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RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:01von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
„Sei doch nicht so naiv!“, zischte er mich an. „Es herrscht Krieg zwischen Mordor und den freien Völkern. Krieg, Nariena! Und Du kannst nicht in den Krieg ziehen, ohne sein Leid und den Tod zu erfahren! Dein Heer, Deine Freunde – Menschen...Elben...Ihr haltet Euch alle für edel und gut und glaubt, daß Euch nichts geschehen kann, wenn Ihr Euch nur fest genug in den Mantel aus Rechtschaffenheit und Tapferkeit hüllt. Aber das ist keine Rüstung, die auch nur einen Moment gegen die Kräfte bestehen könnte, denen Ihr auf so lächerliche Weise Eure armseligen Leben vor die Füße werft. Man entscheidet sich in einem Krieg nunmal für eine Seite. Du hast Deine Wahl getroffen, ich habe das ebenso. Aber es war eben eine andere als die Deine!“
Ich schluckte und wich eine Handbreit vor ihm zurück. „Du bist auch ein Mensch, Yhared.“, brachte ich schließlich hervor, der Griff seiner Hand war fest und er fühlte sich an, als würden seine Finger bis auf meine Knochen durchdringen. Kälte begann meinen Arm zu erfüllen. Yhared richtete sich auf und zog seinen Kopf zurück. „Ich bin ein Mensch, und doch bin ich nun viel mehr als das. Mordor hat mehr zu bieten als Edelmut und das Streben nach Recht und Gewissen. Ich habe angenommen, was es mir gab und viel gelernt. Macht gewonnen, von der ich nicht einmal geträumt hatte. Und seien wir doch ehrlich, Nariena, die viel besungenen Werte der Menschen sind keine, die Dir einst besonders viel bedeutet haben. Du hättest das Gleiche getan wie ich, wenn Du die Möglichkeit dazu gehabt hättest.“, sagte er, doch ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht, Yhared. Du hast recht, daß mein Leben eine sehr lange Zeit ohne diese hohen Werte verlaufen ist, aber das hat sich geändert. Und wenn ich sehe, welchen Preis Du für ein bißchen Macht bezahlt hast, dann bin ich umso mehr froh darum.“ Yhared lachte erneut. „Ein Geschenk aus Mordor gibt es nicht umsonst. Und glaube mir, ich habe wenig dafür bezahlt.“, meinte er. „Du irrst Dich.“, widersprach ich. „Du warst glücklich. Du und ich waren es. Und Du hast Dein Glück hingegeben und damit Dich selbst. Das ist ein überaus hoher Preis.“
Yhared ließ mich endlich los und unwillkürlich griff ich an meinen Arm, rieb über meine Haut, um wieder die Wärme in ihn zurück zu leiten. „Wie ich sehe, hast Du mich ja ersetzt durch diesen...Pferdeknecht.“, gab er zurück und es klang bitter, was mich erstaunte. „Liebe kann man nicht ersetzen, Yhared. Aber man kann sie neu gewinnen.“, sagte ich leise. Yhared nickte. „Das ist das zweite Ding, das Du von mir willst, nicht wahr? Du willst Deinen rohanischen Edelmann zurück.“, meinte er und sein Blick wurde prüfend. „Ein kräftiger Arm und ein bißchen edles Blut, und Du bist zufrieden? Er besitzt ein scharfes Schwert, aber hat er auch Verstand?“, fuhr er fort. Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch dann besann ich mich. Ich atmete tief durch und zwang mich zu Bedachtheit. „Ich werde nicht mit Dir über Therowig sprechen. Doch sei Dir gewiß, daß er mehr Verstand besitzt, als Du ahnen magst.“, sagte ich nur. Yhared setzte nun wieder sein amüsiertes Schmunzeln auf. „Nun, in der Tat. Ich hatte das Vergnügen, mich mit ihm ein wenig...zu unterhalten.“, sagte er und diesmal gelang es mir nicht, gefaßt zu verharren und meine Worte gut abzuwägen. Ich war es nun, die nach Yhareds Arm griff und ihm fest ins Gesicht blickte. „Dann lebt er? Und er ist hier?“, entglitt es mir und ich konnte nicht verhindern, daß meine Stimme doch in ein Flehen umschlug und meine Augen Yhared verzweifelt um eine Antwort baten.
Sein Schmunzeln wurde zu einem heiteren Lachen. „Was denn?“, begann er. „Du kommst hierher, ohne zu wissen, ob er wirklich am Leben ist? Du hast hoch gespielt, Nariena. Ich bin beeindruckt, Du hast mich tatsächlich glauben lassen, daß Du weißt, was Du tust.“ Er zwinkerte und mir stieg die Röte in die Wangen. Beschämt senkte ich den Blick und fluchte innerlich. „Er ist mein Gast. Und mit ihm andere, die das Wappen tragen, dem auch Du dienst. Wenn Du ihn also von mir zurück verlangst, dann beantworte doch Du mir nun eine Frage: was bekomme ich dafür?“
Yhared verschränkte die Arme und ich schloß die Augen. Es gab nur eine Antwort auf seine Frage. Nur eine, die er auch akzeptieren würde. Und sie lautete: „Mich.“
Zeit verging, in der wir nicht sprachen. Zeit, in der ich nicht die Augen öffnen und Yhared ansehen konnte. Zeit, in der ich zu begreifen versuchte, was ich getan hatte. Als ich endlich wieder den Blick erhob, sah Yhared mich stumm an. Unbewegt. Ich hatte damit gerechnet, daß er triumphieren würde, seine Augen mich verspotten würden, voll des Hohns und des Sieges. Aber nichts stand darin als bloße Nachdenklichkeit und eine Leere, die schwer zu ertragen war. Er fühlte nichts – und das schien ihn selbst zu überraschen. „Ich bekomme, was ich will. Das habe ich Dir gesagt.“, sprach er schließlich, aber es klang heiser und tonlos. „Dann sind wir uns einig. Ich bleibe und Du läßt die anderen gehen. Ich...will sie vorher noch einmal sehen. Bring mich dorthin, wo sie sind.“, sagte ich und hob langsam den Kopf, er war schwer. Yhared nickte nur, dann ging er an mir vorbei und machte eine Geste mit der Hand, die mir bedeutete, ihm zu folgen.
Er schritt über die lange Galerie, die in einem Halbrund an der Wand des Gewölbes verlief, bis wir an eine Treppe gelangten, die in einer Nische in der Seitenwand begann und sich hinab in die Tiefe wand.
Die Treppe war eng und Yhared ging immer noch voran. Seine Robe rauschte leise, raschelte und selbst dieser Laut klang plötzlich einsam und alles andere als eifrig und überlegen. Die Stufen endeten an einem niedrigen Gang, der schräg abfiel und in den Berg hinein zu führen schien, auf dem die Sternwarte erbaut war. Yhared nahm eine Fackel aus einer Wandhalterung und machte einen Schritt in den Gang hinein, doch dann blieb er wieder stehen und drehte sich zu mir herum. „Ich schulde Dir noch eine Antwort, denn die, die ich Dir gab, war nur unzureichend.“, begann er und ich sah ihn an. „Es ist nicht nur der Krieg, der wie jeder andere auch seinen Tribut fordert. Es ist...auch so, daß man in diesem Krieg die größte Möglichkeit erhält, sich Sauron würdig zu erweisen und sein Wohlwollen zu verdienen. Ich habe sein Angebot angenommen, als ich einst seinen Anhängern begegnete, die durch das Breeland streiften. Aber Du kennst mich, ich bin keiner, der sich damit zufrieden gibt, nur einer unter Vielen zu sein. Ich wollte mehr von seiner Macht, mehr von seinem Geschenk und mehr von dem Wissen, das er hat. Durch das, was ich tue, bekomme ich mehr. Und, Nariena, ich kann nun nicht mehr zurück.“, fuhr er fort, dann preßte er die Lippen aufeinander. „Ich konnte nur versuchen, Dich zu beschützen und Dich aus allem herauszuhalten. Dich dazu zu bringen, Dich abzuwenden und Dich nicht in eine Schlacht zu begeben, für die Du nicht geschaffen bist, in dem ich Dir ihr Grauen vor Augen führe.“
Ich schluckte, als er das sagte und tief in mir drin spürte ich, wie mich etwas an seinen Worten berührte. Etwas, das lange vergangen war und das mit dem Menschen zu tun hatte, den ich einst gekannt hatte; der Yhared einst gewesen war. „Du warst nicht sehr erfolgreich. Furcht hatte ich, den Schrecken habe ich gesehen und gespürt – doch Du hast eines übersehen und das mag daran liegen, daß Du Dich entschieden hast, Deine Menschlichkeit für etwas aufzugeben, das Dir wichtiger erschien: Grauen und Furcht können durch Freundschaft und Güte ausgeglichen werden. Und Freundschaft...die habe ich ebenso erfahren. Und sie führt mich nun auch hierher. Nicht der Schrecken, den Du verbreitet hast.“, antwortete ich ihm.
Yhared drehte sich wortlos um und setzte seinen Weg fort. Die Fackel erleuchtete den Gang und warf unsere Schatten auf die Wände und den Boden.
Vielleicht war es ein unsinniger Aberglaube, vielleicht aber auch nur Vorsicht, als ich mich darum bemühte, niemals in Yhareds Schatten hinein zu treten und mit ihm in Berührung zu kommen.
Der Gang schien sich beinahe endlos unter dem Berg hindurch zu ziehen und ich war darauf bedacht, nicht meine Orientierung zu verlieren und immer abzuschätzen, in welche Richtung wir gingen. Die Luft wurde wärmer, ****er und stickig. Yhareds Fackel schien den letzten Rest von Klarheit und Frische aufzubrauchen, der hier unten noch verblieben war. Minuten verstrichen, und dann machte der Gang schließlich eine Biegung, hinter der er in einem Raum mündete, der wie eine Höhle in den Fels getrieben war. Ein Tisch stand darin, ein Schemel. Ein Mann saß darauf, groß, fleischig, mit einem gewaltigen Bauch, den der breite Ledergürtel um seine Hüfte kaum zurückzuhalten vermochte. Er stand auf, als er Yhared erblickte und verbeugte sich knapp und ungelenk. An seinem Gürtel hing ein Knüppel – und ein Schlüsselbund. Ich sah mich um, etwa ein halbes Dutzend Türen zweigten aus der Kaverne ab, alle aus Eisen geschmiedet und mit einem vergitterten Sichtfenster versehen. „Ich möchte zu unseren Gästen. Die Dame gehört zu mir und wird mich begleiten.“, sprach Yhared knapp, seine Stimme unfreundlich und kühl. Er behandelte den Schlüsselträger wie ein Bauer vielleicht seinen Hund behandeln würde, wenn er mit dessen Diensten unzufrieden war. Doch er gehorchte Yhared, ließ die Finger durch das Schlüsselbund gleiten und wählte dann einen der Schlüssel aus, drehte sich um und steckte ihn das Schloß jener Tür, die genau mittig in die Höhlenwand eingelassen war. Mit beiden Händen mußte er ihn herumdrehen in dem schweren Schloß, dann gab es ein rostiges Klicken und die Tür ließ sich öffnen.
Der Wächter zog sie so weit auf, daß sie beinahe gegen die Wand schlug, dann trat er zurück und senkte den Kopf. Ein Schwall abgestandener Luft und der Geruch von altem Stroh schlug mir entgegen. Ich begann plötzlich zu zittern und schlug mir eine Hand vor den Mund. Ein Lichtschein streifte mich, als Yhared die Fackel anhob und das Verlies betrat. „Du wolltest Deine Gefährten sehen, hier sind sie.“, forderte er mich auf und seine Stimme klang tief und rau. Zögerlich betrat ich das Gefängnis und tatsächlich erblickte ich fünf Gestalten, die im plötzlichen Schein des hellen Lichtes die Köpfe abwandten und die Augen zusammenkniffen.
Mein Herz tat einen schmerzhaften Schlag, als ich Tinuveen erkannte. Um ihre Handgelenke wand sich eine schmale Kette, die mit der Felswand verbunden war. Ihr Gesicht, immer noch strahlend schön unter einer Schicht von Ruß und Blut, sah mich traurig und dennoch erhaben an. Ihre Augen weiteten sich, als sie mich erkannte. Sie erkannten mich alle, und ich erkannte sie. Ich konnte nur den Kopf schütteln, Worte blieben mir in der Kehle stecken und waren ohnehin nicht genug. Yhared winkte die Wache heran. „Schließ die Ketten auf. Alle.“, knurrte er, dann sah er mich an. „Zufrieden?“ Ich nickte stumm. Und als Tinuveen an mich herantrat, endlich befreit, konnte ich ebenso stumm nur ihren Arm berühren. In ihren Augen stand nichts, doch in meinem Geist fühlte ich, daß sie wußte, welchen Handel ich mit Yhared geschlossen hatte. Ich fühlte ihr Widerstreben und doch ihr Verständnis. Doch auch sie wußte nicht, was nun zu tun war und so ging sie nur weiter in die Kaverne und wartete auf die anderen. Herr Cunilos trat aus dem Raum. Zwei Krieger nach ihm, die zu Herrn Aneawins Schar gehörten, und eine Frau, die stets hinter Frau Arhaleth gekämpft hatte.
Und dann sah ich endlich Therowig, als Yhared weiter in das Verlies hineintrat und die Fackel in eine Halterung steckte. Mühsam erhob er sich und lehnte sich gegen die Wand. Er atmete schwer und ich schloß die Augen, als ich sein Gesicht sah, daß mir so vertraut und teuer war und so bleich und zornig.
Ich hörte, wie der Wächter auch nach seiner Kette griff und durch seine Handfläche gleiten ließ, um das Schloß zu finden, daß sie hielt. Doch als er es öffnen wollte, hob Yhared plötzlich die Hand. „Nein, ihn nicht.“, sagte er und starrte Therowig an. Ich riß die Augen auf. „Yhared, Du hast es versprochen! Es war unsere Abmachung!“, entfuhr es mir und ich spürte, wie sich mein Magen erschrocken zusammenzog. „Ich habe meine Meinung gerade geändert! Du bist zudem nicht in der Lage, mit mir weiter zu verhandeln. Die anderen können gehen – schert Euch fort!“, zischte Yhared an und warf einen wütenden Blick aus der Kammer in die Kaverne. Herr Cunilos trat einen Schritt vor. „Ist das ein Trick, Hexenmeister? Heißt Du uns gehen, und sobald wir einen Schritt getan haben, spüren wir die Pfeile in unseren Rücken?“, sagte er und spuckte aus. „Ich sehe keine Wachen.“, fuhr er fort, doch Tinuveen war es, die beschwichtigend eine Hand auf den Arm des Kriegers legte. „Er braucht keine Wachen – dieser Ort ist voller Magie und Barrieren und Siegel, die wir nicht sehen können. Wir werden keinen anderen Weg begehen können, den Yhared nicht für uns vorgesehen hat.“, sagte sie leise. „Richtig, Elbenweib. Und nun verschwindet, bevor ich es mir anders überlege und Euch alle hier behalte!“, keifte Yhared zurück. Er meinte es so, wie er es sprach. Tinuveen sah mich ein letztes Mal an. „Ist er am Leben?“, fragte sie und ich wußte, daß sie Aegmar meinte. „Ja, er lebt. Kümmert Euch um ihn, er braucht jemanden an seiner Seite. Und sagt ihm...daß es mir leid tut, aber ich hatte keine Wahl. Ich mußte gehen und....das tun.“, erwiderte ich. Tinuveen nickte, dann blickte sie ihre Gefährten reihum an und endlich gingen sie. Ich fragte mich, ob ich sie je wiedersehen würde. Doch die Frage mußte für den Moment unbeantwortet bleiben, denn Yhared griff mich am Oberarm und ich funkelte ihn an. Therowig stieß sich von der Wand ab und trat einen Schritt vor, er kam uns so nahe, wie die Kette es zuließ, die seine Arme hielt.
„Laß ihn gehen.“, flüsterte ich, denn die Stimme versagte mir. Yhared schüttelte den Kopf. „Halt mich nicht für dumm, Katze, denn ich bin es nicht. Du bist hier, das ist wahr, doch ich frage mich, wie lange Du wohl bleiben wirst, wenn ich ihn gehen lasse. Du wirst einen Weg finden, Dich mir zu entziehen. Du, die schon immer geschickte Finger hatte und vor allem meisterlich mit Gift umgehen konnte, nicht wahr? Wo hast Du es versteckt? Ich bin sicher, Du hast etwas bei Dir, irgendwo, eine kleine Phiole, die Dein Leben beendet, sobald er diese Festung verlassen hat. Ist es nicht so?“ Yhareds Stimme war schrill und auch seine andere Hand griff nach mir, tastete am Ärmel meines Wamses hinab, über meinen Bauch, meine Brust. Ich wich zurück. „Gib mir, was Du bei Dir hast, oder ich werde den Pferdeknecht vor Deinen Augen zu seinen Ahnen schicken! Er bleibt nur am Leben, solange Du lebst – und darum behalte ich ihn hier, um sicher zu sein, daß du wirklich tust, was ich von Dir verlangen werde.“
Ich kniff fest die Lippen zusammen und starrte Yhared wütend an, mein Rücken berührte bereits die kalte Felswand des Verlieses. Ich konnte nicht weiter zurück, und Yhared kam wieder auf mich zu. Momente lang starrten wir uns an, ließen unsere Augen eine stumme Schlacht schlagen, die keiner von uns beiden gewinnen konnte. Dann griff ich in meinen Stiefel und zog eine kleine Phiole hervor, in der grün eine dunkle Flüssigkeit schimmerte. Es war tatsächlich Gift, und es hätte jenen Zweck erfüllen können, den Yhared bereits erkannt hatte. Es hätte meinen letzten Ausweg aus seiner Hand bedeutet, wenn es keinen anderen mehr gegeben hätte.
Yhared steckte die Phiole rasch ein und verbarg sie in seinem Gewand. „Deinen Dolch.“, sagte er dann barsch und deutete an meinen Gürtel. Ich griff an meine Klinge und übergab sie ihm. Yhared winkte den Wächter heran, der neben Therowig verharrt hatte und ihn beobachtete. „Herr?“, sprach der Mann und es klang wie der Ruf eines Tieres, das man zu oft geprügelt hatte und das doch bis zum Tode ergeben war. „Durchsuch sie. Vor allem ihre Hemdsärmel. Und nimm ihr den Umhang ab.“, verfügte Yhared und sein Blick wich für keinen Wimpernschlag von mir, als der Wächter begann meine Kleidung zu durchsuchen.
Er fand das kleine Wurfmesser, das in meinem Ärmel gesteckt hatte. Die feine Schneide, die in meinem anderen Stiefel verborgen war. Den Draht in meinem Gürtel, den winzigen Beutel mit Anisaskraut, das ins Essen gemischt einen tiefen Schlaf bescherte. Er fand auch die Nadeln, die verborgen in meinem Haarzopf steckten und zu meinem größten Bedauern entdeckte er auch das Heftchen mit Betäubungsstaub, das in meinem Hosenbein gesteckt hatte. Yhared sagte ihm, wo er all das finden würde. Der Wächter übergab alles seinem Herren, dann trat er erneut zur Seite.
Yhared streckte seine Hand aus, hielt die Handfläche flach nach oben und schob sie mir unter das Kinn. „Ich kenne Dich und Deine Verstecke gut. Fast wie in alten Zeiten, ist es nicht so? Ein letztes Versteck hast Du noch, ich habe es Dir einst gezeigt. Also spuck aus.“ Als ich nicht auf seine Aufforderung reagierte, setzte Yhared ein nachsichtiges Lächeln auf. „Nariena, ich weiß, daß da etwas in Deinem zauberhaften Mund ist. Also gib Dir keine Mühe.“, sagte er und ich seufzte lautlos. Ich öffnete die Lippen und zog einen winzigen Dietrich hervor, den ich in meiner Backentasche aufbewahrt hatte. Ich ließ ihn in Yhareds Hand fallen, aber er zog sie noch nicht zurück. „Den anderen auch...“, meinte er und sein Lächeln wurde ungeduldig. So zog ich auch den zweiten Dietrich aus der anderen Wange und übergab ihn. Dann griff Yhared nach meiner Hand und öffnete die Faust, die ich immer noch fest um Maethruths Kristall geschlossen hatte. Er nahm ihn und betrachtete ihn interessiert. „Was ist das?“, fragte er und hob den Stein vor seine Augen. „Ein Zwergenstein.“, erwiderte ich matt. In Yhareds Hand blieb der Stein dunkel und gab kein Licht preis. „Und was soll das sein?“ Ich überlegte einen Moment, der Kristall blieb tatsächlich kalt und stumm. „Nichts. Nur ein Glücksbringer. Glück würde ich brauchen, dachte ich.“, antwortete ich und erntete einen mißtrauischen Blick. „Und das soll ich Dir glauben?“, meinte Yhared und wandte den Blick von dem Stein in mein Gesicht, prüfend. Ich hob das Kinn an. „Du kannst ihn behalten, wenn Du willst. Mir scheint, Du hast Glück nötiger als ich, wenn ich mich unserer Unterhaltung erinnere.“, sagte ich und Yhared schnaufte verächtlich. Er warf den Stein hinter sich zu Boden, wo er kurz aufglomm und dann wieder erlosch. Yhared bemerkte es nicht.
Er breitete den Arm aus und verbeugte sich dann galant. „Du kannst hierbleiben, bis ich wiederkomme und Dich brauche. Sei mein Gast und fühle Dich ganz wie zu Hause.“, sagte er, sanft und einladend. Er warf Therowig noch einen Blick zu, der jede seiner Bewegungen mit stummem und scharfem Blick verfolgt hatte, winkte dann dem Wächter zu und ging.
Die Tür wurde wieder zugeschoben und der Schlüssel drehte sich im Rost des Schlosses, bis er verstummte. Schritte entfernten sich und der Schemel vor der Tür ächzte. Die Fackel knackte einmal und ein Funke stob auf, bevor er sofort im Dämmerlicht der Verlieskammer verglühte. Ich war allein. Mit Therowig, den zu finden ich gekommen war.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:02von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Als ich mich endlich genug gefaßt hatte, mich zu ihm umzudrehen, begegnete ich seinem steinernem und tadelndem Blick. Seine Kiefermuskeln bewegten sich und er schüttelte schließlich langsam den Kopf. Er wandte sich ab und ließ sich wieder an der Steinwand hinabgleiten, dann beugte er das Haupt und stützte es in die Hände. Ich verharrte wortlos und senkte ebenfalls das Haupt, obgleich mir das Herz bis zum Halse schlug. Irgendwann ließ ich mich ebenfalls fallen und setzte mich auf den staubigen Boden. „Du hättest nicht kommen sollen.“, sprach Therowig nach einer Weile, es klang trocken und mühevoll. „Was hättest Du getan, Therowig?“, erwiderte ich und sah ihn an, sein rotes Haar, das durchzogen war von Schmutz. Er hob den Kopf und seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. „Das Gleiche.“, erklang seine Antwort und dann klärten sich endlich seine Augen und ich erkannte das tiefe Grün und seinen entschlossenen und ruhigen Blick darin.
Ich erhob mich und ließ mich an seiner Seite nieder, den Kopf legte ich auf seine Schulter und betrachtete seine Handgelenke, um die fest ein Ring aus Eisen lag.
Ich spürte seine Wange an meinem Haar, seinen Bart an meiner Schläfe und schloß die Augen. Ich hörte ihn endlich wieder atmen, und auch wenn die Luft stickig war, die unsere Lungen füllte, so kümmerte mich das in diesem Moment nicht. Ich hatte Therowig gefunden und er war nicht verletzt, er war nur zutiefst verärgert und eine bittere Enttäuschung nagte an ihm.
„Ganz unvorbereitet warst Du jedenfalls nicht. Bedauerlich, daß Yhared das auch wußte.“, begann Therowig schließlich nach einer Weile. „Es ist nicht das erste Mal, daß ich irgendwo festsitze, Thero.“, sagte ich. Therowig lachte leise. „Ich auch nicht. Und ich muß sagen, es könnte schlimmer sein.“, fuhr er fort und ich hob abrupt den Kopf. Er schmunzelte und es wirkte seltsam, dann atmete er tief aus und lehnte den Kopf an die Wand. Er winkelte die Knie an und legte die Hände darauf, die Kette an seinen Armen rasselte. „Das ist nicht der Augenblick, um zu scherzen.“, sagte ich unwirsch. Therowig sah mich an, ohne den Kopf zu senken. „Und warum nicht? Glaubst Du, mir ist nicht bewußt, was passieren wird? Wenn Yhared es nicht tut, dann bringt mich Dein Vater um.“, fuhr Therowig fort und sein Schmunzeln wurde breiter.
Ich zog streng die Augenbrauen zusammen und stieß Therowig mit der Faust gegen die Schulter. „Au!“, protestierte er empört und wandte mir nun doch das Gesicht zu. „Ich will nicht, daß Du so etwas sagst!“, rief ich aus, er zuckte nur die Achseln. „Gut, wir können auch darüber reden, wie schlecht die Verpflegung ist. Also, das Brot, daß sie hier...“, meinte er. Ich sprang auf die Füße und funkelte ihn an, er nahm es ohne Regung hin. „Hör auf!“, fuhr ich ihn an, um ihn zu unterbrechen. „Ich bin nicht hierher gekommen, um hinzunehmen, daß die Dinge hier enden werden!“ Therowig hob eine Augenbraue. „Bist Du nicht? Dann erzähl mir von Deinem Plan. Ich bin ganz Ohr.“, entgegnete er und ich wollte wieder etwas erwidern, aber ich blieb stumm, denn es gab nichts zu erwidern. Ich hatte keinen Plan. Und das mußte ich nun widerstrebend zugeben.
Therowig blickte wieder geradeaus und starrte die Türe an. „Tja, wenn Du keinen Plan hast, wie wir hier herauskommen, dann sieht es wohl schlecht für uns aus.“, sagte er leise. Ich verschränkte die Arme. „Ich habe im Moment keinen, das heißt nicht, daß es auch so bleiben wird. Und ich meine, daß es auch gut so ist. Bisher hat Yhared immer vorausgesehen, was ich geplant habe, und es verhindert. Vielleicht gelingt ihm das nicht, wenn ich selbst noch nicht weiß, was ich tun werde!“, sprach ich weiter. Therowig teilte meine Zuversicht offensichtlich nicht. „Wie schade, daß uns Dietriche und Betäubungsstaub abhanden gekommen sind...“, sagte er. Ich sog harsch die Luft ein. „Warum bist Du so? Warum sagst Du das?“, fragte ich und spürte, wie mich seine Worte trafen und mich traurig stimmten. Auch Therowig erhob sich nun. „Weil es einfach töricht von Dir war, hierher zu kommen! Aegmar hat versucht, Dich aus diesen Dingen herauszuhalten, indem er Dich in Emyn Lûm zurückgelassen hat! Ich habe versucht, Dich herauszuhalten, indem ich wider meiner Überzeugung mit ihm gezogen bin – allein der unsinnigen Hoffnung wegen, Yhared auf dem Feld der Schlacht zu begegnen und ihn ein für allemal aus Deinem Leben zu vertreiben. Und daß er Deiner nicht habhaft geworden ist, obgleich diese Schlacht verloren ging, war der einzige Gedanke, der mich hier drin aufrecht gehalten hat. Aber nun bist Du ihm geradewegs in die Arme gelaufen und hast das zunichte gemacht. Darum bin ich so!“, antwortete er barsch.
Ich schwieg, legte mir die Hand auf die Brust, als könne das mein Herz vor einem weiteren Schlag bewahren, der sich anfühlte, als pochte er in eine tiefe, dunkle Leere. Dann wandte ich mich ab und trat an die Türe unseres Verlieses heran.
Das kleine Sichtfenster darin war vergittert und ich mußte mich auf die Zehenspitzen stellen, um überhaupt hindurch spähen zu können. Viel erkennen konnte ich ohnehin nicht, denn es gab auch nicht viel zu sehen. Nackte Wand starrte mich an, erleuchtet von einer weiteren Fackel im Gang. Eine Ecke des kleinen Tisches sah ich, und den Kopf unseres Bewachers. Es war still, totenstill.
Ich schloß die Finger um die Gitterstäbe des Sichtfensters und lehnte den Kopf dagegen. Therowig atmete schwer in der Dunkelheit und ich hörte, wie auch er sich abwandte und wütend mit dem Fuß gegen die Wand stieß. „Edoras hatte einen Keller...“, begann ich matt und schloß die Augen, um meine Gedanken zu sammeln, die sich in jenem Moment plötzlich auf die Vergangenheit zu richten begannen.
„Vielleicht kennst Du ihn. Es gab einen Zugang, der in einem Nebenraum der Goldenen Halle des Königs begann. Und einen von der Küche aus. Man...mußte nur eine Klappe im Boden öffnen, eine schwere Falltür mit einem alten Eisenring. Dann führte eine Leiter hinab in die Lagerräume. Es war verboten, dort hinunter zu gehen, und nur die Köche taten es, und der Mundschenk, wenn in der Halle ein Fest gegeben wurde und der König edle und weitgereiste Gäste empfing. Als mein Vater aus Gondor nach Edoras gesandt wurde, er dort meine Mutter kennenlernte und die Familie schließlich zwei Jahre lang am Hofe des Königs verweilte, hatte ich trotz des Verbotes genügend Gelegenheiten, die weiten Keller zu erkunden. Und einmal, ich war vielleicht acht Jahre alt, da war ich durch die Luke im Küchenboden geschlüpft, als sie offen stand. Es geschah mir, daß ich nicht mehr zurück konnte. Ich durchstreifte neugierig den Keller und schaute in alle Kisten und Krüge und jemand schlug die Luke zu und stellte einen schweren Mehlsack darauf. Es wußte ja niemand, daß ich im Keller war – und niemand sollte es auch wissen. Ich hatte nicht genug Kraft, auf der Leiter stehend die schwere Luke und den Sack darauf anzuheben, und mußte im Keller verweilen. Es war dunkel, und als der Abend hereinbrach, da wurde es auch kalt. Ich weinte, weil ich mich fürchtete und auch, weil ich so töricht gewesen war, an diesem Ort herumzustreunen. Meine Eltern begannen mich zu vermissen und suchten mich, aber sie konnten mich nicht finden. Sie suchten in der ganzen Stadt. Mein Vater mußte am Abend zu einem Empfang in die Halle des Königs und überließ es meiner Mutter, daß sie allein mit der Sorge um mich blieb. Ich begann irgendwann wieder, durch den Keller zu laufen, als ich mich erinnerte, daß er noch einen anderen Ausgang hatte. Ich fand den Raum, in dem die Bier- und Weinfässer lagerten, ich tastete mich in der Dunkelheit dorthin, meinem Gehör folgend, als die Halle über mir sich zu füllen begann und die Stimmen der Gäste erklangen und ihre Stiefel auf dem Boden polterten. Ich hockte mich zwischen die alten Fässer und wartete, daß einer der Schankjungen hinabstieg. Es dauerte lange, bis jemand kam, denn natürlich hatte man schon vor dem Beginn des Festes in der Halle für ausreichend Bier gesorgt. Doch irgendwann ging der Vorrat zur Neige und die Luke öffnete sich. Der Junge, der zu mir hinunter stieg, ich weiß noch, daß er lange weiße Schürze trug, sah mich erstaunt und erschrocken an, als er mich da kauern sah. Leider ließ er mich nicht einfach die Leiter hinaufklettern und entkommen, sondern er drehte sich um und rief nach seinem Meister. Es war der Mundschenk, rundlich und mit einer roten Nase. Er kam schließlich zu mir hinab, die Leiter wackelte und bebte unter ihm, griff mich an den dünnen Ärmchen und zerrte mich nach oben. Nicht ohne lautes Klagen und ohne Scherzen, daß er einen Kobold im Keller gefunden hätte. Sein Lachen zog die Aufmerksamkeit einiger Männer im Saal auf sich, darunter die meines Vaters. Ich riß mich los und rannte zu ihm, umklammerte sein Bein. Ich war so froh, daß ich befreit war und wieder bei meinem Vater. Er nahm mich auf den Arm, und obgleich seine Sorge einer unendlichen Freude wich, so war doch er es nun, der sich Scherzen und Gelächter ausgesetzt sah, weil er inmitten einer wichtigen Versammlung unter den Augen des Königs eine weinende Achtjährige auf den Armen hielt, die sich an seinem Hals festhielt und ihre Tränen auf seinen Wappenrock verteilte. Er hat nichts gesagt, wir haben nie wieder darüber geredet, er hat nicht einmal mit mir geschimpft. Meine Mutter tat es dafür umso lauter. Aber in diesem Moment wußte ich eines, daß ich mich nie wieder irgendwo einschließen würde, ohne selbst einen Weg zu finden, wieder zu entkommen. Ich wollte meinen Vater nie wieder in eine solche Lage bringen. Das habe ich mir geschworen.“, erzählte ich leise und drehte mich dann um.
Therowigs Miene war nun milde und ich sah zum ersten Male, wie sein ruhiger und stets fester Blick aus seinem Gesicht wich. Er ließ die Schultern hängen und fuhr sich mit der Hand über einen Schnitt, der unter seinem Hemd über der Brust verlief und die Ränder seines Gewandes rot verfärbt hatte. „Ich kenne den Keller.“, sagte er. „Es mag kaum ein Kind in Edoras geben, daß ihn nicht erkunden wollte, mich eingeschlossen. Vielleicht haben unsere Väter einander gekannt und sich gegenseitig über die Missetaten ihrer Sprößlinge berichtet, denn der meine war ebenfalls ein fester Gast in der Goldenen Halle. Und wenn sie es nicht getan haben, dann werden sie es vielleicht noch tun, wenn wir nicht einen Weg finden, das zu verhindern, indem wir aus diesem Keller entkommen. Du hast Recht. Ich...sollte weder spotten, noch Dir zürnen, daß Du gekommen bist. Weil...ich weiß, warum Du gekommen bist. Und mehr hättest Du nicht für mich tun können.“, fuhr er fort und kam dann auf mich zu, bis seine Schulter zurückgerissen wurde, als die Kette, die ihn hielt, sich spannte und ihn daran hinderte, sich zu bewegen.
Die Fackel warf seinen gekrümmten Schatten auf die Wand und auf mein Gesicht. Doch vor Therowigs Schatten fürchtete ich mich nicht.
Es mochten Stunden vergangen sein, vielleicht gar ein ganzer Tag. Es blieb still, hier unter dem Berg, und nichts veränderte sich. Selbst der Wächter vor unserer Tür schien sich nicht einmal bewegen zu wollen. Die Sekunden und Minuten zu zählen, die vergangen waren, hatte ich irgendwann aufgegeben. Zeit spielte auch keine Rolle mehr. Ich wurde müde und obwohl ich wachsam bleiben wollte, auf jede Veränderung und auf jedes Geräusch gefaßt, schlief ich ein. Therowig sagte, daß es gut war, zu schlafen, und die Kräfte zu schonen. Und doch wußte ich, daß er in jedem Moment, in dem er genug Kraft gesammelt hatte, die Hand um die Kette an seinem Arm legte, um zu versuchen, sie aus der Wand zu lösen. Sie gab nicht nach, aber dennoch gab er es nicht auf.
So rauschte die Zeit über uns hinweg und wie lang ihr Strom gewesen war, konnten wir nicht mehr sagen, als Schritte im Gang zu vernehmen waren und sich jemand zu nähern begann. Es waren viele Schritte, sie gehörten mindestens drei Gestalten. Als sich die Tür zu unserem Verlies öffnete, sahen wir, daß es tatsächlich Drei waren, die gekommen waren und nun dunkel und verhüllt zu uns in die Kammer starrten.
Yhared war einer von ihnen und während seine beiden Begleiter an der Tür verharrten, betrat er die Gefängniskammer. Ich richtete mich auf und auch Therowig öffnete die Augen und erhob sich. Yhared warf einen langen Blick auf ihn, der schließlich in Verachtung mündete, bevor er ihn auf mich richtete. „Ich habe nachgedacht.“, begann Yhared. Ich strich mir das schwarze Haar zurück. Yhared trug nicht mehr die violette Robe der Adepten, sondern er hatte sie gegen ein grau schimmerndes Gewand eingetauscht, das aber nicht minder kostbar und mit weniger Schmuck versehen war. „Und es ist an der Zeit, nun an Dich das Angebot heranzutragen, das ich einst bekam. Schließlich wollte ich Dich deswegen wiedersehen. Du hast meine Macht gekostet, die mir geschenkt wurde, und hier, wo Du Dich in der gleichen ausweglosen Situation wie ich damals befindest, soll es auch Dir gemacht werden.“
Ich atmete tief ein, endlich verstand ich ein wenig und wähnte mich der Lösung des Rätsels nahe, das mir in den letzten Wochen aufgegeben worden war. Ich hob den Kopf. „So bist Du einst aus dem Gefängnis von Bree entkommen, nicht?“, sprach ich zu Yhared. „Du warst dort, verurteilt, verflucht und gefangen. Und wer auch immer zu Dir gekommen ist, hat Dir angeboten ihm zu folgen, wenn er Dich befreit, oder dort drinnen zu verrotten. Habe ich Recht?“, fuhr ich fort. Yhared nickte knapp. „Es war ein guter Handel – und wie Du siehst, habe ich tatsächlich davon profitiert. Ich bin sicher, in Bree rätselt man immer noch darüber, wie jemand aus einer Zelle entkommen kann, ohne daß die Aufseher es bemerkten. Daß sogar weder Schloß noch Wand zerstört worden sind. Sie alle waren ihres Willens beraubt und unmächtig, ihrer eigenen Hand zu befehlen – so war es für meinen Helfer, der bereits von der Macht der Schatten gelernt und die Furcht zu nutzen gewußt hatte, ein Leichtes, einen der Aufseher selbst dazu zu bringen, die Tür zu öffnen. Wenn gar einem braven Soldaten, der Schwüre und Eide der Treue zu Hauf geleistet hat, der baldige, furchtbare Tod in Aussicht gestellt wird, überlegt er es sich, ob es nicht doch besser sei, einen Gefangenen gehen zu lassen oder jenen Tod tatsächlich zu erleiden. Ich bin sicher, er hat nie über seine Schwäche in diesem Moment gesprochen, nachdem er mich gehen ließ. Nachdem ich befreit war, besiegelte ich meinen Pakt mit Mordor.“, erklärte er. „Und mein Spiegel? Wie bist Du an den gekommen?“, fragte ich weiter. Yhared setzte ein Lächeln auf und hob entschuldigend die Hände. „Damit hatte ich nichts zu tun. Du weißt bereits, daß es meine Krähe war. Sie hat Dich gern, darum hat sie Dich auch stets beobachtet und wußte viel über Dich zu berichten.“, sagte er.
Aber dann ließ er die Hände sinken und seine Miene wurde wieder ernst. „Mordor macht sein Angebot nur einmal.“, schloß er dann. „Ich nehme also an, Du stellst mich vor die Wahl, hier in dieser Zelle zu bleiben, bis Luft und Wasser aufgebraucht sind – oder mich Deinem Orden anzuschließen und so vielleicht zu überleben, aber zu werden wie Du?“, stellte ich mehr fest, als daß es eine tatsächliche Frage an Yhared war. Er sagte auch nichts, denn er wußte ebenso wie ich, daß genau dies das Angebot war. Meine Antwort überdenken mußte ich nicht. „Ich danke Dir, Yhared. Soviel Mühe hast Du Dir gegeben, um mir dieses einfache Angebot zu machen. Aber ich lehne es nach wie vor ab.“, sagte ich nur.
Yhared starrte mich an, sein Blick ein Ausdruck größten Ärgers und seine Iris schimmernde Boshaftigkeit. „Ich habe mir die...Mühe...gemacht, damit Du siehst, worum es hier wirklich geht!“, herrschte er mich an. Ich kniff die Lippen zusammen. „Ich stamme aus Gondor, mein Vater ist Soldat! Glaubst Du, ich weiß nichts über Mordor? Ich habe meine halbe Familie an Deinen Herren verloren und viele Gefährten dazu – selbst wenn ich verschont würde, denkst Du wirklich, ich könnte auch nur einen Moment lang einen solchen Verrat begehen und meinen Feind zu meinem Freund machen?“, gab ich zurück. Yhared funkelte mich weiterhin zornig an. „Es gab Zeiten, da wärst Du eigennützig genug gewesen, das zu tun, um Deine Haut zu retten. Nun, ich habe versucht, an jene zu appellieren; wenn es nichts nutzt, dann ist die Entscheidung gefallen und Du kannst mir nur noch auf eine einzige Weise nützlich sein.“, erwiderte Yhared und deutete mit einer Geste seines Kinns in meine Richtung.
Eine der beiden Wachen, die vor dem Verlies an der Tür gewartet hatten, trat nun ein und kam auf mich zu. Er streckte die Hand aus und griff nach meinem Arm, in Erwartung des weiteren Befehls, mich aus dem Raum zu zerren.
Ich wußte, was das bedeutete. Informationen. Yhared würde alles, was ich wußte, und was irgendeine Bedeutung für ihn und die Macht, der er diente, haben könnte, von mir in Erfahrung bringen. Eine Weile würde ich ihm vielleicht widerstehen und seine Fragen unbeantwortet lassen, doch irgendwann würde ich ihm erzählen, was er wissen wollte. Ich unterschätzte nicht, was er mit dem Geist anderer zu tun vermochte, zu deutlich hatte in den vergangenen Wochen erfahren, welche Barrieren er brechen konnte. Ich konnte mir jetzt nur noch selbst schwören, daß ich so lange widerstehen würde, wie ich nur konnte.
Schon spürte ich, wie ich nun zur Tür gezogen wurde, dem Licht der Fackeln auf dem Gang entgegen. Als ich Yhared passierte und er einen Schritt zurücktrat, sah ich ihn direkt an. „Du kannst mir kein Leid zufügen, daß ich durch Dich nicht schon erfahren hätte!“, rief ich aus, dann wandte ich mich endgültig von ihm ab und erwartete, mein Gefängnis zu verlassen. Es waren die letzten Worte, die ich aus freiem Willen zu Yhared sprechen würde. Doch plötzlich hob er die Hand.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:02von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Mein Bewacher hielt inne und mit nachdenklichem Blick und geschürzten Lippen kam Yhared auf uns zu. Er blieb vor mir stehen, betrachtete mein Gesicht aus beinahe sanften Augen, hätte nicht in ihren Tiefen dieser Funke geglommen, der ihn mir so entfremdet und entstellt hatte. Er verschränkte die Arme und tippte sich behutsam mit den Fingerspitzen gegen das Kinn. „Eigentlich...hast Du ganz Recht, Nariena. Dir kann ich in der Tat nichts mehr antun – aber ihm kann ich es!“, sagte er und fuhr herum zu Therowig. Er deutete auf ihn und der Wachmann ließ augenblicklich meinen Arm los. Er streckte die Arme hinter mich in den Halbschatten aus, wo Therowig an der Wand lehnte, schweigend. Er löste sich und trat einen Schritt vor, noch bevor die Hände des Wächters ihn erreichen und ergreifen konnten. Wenn er sich ergab, dann aus seinem eigenen, freien Willen.
Mein Herz begann zu pochen und ich schüttelte den Kopf. Als die Hände Therowig packten, schwieg er noch immer und sah Yhared nur an. Einige Momente lang begegneten sich ihre Blicke in einem stillen Kampf, bis Yhared den Kopf senkte und zu schmunzeln begann. „Du hast ein nobles Herz, Pferdemensch, aber das wird Dir nicht helfen.“, sprach er. Therowigs Schultern spannten sich an, als die Eisen um seine Handgelenke gelöst wurden. Noch immer brach er sein Schweigen nicht. Yhared lachte leise, hohl klang es wider von den Wänden der Kammer. „Ein Edelmann fürwahr. Fast wünschte ich, ich besäße auch in manchen Momenten eine solch erhabene Fassung, aber meine große Schwäche ist meine Ungeduld. Das war sie schon immer.“ Er seufzte und winkte dann die zweite Wache heran, die hinter Therowig trat und plötzlich ihr Schwert zog.
Ich riß erschrocken die Augen auf, doch noch bevor meine Hand in die Klinge greifen konnte, um sie aufzuhalten, zerschnitt sie die Luft und hieb mit der flachen Seite in Therowigs Kniekehlen. Der Schlag hatte ihn überrascht und seine Beine gaben unter der Wucht leicht nach, doch fiel er nicht.
Erst ein grober Tritt gegen seinen Unterschenkel brachte ihn vor Yhared auf die Knie.
„Seht zu, daß ihr ihn bindet, ich traue ihm nicht. Trotz seines Edelmutes...“, rief Yhared ärgerlich aus und sogleich machten sich die beiden Wachen daran, dem Befehl auch zu folgen.
Therowig hob langsam den Kopf, als ich meinen verzweifelt senkte. Doch er sah nicht mich an, er sah Yhared an, der hoch über ihm aufragte und einen Ring an seiner Hand betrachtete, ein Staubkorn auf dem kostbaren Edelstein entfernte, der darin eingefaßt war.
„Nobel wäre es, diesen Anblick einer Dame zu ersparen und sie nicht zu beschämen, Yhared.“, sagte Therowig endlich und Yhared wirkte für einen kurzen Moment beinahe erstaunt, bewegte die Lippen, aber blieb eine Antwort schuldig. Er knurrte nur auf, winkte dann in einer fahrigen Geste den Wachen zu und verließ die Kammer.
Seine Robe strich über den eisernen Rahmen der schweren Türe, verfing sich für einen Moment an einem der Scharniere, bis er im Zwielicht des Ganges verschwand.
Therowig wurde auf die Füße gezerrt. Und da endlich fiel die traurige Starre von mir ab, die mich gelähmt hatte, als das Schwert der Wache in tödlicher Erwartung vor mir niedergegangen war. Und mit einem Mal, mit einem schrecklichen und alles verzehrenden Gedanken, wurde mir bewußt, was nun mit ihm geschehen würde. Ich wollte es nicht einmal erahnen, doch es offenbarte sich vor mir wie ein weites Tal, über dem die Sonne aufging und den Nebel vertrieb. „Thero...“, wollte ich noch seinen Namen nennen, bevor mir die Stimme versagte. Er sah mich fest an und schüttelte nur entschieden den Kopf. „Kümmere Dich nicht darum! Versuche, nicht einmal daran zu denken!“, war alles, das er noch zu mir sagte, bevor er an mir vorbei gestoßen wurde – hinaus in das flackernde Licht der Fackeln. Schwer fiel die Tür hinter ihm zu, ächzend und scharrend drehte sich der Schlüssel im eisernen Schloß.
Ich war allein – und Dunkelheit umfing mich. Die Fackel in meinem Verlies erlosch zischend, als hätte eine unsichtbare Hand sie erdrückt. Dann kamen sie, die Bilder und die Gedanken an das Bevorstehende und sie waren blutrot. Ich stürzte zur Tür, meine Fäuste hämmerten dumpf gegen das schwere Eisen und umklammerten die Gitter, bis meine Fingerknöchel weiß anliefen. Ich begann laut zu schreien, Tränen liefen heiß und unbesonnen über meine Wangen. Erneut schrie ich auf. Immer und immer wieder. Zwei Namen mischten sich in diese Schreie: für den einen erbat ich Elendils Gnade und seine Erlösung – und den anderen, den verfluchte ich!
Die Zeit, die nun verrann, die Minuten, die Stunden, waren wie Regentropfen, die langsam während eines nicht endenden Gewitters durch einen Acker in die Tiefe dringen und dort über eine endlose Ewigkeit das Gestein auszuhöhlen begannen. Ich fühlte mich wie das Gestein, getroffen und zermürbt über Jahrhunderte hinweg, bis es irgendwann zerbrach. Meine Haut fühlte sich an wie Pergament, trocken, nachdem ich endlose Tränen geweint und schließlich keine mehr zu vergießen hatte, denn Leere begann mich zu erfüllen.
Vielleicht war ein Tag verstrichen, vielleicht zwei. Ich wußte es nicht, denn die Dunkelheit in meinem Gefängnis kannte keine Sonne und keinen Morgen. Ich saß stumm auf dem kalten Boden und die einzige Kraft, die ich noch aufbringen wollte, war jene, die meinen Verstand bewahren sollte. Ich war allein mit meinen Gedanken, die mich um meinen Frieden betrogen, denn ich konnte nicht Therowigs Rat befolgen und nicht daran denken, was in jenen Stunden mit ihm geschah – in einem anderen Teil dieses düsteren Ortes.
Ich war ohnehin schlecht darin, Ratschläge zu befolgen, dachte ich. Ich hatte mir so oft vorgenommen, meinem Vater zu lauschen, der weise geraten hatte, wenn ich wieder einmal in eine mißliche Lage geraten war, aus der mich allzu oft nur seine Hand hatte wieder befreien können. Ich hätte auf Hauptmann Aneawin hören können, als er mir riet, Therowig verloren zu geben. Und noch mehr hätte ich Therowig selbst gehorchen können, denn er besaß jene Weitsicht, die mir mein eigenes Gemüt versagte. Vielleicht wäre mein Schmerz dann milder, vielleicht die Ohnmacht in mir nicht so betäubend. Ich brütete dumpf vor mich hin, und überlegte, ob es sich so anfühlte, wenn Stück für Stück der Wahnsinn Einzug hielt, weil der Geist nicht mehr fassen konnte, was ihm zugefügt wurde.
Es mochte der dritte Tag anbrechen, an dem ich hier nun saß – der vierte Tag, nachdem ich Emyn Lûm verlassen hatte, der sechste, nachdem Aegmar heimgekehrt war und niedergelegen hatte, gestrauchelt und gefallen.
Ja, es war der dritte Tag, der anbrach, als die Türe zu meinem Verlies wieder geöffnet wurde und ich die Schemen zweier Männer erkannte, die einen Dritten bei sich führten. Unter den Armen hielten sie ihn gepackt, der Kopf hing ihm auf die Brust und seine Füße berührten kraftlos den Boden. Sie schleiften ihn zu mir in die Kammer, ließen ihn dort achtlos fallen wie einen Sack Korn und gingen dann wieder hinaus.
Ich wartete, bis ihre Schritte verhallten, dann wagte ich mich vor und kroch auf Hände und Knie gestützt zu jener Stelle hinüber, an der ich meinen neuen Mitgefangenen wähnte. Ich tastete nach ihm, spürte schließlich ein Bein unter meiner Hand, das in einer ledernen Hose steckte. Es war so eine, wie Therowig sie unter der Rüstung getragen hatte. Ich tastete mich an dem Bein des Mannes entlang, über seine Hüfte, seine Rippen. Ich spürte eine Schulter, ein Schlüsselbein, das knöchern unter dem Kragen eines zerrissenen Hemdes hervortrat. Langes Haar, es war feucht. Einen Bart auf einem kantigen Kinn und dann wußte ich, daß ich meinen Verstand noch nicht verloren hatte. Er begann plötzlich wieder wild und heftig zu erwachen und fieberhaft suchte ich den rechten Arm des Mannes, fand ihn mit zitternden Fingern und tastete in der Dunkelheit über seinen Unterarm. Da war sie, die gezackte Narbe, die ich gesucht hatte. Deutlich prägte sie die Haut, zog sich über die Innenseite des Unterarms bis hinauf in die dichten Härchen, die auf der Oberseite des Armes wuchsen. Und auch wenn ich es nicht sehen konnte, weil es kein Licht gab, wußte ich, daß dieses feine Haar, durch das meine Fingerspitzen nun glitten, von roter Farbe war.
Es war Therowig, den ich berührte, der hier lag, neben mir und besinnungslos – und der doch am Leben war. Meine Arme umschlossen ihn und ich fiel über ihm zusammen, hielt ihn so fest ich konnte. Minutenlang verharrte ich in stiller Dankbarkeit, dann rief ich leise seinen Namen. Irgendwann regte er sich, stöhnte auf, ein dunkles Ächzen entkam seiner Kehle und ich spürte, wie er die Arme unter mir fort zog, die ich umklammert gehalten hatte, die Hände aufstützte und versuchte, seinen Oberkörper aufzurichten. Er stöhnte erneut, das mein Herz einen schmerzhaft berührten Sprung tat. Und dann fluchte er. „Verdammt...“, brummte er und meine Augenbrauen zogen sich hoch.
„Verdammt nochmal. Ich glaube....dieser....verfluchte Kerl hat mir die Nase gebrochen!“, knurrte er, sackte noch einmal kurz in sich zusammen, bis sich seine Schultermuskeln mit aller Kraft anspannten und er sich vollends aufrichtete. Ich konnte nur wortlos in die Dunkelheit starren, wo ich Therowig atmen hörte. Fassungslos schlug ich einmal mit den Wimpern, dann löste ich mich aus der Erstarrung und streckte wieder die Hände nach ihm aus. Ich berührte sein Gesicht. „D-deine....N-Nase...?“, fragte ich immer noch überrascht und meine Finger wanderten über sein Gesicht, berührten es, als könnte ich so feststellen, daß er darüber hinaus tatsächlich unverletzt war.
Das Schrecklichste hatte ich mir ausgemalt, das größte Übel, zudem ich fähig war, mir in meiner stillen und einsamen Gefangenschaft ersonnen! Meine Fingerspitzen fanden seine Nase und Therowig zog sofort den Kopf zurück und schob meine Hand beiseite. „Vorsicht! Das tut nämlich ein bißchen weh, weißt Du?“, brummte er und fluchte dann erneut. „Deine Nase...“, gab ich noch einmal von mir und es klang einfältig, aber ich konnte mein Erstaunen kaum abschütteln.
„Erst schaffen sie mich in dieses Loch, das noch schäbiger ist, als das hier und lassen mich dort so lange warten, daß ich schon anfange mich zu langweilen. Yhared ist ein ziemlich schlechter Gastgeber, wenn Du mich fragst.“, fuhr er fort und ich legte die Hände in den Schoß. „Dann hatten sie wohl genug, und wußten nicht, was sie mit mir anfangen sollten – aber sich getraut, mich mit wachen Sinnen hierher zurück zu schleifen, haben sie sich auch nicht. Also haben sie erst versucht, mir den Schädel einzuschlagen, bis sie gemerkt haben, daß der wohl aus Holz ist und es so nicht geht. Und dann kam dieser dic.ke, dümmlich dreinschauende Kerl und tritt mich...verflucht soll er sein...“
Ich ahnte, wie Therowig wieder die Hände hob und sein Gesicht befühlte. „Ich...ich verstehe nicht...“, sagte ich zaghaft und meine Gedanken flogen wirr hin und her. „Ich dachte, sie...sie würden Dich...“ Ich konnte nicht mehr weitersprechen. „Das klingt, als hättest Du mir ja geradezu Marter und Pein an den Hals gewünscht!“, meinte Therowig dunkel. „Nein!“, rief ich erschrocken aus und riß die Hände nach oben wie einen Schutzschild. „Ich habe nur...bei Elendil, ich habe nur das Schlimmste angenommen und bin daran zerbrochen, Therowig!“, fügte ich hinzu, ich war beinahe empört. Er griff nach meinen Händen und dann meinen Armen. „Ich weiß und es tut mir leid. Darum sagte ich Dir, daß Du nicht an mich denken sollst. Nicht ein einziges Mal.“, erwiderte er und zog mich an sich heran. „Aber wie hätte ich das denn nicht tun sollen!“, gab ich zurück. „Du mußt noch einiges über den Krieg lernen. Ein Mann wie Yhared, der soviel redet und redet, hat am Ende nur selten den Mumm, einem anderen Mann von Angesicht zu Angesicht Leid zuzufügen. Und ich glaube nicht, daß das überhaupt seine Absicht war, denn er versucht immer noch, Dich für seine Sache zu gewinnen. Jeder Schmerz, den er verursachen wollte, war nie für mich bestimmt gewesen, sondern allein für Dich. Er wußte, daß Du vor Sorge vergehen wirst. So hat er Dir das größte Leid zugefügt, ohne auch nur Hand an mich zu legen. Deine Vorstellung hat das für ihn getan.“, sagte er.
Ich ließ den Kopf gegen Therowigs Brust sinken und schloß die Augen. Meine Verzweiflung schlug augenblicklich in lodernde Wut um. Einen Moment nur konnte ich so verharren, und auch wenn Therowig mich nun umfing und die Arme um mich legte. Ich entwand mich ihm und sprang auf die Füße, trat sogleich an die Tür unseres Gefängnisses und stellte mich auf die Zehenspitzen. „He, Du!“, rief ich zornig gen unseres Bewachers aus, der wieder auf seinem Schemel in der Kaverne am Ende des Ganges saß. „Ja, Dich meine ich! Geh zu Deinem Herren und sag Yhared, daß ich ihn sprechen will! Auf der Stelle!“, herrschte ich ihn an, doch der Mann drehte mir nur müde den Kopf zu. „Hörst Du mich nicht? Ich will Yhared sprechen, und zwar sofort!“ Ich war außer mir und meine Wut drohte mich zu ersticken.
Therowig erhob sich schwer und trat hinter mich, ich spürte seine Hände auf meinen Schultern. Er versuchte, mich zu sich herumzudrehen, aber ich ließ ihn nicht. „Es hat keinen Zweck!“, sagte er, doch ich wollte ihm nicht zuhören. „Jetzt ist es genug.“, rief ich und wandte mich wieder an die Wache. Therowig seufzte leise und ließ mich noch einige Augenblicke lang wüten. Dann erhob er laut die Stimme: „Nariena!“, meinte er deutlich und entschieden und das brachte mich zum Schweigen. Ich funkelte Therowig zornig an. „Du kannst Dich ja damit abfinden, daß er uns hier zurückläßt, bis unsere Knochen nur noch Staub sind – ich will ihm vorher wenigstens noch einmal sagen, was ich von ihm halte!“, flüsterte ich dann.
Matt drang ein Lichtschein durch das vergitterte Fenster auf sein Gesicht und ich sah, wie er den Mund öffnete, um etwas zu erwidern. Ich hob die Hände, um ihn von mir zu stoßen. Ich wollte nicht, daß er irgendetwas sagte. War ich zuvor schon zornig, so war ich noch nicht zornig genug gewesen. Aber jetzt war ich es, und nichts würde meine Wut je wieder besänftigen!
Meine Hände umschlossen Therowigs Arme und ich bot alle Kraft auf, um mich gegen ihn zu stemmen und von dem Sichtfenster wegzuschieben, als ich plötzlich inne hielt.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:03von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Da war ein Lufthauch, der über mein Gesicht strich. Kaum wahrnehmbar und so schwach, daß er nicht einmal der Flamme der Fackel eine Bewegung hatte abtrotzen können, die im Verlies gebrannt hatte. Er war direkt über der Türe zu spüren, er kühlte meine erhitzte Stirn und die Schweißperlen, die darauf standen. Vielleicht nahm ich ihn nur deshalb wahr, aber ich war sicher: es war Luft. Und sie drang in das Verlies, von einem Ort außerhalb des Berges. Ich legte den Kopf in den Nacken. Ich sah nichts, als die Decke, die in der Schwärze über mir verschwand. Dann schlug ich mir mit der Hand vor die Stirn. „Der Stein!“, entfuhr es mir auf einmal. Therowig gab einen verständnislosen Laut von sich. „Der Zwergenstein. Er muß hier noch irgendwo sein, wie konnte ich das vergessen!“, sagte ich und zwang meine Stimme zu einem Flüstern, denn nun wollte ich die Wache vor der Tür keinesfalls mehr auf mich aufmerksam machen.
Ich ließ mich hinab auf die Knie und begann den Boden abzutasten. „Steh nicht herum, hilf mir, den Kristall zu suchen.“, meinte ich zu Therowig, der noch einen Augenblick zögerte und sich dann ebenfalls auf den Boden kniete und die Hände darüber fahren ließ. Wir suchten jede Handbreit des Bodens ab, bis Therowig es war, der einen kleinen Gegenstand zu fassen bekam, der in eine der Ecken gerollt war. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“, sprach er leise und als dann ein türkisfarbenes, verhaltenes Glimmen den Raum zu erfüllen begann, wußten wir, daß er tatsächlich den Zwergenstein wiedergefunden hatte. „Ein Leuchtkristall aus Moria!“, sagte er überrascht. „Wo hast Du den her?“, fragte er und ich antwortete nur knapp. „Maethruth hat ihn mir gegeben, er gehört ihm.“ Ich streckte die Hand nach dem Kristall aus, und als Therowig ihn mir übergab, sah ich zum ersten Mal seit Tagen wieder in sein Gesicht. Blut war in seinen Bart gelaufen, bedeckte seine Oberlippe und seine Wange.
Ich biß mir auf die Unterlippe und betrachtete auch mit Unwohlsein die dunklen Ringe, die unter seinen Augen lagen. Sein Haar war strähnig und er sah erschöpft und mitgenommen aus. Wahrscheinlich war mein Anblick nicht minder blaß und müde, und doch verharrte ich nun und berührte Therowigs Wange. Ich entfernte behutsam das getrocknete Blut und strich ihm das Haar aus der Stirn. Er war mir nie tapferer erschienen als in diesem Moment und ich lächelte. Doch dann erhob ich mich und trat wieder dicht an die schwere Tür heran, den Kristall verbarg ich sorgsam in der hohlen Hand, damit kein verräterischer Lichtstrahl hinaus in die Kaverne dringen konnte. „Thero, Du mußt mich hoch heben.“, bat ich ihn und obgleich er noch nichts von dem Luftzug mitbekommen hatte, der uns vielleicht ein Ausweg sein konnte, tat er schweigend, wie ich ihn geheißen hatte.
Ich hoffte, daß ich mich nicht irrte und ihm zeigen konnte, was ich vermutete.
Er bückte sich einmal kurz und umschloß meine Beine auf Kniehöhe, dann richtete er sich auf und hob mich an. Ich stützte mich mit einer Hand auf seiner Schulter ab und hob die andere in die Höhe. Der Kristall begann heller zu leuchten – und tatsächlich, da war er: ein schmaler Luftschacht!
Ich mußte fest den Mund zusammenpressen, um meine Freude zurückzudrängen und ihr nicht stattzugeben. Auch durch Therowigs Leib rann ein Beben, als er endlich bemerkte, was ich entdeckt hatte. Wir atmeten beide einige Male tief durch, dann zog ich meine Hand aus dem Schacht zurück und sah hinunter zu Therowig. „Wär einen Versuch wert...“, raunte er und löste langsam seine Arme, so daß ich wieder hinabglitt, bis ich vor ihm auf dem Boden stand. Dann lächelte er matt. „Ich wünsche Dir Glück.“, sagte er und ich hörte ihn ausatmen. Ich legte eine Hand auf seine Brust. „Wir gehen zusammen.“, sagte ich, doch er schüttelte den Kopf. „Nariena, Du paßt dort oben vielleicht hindurch. Ich ganz sicher nicht, meine Schultern sind zu breit.“, meinte er, doch ich gab nicht auf. „Ich gehe nicht ohne Dich. Du wirst es versuchen! Und Du wirst zuerst gehen, ich folge Dir. Strecke einen Arm ganz nach oben aus, und den anderen presse so eng es geht an den Körper, das wird Dich schmaler machen. Wir schaffen das.“, sagte ich und sah ihn bittend an.
Therowig atmete erneut tief aus und hob den Kopf abermals zu dem Luftschacht empor. „Wenn er nach oben enger wird und ich nicht weiterkomme, gehen wir zurück und Du mußt mir versprechen, daß Du dann ohne mich gehen wirst.“, war seine Antwort. Ich nickte, obgleich ich wußte, daß ich dann nirgendwohin mehr gehen würde. Aber für den Moment sollte dieser Pakt Bestand haben.
Ich gab Therowig den Zwergenstein. „Jetzt habe ich einen Plan.“, flüsterte ich und er lachte leise.
Zwei Schritt über uns gähnte ein kleiner schwarzer Schlund in der Decke und führte senkrecht nach oben. Therowig besah sich die Öffnung; sie bot wahrlich nicht viel Platz für einen ausgewachsenen Mann und noch schwieriger würde es werden, überhaupt einen Halt an dem glatten Stein zu finden, in den der Luftschaft getrieben war.
Therowig hob die Arme und suchte mit den Fingern zunächst Halt an dem schmiedeeisernen Rahmen der Tür; als er ihn fand, zog er sich soweit hinauf, daß er sich mit einem Fuß an der Tür selbst abstützen und den anderen nachziehen konnte, bis er sicher zwischen den Gitterstäben des kleinen Sichtfensters verankert war. Dann griff er hinüber zu den Rändern des Luftschachtes und schob einen Arm hinein. Er winkelte ihn an, bis er sich soweit darin verkeilt hatte und ihn halten würde, daß er sich von der Tür lösen und sein gesamtes Gewicht hinaufziehen konnte.
Langsam verschwand Therowig in dem Schacht, mühevoll war es und seine Hände kratzten über den rauen Stein, schabten die Haut an seinen Fingerspitzen und seinen Ellbogen ab. Er ächzte einmal, als er sich zu drehen versuchte, und einen Arm nach oben und den anderen nach unten streckte. Die Füße mußte er leicht verdrehen und mit aller Kraft gegen den Stein drücken, um nicht abzurutschen und wieder aus dem Schacht zu stürzen. Als er sich etwa einen Schritt weit nach oben gekämpft hatte, folgte ich ihm.
Er verankerte sein Bein fest in dem Durchlaß und preßte seine Knie gegen den Fels, so daß ich mich für einen Moment an seinem Unterschenkel festhalten konnte, während auch ich sprang und in den Schacht hinein glitt. Ich winkelte sofort Knie und Ellbogen an und fand so einen anstrengenden und kräftezehrenden Halt – aber wir hatten unser Gefängnis verlassen, den Ort, an dem wir den Tod hätten finden sollen.
Nur langsam kamen wir voran und ich begann sorgenvoll zurückzublicken in die Dunkelheit, aus der wir gekommen waren, ob meine wütenden Schreie nicht doch den Wächter dazu veranlaßt hatten, Yhared aufzusuchen. Ich konnte nichts mehr sehen, als einen kleinen Ausschnitt von Finsternis unter mir und ein mattes blaues Leuchten über mir, wo es noch einen Spalt oder eine winzige Ritze fand, um an Therowigs Körper vorbei zu dringen.
Spinnweben legten sich auf mein Haar und mein Gesicht und kleine Kiesel bröckelten ab und an von der Wand. Ein Käfer kroch einmal über meine Hand, daß ich mich erschreckte und sie beinahe zurückgezogen hätte.
„Es wird langsam verdammt eng...“, hörte ich Therowig sagen, es klang dumpf und ich seufzte lautlos. Der Felsen bohrte sich in meinen Rücken und die Muskeln in meinen Armen und Beinen begannen zu schmerzen. Ich mußte die Zähne zusammen beißen. Eine Hand breit schoben wir uns weiter, dann noch eine und noch eine. Und dann hielt Therowig plötzlich inne.
„Verflucht...“, raunte er. Ich sah nach oben, konnte aber nichts außer seinen Füßen und seinen Beinen erkennen. Meine Muskeln begannen zu zittern. „Was ist?“, preßte ich hervor. Therowig konnte sich nicht bewegen, nicht den Kopf zu mir wenden, noch sich herumdrehen. Als er es dennoch versuchte, bröckelte wieder ein wenig Stein und Staub und winzige Kiesel rieselten mir in die Augen, daß ich sie rasch zusammenkniff. „Ein Gitter.“, fluchte Therowig und ich spürte einen Stich in der Brust.
Wir hatten uns Schritt um Schritt verzweifelt nach oben gekämpft, um jeden Fingerbreit gerungen und unsere Körper gezwungen, diese letzte Flucht anzutreten. „Kannst Du es bewegen?“, fragte ich, aber Therowig antwortete nicht, er ächzte nur. Nach schier endlosen Sekunden hörte ich, wie etwas über den Stein kratzte, er versuchte den Arm, den er an den Körper gepreßt hatte, um überhaupt durch den Schacht zu passen, zu bewegen und nach oben zu ziehen. „Thero, nicht! Du wirst Dir den Arm brechen!“, warnte ich ihn und war plötzlich erschrocken. „Mit einer Hand schaffe ich es nicht. Also paß auf, der Kristall wird mir gleich herunterfallen. Du mußt ihn auffangen, er darf nicht verloren gehen.“, erwiderte er.
Erneut vernahm ich sein Stöhnen und schloß die Augen für einen Moment, als sein Arm sich bewegte, er schmerzhaft an dem Felsen zu seiner Linken vorbeigepreßt wurde und Therowig ihn dann langsam vor seinen Körper zog. Seine Schultern füllten den Schacht nun vollkommen aus und sein Atem wurde flach. Die Lunge wurde ihm zusammengedrückt und er bekam kaum noch Luft – dann hatte er beide Arme oben und ein Tropfen fiel auf meinen Nasenrücken, daß ich kurz zusammenzuckte. Ich konnte meinen Halt nicht aufgeben, um ihn fortzuwischen. Ich konnte nur mutmaßen, ob es Schweiß oder Blut war. „Jetzt!“, keuchte Therowig und ich spannte die zitternden Muskeln an, preßte Rücken und Fußspitzen so fest es ging gegen die Felswand, um die Hände für einen Moment frei zu haben. Der Kristall schlug auf meinen Kopf, dann auf mein Brustbein und schließlich meinen Bauch. Ich griff so schnell ich konnte danach, bevor er zwischen meinen Füßen verschwand und für immer in der Zelle unter uns verloren ging.
Meine Handflächen waren klamm und ich fürchtete, den Stein jeden Augenblick wieder zu verlieren, auch gehorchten mir meine Arme nicht mehr recht und er entglitt mir beinahe, als ich versuchte, ihn in meinen Gürtel zu schieben. Mehr als erleichtert atmete ich auf, als es endlich gelang.
Wieder rieselten feine Körner aus Stein und Staub auf mich hinab, als Therowig nun versuchte mit beiden Händen das Gitter über seinem Kopf aufzustemmen.
Ich verharrte in atemlosem Schweigen. Es gab ein kratzendes Geräusch, als er an dem Gitter rüttelte und sich bemühte, die eisernen Kanten, mit denen es im Stein verankert war, zu lockern und nach oben zu schieben. Er mußte immer wieder innehalten, um neue Kraft zu sammeln und ich konnte nur beten und Elendil anflehen, Therowig Stärke zu verleihen, die in ihm langsam aufgebraucht war. Meine Wirbelsäule begehrte auf und ich versuchte meinen Rücken ein wenig zu entlasten, indem ich die Arme an die Wand vor mir stemmte und mich leicht nach vorn beugte. Ich biß die Zähne zusammen, als sich ein Krampf in meinem Unterschenkel ankündigte. „Verdammt, Du bist so ein großer Kerl, da wirst Du doch wohl so ein kleines Gitter aufstemmen können! Jetzt kannst Du meinem Vater beweisen, daß Du doch ein bißchen Kraft in den Armen hast, vielleicht denkst Du einmal daran!“, brachte ich hervor und ließ mich wieder zurücksinken. „Normalerweise erschlage ich damit Orks und krieche nicht in irgendwelchen Stollen herum, in denen sich nur ein Zwerg wohlfühlen würde, aber vielleicht willst Du es ja einmal versuchen?“, gab Therowig zurück und ich mußte trotz allem lächeln. Auch, wenn es ein bitteres Lächeln war.
Dann ebbte das stete Rieseln von Stein und Schmutz ab und Therowig wurde vollkommen ruhig. Er verlagerte leicht sein Gewicht, seine Füße rutschten ein wenig hinab und fanden neuen Halt. Ich hörte ihn keuchen, tief atmen, dann drückte er sich wieder nach oben, und ich ahnte nur, daß er den Kopf einzog und nun versuchte, mit der Schulter das Gitter anzuheben. Er stöhnte laut auf, daß es von den Wänden widerhallte – und dann ergoß sich plötzlich ein ganzer Schwall aus Gesteinsbrocken, Spinnweben und winzigem Geröll auf mich, daß ich anfing zu husten, als der Staub in meine Lungen drang. Ich vernahm ein metallisches Klirren, das Gitter war gelöst und Therowig zog sich nun recht rasch vorwärts. Er verschwand über mir in einer weiteren Öffnung, und als ich nach oben blickte, sah ich sein Gesicht, daß sich weiß und zerkratzt zu mir hinabbeugte. Ich hob die Brauen: der Luftschacht hatte sich an dieser Stelle verzweigt, wurde breiter und lief nun zu beiden Seiten als kleiner Stollen weiter. Therowig kniete über dem Loch, das senkrecht nach unten getrieben war und in dem ich noch steckte.
Er streckte einen Arm zu mir hinab, sein Hemdsärmel war vollständig zerrissen und seine Haut an mehreren Stellen abgeschürft. Ich kletterte langsam weiter nach oben, bis ich seine Hand erreichte und sie dankbar ergriff, dann wurde ich mit einem kräftigen Ruck nach oben gezogen und fand mich schließlich auf den Knien in dem Stollen wieder, der nach rechts verlief.
Therowig ließ sich erschöpft nach hinten fallen und blieb für Momente auf dem Rücken liegen. Er fuhr sich über Stirn und Bart, sein Brustkorb hob und senkte sich rasch und er atmete tief und heftig die Luft ein, von der er in den vergangenen Minuten gewiß zu wenig geatmet hatte.
Ich berührte sein Bein, ließ meine Hand darauf liegen und drückte dankbar seinen Unterschenkel. „Ich habe Dir doch gesagt, daß wir es schaffen.“, flüsterte ich lächelnd. Therowig nickte atemlos. „Der Gedanke an Deinen Vater war hilfreich.“, antwortete er dann. „Ich habe schon gedacht, ich würde da drin ersticken – so ein unrühmliches Ende hätte er sicher nicht einmal einem Unhold wie mir gewünscht.“, fügte er dann hinzu und ich mußte wieder lächeln. „Du weißt, ich werde ihm das alles erzählen, genau so, wie es sich zugetragen hat. Er wird Dich nie wieder so nennen!“, sagte ich.
Therowig hob leicht den Kopf und sah mich an. „Könntest Du vielleicht noch ein paar Orks hinzufügen?“, fragte er und ich sah seine Augen leuchten. Und obgleich ihm sicherlich nicht das Gemüt danach stand, zwinkerte er. Ich drückte sein Bein erneut, dann setzte ich mich auf und lehnte den Rücken an die Wand. Ich mußte den Kopf einziehen, wenn ich aufrecht sitzen wollte, aber trotz allem war es mir eine große Erleichterung und das Zittern in meinen Muskeln ließ langsam nach.
Doch lange konnten wir nicht verharren und durften es auch nicht. Therowig setzte sich schließlich wieder auf und blickte in den Stollen, der zu unserer Rechten verlief. Dann drehte er den Kopf und besah sich die linke Abzweigung. Ratlos fuhr er sich durch das Haar, zupfte Spinnweben und Staubfäden heraus und rieb sich die Hände an der Hose ab. Seine Handflächen waren zerschürft, seine Fingerknöchel blutig. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Hälst Du gerade den Zwergenstein in der Hand?“, fragte er mich und ich schüttelte den Kopf. Ich sah, wie er mir das Gesicht zuwandte und teilte plötzlich den Gedanken, der ihm gekommen war. Der Stein steckte noch immer in meinem Gürtel, und doch konnten Therowig und ich einander sehen. „Licht...“, sagte ich nur und schien ebenso wie er erst in diesem Moment zu bemerken, daß uns ein graues Dämmerlicht umgab. Ich setzte mich auf.
Therowig ging auf die Knie und langsam bewegte er sich in den Stollen hinein, der linkerhand verlief. Er berührte mit einer Hand die Felswand und ließ sie darüber gleiten. „Die Wand ist feucht.“, stellte er fest und starrte in das seltsame Licht, als könnte er so vielleicht seine Quelle ausmachen. „Einer dieser beiden Wege wird uns weiter ins Innere der Festung führen, der andere ist der Weg nach draußen. Irgendwoher muß dieses Licht kommen, ich glaube beinahe, es ist Tageslicht – also ist es vielleicht gar nicht weit.“, fügte er dann an und auch ich kam nun auf die Knie, kroch ein Stück in den Stollen und war mehr als dankbar, daß es nun nicht mehr steil nach oben ging, sondern der Weg eben und gleichmäßig war.
Ich versuchte, mich zu erinnern. Daran, wo das Tor der Sternwarte lag und welchen Weg Yhared und ich hinab zu den Verliesen genommen hatten. Der lange Abstieg hatte einige Biegungen beschrieben und doch war ich immer sicher gewesen, daß ich noch wußte, welche Richtung wir eingeschlagen hatten. Nun konnte ich es nicht mehr sagen; so, wie ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte und nur noch abschätzen konnte, daß ich Tage hier unten gewesen war, vielleicht gar eine Woche nach meinem Aufbruch verstrichen war, so hatte ich auch meine Orientierung eingebüßt. Es war eine vage Vermutung, als ich sagte, daß die Stollen wohl auf einer Ost-West-Achse verlaufen mochten.
Therowig entfernte sich noch weiter von mir und drehte sich dann erneut zu mir um. „Ich würde diesen Weg versuchen wollen, ich glaube, hier wird das Licht heller und ich will es als ein gutes und gnädiges Zeichen nehmen.“
Eine Entscheidung, wohin wir gehen sollten, mußten wir fällen. Und dorthin zu gehen, wo die Dunkelheit schwindet, war stets eine gute Entscheidung.
Ein paar Käfer hatten sich in den engen Gängen angesiedelt und kleine Nester gebaut, sie stoben aufgescheucht von dannen, als wir uns ihnen näherten. Sie krabbelten über unsere Hände und unsere Arme. Unser Atem erfüllte die Luft und unsere Knie und Hände, die sich über den Stein schoben, verursachten ein lautes Kratzen, das ein verhaltenes Echo warf. Ab und an hielt ich inne, um zu lauschen. Ich begann zu fürchten, daß unsere Flucht entdeckt worden war und in jedem einzelnen Moment, in dem ich mich umwandte und einen gehetzten Blick zurückwarf, der Kopf eines Zauberers im Stollen auftauchen könnte.
Aber je weiter wir kamen, desto zuversichtlicher wurde ich auch, daß unsere Hoffnung, all das zu überstehen, nicht trügerisch war.
Irgendwann wurde das Dämmerlicht um uns herum schließlich von einem trüben Grau zu einem helleren, milchigen Weiß. Und als wir noch weiter krochen, seien es eine Stunde oder vielleicht zwei gewesen, da war ich mir sehr sicher, daß es so war.
Vor uns tat sich mit einem Male ein so heller Lichtschein auf, daß er mir in den Augen schmerzte und ich sie abwenden mußte. An die lange Dunkelheit in den Verliesen gewöhnt, brauchte ich einige Augenblicke, um das Licht ertragen zu können. Ein Luftzug wehte uns nun deutlich spürbar über die Stirn und durch das Haar und Therowig hielt inne; er richtete sich auf, so gut er konnte und stützte sich mit einem Arm an der Felswand ab, dann beugte er sich vor. Ich schloß zu ihm auf und blickte über seine Schulter.
Aber was ich sah, überwältigte und enttäuschte mich gleichermaßen: der Stollen mündete in ein gewaltiges Gewölbe, das unter uns in der Tiefe begann und über uns in einer so ausladenden Kuppel endete, das es kaum möglich war, sie mit nur einem Blick zu umfassen.
Das Licht, dem wir gefolgt waren, kam aus mehreren Öffnungen, die immer wieder die gleichmäßige Wölbung der Decke durchbrachen und sich in unzähligen Spiegeln und weißen, durchscheinenden Kristallen brach und verteilte, welche überall an den Wänden und auf dem Boden angebracht waren. Wir waren in ein Archiv gelangt, einen lange vergessenen Kartenraum: jede Handbreit des Felsendoms um uns herum war beschriftet und bemalt mit Zeichnungen von Sternbildern und Sternkonstellationen. Und immer dort, wo das Licht durch die schmalen Kanäle im Stein in die Halle drang, meinte ich den Standort besonderer Sterne wiederzuerkennen. Das größte Licht, das einen Platz auf der südlichen Halbseite der Decke einnahm, markierte den Abendstern.
Ich atmete tief ein und aus und Therowig betrachtete den Anblick, der sich uns offenbarte, mit ebenso viel Erstaunen wie ich selbst. Die Abbildungen waren alle vertraut und doch an mancher Stelle anders, als wir sie selbst von ungezählten Blicken in den Nachthimmel kannten. Aber die Sternwarte mochte vor beinahe drei Jahrtausenden erbaut worden sein, und vielleicht hatte der Himmel zu jener Zeit anders ausgesehen, vielleicht hatte es damals Sterne gegeben, die in unserer Zeit längst vom Himmel gefallen und verglüht waren.
Therowig fuhr sich über den Bart und ließ sich zurückfallen, er stieß dabei leicht gegen mich und ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. An einem anderen Tag, zu einer anderen Stunde, hätten wir dieses Wunder vor unseren Augen mit Ehrfurcht betrachtet, mit der größten Bewunderung und Anerkennung – doch nun bedeutete die Entdeckung dieses Raumes für uns nur, daß wir nicht den Ausweg gefunden hatten, auf den wir so sehr gehofft hatten.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:04von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Therowig biß die Kiefer aufeinander und ich spürte, wie sehr er sich bemühte, sich seine Enttäuschung und seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Wir waren durstig und der Aufstieg durch den Schacht hatte beinahe unsere ganze Kraft aufgezehrt. Er atmete langsam aus, dann erhob er sich wieder und kniff die Augen leicht zusammen, jeden Fingerbreit der Halle vor uns betrachtete er nun wie ein Falke, der die Grashalme auf einer Wiese nach Beute ausspäht. Das Licht blendete immer noch leicht in unseren müden Augen, doch erkannten wir schließlich, daß es einen Rundweg gab, der vier oder fünf Schritt unter uns an der Felswand entlang verlief. Er mündete an einem riesigen Portal, das verschüttet und eingestürzt war. Die einst kostbar gefertigten Torbogen dieses Ausgangs waren zerbrochen und seine Trümmer weit über den Stieg verteilt worden.
Ein glücklicher Umstand mochte es dafür sein, daß es diese Halle vor Plünderungen und Zerstörung durch Mordors Hand bewahrt hatte, doch ein unglücklicher, wenn diese Halle dadurch ihres einzigen Zugangs beraubt war.
Ich deutete auf die Öffnungen in der Decke, durch die das helle Licht in gleißenden Strahlen einfiel. Staubkörner tanzten darin einen eigentümlichen Reigen, aber es schien tatsächlich die Sonne zu sein, die der Halle ihre kunstvolle Beleuchtung schenkte. „Wir müssen direkt unter der Flanke des Berges sein.“, sagte ich leise, furchtsam, daß ein lautes Wort ein Echo auslösen könnte, das auch in anderen Teilen des Berges zu hören war. Therowig nickte. „Aber die Einlässe für das Licht sind zu weit oben, dort kommen wir nicht hinauf.“, sprach er und blickte dann hinab in die Tiefe. Seine Stimme barg kaum noch Zuversicht. „Wir können entweder zurückgehen, oder unser Glück unten auf dem Rundweg versuchen.“ „Der andere Stollen wird nur wieder in das Innere des Berges führen.“, meinte ich. Ich wollte nicht wieder zurück. Es war nie gut, einen beschwerlichen Weg, den man schon einmal gegangen war, erneut zu betreten – vor allem nicht, wenn er ganz sicher in die Dunkelheit führte. „Dann versuchen wir es.“, stimmte Therowig zu und seine Stimme klang dunkel und matt.
Er zog leicht den Kopf ein und versuchte, sich in dem schmalen Stollen herum zu drehen, dann schob er die Füße und schließlich die Beine über den Abgrund und ließ sich langsam hinab. Vier Schritt waren nicht viel, aber sie konnten zuviel sein, wenn wir nicht äußerst bedacht und behutsam waren, um uns nicht Fuß oder Knöchel zu verstauchen.
Ich sah Therowigs Unterarme, die sich anspannten, als er sich auf der Felskante abstützte und noch weiter hinabglitt. Seine Finger und seine Hände trugen nun sein gesamtes Gewicht, doch er zwang sich zu Ruhe und Bedachtheit. Er blickte hinab, versuchte den Moment abzuschätzen, indem er loslassen und sicher auf dem Rundweg landen konnte, als plötzlich ein gewaltiger Donnerschlag die Sternenhalle erzittern ließ.
Augenblicklich warf ich mich gegen die Felswand zu meiner Seite und suchte mit den Händen nach einem Halt auf dem rauen Gestein, meine Füße rutschten über den Boden als hätte er sich in Glas verwandelt. Der Berg selbst schien zu ächzen, die Wände knackten und knarrten und Stein und Geröll rieselten aus einigen feinen Rissen, die sich bildeten. Ein weiterer Schlag ließ den Fels erbeben und mein Körper wurde geschüttelt. Therowig!, dachte ich. Ich ließ los und obgleich meine Knie plötzlich weich wurden und nachgaben, stürzte ich zum Rand des Stollens, klammerte die Hände um die Kante, wo er in die Halle mündete. Hastig und erschrocken rieb ich mir über die Augen, vertrieb den Staub daraus, der mir in Gesicht und Augen stob, und sah hinab.
Therowig war verschwunden!
Ich schrie erschrocken auf, prallte mit dem Kopf an das obere Ende des Stollens, als ich auffuhr und mir wurde einen Augenblick lang schwindelig. Dann riß ich die Hände hoch und versuchte die Staubwolken, die in der Luft schwebten, zu vertreiben. Ich konnte nichts sehen! Erneut rieselte Schutt vor meinem Gesicht hinab und wirbelte weiteren Staub auf. „Therowig!“, rief ich laut und meine Kehle wurde trocken. Ich kam der Felskante bedenklich nahe und streckte ein Bein aus, um den Fuß im Stollen zu verankern und nicht hinaus zu stürzen. Wieder jagte ich mit den Händen den staubigen Wolken nach, die mir Sicht und Atem nahmen. Dann vernahm ich aus der Tiefe unter mir ein Husten und sog erleichtert die Luft ein. Sie schmeckte alt und abgestanden, aber das kümmerte mich nicht.
Endlich, als sich der Staub legte, sah ich Therowigs Gestalt auf dem Randweg stehen. Er hob die Hand zu mir hinauf, um mir zu bedeuten, daß er unversehrt war. Er hustete erneut und krümmte sich leicht, aber dann trat er dicht an die Wand heran und streckte die Arme nach mir aus. Ich zog den Fuß zurück und ließ mich, so schnell ich es vermochte, über den Rand des Stollens hinab, und sprang.
Therowig fing mich auf, unter meinen Stiefeln knirschte laut der Kies. Sogleich drehte er mich herum und ich sah einen weiteren Torbogen!
Direkt unter dem Stollen, aus dem wir gekommen waren, war er in die Wand getrieben und so hatten wir ihn von oben nicht entdecken können. Die Wand war auch hier mit Rissen und Spalten übersät, die einst wunderbaren Ornamente zerbröckelt und verblichen, doch barg dieser Weg die Hoffnung, die wir uns so sehr aus der Tiefe unserer Herzen herbei gesehnt hatten.
Ich stieß hart mit der Schulter gegen das Tor, als abermals lauter Donner erscholl und den Boden zu unseren Füßen erbeben ließ. Ein großes Stück löste sich plötzlich von der Decke und fiel polternd in die Tiefe. Therowig zog mich durch die Pforte in den dahinter liegenden Gang. Der Felsbrocken traf hinter uns auf die Kante des Rundweges und riß ihn entzwei. Ich starrte Therowig an und er erwiderte meinen Blick. „Ich glaube, ich weiß, woher dieser plötzliche Donner kommt und was er zu bedeuten hat. Wir müssen hier auf der Stelle verschwinden! Es wird noch mehr von der Halle einstürzen.“, sagte er, und kaum hatte er es ausgesprochen, brach auch der Torbogen in sich zusammen und kleine Steine und Felssplitter prasselten auf uns nieder.
Therowig verlor keinen weiteren Moment, packte mich an der Hand und rannte los, den Kopf gesenkt und einen Arm zum Schutz erhoben.
Erst nach unzähligen, hastigen Schritten verzweifelter Flucht wurde der Gang hoch und weit genug, daß wir nicht länger die Köpfe einziehen mußten und uns sicher wähnen konnten vor den gewaltigen Kräften des Berges, der langsam in sich zusammen zu stürzen schien.
Blatt- und Wurzelwerk zog sich über den Boden, Moos wuchs hie und da und sogar kleine Birken und Kiefern hatten sich in den Felsspalten niedergelassen. Eine letzte Erschütterung riß uns beinahe mit sich und nur die feuchte Wand, an der nun Rinnsale von Regen- und Schmelzwasser hinabrannen, hielt unseren Sturz auf. Therowig ließ meine Hand nicht los, eisern hielt er sie umklammert und dann sahen wir endlich das Tageslicht!
Der Gang mündete an der Westseite des Berges. Verhangen war er von langem Gras und dunklem Efeu, Gestrüpp und Dornenranken. Junge Bäume wuchsen in seinem Eingang und verbargen ihn, doch dahinter lag der Wald. Wir konnten die hohen Wipfel der Bäume sehen, die Hügel, die in der Ferne schimmerten und das Tal erahnen, in dem Emyn Lûm liegen mußte.
Therowig griff in die Efeuranken und riß sie hinab, dann schob er mich hinaus ins Freie und folgte sofort. Hustend und stolpernd kamen wir endlich aus dem Berg hinaus. Ich legte den Kopf in den Nacken, um dankbar und froh die frische Luft einzuatmen, doch kaum hatte ich den ersten Atemzug getan, wurde ich erneut gepackt und zu Boden gerissen. Ich spürte Therowigs Körper, der auf mir lastete und seine Arme, die meinen Kopf in das Gras drückten, sich um meinen Leib wanden und mich niederhielten. Die Luft, die ich geatmet hatte, und die sich so frei und wohl angefühlt hatte, wurde mir wieder aus der Lunge gepreßt. Ich hörte ein seltsames Klacken, wie zwei Steine, die man aneinanderschlug. Dann noch eines, und noch eines. Sekunden vergingen, in denen ich wie gelähmt liegen blieb und voller Anstrengung lauschte, bis Therowig sich erhob und langsam aufsetzte. Er duckte sich noch einmal und griff nach meinem Oberarm, den Blick fest nach oben gerichtet, in den Himmel über uns. Als auch ich mich aufrichtete, sah ich, daß einige Pfeile um uns verstreut im Gras und auf den Felsen lagen.
Fragend wurde mein Blick, doch alle Fragen und alle Gedanken, die mir verworren und ohne Verständnis kamen, wurden mit einem Schlag beantwortet: jenseits von uns knickte plötzlich ein Baum um, dann ein weiterer und ächzend und polternd schob sich ein gewaltiges Katapult durch den Wald. Wieder prallten fehlgeleitete Pfeile nicht unweit von uns gegen die Felswand in unserem Rücken. Ich hob den Kopf und sah nun endlich nach Westen. Aus der dunklen Linie des Waldes schälten sich Formen und Umrisse, die langsam die Gestalt von Reitern annahmen. Ihre Banner wehten in der Morgensonne. Die Banner des Goldenen Heeres und jene der freien Völker. Und irgendwo in den Reihen derer, die erneut gekommen waren, um die Herrschaft Mordors über diesen Ort zu beenden, sah ich auch das Wappen wehen, das mir am meisten bedeutete: die Faust und die Feder auf königsblauem Grund.
Ein Laut des Erstaunens und der unbändigen Freude entkam mir und ich sah Therowig an, dessen Augen einen strahlenden Glanz angenommen hatten. „Bei Helm Hammerhand, gesegnet sei seine Gnade...“, flüsterte er. Er sprang auf die Füße und ballte sofort die Hände zu Fäusten. Sein Blick streifte wild über das Heer, das sich dem Fuß des Berges und der umliegenden Hügel näherte. Über die Rüstungen, die die Sonne bunt leuchten ließ. Über die Schwerter und Speerspitzen, die blitzten und funkelten und deren purer Anblick die abscheuliche Nacht, die in den Mauern hinter uns wohnte, bereits zu mildern schien. „Das Goldene Heer greift an...“, sprach auch ich ergriffen und mit pochendem Herzen. Therowig nickte knapp. „Und diesmal wird es kein Schatten zu Fall bringen...“, erwiderte er.
Für einen Augenblick verharrten wir noch. Müdigkeit und Erschöpfung schwanden und wir spürten, wie sich unsere Herzen wieder mit Zuversicht und Kraft zu füllen begannen. Therowig deutete den Berg hinab. Und dann rannten wir, so schnell uns unsere Füße nur trugen.
Über Steine, über Geröll, durch das Gras, kleine Bäume und Buschwerk jagten wir, bis wir atemlos den Wald erreichten. Wir brachen durch die Reihen der Pferdeschar und teilten ihre Flanke, begleitet von überraschten und erstaunten Blicken. Wir waren zerschunden, zerfetzt und schmutzig, doch jene, die uns erkannten und deren Gesichter nun freudig auf uns zu blicken begannen, sahen auch eine Hoffnung und eine Dankbarkeit in uns aufleuchten, die all den Schmerz und die Düsternis vertrieb. Grimm und Zorn führten die Schwerter und Speere in ihren Händen, das Leid über den Verlust jener, die gefallen waren. Die Klage über den Tod und das Unheil, das unsere Zeit bedrohte. Ein toter Ort waren diese Wälder, ein verdammter Ort. Doch hier war auch Leben. Und daß Therowig und ich noch lebten, erschien Vielen wie das Zeichen zu sein, auf das sie gewartet hatten: es war nicht vergebens, der Finsternis entgegen zu treten.
Therowig ging voran, schlug in Hände ein und klopfte auf Schultern, doch er verlor nicht das Banner aus dem Blick, daß er so sehr herbei gesehnt hatte. Sein Schritt war fest und entschlossen und sein Wille war es, der sein Haupt aufrecht hielt und seine Schultern gestrafft und stark.
Ich ließ ihn gehen und fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen, die sich mit Tränen zu füllen begannen. Ich mußte ihn gehen lassen, denn ein Feuer brannte in seinem Herzen, daß nur durch eines zu stillen war. Nicht durch Rast. Nicht durch Frieden. Nur durch Vergeltung.
„Gebt mir ein Pferd und ein verdammtes Schwert!“, hörte ich ihn brüllen. Ein Raunen erhob sich um mich herum, ein zustimmendes Lachen, ein erleichtertes Ausatmen, das durch die Reihen der Krieger wie eine gewaltige Welle stob. Ein Pferd wieherte zu meiner Rechten auf und der Mann, der in seinem Sattel saß, hatte Mühe es im Zaum zu halten. Auch in seinen Augen glomm der Funke, der darauf wartete in der Schlacht zu einem lodernden Feuer entfacht zu werden. „Hat denn keiner ein Schwert?“, rief Therowig erneut und seine Stimme überschlug sich beinahe.
Er hob die Arme und breitete sie aus, drehte sich einmal um sich selbst – bis er innehielt und sein Blick sich wie gebannt auf die Reihe aus Reitern und Pferden vor ihm heftete. Sie teilte sich und eine Gestalt kam langsam auf uns zu, erreichte Therowig zuerst und öffnete ihren Umhang. „Hier ist ein Schwert, Freund.“, sagte sie leise.
Es war Aegmar, der sprach. Und dann zog er seine Klinge und reichte sie Therowig. Für Momente sahen sie sich schweigend an und ich wußte, all der Groll, den sie gegeneinander gehegt hatten, all der Streit, den sie geführt und der durch Yhareds Tun in ihre Herzen gesät worden war, war nun vergangen und vergessen. Sie schlugen die Hände ein und Therowig senkte den Kopf zum Gruß. „Freund.“, sagte er. Aegmar nickte. „Freund.“, erwiderte auch er und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Ein letztes Mal griffen ihre Hände ineinander, besiegelten Bund und Treue, dann griff Therowig Aegmars Schwert und wandte sich um.
Sein Blick suchte mich und ich konnte mich kaum rühren, als er mich fand. „Aegmar...“, flüsterte ich und Tränen der Freude und des Bedauerns rannen zugleich über meine Wangen. Dann spürte ich eine schmale Hand auf meiner Schulter und hörte den hellen Klang reiner und seliger Worte in meinem Geist. Tinuveen war an mich herangetreten und ich spürte der Elbin lichterfüllten Glanz auf meinem Gesicht. Er tröstete mich und die Tränen versiegten. Aegmar reichte nun auch mir die Hand und ich nahm sie zitternd. „Geh heim.“, sagte er leise. „Du hast genug getan. An mir ist es nun, den Fehler zu richten, den ich gemacht habe.“ Ich hielt seine Hand fest und schüttelte den Kopf. „Du hast keinen Fehler gemacht, Aegmar. Du hast getan, was jeder Mensch tut: Du bist Deinem Herzen gefolgt.“ Er lachte leise. „Und nun folge ich meinem Verstand. Möge er sich würdiger erweisen als mein wütendes Herz und mich von der Schmach und der Scham befreien. Siehe, viele sind mit mir gezogen. Freunde, die in der Niederlage gewonnen wurden, und Verbündete, die allesamt füreinander einstehen. Die erste Schlacht in dem langen Krieg, der vor uns liegt, wird nun erneut geschlagen. Der Regen ist versiegt und die Sonne ist empor gestiegen, es ist der rechte Zeitpunkt.“, fuhr er fort. „Geh.“ Er nickte mir zu, dann ließ er langsam meine Hand los und ging ein paar Schritte, bis er die Spitze der Reiterschar erreichte. Er zog sein Bein nach, seine Wunden waren nicht verheilt, doch die Kraft in ihm schien ungebrochen. Ich preßte die Lippen aufeinander und atmete schwer aus. Ich fühlte mich erschöpft, doch schlug mein Herz so schnell, daß ich mich zerrissen fühlte. Gehen. Konnte ich nun so einfach gehen? Mich umdrehen und die Schlacht den anderen überlassen, wo es doch viel gab, für daß ich selbst kämpfen wollte?
Tinuveen drückte meine Schulter leicht und sah mich an, ich warf der Elbin einen stummen Blick zu. Sie zögerte, doch dann sprach sie: „Ihr müßt nicht gehen, wenn Ihr es nicht wollt.“
Sie hatte Recht. Ich wollte es nicht. Und so blieb ich.
Aegmar ließ sich eine Klinge geben und bestieg sein schwarzes Roß. Als er seinen Schild hob und das Wappen darauf hell in der Morgensonne glänzte, kehrte plötzlich Stille ein. Die Reiter verstummten, die Pferde, selbst das mächtige Katapult schwieg. „Es ist einfacher, in die Schlacht zu ziehen, als sie zu gewinnen!“, rief er laut aus und alle Gesichter wandten sich ihm zu. Gespräche verklangen, das Raunen ebbte ab, das letzte Flüstern erstarb. „Jeder, der schon einmal ausgezogen ist, um zu kämpfen und zu verteidigen, was ihm teuer ist, weiß das! Zieht heute mit mir aus, kämpft heute mit mir – und gewinnt!“, hallte seine Stimme über das Feld und über die Hügel, dann wandte er sich um, sein Pferd tänzelte unter ihm. Erneut riß er den Schild in die Höhe und dann donnerte das Katapult!
Unzählige Trümmer lagen bereits vor dem Tor der Sternwarte, doch kein Stein, den die gewaltige Waffe aus der Mauer und dem Berg gelöst hatte, hatte sie wan.ken lassen und einen Zugang gewährt.
Aber ich konnte auch nicht sagen, ob es diesmal Aegmars Absicht war, die Sternwarte zu erobern – oder nur hinauszulocken, was sich darin befand. Die letzte Schlacht war verloren gegangen, das Heer, das ausgezogen war, wie eine Welle an unüberwindbaren Klippen zerschellt. Doch diesmal hielt die Schar Abstand zu den Mauern ein, blieb zwischen den Bäumen und lauerte. Und jedesmal, wenn das Katapult in die Höhe schnellte und ein Geschoß aus Stein und schwerem Holz auf die Sternwarte niederging, so klang es wie eine gewaltige Ohrfeige für Yhared und seine Zauberer. Doch nie trafen die Geschosse den Turm oder den Hauptbau der Sternwarte.
Ich hob die Brauen an. Es war, als ließe Aegmar absichtlich und bewußt daneben zielen. Er tat, was Yhared immer getan hatte: er provozierte ihn, machte ihn wütend, und überließ ihm dann den ersten Zug.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:05von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Yhared kam. Zwei, dreimal schoß das Katapult noch seine Ladung auf den Berg, gefolgt von einem tödlichen Schauer aus schlanken Pfeilen. Und dann erschien Yhared auf der Zinne über dem Tor. Aegmar hob sogleich die Hand, der Pfeilhagel verstummte. „Was willst Du, Menschenfürst?“, erklang Yhareds Stimme auf der Mauer, der Wind trug sie zu uns und sie verhieß Bosheit und Abscheu. „Habe ich Dich nicht gelehrt, zu weichen und winselnd in das Loch zurückzukriechen, das die Elben ihre große Feste nennen? Habe ich Dich nicht gelehrt, daß hier nur der Tod auf Dich und die Deinen lauert? Willst Du noch mehr Leben opfern und erneut versagen?“, fuhr er fort und seine Stimme wandelte sich in ein schlangenhaftes Zischen, in eine düstere Vorahnung und den Hauch purer Angst. Ich fühlte, wie kalte Furcht plötzlich in meinem Herzen keimte und als ich in die Gesichter derer um mich herum blickte, sah ich, daß alle diesen eisigen Griff in ihrem Inneren verspürten. Doch Aegmar war unbeirrt. „Yhared!“, rief er laut. „Fürwahr habe ich etwas gelernt! Angst ist wie ein Berg, der erst abgetragen werden muß, um bezwungen zu werden. Doch wenn sie bezwungen ist, dann bist auch Du bezwungen! Und darum ist heute, an diesem Tag, etwas anders! Ich fürchte Dich nicht, ich hege keinen Zorn! Ich bringe Dir nur mein Mitleid entgegen!“, fuhr er fort und ich machte unbewußt einen Schritt nach vorn. Tinuveens Hand glitt von meiner Schulter. Yhareds Wangen verfärbten sich tiefrot. „Mitleid? Weswegen solltest Du mich bemitleiden?“, rief er.
Aegmar antwortete ihm nicht, er wandte nur den Kopf und ich sah, wie sich erneut die Reihe der Reiter teilte und sich ein einzelnes Pferd den Weg nach vorn suchte. Yhared stutzte, als er Therowig ins Gesicht blickte, der aufgerichtet im Sattel saß und sich verbeugte. Aegmar kreuzte die Hände über dem Sattelknauf und lehnte sich leicht vor über den Hals seines Schlachtrosses. Er sah zu Yhared auf. „Dafür, daß Deine Mauern aus Schatten und dunkler Magie dort so leicht einstürzen, wo Freundschaft und Ehre sie niederreißen. Die Herzen magst Du trüben mit Deiner Kunst, aber nicht den Willen! Nicht mehr! Du weißt, wo Du mich findest, wenn Du meine Worte prüfen willst – denn Du schuldest Deinem Herrn noch mein Leben. Ich habe es noch, wie Du siehst. Das war Dein Versagen!“
Dann wandte Aegmar sich ab, trabte zurück in die Reihen seiner Schar und gab mit der Hand ein Zeichen, das allen den Rückzug gebot. „Zieht Euch zurück in den Wald, laßt ihn kommen...“, raunte er, „...denn kommen wird er.“ Auch Therowig warf Yhared einen letzten Blick zu, spuckte aus und folgte Aegmar dann.
In geschlossener Linie zog sich das Heer zurück und der Wald umfing es mit grünen und beschützenden Armen. „Wie...“, begann Yhared und starrte Therowig an. Überraschung stand in seiner Miene und seinen Augen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten und hieb auf den Rand der Mauerbrüstung, vor der er stand. Schließlich drehte er sich harsch um, Wind erfaßte sein Gewand und bauschte es gegen den Stein. Der Stoff seiner Robe loderte auf wie eine Flamme und ich hörte die Pferde wiehern, die noch nicht den Schatten des Waldes erreicht hatten.
Ein Ball dunklen Feuers schlug hinter ihnen ein und versengte schwarz den Boden, doch er verfehlte. Dann verschwand Yhared von der Zinne und die Sternwarte starrte schweigend und bedrohlich den Hügel hinab. Ich zog mich hinter einen Baum zurück, als Aegmar an mir vorüber ritt.
Es war totenstill.
Der Wald holte tief Luft, wie ein gewaltiges Tier, bevor es zum vernichtenden Sprung ansetzt, um seine Beute in den Abgrund zu reißen. Sturmschwanger begann sich der Himmel über die Baumwipfel zu senken und obgleich ein glühendes Knistern die Luft mit Funken zu erfüllen begann, wurde es kalt.
Ich fuhr herum und drückte mich fest mit dem Rücken gegen den schützenden Baumstamm, als ich das leise Knacken von Ästen und Zweigen vernahm, wo Reiter und Pferd sich in der Ferne durch die Wälder bewegten und eine Mauer aus Schweigen hinter sich errichteten. Die Bäume rückten näher, die Welt schrumpfte zusammen und dann erhob sie sich wieder in einem dunklen Echo, als die Festung von Minas Gíl ihre Tore öffnete. Ein schwarzer Rachen riß gähnende Kiefer auseinander und Magie tropfte von seinen Fangzähnen. Ich schluckte trocken, als ich eine Gestalt sah, die sich aus der Dunkelheit hinter dem Tor schälte: Yhareds Gesicht glänzte zornentbrannt in versengendem Rot. Er verschränkte die Arme, dann hob er eine Hand und ballte sie zur Faust. Der Boden um mich herum erzitterte und ich vernahm ein schleifendes Geräusch - metallisch, hart, kühl. Die Rinde des Baumes in meinem Rücken begann violett zu schimmern. Und dann sah ich das erste Splitterwesen, das sich unweit von mir in einem Wirbel von Blättern und Zweigen zu erheben begann, die letzte Kraft aus den sterbenden Pflanzen zog und sich dann den Weg Richtung Süden bahnte; jene Schneise entlang, die das große Katapult durch den Wald gebrochen und durch die sich das Heer zurückgezogen hatte.
Fühlte es sich so an, wenn man vom Schicksal berührt wurde? Wenn ein Augenblick zu einer Ewigkeit wurde, in der der Lauf der Welt sich zu verändern begann? Es war kaum ein Moment voller Stolz und Ruhm, es war ein Moment der Furcht und der Gewißheit, daß auch nur ein falscher Schritt das Ende bedeuten konnte. Ich durfte hier nicht bleiben, wenn ich diesen Schritt nicht tun wollte. Ich berührte ein letztes Mal den Baum, der mich verborgen hatte, als sei es der Abschied von einem geliebten Freund. Dann richtete sich mein Blick in den Wald und ich lief los.
Ich folgte nicht der Schneise und den tiefen Spuren, welche die Räder des Katapultes in den weichen Waldboden gefressen hatten. Dieser Weg war breit, ungeschützt – und so offensichtlich, das ich nur wähnen konnte, daß an seinem Ende ein ähnlicher vernichtender Schlund wartete, wie er hinter mir im steinernden Gesicht der Sternwarte klaffte.
Auf seltsame Weise war ich aber sicher, daß Aegmar diese Fährte gelegt hatte, damit Yhared sie beging. Damit er genauso wutentbrannt wie mein Fürst einst den schnellsten und raschesten Weg nahm, um seinem Feind gegenüber zu stehen. Und Yhared nahm diesen Weg, schluckte wie ein Fisch gierig den Köder, den Aegmar ausgelegt hatte.
Aber er ging nicht allein den Pfad, der ihm bereitet worden war. Seine Zaubererschar folgte ihm nach, kaum daß er Aegmars Herausforderung beantwortet hatte. Einer nach dem anderen traten sie über die Grenze, die zwischen dem Wald und der Sternwarte gezogen worden war. Ein Dutzend, zwei Dutzend grauer Roben sah ich schließlich in den langen Schatten, die die Bäume warfen, vorbei wandeln. Einem Fächer in der Hand einer Dame gleich, entfalteten sie sich zu einem Halbkreis und zogen dahin. Bald waren sie überall und ich wußte kaum mehr, wohin ich mich wenden sollte.
Ich schlug Haken, versteckte mich, wenn es aussichtslos erschien, einem Verfolger entkommen zu können. Und immer dachte ich daran, daß Yhared mich erkennen könnte, mich sehen würde, noch bevor ich die erreichte, die ich einholen wollte. Viele Schritte hielt ich mich abseits vom Weg der Zauberer, doch immer wieder wurde ich gezwungen, meine Richtung zu ändern und mich der Schneise auf wenige Schritt zu nähern, auf der Yhared immer noch unbeirrt einher ging.
Es war eine verbissene Jagd, als suchte er nur nach einem Hirsch, dessen Geweih die Wand über einem Kamin zieren sollte. Und viel mehr als das schien Aegmar auch nicht für Yhared zu bedeuten. Sein Kopf war es, den er an der Wand sehen wollte.
Der Wald flachte sich plötzlich zu einer tiefen Schlucht hin ab. Ich sog harsch die Luft ein. Ratlos sah ich mich um und konnte nicht glauben, daß mein Weg ein so unmittelbares Ende gefunden haben sollte. Unter mir rauschte in der Tiefe ein Fluß und es gab weder Steg noch Brücke, der diesen Riß in der Welt überspannte und ihre losen Enden wieder miteinander verband. Doch als ich mich umwenden wollte und schon die unheilvolle Entscheidung getroffen hatte, zurückgehen und zwischen den Reihen der Zauberer hindurchschlüpfen zu müssen, wurde ich am Arm gepackt. Ich hob sofort den Kopf und ein erleichterter Seufzer entkam mir, als ich in Hauptmann Aneawins erstauntes Antlitz blickte. Seine Brauen zogen sich zusammen, doch ich hob sogleich den Zeigefinger an die Lippen, ihn stumm darum bittend, niemandem zu sagen, daß er mich gesehen hatte. „Ich weiß, daß Aegmar den Rückzug befohlen hat, aber ich werde ihm nicht gehorchen.“, flüsterte ich. Die Überraschung wich aus den Augen des Hauptmanns und wurde zu einer angespannten Nachdenklichkeit, die ich nicht deuten konnte, bis er schließlich nickte – nur wenig erfreut jedoch. „Dann folgt mir, und zwar rasch!“, raunte er und seine Stimme war ungehalten, wenn auch besorgt. Er warf einen raschen Blick um sich herum und deutete nach Westen, wo sich ein kaum sichtbarer Trampelpfad am Rande der Schlucht entlang bewegte. Für den, der nicht wußte, wohin er sich wenden mußte, war dieser Ausweg mehr als leicht zu übersehen.
Aneawin ging eiligen Schrittes voran, bis die Schlucht eine scharfe Biegung beschrieb und vor einer steilen Felswand endete. Eine Brücke hatte an dieser Stelle einst über den Fluß geführt, doch nun war sie verfallen und eingestürzt. Aneawin hieß mich zwischen den alten, moosbewachsenen Pfeilern Schutz suchen und kauerte sich dann selbst hinter einen geborstenen Felsen, der einst das Ende einer Straße bezeichnet haben mochte, die der Wald schon vor Jahrhunderten zurückerobert hatte.
Ich atmete tief durch und bemerkte schließlich, daß Aneawin und ich nicht alleine waren.
Hinter den lichten Bäumen zu unserer Rechten sah ich einen Speer aufblitzen, dann noch einen.
Ein Mann brach plötzlich aus der Baumreihe vor uns hervor und lief schwa.nkend auf uns zu. Aneawin verließ für einen Augenblick seine Deckung und griff seinen Arm, bevor er dem Abgrund zu nahe kam, dann riß er ihn zu sich hinter den Stein, an dem er sich verbarg. Und kaum hatte er das getan, loderte Feuer an einem der Bäume auf, die bis an die Brücke heran reichten. Flammen leckten über den Stamm und verkohlten ihn augenblicklich, fraßen sich weiter über den Waldboden, bis sie unsere Füße zu erreichen schienen. Ein Wind kam auf: leichte Böen zuerst nur, lau und unscheinbar, doch dann raschelte es im Blattwerk über meinem Haupt. Die Baumwipfel bewegten sich ächzend in einer stärker werdenden Brise und Wolken krochen nun über den Himmel, die langsam das Licht verdunkelten und die Schatten noch länger und tiefer werden ließen. Ich fröstelte, trockene Blätter schwebten um mich herum zu Boden und färbten den Untergrund bald braun und gelblich ein. Und dann ertönte ein leiser Pfiff, nicht lauter als das Surren eines Pfeils, doch deutlich und warnend! „Einer...einer kommt.“, flüsterte der Mann atemlos zu Aneawin und ich ahnte, daß er ein Späher gewesen war, einer dessen Aufgabe es war, Yhareds Schar aufzulösen und die Zauberer einzeln zu einer Verfolgung zu verführen, in dem er sie hinter sich herlockte. Ein gewagtes Spiel, vielleicht ein zu gewagtes, das verloren gehen konnte, bevor der letzte Einsatz getan war. Aneawin aber nickte nur und gab ein Zeichen mit der Hand. Wieder ertönte ein Pfiff.
Und jetzt wußte ich: ich erlebte nicht den Beginn der Schlacht. Ich war schon mittendrin. Sie kam nun über diesen Teil des Düsterwaldes, tödlich und endgültig! Ein Feuerball schoß nur wenige Augenblicke später aus dem Gebüsch, zischte sengend an uns vorbei, daß ich seine Hitze auf meinem Gesicht spüren konnte. Er traf einen der Soldaten, die sich hinter den Bäumen abseits der Schlucht verborgen gehalten hatten, mitten auf die Brust und seine Rüstung verfärbte sich augenblicklich in ein tödliches, glimmendes Schwarz, als wäre sie auf seinem Leib geschmolzen. Er krümmte sich und stürzte nieder. Reglos blieb er liegen und sein Atem verklang. Eine Gestalt erschien nun am Rande der Schlucht, verhüllt und in eine lange Robe gekleidet: ein Zauberer aus Minas Gîl.
Zornig starrte der Mann aus einem schwarzem Gesicht unter seiner Kapuze hervor und hob die Arme. Er murmelte etwas, beschwörend und unheilvoll. Zwischen seinen Händen manifestierte sich ein Glühen und ich stöhnte erschrocken auf, als es sich zu einer Flamme formte, die gewiß wieder mit verheerender Kraft niedergehen würde. Überall um mich herum wurden Waffen gezogen und die Luft erfüllte ein metallischer Gesang, der erste Akkord in einer langen Ballade des Krieges. Auch Aneawin griff nach seinem Schwert und sprang dann mit einem einzigen Satz hinter dem Felsen hervor, begleitet von einem halben Dutzend Männer, die ebenfalls zwischen Felsen und Bäumen hervortraten. Ich sah, daß sie lange Wurfspeere in den Händen hielten.
Grimmig hoben sie die Arme und noch bevor ein weiterer Feuerball ihre Reihe zersprengen konnte, fanden die Wurfspeere ihr Ziel. Ein tödlicher Regen ergoß sich auf den Zauberer.
Ich schloß die Augen und wandte den Kopf ab, als ich seinen erstickten Schrei vernahm. Aegmars Schar würde niemanden verschonen, wie auch er und die Seinen nicht verschont worden waren.
Das dunkle Feuer erlosch und zurück blieb nur der Tod in einer leeren Hülle, die einmal ein Mensch gewesen war.
Ein Zauberer war gefallen. Einer, der für mich keinen Namen gehabt hatte. Doch ein anderer war noch am Leben. Einer, der einen Namen trug: Yhared.
Aneawin gab ein rasches Zeichen zum Aufbruch und wir verließen die Stellung. Gewiß würden wir weitere Kräfte aus Minas Gîl hinter uns herlocken und ich begann nun zu ahnen, daß Aegmar irgendwo in der Nähe ein Lager befestigt hatte, wo er jene, die uns folgen würden, in einem weiteren Hinterhalt erwartete
Lautlos und schweigend hasteten wir durch das dunkle Grün der Wälder, drängten uns um die Bäume herum und folgten schmalen, fast vergessenen Pfaden, bis wir wieder auf die Schneise stießen, die uns einladend empfing. Die jeden einladend und doch so trügerisch empfangen hatte, der ihr gefolgt war.
Die Bäume brannten. Verkohltes Holz knisterte und der Wind, der uns immer noch verfolgt hatte, trug die Aufschreie derer mit sich, deren Mut und Tapferkeit hier an diesem Ort ein Ende gefunden hatte. Pfeile und Speere durchschnitten die Luft wie ein Hagelschauer, den nicht nur ein dunkler Himmel entließ, sondern den der Boden selbst ausspuckte, als wollte sich das Land für all die Schmach und das Leid an jenen rächen, die es besetzt und besudelt hatten. Der Wald trennte Mordors Hand von seinem verdorbenen Körper und begrub sie unter sich.
Ich sah Aegmar, der bedrängt von einem Zauberer über den breiten Waldweg zurückwich und sich nur im letzten Moment duckte, als ein Wurfspeer knapp an seinem Kopf vorbeiflog und seinen Angreifer niederstreckte. Doch beantwortet wurde die rettende Tat von einem verheerenden Feuer, das nach Aegmar griff und seinen Umhang in Brand setzte. Ich schrie auf und wollte mich an Aneawin vorbei drängen, um dem Freund zu Hilfe zu eilen, doch der Hauptmann griff nach mir und seine gepanzerte Hand schloß sich fest um meinen Arm, um mich zurückzuhalten. „Nicht!“, rief er aus und zog dann ein Messer aus seinem Gürtel, daß er mir in die Hand drückte.
Wie ein Schlag traf mich die Erinnerung, daß ich bis zu diesem Moment vollkommen unbewaffnet gewesen war. Meine Dolche waren unerreichbar, irgendwo verborgen in der Sternwarte oder vielleicht gar noch in Yhareds Besitz. Ich nahm das Messer an mich und meine freie Hand wanderte unwillkürlich an meinen Gürtel. Die vertraute Dolchscheide fehlte und ich ballte die Hand langsam zur Faust, ohnmächtig vor Zorn. Nur knapp dankte ich Aneawin. Verweilen konnten wir jetzt nicht mehr. Der Feind, der nicht Aegmars Spähern gefolgt war, sammelte sich nun hier und alle Kräfte, die beide Seiten noch imstande waren aufzubringen, prallten jetzt aufeinander wie die See auf eine Klippe in der Nacht.
Therowig rannte auf Aegmar zu, hob seine Klinge und holte zu einem Streich aus, der Aegmars Umhang zerteilte. Das Feuer leckte noch um Aegmars Stiefel, als er endlich zur Seite sprang und dann an Therowigs Seite wieder den Kampf gegen einen neuen Gegner aufnahm.
Die Zeit zerrann wie Sand in einer hohlen Hand und kaum eine Sekunde des Luftholens konnte vergehen, bevor ein neuer Angriff erfolgte. Immer und immer wieder tobte der Kampf zwischen Schwert und Magie, zwischen Feuer und Speer und der Wald war erfüllt von einem Reigen, der in seiner Schnelligkeit und seinem Wahn kaum mehr Feind von Freund unterschied.
Aegmar erhob die Stimme und brüllte laut, als nun auch die Kristallwesen zwischen den Bäumen hervorstießen und sich an der Flanke der Schar aus Minas Gíl zu sammeln begannen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und in meiner Kehle formte sich wilder Protest, als Aegmars Mannen plötzlich ihre Schilde fallen ließen und darauf sprangen. Doch als das Erste dieser seltsamen Wesen sich aus der Formation löste und sein Leuchten heller wurde, wie es die pulsierende Magie in seinem Inneren beschwor, sah ich, daß jene schwarzen Löcher, die Aneawin mir beschrieben hatte und die einst auch Therowig verschluckt und in Gefangenschaft gebracht hatten, nichts anrichten konnten, wo Stiefel und Füße nicht direkt den Boden berührten.
Ich schüttelte leicht den Kopf, doch dann riß ich die Arme hoch, um ihn zu schützen, als über mir in den Baumwipfeln ein Rascheln ertönte und Pfeile rings um mich herum niederprasselten. Ich sprang zurück zwischen die Bäume. Es waren die Elben aus Emyn Lûm, Fuirgams goldenes Heer, die nun einen tödlichen Regen hinab auf das Feld schickten. Und wo immer eine Pfeilspitze ihr Ziel traf, da erlosch das Licht in den Kristallen und sie zerbarsten in kalte Splitter, die als lebloser Fels zu Boden fielen. Wo Leben war, da herrschte nun Tod. Und wo der Tod herrschen sollte, da besiegte ihn das Leben.
Ja, so fühlte es sich an, wenn man vom Schicksal berührt wurde. Und ja, so war es, wenn ein Augenblick zu einer Ewigkeit wurde, in der der Lauf der Welt sich zu verändern begann. Die Gedanken kreisten und der eiserne Wille führte die Hand mit dem einzigen Ziel, diesen Wandel für sich zu entscheiden.
Es war eine Schlacht, die mit List und Mut gefochten wurde. Vorsicht und Bedacht war die Waffe des Siegers; das Wissen, dem Feind nicht nahe zu kommen und doch mit aller Härte zuzuschlagen, wenn der richtige Moment dafür gekommen war. Verbrannt war der Boden, versengt und schwarz. Die Bäume glichen Ruinen, in denen ein verheerendes Feuer gewütet hatte. Stumm reckten sie abgebrochene Äste wie magere Gliedmaßen in den Himmel, Zeugen einer unermeßlichen Gewalt, die über sie gekommen war und die tiefe Narben in den Seelen der Wesen hinterlassen hatte, die einst hier gelebt hatten. Doch unter all dem schimmerte der Glanz der Vergangenheit und die Ahnung einer Zukunft, in der der schmutzige Teppich, der ausgebreitet worden war, fortgeworfen werden würde wie ein zerschlissener Lumpen.
Aegmar hatte Recht behalten. Sein Wille war nicht getrübt und sein Zorn beherrschte ihn nicht. Er kämpfte still und entschlossen und alle, die mit ihm waren, taten es ihm gleich. Er wußte genau, was er tat und umschiffte wie ein Seemann alle Tücken der feindlichen See. Der Schrecken, den jede Schlacht barg, fand keinen Einlaß in die Herzen der Krieger und jede Mauer, die Yhared errichtet hatte, stürzte ein, wo Gefährten beieinander standen und wieder aufschlossen, wenn einer von ihnen fiel.
Vielleicht würde es eines Tages einen Barden geben, der diese Tapferkeit auf den Gesichtern und diesen Mut in den Herzen besingen würde, dachte ich, als ich die Arme löste und mich behutsam wieder aufrichtete. Vielleicht würde es eine lange Ballade sein, die er in großen Hallen vortrug und die in allen, die zuhörten, den Wunsch erweckte, sie selbst hätten hier gestanden unter dem Banner der freien Völker. Jeder Einzelne, der in dieser Stunde gekämpft hatte, hätte es gewiß verdient.
Der Wald brannte nun lichterloh, der Boden war übersät von Asche, Rüstungen, Schilden, Stoffetzen und Staub.
Ich mußte meinen Schutzhort verlassen, selbst wenn die offene Lichtung, die die Schneise geschaffen hatte, ein Ort des Verderbens war, so gab es nun keine andere Zuflucht mehr. Ich hatte Yhared aus den Augen verloren, obgleich ich mich immer bemüht hatte, ihm zu folgen. Und dennoch schien er plötzlich überall zu sein. Sein Gesicht huschte wie ein Schatten über die Lichtung, verschwand und tauchte irgendwo zwischen den Bäumen wieder auf; wo er noch kein schwarzes Licht entzündet hatte, da tat er es jetzt. Das Messer in meiner Hand kam mir kaum wehrhafter vor, als hätte ich mit einer Feder gefochten, doch war es alles, das ich nach meiner langen Reise bei mir trug. Seine Stiche hatten keinen Feind zu Fall gebracht, ihn nur geschwächt und aufgehalten, bevor ein Speer oder ein Pfeil sein tödliches Handwerk an ihm verrichtete.
Aegmar sammelte das Heer nun mitten auf dem Feld, verweilte dort aber nicht. Die Luft war immer noch kalt und mit Dunkelheit erfüllt, doch der Wald brannte in unbändiger Hitze. Eine letzte Entscheidung würde nun fallen, und ich sah, wie Aegmar sich langsam umblickte. Er suchte Aneawins Gesicht, er suchte Tinuveens Augen, er suchte nach Therowigs Nähe. In allen Gesichtern begann er zu lesen. Und als er meinen Blick traf und sich seine Augen für einen Moment mit Überraschung füllten, da hob er plötzlich den Arm und ließ ihn niedersausen: das Schwert in seiner Hand schlug hart in den Boden ein und die Spitze seiner Klinge zeigte nach Süden, der Schar der Zauberer entgegen, die sich nun ebenfalls zum letzten Male sammelte. Die Entscheidung war gefallen und das letzte Aufbäumen hatte begonnen.
Aegmar stürmte los, just, als die ersten Bäume unter der Last der Flammen zusammenbrachen und einknickten. Und ich hörte Yhared aufschreien vor Wut und Verachtung. Seine Stimme war ganz nah an meinem Ohr und ich fuhr herum. „Kämpft, kämpft, Ihr Hunde!“, brüllte er. Er hob die Hände, seine Stirn war schweißbedeckt, seine Robe zerrissen. „Verbrennt sie, hüllt sie in die Schatten!“, rief er, immer und immer wieder. Ich packte mein Messer fester und wandte mich ihm zu. Noch hatte er mich nicht entdeckt, noch hatte er mich nicht gesehen. Ich spürte, wie mein Gesicht zu einer Maske aus Eis gefror und mir das Herz in der Brust zu einem Stein wurde. Ich biß fest die Zähne aufeinander. Da stand er: nur wenige Armlängen von mir entfernt, seine Augen glühten, seine Hände zitterten. Ich nahm kaum mehr war, was auf der Lichtung zu meiner Linken geschah. Schwerter wurden gehoben, Bögen gespannt und Speere zielten. Graue Roben wehten im Glutwind des Waldes und Beschwörungen wurden gemurmelt, das Ziel waren Herzen und Leiber und Gedanken und Seelen. „Haltet sie auf!“, schrie Yhared abermals. Ich stutzte, denn ich glaubte in seiner Stimme plötzlich Verzweiflung zu hören und für einen Moment lockerte sich mein Griff um das Messer. Yhareds Blick flackerte und er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und über das Gesicht. „Haltet sie auf oder Ihr seid Mordors nicht würdig!“, rief er erneut und ich packte meine Klinge wieder fest, als ich es vernahm. Ich rannte los und hob den Arm zum Streich. Drei Armeslängen, zwei, eine. Ich erreichte ihn und spannte die Muskeln an. Meine Hand schlug nieder, zerteilte die glühende Luft und – verfehlte!
Beinahe fiel ich vornüber und rang um mein Gleichgewicht, als mein Hieb ins Leere ging und sich die Klinge des Messers tief in einen Baumstamm bohrte. Mit einem Aufschrei ließ ich das Messer los, als meine Haut die schwelende Rinde des Baumes berührte. Yhared war fort. Verwirrt sah ich mich um, beschrieb einen Halbkreis um meine eigene Achse und ließ den Blick fieberhaft umher wandern. Dann sah ich ihn. Und auch, wenn ich es kaum zu fassen vermochte, wurde mir bewußt, daß er floh!
Ich sah seinen Schemen zwischen den Bäumen vor mir auftauchen, das Grau seiner Robe war ein dunkler Schatten zwischen dem Glühen des Waldes. Er lief nach Süden, der Sternwarte entgegen. Zornig packte ich den Griff des Messers nun mit beiden Händen und zog mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, daran, bis sich die Klinge aus dem Holz löste. Ich jagte Yhared ein paar Schritte nach und warf mein Messer in verzweifelter Hoffnung. Aber erneut ging es fehl, Yhared war bereits zu weit entfernt.
Er ließ seine Mannen im Stich und schickte sie in den Tod. Beinahe hätte ich Mitleid für sie empfunden, hätten mich nicht im gleichen Augenblick all die Körper, die um mich verstreut lagen, daran erinnert, daß sie es waren, die nicht minder erbarmungslos den Tod gebracht hatten. Ratlos und zornig wandte ich den Kopf um. Die Schlacht war vorbei. Ich sah Aegmar, wie er ein letztes Mal seine Klinge hob und sie niederfahren ließ. Ich schloß die Augen, ich wollte nicht mitansehen, wie er seinen letzten Feind besiegte und sein Leben nahm, so unheilvoll es auch gewesen sein mochte. Ich hatte genug Leid gesehen und genug Schmerz erfahren. Fuirgam und seine Schar brachen auf, um die letzten Zauberer zu verfolgen, die sich nun gewahr wurden, daß ihr Herr sie zurückgelassen hatte. Mochte das Schicksal nun auch für sie entscheiden.
Ich ließ die Arme sinken und spannte mich an. Aegmar trat zurück und sah sich um. Er hob eine Hand und gab ein Zeichen. Obgleich der Wald brannte und immer mehr Äste von den Bäumen brachen und krachend und hell auflodernd auf die Lichtung schlugen, wollte er niemanden zurücklassen, der verwundet war und noch lebte. Hastig und getrieben von höchster Eile ging er von Körper zu Körper, legte Hände auf und suchte nach Zeichen für Leben, das gerettet werden konnte. Er atmete schwer und ich wußte, daß es nicht mehr viel gab, das ihn noch aufrecht hielt.
Doch ich konnte mich ihm nicht anschließen. Ich konnte nicht gehen und ihm helfend zur Seite stehen. Mein Blick wandte sich wieder gen Süden, wo irgendwo auf den Hügeln die alte Sternwarte von Minas Gíl stand. Es war noch nicht vorbei, nicht für mich. Ich hatte in dieser Schlacht keine große Tat vollbracht, ich hatte mich nicht gerächt. Ich war keine Kriegerin. Aber es gab noch etwas für mich zu tun. Ich war geblieben, weil ich meinen Gefährten beistehen wollte. Und wenn ich das wirklich wollte, dann mußte ich den finden, der entkommen war: Yhared.
Ich trat auf die Lichtung und orientierte mich für einen Moment. Süden. Nach Süden mußte ich. Es mußte etwa eine Meile sein, bis ich wieder nach Minas Gíl kam, zu dem Ort, an den ich nie wieder zurückkehren wollte. Ich hob die Spitze eines zerbrochenen Speeres auf, der zwischen meinen Füßen lag, und drehte mich um, um meinen letzten Weg anzutreten. Doch erschrocken sprang ich einen Schritt zurück, als plötzlich eine aufgebrachte Gestalt an mir vorbei jagte und mich beinahe umriß.
Ich war nicht die Einzige, die Yhareds Flucht bemerkt hatte. Es gab noch jemanden, der ihm nun nachsetzte und ihn verfolgen würde. Nein, wir waren noch nicht am Ende, die letzte Strophe für das Lied des Barden fehlte noch. „Therowig!“, rief ich ihm laut nach, doch er hörte mich nicht.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:06von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
In diesem Moment ebbte der Wind ab. Hatte er zuvor Rauch und dunklen Qualm, den das Feuer verursachte, hinauf in den Himmel getragen, so drückte er ihn jetzt nieder zu Boden. Wie Nebel hing der Dunst der Flammen zwischen den Bäumen und meine Augen begannen zu tränen. Husten quälte mich und ich schlug mir eine Hand vor den Mund, um die Asche nicht einzuatmen, die nun wolkengleich um mich herumschwebte. Ich hörte Rufe hinter mir, Aegmar versammelte das Heer und befahl den Rückzug nach Emyn Lûm. Wo er nicht mehr helfen konnte, so mußte er die Gefallenen zurücklassen. Und wo er es doch noch hätte tun können, so mußte er die Entscheidung treffen, es nicht zu tun, um nicht selbst unterzugehen. Es war ein bitterer Sieg, den er in Händen hielt – doch ihn nun verschenken würde er um keinen Preis.
Hastig blickte ich wieder nach Süden. “Therowig!”, rief ich erneut, mit der letzten reinen Luft in meiner Lunge, dann mußte auch ich mich entscheiden. Ich rannte los. Mit der Rechten umklammerte ich fest den abgebrochenen Speer und schloß ihn in meine Faust, den linken Arm preßte ich mir vor Mund und Nase. Ich wollte den Gestank des brennenden Waldes nicht einatmen.
Ich war schneller als Therowig, und bis auf wenige Schritt holte ich ihn irgendwann ein. Heftig packte er sein Schwert mit beiden Händen und schlug einen lodernden Ast zur Seite, der von einem Baum brach und ächzend auf ihn niederstürzte. Funken stieben auf und das Feuer schnappte nach ihm, doch sein Hieb entzweite ihn und das glimmende Holz versengte ihn nicht. Gefährlich tief beugten die Bäume nun ihre Häupter und immer wieder rieselten Zweige und glühendes Blattwerk zu Boden.
Therowig lief unbeirrt weiter, sprang über umgestürzte Bäume hinweg, wich jenen aus, die nach ihm schlugen, bevor sie zusammenfielen wie ein Stapel aus altem Heu.
Ich mußte einen großen Bogen machen und verlor ihn für Momente aus den Augen. Mein Herz beantwortete meine Sorge mit schmerzhaftem Pochen und meine Lunge brannte. Ich mußte aus diesem Wald hinaus, der nun wie ein letzter Schutzschild zwischen Yhared und mir stand.
Endlos schien der Weg zu sein, endlos und schwer. Nur in wenigen Augenblicken stahl sich der blaue Himmel über mir genügend Zeit, um mich mit Hoffnung zu erfüllen, bevor er wieder hinter der Wand aus grauem Rauch verschwand.
“Bleib stehen, elender Feigling!”, hörte ich Therowig brüllen, außer sich. Dann vernahm ich wieder seine Klinge, die sich tief in totes Holz bohrte, das seinen Weg versperrte. Mein Herz schlug abermals schneller. “Du mußt Dich beruhigen!”, flüsterte ich, laut rufen konnte ich es nicht. Mein Atem war zu kurz und zu flach. Der Nebel verschluckte nun die Bäume und es war kaum mehr auszumachen, wohin ich lief. Ich konzentrierte mich, um nicht die Richtung zu verlieren; wenn ich das tat, dann wußte ich, daß auch ich verschluckt werden würde. Fester preßte ich den Arm vor mein Gesicht und atmete tief gegen den Stoff meines Hemdes. Meine Augen tränten stärker und die Welt hüllte sich langsam in einen Schleier aus Wasser. Und wäre ich nicht in diesem Augenblick ins Freie getaumelt und hätte nicht endlich frischere und saubere Luft mein Antlitz berührt, dann, bei Elendil, hätte ich keinen weiteren Schritt mehr tun können!
Hustend schnappte ich nach Luft und rieb mir die Augen, blieb für wenige Wimpernschläge stehen und hielt inne. Meine Sicht klärte sich nur langsam und als ich ein paar Schritte tat, spürte ich, wie der Boden unter meinen Füßen hart wurde und in altes Straßenpflaster überging. Der Weg stieg an, und als ich den Kopf hob, blickte ich geradewegs in den dunklen Schlund des Tores von Minas Gîl.
“Thero...”, flüsterte ich ein letztes Mal, als ich sah, wie die Dunkelheit hinter der Pforte ihn vor meinen Augen verschluckte. Ich wechselte den Speerkopf in die andere Hand – und dann lief ich ihm nach.
Ich mußte mich zwingen, meinen Schritt zu verlangsamen, als ich in das Innere der Sternwarte trat. Kerzen brannten an den Wänden in goldenen Halterungen und flackerten träge im Luftstrom, der durch das offenstehende Tor eindrang. Der kostbare Teppich, der den steinernen Boden bedeckt hatte, lag aufgestaut und verschoben an beiden Seiten der breiten Eingangshalle. Dutzende Füße hatten ihn unachtsam zertrampelt und zerdrückt, als sie die Feste verlassen hatten, um für ihren dunklen Herren in die Schlacht zu ziehen. Ich ging vorsichtig weiter, und als ich den Hauptsaal erreichte, da sah ich, daß er vollkommen leer war. Die hohe Decke der Halle starrte verlassen auf mich nieder und in ihren Aufgängen und auf den Galerien wohnte die Einsamkeit. Ich sah mich um und drängte mich an die Wand, wo eine Säule ihren Schatten an das Gemäuer warf. Wieder atmete ich tief durch. Dann vernahm ich das Echo, das plötzlich durch das Gebäude dröhnte.
Es waren Schritte, hastig und schwer. Stiefel, die auf Stein schlugen und in jagender Eile von Stufe zu Stufe sprangen auf einer der oberen Treppen. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf. Der Atem gefror mir in der Kehle. Ich erblickte Yhared, der hoch über mir auf dem obersten Absatz der Treppe stand, die auf das Dach des Turmes führte. Er streckte einen Arm aus und seine Finger deuteten auf Therowig, der nur wenige Schritt von ihm entfernt seine Klinge packte und langsam anhob. “Bleib zurück, Pferdeknecht – oder ich verspreche Dir: das, was Du bis jetzt gesehen hast, war noch gar nichts!”, sprach Yhared und bleckte die Zähne, sein Blick heftete sich verächtlich auf Therowig.
Augenblicklich stieß ich mich von der Wand ab und sprang auf die Treppe. Zwei, drei, vier Stockwerke über mir hörte ich Therowig aufknurren, wie das Grollen eines Wolfes hallte es von den Wänden wider. Er beachtete Yhareds Warnung nicht und kam ihm langsam näher, sein Schwert hob sich weiter. Ich rannte nun die Treppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und mein Atem ging keuchend. Das Gleichgewicht drohte ich zu verlieren, doch ich wußte, ich war immer noch nicht schnell genug. Hitze stieg in meine Wangen und ich öffnete meinen Mund, griff hastig nach dem Geländer zu meiner Rechten, als Yhared die ausgestreckte Hand zu einer Faust ballte und unter drohenden, geflüsterten Worten einen Halbkreis mit dem Arm beschrieb. Die Treppe erzitterte und ein Steinbrocken löste sich aus der Balustrade der obersten Galerie. Ich schlug hin und stieß mich an der harten Kante der Treppe, als ich einen Satz nach vorn machte, um ihm auszuweichen. Keine Handbreit hinter mir donnerte das Mauerstück auf die Treppe und hinterließ ein klaffendes Loch, als es weiter in die Tiefe stürzte und auf dem Boden der Halle zerschellte. Der Speerkopf, den ich bei mir getragen hatte, folgte polternd.
Ich sog hart die Luft ein und riß den Kopf nach oben, auch Therowig war gestürzt, suchte mit der Hand nach seinem Schwert und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Yhared war fort. Er war durch eine Tür geschlüpft, die hinauf auf die Turmspitze führte und hatte sie krachend hinter sich zugeworfen!
Therowig war vor mir wieder auf den Füßen und warf sich nun mit einem ärgerlichen Aufschrei gegen das schwere Holz der Pforte. Für einen kurzen Moment atmete ich auf, Yhareds erneute Flucht würde mir die nötige Zeit verschaffen, die ich brauchte, um Therowig zu erreichen.
Die Muskeln in meinen Beinen begannen zu schmerzen, als ich mich mühevoll aufrichtete und mich am Geländer in die Höhe zog. Als ich auftrat, durchzuckte ein stechender Schmerz mein Fußgelenk, doch ich biß die Zähne zusammen und humpelte vorwärts. Nur weiter. Nur immer weiter hinauf!
“Therowig!”, stieß ich atemlos aus, als ich ihn endlich erreichte. Unter mir gähnte die große Halle und die lange, gebogene Treppe der Sternwarte schien der einzige Pfad zu sein, der über einen abscheulichen Abgrund voller Unheil führte. Therowig hämmerte mit dem Knauf seines Schwertes auf das Türschloß der Pforte ein. Es hing schief und nur noch ein weiterer Hieb, vielleicht zwei, würden es zum Bersten bringen. Er hielt inne, als er mich erkannte. Blut klebte auf seiner Stirn und seine Züge wirkten erschöpft. Er war nach der langen Schlacht dem Tod näher als dem Leben, hätte nicht diese unbändige Wut in ihm gebrannt. Die Wut, die ich vertreiben mußte. Genausogut hätte ich einen Drachen davon abhalten mögen, Feuer zu speien, wenn er sich bedroht fühlte – doch versuchen mußte ich es. Ich hob die Hände. “Bitte, beruhige Dich!”, sagte ich und sah ihn an. Seine Brauen zogen sich zusammen und er schüttelte nur den Kopf, hieb dann weiter auf das Türschloß ein. Ich griff nach seinem Arm. “Bitte! Du mußt Deinen Zorn bezwingen!”, sprach ich erneut. “Das glaubst Du doch wohl nicht, daß ich das tun werde, nicht nach allem, was dieser....”, herrschte er mich an, besann sich dann aber seiner Worte. “Was tust Du überhaupt hier? Geh, Nariena!”, fuhr er fort, ließ das Schwert aber wieder für einen Augenblick sinken. “Du darfst nicht mehr wütend sein, Therowig. Yhared wird nach Deinem Zorn greifen und ihn in Furcht wandeln, er wird sich Deines Geistes und Deines Willens bemächtigen, wenn Du Dich nicht bezwingst. Verstehst Du nicht? Aegmar hat das erkannt, nur so konnte er sich Yhared erneut entgegen stellen, ohne zu versagen. Handle nicht durch Deine Gefühle und lasse Deinen Verstand dadurch ungeschützt!”, erklärte ich hastig. Therowig sah mich dunkel an, sein Brustkorb hob sich und seine Rippen zeichneten sich für einen Moment an seinem Hemd ab, als er tief durchatmete. Funkelnd war sein Blick, doch mir schien, daß er um seine Fassung rang und ich ließ langsam seinen Arm los. “Ich werde ihn nicht davon kommen lassen....”, sagte er und ich nickte. “Ich will auch nicht, daß er entkommt.”, erwiderte ich. Therowig ließ die Augen über mein Gesicht wandern, dann wandte er sich plötzlich ab und bevor ich ihn erneut daran hindern konnte, hieb er ein letztes Mal mit dem Schwertknauf nach dem Schloß und es löste sich aus der Tür. Klackernd fiel es zu Boden und Therowig stieß mit einem harten Tritt die Pforte auf.
Wind blies uns entgegen und trieb uns das Haar in die Stirn. In der Ferne senkte sich der Nachmittagshimmel dem Abend entgegen und der Rauch, der noch über den brennenden Bäumen unter uns hing, tauchte die Welt in ein graues Zwielicht. Yhared stand auf der anderen Seite einer weiten Terrasse und fuhr herum, als die Tür aufgestoßen wurde und krachend gegen die äußere Turmwand schlug. Ich griff wieder nach Therowigs Arm, doch er war schon auf die Terrasse hinaus gestürmt und meine Fingerspitzen streiften nur noch das Hemd an seinem Rücken. Ein Lichtblitz zerriß das Dämmerlicht vor mir und ich wandte kurz den Kopf ab. Yhared hatte die Hände empor gerissen und ich sah, wie Therowig zur Seite stürzte. Er rollte sich ab, doch seine Bewegung war langsam und er zahlte den Tribut an seine Erschöpfung, als er unsanft auf der Seite landete und das Gesicht verzog. Zitternd griff er wieder nach der Klinge, die er verloren hatte, als Yhared plötzlich einen hastigen Schritt vortat, auf Therowig zueilte und noch bevor dieser das Schwert erheben konnte, einen Fuß darauf stellte, so daß es mit einem metallischen Kratzen wieder auf den Stein der Terrasse gepreßt wurde. Therowig griff nach seinem Handgelenk und stöhnte auf, dann warf er sich herum und sprang auf die Füße. Er hatte seine Klinge verloren, aber er war nicht wehrlos. Ich sah, wie sich die Muskeln in seiner Schulter anspannten, seine Faust sich ballte und er dann zu einem mächtigen Hieb ausholte.
Yhared wurde zurückgeworfen, als der Schlag ihn am Kieferknochen traf. Er krümmte sich, beugte sich vornüber und spuckte Blut aus. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und er fuhr sich mit dem Handrücken darüber. “Pferdeknechte und Raufbolde, nichts anderes sind die Rohirrim!”, knurrte er und richtete sich dann auf. Therowig quittierte Yhareds Ausspruch nur mit einem Nicken, dann griff er hastig nach seinem Schwert und hob es auf. Ich atmete tief aus, als ich ein Brennen in meiner Lunge spürte. Zu lange hatte ich die Luft angehalten, zu lange war ich erstarrt gewesen, doch nun löste sich mein Schrecken endlich, als Therowig sich langsam zurückzog. “Vielleicht hast Du Recht, Yhared. Vielleicht sind wir nichts anderes als das, aber es ist immer noch mehr als Du bist!”, antwortete er. Seine Stimme bebte, aber sie war leise und gefaßt.
Yhared fuhr sich erneut über den Mundwinkel und betrachtete dann verächtlich das Blut auf seinem Handrücken. “Sogar ein Mädchen mußt Du Dir zur Unterstützung mitbringen, traust Du Dich nicht mir allein gegenüber zu treten?”, meinte Yhared dann und sein Blick fiel auf mich. Ich biß die Zähne zusammen. Auch Therowig drehte sich nun zu mir um. “Laß sie da heraus!”, rief er aus und faßte das Schwert wieder mit beiden Händen. Seine Augen richteten sich wieder auf den Zauberer und Yhared lachte auf. “Sie herauslassen? Ihretwegen sind wir doch beide hier!”, keifte er. “Beim großen Auge, es wird mir ein Vergnügen sein, sie zuerst zu ihren Ahnen zu schicken und Dich dabei zusehen zu lassen, edler Streiter Rohans!”, rief er und deutete auf mich. Er streckte die Hand aus und ein Leuchten begann seine Finger zu umschließen. Es wurde heller, und dann glomm in seiner Handfläche ein Funke auf, den er mit Worten beschwor, die ich nicht verstand. Aber der Funke wuchs und wurde zu einer kleinen Flamme. Er verfärbte sich dunkel und dann riß Yhared die Hand plötzlich weit nach oben und die Flamme zeigte auf mich. Therowig knurrte auf und stürzte sich auf Yhared. “Nicht!”, schrie ich, doch es war zu spät.
Therowig schlug nach Yhareds Arm, der Zauberer aber zog im letzten Augenblick die Hand zurück an seinen Leib und tauchte unter dem Hieb weg. Das Schwert streifte seine Robe und hinterließ einen langen, klaffenden Riß in dem glänzenden Stoff. Es streifte Yhareds Oberarm und schlug dann singend mit der Spitze in den harten Stein des Bodes. Yhared griff in sein Gewand und zog einen Dolch hervor. Es war mein Dolch, ich erkannte ihn ganz deutlich! Therowig hob sofort wieder das Schwert und bedrängte Yhared erneut. Diesmal schlug Metall auf Metall und ein Funke flog hinaus in den grauen Abendhimmel. Yhared konnte die Wucht des Schwertes nicht lange parieren und taumelte einen Schritt zurück, er ließ den Dolch an der Klinge des Schwertes abgleiten und sprang zur Seite. Doch er hatte kaum Zeit, sich einen Schritt von seinem Gegner zu entfernen und wenigstens einen winzigen Moment der Sicherheit zu genießen, denn Therowig griff ihn sofort wieder an. Sein Gesicht verzog sich grimmig und ich streckte hilflos die Hände aus und schüttelte den Kopf.
Es geschah, was ich um jeden Preis hatte verhindern wollen: Therowigs Wut keimte erneut auf, als sein Feind ihm wieder und wieder entkam; sich jedem Streich entzog und flink einen Tanz begann, dem Therowig nicht lange folgen konnte.
Yhared umkreiste ihn schließlich wie eine Motte eine Kerze, deren Licht sie verführt und um deren Gefahr sie dennoch weiß. Er ist wie ich, schoß es mir durch den Kopf. Er hatte gelernt, mit Schnelligkeit zu kämpfen, mit Geschick, nicht mit Kraft. Er stach nach seinem Gegner, lockte ihn, wehrte ihn anschließend ab. Und obgleich das große Schwert in Therowigs Händen ihn streifte und immer wieder verletzte, so war kein Streich darunter, der ihn zu Fall zu bringen vermochte. Noch nicht.
Minutenlang währte der Kampf in jenem Reigen, der nicht entschieden werden konnte. Yhared reizte Therowig und so sehr dieser sich bemühte, diesem Spiel zu entkommen und seine Fassung zu bewahren, so sehr scheiterte er daran. Sie waren so unterschiedlich, wie zwei Wesen nur sein konnten – und doch waren sie sich ebenbürtig. Yhareds Blick wanderte immer wieder zu mir und der meine heftete sich auf den Dolch in seiner Hand. Bei Elendil, wie sehr wollte ich ihm diese Klinge entreißen und sie ihm in den Leib stoßen! Doch ich konnte nichts tun, gar nichts. Ich konnte nur zusehen und ein Lächeln, das sich nun auf Yhareds Gesicht legte, zeigte mir, daß er genau das genoß. Ich spürte, wie auch in mir der Zorn zu lodern begann und dann knurrte Therowig plötzlich auf, stieß Yhared ein letztes Mal zurück und hob eine Hand an seine Schläfe. Eisige Finger griffen nach mir und legten sich an meine Kehle. Yhared richtete sich auf und ließ die Arme sinken, nur eine Hand hob er leicht an. Er wandte sich Therowig zu. “Du verlierst den Kopf, Rohirrim.”, sprach er dunkel. Ich ballte die Hände zu Fäusten und wagte mich vor. Die Kälte in mir wurde stärker, als ich sah, daß Therowigs Blick glasig zu werden begann. Seine Schwerthand zitterte und er konnte die Klinge nicht mehr heben, als wäre all seine Kraft aus seinem Arm gewichen. Wieder griff er sich an die Schläfe und schüttelte das Haupt, doch es war zu spät.
Seine Wut hatte die Oberhand in ihm gewonnen, seine Verachtung seinen Verstand überrannt und Yhared hatte danach gegriffen. “Runter mit Dir...”, knurrte er und seine Hand senkte sich. Therowig brach in die Knie, sein Gesicht verzog sich schmerzhaft und ich schlug die Hände vor die Brust, als könnte ich so mein Herz vor dem nächsten Schlag bewahren, der wie ein Donnerhall durch meinen Leib fuhr.
“Hör auf!”, rief ich aus und eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel. Ich machte noch einen Schritt auf Yhared zu. “Aufhören? Warum? Dein Freund hier ist nichts weiter als ein roher, grober Stein, dem ich jetzt ein paar Manieren beibringe!”, erwiderte er. Therowigs Haupt sackte auf seine Brust, seine Finger lösten sich langsam vom Griff seines Schwertes. “Das ist er nicht!”, widersprach ich. Yhared hob die Augenbrauen und wandte sich dann seiner Robe zu, die oberhalb seines rechten Armes aufgeschlitzt war. Ein Schnitt zog sich darunter feuerrot über seine Haut. Er betrachtete die Wunde mit Argwohn, drehte dann den Kopf und holte aus.
Zu schnell um es in jener Sekunde zu begreifen, in der es geschah, ließ er den Dolch in seiner Hand niederfahren und die feine, scharfe Klinge brannte ein Zeichen der Vergeltung in Therowigs Arm. Ich schrie erschrocken auf. Therowig zuckte nur kurz zusammen, sein Gesicht war immer noch verzerrt, sein Blick abwesend, als kämpfte er weiter gegen die Kraft an, die seinen Willen gefangen hielt. Yhared trat an ihn heran und griff in sein Haar, bog seinen Kopf zurück und starrte ihn an. “Laß Dein Schwert los, Pferdeknecht...”, preßte er drohend hervor. Er hob den Dolch und nun wurde die Kälte in meinen Gliedern zu gefrierendem Eis. Furcht überkam mich und sie war stärker als alles, was ich bisher in Yhareds Gegenwart gespürt hatte.
Kaum wahrnehmbar jedoch, und nur wie ein Schatten, der einen Wimpernschlag lang währte, bevor ihn die Sonne verschlang, schüttelte Therowig den Kopf. “Laß – es – los!”, wiederholte Yhared und der Dolch legte sich an Therowigs Kehle. Ich keuchte, als Therowig abermals das Haupt schüttelte. Yhared suchte seinen Blick, weitete die Augen und alle Zauberkunst, die ihm innewohnte, all sein schwarzes Wissen und seine Macht richtete sich nun auf seinen Feind. Er starrte Therowig an mit aller Abscheu, die er aufzubringen vermochte. Er nahm nicht wahr, daß sich Therowigs Hand langsam wieder um den Schwertknauf zu schließen begann. Doch ich sah es. Ja, ich sah es und die Furcht, die mir die Kehle zuschnürte und mir den Atem nahm, ließ nach. Ich spürte meine Hände freier werden, meine Füße sich lösen und meine Erstarrung schwinden. Ich sah nur noch auf Therowigs Hand, die sich nun fest zusammenzog. So fest, daß das Blut aus seinen Fingern wich und seine Handknöchel weiß anliefen. Yhared griff erneut in Therowigs Haar und zwang seinen Kopf in den Nacken, die Schneide des Dolches an seinem Hals forderte einen winzigen Blutstropfen ein. Und als Yhared abermals ansetzen, als er seine letzte Aufforderung aussprechen wollte, die Therowig dazu bringen sollte, sich zu ergeben und sich dem Schicksal zu fügen, daß sein Feind für ihn ersonnen hatte – da schnellte seine Faust plötzlich in die Höhe und der Schwertgriff traf Yhared mit solch gewaltiger Wucht unter dem Kinn, daß seine Kiefer hart zusammenschlugen und er zurücktaumelte. Er ließ Therowig los und wandte sich ab, die Hände an sein Gesicht reißend. Doch schon drehte er sich wieder um, sein Blick ein Meer aus Flammen voller Haß.
Dies war der Moment, auf den ich all die Tage und Wochen gewartet zu haben schien. Dies war der Augenblick, in dem ich zu Ende bringen würde, was ich begonnen hatte. Therowig war immer noch auf den Knien, benommen versuchte er, sich aufzurichten und den Händen des Zauberers zu entgehen, die wieder nach ihm zu greifen begannen. Ich verdrängte den Schmerz aus meinem Knöchel, als ich mich sammelte, streckte und dann vom Boden abstieß. Ich sprang. Krallengleich fanden meine Finger Halt in Yhareds Gewand und ich preßte mich mit meinem gesamten Gewicht gegen ihn, drängte ihn zurück und schob meinen Fuß hinter seine Wade, bevor ich mich absacken ließ, um uns beide zu Fall zu bringen.
Doch Yhared griff ebenfalls nach mir, bekam einen Arm frei und streckte ihn aus, um sein Gleichgewicht zu wahren. Hilflos begann er zu rudern und taumelte. Ein Schritt, zwei Schritt tat er überrascht zurück und versuchte mich abzuschütteln. Doch ich hielt ihn fest und drängte mich weiter gegen ihn, zerrte an ihm, versuchte ihn umzureißen. Tiefer schlug ich die Finger in seine Seite, bis die Nägel über seine Haut kratzten und sie aufrissen. “Katze!”, stöhnte er. Er hob ein Knie, um mich zu treten und sich endlich zu befreien, doch eisern umklammerte ich ihn. Da war nichts mehr in mir, als jener eine Gedanke, Yhared von den Füßen zu bringen. Auch als Therowig hinter mir plötzlich entsetzt aufschrie, nahm ich seine Warnung nur verschwommen und in weiter Ferne wahr. “Nariena! Vorsicht!”, gellte es in meinen Ohren wider, doch ich hörte es kaum, denn da war noch ein anderer Klang in mir. Ein Lachen. Mein Lachen, als ich spürte, wie Yhared endlich fiel.
Sein Leib gab nach, das Gewicht, gegen das ich mich gestemmt hatte, verschwand; es entglitt mir wie Sand, der durch meine Finger rann und unwiderbringlich verloren ging. Yhared stürzte. Und dann stürzte auch ich, als wir den Rand der Terrasse erreicht hatten und es keine Wand und keine Mauer mehr gab, die uns aufhalten konnte!
Mit einem erschrockenen Aufschrei kam ich zu mir und meine Gedanken klärten sich mit einem gewaltigen Schlag, als sei endlich eine undurchdringliche Nebelwand von einem tosenden Sturm vertrieben worden. Ich sah den Himmel, dann sah ich den Boden. Ich sah die Bäume, die sich drehten und an meinem Augenwinkel vorbeirasten. Ich sah Yhareds Gesicht, das sich verwundert und verärgert zugleich von mir entfernte und von einem verzehrendem Sog in die Tiefe gerissen wurde. Ich tat einen Atemzug, erleichtert und doch verzweifelt. Siegreich und doch besiegt. Und ich dankte Elendil, daß ich endlich getan hatte, weswegen ich gekommen war – auch wenn es nun mein Leben beenden mochte. Ich schloß die Augen und wartete. Ich wartete auf den Aufprall und den Schmerz in meinem Kopf, der vermutlich das Letzte war, das ich noch spüren würde.
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV
in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:07von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge
Doch der Schmerz kam nicht. Der Aufprall kam nicht. Jedenfalls nicht an meinem Kopf, wo ich ihn so tapfer wie möglich zu erwarten versucht hatte. Mit einem dumpfen Laut, der mir die Luft aus der Lunge preßte, schlug ich plötzlich mit der Schulter gegen die Wand des Turms. Ein stechendes Reißen zuckte durch meinen linken Arm und mir wurde für einen Augenblick schwindelig. Ein Lichtblitz zuckte an meinem inneren Auge vorbei und ich mußte blinzeln. Vor Schmerz und auch vor Erstaunen. Meine Füße griffen ins Nichts und ich hatte keinen Halt, ich zappelte hilflos wie ein Fisch an einer Angel und ein erschrockener Schrei entrang sich meiner Kehle. “Nariena! Halt Dich fest!”, hörte ich Therowigs Stimme. Sie war irgendwo über mir, aber ich vernahm sie nun deutlich. Ich sah auf, verstört und benommen durch den Schmerz in meinem Arm, der nun auch in meiner Schulter zu glühen begann. Therowigs Gesicht erschien über dem Rand der Terrasse, seine Augen waren geweitet und so voller Sorge und Furcht, daß ich spürte, wie es mich tief in meinem Herzen berührte. Ich spürte eine liebevolle Wärme in mir aufsteigen und für einen Moment vergaß ich die Pein, die mich zu zerreißen drohte. Ich wurde vollkommen ruhig und betrachtete Therowigs Hand, die meinen Unterarm umklammerte und mich hielt. “Es ist gut, Therowig.”, flüsterte ich und tat einen langen Atemzug. Er war friedvoll und ergeben an das, was mir nun unvermeidlich erschien. Er aber schüttelte den Kopf. “Es ist nicht gut! Also halt Dich an mir fest und laß, bei Helm Hammerhand, NICHT MEINEN ARM LOS!”, rief er aus. Ich seufzte erneut und blickte an mir hinab, tief unter mir gähnte tödlich der schwarze Boden und ein verschwommener, grauer Fleck zierte ihn wie ein Streif von Sternenlicht, der die Nacht erhellt. Yhared.
Therowigs Hand schloß sich fester um meinen Unterarm und ich kniff die Augen zusammen, als der Schmerz lähmend und unerbitttlich zurückkehrte. “Ich kann nicht...”, preßte ich hervor. “Doch, Du KANNST!”, herrschte Therowig mich an und ich stöhnte auf, als er mich ein Stück nach oben zog und meine Schulter an der steinernen Wand des Turms vorbeischleifte. Ich versuchte mit den Fingern auch seinen Arm zu fassen, spürte die Adern, die angespannt unter seiner Haut hervortraten, spürte sogar die zackenförmige Narbe an seinem Unterarm, doch ich glitt immer wieder ab. Meine Handfläche war klamm und ich hatte keine Kraft mehr. Wieder zog er an mir, wieder dachte ich, daß mein Arm sich von meiner Schulter trennen würde. Tränen schossen mir in die Augen und ich schloß sie. “Ich werde Dich NICHT fallen lassen...bei meinen Ahnen und allem, was mir teuer ist...ich werde Dich nicht loslassen!”, flüsterte er. “Hilf mir doch, bei Eorl! Versuch einen Fuß irgendwo zwischen den Steinen in die Mauer zu setzen!” Wie blind versuchte ich Therowig zu gehorchen und obgleich ich mir immer noch vorkam wie ein Fisch, der hilflos an einem Stecken um sein Leben kämpfte, hob ich einen Fuß und bemühte mich, einen Halt zu finden. Es war ein winziger Halt, nicht breiter als ein Finger, doch er reichte aus. Ich entspannte mich leicht, mein Körper fand Ruhe und ich atmete tief durch. Hoffnung war wieder in mir und die Reue darüber, sie jemals verloren zu haben – denn ich war nicht allein. Therowig war immer noch bei mir...
Er packte abermals zu und ich stieß plötzlich mit dem Kopf gegen einen kleinen Vorsprung; dort, wo die Turmspitze in den Abgrund mündete. Ich streckte meinen freien Arm aus und griff zu, meine Finger schlidderten über rauen Fels, doch ich packte ihn, bis Blut unter meinen Fingernägeln hervorquoll. Ein letzter, verzweifelter Ruck, eine harte Kante, die sich in meine Rippen drückte und sie zusammenpreßte – und dann fiel ich vornüber auf harten, Jahrtausende alten Boden, der noch nie gewichen und nie geschliffen worden war, ganz gleich, was über ihn gekommen war. Weder Herbststurm, noch Winterregen, noch sengende Sommersonne hatten ihn gespalten und besiegt. Und besiegt – das war auch ich nicht. Therowig richtete mich behutsam auf, seine Hände legten sich an mein Gesicht und atemlos strich er mir das Haar aus der Stirn. Ich legte eine Hand auf meine schmerzende Seite, dann vergrub ich das Gesicht an seiner Brust und atmete seine Wärme. Seine Arme umschlossen mich fest. Er hatte mich nicht losgelassen. Er war mein Licht in den dunklen Stunden dieser unheilvollen Zeit.
Epilog:
http://www.youtube.com/watch?v=ZQUNzYzHcA0
Behutsam schloß ich die Hände um die Teetasse, als ich durch die Pforte des Quartiers in den Innenhof der Festung von Emyn Lûm trat. Ich wollte nichts von dem heißen und wohltuenden Inhalt verschütten und ging langsam und bedächtig über die weiten Steinplatten, bis ich das Westtor erreicht hatte. Der Himmel war grau und wolkenverhangen und doch glitzerte dieser Morgen in einem hellen und freundlichen Licht. Es hatte geschneit in der Nacht und das Land war von einem weißen Schleier bedeckt, der alle Narben durch Leid und Pein auf seinem Rücken unter sich begrub. Rasch waren die Tage kühler geworden, nachdem die Schlacht von Minas Gîl vorüber gewesen war. Der Winter hatte nun endgültig Einzug gehalten in den Wäldern und alle Lebewesen zurück in ihre Bauten gedrängt. Es war eine Zeit des Luftholens und des Durchatmens, obgleich der Anschein von Frieden nur ein trügerischer war.
Eine schmale Steintreppe führte an der Mauer entlang auf die Zinne, die sich über das breite Tor ergoß und einen weiten Blick über den Wald erlaubte. Die Sonne war gerade aufgegangen und noch schlief die große Feste der Elben unter mir. Ich hob die Hände und trug die Tasse vor mir her wie ein kostbares Kleinod, bis ich sicher den Wehrgang auf der Zinne erreicht hatte und mich schließlich nach rechts wandte. Das lange Wollkleid, das ich trug, schleifte hinter mir durch den Schnee und das gefrorene Weiß knirschte unter meinen Schuhen. Als ich Therowig erreichte, der mit dem Rücken an der Mauer lehnte und warmen, dampfenden Atem in seine hohlen Hände blies, blieb ich stehen und reichte ihm vorsichtig die Tasse. Er steckte in einem bodenlangen, dunkelroten Umhang, der einen weichen Pelzkragen hatte und ihn vollständig einhüllte. Als er mich sah, lächelte er knapp, schlug den Umhang kurz zur Seite und ließ mich ein in die Wärme darunter. Ich lehnte mich an seine Schulter und er nahm mir dankend die Tasse mit einer Hand ab, verschloß den schützenden Umhang dann wieder sorgfältig um uns beide.
Therowigs Haar war wieder kurz geschnitten und sein Bart gestutzt, doch hatten seine Augen nichts von der Wachsamkeit und der Wut verloren, die ihnen innewohnten, seit wir nach Emyn Lûm zurückgekehrt waren. Erlebt hatten wir Trauer, gesehen hatten wir den Tod und vollbracht hatten wir Taten, die nicht ungesühnt bleiben würden. Das wußten wir alle. Die Schlacht war vorbei, aber nicht der Krieg.
Therowig trank vorsichtig von dem Tee und löste nicht den Blick von einer Stelle, die er jenseits der Zinne am Horizont beobachtete. Er gähnte verhalten. “Wann ist Deine Wache zu Ende?”, fragte ich ihn leise. “In einer Stunde.”, erwiderte er knapp und legte den Arm um mich. Ich nickte und folgte dann seinem Blick über die Hügel. “Du mußt das nicht tun, das weißt Du.”, sagte ich schließlich und betrachtete das große Schwert, das neben ihm an der Mauer lehnte. Therowig verlagerte leicht sein Gewicht und verzog einen Mundwinkel. Abwesend rieb er sich über die Brust und den Oberarm, wo Verletzungen ihn noch daran erinnerten, wie dunkel die letzten Tage gewesen waren. “Es ist an der Zeit, sich zu erholen, nicht aber, sich auszuruhen. Und wenn es etwas zu tun gibt, dann will ich es auch tun.”, entgegnete er und ich seufzte lautlos. Aber dann lächelte ich. “Ist gut. Ich werde auf Dich warten.”, flüsterte ich und löste mich dann von ihm, schlüpfte aus seinem wärmenden Umhang und stieg die Treppe wieder hinab in den Hof. In der Tat gab es viel zu tun. Und an diesem Abend erwartete uns etwas, das keiner von uns je hatte tun wollen.
Es gab keine Blumen in diesem Teil der Welt. Nicht, weil es Winter war und sich das letzte Grün der Wälder seinem Frost und seiner Kälte ergab, sondern weil es hier vielleicht schon seit Jahrhunderten keine Blumen mehr gegeben hatte, nachdem die Elben den Wald einst verlassen hatten. Ich nahm Tannenzweige und flocht Kränze daraus. Kleine Zweige und Beeren, mit denen ich sie schmückte. Zwölf an der Zahl waren es und sie alle fanden Platz auf einem Grab, nachdem die Sonne untergegangen war.
“Freund.”, sagte Aegmar, als er den ersten kleinen Kranz niederlegte auf der ewigen Stätte, in der nun ein Gefährte schlief. “Freund.”, sprachen wir ihm nach. Elfmal wiederholte er es. Seine Bewegung war mühevoll, denn keineswegs war auch Aegmar bereits erholt. Er stützte sich auf einen Gehstock, um sich aufrecht zu halten. Sein linkes Bein schmerzte und sein Körper war gezeichnet von vielen Brüchen und Wunden, die er sich zugezogen hatte. Doch in uns allen gährte noch ein Schmerz, der tiefer saß und der eine Narbe auf unserem Herzen hinterlassen würde. Am letzten Grab hielt Aegmar eine Weile inne, bevor er sich abwandte und uns der Reihe nach anblickte: Aneawin, Tinuveen, Therowig und mich. Es war Frau Arhaleths Grab. “Freund...”, sagte er ein letztes Mal und jeder, der eine eigene Erinnerung an die Hauptfrau hatte, beschwor sie nun herauf, und nahm Abschied. Ich hatte sie nicht sehr lange gekannt, aber sie war zweimal an der Seite meines Fürsten in den Kampf gezogen und da sie Aegmars Freundin und Gefährtin gewesen war, war sie auch die meine.
Wir verließen die Ruhestätte mit Traurigkeit, aber nicht mit Groll. Die, die nun fort waren, hatten wir beweint; doch für jene, die noch aufrecht in unseren Reihen standen, wollten wir uns freuen.
Es würde ein langer Winter werden, und vielleicht brachte er noch viele solcher Tage.
Aegmar führte uns schließlich zurück in den Saal, in dem wir unser Quartier eingerichtet hatten. Das Feuer in dem großen Kohlebecken in seiner Mitte brannte nun heller und ließ alle Winkel der großen Halle erstrahlen. Noch einen Freund mußten wir missen: Maethruth war ebenfalls nicht mehr bei uns. Er hatte Emyn Lûm verlassen und war nach Lorien zurückgekehrt. “Wenn die Spitze des Speeres immer weiter vordringt, so muß jemand Flanke und Rücken schützen. Wenn der Blick sich nach vorn richtet, so muß ihn einer auch rückwärts tun.”, hatte er gesagt. Und vielleicht hatte er Recht. Der Anblick der zerschundenen Wälder hatte ihm zudem mehr zugesetzt, als er uns hatte wissen lassen. “Aber ich werde irgendwann wieder zu Euch stoßen und den Speer werfen, mitten in das Herz des Übels. Bis dahin werde ich Euer Wächter in der Ferne sein, der den Rückweg offen hält.”, waren seine letzten Worte, bevor er abgereist war.
Er hatte mir einen Brief überlassen, als ich ihm seinen leuchtenden Zwergenstein zurückgeben wollte. Doch er nahm ihn nicht zurück. “Er ist ein Geschenk, behaltet ihn. Die Welt wird sich weiter verdunkeln, so bewahrt jedes Licht, das Euch vergönnt ist.” Sein Brief war ein altes Gedicht, das er für mich übersetzt hatte. Als wir am Feuer in der Halle saßen, schweigend, zog ich es hervor, denn es sagte mehr als unsere zahlreichen Gedanken und Pläne, die wir in diesen Momenten wieder zu fassen begannen. Wir standen am Anfang einer neuen Zeit und nur die erste Stunde war bereits vergangen. Ein Schritt war getan auf einem langen Weg. So begann ich zu lesen und jene Zeilen wurden fortan unser Begleiter an Maethruths Stelle:
Oh Wanderer künftiger Zeiten,
Wirst einst diesen Berg du beschreiten,
Inmitten der schwefligen Schwaden,
Fernab von den Wegen und Pfaden,
Durch karges Gestein und durch feurige Glut,
Verzage nur Niemals, bewahre Dir Mut!
Selbst hier mag Dir Hoffnung begegnen,
Geschicke und Schritte Dir segnen;
Ein gütiger Stern hoch über dem Fels
Mag durch die Weiten des schroffen Gerölls
Sicher dich leiten, um endlich zu finden
Mondene Lettern, die silbern verkünden:
Oh Wanderer künftiger Zeiten,
Wirst einst diesen Berg Du beschreiten,
Gedenke der Könige letzter Reise,
Die Elben und Menschen auf ewig beweise:
Stets wird erneuert ihr Bund hundertfach,
Seit Aiglos zerschellte und Narsil zerbrach.
Wandern würden wir. Das Banner der Faust und der Feder würde nicht verblassen, wo das Licht schwand und dunkle Wolken heraufzogen. Ich hatte darunter nun meinen Platz gefunden. Mochten die Barden endlich dichten und singen und die Geschichte aller Dinge schreiben, die noch geschehen mochten. Ich wünschte mir nur eines, denn das schien mir das Wichtigste zu sein: ich wünschte mir, das jenes Lied, das sich irgendwann in die Welt erheben würde, den einzigen Titel trug, der mir würdig erschien: “Freundschaft”.
~ENDE~
http://www.dailymotion.com/video/x816sy_...omes-home_music
Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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