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Der Zwerg auf dem Berg

in Geschichten und Erzählungen 13.12.2010 07:46
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Der Zwerg auf dem Berg



Ich kannte einst ein Dorf, das von einem riesigen Berg überschattet wurde. In dem Berg gab es eine Mine, und ein alter Zwerg lebte darin. Er kümmerte sich nicht um das Dorf, nur alle paar Wochen verließ er für einen Tag seinen Berg, um zu den Menschen hinabzusteigen und mit ihnen Handel zu treiben. Er verkaufte ein paar Steine und nahm Brot und Fleisch wieder mit sich hinauf, um seine Vorräte aufzufüllen.
Wenn sich die Dorfbewohner jedoch Abends in ihrer Taverne trafen, dann sprachen sie oft über den seltsamen Zwerg. "Was er da wohl macht, so ganz allein?", fragten sie sich. "Vielleicht gräbt er nach Edelsteinen. Das machen Zwerge so.", meinte jemand zu wissen. "Oder er hütet einen großen Schatz, zumindest hat er bestimmt ein großes Geheimnis!", sagte ein anderer. "Jaja, das ist ganz untypisch für einen Zwergen, einsam in seinem Stollen zu sitzen, irgendetwas hat er zu verstecken. Etwas Wertvolles, daß er mit niemandem teilen will!" So sprach das Dorfvolk und doch wurde der eine nicht schlau aus dem anderen und niemand wußte, was sich wirklich dort oben auf dem Berg zutrug.
Mit der Zeit rankten sich zahlreiche Gerüchte um den alten Zwergen, und je mehr die Neugier der Dorfbewohner wuchs, desto größer wurde auch ihre Sicherheit, daß der Zwerg einen großen Schatz zu verbergen suchte, der unermeßlichen Reichtum bringen würde. Vor allem dem Bürgermeister des kleinen Dorfes bereitete diese Sache große Kopfschmerzen und zahlreiche schlaflose Nächte, in denen er zu ermessen suchte, wie groß wohl der Schatz sein mochte, den der Zwerg bereits zusammengetragen hatte. Ihm glühten die Wangen und sein Herz begann zu klopfen - und eines Morgens, da sprang er aus seinem Bett, riß die Fenster seiner Schlafkammer auf und verkündete lauthals: "Nun reicht es, wir müssen einfach wissen, was dort oben vor sich geht und es mit unseren eigenen Augen sehen! Männer, kommt zusammen, wir wagen es und steigen auf den Gipfel!" Ein paar Bauern und Knechte, die gerade vorbeikamen, unterbrachen den Weg zu ihrem Tagewerk und sahen zu ihrem Vorsteher hinauf, wie sein Morgenrock in der leichten Brise flatterte und ihm die Schlafmütze noch schief ins Gesicht hing. Doch reckten sie jubelnd die Fäuste in den Himmel, als sie die Entschlossenheit in seinen Augen funkeln sahen. "Jawohl! Auf zum Berg!", riefen sie und rannten gleich los, um sich am Fuße des Berges zu sammeln, wo ein steiniger Pfad hinauf zu führen begann.
Alsbald folgte ihnen der Bürgermeister und trug einen Sack auf den Schultern. Er drückte ihn einem der Knechte in die Arme, daß er ihn den Berg hinauftragen solle. Der Sack enthielte ein paar Gastgeschenke, meinte er, man sollte ja nicht unhöflich sein, wenn man den Zwergen träfe! Das sahen die Männer ein und abwechselnd machten sie sich daran, den prall gefüllten Sack den Berg hinauf zu wuchten. Der Bürgermeister schritt ihnen tapfer voran. Er trug schließlich schon schwer genug an der Verantwortung dieser ganzen Unternehmung.
Als die Mittagssonne hoch am Himmel stand, und sie bereits keuchten und ihnen der Schweiß von der Stirne troff, da kam endlich die Mine in Sicht. Der Zwerg saß davor auf einer kleinen Bank und erfreute sich an dem schönen sonnigen Wetter. Er staunte nicht schlecht, als er da plötzlich die Mannen aus dem Dorf ganz unverhofft den Bergpfad zu seinem Heim hinaufkommen sah. "Heda, Ihr!", rief er und schwenkte fröhlich die Hand. Der Bürgermeister erwiderte den Gruß mit einer tiefen, sehr huldvollen Verbeugung, die er von Amtswegen einst sorgsam einstudiert hatte. Den Sack setzte man vor dem Zwergen ab. Dann kam der Bürgermeister auch schon gleich zur Sache, ihm platzte vor Neugierde beinahe der Wanst. "Wir sind gekommen, um in Deine Mine zu gehen. Wir müssen wissen, was darinnen ist.", verkündete er. Der Zwerg hob die Brauen. "In meine Mine wollt Ihr gehen? Nein, da könnt Ihr nicht hinein. Das ist ganz unmöglich.", erwiderte er und schüttelte den Kopf, so daß sein langer weißer Bart hin- und herschwang. Der Bürgermeister beugte sich leicht zu dem Gesellen hinunter und wiederholte sein Anliegen noch einmal: "Ich sagte aber, wir müssen! Ich bin hier der Chef in dieser Gegend und ich will wissen, was in dieser Mine ist! Wir haben Dir auch etwas mitgebracht, es soll nicht umsonst sein!" Er deutete auf den Sack. Der Zwerg warf einen kurzen Blick hinein, dann rümpfte er die Nase. "Zigarren, was soll ich damit. Mir ist die frische Bergluft viel lieber." Der Bürgermeister war ganz erschrocken. "Aber das ist feinster, nein, allerfeinster Tabak! Angereichert mit den besten Kräutern, die Ihr hier überhaupt finden werdet!", rief er entrüstet, aber der Zwerg blieb dabei. "Nein, nein, nein, Ihr könnt nicht in meine Mine hinein." Er reckte stolz das Kinn und stellte sich direkt vor den Eingang seines Baus, so daß niemand an ihm vorbeigekommen wäre. Da blieb den Männern des Bürgermeisters nichts anderes übrig, als ihre Zigarren wieder zu schultern und unverrichteter Dinge den Heimweg anzutreten.
Als sie außer Hörweite waren, begannen sie zu murren. "So ein Sturkopf!", sagten sie und blickten ärgerlich drein.

Am Abend trafen sie sich wieder in der Taverne und der Bürgermeister saß mitten unter ihnen. Sie fluchten leicht. Bis der Bürgermeister schließlich entschlossen den Kopf schüttelte. "Nein!", sagte er. "Wir gehen nochmal hin. Wenn die Zigarren, und bei allem, was recht ist, sie haben mich ein Vermögen gekostet, nicht nach seinem Geschmack waren, dann nehmen wir ihm eben etwas anderes mit. Wir nehmen ihm etwas zu trinken mit. Das wird ihn betrunken machen und ablenken und dann ist es ein Leichtes an ihm vorbeizukommen - hinein in die Mine und zu seinem Schatz!" "Ja! Eine großartige Idee!", pflichtete man ihm begeistert bei. "Wir nehmen ihm ein Faß Wein mit!", riet einer. "Wein? Zwerge trinken keinen Wein! Die trinken nur Zwergenbier!", wußte es ein anderer besser. Der Bürgermeister runzelte die Stirn. "Zwergenbier, das haben wir nicht. Aber wir haben unser gutes Ale. Ich kaufe alles an, alle Vorräte, die wir im Dorfe gelagert haben. Da bin ich nicht geizig!", beschloß er und so ward es dann auch getan. Schon im Morgengrauen holten die Knechte einen großen Wagen und luden ein Dutzend Fässer des besten Bieres auf, das man hatte kaufen können. Diesmal schwitzten und ächzten sie noch ärger als am vergangenen Tag, aber das machte ihnen nichts aus. Die Gedanken an den Schatz, den sie finden würden, ließ sie jeden Stein, jede Schlucht und jede Steilwand überwinden.
Als sie erneut an die Mine gelangten, saß der Zwerg wieder auf seiner Bank und sah hinauf in die Wolken. "Holla! Da seid Ihr ja wieder!", begrüßte er sie und sprang auf. "Und was bringt Ihr diesmal?", fragte er argwöhnisch, doch seine Laune besserte sich schlagartig, als man ihm versicherte, daß es das allerbeste Bier war, das er je getrunken hätte. Der Zwerg freute sich, nahm seine Axt und schlug auch sogleich den Deckel des obersten Fasses ein. Er beugte sich vornüber in das Faß und begann mit großen Schlucken zu trinken. Die Männer aus dem Dorf staunten nicht schlecht. Heimlich schlossen sie sogar Wetten ab, wieviele Fässer der Zwerg leeren könnte, bis er vollkommen betrunken war und besinnungslos umfiel.
Aber der Zwerg fiel nicht um. Er trank alle zwölf Fässer leer und schüttelte dann dem Bürgermeister die Hand. Weder schwankte er, noch verzerrte sich seine Stimme. Er blickte lediglich zufriedener drein als zuvor. "Ich dank Euch schön, Herr Bürgermeister, das hat wirklich gut getan.", meinte er und begann ein fröhliches Lied zu pfeifen.
Da erkannten die Männer mißmutig, daß auch diese List keinerlei Erfolg hatte und sie auch heute nicht in die Mine gelangen würden. Der Zwerg baute sich wieder vor dem Eingang des Stollens auf und bewachte seine Türe. Niedergeschlagen machten sie sich auf den Rückweg und keiner von ihnen sprach ein Wort. Der Bürgermeister ließ von allen die Schultern am tiefsten hängen.

"Es hat wohl keinen Zweck...", gaben sie zu, als sie wieder im Dorfe angelangt waren. "An dem kommen wir nicht vorbei." Aber der Bürgermeister wollte nun erst Recht nicht aufgeben. "So ein Unsinn!", brüllte er laut. "Wenn er keine Geschenke will und auch nicht betrunken wird, dann werden wir eben gegen ihn kämpfen und ihn einfach niederschlagen! Das wollen wir doch mal sehen, ob wir so nicht an ihm vorbeikommen!" Er schien langsam außer sich vor Begierde und vor unlauterem Zorn. Die Männer blickten ihn mit großen Augen an, aber er ließ ihnen kaum Zeit, über seine Worte nachzudenken. Er trieb sie sofort an und scheuchte sie alle zum Dorfe hinaus. "Los! Mistgabeln, Knüppel und Schürhaken geholt! Dem werden wir es zeigen! Das wäre doch gelacht" Seine Augen glühten wieder, aber diesmal vor Bosheit. Noch am selben Abend, in der Dunkelheit, machten sich die Dorfbewohner zum dritten Male auf den Weg zum Gipfel des Berges. Sie waren müde und ihnen schmerzten reichlich die Knochen, waren sie doch heute schon einmal den langen Weg hinaufgestiegen. Doch ihr Anführer wollte davon nichts wissen. Heute - und in dieser Nacht - würde er zu seinem Schatz kommen. Koste es, was es wolle.
Stolpernd, stöhnend und erschöpft gelangte die Truppe weit nach Mitternacht wieder zu der geheimnisvollen Mine. Der Zwerg lag auf seiner Bank, eingewickelt in seinen Zwergenmantel, und schlief tief und fest. Der Bürgermeister packte einen seiner Knechte und schubste ihn zu dem Zwerg. "Los, zieh ihm eins über!", zischte er und der Mann wagte sich schließlich auch langsam vor. Doch kaum wollte er mit dem ärmlichen Knüppel, den er in den Händen hielt, zuschlagen, da erwachte der Zwerg und ließ ein lautes Brüllen hören. Sofort erkannte er die Absicht seiner Besucher. "Lausepack!", rief er ärgerlich. "Was wollt Ihr schon wieder! Wohl eine Tracht Prügel, das könnt Ihr haben!" Und da nahm er seine Axt und stürzte sich mitten in die Männer ein. Einem nach dem anderen verdrosch er dem Wanst und hieb sie alle grün und blau, bis sie am Boden lagen und um Gnade flehten. Nur den Bürgermeister verschonte er, der hatte sich auf die Knie geworfen und rang flehend die Hände. "Bitte nicht, bitte verhaut mich nicht, guter Herr Zwerg!", jammerte er, daß es wirklich zum Erbarmen war. Und so hatter auch der Zwerg ein Einsehen und ließ die Axt sinken. "Wenn es Dir so wichtig ist, Du Wurm, daß Du mir sogar den Kopf dafür abschlagen würdest - dann geh hinein in die verflixte Mine! Aber mach rasch, bevor ich es mir anders überlege!", raunte er mißmutig und trat beiseite. "Oh, wirklich?", machte da der Bürgermeister, erhob sich glücklich und klopfte sich den Staub von seinem edlen Gewand. Der Zwerg nickte und setzte sich wieder auf seine Bank. "Sowas hab ich ja noch nicht erlebt....", murmelte er zu sich selbst, als der Bürgermeister nun an ihm vorbeistürmte und ihm dunklen Eingang des Stollens verschwand.

In seinem Eifer und seiner Gier riß er nur eine der Fackeln von den Wänden, und dachte gar nicht daran, Speis und Trank einzustecken. Aber er schien keinen Hunger und auch keinen Durst zu spüren. Er rannte weiter, nur immer weiter in den Berg hinein, so schnell er nur konnte. Alsbald ging ihm die Fackel aus und er sah nicht mehr das Geringste in der Schwärze der langen Stollen, doch auch das schien ihm nichts auszumachen. Dann kroch er eben auf seinen Händen und Füßen weiter und drehte jeden noch so kleinen Stein um, in der Hoffnung, daß er sich wie ein Juwel anfühlen möge. Er tastete in die dunklen Ecken, in jede Ritze und in jeden Hohlraum.
Drei Tage lang, so wurde später erzählt, irrte er durch die endlosen Gänge der Mine. Am Morgen des vierten Tages mußte er sich dann eingestehen, daß er nichts gefunden hatte, was wirklich wertvoll gewesen wäre. Blind von der Finsternis und von zahllosen Tränen der Enttäuschung, suchte er sich verzweifelt den Weg zurück ans Tageslicht. Es dauerte noch bis zum Abend, bis er ihn endlich gefunden hatte. Hustend und zerschunden, vollkommen erschöpft und mit knurrendem Magen kroch er schließlich wieder aus der Mine hinaus und ließ sich schwer atmend neben den Zwergen auf seine Bank fallen. Er stütze den Kopf in die Hände und begann erneut bitterlich zu weinen. "Na, na!", sagte da der Zwerg und klopfte dem Bürgermeister beschwichtigend auf die Schulter, bis der sich endlich wieder beruhigt hatte und den Zwergen schwermütig ansah. Er schluckte nur und sagte kein Wort. So war es der Zwerg, der als Erster sprach: "Sag mal, was hast Du da eigentlich gesucht in der Mine? Warum war es so furchtbar wichtig für Dich, hinein zu gelangen?", fragte er. Der Bürgermeister zog die Nase hoch. "Wegen dem Schatz!", maulte er kleinlaut. Der Zwerg runzelte die Stirn. "Schatz? Was für ein Schatz denn?", hakte er nach. "Na, dem Schatz, der in der Mine ist und den Du so sorgsam hütest!", erwiderte der Bürgermeister unwillig. Da brach der Zwerg in lautes Gelächter aus. Er klopfte sich sogar auf die Schenkel, so sehr mußte er lachen. Den Bürgermeister stimmte dies noch verdrießlicher. "Hast Du etwa gar nicht nach Schätzen gegraben all die Zeit über?", fragte er und der Zwerg schüttelte den Kopf. "Nein, warum sollte ich...ich bin schon so alt, das ist mir viel zu anstrengend. Und außerdem - warum sollte ich dort im Berg nach einem Schatz graben, wenn es solche wie Dich gibt, die mir meinen Schatz einfach herbringen und vor die Füße legen?", antwortete er. Der Bürgermeister verstand das nicht recht. "Aber wie konnte ich...", murmelte er. Der Zwerg hieb ihm erneut auf die Schulter. "Naja, Du brachtest mir einen ganzen Sack voll der feinsten Zigarren, und einen Karren des besten Bieres - und darüber hinaus habe ich feine Gesellschaft von Dir gehabt. Hier oben ist es manchmal ganz schön einsam, da ist mir eine Freundschaft doch der größte Schatz!", schmunzelte er zufrieden. Der Bürgermeister dagegen konnte kaum glauben, was er da hörte. "Und...und warum durften wir dann nicht in die Mine hinein, wenn sie doch leer ist?", stammelte er. Auch darauf hatte der Zwerg eine Antwort: "Das ist ganz einfach, es ist eine Sache der Höflichkeit. Ihr habt mich weder gefragt, noch habt Ihr Bitte gesagt. Ihr wolltet einfach hineinrennen, dabei ist das doch immerhin mein Heim! So geht das einfach nicht."
Da mußte der Bürgermeister den Kopf noch tiefer sinken lassen, als er erkannte wie Recht der Zwerg mit seinen Worten hatte. Schweren Herzens nickte er und machte sich dann auf den Heimweg. Fortan hat er immer Bitte gesagt - selbst wenn er jemanden nur nach der Tageszeit fragte.

Und der Zwerg...der blieb allein wie eh und je in seiner Mine zurück. Wer weiß...vielleicht hat er doch eines Tages noch ein paar Edelsteine ausgegraben. Wir werden es wohl nie erfahren.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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