#1

Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:53
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

[...] Men now fear and misdoubt the Elves, and yet know little of them. And we of Gondor grow like other Men, like the Men of Rohan; for even they, who are foes of the Dark Lord, shun the Elves and speak of the Golden Wood with dread.
Yet there are among us still some who have dealings with Elves when they may, and ever and anon one will go in secret to Lorien, seldom to return. [...]
(Faramir in J.R.R. Tolkien, The Two Towers, Book IV, Ch. V, The Window of the West, p. 288)
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~ Von Pferd und Schwert ~

Bree, so sagt man, ist wohl der Ort in Mittelerde, an dem sich das seltsamste und das unterschiedlichste Volk tummelt: groß, klein, füllig, dünn, hell, dunkel, arm, reich, edel und weniger edel. Und wer einmal in seinem Leben Bree bereist hat, der weiß, daß das stimmt. Warum aber sollte man nach Bree reisen? Es ist ein mittelgroßes Städtchen ohne großen Rang und ohne jegliche Bedeutung. Weder ist es ein Bollwerk gegen die Dunkelheit im Osten, noch hat es einen großen König, dem seine Aufwartung zu machen den Helden unserer Zeit zur Ehre gereichen würde. Bree ist uralt, wurde nie überrannt oder erobert - aber das ist auch schon das einzig Bemerkenswerte, das es in Chroniken und gewichtigen Lehrbüchern über diese Stadt zu sagen gibt. Und doch gibt es genügend Gründe, warum Bree stets bevölkert und besucht ist: in Bree bekommt man eben alles, was man möchte! Wer einen tanzenden und spaßenden Hobbit sehen möchte, der reist nach Bree. Wer einen schönen Elben sehen und seinen getragenen Melodien zu lauschen wünscht, auch der reist nach Bree. Und um eines stolzen Reiters von Rohan ansichtig zu werden, auch dazu muß man sich nicht etwa in die goldenen Hallen des fernen Edoras aufmachen, nein...man geht einfach nach Bree.
Auch ich bin oft hier, obgleich ich nicht einmal annähernd aus dieser Gegend stamme. Aber ich lebte hier für eine lange Zeit und das Breeland ist mir vertraut. Ich komme hierher, in Brees Taverne vornehmlich, um mir die vielen Gesichter anzusehen, fremden und neuen Reden zu lauschen, am Kamin mein Bier zu trinken und vielleicht eine Pfeife zu rauchen. Ab und an erzähle ich selbst Geschichten, tausche mich mit anderen aus und frage die um Rat, die weiser sind als ich. Oder...die mir zumindest weiser erscheinen. Ich versuche mich auch heute wieder an einer Geschichte, doch wird es keine sein, die nun mit Bree zu tun hat. Ich finde hier nur die richtigen Zuhörer dafür. Natürlich könnte ich auch viel über meine Zeit in Bree berichten, aber das will ich lieber unterlassen, denn Unmut will ich keinen sähen. Ich gehöre der Gilde der Schattenpirscher an, landläufig bezeichnet man mich als "Schurkin" - so kann man sich vorstellen, welcher Art die meisten meiner Anekdoten sind und diese würden gewiß jene erfreuen, die sich gerne in den dunklen Ecken, verborgen unter ihren Kapuzenmänteln, der Taverne herumtreiben...aber nein. Auch Schurken haben eine Vergangenheit, die nichts mit Diebstählen, Streichen und gleichartigen Dingen zu tun hat, die man uns gemeinhin andichtet und - zugegeben - an denen auch viel Wahres dran ist. Heute spreche ich als die, die ich hinter meinem Gildenabzeichen bin: Nariena Ghaldean, Tochter von Galariad, geboren zu Pelargir, Gondor. Und ich setze mich an einen Tisch zu jenen, die man kundig und schriftgelehrt nennt, denn sie wissen um den Wert von Text und Schrift und den Geheimnissen, die zwischen den Zeilen verborgen liegen.
Ich bringe ein Tagebuch mit. Es gehört nicht mir, es gehört eigentlich meiner Großmutter Galawyn, aber wer sie kennt, weiß, daß sie selbst sich kaum mehr erinnert, jemals überhaupt ein Tagebuch oder eine andere Schrift angefertigt zu haben. Ihr Geist weilt in der Ferne, sowohl an Ort als auch an Zeit. Er blieb zurück an einem Tag, an dem ihr so Schreckliches widerfuhr, daß sie sich selbst vor der Welt verschloß und bis heute nicht mehr die Türen öffnete, die sie so fest zugeschlagen hatte. Doch ihre Aufzeichnungen über jenen Tag, die gibt es noch. Lange verborgen in einer Kiste auf dem Dachboden jenen Hauses, das meine Familie in Bree erwarb, nachdem sie hierher ausgewandert war. Für diese Auswanderung gab es vielerlei Gründe: zum einen der Weg meines Vaters Galariad, den diplomatischer Befehl aus Gondor ins Breeland sandte. Und zum anderen etwas, das weitaus persönlicher war, das nicht nur meine Großmutter erschreckte, sondern meine ganze Familie und das uns bis heute wie ein Schatten im Nacken sitzt. Uns ging es gut mit diesem Schatten, wir hatten ihn beinahe vergessen, so fern der Heimat. Und wir rechneten auch nicht damit, sie jemals wiederzusehen. Doch nun....nun scheint sich alles zu verändern. Gondor ist nicht mehr so fern, wie es vor wenigen Monaten noch war. Der versperrte Weg zurück in den Osten öffnet sich wieder und die freien Völker sammeln sich, um ihn zu beschreiten und dem entgegen zu treten, was an seinem Ende auf sie lauert und jetzt schon mit kalten Klauen nach ihnen greift: Mordor. Wer aus Gondor stammt, der weiß, was das bedeutet, lebte er doch seit jeher in finsterer Nachbarschaft mit diesem Land und seinen Kreaturen. Die meisten reden nicht gerne darüber, denn wohliger ist es ja auch, sich über angenehme und erheiternde Dinge zu unterhalten. Wem also danach ist, der solle nun gehen und weghören. Die anderen, die auch lauschen, wenn über Dunkelheit und Grauen berichtet wird, die sollen bleiben. Es ist Zeit, sich zu erinnern. Und - es ist Zeit sich vorzubereiten auf das, was kommen wird. Für alle. Wisset, daß dort nicht nur Heldentaten gegen den Feind warten werden, nicht nur Ruhm und Sieg, sondern auch Schmerz und Verlust.


Ich schlage nun das Tagebuch meiner Großmutter Galawyn auf. Verzeiht, wenn meine Stimme heute leiser sein mag als gewöhnlich...


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#2

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:55
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 1


~Die Waldelben von Lórien~

Aus den Aufzeichnungen von Galawyn Ghaldean


Prolog:

Müde sind meine Knochen nun und schwer fällt es mir die Hand zu erheben, doch wenn auch die Feder schwach in meinen Fingern liegt, so will ich berichten von einer Reise, die wohl eine meiner seltsamsten war. Viel sah ich in den langen Jahren meines Lebens und viel verwunderte mich – doch nur wenig bewegte mich so sehr wie jener Tag, als ich die Grenzen zu einem Reich überschritt, welches einst zu viel Kenntnis unter den Menschen Rohans und Gondors gelangen sollte.
Ein Volk wohnte dort in jenen Landen, welches sich selbst die „Galadrim“ nannte. Eine lange Geschichte begleitete es wohl und in diesen Tagen, wo das Licht meiner Augen langsam zu erlöschen beginnt, will ich sie nieder schreiben auf das Pergament, das jene Geschichte noch immer erzählen soll, wenn meine Stimme längst verklungen ist.

Die Galadrim kamen einst aus dem Westen, sagten sie mir. Sie erlebten den Wandel der Welt und wandelten sich selbst, sie erlebten das Aufgehen neuer Könige und ihren Fall unter der Hand des dunklen Herrschers. Sie sahen Kontinente versinken und tauchten wieder ein in die Finsternis, sie nahmen den Untergang vieler Wesen hin und lebten im Verborgenen weiter – doch immer überlebten sie und ihre Geschichte wurde geschrieben, weitab von der Kenntnis der Weisesten unter uns, obgleich sie älter als die Welt selbst sein mochten. So munkelten manche, denen ich später begegnete...doch die Leute reden viel, wenn die Kerzen heruntergebrannt sind und das Bier ihre Kehlen benetzt. So will ich selbst berichten, was meine müden Augen sahen und meine Geschichte nimmt ihren Anfang. Denn ich beschloß nun selbst in die goldenen Waldreiche aufzubrechen, die doch so nah an meine eigenen Lande grenzten und die dennoch so fern und geheimnisvoll schienen wie die Sterne.




Kapitel 1: Der goldene Wald


Es muß im Sommer gewesen sein...

Meine Füße führten mich auf verschlungenen Wegen durch tiefe Schluchten. Lange war ich gelaufen, schwer auf meinen Wanderstab gestützt, und Müdigkeit plagte mich. Längst musste ich einsehen, dass ich mich verlaufen hatte, als die Schatten der Bäume auf den Berghängen immer länger wurden und das goldene Licht der untergehenden Sonne durch die grünen Dächer der Blätter auf mich hinab fiel. Eine kleine Lichtung tat sich vor mir auf und die Schlucht verbreiterte sich. So strebte ich seufzend auf sie zu, mich endlich niederlassend und die alten Beine ausstreckend. Krumm waren sie geworden und ich schmunzelte in meine lange Robe hinein. Ein alte Frau wie ich...zwar einst in Pelargir sesshaft geworden, und doch immer nur auf Wanderschaft...und ausgerechnet ich hatte mich verlaufen. Doch mein Sinnen half ja nichts, ich musste einen Weg aus diesem Gebirge finden und so öffnete ich meinen Rucksack und nahm einige Karten zur Hand. Ich betrachtete sie aufmerksam und erkannte einige Wegpunkte wieder, die ich wohl passiert haben musste, auch fand ich die Stelle, wo ich die Grenze Rohans überschritten hatte, doch wo ich mich jetzt befand vermochte ich nicht zu sagen. Wie ich die Karte auch drehte und wendete, ich war mir schließlich sicher, dass dieser Ort auf der Karte völlig fehlte. Erstaunt strich ich mir das Haar zurück, dass ich wohl tatsächlich auf ein Stück Land gestoßen war, dass den meisten Kartographen unbekannt war – und ich hatte in meinem langen Leben eine Menge Kartographen kennengelernt. Ich liebte Karten. Oftmals lernte ich sie gänzlich auswendig. Ich schätze die feinen Zeichnungen, die lieblichen Schriften, welche oft gar kunstvoll verziert waren – doch noch mehr mochte ich die Vorstellung, welche Völker, welche Wesen, welche Reiche sich hinter den Zeichnungen der Karten verbergen mochten. Ich träumte viel – und irgendwann war ich einfach aufgebrochen, um sie alle zu erkunden. Doch noch nie war es mir passiert, dass ich mich verlief und in einem Land wiederfand, von dem es keine Karte gab, oder zumindest keine vollständige, die den Menschen zugänglich gewesen wäre.

Da saß ich nun, ich alte Närrin, und glotzte in die hereinbrechende Nacht. So nahm ich schließlich mein Zunderholz und entfachte ein kleines Feuer, das mich wärmen sollte. Ich lehnte mich an einen Baum und versuchte es mir so bequem wie möglich zu machen. Auf den Morgen warten wollte ich und beobachtete eine lange Zeit den Mond, der langsam über den blinkenden Sternhimmel kroch. Irgendwann fielen mir die Augen zu und ich nickte ein. Unruhig schlief ich. Die Borke des Baums drückte unangenehm gegen meinen Rücken und ich rutschte immer wieder ab. Meine Schulter schlief ein und kribbelte. Ärgerlich schlug ich die Augen wieder auf, doch traf mich der Schlag, als ich plötzlich einige dunkle Gestalten auf meiner Lichtung entdeckte. Mein Feuerchen glimmte nur noch, doch konnte ich sie erkennen. Sie waren klein und gedrungen, doch stämmig und kräftig und sie verströmten einen wahrhaft abscheulichen Gestank. Sie kamen direkt auf mich zu und ich hörte sie grunzen und knurren. Bei Elendil, dachte ich! Es waren Orks! Meine Hand glitt über den Boden und ich versuchte rasch meinen Wanderstab zu packen. Eine geringe, kaum ausreichende Waffe...denn ich war Entdeckerin, keine Kämpferin und so war dies meine einzige Verteidigung. Gegen eine Truppe von Orks konnte sie nicht viel ausrichten, doch wollte ich nicht wehrlos sterben. Immer weiter kamen sie auf mich zu, es mussten sieben oder acht an der Zahl sein und ihr Gestank vernebelte mir beinahe die Sinne. Ich spürte, dass ich wohl bald mein Leben unter ihren Klauen aushauchen würde.


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#3

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:55
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 2

Doch plötzlich hörte ich ein merkwürdiges Flüstern und ein dichter, undurchsichtiger Nebel kam auf. Mir war als huschten Gestalten an mir vorbei und ein leises Flüstern war zu vernehmen. Es klang beinahe wie eine Art Flüstergesang. Die Orks begannen zu röcheln und dumpfe Kampfgeräusche waren zu hören. Dann verging der Nebel so unverwandt wie er gekommen war, doch die Orks waren tot – und sie hatten merkwürdige Schnitte auf ihren Körpern und schlanke Pfeile steckten in ihren Hälsen.
Ungläubig starrte ich auf das, was sich eben zugetragen zu haben schien. Schnell entfachte ich das Feuer wieder und blickte mich um. Kaum eine Spur dieses Nebels war mehr zu sehen...nur noch einige Schwaden waberten zwischen den umherstehenden Bäumen und Felsen, doch die Lichtung war wieder frei. Ich trat zwischen die toten Orks und drehte einige von ihnen mit der Stiefelspitze herum. Es konnten nur wenige Minuten vergangen sein, vielleicht drei oder vier – doch die Orks waren tatsächlich mausetot! Ich hatte mir diesen Kampf nicht eingebildet...er hatte stattgefunden. Verstört schüttelte ich den Kopf und ging in die Hocke, eine der Leichen näher untersuchend. Ich betrachtete eingehend den Schaft eines Pfeils, der in ihrem Körper steckte. Ich hatte noch nie einen solchen Pfeil gesehen. Er war aus dunklem Holz und mit eigenartigen Schriftzeichen versehen, die so fein und filigran gewebt waren, dass ich sie einfach wunderschön fand.
Wieder blickte ich mich um...zu gerne hätte ich meine unsichtbaren Retter zu Gesicht bekommen, ihnen gedankt und einfach nur sehen wollen, was für Wesen sie wohl sein mochten – die so leicht und präzise mit einer Horde Orks fertig geworden waren. Doch Stille herrschte. Nicht einmal die Grillen zirpten mehr, noch vernahm ich die dumpfen Schreie der Eulen. Es war unheimlich. Ob sie noch in der Nähe waren? Ich vermochte es nicht zu sagen, doch bekam ich auf einmal das Gefühl, beobachtet zu werden. Was sollte ich nun tun...hierbleiben wollte ich nicht, doch wohin sollte ich schon gehen – mitten in der Nacht, in einem Gebiet, in dem ich mich nicht auskannte. So entschloß ich mich, die Orks zu beseitigen. Ich packte einen an den Füßen und schleifte ihn zum Rand der Lichtung, zwischen die erste Reihe der nahestehenden Felsen. So verfuhr ich auch mit den anderen...ich wollte ihre Kadaver wenigstens nicht sehen müssen. Keuchend und stöhnend hatte ich sie schließlich irgendwann alle fort geschafft und nebeneinander gelegt, als ich wieder zu meinem Baum zurückkehrte und mich erneut niederließ. Mein Körper zitterte und mir war übel. Doch war ich erschöpft und wollte versuchen, noch ein wenig zu schlafen, bis der Morgen anbrach. Ich hatte kein gutes Gefühl, auch wenn ich nicht direkt Angst verspürte...denn etwas oder jemand an diesem Ort schien auf mich aufzupassen. So lehnte ich mich wieder gegen den Baumstamm und wollte die Augen schließen, als etwas auf der Lichtung meine Aufmerksamkeit erregte:

Im matten Feuerschein sah ich etwas glänzen. Es musste ein Gegenstand sein, der dort im Gras lag...die Flammen tanzten auf seiner Oberfläche und ließen ihn immer wieder aufblitzen. Ich stutzte und richtete mich auf, auf allen Vieren krabbelte ich zu jenem Ding hinüber. So wie es glänzte, musste es aus Metall sein. Hatte ich etwas von den Orks übersehen – oder gehörte es gar meinen unbekannten Rettern? Noch näher kam ich jenem Kleinod und schob schließlich Gras und Erde beiseite, als ich es erreicht hatte. Mein Erstaunen war nicht gering, als ich ein Schwert vor mir auf dem Boden liegen sah. Ich nahm es vorsichtig auf und betrachtete es.
Nein, es gehörte gewiß nicht den Orks. Es war eine kunstvolle, elegante Klinge und in ihrem Griff waren jene Schriftzeichen eingraviert, die ich auch in den Schäften der Pfeile vorgefunden hatte, die die Orks getötet hatten.


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#4

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:55
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 3

An der Schneide der Klinge klebte Blut. Der, dem dieses Schwert gehörte, musste also einer meiner Befreier sein! Aufregung wuchs in mir und mein Herz begann zu klopfen. Ich sprang auf die Füße als sei ich eine junge Maid und hielt das Schwert hoch, mich damit im Kreise drehend. „Grüße, meine Freunde!“, rief ich lauthals aus, in alle Richtungen blickend – ich war sicher, dass sie noch da waren. „Ich habe etwas gefunden, das Euch gehört und möchte es zurückgeben!“

Ich platzte beinahe vor Neugier, ob sie sich zeigen würden. Noch höher reckte ich das Schwert, damit sie es sehen sollten – wo immer sie auch waren. Doch zu meiner Enttäuschung passierte gar nichts. Schon hatte ich erwartet, dass wieder ein unheimlicher Nebel aufsteigen und das Schwert einfach verschlucken würde – doch nichts geschah, nichts regte sich. „Heda!“, rief ich noch einmal. Wieder nichts. Schließlich gab ich es auf und kehrte zu meinem Nachtlager am Fuße des großen Baumes zurück. Das Schwert hielt ich fest in den Armen. Vielleicht interessierte sie diese Klinge auch gar nicht...vielleicht war ich ein Narr zu glauben, dass sie wegen eines Schwertes zurückkommen würden. So nahm ich es an mich und schlief mit enttäuschten und verwunderten Gedanken wieder ein.

Die Morgensonne kitzelte mich in der Nase, als ich am nächsten Vormittag erwachte. Ich hörte Vögel zwitschern und die Lichtung schien von Sonne nur so durchflutet zu sein. Meine Glieder streckend richtete ich mich auf und das Schwert fiel mir in den Schoß – offenbar hatte ich es die gesamte Nacht lang umklammert gehalten. Ich schüttelte den Kopf, um vollends wach zu werden und warf einen Blick auf die Lichtung. Meine Stirn runzelte sich: es waren keine Spuren zu erkennen. Nicht einmal das Gras war noch plattgedrückt, wo die Leichen der Orks gelegen hatten. Ich stand auf, das Schwert in der Hand haltend und ging auf den Rand der Lichtung zu, wo ich die Kadaver hingeschafft hatte, um sie aus den Augen zu haben. Auch diese waren verschwunden!
Ich ballte eine Faust. Betrog mich mein Verstand? Nein, das konnte nicht sein...als Beweis hielt ich diese Klinge in der Hand. Ich wog das Metall in der Hand – sie war echt. Ich blinzelte. Nein, die Klinge war da. Ich hatte diesen Kampf erlebt.
Doch beschloß ich, diese Lichtung so schnell wie möglich zu verlassen. So raffte ich mein spärliches Gepäck und verließ ernsten Blickes den Ort, einen Pfad suchend, der mich hoffentlich rasch aus diesem Gebirge führen würde. Aus dem Bauch heraus schlug ich den Weg nach Westen ein, zu diesem Zeitpunkt nicht ahnend, dass mich dieser Weg nur noch tiefer in diese Lande führen sollte.

Das Schwert nahm ich mit mir und betrachtete es im Gehen immer wieder. Der Griff schien aus purem Gold zu sein, so sehr funkelte und glänzte es. Ein kostbares Stück. Und dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass man mich für einen Dieb halten könnte, wenn man ein solch edles Schwert bei mir fand. Ich blickte an mir herab: meine Kleidung war abgenutzt und verwaschen. Wahrlich, ich machte keineswegs den Eindruck, als hätte ich ein solches Kunstwerk auf rechtem Wege erworben. Doch was sollte ich tun? Es einfach ins Gebüsch schmeißen konnte ich nicht, es war der einzige Hinweis auf das Geheimnis, das die vergangene Nacht für mich geborgen hatte. Und die Neugier trieb mich, es zu lüften.

Als ich so grübelte, hatte ich nicht gemerkt, dass meine Schritte mich tatsächlich wieder auf einen Pfad geführt hatten. Ein befestigter Weg führte auf einmal vor mir durch die Felsen und ich atmete auf. Gewiß war eine Siedlung oder gar eine Stadt in der Nähe...wer sonst hätte sich die Mühe gemacht, diesen Weg anzulegen. Ich prüfte seine Festigkeit mit dem Fuß. Wahrscheinlich wäre er sogar für ein Fuhrwerk oder zumindest einen Handkarren tauglich gewesen. Ich verbarg das Schwert unter meinem Umhang. Wenn mir jemand auf dieser Straße begegnete, so musste er es ja nicht unbedingt sofort sehen.

Doch ich handelte zu spät...


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#5

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:56
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 4

Unmittelbar vor mir raschelte es plötzlich in einer Baumkrone. Ich zuckte zusammen und blickte nach oben. Ein mächtiger Ast hing in vier Schritt Höhe über meinem Kopf über der Straße und sein Blattwerk teilte sich. Ich nahm eine schattenhafte Bewegung wahr und eine sorgsam verhüllte Gestalt landete in einer eleganten Rolle vor mir auf der Straße. Sie schwang sich von dem Ast hinab und ihre Füße kamen lautlos auf, nicht einmal das leichte Geröll unter ihren Stiefeln knirschte. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung, als sich die Gestalt aufrichtete, den dunkelgrünen Umhang zurückschlug und einen Arm auffordernd nach mir ausstreckte. „Du hast etwas, das mir gehört, alte Frau. Gib es mir.“, sprach sie zu mir. Ich konnte mich kaum rühren und öffnete nur sprachlos den Mund. Die Stimme jenes Wesens klang klar und warm, nicht unfreundlich, doch sehr bestimmt. Es war also ein Mann und er war gut und gerne einen Kopf größer als ich, sehr schlanken Körperbaus, doch von nicht zu unterschätzender, sehniger Kraft.

Ich blickte in das Dunkel seiner Kapuze, sein Gesicht konnte ich nicht ausmachen. Seine Hand bewegte sich in fordernder Geste. „Gib mir das Schwert, es gehört dir nicht!“, wiederholte er. Breitbeinig stand er vor mir auf der Straße und schien mich scharf musternd anzublicken. Ich spürte förmlich seinen stechenden Blick, obgleich ich seine Augen nicht sah. Ich holte zitternd das Schwert unter meinem Mantel hervor und hielt es ihm hin. Langsam kam er auf mich zu. Seine Bewegungen waren flüssig und leicht, er hatte nichts Bedrohliches an sich, doch bemerkte ich, dass er sehr aufmerksam und konzentriert war. Meine Furcht verflog und wieder überkam mich Neugierde. Als er mich erreicht hatte und nach dem Schwert griff, ließ ich die Klinge nicht los, sondern hielt sie zu meiner eigenen Überraschung stur fest. „Wer bist du?“, fragte ich den Fremden keck.
Er sog die Luft ein und hielt einen Augenblick inne, als hätte er nicht mit dieser Frage gerechnet. Doch dann verhärtete sich sein Griff um das Schwert und er entriß es mir mit einem Ruck, ohne dass ich hätte dagegen halten können. So musste ich es fahren lassen und sah nur noch zu, wie er es in eine Scheide an seinem Gürtel steckte. Er war in braune, sehr feine Stoffe gekleidet, die ausgezeichnet zugeschnitten waren. Schon dachte ich, er wolle einfach wieder verschwinden, doch dann erhob er noch einmal ddie Stimme: „Geh deines Weges, Menschenweib, und kehre nicht in diese Wälder und Schluchten zurück.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. „Aber ich kenne den Weg nicht!“, warf ich schnell ein. Der Fremde hielt erneut inne. Ich hörte ihn leise seufzen. „Wohin willst du? Vielleicht kann ich dir helfen.“, sagte er widerstrebend, doch bedächtig.

"Ich...ich weiß nicht....ich habe mich verlaufen...und besitze keine Karte, die diesen Wald verzeichnet. Wenn Ihr mich zur nächsten Siedlungen bringen könntet, wäre ich Euch mehr als dankbar.“, erbat ich. Er lachte leise. „Du hast dich verlaufen und weißt nicht, wohin du willst? Dies ist kein günstiger Ort für dich...so werde ich dir helfen. Denn ich will dich genauso schnell wieder loswerden, wie auch du diesen Ort verlassen willst.“, meinte er dann und drehte sich zu mir um, mir bedeutend, dass ich ihm folgen sollte.
Ich schloß zu ihm auf. „Wie nennt man diesen Ort?“, fragte ich neugierig, als wir unseren Weg fortsetzten. Der Fremde führte mich die Straße entlang. „Dies ist das Land Lothlorien. Und ich werde dir nun den kürzesten Weg hinaus zeigen.“, erwiderte er knapp, ohne weiter auf meine Frage einzugehen. Lothlorien – diesen Namen hatte ich schon zuvor gehört. Er wurde stets verhalten ausgesprochen und mit großer Ehrfurcht.
Der Fremde zog mich bald von der Straße und schlug einen schmalen Pfad ein, der verschlungen durch niedrige Felsen und Farne führte. Ich verlor nun völlig die Orientierung. Und wäre dieser Mann nicht bei mir gewesen...wahrscheinlich hätte ich auf ewig in diesem Land festgesessen und wäre ohne Ziel herumgeirrt. Ich folgte ihm so dicht ich konnte, so dass er mich immer wieder von sich schob, als könne er die direkte Nähe nicht ertragen.


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#6

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:56
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 5

„Ihr habt mich letzte Nacht vor den Orks gerettet, nicht wahr? Ich möchte Euch wahrlich dafür danken...“, richtete ich irgendwann wieder das Wort an meinen Begleiter. Er schwieg. Nach einigen Sekunden nickte er jedoch. Er war wirklich seltsam. Je länger ich ihm durch die Stille der Bäume folgte, umso seltsamer erschien er mir. Die Luft erwärmte sich langsam und Staubpartikel tanzten in den einfallenden Sonnenstrahlen. Ich wurde etwas schläfrig, hatte ich in der Nacht kaum und nur schlecht geschlafen. Meine Knochen schmerzten mich und ich begann zu keuchen. Meine Vorräte waren erschöpft und so hatte ich auch kein Frühstück eingenommen. Nur mühsam hielt ich meine Augen auf den Fremden gerichtet, um seine Spur nicht zu verlieren.
Doch immer mehr war mir, als würden seine Umrisse mit dem Wald verschmelzen. Nur dort, wo das Sonnenlicht hell durch die Baumwipfel der knorrigen Bäume am Wegesrand schien, sah ich ihn deutlich vor mir. Vor der dunklen Felswand schien er beinahe gänzlich unsichtbar zu sein. Welch ein Wesen war er nur....ich hätte meinen rechten Arm dafür gegeben, nur um einmal in sein Gesicht blicken zu dürfen.

Stunden mussten vergangen sein, wie er mich so durch das Land führte. Ich wurde immer hungriger und müder und meine Kräfte schwanden, bis ich plötzlich strauchelte. Mein Begleiter bemerkte es sogleich und packte mich unter den Armen, mich auffangend. „Was ist mir dir, Menschenweib?“, fragte er streng, doch schien er besorgt. Schweiß stand auf meiner Stirn, als er mich kraftvollen Griffs wieder aufrichtete. Ich spürte, wie er mich musterte. Dann nahm er mich kurzerhand hoch über seine Schulter und trug mich. Mein Kopf schmerzte und ich roch Tannennadeln und Moos, als mein Gesicht gegen den Rücken meines neuen Freundes fiel. Er beschleunigte seine Schritte, doch ging er immer noch leichtfüßig dahin. Die Sonne schien mir in den Nacken und ich spürte, wie flau mein Magen vor Hunger wurde. Meine Beine schmerzten und ich fiel schläfrig in den gleichmäßigen Trott des Fremden. Er schien beinahe nur so über die Felsen zu fliegen und ich sah den Boden rasch unter mir vorbeiziehen. Mir wurde schwindelig...und ich verlor schließlich das Bewusstsein.

Eine lange Zeit lag ich im Dunkel, nichts spürend, nichts wissend. Das Land um mich herum war versunken, noch spürte ich die Gegenwart des Fremden, der mich über seiner Schulter trug.
Nur schwer konnte ich mir selbst eingestehen, dass ich mir auf meine alten Tage zuviel zugemutet hatte. Tagelange Wanderungen ohne erholsamen Schlaf und ausreichende Vorräte – so töricht musste ich wohl das letzte Mal in meiner Jugend gewesen sein.
Meine Lippen fühlten sich rissig an, als ich irgendwann wieder die Augen aufschlug. Ich blinzelte...und dann öffnete ich sie ganz. Mein Kopf fuhr sofort hoch, als ich plötzlich nicht mehr die dichten Baumwipfel und steilen Felsklippen über mir erblickte, sondern auf den Stoff eines Baldachins blickte, der mit filigranen Ornamenten verziert war. Ich wälzte mich auf die Seite und hörte Kissen unter mir rascheln.
Verwundert blickte ich an mir hinab. Weiße Laken bedeckten meinen Körper und ich ruhte auf einem großen, weichen Lager. Ächzend versuchte ich mich aufzurichten, doch fühlte ich plötzlich einen Widerstand an meiner Schulter und es gelang mir nicht. Ich warf einen Blick seitwärts: ein Arm presste sich gegen meinen Oberkörper und drückte mich zurück in die Kissen. Sprachlos starrte ich auf diesen Arm. „Bleib ruhig liegen, Frau, und ruhe dich aus. Du bist erschöpft.“, hörte ich eine Stimme und ich erkannte, dass es dieselbe klare und so ungemein warme Stimme war, mit der mein seltsamer Begleiter gesprochen hatte. So gehorchte ich ihm und blickte auf, als mein Kopf wieder in die Kissen zurücksank.

Ich war sprachlos, als ich ihn anblickte. Wie sehr hatte ich mir doch gewünscht, dieses Wesen zu erblicken, welches so behände im Verborgenen kämpfte und gar im Sonnenlicht nahezu mit den Schatten der Bäume verschmolzen war. Ich hatte beinahe einen Geist erwartet...doch dieser hier war aus Fleisch und Blut.
Wie abwesend griff ich nach seinem Unterarm, der sich noch immer gegen meine Schulter stemmte und starrte weiter in sein Gesicht. Es war jung, doch waren seine dunklen Augen so zeitlos, dass ich nicht zu sagen vermochte, wie alt er tatsächlich war. Edel waren seine Gesichtszüge, doch seine Miene ernst und verschlossen. Schließlich nahm er seine Hand von meiner Schulter und richtete sich auf, seine Arme vor der Brust verschränkend. Blondes Haar, dass wie Gold glänzte, fiel seinen Rücken hinab und zwei spitze, lange Ohren ragten daraus hervor. "Ein Elb?", schoß es mir durch den Kopf. Von Licht erfüllt sollten diese Wesen sein, wie es die Legenden berichteten...und doch hatte dieser hier auch etwas Dunkles an sich. Nichts Greifbares, doch schien es spürbar von ihm auszugehen. Es mussten seine Augen sein. Sie waren so dunkel, dass ich beinahe schauderte, auch wenn ich nichts Feindseliges oder Unfreundliches darin erkennen konnte. Er schien nur mißtrauisch zu sein...irgendwie...


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#7

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:56
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Seite 6

Er trug ein ärmelloses Wams und seine bloßen Arme offenbarten eine alterslose Kraft. Ich schluckte. Dann fand ich wieder zu mir und sah mich um. Ich sah Bäume, viel größer und älter als noch zuvor an den Grenzen. Einige Säulen aus weiß getünchtem Stein standen zwischen ihnen umher und warfen lange Schatten. „Wo...wo...bin ich?“, fragte ich heiser. Der Elb nickte. „Nahe der...Stadt, wie Du es wohl nennen würdest...Caras Galadon. Du hast hier nichts zu befürchten. Ich brachte dich her, als du auf den Gebirgspfaden zusammenbrachst. Du sollst dich erholen, bevor du deine Reise fortsetzt.“, sagte er langsam.
Ich krächzte etwas, was wohl ein Dankeschön sein sollte. Meine Kehle war wie ausgedorrt. „Ich lasse Dir etwas zu essen und zu trinken bringen.“, entschied der Elb, als er es bemerkte, und wandte sich von mir ab. „Warte!“, rief ich ihm rasch hinterher, doch dann wurde ich von einem trockenen Husten geschüttelt und verlor meinen Retter aus den Augen. Er verschwand zwischen den mächtigen Bäumen.

Enttäuscht nun wieder allein zu sein, kam ich langsam zu Atem. Ich war in der Tat hungrig und durstig und so wartete ich ab, ob er noch einmal zurückkommen würde. Ich lauschte – und auf einmal vernahm ich das gleichmäßige Rauschen eines Wasserfalls. Er schien aus unmittelbarer Nähe zu kommen und so tat ich einen Blick um mich herum. Tatsächlich bemerkte ich am Horizont eine hohe Schlucht, aus der sich ein tosender Fluß in ein Tal ergoß, das meinen Blicken vom Lager aus jedoch verborgen blieb. Neugierig betrachtete ich weiter den Ausblick, der sich mir bot. Ich mußte auf einer Anhöhe liegen. Ich sah auf einige weitere Lager die ringsumher lagen, ähnlich dem meinen: mit Baldachinen überspannt oder auf Plattformen an den Stämmen der Bäume gelegen. Endlos dehnten sie sich aus. „Die Stadt der Elben...wahrlich..“, wiederholte ich tonlos die Worte des Elben.
Wie ein Kind, das zum ersten Mal den freien Himmel erblickt, starrte ich unter dem Baldachin hervor, als sich mir erneut jemand zu nähern begann...

Ich zuckte etwas zusammen, doch dann weiteten sich meine Augen vor Verwunderung, als ich eine Frau erkannte. Sie war in ein langes graublaues Gewand gekleidet.
Ihr Haar bedeckte eine weite Kapuze, doch schimmerten darunter seidige Locken hervor und ihre Haut war alabasterfarben. Um den Hals trug sie ein seltsames Amulett und etwas Unnahbares schien von ihr auszugehen. Schweigend trat sie an mich heran und legte mir eine kühle Hand auf die Stirn, dann nickte sie mir zu und sprach mit klarer Stimme: „Du darfst mich Lúiriel nennen.“ Ich neigte nur leicht den Kopf, meine Zunge schien plötzlich angeschwollen zu sein und füllte meinen gesamten Rachen aus – so kam es mir zumindest vor. Lúiriel betrachtete mich aufmerksam und sagte dann ruhig: „Du bist sehr erschöpft, Reisende, doch fehlt Dir nichts Ernstes und Du wirst bald wieder wohlauf sein. Bis dahin erfreue Dich der Gastfreundschaft der Galadrim, hier im Lager kannst Du Dich frei bewegen.“ Sie lächelte mir zu, dann erhob sie sich und meine Augen weiteten sich. Ich wollte nicht, dass sie ging. Dieses Volkes begann mich zu interessieren und ich musste mehr erfahren, selbst wenn es mich meine Seele kosten würde! So nahm ich all meine Kraft zusammen und stärkte den Rest Willen, der mir bei meiner Erschöpfung noch geblieben war. „Wartet, erzählt mir mehr über Euch!“, krächzte ich.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 20.12.2010 08:00 | nach oben springen

#8

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 18.12.2010 23:57
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

An dieser Stelle muß ich das Buch nun sinken lassen und schweige, denn hier enden die Aufzeichnungen Galawyns. Die folgenden Seiten sind herausgerissen, ganz deutlich ist es an der Mittelnaht des Buches zu erkennen. Etwa zwei Dutzend könnten es gewesen sein. Wer sie entfernt hat und warum, ist nicht vermerkt - jedoch schien es in großer Hast oder in großer Aufruhr geschehen zu sein, denn die Rißkanten sind äußerst unregelmäßig. Nur einen allerletzten, kaum auffindbaren Absatz will ich Euch noch vorlesen, verborgen auf einer der letzten, verbliebenen Seiten. Die so feine und gewissenhafte Handschrift meiner Großmutter wirkt plötzlich zittrig und uneben, ihre Sprache verworren. Hört zu:


Seite 33

Ich hätte auf Lúiriel hören sollen. Ich fühlte mich jedoch so beseelt, so erhaben und von solcher Neugier getrieben, daß ich ihre Warnung mißachtete. Ich konnte dem magischen Ding nicht fernbleiben, ich mußte hineinsehen - ebenso, wie ich es die Herrin selbst zuvor hatte tun sehen.

Dieser Kopfschmerz...bis in meine tiefsten Eingeweide drang er vor und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die Bilder, die ich in der schimmernden Oberfläche des Beckens sah...jedes einzelne schmerzte mich weiterhin und es gelang mir nicht mehr, sie aus meinem Geiste wieder zu verdrängen. War er tot? War er tatsächlich tot? Mein Galadan, mein Gatte? Ich weiß es nicht mehr. Ich sah nur noch die Dunkelheit, sonst nichts. Und ich fühlte Leere und Trauer, denn ich wußte, daß ich nach meinem Frevel verbannt worden war aus dem goldenen Wald.
Als ich die Augen wieder aufschlug, bemerkte ich den Jungen. Nein...ein Junge war es eigentlich nicht. Es war ein Mann, von dunkelbraunem Haar und ein leichter Bart bedeckte seine Wangen. Es war immer noch dunkel, obgleich in der Ferne ein Feuer in einem gemauerten Kamin zu brennen schien, daß das Haus mit Wärme füllte. Er sah mich mit verzerrtem Blick an, der große Sorge ausdrückte. Und Liebe. Aber ich konnte mich nicht erinnern. Er kniete vor mir, warum? Dann sah ich auch die Mädchen. Zwei waren es. Ihr Haar war lang und ebenso schwarz wie das seine. "Großmutter!", sagte die eine zu mir, sie mochte 12 oder 13 Jahre alt sein. Ich konnte mich nicht erinnern....wer war sie...



Ich lege dies Buch nun beiseite, denn mehr steht darin nicht geschrieben. Jenen Mann, den meine Großmutter in ihren letzten Zeilen beschreibt, war mein Vater: Galariad Ghaldean. Und eines der beiden Mädchen...das war ich. Das andere war meine Schwester Nariala.
Dunkel wird es draußen vor dem Fenster des "Pony". Die Zeit schreitet voran und ich weiß, daß sich nun viele Fragen auftun, mehr, als es Antworten zu geben scheint. Wollt Ihr noch etwas trinken? Bestellt Euch, was nach Eurem Sinne ist. Ruft Herrn Butterblume heran, auf daß er schäumende Krüge und gut gefüllte Kelche zu uns bringe. Ich zahle die Zeche - und seid unbesorgt, sie soll aus meiner Geldkatze beglichen sein und nichts wird später in den Euren unbemerkt fehlen. Denn noch ist die Zeit nicht gekommen, zu enden. Wir werden die Lücken füllen, die in das Tagebuch Galawyns geschlagen wurden.
Obgleich es ihn nicht erfreute, als ich ihn darum bat, war es doch mein Vater Galariad, der einen Teil des Verlorenen wiederbrachte. Er gab einem befreundeten Schreiber (sein Name ist Faerennaur, dies sei ihm zur Ehre erwähnt) Gedanken und Worte zur Niederschrift. Entzünden wir eine neue Kerze auf unserem Tisch, auf daß meine Augen genügend Licht zum Weiterlesen haben - denn keineswegs dürfen Galariads Worte nun ungehört bleiben. Höret...


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 20.12.2010 08:01 | nach oben springen

#9

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:12
von Airelind • Junior | 49 Beiträge

[...] Her son Eomer was born in 2991, and her daughter Eowyn in 2995. At that time Sauron had arisen again, and the shadow of Mordor reached out to Rohan. Orcs began to raid in the eastern regions and slay or steal horses. Others also came down from the Misty Mountains, many being great uruks in the service of Saruman, though it was long before that was suspected. [...]
(J.R.R. Tolkien, The Return of the King, Appendix A, II, The House of Eorl, p. 351)

__________________________


Es folgt ein Bericht Galariad Ghaldeans, Vater Nariena Ghaldeans, über das Schicksal seiner Familie, zugleich Ergänzung des Tagebuchfragments Galawyn Ghaldeans, seiner Mutter, über ihre folgenschwere Reise in den goldenen Wald.

Der folgende Bericht, den zu geben ich mich schwer tue, ist eine Ergänzung der Erzählung meiner Frau Mutter Galawyn und ihres Tagebuchs über den goldenen Wald. Der Titel, den sie ihren Aufzeichnungen verlieh - "Über die Waldelben" - läßt wenig von dem erahnen, was ihr selbst und unserer gesamten Familie in jenen schicksalsschweren Tagen widerfuhr.
Das Tagebuch selbst gelangte Nariena und damit nun euch allen zur Kenntnis und verbirgt schwere und schmerzhafte Erinnerungen. Nicht unlieb wäre es mir gewesen, wäre es niemals ans Licht gelangt und würde noch immer verborgen auf einem Speicher schlummern. Doch was geschah, geschah, und somit möchte ich mein Bestes tun, um die Geschehnisse jener Unglückstage, welche ich mit eigenen Augen bezeugen konnte, selbst zu ergänzen und dadurch die vorhandenen Lücken der Erzählung zu schließen, insbesondere da der Mittelteil des Tagebuchs entfernt wurde.
Auch ist damals leider allzu Vieles in meiner Abwesenheit geschehen. Den Kummer der Rekonstruktion solcher Ereignisse erspare ich mir, mögen meine Töchter, vornehmlich Nariena selbst, so sie dazu überhaupt willens und bereit sind, diese letzten fehlenden Bruchstücke in den Fluß der Erzählung weben.
Ihr werdet mir nachsehen, wenn ich das Erlebte so nüchtern wiedergebe, wie es mir nur möglich ist. Geschichten sind mir keine Gelegenheiten der Trauer, lediglich Gelegenheiten des akkuraten Berichts; schreibt es meiner militärischen Ausbildung als Heermeister Gondors zu. Zudem vermag ich kaum so gewandt in Worten zu malen, wie meine Mutter oder noch besser meine Tochter Nariena es vermögen.

Bevor ich berichte, was geschah, werde ich beschreiben, wo es geschah. Unser Bund, unsere Sippe, verfügt über passables Kartenmaterial. Werft also einen Blick darauf, wenn euch die Erzählung wahrhaft interessiert, denn wem es an Ortskenntnis gebricht, der ist ein Ahnungsloser, und dies sage ich nicht nur als Soldat.
Ich empfehle euch eine Gesamtkarte des Westens oder aber eine Karte Rohans. Dort findet ihr das Gebiet, in welchem sich das Unglück zutrug - das Wold, auch das Ödland genannt. Im Westen wird es begrenzt vom Fangornwald, im Norden und Osten von den Flüssen Limklar und dem Anduin, im Süden geht es in Rohans Ostfold über. Das karge Wold steht unter keines Menschen Herrschaft, obgleich es nominell eine der Provinzen Rohans ist. Das hügelige aber baumlose Ödland wurde vormals als Weideland genutzt, doch seit Jahren vermögen Theodens Reiter nicht mehr, diesen entlegenen Landstrich zu befrieden. Natürlich lauert dort mitnichten ein Ork hinter jedem Strauch, doch muß ich kaum betonen, daß eine Reise durch das Wold dieser Tage nicht völlig sicher ist. Leider habe ich dies schon damals nicht zu Genüge betont.
Nun möchte ich euer Augenmerk auf einen weiteren Ort lenken, einen, welcher zumindest damals sicher war - den Flecken Entbruck. Entbruck war eine kleine dauerhafte Siedlung der Rohirrim. Nun, aus gondorischer Sicht würde man zumindest von einer kleinen Siedlung sprechen. Für die Verhältnisse Rohans aber war es ein größerer Ort, bedeutungsvoll auch deshalb, weil, wie der Name bereits verspricht, sich dort die in weitem Umkreis einzige Brücke über die Entwasser spannte. Der Fluß Onodlo oder Entwasser entspringt tief im Fangornwald, verläßt diesen in östlicher Richtung, bevor sich sein Lauf gen Süden wendet. An eben dieser Wendung lag Entbruck.

In besagtem Entbruck lebten Admunth und Roswilde, die Eltern meiner Gemahlin Falvine, auf großem Gehöft inmitten saftiger Weiden für die stolzen Rösser, deren Zucht Admunth sich veschrieben hatte. Jedes Jahr im Sommer besuchten Falvine und ich ihr Elternhaus in Entbruck, und jedes zweite oder dritte Jahr reiste auch meine Familie aus Gondor an, um dort in großer Runde gemeinsame und unbeschwingte Tage zu verleben. So begab es sich, daß in diesem Schicksalsjahr einmal wieder wir alle, Falvines Eltern Admunth und Roswilde, meine Eltern Galadan und Galawyn, Falvine, unsere Töchter Nariala, Iona und Nariena, ich selbst sowie einige weitere enge Verwandte fröhlich in sommerlicher Lebensfreude versammelt waren.


Artanaro, Cunarwe, Maethruth

zuletzt bearbeitet 20.12.2010 08:03 | nach oben springen

#10

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:12
von Airelind • Junior | 49 Beiträge

So laßt mich dort einsetzen, wo meiner Mutter Aufzeichnungen abbrechen - in einer Kammer in Falvines Elternhaus in Entbruck, erleuchtet vom flackernden Feuer im Kamin. Ich stand an meiner Mutter Bett, Nariala, Iona und Nariena saßen zitternd auf der Bettkante, als Galawyn nach qualvoll unruhigem Schlaf endlich die Augen öffnete und wirren Blicks umherstarrte. Weder mich noch die Mädchen erkannte sie. Ihr Verstand hatte sie verlassen. Körperlich war sie unversehrt, doch hatte sie zweifellos Schreckliches mitansehen müssen. Ebenso schlimm, ja schlimmer noch, war es den Mädchen ergangen; sie waren geschunden und trugen zahlreiche Verbände an ebenso zahlreichen Wunden, während sie hingegen wundersamerweise noch klarer Sinne waren. Daß ich selbst den Verstand nicht verlor, erstaunt mich noch heute. Denn hier in diesem Raum befand sich, abgesehen von meinem Bruder in Gondor, der ganze noch lebendige Teil unserer Familie. Falvine - tot, Admunth und Roswilde - tot, Galadan - tot. Draußen stieg eine strahlende Vormittagssonne den Himmel empor, gerade so, als wäre nichts geschehen und wie sie einige Tage zuvor, einen heiteren Ausritt verheißend, dem Zenit entgegengewandert war...

Die Familie hatte einen großen Ausflug geplant, und was hatte nähergelegen als, zur ausgesprochenen Begeisterung der Töchter, ein weiter Ausritt auf Admunths besten Pferden. Zu meinem Bedauern konnte ich nicht daran teilhaben, rief mich doch eine dringende, aber nicht weiter ungewöhnliche Botschaft kurz nach Edoras zum Chorps. Nachdem sämtliche Pferde gesattelt waren, wünschte ich meinen Lieben arglos viel Vergnügen und ritt nach Süden. Mit meinem guten Pferd und ein wenig Eile würde ich in drei Tagen wieder zurück sein.
Admunth hatte vorgeschlagen, nach Nordosten in das Wold zu reiten, um dort über Stock, Stein und Hügel die Windeseile seiner Rösser zu genießen. Galawyn hatte mit dieser Himmelsrichtung für den Tagesausflug - merkwürdigerweise - unverzüglich ihr Einverständnis erklärt, sie mußte ihre eigenen Entschlüsse in diesem Augenblick bereits gefaßt haben und ahnte eine günstige Gelegenheit. Da die Gesellschaft von einiger Größe war, mein treuer Knappe Otharin sowie drei Knechte und eine Magd Admunths begleiteten die Familie, und Waffen waren den meisten zur Hand, bestand nach allgemeiner Einschätzung kein Grund zu irgendwelcher Sorge, und Galawyn hatte von ihrem Vorhaben zu niemandem gesprochen.

Wie erhofft traf ich vier Tage später wieder in Entbruck ein. Die Reitersgesellschaft hatte am Abend ihres Ausflugs bereits zurückkehren wollen, doch zu meiner Überraschung und aufkeimender Beunruhigung empfing mich alleine Otharin mit besorgniserregenden Neuigkeiten. Galawyn hatte wohl während des gesamten Ausritts auf einen geeigneten Moment gewartet, der Gesellschaft zu entfliehen, vielleicht bei einer Rast, vielleicht bei einem Versteckspiel, wer weiß. Lediglich Nariena hatte sie ihre Absichten anvertraut. Warum gerade ihr, das kann ich nicht sagen, vielleicht hatte Nariena sich auch einfach nicht abschütteln lassen.
"Ich reite zum goldenen Wald!", hatte sie ihr eröffnet. "Immer schon wollte ich diesen Ort mit eigenen Augen sehen, einmal in meinem Leben Elben sehen. Halte mich nicht auf, und bleib bei den Anderen, Kind! Ich muß dies tun. Und macht euch keine Sorgen, ich bin in wenigen Tagen wieder bei euch."
Nariena hatte gehorcht, doch im Kreuzverhör der Familie gegen Abend schließlich Galawyns Vorhaben preisgeben müssen. Groß war vor allem Galadans Ärger über dieses ebenso eigenmächtige wie törichte Unterfangen seiner Gemahlin. Doch auch in diesem Augenblick bestand noch kein Grund zu ernster Sorge. Zwar hatte Galawyn mittlerweile einigen Vorsprung, doch man würde ihr folgen und sie zur Vernunft bringen. Otharin als einziger würde an der Suche nicht teilnehmen, sondern mit Nachricht dieser unvorhergesehenen Wendung nach Entbruck zurückkehren, damit auch ich davon wüßte, sollte sich die Suche in die Länge ziehen. Da ich nun wie geschildert bei meiner Ankunft nur meinen Knappen antraf, wußte ich: Die Suche hatte sich fürwahr in die Länge gezogen.


Artanaro, Cunarwe, Maethruth

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#11

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:13
von Airelind • Junior | 49 Beiträge

In guter Voraussicht hatte Otharin mir alles für einen raschen Aufbruch bereitet. Und wir verloren wahrlich keine Zeit, rüsteten uns, verstauten etwas Proviant in den Satteltaschen und nahmen uns die schnellsten Pferde, die wir finden konnten. Binnen weniger Minuten galoppierten wir nordwärts, in den Nachmittag hinein, noch guten Mutes, Galawyn früher oder später einzuholen. Als der Abend dämmerte, sahen wir den Rand des Fangornwaldes zu unserer Linken, in der hereinbrechenden Dunkelheit bald nur ein schwarzes Band am Horizont, zu dem wir gebührenden Abstand hielten. In sternklarer Nacht unter einem fast vollen Mond jagten wir über die Ebene, in ständiger Hoffnung, den Schein eines Lagers zu erspähen, an dessen Feuer all unsere Sorge einem erleichterten Wiedersehen weichen würde. Doch auch als der Morgen bereits graute, hatten wir nichts entdeckt. Der sich allmählich wieder dunkelgrün färbende Waldsaum Fangorns zog sich nach Westen zurück, und als der Tag in Gänze angebrochen war, zügelten wir unsere erschöpften Pferde an den Ufern des Flusses Limklar.

Hier mußten wir uns entscheiden: Entweder wir versuchten, den Fluß zu überqueren, um den Ritt nordwärts fortzusetzen, oder aber wir ritten am Flußufer nach Osten, dem großen Strom entgegen. Wir wählten letzteren Weg, hielten wir es doch für wenig wahrscheinlich, daß meiner Mutter eine Flußüberquerung ohne weiteres gelungen wäre. Wie sehr ich mich getäuscht hatte, ahnte ich nicht; wie sie es vollbracht hatte, weiß ich bis heute nicht. Doch mit der ihr eigenen Sturheit mußte sie dies strömende Hindernis überwunden haben. Einem Elben oder einem ganz vortrefflichen Jäger wären dort, wo sie ihr Pferd ins Wasser gelenkt hatte, womöglich ihre nunmehr drei Tage alten Spuren aufgefallen, doch weder Otharin noch ich bemerkten die Hufabdrücke ihres Pferdes, als unsere eigenen Rösser darüber hinwegtrommelten und uns weiter ostwärts trugen, am südlichen Ufer des Limklar entlang.
Mit dem Tageslicht schwand ein großer Teil unserer Hoffnung, sie zu finden. Aber was hätten wir tun sollen außer unseren Weg fortzusetzen? In dieser Nacht mußten wir um der Pferde willen länger rasten, doch mit dem ersten Licht des Morgens sattelten wir wieder auf. Wir erreichten die Mündung des Limklar in den Anduin um die Mittagszeit, und - was zu hoffen wir langsam nicht mehr wagten - endlich, endlich fanden wir sie. Aber ach! Wie wir sie fanden - zusammengekauert, reglos und ins Leere starrend, eingehüllt in einen waldgrünen Mantel fremdartiger, doch feinster Webkunst, saß Galawyn auf der Sandbank am Ufer zwischen den Strömen und kannte uns nicht.

Meine schiere Erleichterung über unser Glück wich alsbald schon neuer Unruhe angesichts ihres ganz und gar abwesenden Zustands. Eine Weile schien sie uns nicht einmal zu bemerken, dann aber krallte sie sich ohne ersichtlichen Anlaß urplötzlich und in einem solchen Anfall des Schreckens in mein Wams und schrie meines Vaters Namen aus Leibeskräften und in großer Verzweiflung. Wir konnten sie kaum beruhigen, bemerkten jedoch bald, daß ihr Entsetzen keine nur ersonnene Ursache haben konnte. Sie wußte irgendetwas, doch woher, das blieb uns schleierhaft. Sie hatte irgendetwas mitansehen müssen, etwas, das sie uns nicht mitteilen konnte, doch ohne den geringsten Zweifel etwas Grausames, etwas, das Galadan zugestoßen war. Als wir uns wenigstens dessen sicher waren, blieb einmal mehr keine Zeit zu verlieren. Ich befahl Otharin, bei meiner Mutter zu bleiben und sie unter allen Umständen und so schnell, wie es ihr Zustand erlauben würde zurück nach Entbruck zu bringen. Ich selbst sprang wieder aufs Pferd und preschte nach Südwesten, die beiden Flüsse im Rücken, den Anhöhen des Wold wieder entgegen.

Dumpfer Sinne ritt ich, ritt und ritt. Gegen Abend entdeckte ich eine hauchdünne, kräuselnde Rauchfahne am Horizont und lenkte mein Pferd darauf zu. Als ich mich näherte, sah ich, daß sie von einem ausglimmenden, zur Unförmigkeit verkohlten Haufen aufstieg. Deutlich hingegen waren Teile von Rüstungen, Beschläge und Waffen darin zu erkennen. Kein Zweifel - hier wurden, wie die Reiter der Mark es zu tun pflegen, getötete Orks verbrannt.
Das aber, was ich ringsumher sehen mußte, ließ mir das Blut in den Adern erstarren. Falvine lag dort, Admunth, Roswilde, die Magd und zwei der Knechte, leblos und teils grausam zugerichtet. Erspart mir bitte Einzelheiten und zwingt mich nicht, länger als nötig bei dieser Erinnerung zu verweilen. Auch weitere Orks lagen dort in ihrem dunklen Blut, diese waren nicht verbrannt worden. Ein wenig abseits der grausigen Szenerie lag der abgetrennte Kopf des dritten der Knechte. Der Schaft eines groben Pfeils war ihm in die Schläfe genagelt. Ein blutverschmierter Fetzen Pergaments hing daran, alles erkennbar absichtlich auf diese Weise bereitet. Auf dem Pergament war eilig etwas geschrieben worden, die Handschrift war diejenige meines Vaters Galadan:

hal eogrim!

von schweinen überfallen, admunth und roswilde tot,
haben schwer verwundete, pferde tot,
schickt reiter, den heiler und 2 baren!
müssen lagern, findet uns nno vom dorf,
sucht das orkfeuer,
EILT!

galadan


Zur Hälfte wußte ich nun, was geschehen war. Der Hilferuf war an Eogrim gerichtet, den meinem Vater flüchtig bekannten Dorfvorsteher Entbrucks. Schweine, diesen Ausdruck für die Orks hatte Galadan bereitwillig von den Rohirrim übernommen, hatten die Gesellschaft überfallen. Wenngleich es offenbar gelungen war, die Angreifer zu vertreiben und zumindest einige von ihnen zu töten, so hatten Admunth und Roswilde bereits mit ihrem Leben bezahlen müssen. Zu allem Übel waren weitere unter ihnen so schwer verletzt, daß sie ohne des Dorfheilers Hilfe nicht transportfähig waren. Damit waren sie dazu verdammt gewesen, an Ort und Stelle zu warten und zu bangen, daß der Knecht mit Galadans Nachricht schnellstmöglich Entbruck erreichen würde. Anfangs mußten sie wohl zuversichtlich gewesen sein, nicht nochmals angegriffen zu werden. Immerhin hatten sie Zeit gefunden, die Kadaver der Orks in Brand zu setzen. Ob sie vor ihrem Ende erfuhren, daß der eilige Bote in Entbruck niemals ankam, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht warfen die Orks, welche ihn abgefangen hatten, sein Haupt ins Lager, um sich an der Verzweiflung der Wartenden zu weiden. In der nächsten Nacht jedenfalls mußten sie aufs Neue über meine Familie gekommen sein, und alles war verloren.

Mit Mühe zwang ich mich zu neuer und allerletzter Hoffnung. Galadan und die Töchter waren nicht unter den Toten. Seinen verbeulten Schild und einige Fetzen nur allzu vertrauter Kleidung hatte ich gefunden, von ihnen selbst jedoch nichts. Nichts außer einer Spur. Ja, dieses Mal wußte ich, wohin ich reiten mußte, denn die Zeichen orkischen Getrampels blieben sogar einem ungeübten Fährtensucher wie mir nicht verborgen, und das vergossene Blut meiner Nächsten wies mir die Richtung geradewegs gen Westen, dem Fangornwald entgegen. Ich breitete über den Toten aus, was ich an Mänteln und Decken finden konnte, um sie den Krähen nicht auszuliefern und brach sofort auf.
Mitternacht war lange vergangen, als ich mich dem Wald näherte. Mein Pferd hatte ich zu Schanden geritten, es würde keine Stunde länger aufrecht stehen können, doch hatte mich das treue Tier gerade so lange getragen, wie es nötig war, denn in einiger Entfernung hörte ich das zänkische Krakelen der Bestien, dazwischen auch Schreckensschreie geliebter Stimmen. Die letzte Viertelmeile näherte ich mich zu Fuß und so leise ich konnte, dann entdeckte ich ihr Lager unmittelbar am Waldrand. Sie hatten kein Feuer entfacht, doch die klare und helle Nacht verbarg nichts. So sah ich sie alle...


Artanaro, Cunarwe, Maethruth

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#12

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:18
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Meine Großmutter Galawyn hatte ebenso jenes Lager gesehen, als sie in Lothlorien weilte. Sie hatte in irgendeinen Gegenstand geblickt, jenen, den sie auf ihrer Zeichnung festhielt, und der ihr auf sonderbare Weise offenbart hatte, was Meilen von ihr entfernt geschah - oder vielleicht geschehen mochte. Es schien ein Ding mit einer silbernen, wässrigen Oberfläche zu sein - vielleicht ein Teich oder ein Brunnen, schwer ist es zu deuten. Danach zog sie sich den Zorn der Elben zu und sie verlor ihre Gastfreundschaft. Es war ihr verboten gewesen, was sie getan hatte. Und so brachte man sie aus Lothlorien hinaus, mit einem Schiff den Anduin hinunter und bis zur Mündung des Limklar, wo mein Vater sie fand. Sie hat nicht überstanden, was sie gesehen hat. Ihr Geist zog sich in diesem Augenblick für immer von der Welt zurück. Warum...das hat sie nie ausgesprochen. Vielleicht, weil sie es nicht konnte. Vielleicht, weil sie es nicht wollte. Aber ab und an, wenn eine seltene Stunde kommt, in der sie für kurze Zeit Ruhe und Frieden findet, dann blitzt der Gedanke auf, daß sie sich die Schuld an den Geschehnissen gab. Ob es so ist oder nicht, darüber wage ich kein Urteil und auch sonst niemand sollte dies wagen. Es mag leicht sein zu sagen: "Nun, wäre sie nicht aufgebrochen und hätte die ihren nicht verlassen, so hätte man ihr nicht folgen müssen und das Schicksal hätte eine anderen Verlauf genommen." Doch wer hätte erahnen können, welchen Weg das Schicksal wählt...wer?

Ich will Galariads Zeilen nun wieder aus der Hand legen, denn hier scheint mir der Augenblick gekommen, in dem ich selbst das Wort ergreife und von meiner eigenen Sicht und aus meinem eigenen Gefühl heraus zu erzählen beginne. So höret denn weiter...



Ein Bericht Nariena Ghaldeans

Als mein Großvater die Arme gen Himmel riß und einen Ausspruch tat, der seinen Unmut über den Weggang meiner Großmutter von unserer Ausflugsgruppe ausdrückte, da konnte ich ihn nicht verstehen. Ich war zwölf Jahre alt und ich zog die dunklen Augenbrauen hoch, wie es die Erwachsenen gerne taten, wenn sie sehr erstaunt waren. Auch stemmte ich die Hände dabei in die Hüften, wie es meine Mutter oft zu tun pflegte. Ich fand es großartig, was meine Großmutter getan hatte, denn niemand verstand ihr Sehnen nach Abenteuern und neuen Entdeckungen wohl so gut wie ich, weil ich ebenso fühlte wie sie. Vermutlich war das der Grund, warum sie mir allein mit ihrem freundlichen Augenzwinkern im alten Gesicht zugeflüstert hatte, daß sie unseren Ausflug alsbald zu verlassen gedachte, um weiter nach Norden zu ziehen und eine Reise zu tun, die sie seit etlichen Jahren anzutreten begehrte: über den Anduin nach Lothlorien zu gelangen. Ich sagte ihr, daß ich sie gerne begleiten würde und auch in meinen Augen begann das Feuer der Sehnsucht zu leuchten, doch sie winkte ab und schüttelte den Kopf. Ich sei noch zu klein, um das zu wagen, und solle daher nur gut auf den Großvater achtgeben, bis es eines Tages an mir ist, ebensolche Reisen zu tun. Ich hatte schon seit Längerem den Entschluß gefaßt, daß ich meiner Großmutter nachfolgen und so kundig werden wollte wie sie. Wenn sie mir und meinen Schwestern daheim in vielen Stunden das Lesen und Schreiben beibrachte, so war ich immer diejenige gewesen, die ihr am aufmerksamsten und eifrigsten folgte. Ich merkte mir all ihre Geschichten und begann bald selbst welche zu ersinnen. Natürlich waren sie kindlich und nicht ausgereift, aber meine Großmutter hatte immer ein solches Talent in mir gesehen, daß sie mir versprach, ich würde bald auf die beste Gelehrtenschule in Minas Tirith gehen, das eine Tagesreise von unserer Heimatstadt Pelargir entfernt lag. Ich war noch nie dort gewesen, doch weil ich wußte, daß Minas Tirith der Sitz der Herren von Gondor war, beflügelte mich allein schon der Name mit allerlei Träumerein. Nein, ich konnte wirklich nicht verstehen, warum mein Großvater Abenteuer und Entdeckungsreisen so mißbilligte. Rohan war doch ein aufregendes Land, in dem es viel zu sehen gab.

Mein Großvater war der Ansicht, daß es etwas zu aufregend sei und daß meine Großmutter sich keine rechte Vorstellung davon machte. So beschloß er, daß wir unseren Ausritt wohl verlängern und ihr folgen sollten, um sie einzuholen und in unserer Mitte sicher nach Hause zu geleiten.
Für uns Kinder war es wie ein Spiel, ein lustige Jagd. Wir begriffen damals nicht, was Gefahr war, denn wir kannten sie nicht. Natürlich hatten wir von Mordor gehört, denn es lag direkt jenseits der Grenzen Gondors, und wir wußten auch, daß unser Vater Dienst tat, um Mordor und alle Bedrohungen, die von ihm ausgingen, im Zaume zu halten. Wir hätten damals gedacht, daß er das ganz allein könnte, schließlich hat er eine Rüstung und ein so großes Schwert. Und auch Großvater hatte eine Rüstung und ein Schwert, er hätte Vater sicher ein bißchen helfen können.
So zogen wir also mit einem gespannten Kichern weiter, als Galadan, uns zur Eile antrieb und nach Norden preschte. Das Land flog nur so dahin unter den Hufen der Pferde und ich bildete mir sogleich ein, daß ich ein Adler sei, der im schnellen Sturzflug über die Berge kam. Ich nährte meine Phantasie und lachte glücklich. Später dann dachte ich mir, daß ich ein großer Heerführer sei, so wie Galadan einst und wie mein Vater jetzt einer war. Ich hob den kurzen Arm und reckte ihn vor. "Vorwärts, Männer!", rief ich und stellte meine Stimme tief. Natürlich klang es der Kehle eines Mannes nicht annähernd ähnlich, doch das machte mir nichts. In meinen Gedanken war ich ein großer Krieger. Auch beugte ich den Kopf vor und bemühte mich, so grimmig wie einer der Rohirrim unter ihren schweren Helmen drein zu schauen. Ich hörte meine Schwestern kichern, ich hatte sie kurzerhand zu meiner Garde erklärt - doch ritt ich ihnen immer voraus, denn ich saß mit meinem Großvater im Sattel und er hatte das schnellste Pferd. So ritten wir dahin und mit unseren Pferden flog auch der Nachmittag vorbei. Von Großmutter fanden wir keine Spur, auch wenn Großvater sich immer noch sicher war, daß sie diesen und keinen anderen Weg genommen haben konnte, als den, den er nun gewählt hatte: quer durch das Ödland der Wold und über den Limklar nach Lorien. Gewiß hätte sie sich auch nach Osten schlagen und dem Anduin, dem großen Strom, nordwärts folgen können, aber er dachte sich, daß sie keine Zeit verlieren und den direktesten Weg nehmen würde, der ihr offenstand. So tat sie es stets, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Als der Nachmittag langsam in den Abend überzugehen begann, wurde ich meines Spiels jedoch langsam überdrüssig. Ich hatte Hunger und ich war durchgeschüttelt von dem langen und raschen Ritt. Ich sah mich um: Nariala, die vor meiner anderen Großmutter Roswilde saß, war im Sattel eingeschlafen und lehnte an ihr in süßem Schlummer. Iona, die ein eigenes Pferd haben durfte, sie war schließlich die älteste von uns und beinahe schon erwachsen, trottete müde hinter den anderen her. Die Gesichter der Erwachsenen waren jedoch mehr denn je entschlossen und sie blickten ernst und entschieden drein. Hätte ich eine Ahnung bekommen sollen, wie ernst es stand, so wäre diese wohl in jenem Augenblick aufgekeimt. Aber noch tat sie es nicht. Ich seufzte und blickte wieder nach vorn, als ein Wald vor uns zu schimmern begann. Satt und dunkelgrün lag er da in der kargen Landschaft der Wold und strahlte uns entgegen. Mein Gemüt flammte augenblicklich wieder auf. "Lorien!", rief ich freudig aus und sah nur, wie mein Großvater den Kopf schüttelte. Warum tat er das? Hatten wir denn nicht unser Ziel erreicht und die Jagd bald gewonnen? Großmutter wartete dort bestimmt auf uns, wir würden sie sicher gleich sehen, denn der Wald kam rasch näher.
Wie sehr hatte ich mich doch getäuscht - es war keinesfalls Lorien, das sich vor uns auftat. Es waren die südöstlichen Ausläufer des Fangorn, eines Waldgebietes, das der, der es vermochte und hier keine Anliegen hatte, mied.
Darüber wußte ich jedoch ebenso wenig und schon gar nichts wußte ich über einen Ort, der westlich des Fangorn lag und zu dem man alsbald gelangt wäre, wäre man dem Waldrand in diese Richtung gefolgt: Isengart. Schon damals, vor nun beinahe fünfzehn Jahren, hatte Isengart bereits begonnen, sich mit dem Reich Mordor zu verbünden und seine Schergen in die Lande der freien Völker zu entsenden, auf daß sie Unheil und Zerstörung bringen mochten. Und wäre Galadan nicht in so höchster Not um das Wohl seines Eheweibes gewesen, er hätte uns wahrlich nicht so nah an den Fangorn herangebracht, dessen Schatten oftmals zum Schutze von umherziehenden Orks aus Isengart genutzt wurde.

So passierte es also: Galadan begann den Galopp seines Pferdes zu verlangsamen und verfiel für eine kleine Weile in gemächlichen Trab. Er suchte nach Spuren von meiner Großmutter, denn seines Erachtens nach hatten wir einen Wegpunkt erreicht, den sie ganz sicher kurz vor uns genommen haben mußte. Wir sahen tatsächlich die Spuren eines Pferdes, die uns wieder nordöstlicher führen sollten. Er wendete sein Tier und hob den Arm, um Iona, Falvine, unsere Mutter, Admunth und Roswilde, den Eltern unserer Mutter, zu bedeuten, daß wir wohl fündig waren, kurz verschnaufen und dann die Verfolgung fortsetzen würden. Die Schar hielt also an. Galadan sah zu mir herab und lächelte. Und ich war ganz froh, daß der Ritt nun eine kleine Pause hatte. Mir war der Leib schon etwas wund und ich lächelte dankbar zurück. Ich spürte, wie er sich anschickte, aus dem Sattel zu steigen und dann erklangen seine Stiefel dumpf auf dem faden Grasbewuchs der Ebene. Er reckte die Arme zu mir nach oben und ich beugte mich vor, daß er mir unter die Achseln greifen und mich vom Pferd heben konnte.
Roswilde bemühte sich liebevoll, Nariala aufzuwecken, die immer noch friedlich schlummerte. Das lange rotbraune, wenn auch mittlerweile grau durchzogene Haar, das meine Mutter und auch Iona von ihr geerbt hatten, hing ihr in langen Zöpfen über die Brust. Nariala schlug schließlich die Augen auf und begann sogleich zu lachen und mit einem dieser Zöpfe zu spielen, so wie sie es gerne tat, wenn sie auf dem Schoß ihrer Großmutter saß. Roswilde lachte und küßte Nariala auf die Stirn. Als ich sie lachen hörte, wurde mir sehr froh ums Herz, denn in den vergangenen Stunden hatten wir überhaupt nicht gelacht und es sollte doch ein feiner Sommerausflug sein.
Jenes Lachen, das so herzlich und aufrichtig war, war das Letzte, das ich je von Roswilde hörte. Es wandelte sich plötzlich in ein dumpfes Gurgeln und sie zuckte zusammen, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen. Ich hörte meine Mutter laut aufschreien, dann wieherte eines der Pferde und die anderen begann unruhig zu tänzeln. Ich erschrak und mein Großvater ergriff mich schnell und zog mich mit einem Ruck aus dem Sattel, bevor ich hinausfiel. Das Pferd scheute und preschte ein paar Schritte von uns fort. Ich bekam Angst und preßte mir die Hände auf die Ohren, als auch die anderen Pferde wieherten und ebenso Iona zu schreien begann. Ich hörte etwas zischen, als schnitten die großen Schwingen eines Vogels durch die Luft und flögen mit mächtigem Schlage direkt über uns hinweg. Mein Großvater stieß mich unsanft zu Boden. Ich fiel auf meinen Arm und verzog das Gesicht. Etwas prallte gegen mich, es war Nariala, die aus dem Sattel fiel, als es auch meine Großmutter Roswilde plötzlich tat. Nariala begann zu weinen und ich zog sie an mich, sie mit meinen Armen umschlingend. Vor uns lag Roswilde, auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen und das Gesicht verzerrt. Etwas ragte aus ihrer Kehle, ein Stück von einem Pfeil mit schwarzem Gefieder daran. Blut troff ihr über den Hals und als wir sahen wie glasig ihr Blick war, da bestand für uns die grauenhafte Sicherheit, daß Roswilde tot war!

"Orks! Orks!", hörte ich Galadan brüllen und wieder prallte etwas gegen mich. Es war Iona, die zu uns gestürzt kam und sich über uns beugte. Sie drehte uns von Roswilde fort und umfing uns mit ihren Armen, die kaum länger waren als unsere eigenen. So kauerten wir am Boden und unsere Herzen begannen zu pochen, mit Grauen erfüllt und dennoch nicht gänzlich in der Lage zu begreifen, was gerade um uns herum zu geschehen begann. Schwerter wurden gezogen. Unsere Mutter und unsere beiden Großväter umringten uns mit blanken Klingen, an ihrer Seite die beiden Knechte. Galadan hob einen kleinen Schild, den er mitgenommen hatte, nicht mehr als eine Tartsche. Ich blickte unter Ionas Armbeuge hindurch, ich war verwirrt und wollte sehen, was passierte. Ich sah meine Mutter, deren schönes Gesicht vor Wut und Trauer ganz verzerrt war. Etwas glomm in ihren Augen, daß ich noch nie an ihr wahrgenommen hatte: Furcht. Und dann sah ich ihn...den ersten Ork, der mir in meinem Leben begegnen sollte.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#13

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:19
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Er war nicht groß, er reichte meinem Großvater bis zur Brust, allenfalls bis unter das Kinn. Seine Haut war schwarz und sein Haar wild und lang. In verfilzten Zöpfen stand es ihm vom Hinterkopfe ab. Er trug eine schwarze Rüstung und in seiner Klaue steckte ein grobes Schwert. Er hatte große Augen, die blitzten. Er war der Erste eines kleinen Trupps von etwa einem Dutzend, der auf uns zugestürmt kam. Er bellte Galadan irgendetwas entgegen, daß ich nicht verstand. Es klang dunkel, grollend - so als würde man zwei Felsbrocken aufeinander schlagen:

"Achaz rammum karrka!"

Mein Großvater knurrte und hob sein Schwert. Auch Admunth tat es, und meine Mutter und die beiden Knechte. Ich preßte fest die Augen zusammen und spürte, wie mein Herz für einen Schlag aussetzte, als ihre Klingen mit denen der Orks über unseren Köpfen zusammenschlugen. Iona schrie wieder auf und drückte Nariala und mich fest zu Boden. Ich wagte es nicht mehr, die Augen zu öffnen. Ich wollte nichts sehen, und am liebsten hätte ich auch nichts gehört. Ich vernahm Waffengeklirr, Schreie, ein wildes Brummen, die Laute der Pferde, die in nackter Panik herumtaumelten und zu Boden stürzten, so daß es bebte. Schild schlug auf Schwert und Axt auf Helm. Ein widerlicher Gestank erhob sich, jedesmal wenn einer der Orks in unsere Nähe kam. Nie hätte ich geahnt, daß es solche Kreaturen geben könnte....niemals. Nicht einmal in meiner Phantasie, wenn ich mir Geschichten um die edlen Herren Gondors und ihre Heldentaten gegen üble Feinde ausgedacht hatte, hatte ich solche Wesen ersonnen. Umso unfaßbarer erschien es mir nun, daß es sie tatsächlich gab.
Ich weiß nicht mehr, wie lange der Kampf dauerte. Ich war mir nur sicher, daß ich sterben würde. Solchen Klauen entkam man nicht. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt auch nicht, daß es eine andere Abteilung des gleichen Spähtrupp Orks war, dem meine Großmutter begegnen sollte, kurz nachdem sie die Grenzen Lothloriens überschritt. Die Orks hatten sich am Limklar getrennt, die eine Hälfte war nach Süden und die andere nach Norden gezogen. Was sie dorthin getrieben hatte, erfuhr ich auch erst später: der Hunger. Galawyn war jedoch von einem gnädigen Stern beschienen worden, die Elben hatten sie beschützt. Wir...wir waren schutzlos und auf uns selbst gestellt. Ja, so war ich sicher, daß ich sterben würden. Aber ich tat es nicht. Der Kampf war so plötzlich vorbei, wie er begonnen hatte. Es herrschte auf einmal Stille über dem Ort - nur ein leises Wimmern war zu vernehmen. Ich wagte es, die Augen wieder zu öffnen und schälte mich unter dem Körper Ionas hervor, die immer noch auf Nariala und mir lag.

Es war meine Mutter, die wimmerte. Mit vor das Gesicht geschlagenen Händen kniete sie neben ihren Eltern, die beide tot im Staub der Steppe lagen. Roswilde und Admunth - beide erschlagen. Beide leblos. Tränen stiegen mir in die Augen und ich begann ebenfalls zu schluchzen und kroch einen Schritt weit auf den Knien von meinen Schwestern fort. Galadan stand hoch aufgerichtet neben mir und ich umschlang mit meinen Armen sein Bein und schmiegte meine Wange daran, als könne mir dies Halt geben und mich irgendwie trösten. Er sah grimmig drein und so furchtbar traurig. Nur langsam ließ er das Schwert sinken, das von schwarzem Blut troff, und atmete dann tief aus. Sein Kopf senkte sich bleiern und er sah mich an. Dann schüttelte er mich von seinem Bein und ging fort. Ich heischte ihm nach, aber er ließ mich zurück. Meine Mutter war es schließlich, die mich aufhob und hinüber zu Iona und Nariala zog, wo sie uns alle drei in die Arme schloß. "Ihr seid wohlauf, meine Kinder, wenigstens seid Ihr wohlauf.", schluchzte sie und wiederholte es fortwährend. Nariala weinte und Iona saß nur da mit fahlem Gesicht und starrte vor sich hin. Mein Herz pochte mir immer noch bis zum Halse.
Galadan begann damit, die Leiber der toten Orks an den Füßen zu fassen und zu einem Haufen zusammenzuziehen. Dann schichtete er sie übereinander. Ich sah Egwine, unsere Magd, die fernab von uns ebenfalls leblos am Boden lag. Begmund und Henlas, die beiden Knechte, saßen neben ihr und hielten sich Schulter und Kopf. Ihre Gesichter waren blutverschmiert und sie rangen nach Luft. Nur Heldam, unser Stallmeister, der uns ebenfalls begleitet hatte, um die Schnelligkeit der neuen Pferde zu erleben, war ebenso wie Galadan und meine Mutter, unversehrt. Mit stummer Miene ging er meinem Großvater zur Hand und sie entfachten alsbald ein Feuer unter den Orks, um ihre Kadaver zu verbrennen. Der Gestank nahm nun unermeßliche Ausmaße an und es fiel mir schwer zu atmen. Meine Mutter küßte uns und dann hieß sie uns zu warten. Wir hatten keine Pferde mehr, bis auf eines waren sie alle erschlagen. Sie ging zu Heldam und Galadan hinüber und gemeinsam schienen sie nun zu beratschlagen. Begmund und Henlas hatten sich niedergelegt, sie trugen schwere Wunden. Als die Nacht hereinbrach, verlor Henlas das Bewußtsein. Vielleicht starb er auch, ich weiß es nicht.

Mein Großvater entschied, daß wir hier verweilen mußten. Er wollte Heldam mit einer Nachricht nach Entbruck senden, auf daß das Dorf Hilfe schicken würde. Er wollte die beiden verletzten Knechte nicht sich selbst überlassen - und da nur noch eins der Pferde am Leben war, hätten wir sie auch nicht transportieren können, um selbst für sie zu sorgen. Er dachte wohl auch an Großmutter. An Galawyn, seine Frau. Doch konnten seine Gedanken nicht lange bei ihr verweilen, denn Schweres lag vor ihm und er mußte nun vor allem auf uns achtgeben.
Heldam ritt alsbald los und wir warteten. Wir saßen im Gras, schweigend. Die Augen in die sternlose Dunkelheit gerichtet und dem Knacken des Feuers lauschend. Es waren unheilvolle Stunden und ich ließ irgendwann den Kopf hängen und schob mir das Haar ins Gesicht, als könnte ich mich darunter verstecken. Die toten Körper meiner Großeltern lagen immer noch neben uns und starrten kalt und zerschunden in den Himmel hinauf. Hinter den Wolken wanderte der Mond langsam über uns hinweg und tauchte die Wold in ein graues Licht.

So verging die Zeit, zäh und schwermütig. Keiner sprach etwas, nicht einmal meine Schwestern und ich. Nur Nariala unterbrach ab und an die Stille und flüsterte in mein Ohr, daß sie nach Hause wollte. Sie dachte, wenn sie in ihrem Bett lag und morgen früh aufwachte, dann wäre alles nur ein böser Traum gewesen, und alles war wieder gut. Ich wünschte, daß sie Recht behalten hätte und wirklich das alles nur einem üblen Alb entsprang - doch der Wind, der durch die Wold wehte und immer wieder den Gestank des Feuers an uns herantrug, erinnerte mich mit untrüglicher Bitterkeit daran, daß dies hier die schwerste Stunde in unser aller Leben war.
Galadan erhob sich und ging ein paar Schritte nach Süden. Er spähte aus in die Richtung, in der Entbruck liegen mußte und sehnte, daß doch bald Hilfe kommen möge. Doch Entbruck war Stunden entfernt. Vor dem Morgengrauen hätte uns sicher niemand erreichen können, wenn nicht gar erst zur Mittagsstunde. Es war ausgeschlossen. Dennoch huschte ein Schimmer von Freude und Hoffnung über das Antlitz meines Großvaters, als plötzlich aus südlicher Richtung ein Getrappel zu vernehmen war. "Sie kommen! Da kommen sie! Ein Hoch auf Heldam!", rief er aus, als er zu uns herumfuhr und uns deutete, aufzustehen. Meine Mutter jedoch runzelte die Stirn. "Das kann nicht sein.", sagte sie trocken und mit belegter Stimme. "Mitternacht ist gerade erst vorüber." sie griff sich an die Brust. Ihr ahnte, daß dies Geräusch ein Vorbote weiteren Übels war. Und auch mein Großvater erstarrte nun, um seine Hoffnung betrogen, die doch nur ein Wunsch gewesen war und keine Wahrheit.

Es war das Getrappel von Stiefeln, nicht von Pferdehufen. Es kam nahe heran, obgleich wir niemanden sahen. Doch dann flog etwas auf uns zu. Es war ein kleines, rundes Dinge wie ein Ball, mit dem wir oft im Hofe des Hauses der Verwandten in Entbruck gespielt hatten. Nariala war es, die das Ding auffing, daß da zu uns geworfen wurde. Sie jauchzte auf, als sie es in den Händen hielt und herumdrehte - doch dann ließ sie es voller Schrecken fallen und sprang zurück, denn es war ein Kopf. Heldams Kopf - mit einem Pfeil darin, an dem eine Nachricht steckte. Jener Nachricht, die er nach Entbruck hatte überbringen sollen. Noch mehr Orks, die umher strichen, hatten ihn gefaßt und dann bis zu unserem Lager seine Spur zurückverfolgt. Der bald auftauchende Lichtschein unseres Signalfeuers hatte sein Übriges getan, um sie endgültig auf unsere Fährte zu bringen. Ich hörte meinen Großvater wild aufbrüllen. Er faßte sein Schwert mit beiden Händen und dann rannte er zornig davon. In die Dunkelheit, aus der der Kopf geflogen kam. "Vater!", rief meine Mutter ihm nach und hob ebenfalls ihr Schwert. Unschlüssig verzerrte sich ihr Gesicht, doch sie blieb und setzte ihm nicht nach. Sie stellte sich vor ihre Töchter, die Klinge erhoben. Auch Begmund, unser zweiter Knecht, bemühte sich, trotz seiner Wunden, sich zu erheben und sich für einen erneuten Kampf zu wappnen. Keuchend trat er neben Falvine.

Wir hörten wieder Waffenlärm und die dunklen, abgehackten Rufe der Orks. Es schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen, so verhieß es uns jedenfalls die Dunkelheit. Doch tatsächlich kam es nur aus Süden. Irgendwann traten die Orks in den Feuerschein unseres Lagers und wir sahen ihre Augen aufblitzen. Mein Großvater kämpfte verbissen gegen sie, doch sie trieben ihn zurück, immer weiter, bis sie uns erreicht hatten. "Duckt Euch, Kinder!", schrie meine Mutter und dann eilte sie, gefolgt von Begmund, an Galadans Seite. Iona umfing uns wieder mit ihren Armen und ich spürte ihr rotes Haar in meinem Gesicht. Erneut ergiff der Schrecken Besitz von meinem Herzen und ich verfluchte diese Nacht.
Ich sah nicht, wie meine Mutter getötet wurde. Ich sah nur später ihren Körper, deren Mitte eine Axt durchtrennt hatte. Ich sah auch nicht, wie Begmund erschlagen wurde. Ich hatte wieder meine Augen zusammengekniffen. Henlas, der immer noch am Boden lag, schossen sie einen Pfeil in den Körper, als wollten sie sicher gehen, daß er auch wirklich tot war und nicht nur erschöpft und bewußtlos. Mir war, als würde ich alles vergessen, was ich bisher gekannt und gewußt hatte. Mein ganzes Leben schien plötzlich wie fortgewaschen und es gab nur diese Nacht, diese lange Finsternis, in der der Schrecken nicht enden wollte. Es hätte von nun an immer so weitergehen können, etwas anderes als immer neuer Schmerz und neue Trauer gab es nicht mehr. Das Licht, das in meinem Geist und in meinem Herzen gewohnt hatte, all die glücklichen Erinnerungen und das Lachen, erloschen. Ich spürte es deutlich, das etwas in mir zerbrach und sich ein Schatten meiner bemächtigte, der nichts als Verzweiflung in mir zurückließ.

"Kommt doch her und bringt es zuende! Worauf wartet Ihr denn noch?!", hörte ich meinen Großvater rufen, außer sich vor Wut. Aber nichts geschah, die Orks ließen ihre Waffen sinken und etwas, das beinahe wie ein Lachen klang, ertönte. Einer von ihnen sagte etwas, das ich tatsächlich verstand, obgleich es grollend und verzerrt klang: "Du bist besiegt, alter Mann."
Dann strichen die Orks durch das Lager. Mein Großvater drohte ihnen immer noch mit dem Schwert, doch sie ignorierten ihn. Sie gingen an ihm vorbei, auf uns Mädchen zu und die Leiber, die um uns herumlagen. Erst als Galadan einen von ihnen hinterrücks angriff, wandten sie sich ihm wieder zu. "Kämpft gefälligst weiter!", schrie er sie an. Ein besonders großer Ork, der tatsächlich an ihn heranreichte, holte mit der Faust aus. Galadan sah den Schlag nicht kommen und bevor ich ihn warnen konnte, ging er auch schon auf ihn hernieder. Er traf ihn ins Genick und mein Großvater brach zusammen. Er war nicht tot, aber seines Bewußtseins beraubt und in eine tiefe Ohnmacht verfallen. "Diese da....", fuhr der große Ork fort und zeigte auf mich und meine Schwestern, "...nehmen wir mit und heben sie uns für später auf. Es ist noch ein langer Weg zurück nach Isengart. Und den Alten nehmen wir auch mit. An den anderen stillt jetzt Euren Hunger!", befahl er.
Ich riß die Augen auf. Mitnehmen? Sie wollten uns mitnehmen? Und wohin? Mir wäre lieber gewesen, sie hätten mich getötet. Ich wollte nicht mit ihnen mitgehen. Aber ich hatte keine Wahl. Eine schwarze Hand griff nach mir, auch griff sie nach Iona und Nariala.
Iona starrte immer noch wortlos und blass vor sich hin, Nariala zappelte und schrie, daß die Orks lachten und ihr schließlich irgendetwas in den kleinen Mund stopften, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich wurde herumgedreht und dann riß etwas an meinen Armen, daß ich dachte, meine Schultern müßten aus den Gelenken springen. Meine Hände wurden zusammengedrückt und ein rauer, grober Strick legte sich um meine Handgelenke. Zum ersten Male schrie auch ich auf, als er festgezurrt wurde und sich tief in mein Fleisch schnitt. Dann spannte sich der Strick und ich wurde mit einem Ruck vorwärts gezogen, daß ich fast von den Füßen gerissen wurde und stolperte. Einer der Orks hielt das andere Ende der Leine in seinen Klauen und zog mich mit sich fort. Ich blickte nicht mehr zurück - ich hörte das Krachen von Knochen und das Zerreißen von Gliedern. "An den anderen stillt Euren Hunger....", hallten mir die Worte des großen Orks in den Ohren wider. Stille Tränen bahnten sich den Weg aus meinen Augen die Wangen hinab.

Ich blickte nicht zurück, nein. Ich konnte es nicht. Dann ging es hinaus in die Nacht...


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#14

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:19
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

"Wegzehrung...", schoß es mir durch den Kopf. Wir waren nicht mehr als eine simple Speise für diese Kreaturen, die sie auf ihrem Marsch durch Rohan bei Kräften halten sollte. Aber es erschreckte mich nicht mehr, ich fühlte gar nichts. Ich erwartete dieses Schicksal, und dann würde diese Tortur endlich ein Ende finden. Trotz meiner jungen Jahre begrüßte ich es sogar. Es schien, als sei ich schlagartig um Jahre gealtert. Und mein Verstand fand sich auf nüchterne Weise mit dem Kommenden ab, was vielleicht gut so war, denn sonst hätte ich ihn wahrscheinlich verloren. Meine einzige Sorge galt noch meinen beiden Schwestern, vor allem Nariala. Sie stolperten irgendwo neben oder hinter mir durch die Dunkelheit. Ich hörte das schwere Atmen der Orks und das blecherne Stampfen ihrer Stiefel auf dem Gras der Steppe. Es ging westwärts, in eiligem Tempo.
Wenn ich fiel, und das tat ich oft, wurde ich gepackt und wieder auf die Füße gezerrt. Manchmal erhielt ich einen Schlag auf den Rücken oder den Kopf, der mich wieder antreiben sollte. Ich nahm es hin. Meine Tränen waren versiegt, ich konnte nicht mehr weinen. Irgendwann ging schließlich in unserem Rücken die Sonne auf. Die Orks begannen sich hastig umzudrehen, als sie es bemerkten. Sie grunzten und zischelten und erhöhten das Tempo noch mehr. Nariala konnte nicht mehr mithalten, ihre kurzen Beine trugen sie nicht länger vor Erschöpfung und Furcht. Der große Ork hob sie hoch und warf sie sich über die Schulter wie einen Sack Getreide. Die Sonne stieg immer weiter, bald wurde es Vormittag und ich taumelte nurmehr mit geschlossenen Augen hinter meinem Bewacher her. Meine Handgelenke waren aufgeschürft und bluteten und sie hätten mich schmerzen müssen, aber ich spürte auch das nicht mehr. Kurz vor dem Mittag hielten wir an. Die Orks waren müde und das helle Sonnenlicht setzte ihnen zu. Der Fangorn lag immer noch zu unserer Rechten und sie führten uns näher an den Waldrand heran, wo das Licht gedämpfter und fahler war. Hier rasteten wir. Atemlos fiel ich einfach um. Meine Knie gaben nach. Ich fiel in das trockene Gras und atmete flach. Man ließ mich liegen. Ebenso Nariala und Iona. Nur unsere Füße band man noch zusammen, damit wir nicht fortlaufen konnten. Heute muß ich beinahe darüber lachen - wohin hätten wir damals schon laufen sollen? In den Fangorn hinein? Oder hinaus in die offene Ödnis? Es hätte ebenso unseren Tod bedeutet wie zwischen den hungrigen Mäulern der Orks, die uns zunehmend mit Gier nach Fleisch und Blut anzusehen begannen. Doch noch erlaubte der große Ork ihnen nicht, einen von uns zu töten.

Meinen Großvater banden sie an einen nahestehenden Felsen. Ich sah den Gram in seinem Gesicht, als ich den Kopf hob. Aber er war nicht gebrochen, in seinen Augen glomm der Stolz und ich spürte, daß ich Galadan sehr liebte. Ich bemühte mich, den gleichen Stolz zu zeigen und hob das Kinn an, was natürlich kaum eine Wirkung hatte, da ich auf dem Boden lag. Aber ein Gedanke beflügelte mich: ich war Nariena, Tochter von Galariad, aus dem Hause Ghaldean. Und solange ein Ghaldean noch am Leben war, würde es kein Versagen geben, keine Schande und keine Ehrlosigkeit. Ich würde weder kriechen, noch betteln, noch winseln und flehen. Ich war Nariena Ghaldean - und ich würde durchhalten bis zuletzt. Solange es dauern mochte. Ich war Nariena Ghaldean. Ich wiederholte es immer und immer wieder. Seltsame Gedanken für ein kleines Mädchen, nicht wahr? Aber nun, so war es eben: ich hatte in diesen Momenten aufgehört, ein Kind zu sein.

Die Orks warfen sich in den Schatten der Bäume. Nun sah ich endlich, wie viele es waren. Es waren acht. Zwei von ihnen hielten Wache, die anderen begannen zu dösen. Dann wechselte die Wache und drei von ihnen machten sich schließlich auf und verließen das Lager. Ich weiß nicht, wohin sie gingen. Vielleicht wurden sie ausgeschickt um zu kundschaften. Sie waren lange fort. Ich hatte Durst, meine Kehle war wie ausgedörrt. Ich hustete und ließ den Kopf wieder auf den Boden sinken. Meine Augen schlossen sich und tatsächlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Erst als die Sonne unterging und diesen unseligen Tag verabschiedete, erwachte ich wieder. Die Späher waren zurückgekehrt und hielten mit dem großen Ork Rat. Er grunzte und schimpfte und spuckte auf einen von ihnen. Offenbar gefiel es ihm keineswegs, was man ihm berichtete. Die Orks begannen miteinander zu streiten. Sie gestikulierten wild und es ging eine ganze Weile so, daß sie sich lautstark in ihrer gutturalen, abgehackten Sprache miteinander unterhielten. Es klang wie pures Gift. Ich wälzte mich auf den Rücken. Über mir ging ein heller Mond auf. Es war beinahe Vollmond und die goldene Scheibe erfüllte mich mit ein wenig Ruhe. Von glänzenden und funkelnden Sternen war sie umringt. Es würde eine sehr helle Nacht werden. Die Orks begaben sich schließlich wieder zur Ruhe, murrend und hier und da immer noch miteinander hadernd, legten sie sich auf ihre knappen und löchrigen Decken. Der Morgen graute noch nicht, als sie sich wieder erhoben. Der große Ork wanderte im Lager umher und stieß einen nach dem anderen mit dem Fuß an und bellte ihm etwas zu. Ich nahm war, daß sie meine Schwestern und mich wieder zu mustern begannen. Sie waren hungrig und so war es auch der große Ork, der verfügte, daß sie noch etwas essen würden, bevor sie weiter nach Westen ziehen würden. Einer von ihnen näherte sich uns und bleckte die Zähne.

Mein Großvater hob alarmiert den Kopf und ergriff plötzlich das Wort: "Laßt doch die Mädchen gehen, an ihnen ist nichts dran. Sie werden Euch weder sattmachen, noch irgendeinen anderen ruhmreichen Dienst erweisen.", sprach er ruhig. Der große Ork erhob sich und ging langsamen Schrittes auf Galadan zu. Er stellte sich direkt vor ihn und richtete den Oberkörper auf. Mein Großvater schreckte nicht vor ihm zurück, es war keine Furcht in seiner Miene zu lesen, nur Abscheu. Der Ork beugte sich zu ihm vor. "Wollen wir das herausfinden, ob es so ist oder nicht, alter Mann?", grunzte er. Ich sah, wie sich die Armmuskeln Galadans anspannten, als suchte er seine Fesseln zu zerreißen. Trotz seines Alters hatte er immer noch Kraft und war nicht von schmächtiger Statur. Die Jahre, die er nun schon im Ruhestand vom Militärdienst verbrachte, hatten ihn nicht gebeugt und fast wollte ich mir einbilden, daß dieser stinkende Ork so etwas wie Respekt vor ihm hatte. Dennoch bestand kein Zweifel, daß er Galadan jederzeit die Kehle aufgeschlitzt hätte, wenn ihm danach gewesen wäre. Der Ork verzog sein Maul und dunkler Speichel tropfte von seinen Zähnen. "Ich mache Dir einen Vorschlag - wir fangen nur mit einem der Mädchen an und kosten sie. Du bestimmst, welche!"
Galadans Augen weiteten sich vor Entsetzen und er starrte den Ork für einen Moment fassungslos an, daß dieser ein grollendes Lachen von sich gab und die breiten Arme verschränkte. Auch Iona war nun hellhörig geworden und richtete sich ächzend auf. Sie blickte meinen Großvater an und das rote Haar fiel ihr dabei auf die Schultern. Nun sieht sie aus wie Mutter, dachte ich schmerzlich und mußte ein paar Tränen unterdrücken.
Der Ork sah Galadan erwartungsvoll an, doch mein Großvater sagte nichts. So holte der Ork aus und schlug ihm ins Gesicht, daß sein Kopf nach hinten gegen den Felsen stieß und ich zusammenzuckte. "Na, wirds bald? Welche?!", herrschte er Galadan an. Iona zog ein verbissenes Gesicht und hob dann ihre gebundenen Hände in die Höhe. Sie öffnete schon die Lippen und hätte wohl so etwas wie "Ich!" gesagt, hätte ich nicht meine Beine herumgezogen und sie arg in die Seite gestoßen. "Iona, halt den Mund!", zischte ich sie ärgerlich an. Ich wollte nicht, daß meine Schwester sich opferte. Glücklicherweise hatte der Ork nichts von ihrem mutigen Versuch mitbekommen, sein Blick ruhte immer noch auf Galadan, der seinen nun senkte. "Bei allen Fehlern, die ich begangen habe, werde ich nicht noch diesen hinzufügen, eins meiner Kinder zum Tode zu verdammen.", flüsterte er. "Wenn Dir nach Blutvergießen ist, Schweinsbrut, dann vergieße das meine." Er hob den Blick wieder und sah den großen Ork an. Dieser schüttelte den Kopf und lachte wieder sein hohles, düsteres Lachen. "Du verstehst das Spiel nicht, Bosaraz (Anmerkung: orkisch für "Sohn einer Hure") , Du kannst Dich nicht selbst wählen. Dann treffe ich die Entscheidung für Dich. Heute oder morgen werdet Ihr ohnehin alle sterben." Er lachte noch einmal und drehte sich herum.

Galadan knurrte wütend auf und zerrte an den Stricken, die ihn hielten, aber er vermochte nicht, sie zu lösen, und so konnte er nur zusehen, wie der große Ork zu uns Mädchen herüber kam. Er sah uns alle der Reihe nach an, dann fiel sein Blick auf mich. Seine schwarze Hand schob sich vor und streckte sich auf mich zeigend aus. "Wir nehmen diese, sie ist weder zu groß noch zu klein, so wie die anderen beiden." Ich schluckte. "Ich bin Nariena, aus dem Hause Ghaldean!", zuckte es wieder durch meine Gedanken und ich bemühte mich, Furcht und Tränen zu bekämpfen. Ich wollte, daß mein Großvater stolz auf mich war und auch, wenn ich mit meinem Verhalten wohl kaum Bewunderung bei den Orks ernten würde, so wie er vielleicht, so war ich wenigstens kein Feigling. Aber was ich bekam, war Spott. Und einen erneuten Schlag auf den Kopf, der mich hinab auf die Knie schickte, nachdem sie mich gepackt und hochgezerrt hatten. Ich kniete da und keuchte. Das Haar klebte mir an den Schläfen, kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ich wandte das Gesicht nun nach Osten, wo bald die Sonne aufgehen mußte. Sie kündigte sich mit einem matten Silberstreif bereits hinter dem Rücken des gewaltigen Orks an, der nun in meine Haare griff und meinen Kopf in den Nacken zwang. Er starrte auf meine Kehle und leckte sich die Lippen. Die anderen Orks kamen heran und reckten glucksend die Fäuste. Sie riefen und grölten, ich verstand es nicht. Sie begannen sich zu schubsen und wieder zu streiten - wahrscheinlich darüber, wer von ihnen welches meiner Gliedmaßen erhalten sollte. Und so merkwürdig es war, ich war trotz allem dankbar, daß ich den Sonnenaufgang noch einmal erblicken durfte. Ich nahm den beißenden Geruch meines Peinigers wahr und ich begann zu lächeln. Wenn ich tot war, würde ich meine Mutter wiedersehen. Ich glaubte sogar, sie schon auf einem Hügel stehen zu sehen, der sich vor mir in einiger Entfernung erhob. Ich sah eine Silhouette im Morgengrauen, beschienen von den letzten Strahlen des Vollmondes glänzte sie erhaben über den Weiten der Wold - ja, sie wartete bereits auf mich. Nur noch ein paar Wimpernschläge und ich war wieder bei ihr. Ich sah an dem Ork vorbei, der nun an meinem Hals schnüffelte und genüßlich den Moment hinauszögerte, in dem er zubeißen und von meinem Blut kosten würde. Die Orks schrien nun beinahe vor Verlangen und traten sich gegenseitig auf die Füße. Ich heftete den Blick an die Gestalt meiner Mutter...sie bewegte sich plötzlich und hob einen Arm. Ihr Umhang wehte in der leichten Brise, die über die Steppe kam.
Doch dann verengte ich die Augen. Etwas blitzte im Morgenlicht in ihrer Hand auf, die sie so ausgestreckt hielt, dem Himmel entgegen. Es war etwas Metallisches, wie eine Klinge. Ich bewegte den Kopf und wehrte mich leicht gegen den Griff des Orks, um besser sehen zu können. Die Gestalt auf dem Hügel kam näher. Wurde größer. Es war nicht meine Mutter. Es war mein Vater! Es war Galariad!


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#15

RE: Von Pferd und Schwert

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:20
von Airelind • Junior | 49 Beiträge

Es schließt sich an eine Schilderung des Endes der Jagd, wiederum aus Galariads Sicht:

Ich begann mich heranzupirschen. Ebenes Gelände, leicht abschüssig. Noch gut hundert Schritt...
Die Orks stritten, was mich kaum verwunderte, doch hätten sie es ausnahmsweise nicht getan, wäre die Überraschung mir schwerer gefallen. In Wahrheit jedoch pirschte ich keineswegs. Ich bemerkte, halb außer mir selbst, wie ich mich den Bestien bereits aufrechten und geschwinden Gangs näherte. Noch achtzig Schritt...
Als würde ich mich selbst beobachten, ohne zu wissen, was ich als nächstes tun würde, sah ich mich meine Schritte immer weiter beschleunigen. Ich verfiel ins Laufen. Bald lief ich rasch und stampfend auf die grunzende Meute zu. Noch sechzig Schritt...
Ich konnte es nicht glauben, aber sie waren meines Ansturms noch immer nicht gewahr. Nur mit der Rechten griff ich nun die Helmbarte und hob sie über die Schulter zum Wurf. Noch vierzig Schritt...
Die Orks wirbelten herum. Auch jetzt hätten sie mich nicht bemerkt, hätte ich den markerschütternden Schrei all meiner Verzweiflung und Wut unterdrücken können, der sich nun Bahn brach. Aus vollem Lauf und als wäre sie ein leichter Wurfspeer schleuderte ich die Helebarde den Scheusalen entgegen. Noch zwanzig Schritt...
Krachend durchschlug mein Wurfgeschoß den Panzer eines der verdutzten Orks und spaltete ihm den Leib von der Seite bis zum Brustbein. Einer!

Während der durchbohrte Ork tot zusammensackte, zog ich den Zweihänder aus der Lederscheide auf dem Rücken und begann mich, die schwere Klinge in beiden Händen, im Lauf zu drehen. Als eine ganze Drehung vollendet war, trennte mich nichts mehr von den verhaßten Kreaturen.
Keiner der Orks wollte derjenige sein, der diesen ungeheuren Streich des tödlich kreisenden Zweihänders würde nehmen müssen. Alle versuchten sie, zur selben Seite zu weichen und stolperten ineinander. Den Langsamsten unter ihnen, obgleich er seinen Schild emporgerissen hatte, ereilte der Tod. Das Schwert spaltete Schild und Ork - zwei! - und drang dem torkelnden Nebenstehenden in die Flanke, der sich brüllend vornüber krümmte. Ich riß das Schwert zur Parade des Angriffs eines Anderen empor und ließ es wie ein Henkersschwert niederfahren, dem Gebeugten das Genick zerschmetterternd. Drei!
Ich war rasend. Den eigenen Schmerz fühlte ich nicht, doch ließ der Griff meiner Linken an Kraft nach, der linke Oberarm schien in warmes Wasser getaucht. Den schweren Armtreffer, den der unter meinem ersten Schwertstreich hinweggetauchte Ork in meine ungeschützte Seite gesetzt hatte, nahm ich erst jetzt wahr. Im Augenwinkel konnte ich sehen, daß er sich aufgerichtet hatte, nun beinahe hinter mir stand und ausholte. Es war zu spät, sich ihm zu widmen, zu spät für eine Abwehr, das wußte ich. Doch eines der Schweine würde ich noch mit mir in den Tod reißen. Meine Linke, mit Mühe noch als Führhand zu gebrauchen, griff das Schwert an der Klinge, und mit der Rechten trieb ich den Schwertgriff ins Gesicht eines der beiden Orks vor mir. Die Seite des Hefts drang durch eines der roten Augen tief in den Schädel. Vier! Der andere mir gegenüberstehende Ork wich zurück, während ich den Schlag in meinem Rücken erwartete.
Die Spitze, die Spitze des Schwerts! Sie weist nun nach hinten, schoß es mir durch den Kopf. Ich faßte ich die Klinge fester, die mir durch Handschuh und Finger schnitt, und riß sie mit aller verbleibender Kraft des versehrten Arms hintaufwärts. Es würde nichts ändern, der Ork in meinem Rücken würde schneller sein. Schicksalsergeben und grimmig fragte ich mich, auf welche Stelle seine Wahl denn gefallen war, um mir denjenigen Schlag zu versetzen, welcher den Kampf beenden würde, beenden mußte. Allenthalben, ich spürte nichts. Stattdessen traf meine Klinge auf einen Widerstand, den sie mühelos durchbrach, um dem Ork in den Bauch und weiter aufwärts zu fahren. Als ich mich zu ihm umwandte und die Klinge zurückzog, fiel der Ork wie ein gefällter Baum. Aus seinem Rücken ragte das Heft eines Messers. Fünf!
Hinter ihm kam Nariena zum Vorschein, an den Füßen gebunden, nicht aber an ihren Händen, welche das Messer eines der getöteten Orks und mein Leben in dieser Welt gehalten hatten. Ungläubigkeit und Entsetzen standen ihr gleichermaßen im Blick. Für einen Wimpernschlag herrschte eine übermächtige Stille. Mir wurde bewußt, daß ich selbst bis eben wie ein Wahnsinniger geschrien hatte. Noch offenen Mundes blickte ich sie an, als meines Vaters Stimme uns wieder zum Handeln trieb. Aus Leibeskräften schrie er seine Warnung, gerade rechtzeitig, um mich erneut demjenigen Ork zuzuwenden, der zurückgewichen war, nun aber wieder heranstürmte. Parade, Riposte, sechs! Ein Pfeil traf mich in den Oberschenkel, woher er kam, wußte ich nicht.
Abermals hörte ich meinen Vater schreien, ein letztes Mal, einen Schmerzensschrei, der langsam verebbte. Der Uruk stand bei ihm, offenbar der Anführer der Meute, der seine Lakaien die Drecksarbeit hatte erledigen lassen wollen und nun seine Felle davonschwimmen sah. Geradezu genüßlich zog er sein Krummschwert aus Galadans Brust und blickte spöttisch zur mir, höhnisch grunzend, als wolle er mich einladen, etwas ganz Besonderes mitanzusehen. Fürwahr holte er mit dem Schwert in aller Ruhe noch einmal aus. Weder ich mit durchschossenem Bein noch Nariena mit ihren Fußfesseln wären imstande gewesen, ihn vor dem Schlag zu erreichen. Mein Vater lebte noch. Er blickte mich an. Dann die Töchter. Dann schloß er die Augen.
Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich ein Zweihänderschwert geworfen. Man kann damit nicht zielen, es kann nicht fliegen, man kann damit nicht treffen. Ich zielte auch nicht, war dazu gar nicht mehr imstande, ich warf einfach. Es flog. Und es traf. Als der Uruk zu Boden ging, ragte es zur Hälfte aus Brust und Rücken heraus.
Hinter dem Felsen, an den mein Vater gebunden war, kam nun der letzte Ork zum Vorschein, den nächsten Pfeil schon auf der gespannten Bogensehne. Ich warf mich vor Nariena, doch der viel zu hastig abgegebene Schuß ging ohnehin fehl. In panischer Angst schmiß die Kreatur den Kurzbogen fort und suchte eiligst das Weite, in heilloser Flucht geradewegs in den Fangorn hinein. Bevor ich überhaupt wieder auf die Beine kam, war Nariena bereits zu dem gefallenen Uruk gesprungen und hatte ihm das Messer so lange in den Leib gestoßen, bis er nicht mehr zuckte. Sieben! Und der Achte war fort.

Auch Iona und Nariala hatten sich nun erhoben und standen neben Nariena. Wenn auch unversehrt in diesem Kampf, tief verwundet für ihr ganzes Leben waren sie alle. Meinem Vater lösten wir die Fesseln. Für einen kleinen Augenblick konnte ich ihn in die Arme schließen bevor er starb.

Gebrochen in Körper und Geist schleppten wir uns nach Entbruck. Galawyn und Otharin waren bereits sicher eingetroffen, meine Mutter in tiefen Schlaf versunken. Nächstentags erwachte sie, die Töchter und mich noch immer nicht erkennend, wie sie es später in ihren Aufzeichnungen festhielt. Damit schließe ich den Kreis der Erzählung mit dem, was ich beitragen konnte.
Unsere Toten brachten wir wenig später heim. Admunth, Roswilde und die Bediensteten begruben wir auf dem Gut der Großeltern, nicht weit entfernt vom Ufer der Entwasser. Galadan und Falvine wurden nach Gondor überführt und ruhen in der Gruft der Ghaldeans in Pelargir.

Keinem von uns waren auf diesen weiteren Wegen nochmals Orks begegnet. Zu dieser Zeit hätte man wohl wochenlang durch das Wold streifen können, ohne daß derartiges Ungemach geschah. Und doch war es einmal geschehen. Weshalb ausgerechnet uns? Niemand kann eine solche Frage beantworten, doch die Frage bleibt, ewig allein, vergeblich auf der Suche nach ihrer Auflösung, sickert allmählich in unser Wesen und macht uns mit zu denjenigen, die wir sind. Seht uns unsere Eigenheiten nach, insbesondere Galawyn. Sie hat lichte Augenblicke, doch viele dunkle, in denen ihr bewußt wird, daß sie selbst sich niemals verzeihen kann.


Artanaro, Cunarwe, Maethruth

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