heu geschnitten. Die Sonne brach schließlich durch die Wolken und brachte das grüne Land zum Leuchten.

Friedlich lag Bree in der weiten Talsenke, doch Therowig betrachete die Stadt mit gänzlich anderen Augen, als sie sie schließlich erreichten. Der Frieden war nur ein freundlicher Schein für die, die ahnungslos waren. Er hatte Finsternis im Herzen. Und er trug sie nun durch das Stadttor, verborgen hinter einem Lächeln. Olrik folgte ihm, und was in seinem Herzen war, das konnte er nur erahnen.


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Ich schloß für einen Moment die Augen und atmete lautlos aus, dann drehte ich das Messer herum, so daß der Schaft auf Yarik zeigte. Ich gab es ihm zurück. „Dein Freund kann den Umhang haben.“, sagte ich leise. Ich vernahm ein Raunen, das Enttäuschung verriet. Ich löste die Spange meines Mantels und ließ ihn fallen. Ich warf keinen Blick mehr darauf, sondern entfernte mich stattdessen ein paar Schritte, bis ich die Männer umrundet hatte und auf das weite Moor sehen konnte. Ich spürte, wie sie mir zögernd nachsahen, doch sie hielten mich nicht zurück.
Ich ärgerte mich über den Verlust meines Umhangs und rieb mir über die Hände, um die Mücken zu vertreiben, die sich darauf gesetzt hatten. Ich spürte ihre Stiche, doch dann wurde mir bewußt, daß ich zwar etwas verloren hatte, doch viel mehr gewonnen: meine Hände waren nicht mehr gebunden. Und für den Augenblick jedenfalls, dachte auch keiner meiner Begleiter daran, das wieder nachzuholen. „Weiter.“, knurrte Yarik hinter meinem Rücken und die Schar setzte sich wieder in Bewegung. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und es blieb auch, als jener an mir vorbeiging, der nun meinen Umhang trug. Das Wappen auf seinem Rücken, die Faust, die fest eine schlanke Feder umfaßt, wirkte dort fehl am Platze, doch auf sonderbare Weise gönnte ich dem Mann das Kleidungsstück plötzlich. Ich hatte mein höchstes Gut zurück: ein Stückchen Freiheit, auch wenn ich immer noch im Bann Yariks und seiner Mannen war.

Der Tag zog träge vorüber und am Nachmittage fielen warme Sonnenstrahlen auf das Moor. Die Mücken begrüßten das Licht und hatte ich gedacht, daß es nicht mehr werden könnten, die uns umschwirrten und uns verfolgten, so hatte ich mich geirrt.
Doch die Stunden verstrichen, irgendwie. Und irgendwie setzten wir einen Fuß vor den anderen, taten einen Schritt nach dem nächsten und kamen Bree immer näher. Unsere Gesichter spiegelten sich im braunen Wasser, das jetzt ganz ruhig um uns herum zu glitzern und zu funkeln begann. Stechfarn und Schilf wiegten sich dem Himmel entgegen und zu unserer Linken begannen sich deutlich die Mauerreste der alten Marschwasserfeste im Sumpf abzuzeichnen, die vor langer Zeit von den Dunedain erbaut worden war. Überwachsen von Efeu und Moos lag das Gemäuer schief im Wasser. Die Türme versunken, die Zinnen geborsten von Wind und stetem Regen, und doch erfüllte mich der Anblick der alten Steine mit neuem Stolz.
Als es zu dunkeln begann, suchten wir Schutz zwischen den eingestürzten Mauern. Der Untergrund war hier fest und beinahe eben. Yarik entfachte ein Feuer, der Stein der Feste war noch hoch genug, um es gegen Blicke abzuschirmen, die irgendwo lauern mochten.
Ich sonderte mich ein wenig ab und suchte mir einen Schlafplatz, der einige Schritt von den Männern und dem Lagerfeuer entfernt unter einem Torbogen lag. Sie verwehrten es mir nicht, wandten aber nicht den Blick von mir. Seit ich den Kampf um den Umhang aufgegeben hatte, hielten sie mich nun weniger für eine Gefahr. Ich wußte, daß vor allem Yarik mir aber immer noch mißtraute, aber für den Moment ließ er mich in Ruhe.
Ich war müde und erschöpft, die Vorräte der Südländer waren kläglich, und so hoffte ich, daß ich wenigstens aus ein paar Stunden Schlaf würde Kraft schöpfen können.

Der Schlaf kam, kaum daß ich mich ausgestreckt und die Augen geschlossen hatte. Und auch die Träume kamen. Gute Träume, die hier so fremd erschienen und mir darum umso willkommener waren. Ein Traum von meinem Zimmer, dessen Boden ich kaum mit den Füßen berührte, als das Echo eines Klopfens an der Türe erklang und ich gehen wollte, um sie zu öffnen. Ein Traum von Musik, der das Klopfen umfing und irgendwo aus den Wänden des Hauses drang. Ein Traum vom Knistern des Feuers im großen Kamin in der Halle des Hauses. Und ich konnte es riechen...es roch nach Kirschenholz. Meine Hand berührte den Türknauf kaum, als er sich drehte und die Tür aufsprang. Meine Finger waren durchscheinend, umflossen von zartem Rauch, der aus köstlich dampfenden Schüsseln durch das Treppenhaus wehte. Doch den Mann auf der Schwelle erkannte ich deutlich, der mich mit einem freundlichen Blick aus hellblauen Augen bedachte und der etwas sagte. „Du trägst tatsächlich kein Kleid.“, sagte er und ich hörte ihn lachen. Ich konnte ihm nicht antworten, mit Mühe schüttelte ich nur den Kopf. „Macht nichts. Wir tanzen trotzdem.“, sprach Aegmar und dann streckte er mit galanter Verbeugung langsam die Hand nach mir aus. Ich seufzte erleichtert, ich spürte, wie wohl mir wurde und wollte seine Hand ergreifen. Seine große Hand. Zum Tanz, aus dem ich mir nichts gemacht hatte, den ich aber jetzt begrüßte.
Und da war etwas, als ich sie ergriff, ich spürte Haut an Haut – und es war nicht in der Ferne. Es war nicht im Traume. Die Hand, die ich plötzlich spürte, und in der ganz deutlich meine Finger lagen, war rau und rissig. Und sie war nicht kräftig und vertraut. Ich riß die Augen auf und erschrak. Ich blickte in Yariks ungewaschenes Gesicht, der meine Hand hielt, sie dann losließ und nach meinem Gelenk packte. Augenblicklich begann mein Herz zu schlagen, in Furcht. Und innerlich vergoß ich eine bittere Träne, daß er den Traum verscheucht hatte, der ein Trost gewesen war in der Finsternis. “Was willst Du?“, fragte ich ihn barsch, doch meine Stimme war belegt und brüchig, noch irgendwo zwischen Erschöpfung und Traurigkeit. Ich wollte Yarik mein Handgelenk entwinden, doch es gelang nicht. Er hielt mich zu fest. Mit der anderen Hand griff er in sein Hemd und zog den Schuldschein hervor, den er bei sich trug. Die letzten guten Erinnerung an meinen Traum und meinen Schlaf zerbrachen wie Spiegelscherben, die nichts zeigten als das Hier und Jetzt.

„Lies mir das noch einmal vor!“, forderte Yarik und ließ das Pergament in meinen Schoß fallen.
Ich blickte auf das zerknitterte Dokument, das dort nun aufgeschlagen vor mir lag, die Handschrift meines Fürsten darauf mittlerweile leicht zerlaufen. Ich hob den Kopf. Wieder sah ich Yarik an. Sein unrasiertes Kinn, seine Augen, in denen es immer in der Tiefe boshaft zu blitzen schien. Und der Schein, der darin verborgen war, wie das Gold, das sein Denken bestimmte. Ich sah ihn sogar lange an, was ihn zu verunsichern schien. „Na wird’s bald!“, blaffte er. Er verlagerte sein Gewicht und diesmal riß ich mich von ihm los. Er griff nicht wieder nach mir, er zog sich sogar überrascht ein wenig von mir zurück. Ruhig nahm ich das Pergament in die Hand, wandte endlich den Blick von ihm und überflog die Buchstaben. Aegmar war wieder bei mir, als ich zu lesen begann, und den Gedanken vertrieb Yarik nicht noch einmal. Auch nicht, als er das Schriftstück schließlich wieder an sich nahm und vor mir verbarg.
Ich war nicht allein, als er ging. Der Traum kam nicht zurück, als ich mich wieder schlafen legte, aber die Zuversicht.

Es gab kein Frühstück, als die Sonnenstrahlen des nächsten Tages uns weckten. Aber wir wurden dafür sogleich wieder zur Speise der Mücken. Mich kümmerte es an diesem Tage jedoch weniger, denn bald hatten wir die Festung verlassen und ich wußte, daß Bree nicht mehr weit sein konnte. Ein paar Stunden vielleicht noch, doch keinen Tagesmarsch mehr. Der Boden blieb fest, die Teiche wurde nun zu kleinen Seen und zwischen den Wasserlöchern wurden schmale Wege und Trampelpfade sichtbar. Wahrscheinlich nutzten die Bauern, die in den Weilern am Rande des nahen Chetwaldes die alten Wege von Bree zur Waldläuferfeste, um im Sumpf Reet zu schneiden und Eier von Enten und Wildgänsen zu sammeln.
Unsere Schritte wurden schneller und sicherer. Getrieben von Habgier, von Hoffnung – und vor allem von dem Ziel, das bald in Sicht kommen mußte.
Das Moor ging schließlich in Grasland über, Bäume wuchsen nun neben deutlich ausgetretenen Wegen, die irgendwann in die ersten Felder mündeten. Zwei der Südländer verließen die Schar, schlugen sich in eines der Felder und brachen Maiskolben und Korn, die sie hungrig verschlangen.
Schließlich trieb Yarik uns alle an, das wir eines der Maisfelder betreten sollten, er wollte nicht sofort von den Bauern entdeckt werden.
Wir umrundeten das kleine Dorf Stadel im Südosten von Bree, als der Nachmittag sich über uns senkte. Yarik packte mich am Oberarm und achtete darauf, daß ich nun nahe bei ihm blieb.

Ich konnte nicht verhindern, daß er seinen Mannen den Befehl gab, auf einem der Bauernhöfe vor der Stadt einen Karren zu entwenden, der mit Heu beladen war. Mich schmerzte es, als sie den Bauern, der sie ärgerlich davon abhalten wollte und den Fehler beging, ihnen schimpfend nachzulaufen, einfach niederschlugen. Sie ließen ihn auf der Straße liegen und mein Versuch, wenigstens nach seiner Verletzung zu sehen, wurde sogleich von einem groben Zerren an meinem Arm und einem Griff in mein Haar von Yarik unterbunden.
Er schleppte mich weiter und erst, als schon das Tor von Bree direkt vor uns lag, hielten wir wieder inne. Die Südländer verstauten ihre wenigen Habseligkeiten in dem Heustapel, der auf dem Karren geschichtet war, und spannten den Esel davor. Ich mußte mich auf den Karren setzen und Yarik band meine Fußgelenke zusammen. Dann schwang er sich neben mich auf den schmalen Bock des Karrens und wir rumpelten durch das Tor. Einer der Südländer, Eron, der immer noch meinen Umhang trug, ging mit uns, hinter dem Wagen her. Ein anderer, dessen Namen ich als Ajal verstanden hatte, führte den Esel. Die anderen beiden Räuber, die mit uns gewesen waren, blieben vor dem Tor zurück.
Ich richtete meinen Blick über meine Schulter zurück, solange ich konnte. Ich wollte herausfinden, wohin Yarik sie geschickt hatte, doch bevor sie ihrer Wege gingen, warteten sie, bis der Karren außer Sicht war. Beinahe wütend sah ich Yarik neben mir an und nahm es mit aufsteigendem Unwohlsein zur Kenntnis, daß er leise vor sich hin lachte. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu und was ich darin las, ließ mich schaudern. Die Müdigkeit war von ihm abgefallen und seine Augen sagten nur das eine: er würde jetzt bekommen, was er wollte. Und das um jeden Preis.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 19.12.2010 00:41 | nach oben springen

#10

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:42
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Hinter uns wurde das Stadttor geschlossen und die Nachtwächter zündeten die Laternen auf den Straßen an. Yarik lenkte den Wagen langsam über das Pflaster, wir näherten uns der Hauptstraße. Er legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich, dann kam er meinem Gesicht mit dem seinen ganz nahe und ließ nicht zu, daß ich mich ihm entzog. „Hör gut zu...Du wirst Dich weder bewegen, noch wirst Du woanders hinsehen als geradeaus! Wenn ich von Dir einen Mucks höre, Weib, eine Geste sehe....dann schwöre ich Dir, pfeife ich auf das Lösegeld für Dich und schneide Dir die Kehle durch. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!“, raunte er in meine Ohr und ich spürte, wie er nach wie vor dabei lächelte.
Ich hielt den Atem an und nickte. Ich hatte ihn verstanden, und ich glaubte ihm, daß er seine Worte mehr als ernst meinte. Dennoch konnte ich nicht anders, als den Blick schweifen zu lassen. Ich sehnte mich danach, in denen wenigen Gestalten, die überhaupt noch nach Einbruch der Nacht in der Stadt unterwegs waren, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Therowigs Gesicht wollte ich sehen. Mit aller Hoffnung, die ich aufzubringen vermochte, flehte ich innerlich darum, daß irgendwo unter den Augenpaaren, die uns auf unserem Weg flüchtig musterten, die seinen den Blick auf mich richten würden. Er war der Einzige, der wußte, daß ich nicht in Bruchtal war. Der hätte wissen können, daß ich nach Bree gegangen war – doch nirgends sah ich ihn. Ich begann sogar Ausschau nach seinem Pferd zu halten, vielleicht war es irgendwo angebunden? Nein. In Bree kündete nichts von ihm.
Fast alle, denen wir noch begegneten, waren Schmiede, Bauern, Händler, auf dem Weg in ihr Heim oder zum Gasthaus. Und sie alle eilten an uns vorbei, voller Vorfreude auf ein kühles, schäumendes Bier und einen guten Braten.
Ich ließ den Kopf leicht hängen. Yarik stieß mich an. „Ich warne Dich....“, flüsterte er. Und diesmal gehorchte ich und sah geradeaus.
Langsam rumpelte der Karren weiter die Straße hinab – und dann brachte Yarik ihn zum Stehen. Zu unserer Linken lag der Aufgang zur Hohen Treppe, im Dunkel türmten sich die Dächer und Giebel der Bürgerhäuser des Viertels vor uns auf. Yarik stellte den Wagen so, daß er den Aufgang beinahe blockierte und wir die Treppe gut einsehen konnten. Wenn ihn hier jemand angreifen wollte, so käme er nur einzeln an dem Wagen vorbei. Außerdem ließ er sich schnell gänzlich vor den Aufgang schieben, so daß man darüber entkommen konnte, ohne daß ein Verfolger allzu schnell folgen konnte. Gut gedacht, mußte ich Yarik widerstrebend zugestehen.
Er stieg schließlich vom Bock und bedeutete Eron und Ajal sich seitlich am Karren zu postieren, dann hob er auch mich hinunter und stellte mich auf die Füße. Meine Fußgelenke waren immer noch zusammengebunden, so daß ich nicht gehen konnte und mich am Rand des Karrens festhalten mußte, um nicht umzufallen. Ich funkelte Yarik mißmutig an. Es beeindruckte ihn nicht.

„Dort vorne ist es, nicht wahr? Welches der Häuser genau? Zeig es uns.“, wandte er sich dann gut gelaunt an mich. „Es ist das Vierte auf der rechten Seite, das mit der hellen Tür und dem runden Fenster.“, sagte ich leise. Yarik nickte, zog mich ein wenig hinter den Karren und blickte sich um. Die Straße war leer. Er gab Ajal ein Zeichen, daß er vorgehen möge. Immerhin hatte er nicht vergessen, daß ich ihm geraten hatte, sich bei Galuior anzumelden.
Doch kaum hatte Ajal sich in Bewegung gesetzt und vorsichtig die Treppe betreten, bemerkte ich einige Bewegungen aus dem Augenwinkel. Ich sah mich um, doch auf der Straße hinter uns war immer noch niemand zu sehen. Ich hob den Kopf: und da sah ich die beiden Südländer, die Yarik zuvor fortgeschickt hatte. Sie waren auf die Dächer geklettert und einer von ihnen hielt etwas in den Armen, das ich im schwachen Schein der Laterne vor dem Nachthimmel nur grob als Armbrust erkennen konnte. Sie haben sich Waffen besorgt, schoß es mir wild durch den Kopf. Woher, das konnte ich nicht sagen. Aber ich war offenbar nicht die Einzige, die sich in Bree auskannte...

Ich spürte einen Stich im Magen, als er sich erschrocken zusammenzog und legte mir eine Hand auf den Bauch, als könnte mich das etwas beruhigen.
Mich überkam ein ungutes Gefühl, als ich die Beiden beobachtete, wie sie langsam weiter über die Dächer schlichen und gegenüber des vermeintlichen Hauses des Geldverleihers Stellung bezogen.
Ajal ging langsam weiter und schließlich hatte er die Tür erreicht, die ich beschrieben hatte. Meine Kehle wurde trocken und ich klammerte mich wieder an den Rand des Karrens; ich fürchtete, daß meine Beine sonst nachgebe würden.
Ajal klopfte gegen die Tür. Auch Yarik wurde nun angespannter, er legte mir wieder einen Arm um die Schultern und ich fühlte, wie sich seine Finger in meinen Oberarm bohrten. Ich wagte kaum zu atmen. Endlose Sekunden vergingen. Ajal klopfte noch einmal – und dann wurde die Tür plötzlich geöffnet. Langsam, leise quietschend, öffnete sie sich einen Spalt breit, der Dunkelheit preisgab.
Ich starrte ungläubig auf den Türspalt und schluckte trocken. Ajal blickte fragend zu Yarik, der kurz überlegte und ihm dann auffordernd zunickte. Ajal erwiderte das Nicken, dann legte er die Hand flach auf die Tür und drückte sie ganz auf.
Die Südländer auf dem Dach hockten jetzt dicht über dem Giebel und spannten tatsächlich ihre Armbrüste. Die Tür schloß sich hinter Ajal wieder. Und dann passierte erst einmal nichts.

Eine stille Minute zog vorüber. Die Türe blieb geschlossen. Yarik zischte, dann fluchte er und ich verzog leicht das Gesicht, als sich seine Finger noch tiefer in meinen Arm gruben. „Wo ist er!“, knurrte er. „Laß...laß ihn doch erst einmal mit Galuior reden und sich erklären.“, begann ich heiser, obgleich ich mir selbst kaum vorstellen konnte, wer die Tür geöffnet haben könnte und sich in dem Haus befand. Ich war lange nicht mehr in diesem Teil Brees gewesen, vielleicht hatte das alte Zeughaus nun neue Besitzer, neue Bewohner. Vielleicht hatte ich gerade großes Unheil über eine Familie gebracht, die gemeinsam beim Abendessen gesessen hatte. Das Ziehen in meinem Magen wollte nicht nachlassen.
Zwei weitere Minuten verstrichen und Yarik wurde ungeduldig. „Eron!“, keifte er und machte eine wilde Geste mit dem Kopf, die den Gefährten auffordern sollte, Ajal zu folgen. Doch Eron bleckte die Zähne. „Schick doch das Weib vor!“, erwiderte er. Yarik biß die Zähne aufeinander und die Hand auf meinem Arm erbebte leicht. Er wurde wütend. Noch einen Moment zögerte er, dann bückte er sich, zog sein Häutemesser und durchtrennte die Stricke an meinen Fußgelenken. Er kam sofort wieder hoch und griff in das Haar in meinem Nacken, daß ich erneut den Mund verzog.
Er hielt mich vor sich, dann schob er mich voran, der Treppe entgegen. Eron folgte uns. Ich warf wieder einen Blick zu den beiden Schützen auf dem Dach hinauf. Doch dann mußte ich ihnen den Rücken zudrehen, als Yarik mich weiterschob und verlor sie aus dem Blick.

Yarik bedeutete Eron an die Tür zu klopfen. Erneut warteten wir einige Augenblicke, dann öffnete sie sich abermals. Und wie zuvor gab sie nur einen Spalt Dunkelheit preis, so daß wir nicht erkennen konnten, wer sie geöffnet hatte. Irgendwo im Inneren des Hauses, vielleicht in einem Hinterzimmer, brannte jedoch eine schwaches Licht. Eine Kerze.
Yarik stieß die Tür mit dem Fuß auf. Sie öffnete sich schwerfällig, doch weit genug, daß sie uns einließ. Yarik stieß mich an, immer noch die Hand in meinem Nacken. Wir betraten die Stube und Yariks Hand begann nun zu zittern. „Ajal?“, rief er. Die Kerze flackerte. Yarik zog sein Messer, ich spürte es seitlich an meinem Hals. Kalt legte sich der schartige Stahl auf meine Haut. Wir konnten nicht viel erkennen, also schloß ich die Augen. Vielleicht konnte ich etwas hören. „Ajal!“, rief Yarik erneut, beinahe schrill. Er war nervös. Doch diesmal erklang eine Antwort. „Ich bin hier.“ Es war tatsächlich Ajal. Mir schien jedoch, als sei seine Stimme seltsam gepreßt. Yarik bemerkte es noch nicht, er tat nur einen erleichterten Seufzer. „Und Galuior, ist der bei Dir?“, fragte er. „Ja...der ist bei mir.“, ertönte wieder Ajals Antwort, und es war mir mehr als deutlich, daß er angespannt klang. Er war nicht allein. Aber wer war bei ihm? Galuior konnte es nicht sein!
Yarik nickte, sein Griff lockerte sich ein wenig, aber nicht genug. Eron atmete neben mir aus. Ich wurde wieder nach vorn geschoben, dem Licht der Kerze entgegen. Und dann fiel die Tür plötzlich laut hinter uns ins Schloß!

Ein Fluch preßte sich zwischen Yariks Zähnen hindurch, als er zusammenschrak und herumfuhr. Ich stolperte beinahe über seine Füße, denn keineswegs ließ er mich dabei los. Die schartige Klinge drückte sich bedrohlich an meinen Hals und ich hielt die Luft an, wagte nicht mehr zu atmen und zu schlucken. Mein Herz pochte laut gegen meine Rippen und ich spürte, wie meine Hände zitterten. Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit neben der Tür. Ihre Stiefel klangen dumpf auf dem hölzernen Boden. Sie kam langsam näher, trat dicht an uns heran. Es war Olrik. Er verschränkte die Arme und sah Yarik direkt ins Gesicht. „Du!“, zischte Yarik. Mehr sagte er nicht, aber ich spürte, wie schwer er plötzlich atmete. Er starrte nur auf den Mann zurück, den er betrogen und dessen Platz in der Bande er sich angeeignet hatte. Schweigend. Ich war sicher, daß Yarik nicht damit gerechnet hatte, Olrik jemals wiederzusehen.
Olrik wandte nun die Augen von Yarik ab, Verachtung war ihm deutlich anzusehen. Er blickte über die Schulter seines Rivalen in das Hinterzimmer. Yarik stand noch für einen Moment starr und fassungslos, dann drehte er sich langsam herum und folgte Olriks Blick. Das Messer schob sich nun deutlich an meine Kehle.
Ein weiterer Mann stand im Raum. Im Rahmen der Türe, die in das Hinterzimmer führte, ragte er auf: das Licht der Kerze nurmehr ein goldener Schein um seine Schultern und seinen Rücken. Er trug einen beinahe bodenlangen Umhang, aus dem sein Unterarm hervorragte und jemanden festhielt. Jetzt erkannte ich es: es war Ajal, und der Verhüllte hielt ihn genauso, wie Yarik mich hielt – den Arm fest um die Schultern geschlungen, und einen Dolch unheilvoll an seinen Hals gepreßt.
Und ich kannte diesen kräftigen Arm, über den das Licht tanzte. Die zackenförmige Narbe darauf, das breite Handgelenk...

„Thero...“, flüsterte ich kaum hörbar, dann versagte mir die Stimme. Er stieß Ajal leicht an und machte einen Schritt nach vorn. Jetzt erkannte ihn auch Yarik und seine Muskeln spannten sich an. „Das kann nicht sein. Ich habe Dir den Schädel eingeschlagen, Edelmann.“, sagte er. Therowig hob kurz die Hand, in der ruhig sein Langdolch ruhte und schob sich die Kapuze vom Kopf. Sein Haar schimmerte rotgolden im warmen Licht der Kerze und seine Augen glänzten kühl. „Als ich irgendwann zu mir kam, dachte ich auch, daß Du ihn mir eingeschlagen haben mußt. Aber wie Du siehst, war dem nicht so. Und jetzt bitte ich Dich, daß Du das Mädchen losläßt. Und zwar langsam, denn wie Du siehst, habe ich etwas, daß zu Dir gehört, und Du etwas, daß zu mir gehört. Das beste Geschäft, daß es hier für Dich zu machen gibt, ist, wenn wir beides austauschen.“, erwiderte Therowig.
Aber noch bewegte Yarik sich nicht. Ich hörte, wie Eron hinter uns harsch die Luft einzog. Olrik stand direkt neben ihm, bereit, sofort einzugreifen, sollte einer der beiden Räuber auch nur eine unbedachte Bewegung machen.
„Und wenn ich Dir sage, daß Ajal mir gleichgültig ist und es mich nicht kümmert, wenn Du ihn erstichst? Ich lasse mich von Dir nicht erpressen.“, antwortete er schließlich und ich schluckte. Therowig seufzte enttäuscht, aber es klang nicht ehrlich. „Ich habe mir gedacht, daß du die falsche Entscheidung treffen wirst, Südländer. Also wird es kein gutes, sondern ein schlechtes Geschäft für Dich und ich darf Dich nun an Olrik hier weiter verweisen, der keineswegs so höflich zu Dir sein wird wie ich!“
Kaum hatte Therowig geendet, trat Olrik einen Schritt vor. Er hielt Therowigs Schwert und faßte es nun mit beiden Händen. „Halt!“, rief Yarik. Es klang schrill. „Ich habe immer noch das Mädchen! Mach nur einen Schritt weiter, und sie ist tot!“ Dann sah er mich an und sein Arm preßte sich so fest um meinen Leib, daß mir der Atem langsam versagte. „Miststück, Du hast es die ganze Zeit gewußt und uns von Anfang belogen...“, raunte er. „Allein dafür sollte ich Dir schon...“, fuhr er fort, beendete seinen Satz jedoch nie. Olrik stieß plötzlich einen wütenden Schrei aus und stürmte vorwärts. Mit einem Satz überwand er die wenigen Schritte, die ihn von Yarik trennten und hob die Klinge. Mein Bewacher knurrte auf und ich spürte, wie er das Messer ansetzte, um mir noch die Kehle zu durchtrennen, bevor Olriks Schlag über ihn kam, doch auch dazu kam er nicht. Er wurde von mir fortgerissen, die Klinge streifte nur meine Haut, schnitt knapp in meine Schulter und fiel dann klirrend zu Boden.
Therowig hatte Ajal kurzerhand mit dem geschmiedeten Knauf seines Langdolches niedergeschlagen, war über ihn gesprungen und hatte Yarik hart an der Schulter gefaßt. Er riß ihn herum, während Olrik von vorn herankam. Yarik versuchte noch, mich wie einen Schild zwischen sich und Olrik zu bringen, aber Therowigs Griff war so gewaltig, daß es ihm nicht gelang, und Olrik zwischen uns fuhr wie eine Axt, die ein Stück Holz spaltet. Ich stolperte zur Seite, schlug mit dem Arm gegen die Wand des Raumes und brach in die Knie.
Etwas streifte mein Haar. Eron griff nun ebenfalls in den Kampf ein, seine Faust schoß über mich hinweg und suchte nach Olriks Kopf. Ich riß die Arme hoch und schlang sie vor mein Gesicht, als Holz splitterte. Erons Hieb lenkte Olriks Schwertstreich ab und die Klinge fuhr kaum einen halben Schritt von mir entfernt in die getäfelte Wand.
Stiefel rauschten in der fahlen Dunkelheit, die Kerze flackerte wild. Ich hörte Stoff reißen, verzweifeltes Keuchen und einen wütenden Aufschrei. Ich vernahm einen Schlag, Fäuste, die auf Kiefer, Knochen und Haut trafen. Klingen, die metallisch sirrten und die Luft zerschnitten. Ein schwerer Leib prallte auf den Holzboden und er bebte, daß mich das Zittern der Bretter erfaßte und schüttelte.
Einer der Kämpfer stolperte gegen mich, rappelte sich sofort wieder auf und stürzte sich erneut in den Kampf.
Und dann wurde plötzlich die Tür aufgerissen, ein kühler Luftzug erfaßte den Raum, strich an den Wänden entlang und fuhr mir ins Gesicht. Die Kerze erlosch.

Ich nahm die Arme herunter, denn für einen Moment war es totenstill um mich herum. Ich öffnete vorsichtig die Augen. Ajal lag noch immer bewußtlos auf der Schwelle, Eron krümmte sich direkt vor mir auf dem Boden und stöhnte leise auf, Therowigs Dolch steckte in seinem Oberschenkel. Yariks Messer lag auf der anderen Seite des Zimmers. Ich ging auf die Knie, um es an mich zu nehmen. Therowig versperrte mir den Weg. Hoch aufgerichtet stand er mitten im Raum, sein Brustkorb hob und senkte sich schnell und er starrte auf die Tür, die nun weit offen stand. Olrik war neben ihm, immer noch die Klinge meines Freundes festhaltend. Und Yarik – Yarik machte sich daran, durch die Tür auf die Straße hinaus zu stürmen.
„Er entkommt!“, brüllte Olrik und hob das Schwert. Therowig nickte und fuhr herum zur Türe. „Ihm nach!“, entschied er. Mir fuhr der Schreck in die Glieder und ich hob die Hände. „Nein! Geht nicht hinaus!“, rief ich, so laut ich konnte, doch Therowig war schon über die Schwelle gesprungen und stand auf dem Pflaster der Straße.
Es gab ein dumpfes PLOCK!, als der erste Armbrustbolzen knapp neben ihm in den Rahmen der offenstehenden Türe einschlug. Therowig riß den Kopf nach oben. Ein weiterer Bolzen flog durch die Nacht, dunkel wie eine Krähe suchte er seinen Weg und Therowig hörte meine Warnung zu spät. Ich kniff die Augen zusammen, als ich ihn ein Stöhnen unterdrücken hörte und sah, wie er sich an den Arm griff. Dann klapperte etwas auf dem Straßenpflaster, der Bolzen hatte ihn verletzt, aber nur gestreift. Glücklicherweise schienen die beiden Südländer auf dem Dach keine guten Schützen zu sein, jedenfalls nicht bei Nacht.
Therowig machte einen Schritt rückwärts, Olrik preßte sich dicht an die Türe und fluchte. Und Yarik stand nun hoch erhobenen Hauptes auf der anderen Seite der Straße. Schrecken stand noch in sein Gesicht geschrieben, aber er wich und machte einem Grinsen Platz, das Triumph verkündete.
„Ratten...zurück in ihr Loch getrieben....“, spottete er. Therowig preßte sich eine Hand auf den Oberarm und funkelte Yarik unheilvoll an, doch er wagte sich nicht weiter vor. Klackend wurden die Armbrüste nachgeladen.
Ich hatte das schartige Messer erreicht und nahm es an mich, dann richtete ich mich auf und trat zu Therowig in den Schatten der Tür. Ich wagte nicht, ihn anzusprechen, obgleich ich kaum an mich halten konnte. Meine Hand streckte sich leicht aus und wollte ihn berühren, nur um zu prüfen, ob er wirklich da war. Aber ich zog sie wieder zurück, ich wußte, daß er keinen Blick für mich übrig hatte. Keinen Gedanken. Nicht in diesem Moment. Er behielt nur Yarik im Auge und die beiden Räuber auf dem Dach.

Ich wog das Messer in meiner Hand, drehte es um und griff es vorsichtig an der geschliffenen Spitze. Es war schlecht ausbalanciert und ich hatte nur einen Versuch, aber den würde ich nutzen – bevor Yarik entkam und wir ihm nicht folgen konnten!
„Olrik...zieh den Dolch aus Erons Bein...“, flüsterte ich dem Räuber atemlos zu. Ich hörte, wie er den Kopf zu mir herumdrehte und dann Therowig ansah, der rasch bestätigend nickte. Kurz darauf vernahm ich hinter uns einen dumpfen Tritt, der gegen Erons Kopf ging und ihn bewußtlos machte. Dann bückte Olrik sich und zog die Klinge aus dem Bein seines ehemaligen Gefährten. Beide Männer sahen mich an, ich trat zwischen sie.
Yarik gab den beiden Männern auf dem Dach ein Handzeichen, dann drehte er sich um, um zu fliehen. Und in diesem Augenblick warf ich das Messer. Ich warf es nicht auf Yarik, nein, ich zielte auf einen der beiden Schützen auf dem Dach. Das Messer flog, überschlug sich im Flug und traf nicht besonders gut, doch nur einen Moment später ertönte ein dumpfer Aufschrei und eine Armbrust polterte über das Dach, schlug auf der Straße auf und zerschellte auf dem steinernen Pflaster. „Los!“, rief ich. Augenblicklich setzte Olrik sich in Bewegung und setzte Yarik nach, in einer Hand das Schwert, in der anderen den Langdolch. Yarik würde nicht entkommen...
Und tatsächlich flog Olrik kein weiterer Bolzen nach. Eine zweite Armbrust polterte über das Dach, erschrocken fallengelassen von ihrem Besitzer, der nun ebenfalls die Flucht ergriff und sich über die Giebel des benachbarten Hauses davonmachte.
Therowig und ich traten langsam hinaus auf die Straße, angespannt, immer noch bedacht auf einen weiteren Hinterhalt. Aber er blieb aus. Wir sahen nicht hin, als Olrik Yarik einholte und ihm beide Klingen in den Leib stieß.
Yarik war zurück zu dem Karren gerannt, den er selbst vor dem Aufgang zur Treppe und der dahinter liegenden Gasse, aufgestellt hatte. Er kam nicht schnell genug an ihm vorbei. Und das besiegelte sein Schicksal. Für immer.
Therowig schloß die Augen. Tief atmete er aus. Olrik nahm die Halskette des Anführers wieder an sich. Und dann wandte auch ich mich ab.

Es war vorbei.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 19.12.2010 00:42 | nach oben springen

#11

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil III

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:43
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Epilog:



Es hatte nicht lange gedauert, bis Olrik zu uns zurückgekehrt war. Er gab Therowig das Schwert und den Dolch zurück, dann legte er sich die wiedererlangte Kette um.
Therowig schickte mich fort. Er hieß mich, im Gasthaus der Stadt auf ihn zu warten, was mich über die Maßen erstaunte. „Dort sind viele Leute...“, warf ich ein. „Und genau deswegen wirst Du dorthin gehen.“, war Therowigs Antwort. Ich widersprach ihm nicht mehr und ging. Einen Blick nur warf ich zurück und sah, wie Olrik Therowig die Hand auf die Schulter legte, sich dann umdrehte und fortging. Er läßt ihn laufen?, dachte ich in diesem Moment, aber da wußte ich noch nichts von dem seltsamen Pakt, den sie geschlossen hatten. Therowig erzählte mir später, daß er Olrik immer für einen Halunken halten würde, aber daß er ihm versichert hatte, er würde sich keiner Bande mehr anschließen. Nein, er wollte sogar gen Osten ziehen und sich den Soldaten anschließen, die in den Krieg zogen. Ich glaubte Olrik kein Wort, aber Therowig tat es und so stellte ich es nicht weiter in Frage. Olrik hatte Therowig geholfen und damit hatte er auch mir geholfen, so sollte er nun tun, was er wollte. Wir sahen ihn nie wieder.

Therowig ließ mich lange warten. Ich nahm Eron meinen Umhang wieder ab, keinerlei Spur sollte in dem Haus auf der Hohen Treppe zurückbleiben – und außerdem gehörte dieser Umhang mir. Er war ein Geschenk von Aegmar und auch wenn er nun verschmutzt war und rissig, so hätte ich ihn um keinen Preis zurückgelassen. Auch den Schuldschein, den Yarik noch unter seinem Hemd trug, nahm ich wieder an mich. Ich bemühte mich, seinen toten Leib nicht anzusehen, als ich ihn mit klammen Fingern berührte und das Dokument aus seinem Ärmel zog. Und dann lief ich, so schnell ich noch mit müden Beinen und erschöpftem Geist konnte, die Straße hinauf zum Gasthaus der Stadt.
Therowig ging, so sagte er, um die Stadtwache zu verständigen. Natürlich veschwieg er, daß er selbst in den Kampf verwickelt gewesen war. Ich glaube, er stellte es so dar, daß die Südländer in Streit geraten und gegenseitig übereinander hergefallen waren. In gewisser Weise stimmte das sogar, denn so hatte alles seinen Anfang genommen, wenn auch an anderem Ort.
Ich drängte mich durch die Eingangstür des „Tänzelnden Ponys“. Ich kannte diesen Gasthof gut und ein Stück weit fühlte er sich immer noch vertraut an, auch wenn ich ihn lange nicht mehr betreten hatte. Der Duft von brennendem Pfeifenkraut in unzähligen Pfeifen schlug mir entgegen, der Dunst schäumenden Bieres und der Dampf kochender Suppe. Es war mir gleich, wen ich anstieß, auf wessen Fuß ich wohl trat – ich wollte mich einfach nur unter die Gäste mischen. Und Therowig hatte Recht gehabt: obgleich dies ein lauter Ort war voller fremder Gesichter, so fühlte ich mich hier sicher und getröstet. Es war gut, all die Menschen, Hobbits und Zwerge um sich zu haben, die lachten und plauschten und nichts mit den Geschehnissen und den Erinnerungen an die letzten Tage gemein hatten.
Ich bahnte mir den Weg durch den Schankraum, wurde Teil der Kulisse aus Stimmen, Musik und Gelächter. Völlig kraftlos sank ich dann auf einen Stuhl, der nahe dem großen Kamin an der Rückwand der Stube stand. Ich stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen. Und dann wartete ich, sog gierig in mich auf, was um mich herum geschah und wußte, daß hier nichts Böses lauerte.

Eine Stunde verging, bis Therowig zu mir kam. Ich sah ihn, als eine Gruppe Bauern ihm rasch aus dem Weg ging, um ihn durchzulassen. Geradewegs ging er auf den Kamin zu und zog sich von einem der Tische einen leerstehenden Stuhl heran, ohne danach zu fragen. Er setzte sich mir genau gegenüber, sah mich schweigend an. Auch ich sah ihn lange an. Sein Blick war milde, wenngleich ernst, aber er hatte mir verziehen und er war mir dankbar. Auch ich war ihm dankbar. Wir waren quitt.
Wir waren uns einig und es bedurfte auch keiner Worte, um uns gegenseitig zu versichern, wie froh wir waren, daß wir beide hier nun saßen, lebendig – und das wir gemeinsam über die Geschehnisse schweigen würden. Irgendwann nahm er meine Hände und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er bestellte im Gasthaus ein Zimmer und ein Abendessen, das uns hinauf gebracht werden sollte.
Ich besah mir die Wunde an seinem Arm, die nicht tief war, aber verbunden werden mußte. Und erst, als wir gegessen hatten, beide auf dem Teppich des Zimmers saßen, den Rücken an das Bett gelehnt und in eine der hell brennenden Öllampen auf der Fensterbank schauten, fand er die Worte wieder.

„Mach so etwas ja nicht noch einmal.“, sagte er duster. Ich mußte lächeln. „Du auch nicht.“, erwiderte ich. Ich sah ihn von der Seite an und er verschränkte die Arme vor der Brust. Dann sah auch er mich an und seine Stirn legte sich in Falten. „Etwas haben wir noch zu besprechen.“, meinte er. Ich nickte. „Ja, das haben wir wohl.“ Ich zog den Schuldschein hervor, auf dem Aegmars kräftige, geschwunge Handschrift in dunklen Lettern zu lesen war. Mitgenommen sah er aus und er hatte ja auch eine weite Reise hinter sich. Weiter und gefährlicher als jene nach Bruchtal, die er eigentlich hatte antreten sollen. „Therowig...“, begann ich leise und mir wurde schwer und traurig zumute. „Hör zu...ich...ich möchte ein wenig schlafen und ausruhen und auch Du wirst das wollen. Aber ich werde noch vor dem Morgengrauen wieder aufbrechen. Ich habe meinen Auftrag nicht erfüllt und werde das nachholen. Ich reite nach Bruchtal. Galuior wird nicht mehr dort sein, wenn ich dort eintreffe, denn ich bin zu spät. Aber ich werde ihm nachreisen und ihn finden. Ich hole das Gold für Aegmar und dann...dann werde ich verschwinden.“, sagte ich und spürte, wie mein Hals trocken wurde und das Weitersprechen immer schwerer wurde.
Therowig stieß sich mit dem Rücken von der Bettkante ab und drehte sich nun gänzlich zu mir. „Was meinst du mit Verschwinden?“, fragte er und sein Blick wurde unsicher. Ich seufzte lautlos. „Nun...daß ich gehen werde. Nachdem, was ich getan habe, kann ich nicht in Aegmars Haus zurückkehren. Er würde nicht verstehen, warum ich sein Vertrauen gebrochen habe – und ich weiß nicht, ob ich...ob ich ihm überhaupt wieder unter die Augen treten könnte.“, sagte ich und faltete den Schuldschein sorgsam zusammen. Therowig legte eine Hand auf meine und ich hielt inne. „Er würde es verstehen. Wenn er es erfahren würde, aber das wird er nicht.“, sagte er entschlossen. Ich sah überrascht auf. „Du willst ihn belügen? Ihn ?“, fragte ich.
Therowig schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich werde ihm nur nicht alles erzählen. Das ist nicht belügen – hast Du das nicht selbst einmal so gesagt?“, meinte er. Ich schlug die Augen nieder und mußte verhalten schmunzeln. „Das ist ein großer Gefallen, den Du mir tun willst, Therowig.“
Therowig drückte meine Hand, dann zog er die seine wieder zurück und legte den Kopf kühn in den Nacken, eine Augenbraue hochziehend. „Du wirst mir dafür auch einen großen Gefallen tun, Nariena Ghaldean. Du wirst mir sagen, wo ich Deinen Vater finde.“

Zuerst sog ich abermals überrascht die Luft ein, dann mußte ich offen und ehrlich lachen und schüttelte den Kopf, aber mir war frei und gut zumute. „Du willst ihm den Brief mit dem Rückruf nach Rohan überbringen. Ich bin damit immer noch nicht einverstanden, aber ich sage Dir, daß Du ihn unter den Waldläufern in der Dunedain-Feste Esteldin finden wirst, weit im Norden in den Hügellanden. Und Du wirst mein Gesicht in seinem wiedererkennen. Er ist hoch gewachsen und sein Rücken breit, sein Haar dunkel und durchzogen mit Silber. Auch trägt er einen Bart, so wie Du. Doch vor allem wirst Du ihn an dem Wappen erkennen, das er trägt: dem Greifen, der die Schwingen in stolzem Flug ausbreitet. Und nenne ihn Herrn Galariad, mit einem Gruß von seiner Tochter, deren Freund Du bist. Dann wirst Du ihn ganz sicher finden.“, sagte ich. Therowig nickte zufrieden. „Dann ist es nun wirklich zu Ende gebracht.“, schloß er und lehnte sich wieder zurück. Er verschränkte die Hände im Nacken und schloß die Augen.
Ich erhob mich, zog mir die Stiefel von den Füßen und kletterte auf das Bett, das Therowig mir überließ. Ich legte mich auf die Seite und zog die Knie an. „Therowig, ich weiß nicht, wie lange ich brauchen werde, um Galuior wiederzufinden. Ich bin erschöpft. Sicherlich werde ich zwei oder drei Wochen fort sein, doch in fünf Tagen werde ich wieder zu Hause erwartet...“, sagte ich noch. Therowig streckte die Beine aus und überkreuzte die Knöchel. „Ich werde Aegmar sagen, daß ich Dir auf dem Weg nach Bruchtal begegnet bin und Du wohlauf bist. Auch das ist nicht gelogen. Sorgen wird er sich vermutlich trotzdem. Vielleicht solltest Du doch einfach mit mir zurückkehren?“, antwortete er bedächtig. Ich schüttelte den Kopf, das Kissen unter mir knisterte leise. „Nein, das kann ich nicht. Ich bins ihm schuldig. Bitte weck mich in drei Stunden, willst Du das tun?“, waren meine letzten Worte, ich konnte die Augen nicht mehr offenhalten. Therowig nickte langsam. „Ich wills versuchen.“

Es waren keine drei Stunden, die wir schliefen. Wir ruhten bis weit in den Mittag des nächsten Tages hinein, zu groß war doch die Anstrengung gewesen, zuviel unserer Kraft gefordert worden. Als ich mich von Therowig trennte, fühlte ich mich nur leidlich erholt, aber ich wollte nun endlich aufbrechen und einlösen, was ich versprochen hatte: das Gold von Aegmars Freund holen, für bessere Tage und eine friedliche Zeit.
Er hatte Bruchtal tatsächlich längst verlassen, als ich dort eintraf und man konnte mir nur ungefähr berichten, wohin er aufgebrochen war. Nach Osten, sagten die Elben, nach Eregion. Dorthin begleitete er eine Schar, die kostbares Bauholz und Vorräte in die Lande jenseits des Bruinen bringen sollte. Und weil es eine große Schar war, war sie langsam, so daß ich sie irgendwann einholen konnte und auf ihre Fährte kam. Aegmars Roß, daß ich nun wieder hatte, trug mich rasch dahin und fand sichere Wege durch die Trollhöhen, die lange nicht mehr begangen worden waren.
Endlich tat ich meinen Handel mit Galuior, der ein freundlicher Elb war und um mich gefürchtet hatte, als ich nicht am vereinbarten Tage in Bruchtal erschienen war. Ich dankte ihm und nahm schließlich das Gold an mich. Das Gold, das viel Unheil gebracht hatte und nun Gutes verrichten sollte.
Dann trat ich den Heimweg an und je näher ich Bree wieder kam, desto mehr spürte ich die Zeit, die ich von zu Hause fort gewesen war. Ein Monat war es her, das ich das letzte Mal in Aegmars Gesicht mit den wachen blauen Augen gesehen hatte. Und ich machte mir vielerlei Gedanken, wie sie mich diesmal begrüßen würden. Würde er zornig sein? Enttäuscht? Ich spürte, daß ich mich ein wenig vor ihm fürchtete – und doch wollte ich keinen Augenblick länger warten, um wieder vor ihm zu stehen.
Es war Nacht, als ich durch das Tor in den Hof ritt. Ein leichter Wind ließ die Ulmen vor dem Haus rauschen und ich hielt inne, um es lange zu betrachten. Erst dann stieg ich vom Pferd und brachte es in den Stall. Ein Monat. Beinahe eine Ewigkeit.
Ich strich mit den Fingerspitzen über die raue Holzwand des Stalls, verschloß sorgsam das Tor wieder und ging dann hinüber zum Haus. Still lag es da, doch stolz und ich sah, daß es fertig war. Alle Fenster hatten nun Scheiben aus hellblauem Glas, hinter dem sich das Licht einladend spiegelte. Die Pforte war unverschlossen und ich trat leise ein, andächtig. Den Mantel hängte ich zu den anderen an der Wand und die Stiefel stellte ich in den kleinen Schrank, der an einer Wand im Vorraum der Halle stand. Ich hörte nichts, ob sie schon alle schliefen?
Doch dann begegnete ich Magda, die schwerfällig die Treppe aus dem Keller hinaufstieg. Ein Leuchten huschte über ihr Gesicht, als sie mich sah, und sie schlug sich die wulstigen Hände vor die Brust. Doch bevor sie einen lauten Freudenruf ausstoßen konnte, der sicher schnell in einen kräftigen Tadel umschlagen würde, legte ich den Zeigefinger auf die Lippen und bat sie zu schweigen.
So eilte sie nur still auf mich zu, mit einer winzigen Träne in den Augen und streichelte mir über die Wange. Ich legte ihr liebevoll die Hand auf den Arm. Als ich ihre Träne sah, da spürte ich, daß auch in meinen Augen welche standen. Meine Hand begann zu zittern und ich tat einen langen Seufzer, der die letzten Wochen beschwor und die Last in meinem Herzen hinausstieß. Aber er befreite mich auch und ließ nur die Schwere des einen Ganges zurück, der nun noch vor mir lag. „Magda...ist er da?“, fragte ich die Köchin leise. Sie wußte, daß ich Aegmar meinte und sie nickte. „Er ist in seinem Zimmer.“, sagte sie schlicht, doch ihre Augen verrieten mir sorgenvoll, daß er in keiner guten Stimmung war.
Ich dankte ihr nur und meine Füße trugen mich schon durch die Halle des Hauses, an deren Ende Aegmars Arbeitszimmer lag.

Ein Monat..., hallte es erneut wider in meinen Gedanken, als ich vor der schweren Eichentür stand. Ich zögerte und löste behutsam die beiden ledernen Beutel von meinem Gürtel, in denen das Gold leise klimperte. Dann klopfte ich endlich an und drückte sogleich die Klinke, um einzutreten.
Aegmar saß hinter dem großen Schreibtisch, der vor einem der Fenster des Raumes stand. Er hatte die Ellbogen auf die Tischkante gestützt und sein Kopf ruhte auf gefalteten Fingern. Er hob ihn, als er mich bemerkte und seine Augen, die duster und ernst aus dem Fenster gesehen hatten, richteten sich direkt auf mich. Als er mich erkannte, stand er so abrupt auf, daß der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, beinahe umfiel. Ich blieb stehen und faßte die Beutel in meiner Hand so fest ich konnte, sie schienen mir jetzt mein einziger Halt zu sein. Ich schluckte furchtsam.
Aegmar kam um den Schreibtisch herum und dann stand er vor mir. Nein, er ragte auf, einen ganzen Kopf größer als ich selbst, und sah auf mich hinab. Ich mußte schwer einatmen, dann hob ich langsam die Hand mit dem Gold. „Ich...bringe Dir...das Gold...“, sagte ich. Es klang heiser.
Aegmar zögerte keinen Wimpernschlag, er griff nach den schweren Beuteln – und ließ sie dann achtlos hinter sich auf den Boden fallen. Er drehte sich mir wieder zu, dann spürte ich seine Hand in meinem Nacken und an meiner Seite und schließlich seine Arme, die sich erleichtert um mich legten und mich fest an ihn zogen.
Meine Hände fanden irgendwo auf seinem Rücken Halt und fühlten den Stoff des Hemdes, das er trug. Und meine Wange fühlte seine Wärme, als ich gegen ihn sank und mich lächelnd umschließen ließ.

Ich war wieder zu Hause. Und mehr zählte für den wunderbaren Moment nicht.





~ENDE~

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Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 23.02.2012 21:35 | nach oben springen


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