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Die Tränen des Herrn Eisendorn

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:38
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Dies ist eine wahre Geschichte über einen treuen Freund, Helden und Krieger: Eisendorn Andertal aus Gondor. Wahr ist sie darum, weil sie Euch etwas über ihn offenbaren wird, das ein gut gehütetes Geheimnis war. Eines, das die Grenzen Gondors noch nie überschritt. Und wahr ist sie darum, weil sie auch die Lippen dieses Freundes selbst noch nie verließ und nur durch einen tiefen Blick in seine Augen erkannt werden kann, denn die Seele der Menschen von Westernis lügt nicht. Und so mag ein jeder selbst wissen, daß hier etwas erzählt werden soll, das etwas ganz Besonderes ist.

Doch zunächst muß ich mich bei meinem geneigten Leser entschuldigen.
Entschuldigen deshalb, weil der Titel, den ich für meine Geschichte gewählt habe, zunächst etwas irreführend wirken mag. Eigentlich kommt keine einzige Träne, die Herr Eisendorn je vergossen haben mag, darin vor. Doch will ich die Empörung gleich beschwichtigen: Herr Eisendorn kommt dafür auf jeden Fall in der Geschichte vor. Sogar recht oft, will ich meinen. Tatsächlich geht es sogar darum, daß Herr Eisendorn noch nie eine einzige Träne geweint hat. So mag mir vergeben sein, daß der gewählte Titel ihn auf den ersten Blick als einen Mann darstellt, der ständig zum Weinen neigt und über den es daher auch nichts anderes zu berichten gäbe. Dem ist mitnichten so. Doch lauschet nun:

Herr Eisendorn ist ein Hauptmann, ein Heermeister Gondors. Und man sagt, dies seien die feinsten und edelsten unter den Männern der Menschen, denn sie sind tapfer und gut. Und ja, das sind sie wirklich. Ich möchte ergänzen, daß sie auch mutig sind, diszipliniert und bisweilen sehr hart gegen sich selbst. Aufopferungsvoll, hilfsbereit und immer stark. Aber muß das nicht auch ein Heermeister sein, werden einige nun fragen. Wie könnte er sonst seine Schar führen und die Seinen beschützen und gewaltige Schlachten überstehen? Ist es also nicht beinahe ein selbstverständliches Ding, daß so einem Manne nicht zum Weinen zumute ist?

Nein, daß er nicht weint, kann auch einen vollkommen anderen Grund haben als seine unendliche Tapferkeit. Um diesen zu beschreiben, muß ich einen kleinen erzählerischen Ausflug unternehmen, fort von allerlei gestandenen Hauptmännern hin zu jenen, die vielleicht eines Tages solche werden wollen: den Kindern von Gondor. Nicht nur erzählt man sich im Westen alte Legenden von Schlachten und Drachen und großen Taten der altvorderen Könige, nein, man bedenkt auch oft die Kinder vor dem Zubettgehen mit Sagen- und Märchenhaftem (nun, im Breeland und in Thal mag man es natürlich ähnlich halten). Sonderlich beliebt sind Geschichten über die gilnib (Anmerkung des Autors: wörtl. übersetzt „kleine Sterne“), eine ganz liebliche und putzige Art von Feen, die in den herrlichen Blumen der Gärten Gondors leben – und ganz besonders gern natürlich auf dem weißen Baum des Königs. Gilnibs sind freundliche kleine Herumtreiber, mit zwei Flügeln auf dem Rücken und langen goldenen Haar, das in der Sonne wie der Glanz von eintausend Sternen funkelt. Sie begleiten gerne die Krieger auf das Feld, um sie zu bewachen und zu beschützen und ihnen leise Mut zuzuflüstern. Natürlich gab es also auch so einen gilnib, der sich dazu hingezogen fühlte, Herrn Eisendorn beinahe überall hin zu begleiten. Man sagte, dieser gilnib habe einen Namen gehabt, den er Herrn Eisendorn manchmal ins Ohr flüsterte: er hieß Nirmi und war ein besonders hübscher gilnib mit großen blauen Augen und einem himmelfarbenen Kleidchen. Aber weil gilnibs eben so klein sind, werden sie von den großen Kriegern nur ganz selten wahrgenommen. Viele von ihnen (und das finde ich ausgesprochen unhöflich und unglaublich!) glauben nicht einmal daran, daß es gilnibs überhaupt gibt.
Von solchem Schlage war auch unser Herr Eisendorn. Er hörte die kleine Nirmi nicht, geschweige denn sah er sie überhaupt! Wenn das goldene Licht, das sie verströmte, wenn sich die Sonnenstrahlen in ihrem Haar fingen, ihn blendete oder in seinem Augenwinkel aufblitzte, so schrieb er das grundsätzlich der strahlenden Pracht von Minas Tirith zu, jener Stadt, in der er eine zeitlang der Garde des Truchsessen diente. Nie wäre unser Heermeister Eisendorn auf den Gedanken gekommen, daß es sich um etwas anderes handeln könnte, als das Licht, das sich in den zahlreichen Fenstern und blank polierten Rüstungen der anderen Krieger spiegelte.
Das stimmte die kleine Nirmi oftmals trüb und sie seufzte dann ganz herzzerreißend, schließlich meinte sie es doch so gut mit Herrn Eisendorn! Aber ihre Zuneigung für den Hauptmann nahm niemals ab und so saß sie weiterhin auf seiner Schulter, oder hinten auf seinem Pferd oder schwirrte um seine Stiefel herum und zog ihn am Hosenbein. Das machte sie besonders gern, vor allem, weil Herr Eisendorn auch dazu neigte, seine Hose aus dem Stiefelschaft schauen zu lassen, weil er so voller Tatendrang war, daß er keine Zeit gefunden hatte, sich ordentlich zu kleiden. Aber Nirmi wurde es eben nicht müde, das Wams zu richten, damit er einen guten Eindruck machte. Der Truchseß von Minas Tirith achtete nämlich ganz penibel auf solche Dinge.

Sie wünschte ihm immer das Allerbeste und so besann sie sich eines Tages darauf, daß, wenn er sie schon nicht sah, wenigstens alle anderen IHN sehen sollten – weil er ja auch so großartig war. Und vielleicht würde er dann ja auch eines Tages an gilnibs glauben und sie einmal anblicken. Hurra!, dachte Nirmi, was für eine feine Idee! Nur – wie sollte sie es anstellen? Tagelang grübelte sie und zerbrach sich den kleinen Kopf, bis ihr abermals eine Idee kam. Schweren Herzens verließ sie Herrn Eisendorn für eine Weile und flog hinauf zur Sonne, um diese zu fragen, ob sie ihr nicht helfen wolle. Auch fragte sie den Himmel und die Wolken und den Regenbogen. Und sie alle sahen die kleine Fee an und fanden sie so niedlich, daß sie ihr ihre Bitte nicht abschlagen wollten und konnten. So war es also an einem lauen Frühlingsabend, als Nirmi sich wieder auf Herrn Eisendorns Schulter niederließ und alle ihre Freunde anrief mit ihrem hellen Stimmchen: die Sonne, die Wolken, den Himmel und den Regenbogen. Und dann wirkten sie einen Zauber, der Herrn Eisendorn fortan umgab.

Wenn er lachte und frohen Mutes war, dann strahlte der Himmel in einem besonders tiefen Blau und der Regenbogen erstreckte sich über den ganzen Horizont, daß das ganze Volk sich an diesem schönen Anblick erfreute. Wenn er siegreich aus einem Kampf wiederkehrte und voller Ruhm und Glück war, so gab sich die Sonne besondere Mühe und schien noch viel heller und wärmer als sonst, daß auch allen anderen warm ums Herz wurde. Wenn Herr Eisendorn müde war und erschöpft, dann wurde der Himmel grau und die Wolken sanken tief auf die Erde herab, so daß auch alle anderen schwermütig wurden und nicht mehr so rechte Lust verspürten, ihrem Tagwerk nachzugehen (bisweilen führte das leider zu einigen Engpässen der Versorgung mit Brot und anderen Köstlichkeiten in Minas Tirith, weil die Bauern das Getreide nur sehr langsam einfuhren).
Und wurde Herr Eisendorn wütend (das wurde es bisweilen sehr!), dann türmten sich die Wolken hoch am Himmel auf und ließen ein Gewitter auf Gondor niedergehen, wie es zuvor noch nie erlebt worden war! Blitze zuckten über das schwarze Firmament und der Donner grollte so ohrenbetäubend, daß es unter den Helmen der Stadtwache nur so widerhallte (es gibt hierzu ein Gerücht, daß Herr Eisendorn einmal so zornig war, daß ein Blitz in die Stadtmauer von Minas Tirith einschlug, der so gewaltig war, daß er einen großen Brocken aus der Stadtmauer sprengte, welcher sich in unzähligen Trümmern noch meilenweit über den Pelennor verteilte. Die große Ebene vor der Stadt war schon gefürchtet genug, weil sie angreifenden Horden keinerlei Deckung bot und diese sofort von den Bogenschützen auf der Stadtmauer niedergemäht wurden – doch fortan barg der Pelennor eben noch eine ganz andere Gefahr: die Orks brachen sich zusätzlich zu dem Pfeilhagel noch die Haxen und Beine, weil sie über die Trümmer stolperten. Vor allem, wenn sie wieder auf der Flucht waren).
Aber am Deutlichsten wurde es eigentlich, wie sehr sich Nirmi um Herrn Eisendorn bemühte, wenn er traurig war. Dann regnete es und regnete und wollte gar nicht mehr aufhören.

So ging es einige Zeit, bis Herr Eisendorn sich langsam zu fragen begann, warum es eben immer zu regnen anfing, wenn er traurig war. Und warum es gewitterte, wenn er sich ärgerte. Das Wetter schien seinen Launen zu folgen und auch, wenn er dies anfangs noch für einen reinen Zufall hielt, so kam er doch eines Tages zu dem Schluß, daß es da einen seltsamen Zusammenhang gab, den er sich natürlich keineswegs erklären konnte. Um ganz sicher zu sein, daß er sich nicht irrte, begann er, das Wetter zu testen: er regte sich auf, dann wurde er traurig und fing dann plötzlich an zu lachen. Und dies alles ganz schnell hintereinander, es dauerte nicht einmal eine Minute. Dazu stellte er sich auf die höchste Zinne der Stadt, um auch den bestmöglichen und weitesten Blick auf den Himmel zu haben. Und tatsächlich: das Wetter folgte ihm. Innerhalb von ein paar Wimpernschlägen donnerte es, begann es zu regnen und dann schien urplötzlich wieder die Sonne. Das machte er eine ganz zeitlang mindestens fünf- oder sechsmal am Tage, bis er wirklich und endgültig überzeugt war, daß er auf einmal für das Wetter verantwortlich schien.

Nirmi freute sich natürlich darüber, denn sie dachte, Herr Eisendorn täte das nur, um ihr ein bißchen zur Ehre zu gereichen, weil er natürlich wissen mußte, daß sie einen Zauber auf ihn gelegt hatte. Daß er eigentlich nur vollkommen verwirrt war, das fiel ihr nicht weiter auf. So schwirrte sie fröhlich wie eh und je um ihn herum und lächelte, wenn es regnete und hagelte und dann wieder die Sonne schien. Und das mehrfach und abwechselnd an nur einem Tag. Herr Eisendorn aber, der traute sich bald gar nicht mehr, zu lachen oder sich zu ärgern und so begann er sein Antlitz zu verschließen, daß ihm niemand mehr die Laune daran ablesen konnte (es soll, so berichten Augenzeugen, an einem Tage im daraufolgenden Sommer beinahe zu einer Katastrophe in Minas Tirith gekommen sein, als Herrn Eisendorns Schlachtroß starb und er so furchtbar traurig war, daß es eine Woche lang in Strömen regnete und zu Überschwemmungen in der Stadt führte. Der Truchseß soll nur noch auf einem Floß sitzend durch seinen Palast gerudert sein).
Daß er schließlich nicht mehr lachte, nicht mehr grinste, auch gar nicht mehr lächelte (zuviel Sonne verbrannte das Getreide auf den Feldern) und schon gar nicht mehr traurig war oder zürnte, bedauerte Nirmi sehr. Sie dachte daran, daß sie ihm vielleicht doch keinen Gefallen getan hatte mit ihrem Zauber und mußte die Sonne, den Himmel und die Wolken wieder bitten, ihn rückgängig zu machen. Ein bißchen betreten schwirrte sie fortan neben Herrn Eisendorn her, mit hängendem Köpfchen und entschuldigendem Blick.

Doch dann.....dann geschah das Wunderbare. Es war ein Moment, wie es sie schon viele gegeben hatte: Herr Eisendorn schritt durch die Stadt und lehnte sich an die Mauer. Er spähte aus dem großen Tor und ließ den Blick über den Pelennor gleiten. Es gefiel ihm, was er sah, aber er traute sich natürlich nicht, es zu zeigen. Da drehte er den Kopf, um sich wieder umzuwenden und sein Blick fiel auf etwas Goldenes und Glitzerndes, das so winzig wie eine Schneeflocke war und vor seinem Gesicht auf- und absauste und kräftig mit einem paar winziger Flügelchen schlug und mit allerkleinsten Ärmchen herumwedelte. „Schneeflocken mit Flügeln und Armen? Die gibt’s doch gar nicht....außerdem ist's ja Sommer....“, brummte Herr Eisendorn, denn er war nicht nur stark, sondern auch ziemlich klug, und so kam ihm (sehr unerwartet) der Gedanke an einen gilnib. Nirmi seufzte laut auf vor Erleichterung. Na endlich! Endlich hatte er sie bemerkt! Und weil er eben auch so klug war, wußte er natürlich sofort, wem er die seltsamen Geschehnisse der letzten Wochen wohl zu verdanken hatte. Entschuldigend blickte er die kleine Fee an und streckte seine große Hand nach ihr aus. Nirmi setzte sich glücklich in seine Handfläche und er führte sie wieder auf seine Schulter, wo sie von nun an ihren festen Platz hatte. Wenn man genau hinblickt, kann man die kleine Nirmi dort immer noch sitzen sehen, auch wenn Herrn Eisendorns Wege ihn natürlich längst aus Gondor fortgeführt haben und er ganz Mittelerde bereist, um große Taten zu vollbringen. Doch Nirmi ist immer bei ihm und man kann sie bei schönem Wetter und viel Sonnenlicht nahe an seinem Ohr sitzen sehen (einige halten das gelegentliche Aufblitzen an dieser Stelle für einen besonders kostbaren Ohrring, den eine der größten und begabtesten Goldschmiedinnen einst für Herrn Eisendorn angefertigt hat – aber ich sage Euch: es ist Nirmi! Jene Goldschmiedin hat übrigens auch nicht das Geringste mit der Autorin gemeinsam...). Seht nur genau hin!

So nahm alles ein gutes Ende. Herr Eisendorn lacht übrigens auch wieder, und das sogar sehr gerne und oft (vor allem, wenn er einen über den Durst getrunken hat...), nur das mit dem Traurigsein und dem Weinen, das getraut er sich immer noch nicht. So mag man es seiner unerschütterlichen Tapferkeit zuschreiben oder aber, nachdem man meine Erzählung vernommen hat, seiner tiefsitzende Angst vor einer neuerlichen Überschwemmung!

~Ende~


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 19.12.2010 01:38 | nach oben springen


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