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Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:48
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

http://www.youtube.com/watch?v=mFD9aQuyJNU&feature=related
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Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

- Der Turm der Zauberer -


Man sieht sich immer zweimal im Leben...
(alte Weisheit oder: einfältiger Spruch)






Wenn man einen Wanderer fragte, wohin er des Weges war, und er antwortete: „Ich gehe nach Bree!“, so riet man ihm meistens, daß er einen guten, festen Mantel mitnehmen möge, denn in Bree regnete und regnete und regnete es. Und wenn der Wanderer dann durch das Breeland kam, so war er dankbar für diesen Rat, denn manchmal schien der Regen wahrhaft kein Ende mehr nehmen zu wollen.
Doch es gab auch Tage, an denen die Sonne schien. Nein, eigentlich schien sie nicht, sie brannte! Und dann wurde es so warm, daß die Luft flimmerte und wogte wie ein Meer unendlicher Hitze. Den Mantel brauchte man dann nicht mehr und und versteckte ihn ganz unten in seinem Gepäck, denn jeder Fetzen Stoff auf der Haut schien dann zuviel zu sein.
Aber wenn man an das Wetter im Breeland gewöhnt war, so war es herrlich. Der Regen war frisch und klar und die Sonne ließ die Blumen auf den Feldern sprießen und wärmte das Herz.

Als der Sommer langsam zur Neige ging und die Bäume schon langsam den Herbst zu begrüßen begannen mit einem rotgoldenen Hauch in ihrem Blattwerk, da schenkte die Sonne dem Breeland noch ein paar ganz besonders prächtige Tage und strahlte in ungebrochener Schönheit auf die Stadt und das grüne Umland herab.
An einem dieser wunderschönen Tage saß ich auf meinem Hosenboden mitten auf dem Hof vor dem großen Haus meines Fürsten und ließ seufzend den Kopf hängen. Aber ich war nicht betrübt. Nein, eigentlich war ich recht fröhlich, es war nur so, daß Therowig mich angestoßen und ich das Gleichgewicht verloren hatte. Ich hörte ihn lachen, dann fiel sein Schatten auf mich und er rammte mit einer kräftigen Bewegung die Spitze seines großen Schwertes knapp neben einem meiner Füße in den staubigen Lehmboden. Dann legte er die Hände auf den Knauf und atmete tief durch. Sein Lachen zauberte winzige Fältchen um seine grüne Augen und er pustete sich das rotbraune Haar aus der verschwitzten Stirn.
„Nochmal! Steh auf!“, rief er mir dann zu. Er hob eine Hand und fuhr sich mit dem Unterarm durch das Gesicht. Sein Oberkörper glänzte und das lange Haar klebte ihm an Schläfen und Nacken fest. Munter sah er mich an, stützte sich noch einmal durchatmend auf seinem Schwert ab und zog es dann wieder aus dem Boden. Behutsam stieß er mit der Spitze meinen Fuß an und drehte sich um. Er entfernte sich ein paar Schritte von mir und ging in Kampfstellung.
Ich seufzte ergeben, sah mich nach der Klinge um, die ich selbst geführt hatte – und die er mir nach einem sehr kurzen Übungskampf bereits wieder entwendet hatte. Sie lag eine Armlänge von mir entfernt auf dem Boden: ein schmales, schlankes Schwert, nicht zu schwer und nicht zu lang, sondern genau passend für eine Dame von nicht allzu großer Gestalt. Therowig hatte es in der Schmiede in Bree erstanden und es mir geschenkt. Nun mußte ich nur noch lernen, wie man damit umging.
Etwas mühsam kam ich wieder auf die Beine und klopfte mir den Staub von der Hose und aus dem kurzen, ärmellosen Wams, das ich trug. „Wenn es darum ginge, den Wetterhahn auf dem Dach mit einem Wurfdolch zu erlegen, dann wärst DU mir unterlegen!“, sagte ich zu Therowig und er lachte erneut. „Ja, das weiß ich...aber ich fürchte, wenn wir bald wieder aufbrechen und nach Osten ziehen, wird es da nur Wetterhähne geben, die aussehen wir Orks. Und auch so stinken.“, war seine Antwort. Ich verzog leicht das Gesicht, dann suchte ich mir wieder einen festen Stand auf dem Boden und hob die Klinge, so wie Therowig es mir gezeigt hatte. „Höher.“, erklang seine Anweisung. Ich hob das Schwert höher. „Gut. Und jetzt greif mich an.“ „Wirklich?“ „Wirklich.“ Er machte eine auffordernde Geste mit der Hand. „Na schön...“, murmelte ich und ging langsam auf Therowig zu, beschleunigte schließlich meine Schritte, bis ich lief. Ich faßte seine Schulter ins Auge und hob das Schwert noch weiter an.
Ich war nur noch einen Schritt von ihm entfernt, als ich meine Muskeln anspannte, um Kraft zu sammeln und zum Schlag auszuholen. Ich kniff die Augen zusammen, als ein lautes metallisches Dröhnen erklang, als Schwert auf Schwert schlug und Therowig meinen Angriff parierte. Meine Klinge rutschte an seiner ab und immer noch mit zusammengekniffenen Augen drehte ich mich herum, um ihn erneut anzugreifen. Ein Ziehen schoß durch meinen Arm, bis hinauf in die Schulter, und er fühlte sich nach dem Aufprall ganz taub an. Diesmal wollte ich Therowigs ungeschützte Seite treffen, aber sie war alles andere als ungeschützt und die Spitze meiner Klinge verfing sich fast im Boden, als ich sie senkte, um einen Aufwärtsstreich zu führen. Dann traf mich zuerst etwas am Schlüsselbein und anschließend auf dem Handrücken. „Au!“, machte ich. Ich spürte wieder einen Stoß gegen mein Bein, die Klinge entglitt und ich fiel über meine eigenen Füße, daß ich auf den Knien im Staub landete.
Ich öffnete ein Auge und sah zu Therowig hoch, der seufzte, dann den Kopf schüttelte und schließlich einen hilfesuchenden Blick in den Himmel sandte. „Warum machst Du denn die Augen zu, wenn Du mich angreifst?“, sagte er und es klang ein bißchen verzweifelt. „Ich will Dich nicht verletzen...“, erwiderte ich klagend. „Du verletzt mich nicht, so verletzt Du Dich höchstens selbst.“ Er seufzte abermals, nahm sein Schwert auf die Seite und trat an mich heran. Ich wurde unter der Achsel gepackt und prompt wieder auf die Füße gezogen. „So. Ziel höher, wenn Du mich an der Schulter treffen willst. Und wenn Du es am Bauch versuchst, dann nimmst Du die mittlere Höhe. Das war viel zu tief, Deine eigene Deckung darfst Du nicht preisgeben. Und wenn ich pariere, dann mußt Du Dich viel schneller umdrehen, um den Schwung noch auszunutzen, denn Du von dem letzten Streich übrig hast, verstanden?“ Ich nickte, aber verstanden hatte ich nicht viel. Das Kämpfen mit einem Schwert war mir eigentlich viel zu umständlich.
Ein Dolch, der lag leicht in meiner Hand, fast wie eine Verlängerung meiner Finger. Er war flink, vor allem wenn er aus dem Verborgenen vorschoß. Er fand jede Lücke in der Verteidigung eines Gegners, er sauste nur so auf ihn nieder, umwirbelte ihn, verwirrte ihn. Und ich selbst konnte mich viel besser und schneller bewegen. Mit einem Schwert, daß wie ein Mehlsack an mir hing, brachte ich mich nur selbst zu Fall.
Aber ein Schwert war gewaltiger, es war stärker und in den richtigen, wissenden Händen war es verheerend. So wie in Therowigs Händen, aber er war ein ausgebildeter Krieger, ich war es nicht. Und ich bezweifelte, daß ich trotz seiner Bemühungen auch nur annähernd einer werden könnte.

Ich hatte ihm versprochen, es wenigstens zu versuchen. Denn Unruhe hatte ihn erfaßt, als der erste rote Schimmer die Bäume vor dem Haus zu überziehen begann. Der Sommer war fast vorbei und ich wußte, daß auch Aegmar diese Unruhe verspürte. Lange hatten wir im Breeland verweilt, im Haus und auf den Feldern. Und es war eigentlich eine Zeit, in der Aegmar und Therowig mit ihrer Schar in die Schlacht zogen und den Kampfeslärm atmeten.
Die Schar war ihnen voraus, angeführt von Aneawin, einem von Aegmars Hauptmännern. Sie trugen längst das Banner der Feder und der Faust wieder durch die dunklen Schluchten des Düsterwaldes, um die Orks von Barad Guldur zu bekämpfen.
Aegmar wollte ihnen nach, und Therowig wollte es ebenso. Die Vorbereitungen waren fast abgeschlossen, Aegmar ließ das Haus für den Winter in Magdas fürsorgenden Händen, die es überhaupt nicht schätzte, daß ihr Herr plante, wieder fortzugehen. Und noch weniger mochte sie es, daß ich mitgehen würde. Aber ich hatte mich verpflichtet. Kundschafterin, das war ich schließlich nun. Auch eine, die vielleicht an der Seite ihres Fürsten in einer großen Schlacht würde kämpfen müssen...

Therowig bückte sich, hob mein Schwert auf und drückte es mir wieder in die Hand. In seinen Händen würde ein Dolch vermutlich zerknicken wie ein Grashalm, dachte ich. Dafür lag ein Schwert in den meinen wie ein Baumstamm. Ich spürte Therowigs Griff an meinem Ellbogen, er hob ihn an. „Schulter – so hoch.“, sagte er eindringlich und ließ meinen Arm wieder sinken. „Bauch – so.“ Dann trat er wieder zurück, bereit für die nächste Runde, doch die Haustüre öffnete sich und quietschte leise, was unsere Aufmerksamkeit auf sich zog.
Aegmar trat heraus, wandte sich der Tür zu und stemmte die Hände in die Hüften. Er betrachtete sie einen Moment, klopfte vorsichtig dagegen, und versetzte ihr dann einen leichten Tritt. Als er die Türe hinter sich schloß, quietschte sie nicht mehr. „Hat sich verzogen....“, brummte er und trat langsam an uns heran. „Dieses Haus wird vermutlich nie ganz fertig, aber ich kann trotzdem nicht länger hierbleiben.“, fügte er dann an und ein Funkeln trat in seine Augen. Sie sehnten lange Stunden voller Taten herbei und solange der Krieg nicht zur Ruhe kam, tat es auch Aegmar nicht.
Die Bedrohung aus dem Osten war ihm seit Wochen wieder allgegenwärtig und er gehörte zweifellos zu den Männern, die die Größe hatten, ihr unerschrocken entgegen zu treten.
„Also...“, begann er und blickte in unsere Gesichter. „...haben wir bereits eine neue Heerführerin in unseren Reihen?“, fragte er dann. „Nein!“, antworteten Therowig und ich aus einem Munde. Ich blickte daraufhin finster drein, Therowig mußte schmunzeln. Aegmar zog die Augenbrauen hoch.
„Einen besseren Lehrmeister findest Du hier nicht...“, sagte er an mich gewandt. „Richtig!“, bestätigte Therowig.
Ich schürzte leicht die Lippen und sah Therowig an, der nun recht unverschämt (wie ich fand...) vor sich hin zu grinsen begann.
Ich verengte leicht die Augen und beugte mich vornüber, als wollte ich etwas an meinem Stiefel richten. Dann ließ ich mein Schwert fallen, packte Therowig unvermittelt und flink am linken Fuß und verdrehte ihn in jenem Moment, in dem er noch überrascht und bewegungslos erstarrt war und den Kopf zu mir senkte. Ich versetzte ihm einen Schlag mit der Handkante unter die Kniescheibe, so daß sein Bein unwillkürlich zuckte und einknickte. Ich nutzte den Moment sofort, um aufzuspringen, einen Fuß hinter ihn zu bringen und ihm einen weiteren Schlag gegen das Brustbein zu versetzen. Ich mußte ihn nicht mit Kraft ausführen, es reichte, daß er für einen Augenblick keine Luft mehr bekam und rückwärts stolperte. Er verfing sich in meinem Fuß, verlor das Gleichgewicht und landete in einer Staubwolke, die wie ein aufgescheuchter Mückenschwarm nun um ihn herumtanzte, direkt neben Aegmar.
Aegmar verschränkte die Arme und sah auf Therowig hinab, der sich immer noch verwirrt den Sand aus den Augen rieb. „Ich sehe, Ihr kommt gut miteinander zurecht.“, meinte Aegmar. Therowig rappelte sich auf. „Wie hast Du das gemacht?“, fragte er mich, immer noch überrascht dreinschauend. „Ich habe Deinen wunden Punkt nicht mit dem Schwert gesucht, sondern mit dem Verstand.“, entgegnete ich. Therowig legte den Kopf schief. „Ach ja, und mein wunder Punkt ist...?“ Ich straffte mich und reckte keck das Kinn vor. „Deine Eitelkeit!“

Therowig knurrte auf und ich hörte Aegmar schallend lachen. Ich zwinkerte – und dann drehte ich mich um und lief los, denn Therowigs Hände griffen bereits nach mir. „Na warte!“, brummte er und jagte mir nach. Ich rannte über den Hof, den kleinen Hang hinunter, über den ein Weg bis zum Tor des Anwesens führte. Die Sonnenstrahlen streichelten warm mein Gesicht und ihr Licht und der Schatten der Bäume am Rande des Weges ,zauberten ein buntes Muster auf meine Haut. Mir war froh zumute, gut und glücklich. Und wäre es möglich gewesen, dann hätte ich diesen Augenblick für immer festgehalten.
Ich erreichte das Tor zuerst, fing mich mit den Händen an dem dunklen Holz ab und beugte mich lächelnd darüber, um Atem zu schöpfen. Nur wenige Augenblicke später erschien Therowig neben mir, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Gatter und sah mich schief an. Dann verbeugte er sich leicht und richtete sich mit ernster Miene wieder auf. „Nariena Ghaldean, diese Schlacht gebe ich gegen Euch verloren. Aber wähnt Euch fortan nicht mehr sicher vor meiner fürchterlichen Rache.“, sprach er feierlich und stieß sich dann von dem Tor ab. „Komm, ich habe Hunger. Lassen wir es für den Moment gut sein und sehen nach, ob Magda etwas in ihrer Küche hat, daß sich verspeisen läßt.“ Ich nickte und wollte Therowigs Hand ergreifen, die er mir entgegenstreckte, als wir plötzlich bemerkten, wie zwei Reiter die Straße heraufkamen und den Weg in unsere Richtung einschlugen.
Als sie uns sahen, hob einer von ihnen grüßend die Hand. „Wer kann das sein?“, fragte ich, Therowig hob aber nur die Schultern. Er bedeutete mir, zurück zum Haus zu gehen und öffnete das Tor, denn die beiden Reiter beschleunigten nun ihre Pferde und kamen eilig auf uns zu getrabt.

„Es kommt jemand, zwei Reiter. Sie sind nicht gekleidet wie jemand von uns.“, sagte ich zu Aegmar, als ich den Hof erreichte. Er hob eine Augenbraue. „Hm, vielleicht Händler. Wollen wir sehen, wer es ist und sie begrüßen.“, meinte er freundlich. Es dauerte auch nicht lange, da trabten sie auf den Hof. Therowig ging zwischen ihnen und seine Miene war nun tatsächlich sehr ernst, der Schalk aus seinen grünen Augen gewichen.
Die beiden Reiter waren keineswegs Händler, denn als sie nahe genug heran waren, sah ich deutlich das Wappen Brees auf ihren Waffenröcken. Darunter trugen sie Kettenhemden und Helme saßen auf ihren Köpfen. Mißmutig betrachtete Aegmar die Schwerter, die an ihren Hüften hingen. Er mochte es nicht sehr, wenn man bewaffnet sein Anwesen betrat. Sie begrüßten auch ihn, knapp, aber nicht unhöflich. Und dann zog einer von ihnen ein Pergament aus seiner Satteltasche. „Ist hier eine Nariena Ghaldean zu finden?“, fragte er und entrollte das Schriftstück. Ich war erstaunt und öffnete schon den Mund, um zu sagen, daß ich das wohl sei, doch Aegmar hob die Hand. Er trat vor mich und ich schwieg. „Wer will das wissen?“, sagte er und auch aus seinen Augen wich jede Fröhlichkeit. Das Pferd unter dem Mann tänzelte leicht und er zog mit einer Hand die Zügel fest an. Er sah nun auf Aegmar hinab. „Nun, im Namen der Bürger von Bree und im Namen ihres Bürgermeisters Gustav Zartlärche, habe ich hier einen Befehl, das besagte Dame sogleich an mich zu übergeben und in den Gewahrsam der Wache zu überstellen ist.“, fuhr er fort.

Ich schluckte, mein Mund wurde trocken. Die Sonne, in deren warmem Licht ich mich eben noch so geborgen gefühlt hatte, schien mir plötzlich das Herz verdorren zu wollen. Ich blinzelte einmal und spürte einen Schmerz im Magen, der mir Übelkeit bereitete. „Weswegen? Was wird ihr vorgeworfen?“, sprach Aegmar indes und ich hörte, wie seine Stimme zwar ruhig blieb, sich jedoch ein leichtes Zittern in sie hineindrängte. Nicht aus Furcht, aber vielleicht aus Zorn. Ich fragte mich das Gleiche: was hatten sie mir vorzuwerfen?
Das Pferd schnaubte und der Wächter zog die Zügel erneut an. „Ich darf Euch sagen, daß sie des schweren Diebstahls und damit einhergehenden Einbruchs vor drei Nächten im ehrenwerten Hause des Bürgermeisters höchstselbst beschuldigt wird. Da damit nun endgültig das Maß voll ist und es einen eindeutigen Beweis für die Schuld der Dame gibt, aufgefunden am Ort der Tat, tritt hiermit das breeländische Gesetz in vollem Umfang in Kraft!“
Ich starrte den Mann ungläubig an. In der Tat war ich vor drei Tagen in Bree gewesen, war aber nicht einmal in die Nähe von Zartlärches Haus geraten. Ich hatte eine neue Satteldecke für Aegmars Pferd beim Weber abgeholt und war anschließend sofort wieder hierher zurückgekehrt. „Was für ein Beweis?“, fragte Aegmar sofort und seine Stimme klang nun eindeutig verärgert. Therowig ballte eine Faust und begann sich wie beiläufig die Fingerknöchel zu massieren, aber auch er war angespannt und ich legte ihm eine Hand behutsam auf den Arm.
Der Wächter griff erneut in seine Satteltasche und zog eine silberne Münze hervor. Er hielt sie kurz zwischen Zeigefinger und Daumen und betrachtete sie, dann schnippte er sie Aegmar zu, der sie mit einer Hand auffing. Für einen Moment hielt er sie in der geschlossenen Faust fest, dann löste er langsam die Finger und besah sich die Münze. Er gab sie an mich weiter. „Gehört das Dir?“, fragte er mich.
Ich öffnete erschrocken den Mund, als ich die Münze in meiner offenen Handfläche betrachtete und verspürte wieder den schmerzhaften Stich in meinem Magen. Die Münze zeigte eine eingeprägte Katze. „Nariena, die Katze. Seit einiger Zeit bekannt als Dame Nariena Ghaldean, ehemaliges Mitglied der Schurkengilde zu Bree.“, sagte der Wächter und sein Blick traf mich. Ich hatte diese Münze wirklich einmal besessen, aber seit Jahren hatte ich sie verloren geglaubt. Sie war einmal mein Erkennungszeichen gewesen, das stimmte. Ich hatte sie immer bei mir getragen, als eine Art Symbol, das nur mir zustand. Wie ein Duft, der nur zu einer einzigen Blume gehört, die inmitten vieler anderer in einem großen Garten wächst. Damals, als ich wirklich noch in der Gilde gewesen war...
Ich hob langsam den Kopf und sah in Aegmars Gesicht. Er wartete auf eine Antwort. „Das ist Jahre her....ich weiß nicht, wie...“, bemühte ich mich zu erklären, daß dies ein Relikt aus einer Zeit war, die vergangen und vergessen war. Mehr brachte ich nicht hervor, meine Kehle schnürte sich zu. Aber für Aegmar reichten diese kargen Worte aus. Er preßte die Kiefer fest zusammen, seine hellen Augen funkelten mich an. „Runter von meinem Land...“, sprach er leise und es klang duster und bedrohlich. Ich hatte ihn noch nie so reden hören. Ich erschrak erneut und mein Herz wollte beinahe stehenbleiben, als ich ihn das sagen hörte. Doch dann bemerkte ich, daß er gar nicht mich meinte. Sein Haupt fuhr herum, er riß dem Wachmann sein Pergament aus der Hand und trat einen Schritt zurück. „Das behalte ich – und jetzt runter von meinem Grund und Boden!“, sprach er erneut, diesmal war es laut und deutlich. Der Wächter zuckte zusammen und schien für einen Moment verwirrt. Er wollte etwas erwidern, doch Aegmar ließ ihn nicht. „Richtet den Bürgern von Bree und ihrem Bürgermeister Gustav Zartlärche aus, daß diese Sache geklärt werden wird. Aber nicht auf diese Weise! Nariena Ghaldean verbleibt unter meinem Schutz, und ich verbürge mich persönlich dafür, daß sie dieses Haus nicht verlassen wird. Es gibt eine Abmachung zwischen Zartlärche und mir, auf diese berufe ich mich. Ich werde ihn morgen aufsuchen!“ Er zerknüllte das Schriftstück in seiner Hand, nahm mir die Münze ab und drehte sich dann um.
Schwer waren seine Schritte, als er zurück zum Haus ging.

Die beiden Wachmänner sahen sich einen Wimpernschlag lang verunsichert an, aber als Therowig dann langsam und vorsichtig meine Hand ergriff, mich herumdrehte und wortlos ebenfalls in Richtung des Hauses zu schieben begann (und das, obgleich meine Füße sich anfühlten, als seien sie plötzlich mit dem Boden verwachsen...), war ihnen mehr als deutlich, daß ihr Besuch beendet war. Ich spürte ihre Blicke noch für einige Momente auf meinem Rücken, doch schließlich wendeten sie die Pferde und trabten davon.
Ich war wie erstarrt, wie betäubt. Ich nahm Therowigs Hand kaum wahr, auch nicht mehr die Wärme der Nachmittagssonne, den kühlenden Schatten der Bäume. Da war nur noch eins, ein Gedanke. Ein einziger Gedanke: die Münze. Sie hatte einst mir gehört. Nariena, der Katze. Und es gab nur einen einzigen anderen Menschen in Mittelerde, der sie je in den Händen gehalten hatte.

Ich hatte sie ihm geschenkt.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 23.02.2012 21:46 | nach oben springen

#2

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:49
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Als Therowig und ich das Haus betraten, hatte Aegmar bereits die Halle durchquert und die Tür zu seinem Arbeitszimmer an der Nordwand aufgestoßen. Sie stand halb offen nun und wir sahen ihn, wie er hastig ein Blatt Pergament von einem Stapel auf seinem Schreibtisch riß und sich nicht darum scherte, daß der ganze Stapel dabei ins Rutschen geriet und sich die Bögen über den Fußboden zu verteilen begannen. Er tunkte so heftig seine Feder in das Tintenglas, daß es überlief und seine Finger verschmierte. Dann schrieb er einige Zeilen auf das Blatt, die Spitze der Feder kratzte laut. Schwungvoll setzte er seine Unterschrift darunter, richtete sich auf und hielt Therowig das Dokument hin. Er nahm es zögerlich an sich, Aegmar stumm betrachtend. Er wußte ebenso wenig wie ich, wie Aegmars Zorn zu begegnen war. Und obgleich ich mir keiner Schuld in dem Vorwurf, der gegen mich aufgebracht worden war, bewußt war, fühlte ich mich plötzlich schuldig. „Hier, bring das zu Aneawin. Und sieh zu, daß Du Maethruth findest. Ich will den Elben hier haben.“, sprach Aegmar. Duster klang es, zugleich sehr entschieden. Er versammelte seine Offiziere, es war ihm mehr als ernst.
Therowig warf mir einen Blick zu, nickte knapp zum Abschied – sah dann noch einmal Aegmar an und drehte sich um, um das Haus zu verlassen.
Ich blieb unentschlossen in der Tür stehen und kaute auf meiner Unterlippe. „Aegmar...“, begann ich dann vorsichtig, aber er hob sofort die Hand und warf mir einen Blick zu, der mich auf der Stelle zum Schweigen brachte. Es gab wenige Momente, in denen mein Fürst wirklich zornig wurde und etwas ihn tief in seinem Inneren erschütterte, aber dies war solch ein Moment und ich wußte, daß ich mich nun zurückzuziehen hatte. Und das tat ich auch. Ich neigte leicht das Haupt, verließ mit einem Rückwärtsschritt das Zimmer und schloß leise die Tür hinter mit.
In meinem Brustkorb klemmte plötzlich ein schwerer Felsblock. Er drückte mir die Rippen zusammen, wenn ich atmete. Und wenn mein Herz schlug, dann dröhnte er wie unter einem Donnerschlag. Ich legte mir eine Hand auf den Magen, um mich ein wenig zu fassen. Ich versuchte ruhig zu atmen und meine Gedanken zu ordnen. Noch ergaben die Ereignisse keinen Sinn für mich, doch Therowig hatte einst zu mir gesagt: „Vieles ist an der Oberfläche verworren und nur in der Tiefe hat es seinen Zweck.“ Ich erinnerte mich an seine Worte und sie schienen mir nun kostbar zu sein, auch wenn sie mir in dieser Stunde nicht helfen konnten. Ich mußte Aegmar einige Dinge über die Münze erzählen. Sobald er mich ließ...

Das Abendessen verlief schweigend. Das Haus war leer, nur Magda, Aegmar und ich waren zugegen und die lange Tafel in der großen Halle kam mir einsam vor. Magda hatte das gute Geschirr aufgetragen, als sie gehört hatte, daß Aegmar seine Schar zusammenrief, doch Therowig war noch nicht zurückgekehrt. So dampfte nur eine große Schüssel mit Lamm und Gemüse auf dem Tisch und das frisch gebackene Brot, das sie dazu gestellt hatte, duftete unberührt. Aegmar saß auf seinem Stuhl am Kopfende der Tafel und starrte auf seinen leeren Teller. Auch ich verspürte kaum Hunger. Magda sah ratlos in unsere Gesichter, bis sie mit der großen Hand auf den Tisch schlug und das Kinn vorreckte. „Jetzt ist es aber genug! Jetzt wird gegessen, ich habe mir nicht umsonst die Mühe gemacht!“, forderte sie mürrisch. Aegmar sah auf, seufzte lautlos und griff dann nach dem Brot. Aber er pflückte es nur auseinander und aß kaum etwas davon. Magda schüttelte den Kopf. „Kind, iß Du wenigstens etwas.“, wandte sie sich dann an mich.
Ich bemühte mich um ein Lächeln und tat ihr den Gefallen, etwas von dem Lamm auf meinen Teller zu schaufeln. Ihr betrübter Blick wich etwas aus ihrer Miene. Ich sah ihr an, daß sie gerne nach dem Grund des Schweigens gefragt hätte, aber auch sie wußte nur zu gut, daß der Moment zu Fragen noch nicht gekommen war. Wenn es an der Zeit war zu reden, dann war es Aegmar, der das Wort ergriff. Selbst Magda hielt sich daran. Und so beendeten wir das Mahl weiterhin mit gesenkten Köpfen und stummer Nachdenklichkeit.
Ich half Magda dabei, die Tafel abzuräumen, Aegmar war irgendwann aufgestanden und die Treppe hinaufgestiegen. Und erst als wir die Türe zu seiner Schlafkammer im oberen Stockwerk zuschlagen hörten und uns in der Küche allein wähnten, wagte Magda die zaghafte Frage: „Was ist passiert?“, sie flüsterte dabei und ihre sonst so forsche und entschiedene Haltung war hinter Sorge und unguter Vorahnung verborgen.
„Wenn Herr Aegmar heute Nachmittag nicht sehr entschlossen eingeschritten wäre, wäre ich jetzt nicht hier, sondern im Gefängnis von Bree, Magda.“, erwiderte ich leise und tauchte meine Hände und einen Teller in den Wasserkübel. Vorsichtig begann ich ihn zu reinigen. Magda sog harsch die Luft ein und sie hatte plötzlich alle Mühe, einen Kelch, den sie gehalten hatte, nicht ihren Fingern entgleiten zu lassen. „Du sollst ins Gefängnis? Ja, warum denn, um Himmels Willen?“, fragte sie und in ihrer Stimme klang das gleiche Unverständnis, das auch mich beschäftigte. „Es gab einen Einbruch im Hause des Bürgermeisters, vor drei Tagen – und es deutet etwas darauf hin, daß ich daran beteiligt gewesen sein könnte.“, fuhr ich fort. Ich spürte Magdas Hand auf meiner Schulter, sie war naß vom Spülwasser. „Warst Du es?“, fragte sie eindringlich und zog die buschigen grauen Brauen zusammen. „Nein, Magda. Das war ich nicht. Wenn ich es gewesen wäre...hätte ich sicherlich nichts hinterlassen, das auf mich hindeutet.“, sagte ich und verzog den Mund etwas. Ich hätte beinahe lachen mögen. Magda zog die Hand zurück und nickte.
„Und warum ist der Herr dann so zornig auf Dich?“ Ich hielt in meiner Bewegung inne und hob den Kopf. „Ehrlich gesagt, Magda, ich weiß es nicht...“ Sie stemmte nun die Hände in die breiten Hüften. „Dann gehst Du jetzt hinauf zu ihm und redest mit ihm!“ Ihre allesüberwindende Entschlossenheit war in sie zurückgekehrt. „Magda, ich weiß nicht, ob...“, begann ich, doch sie fiel mir sogleich ins Wort: „Unsinn! Du warst es nicht, also Ende, Aus und Sonnenschein!“, meinte sie, packte mich erneut an der Schulter und schob mich zur Küchentür. „Ich...“, sprach ich erneut, die Köchin schüttelte sofort den Kopf. „Magda, ich glaube, da ist noch irgendetwas anderes.“ „Dann finde es heraus!“

Diesmal gab es keinen Widerspruch.

Ich betrat langsam den Flur, die Holzdielen knarrten leise unter meinen Füßen. Aegmars Zimmertüre war verschlossen, nur matt drang ein Lichtschein unter ihr hindurch auf den Gang. Ich zögerte, blieb vor der Tür stehen – und wagte es dann doch nicht anzuklopfen. Ich ging weiter, betrat meine eigene Kammer und zog mir die Stiefel von den Füßen. Ich wusch mir durch das Gesicht, begann sogar meine Kleider zu ordnen, die ein wenig verstreut auf dem Teppich lagen. Ich zog mich um – und stand dann wieder genauso ratlos wie zuvor in der Mitte meiner Kammer. Die Stille war so laut, daß ich sie kaum ertrug. Das Schweigen so mächtig, daß es mich fast erdrückte. Ich mußte Aegmar einige Dinge erzählen, ob er sie hören wollte oder nicht. Nur so klärten sich vielleicht auch meine Gedanken. Und nur so ließ sich vielleicht wieder der Sturm besänftigen, der gerade aus vergangenen Tagen wieder heraufzuziehen begann.
Also ging ich, meine Füße nackt auf den Dielen, mein Haar gelöst und meine Hände klamm.
Ich klopfte an die schwere Tür, die nach Eichenholz duftete. Ich lauschte auf ein Geräusch. Ich hörte nichts. Wie sehr wünschte ich mir ein freundliches „Herein!“, aber es blieb aus. Erst, als ich mich schon umdrehen wollte, bang und gewiß, daß ich heute keinen Schlaf finden würde, vernahm ich ein dunkles „Ja...“, das widerwillig klang. Aber ich folgte ihm und öffnete schließlich behutsam die Tür.

In der Kammer warf nur der dreiarmige Leuchter auf der Kommode Licht in den Raum. Aegmar wandte mir den Rücken zu. Er stand vor dem geöffneten Fenster, der sanfte Wind, der hereinstrich, bauschte seinen Hemdkragen. Ich blieb erst an der Türe stehen, bis er mich aufforderte, näher zu treten, aber er sah nur weiter in die Dunkelheit. Der Wind frischte auf, blies Aegmar das braune Haar aus dem Gesicht und gab für einen Moment die Narbe frei, die an seinem rechten Auge verlief. Er schloß das Fenster, dann endlich wandte er sich um. Er betrachtete mich und ich war froh darum, daß es nicht mehr so zornig und abweisend geschah, wie in den Stunden zuvor.
Er holte Luft, öffnete die Lippen, doch es dauerte noch einige Momente, bis er sprach. Als er es tat, klang es ruhig, wenngleich immer noch in sonderbare Düsternis gehüllt: „Bei meiner ersten Begegnung mit Dir, da warst Du ein kleines, grimmiges Mädchen, das sich in seinem schwarzen Umhang verfangen hatte und beinahe darin ertrunken wäre. Und Du hast Dich mit Händen und Füßen gewehrt, als ich Dich aus dem Wasser gezogen habe, als müßtest du Dein Leben gegen mich verteidigen. Du hast mich gekratzt, ich glaube irgendwo hier...“, er deutete auf seinen Kieferknochen, „Du hast Dich erst beruhigt, als ich Dir beinahe den Arm gebrochen habe, damit Du mich ansiehst und als Menschen erkennst. Du hast ganz erstaunt geschaut, weil Du mich wohl für einen Ork gehalten hast. Und dann hast Du das Bewußtsein verloren, weil Du von dem Kampf ganz erschöpft warst. Aber gekämpft hast Du, wie eine Raubkatze.“, sagte er und ich mußte ein bißchen lächeln.
Ich nickte zaghaft, fast ein wenig beschämt, diesen Abend hatte ich nur noch undeutlich und lückenhaft in Erinnerung. Die Bilder in meinem Kopf rissen ab, nachdem ich seinen Arm gespürt hatte, der mich aus dem Fluß zog. Da war Schwärze und die nächste Erinnerung zeichnet erst wieder ein Bild von einem kleinen Lagerfeuer irgendwo im Düsterwald, an dem ich zu mir kam.
„Ich habe immer viel gekämpft.“, erwiderte ich. Aegmar nickte und verschränkte die Arme.
„Mir war klar, daß Du nicht zum Heer gehörst, daß in den Tiefen des Düsterwaldes gegen die Orks zieht. Aber Du warst trotzdem auf unserer Seite, wenn auch auf eine andere Art, die mir sehr fremd erschien. Ich habe mich bemüht, das zu akzeptieren. Wenngleich ich mich auch oft gefragt habe, ob wohl der Tag kommen würde, an dem ich die Bekanntschaft mit Dir bereuen würde.“
So schloß er und ich spürte wieder, wie der Felsen in meiner Brust sich erneut zu härten begann und mir gegen die Rippen stieß. Ich trat dicht an Aegmar heran und sah auf in sein Gesicht. „Warum bist Du wütend auf mich?“, fragte ich ihn nun unumwunden und ein leiser Ausruck des Erstaunens huschte über Aegmars Gesicht. „Ich bin kein bißchen wütend auf Dich.“, sagte er. Ich atmete tief durch. „Dann bitte ich Dich, hör auf, mich anzuschweigen. Wenn Du morgen nach Bree gehen willst...dann mußt Du einiges wissen, Aegmar.“

Er schloß die Augen und rieb sich mit den Fingern über die Nasenwurzel. „Du hast Dich sehr verändert, seitdem du hier bist. Und ich dachte, ich kenne Dich nun ein bißchen, Nariena. Aber es wird immer wieder etwas geben....daß ich wissen muß, nicht?“, sagte er heiser und ließ ein bißchen die Schultern hängen. „Kenne ich Dich denn?“, fragte ich und lächelte ihn an. Er öffnete die Augen wieder. „Ja, ich glaube schon. Obwohl Du dann vielleicht hättest wissen müssen, daß mein Zorn nicht Dir gilt.“, war seine Antwort. Ich berührte seinen Arm. „Sag es mir. Was ist es? Machst Du Dir Gedanken darum, daß es für Dich Folgen haben könnte, daß Du die beiden Wachmänner....sagen wir...unvollendeter Dinge vom Hof gejagt hast?“ Aegmar lachte leise. „Nein, ich bitte Dich...“, meinte er, verzog einen Mundwinkel leicht und schüttelte dann den Kopf.
Er nahm meine Hand von seinem Arm und setzte sich dann auf einen Stuhl, der hinter ihm stand, dann ließ er meine Hand los. Ich ließ mich ebenfalls nieder. Wir saßen uns direkt gegenüber und es kam mir nun vor, als würden wir in den nächsten Augenblicken zu verschworenen Gefährten werden. Er legte die Handflächen aneinander und tippte mit den Fingerspitzen an sein Kinn.
„Es scheinen einige Dinge in Frage gestellt zu sein, an die ich fest geglaubt habe und es ist, als würde sich eine Hand um mich legen und mich schütteln, sobald ich sie mir zurück ins Gedächtnis rufe.“, begann er. „Du weißt, vor einiger Zeit, ich war noch verletzt in den Tagen nach dem Kampf mit meinem Bruder und seiner Schar, da kam Gustav Zartlärche herauf auf in die Hügel und verlangte mich zu sehen. Eigentlich hatte er danken wollen für die Treue und die Loyalität, die er an sich bewiesen sah. Ich gehörte schließlich zu denen, die einer Neuwahl – oder eher einem gewaltsamen Wechsel – im Bürgermeisteramt im Weg gestanden und schwer dafür bezahlt hatten. Ich halte ihn für einen guten Mann, er ist zuverlässig und vor allem ist er gerecht. Er weiß sich erkenntlich zu zeigen. Und das tat er, als er Dich im Haus gesehen und auch einige Zeit später erkannt hat. Ich habe es Dir erzählt, und Du fragtest mich, ob Du Dich sorgen mußt. Nein, sagte ich – nicht, solange Zartlärche in meiner Schuld steht. Ich war damit zufrieden. Einzusehen, daß die Vergangenheit ruhen muß, wenn sie durch Taten der Gegenwart ausgeglichen wurde, hielt ich für groß und weise. Aber nun...nun geschieht etwas Unrechtes in Bree und schon bei dem kleinsten Hinweis auf Dich sollen diese Händel nicht mehr gelten?“, schloß Aegmar, sah mich mit zusammengepreßten Lippen an und senkte den Kopf.
Ich verengte leicht die Augen. „Jetzt verstehe ich Dich.“, sagte ich. „Du empfindest sein Handeln als ungerechtfertigt und sein Versprechen als gebrochen?“ Aegmar nickte. „Noch ist nichts zerbrochen, Aegmar.“, fuhr ich fort. „Sieh es so: Zartlärche ist sich unseres Anteils an dem guten Ende der Intrige gegen ihn bewußt, daher sagte er Dir, daß er vergangene Dinge ruhen lassen wird und ich frei bin. Aber nun ist eine Missetat geschehen, die er nicht ungesehen vorüber streifen lassen kann, denn sie war offenkundig ein Angriff auf ihn. Er mußte so handeln, wenn Du mit seinen Augen siehst.“ Wieder schüttelte Aegmar den Kopf. „Nein, er hätte einfach ein Gespräch mit mir suchen können.“ Ich lächelte. „Und Du hättest mich warnen können, wäre ich wirklich schuldig. Du weißt, dann säße ich nicht mehr hier mit Dir...“
Aegmar sah auf. „Das würde einen Zweifel an meiner Ehre bedeuten!“, fuhr er hoch. Ich legte ihm die Hände auf die breiten Schultern. „Nur wenige empfinden Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit so ungerecht und empörend wie Du, weil Du soviel davon besitzt. Aber glaube mir, niemand stellt Deine Ehre wirklich in Frage.“, beschwichtigte ich. Aegmar brummte und strich sich über den Bart. Ich wußte, sein Ärger über Zartlärches Handeln war auch noch nicht alles, das ihn so in Schwermut und Zorn versetzte. Er war nur der Anfang gewesen. Und ich sollte Recht behalten. „Da ist noch Etwas....“, sagte er.


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#3

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:49
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich zog die Hände von Aegmars Schultern, legte sie in den Schoß und sah den Freund an. Aegmar griff in seine Hosentasche und zog die Münze hervor. Er hielt sie in das matte Licht. „Du sagtest, es ist lange her, daß Du das hier das letzte Mal gesehen hast?“ Ich nickte. „Ist es dann ein Zufall, daß sie gerade jetzt wieder auftaucht – oder ist es keiner, Nariena?“, fuhr er fort und schloß die Faust um das Kleinod. „Es ist kein Zufall.“, antwortete ich, aber die Antwort fiel mir schwer. „Nein, das denke ich auch nicht. Und das kann nur eines bedeuten: es gibt einen neuen Feind. Die Frage ist nun, was will er?“
Ich betrachtete Aegmar lange. Seine Augen, die schon viel gesehen hatten. Seine Hände, die schon viel gekämpft hatten. Seine Schultern, die schon viel Last getragen hatten. Und seine Brust, in der ein Herz schlug, das nie verzagt hatte.
Aber als ich ihn jetzt ansah, war ich mir nicht mehr sicher, ob er unverzagt bleiben würde. Es würde keinen Frieden geben. Niemals. In der Welt nicht und auch nah um uns herum nicht. Ich war daran nicht unschuldig.
„Ich bin gekommen, um Dir zu erzählen, was er will. Und wer er ist. Doch bevor ich das tue, muß ich Dich nun etwas fragen.“ Ich holte tief Luft. Der Moment einer Entscheidung war nahe. Einer Entscheidung, ob ich gehen oder bleiben würde. Ob ich allein durchstehen würde, was nun über mich gekommen war, oder ob Aegmar ein letztes Mal den Willen fand, seine schützende Hand über mich zu halten, wie er es schon so oft getan hatte. Ich öffnete seine Faust und nahm die Münze heraus. „Bereust Du denn unsere Bekanntschaft?“, fragte ich ihn dann.

Aegmar sah mich für einen Moment ernst an, doch dann löste sich die Spannung von ihm. Um seine hellen Augen bildeten sich jene winzigen Fältchen, die erst sichtbar wurden, wenn er zu lächeln begann. Er atmete tief durch. Sein Brustkorb hob und senkte sich und das Hemd, das er trug, spannte sich kurz über seine Rippen. Er schüttelte den Kopf, und ich spürte, wie der große Felsblock, den ich immer noch in meinem Inneren gewähnt hatte, etwas kleiner wurde.
„Das ist die falsche Frage, Nariena.“, sagte er. „Ich bereue manchmal, daß es so viel gibt, das uns noch nachspürt, obwohl wir geglaubt haben, ihm entkommen zu sein. Und Du bist jemand, dem wirklich viele Dinge nachspüren. Doch ich bin es auch. Und wenn ich also bereuen würde, Dich zu kennen, dann müßte ich auch bereuen, ich selbst zu sein.“
Das war eine gute Antwort auf meine Frage und mir war wieder froher zumute, wenngleich die Schwermut noch ein wenig zwischen uns im Raume hängen blieb. Aegmar war trotzdem ungehalten über das Rätsel, das sich uns aufgab. Das konnte er nicht verbergen, vermutlich befürchtete, daß seine Aufbruchpläne durcheinander gerieten – und ganz ausschließen konnte ich das nicht. Jedoch war ich nun sicher, daß er mich keinesfalls zurücklassen würde.
Ich nickte also und da er mich fragend ansah, wollte ich nun endlich zu meiner Erklärung ansetzen, doch ich kam wieder nicht dazu. Wir hörten die Hufe von Pferden, die über den Hof vor dem Fenster klapperten.
Aegmar bedeutete mir mit einer Geste seiner Hand zu warten und erhob sich von seinem Stuhl. Er trat an das Fenster und sah hinunter. „Therowig ist zurück.“, sagte er und es klang erleichtert. Darüber, daß es nur der Freund war und nicht noch mehr Soldaten, die aus Bree gekommen waren. „Gut. Und Aneawin und Maethruth sind bei ihm. So wollen wir hinunter in die Halle gehen – und Du wirst dem Rat berichten, was Du mir sagen wolltest.“, entschied er.
Ich biß mir auf die Unterlippe. Dem Rat. Nein, dem hatte ich es nicht erzählen wollen, sondern nur meinem Fürsten. Es war persönlich, was ich ihm zu berichten hatte. Und nicht ganz einfach. Ich begann zu überlegen. Alles würde ich nun ganz bestimmt nicht erzählen...

Aegmar hielt mir die Türe auf und ließ mich vorangehen. Der Mond war aufgegangen und von goldenem Dunst umgeben stand er an einem dunklen Nachthimmel, lugte durch die Fenster in das stille Haus und spendete uns ein freundliches Licht. Aegmar entzündete ein paar Kerzen, als sich die Türe zum Haus öffnete und Stiefel und das Rasseln von Schwertgurten, die gelöst wurden, in der Vorhalle erklang.
Ich sah Maethruth eintreten, Aegmars hochgewachsenem elbischen Freund mit dem blassen und so schönen Gesicht. Seine Augen blickten dunkel und ohne ein Zeichen von Freude, Überraschung oder gar Abneigung. Doch daran, daß er nie eine Regung außer der stets in sich ruhenden Stille zeigte, die ihn umgab, hatte ich mich schon bei unserer letzten Begegnung gewöhnt und nahm es daher auch nicht als Unfreundlichkeit, daß er sich nur knapp verbeugte und sich dann mit einer einzigen höflichen Frage nach meiner Befindlichkeit auf einen Stuhl vor dem Kamin setzte. Er zog sich die Handschuhe von den schlanken Fingern und begrüßte dann nur Aegmar etwas ausführlicher, der Magda sogleich in die Küche schickte, um Wein holen zu lassen.
Heermeister Aneawins Begrüßung spürte ich dafür umso deutlicher, denn seine große Hand fiel mit einem breiten Lachen auf meine Schulter, daß ich fast zusammenzuckte. Dann packte er mich an den Schultern, schüttelte mich leicht in freundschaftlicher Geste und sein strahlendes Lächeln erleuchtete sein ganzes Gesicht. Ich blinzelte einmal, und bemühte mich, den Gruß so gut ich konnte zu erwidern. Dann setzte auch er sich.
Der Blick des Elben ruhte auf mir und mir war, als wüßte er schon jetzt, daß diese Versammlung durch mich eröffnet werden würde. Und auch, als wüßte er bereits, was ich zu sagen hatte. Natürlich konnte es nicht so sein und ich bemühte mich schwach zu lächeln, aber es mißlang.
Magda brachte auf einem Tablett mehrere Kelche und eine Korbflasche, in der dunkelrot guter Wein schimmerte. Dann betrat auch Therowig endlich die Halle. Er wirkte müde, hastig strich er sich das lange Haar aus dem Gesicht und fuhr sich über den Bart, doch er konnte nicht verbergen, daß er einen eiligen und harten Ritt hinter sich hatte. Er blieb neben mir stehen und das beruhigte mich etwas. Er strahlte Wärme aus, und ein wenig den Geruch von Straßenstaub und gewachstem Leder. Dankbar nahm er einen der Kelche entgegen und Aegmar ergriff auch erst das Wort, nachdem alle Kelche erhoben und zum ersten Male geleert worden waren:
„Ihr Herren...“, sprach er, „...zwei Gründe gibt es, die Euch auf meinen Wunsch hier versammelten. Der erste ist, daß ich in einer Woche, bevor der Herbst einzieht und uns der Sommer verläßt, gedenke, gen Osten zu ziehen. Der Rest unserer Schar brach bereits auf, Frau Arhaleth und Herr Cunilos haben ihn angeführt und das Lager wurde im Tal von Emyn Lûm aufgeschlagen. Doch darüber wollen wir genauer erst später sprechen, denn eines gibt es noch zuvor zu berichten – davon mag auch abhängen, ob unser Aufbruch in einer Woche wirklich geschehen kann oder oder wir noch aufgehalten werden.“
Aegmar machte eine Pause und ich bemerkte, wie Aneawin erstaunt die Augenbrauen hochzog. Therowig hatte ihnen wohl noch nichts berichtet. Er blieb immer noch neben mir stehen und verlagerte jetzt sein Gewicht. Kurz warf er mir einen Seitenblick zu, doch als ich ihn erwiderte, wandte er rasch die Augen wieder ab. Aegmar deutete auf mich.
„Am Nachmittage wurde mir von den Herren der Stadtwache zu Bree offenbart, daß eine Beschuldigung gegen Frau Nariena vorliegt, welche sie nach Gutdünken unseres verehrten Bürgermeisters sogleich in das Gefängnis der Stadt zu überführen hätte. Ich war so frei, diese Bitte auszuschlagen und habe stattdessen mein Wort gegeben, die Angelegenheit morgen selbst zu klären.“ Er hielt wieder inne und ich vernahm ein überraschtes „Uh?“, das Herrn Anawin entkam.
Dann beschrieb Aegmar, was mir vorgeworfen wurde, erzählte von der Münze und vor allem seiner Überzeugung, daß die Dinge nicht so liegen konnten, wie sie in Bree vermutet wurden.
Therowig verschränkte die Arme und nickte dazu. „...so kann ich nur zu dem Schluß kommen, daß hier eine Absicht vorliegt, die Frau Nariena mit einem Verdacht zu behaften versucht. Aus welchem Grund, das weiß ich nicht. Doch sie weiß es vielleicht. Und ich bat sie, daß sie uns allen davon erzählen möge, denn keiner von uns wird in einer dunklen Stunde alleine stehen. Nur geteiltes Wissen ist ein guter und hilfreicher Ratgeber.“, schloß er und sah mich auffordernd an.
Ich trat einen Schritt vor. Meine Füße waren immer noch bloß, doch der Holzboden unter meinen Füßen warm.

„Ihr Herren.“, begann ich und suchte nach den passenden Worten, die mich weiter durch das führen sollten, was ich zu sagen hatte. Ich hatte noch nie zum Rat gesprochen und obgleich ich alle, die ihm beiwohnten doch kannte, fiel es mir schwer. „Ich weiß nicht recht, wo ich beginnen soll, darum erlaubt mir, ganz von vorn zu beginnen. Ihr wißt alle, wer ich einst war. Daß ich Nariena, die Katze, genannt wurde, und auch wenn dieser Name noch immer in diesem Tagen von manchen gebraucht wird, so habe ich selbst ihn doch längst abgelegt. Ich war Mitglied der Schurkengilde zu Bree und es gab in jener Gilde einen Mann, den sie Yhared nannten. Er neigte zu Betrug, und mag ihn das für einen seines Schlages gewiß ausgezeichnet haben, so war es ihm gleichsam abträglich, daß er auch zum Betrug an seinesgleichen neigte. Es ist fünf Jahre her, daß er eine Untat im Hause meines Vaters beging, ihn bestahl und um etwas betrog, das ihm mehr als teuer war. Natürlich war mein Vater nie verzeichnet in der Gilde, aber das Vergehen an ihm wurde gewertet, als wäre es an mir selbst gewesen; was auch nicht unwahr ist, denn selbst mir stahl er etwas, aber das ist hier nicht von Belang. Ich kann also sagen, daß Betrug an einer Gildenschwester gegen den Kodex der Schurken und Diebe verstieß und Yhared folglich aus der Gilde ausgeschlossen wurde. Da er nun nicht mehr unter ihrem Schutz stand, lag es auch nicht mehr in meinem Ermessen, ihn vor Unheil zu bewahren und so erging im Namen meines Vaters Anklage gegen ihn. Dieser wurde stattgegeben, Yhared gefaßt und in das Gefängnis zu Bree überstellt. Ein halbes Jahr sollte er dort verweilen und nicht ganz tat er das auch. Dann verschwand er aus Bree, denn hier gab es für ihn nichts mehr. Bevor ich jedoch wußte, von welchem Gemüt er war – ich hatte ihn zuvor für einen Gefährten gehalten – schenkte ich ihm die Münze, die ihr eben gesehen habt. Jene, mit dem Emblem der Katze darauf, die nun meine Schuld an den jüngsten Taten beweisen soll. Ich wähnte sie mit Yhared verschwunden.“, sagte ich. Aneawin räusperte sich.
„Aha. Na, dann ists wohl deutlich: wenn die Münze wieder da ist, ist der Kerl mit ihr auch wieder da. Und wenn Eure Familie, Frau Nariena, ihn dereinst überführte und ihm ein halbes Jahr seines Lebens als Wiedergutmachung für seinen Diebstahl abzog, dann wird er sich dieses nun vielleicht zurückholen wollen, indem er auch Euch ins Gefängnis zu bringen sucht?“, meinte er. „Da haben wir es also: simple Rache. Das wird sogar unser Freund Zartlärche verstehen, daß es sich so verhalten muß und die Vorwürfe gegen Frau Nariena damit aufzuheben sind.“, fügte er an. Aegmar nickte ihm zu. „So will ich es auch morgen berichten. Und ich hoffe, damit ist die Angelegenheit wirklich geklärt. Ich werde an den Bürgermeister antragen, daß die Stadtwache die Augen nach diesem Yhared offen halten soll. Er dürfte dann ja noch bestens bekannt sein. Wenn nicht, sollte Frau Nariena ihn gut beschreiben können.“
Ich war erleichtert, als ich in die Runde blickte und die Häupter der Männer nicken sah. „Gut, wohlan, ich möchte das so schnell wie möglich hinter mich bringen.“, schloß Aegmar, wandte sich dann ab und bat die Runde dann an den großen Tisch, der mittig in der Halle stand. Einige große Pergamentrollen lagen darauf. Es waren Karten. Landkarten. Er begann eine davon zu entrollen, sie zeigte einen Ausschnitt des südlichen Düsterwaldes.
Ich wähnte, daß die Ratsversammlung damit beendet war und Aegmar nun mit seinen Mannen über die bevorstehende Reise sprechen wollte.
Etwas zögerlich drehte ich mich um. Therowig stand nun hinter mir und betrachtete mich mit einer Miene, die ich bisher selten an ihm gesehen hatte. Er war nachdenklich, und etwas an ihm schien nicht ganz so überzeugt von dem raschen Ausgang der Angelegenheit zu sein, wie Aegmar es war. Auch Maethruth trat nun neben mich. Er sah an mir vorbei, hin zu dem großen Kartentisch, an dem Aegmar und Aneawin schon eifrig damit beschäftigt waren, die großen Rollen zu glätten und auszubreiten. Als er sprach, wußte ich aber, daß es an mich gerichtet war: „Das Vergangene eilt manchmal mit raschem Schritt an uns vorbei, um unsere Zukunft zu gestalten. Wenden wir uns dann vor oder zurück?“, sagte er, aber es war keine Frage, auf die es eine Antwort gab. Dann ging er und trat zu seinen Gefährten. Therowig verharrte noch, bis Aegmar ihn rief. Er hatte die Lippen geöffnet, auch Therowig hatte mir noch etwas sagen wollen, aber dann schloß er den Mund wieder schweigend und folgte dem Ruf.
Ich verabschiedete mich schließlich. „Ich gehe noch ein wenig im Garten spazieren.“, sagte ich. „Ich finde noch keinen Schlaf.“

Damit verließ ich das Haus und war froh, als ich die Nachtluft spürte, deren klare Schatten mich wohlwollend einhüllten. Ein zeitloser Mantel aus Dunkelheit, nur gesprenkelt mit dem Licht der Sterne, die ihre Schönheit jedem Wesen schenkten, das zu ihnen aufsah – ob gut oder schlecht, schuldig oder unschuldig. Funkelnde Sternaugen, die nicht werteten und urteilten, sondern die einfach gütig waren. Die Zikaden zirpten in den Büschen ihre ewige Melodie des Sommers und im Stall hinter dem Haus hörte ich eines der Pferde schnauben. Für einen kurzen Moment faßte ich den Gedanken, eben jenes Pferd zu satteln, und mich auf den Weg nach Bree zu begeben. Aneawin hatte gewiß Recht: Yhared war wieder da. Und fast wäre ich ihm in diesem Augenblick gerne gegenübergetreten, um zu fragen, warum. Warum jetzt...
Nein, ich hatte meinen Gefährten gewiß nicht alles über ihn erzählt. Was er getan hatte, war so gewesen, wie ich es berichtet hatte. Doch er war nicht nur ein Gildenbruder gewesen, wie so viele andere. Er war mehr gewesen. Ich könnte nun versuchen, ihn zu finden. Ich könnte ihn zur Rede stellen. Ich mußte eine Klärung nicht meinem Fürsten überlassen, denn ich hätte ihm mehr zu sagen. Viel mehr.
Ich verwarf diese Gedanken jedoch wieder, als ich den Garten betrat, der so wunderbar nach Blumen und Kräutern duftete.
Es war nicht nötig, nach Bree aufzubrechen, und Yhared zu finden – denn er fand mich zuerst.


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#4

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:50
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Meine Füße trugen mich leicht durch den Garten. Meine Fingerspitzen strichen über die geschlossenen Kelche der Glockenblumen, über die weichen Blüten der Buschrosen und die samtigen Stiele der Sonnenblumen. Dann wurde der Boden unter meinen Füßen steiniger und ich ging leicht über den noch vom Tage warmen Felsen dahin, der hinter dem Haus einen kleinen Pfad markierte, der hinauf in die Hügel führte. Ich raffte meinen Rock, als der Weg anzusteigen begann, drehte mich auf halber Höhe um und blickte zurück in das Tal, in dem das Anwesen lag.
Rückwärts ging ich weiter. Übersät war der Himmel von glitzernden Lichtpunkten, die nur dort weichen mußten, wo ein paar Bäume auf dem Hügel ihre Kronen dunkel in das Firmament streckten. Und ich konnte mich kaum daran sattsehen. Früher hatte es nicht viele Nächte gegeben, in denen ich frei und unbefangen diese Herrlichkeit betrachten konnte. Entweder hatte ich mir die Dunkelheit zunutze gemacht oder in mich in ihr versteckt. Sie war ein Verbündeter gewesen, doch heute war einfach nur eine Nacht, in der ich eine Erinnerung an einen Anblick in mich aufsog, aus dem ich in den kommenden Wochen Kraft und Hoffnung schöpfen wollte, wenn in den düsteren Wäldern, in die wir ziehen würden, die Nacht nur Finsternis und Schrecken barg.
Ich entfernte mich weiter vom Haus und auch die bangen Gedanken entfernten sich, die ich eben noch vor der Ratsversammlung ausgesprochen hatte.
Doch dann kehrten sie mit einem Male schlagartig zurück – als sich plötzlich aus dem Schatten zwischen den Bäumen eine Gestalt löste und sich mir eine kühle Hand fest auf den Mund preßte!
Ruckartig schossen meine Hände vor, umklammerten den Arm, der mich packte. Ich versuchte mich zu entwinden, aber es gelang nicht. Mein Atem fuhr durch meine Nase schnell und erschrocken gegen die Finger, die auf meinen Lippen lagen und mich jeden Schreis, jeden Lautes beraubten.
Ich wurde herumgedreht, ein paar Schritte abseits des Weges gezogen, wo wieder die Sterne blinkten und der Mond schien. Und dann sah ich endlich das Gesicht meines Angreifers: es war noch genauso wie ich es in Erinnerung hatte. Schmal, kantig, mit dunklen Augen darin, die warm und doch unergründlich blicken konnten. Eingerahmt von dunklem Haar, durch das sich nun eine einzelne graue Strähne zog. Es war Yhared. Er kam mir nahe, fand meinen Blick – und dann löste er langsam die Hand von meinem Mund und trat einen Schritt zurück.
„Ich....hatte mir eigentlich nur ansehen wollen, wo Du lebst. Daß Du mir gleich selbst über den Weg läufst, ist ein angenehmes Glück, Katze.“, sagte er und seine Stimme klang tief und sanft. Gegen meinen Willen spürte ich, wie mein Herz zu klopfen begann. Mit zitternder Hand strich ich mir über das Haar und über den Rock.
Fünf Jahre waren vergangen und doch schien uns nun kein einziger Tag getrennt zu haben. Yhared lächelte, als warte er, daß ich etwas sagte. Und war mir zuvor noch danach gewesen, ihm soviel zu sagen, so war mir nun jedes Wort unerreichbar fern und in meinen Gedanken nur Stille. Mein Herz sprach dafür wieder umso lauter, gegen das bessere Wissen, den mein Verstand besaß. So kam es, daß ich nur leise schnaufte, mich bemühte, meine Fassung wieder zu finden und mich dann langsam umdrehte mit der Absicht, meinen Weg zurück nach Hause zu nehmen.
Ich wurde aufgehalten, Yhareds Hand legte sich auf meine Schulter. „Oh, ich verstehe – Du hast mir meinen kleinen Scherz übelgenommen.“, sagte er und es klang so beiläufig, daß ich nun doch Wut im Leibe spürte. Ich fuhr herum. „Scherz? Das nennst Du einen Scherz? Ich habe die Aussicht ins Gefängnis gehen zu müssen und für Dich ist das alles nur ein Witz?“, fuhr ich ihn an. Yhared lachte und entblößte seine makellosen weißen Zähne dabei, die seinem Gesicht etwas sehr Edles verliehen. Etwas täuschend Edles.
Er hob die Achseln. „Wenn es so kommen sollte, Nariena, sind wir quitt.“, meinte er und noch immer klang es, als spräche er über nichts als das Wetter in Bree. „Wir werden niemals quitt sein, Yhared.“, erwiderte ich leise und wollte mich erneut umdrehen. Er ließ mich abermals nicht gehen. „Hör zu...ich wollte nur Deine Aufmerksamkeit. Ich wollte Dich wissen lassen, daß ich zurück bin. Und Du mußt mir zugestehen – für Menschen, wie wir es sind, war das ein sehr gelungener Gruß.“, fuhr er fort. Ich schüttelte den Kopf. „Für Dich mag es gelungen sein, für mich keineswegs.“, sprach ich. Yhared zog seine Hand zurück, er betrachtete mich nun sehr ernst und eindringlich. „Dann ist es also wahr, was ich gehört habe. Du bist nicht mehr die, die Du einmal warst. Auch das wollte ich herausfinden. Ich bedaure das sehr.“ „Wenn das alles ist, was Du wolltest, Yhared, dann geh wieder. Du und ich – wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen.“ Kaum hatte ich das gesagt, kam er wieder näher. Und bevor ich etwas dagegen unternehmen konnte, schlossen sich seine Hände um mein Gesicht und ich spürte seine Lippen auf meinem Mund. Er küßte mich.

Für einen Augenblick war ich erstarrt. In einem Gedanken, einer winzigen Empfindung, die tief vergraben fünf Jahre lang vergessen gewesen war. Ich gab mich einer Vertrautheit hin, die mir mein Herz für die Dauer eines Schlages als wohl und süß vorspielte, bis sich in meiner Brust der Widerwille ausbreitete und die Erfahrung dessen, wie schmerzhaft und falsch Yhareds Küsse wirklich waren, die Oberhand gewann.
Ich schob ihn fort, entwand mich und starrte ihn zornig an. „Ist es wirklich so?“, fragte er und lachte leise. Er verschränkte die Arme und hob dann kühn das Kinn. „Ja.“, war alles, was ich erwidern konnte. „Hm.“, machte Yhared und runzelte die Stirn. „Hör mir trotzdem noch für einen Moment zu, Nariena.“, bat er dann.
Ich wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Dennoch blieb ich zögerlich stehen, fuhr mir mit dem Handrücken über die Lippen, die zu brennen schienen im giftigen Feuer einer Schlange. „Ich habe ein Angebot, das ich Dir machen will. Komm mit mir.“, begann er, doch nun war ich es, die leise zu lachen begann. Seine Worte erschienen mir so absurd und unmöglich, daß es keine andere Erwiderung darauf gab. „Es ist mir ernst. Ich weiß, wer jener Mann ist, dessen Schar Du Dich angeschlossen hast. Er mag bekannt sein als großer und siegreicher Kämpfer, aber das, was ihn und auch andere bald erwarten wird, wird ihn zerquetschen wie einen lästigen Käfer unter dem Huf eines Gauls!“ Ich spannte mich leicht an. „Ich glaube Dir nicht, daß Du irgendetwas über ihn weißt, Yhared.“, sagte ich.
Yhared ließ sich indes jedoch nicht beirren und sprach weiter: „Oh doch, in Bree wird viel geredet. Und nicht nur in Bree. Er bestellt neue Beschläge für seine Pferde bei den Hufschmieden, kauft Sättel bei den Lederern und läßt seine Rüstung ausbessern. Das alles deutet daraufhin, daß er wieder in die Schlacht ziehen wird. Und es gibt nur eine Schlacht, in welche die Ruhmreichen ziehen: jenseits des Anduin, wo die alten, dunklen Wälder der Elben beginnen. Ich will Dir noch einmal sagen, daß Du nicht mit ihm gehen solltest. Nein, geh mit mir dorthin.“
Ich schüttelte den Kopf. „Yhared, Du weißt genau, daß ich nicht den geringsten Grund habe, mit Dir irgendwohin zu gehen. Nicht einmal, mit Dir hier zu stehen und zu reden.“
Damit wandte ich mich ein letztes Mal um und diesmal würde er mich nicht aufhalten, zu gehen. Er tat es auch nicht. Er rief mir nur noch etwas nach: „Wie viele andere auch ist der Name Deines Fürsten kein unbekannter in jenen Landen! Ich werde auf Deine Schritte achten, bereite Dich darauf vor, fortan einen Schatten zu haben, Katze. Man sieht sich immer zweimal im Leben!“
Ich hielt noch einmal inne, fuhr herum – doch die Kuppe des Hügels, auf der Yhared eben noch gestanden hatte, lag nun wieder so einsam wie zuvor in der Dunkelheit. Er war verschwunden und für einen Moment fragte ich mich, ob er wirklich dagewesen war. Doch als ich immer noch den Zorn in mir wallen spürte, wußte ich, daß er mir gegenüber gestanden hatte. Ich konnte nun nur eines tun: diese Begegnung so schnell wie möglich wieder vergessen. Ob es mir gelang? Nein. Das tat es nicht.

Ich raffte wieder meinen Rock und eilte, so schnell es die Nacht um mich herum zuließ, den Pfad zum Hof hinab. Ich blieb an einem Busch hängen, riß mir den Stoff meiner Kleider ein, beachtete es aber nicht. Auch stießen meine Zehen gegen Steine, doch selbst dies war mir gleich. Ich wollte nach Hause, die Türe hinter mir verschließen und die Wärme meines Zimmers um mich spüren.
Die Dunkelheit war plötzlich bitterkalt, die Sterne strahlten nur noch matt und selbst der helle Vollmond verblaßte. Ein Schleier legte sich über die Welt. Und es geschah, weil ich trotz aller Versuche, mir einzureden, daß Yhared wirr und unwahr gesprochen hatte, seine Warnung mehr als ernst nahm. Ich kannte ihn zu gut, um es nicht zu tun. Er hatte sich in den fünf Jahren, die wir einander weder gesehen noch gesprochen hatten, genauso verändert wie ich es getan hatte. Auf eine andere Weise, das ganz gewiß, doch war es geraten, ihm nun noch mehr zu mißtrauen, als ich es bis jetzt getan hatte.

Das Haus, das im Tal vor mir lag, kam näher, wurde größer. Schon sah ich den großen Felsen, der das Ende des Pfades markierte, und stürzte an ihm vorbei. Ich rannte über den Hof, riß die Pforte zum Haus mit beiden Händen auf und schlüpfte rasch in die Vorhalle. Ich wollte mich hier nicht aufhalten, ich hatte schon die Treppe im Blick, die hinauf zu den Schlafkammern führte, als ich plötzlich hart mit jemandem zusammenprallte.
Eine Gestalt schob sich in den Türrahmen, der zur großen Halle führte, und mir war, als sei ich gegen eine Mauer gelaufen, die der wilde Strom meiner Gedanken vollkommen ausgeblendet hatte.
Ich taumelte zurück, spürte einen kurzen Nachhall des Zusammenstoßes in meiner Schulter und an meiner Seite und war dann nicht mehr Herrin meiner Haltung. Meine Knie gaben nach, wurden weich und ich fiel hin, als hätte mich ein Sturm von den Füßen gerissen.
Meine Knie schlugen dumpf auf den Holzboden auf und ich riß noch die Arme vor, um mich mit den Handflächen aufzufangen und abzustützen. Und dann konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich verharrte auf dem Boden kniend, mein Blick verschwamm von einer unsinnigen Träne, die mir in die Augen stieg. Ich zitterte.
Die Gestalt ging vor mir in die Hocke und behutsam griffen mich zwei Hände um die Oberarme, um mich wieder aufzurichten, aber ich konnte die Hände nicht vom Boden lösen. Mein Gewicht lastete darauf und ich dachte, wenn ich sie zurückzog, dann würde ich einfach umkippen und mich gar nicht mehr halten.
Mühsam hob ich den Kopf und blickte in Therowigs Gesicht, daß mich angespannt und mit Sorge in den Augen betrachtete. „Ich kann nicht aufstehen.“, brachte ich hervor und dachte mir im gleichen Augenblick, wie unsinnig das für Therowig klingen mußte. „Hast Du Dich verletzt?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Ich wollte Dich gerade suchen...“, fuhr er fort und ich wünschte mir, daß er das schon viel eher getan hätte. Es hätte mir die unliebsame Begegnung mit einem bösen Geist aus der Vergangenheit vielleicht ersparen können.
Ich krallte immer noch die Fingerspitzen in die Bodendielen, als Therowig sich nun auch auf die Knie niederließ und seine Hände auf meinen Armen hinabwanderten zu meinen Handgelenken. „Du bist ja vollkommen aufgelöst. Beruhige Dich.“, sagte er und endlich schien seine Stimme ein wenig zu mir durchzudringen. Ich erhob erneut den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. In seinen Augen war nichts. Nicht das geringste. Nur ein aufmerksamer Schein, ehrliche Klarheit und eine sonderbare Anteilnahme. Aber sie waren grün. Nicht dunkel wie der Schatten. Und das gab mir meine Kraft zurück.

Ich atmete schließlich tief durch und die Starre, die meine Glieder umklammert gehalten hatte, löste sich. Ich ließ die Schultern hängen, ebenso den Kopf. Dann konnte ich mich aufrichten. Therowig nahm meine Hände und umschloß sie fest. „Besser?“, fragte er. Ich nickte zaghaft und mir stieg ein wenig die Röte in die Wangen. „Wo warst Du?“, fuhr er fort. „Im Garten. Und dann....auf dem Hügel.“, sagte ich leise. Therowig erhob sich langsam und zog mich vorsichtig auf die Füße. Als ich ihn diesmal ansah, war sein aufmerksamer Blick dem einer ahnungsvollen Einsicht gewichen. „Und ich nehme an, Dir sind dort oben nicht nur ein paar Feldhasen und Nachtfalter begegnet...“, meinte er, seine Stimme wurde tiefer. Ich wich ihm aus. „Ich würde gern auf mein Zimmer gehen.“, sagte ich nur. Therowig drehte sich um, hielt immer noch eine meiner Hände fest und ging dann voran.
Sein schwerer Schritt erklang vor mir auf der Treppe und ich war ihm dankbar dafür.

So erleichtert wie nie zuvor betrat ich meine Kammer und ließ mich auf mein Bett fallen. Therowig schloß die Tür und blieb im Raume stehen. Unter der Schräge der Dachkammer mußte er ein wenig den Kopf einziehen. „Willst Du mir sagen, was passiert ist?“, fragte er schließlich.
Ich öffnete den Mund. Ich hätte es ihm gerne gesagt, aber etwas hinderte mich daran. Ich wußte nicht, was es war. Vielleicht der Wunsch, die vergangenen Momente nicht so alsbald erneut durchleben zu müssen, vielleicht aber auch die Drohung, die Yhareds Worten innegelegen hatte. Die Warnung, die ich erst einmal selbst überdenken wollte, bevor ich sie auf Therowigs Schultern lud.
„Thero...glaubst Du, daß zwei Menschen, die sich verloren haben, sich im Leben ein zweites Mal begegnen können?“, setzte ich statt einer Antwort also selbst zu einer Frage an. Therowig zog die Brauen hoch. „Das hoffe ich doch.“, meinte er. „Ich hoffe es nicht.“, entfuhr es mir und sah, wie er die Stirn zu runzeln begann.
Er machte einen Schritt auf mich zu. „Nariena, sag mir, was geschehen ist.“ Ich schwieg und senkte den Blick. Einen Augenblick verharrte Therowig noch, dann wandte er sich um und ging wieder zur Tür. „Nun, ich kann Dich nicht zwingen.“, sagte er, und es klang beinahe traurig. Das erschreckte mich plötzlich. „Therowig!“, rief ich ihm nach. Er hielt inne, eine Hand auf die Türklinke gelegt. „Würde...würde es Dir etwas ausmachen, noch etwas zu bleiben? Hier bei mir?“, bat ich ihn und spürte wieder die Röte in den Wangen, denn ich fand, daß meine Bitte so kläglich wie die eines Kindes klang, das gerade von einem Albtraum geweckt worden war. Aber ein bißchen war es ja auch so gewesen.
Therowig sah mich jedoch nicht an, als würde er ebenso darüber denken. Er lächelte knapp. „Nein, natürlich nicht.“, sprach er und setzte sich dann neben mich. Ich griff nach seinem Arm, was ihn zu erstaunen schien, aber er ließ es zu. Auch, daß ich ihn herumdrehte und seinen Unterarm betrachtete. Ich deutete auf die zackige Narbe, die darüber verlief. „Erzähl mir etwas davon.“, sagte ich. Therowig blinzelte einmal und atmete tief aus. „Ich bin kein großer Geschichtenerzähler, aber wenn...wenn Du möchtest...dann versuche ich es.“ Ich nickte. „Ja, bitte erzähl mir einfach irgendetwas...“


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#5

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:51
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Er räusperte sich und fuhr sich mit der freien Hand über den Bart, kratzte sich am Kinn und suchte dann etwas ungelenk nach Worten. „Ja, also....da war dieser Bär.“, begann er. Ich spürte schon jetzt, wie mir etwas froher zumute wurde. „Ein Bär?“, fragte ich. Therowig nickte, und dann schien er die richtigen Worte gefunden zu haben. Er setzte eine grimmige Miene auf und beschrieb mit der Hand einen großen Bogen, der bis an die Zimmerdecke deutete. „Ja, ein Bär. Wirklich ein so großes Tier, wie ich es noch nie gesehen habe. Er war so groß wie zwei Männer lang und überragte mich also bei Weitem. Aber Bären gibt es ja viele, auch wenn er keinem, wie man sie hier im Breeland kennt, glich. Natürlich wußte ich, wie man mit Bären umgeht und die meisten sind ja auch recht friedlich, wenn man ihnen nicht gerade mit Klinge und Bogen auf den Pelz rücken will. Ich sah ihn also dort stehen...es war auf einer großen Lichtung, weißt Du, mitten im Wald. Ich wollte auf die andere Seite hinüber, dort wuchsen Wildblumen und ich hatte einem Mädchen versprochen, ihr einen Strauß zu pflücken. Denn sie wiederum hatte mir versprochen, daß sie dann....nun, das ist ja egal.“ Ich mußte lächeln und folgte dann wieder einem Fingerzeig, der mir beschreiben sollte, wie weit die Lichtung war. „Jedenfalls stand mir dieser Bär im Weg, und ich dachte noch, wenn ich einfach ruhig verharrte, dann würde er schon irgendwann wieder seines Weges ziehen. Aber das tat er nicht. Kaum sah er auch mich, richtete er sich auf die Hinterbeine auf und öffnete sein Maul, in das mein ganzer Kopf hineingepaßt hätte! Hör zu, Bär, sagte ich. Ich lasse Dich in Ruhe, und Du läßt mich in Ruhe. Ich will nur zu den Blumen, denn sie sind für ein wirklich schönes Mädchen. Wenn ich sie habe, verschwinde ich sofort wieder von Deiner Lichtung! Aber der Bär dachte gar nicht daran, mich vorbei zu lassen. Er trottete auf mich zu, wurde dann etwas schneller und schließlich noch schneller, bis er mich bald erreichte hätte. Ich sah seine gelben Augen, die hungrig glänzten und mir wurde bewußt, daß ihm mein Mädchen und erst recht die Blumen völlig egal waren. Er hatte es auf ein gutes Stück von mir abgesehen, daß er gerne verspeisen würde. Und ich hatte nun die Wahl: mich umdrehen und fliehen, und die Verabredung mit der holden Dame verlieren – oder den Kampf antreten und möglicherweise mein Leben verlieren!“
Ich lachte leise, je länger Therowig sprach, desto froher wurde ich. Er machte eine kleine Pause, wohl um mir das Übel seiner Lage zu verdeutlichen. Er sah mich auch forschend an und ich gab mir alle Mühe, diese angemessen zu würdigen.

„Naja, natürlich schreckt ein Krieger vor keinem Kampf zurück, zu dem er gefordert wird...“, fuhr Therowig fort. „Natürlich nicht...“, stimmte ich ihm zu und zwinkerte. Er nickte entschieden. „...und so blieb mir nichts, als das treue Schwert an meiner Seite zu ziehen und mich dem furchtbaren Untier zu stellen. Es jagte auf mich zu, und kaum hatte ich die Klinge erhoben, da trafen wir auch schon aufeinander und ich wurde umgeworfen. Eine zeitlang rangen wir miteinander, maßen unsere Kräfte und erprobten die Stärke unserer Muskeln. Bis dann ein Moment kam, den ich nutzen konnte, um meinen Schwertarm zu befreien und unter dem mächtigen Bärenleib hervorzuziehen. Ich wollte ihm die Klinge mitten ins Herz stoßen, da verfing sich sein Kiefer in meinem Unterarm. Er biß zu und seine Zähne bohrten sich tief in mein Fleisch! Ich bekam den Arm nicht mehr frei und fast wähnte ich schon, daß er ihn mir abbeißen und verschlingen würde, als mir die glorreiche Idee kam, die Klinge in die andere Hand zu wechseln. Er war so mit meinem Arm beschäftigt, daß er meinen Plan nicht vorausahnte und den tödlichen Schlag in seinen Nacken nicht kommen sah. Der Bär brach über mir zusammen und sein Gewicht preßte mich so zu Boden, daß ich aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen konnte. Außerdem war ich vom Kampfe erschöpft. Drei Tage und drei Nächte mußte ich so verharren, bis man mich fand. Und ich sage Dir, es hat die Kraft von fünf Männern gebraucht, um den Kiefer des Bären aufzustemmen und meinen Arm zu befreien, den er auch im Tode noch nicht freigab. So entstand diese Narbe auf meinem Arm...“, schloß Therowig.
Ich lachte erneut und als ich meinem Lachen nachhorchte, klang es diesmal wirklich heiter. „Und das Mädchen? Hast Du ihr noch die Blumen bringen können, um ihr Versprechen einzulösen?“, fragte ich. Therowig nickte. „Selbstverständlich....und sie war überaus dankbar.“ Ich ließ behutsam Therowigs Arm los und blickte ihn an. Dann legte ich den Kopf schief, als ich das kurze Aufblitzen in seinen Augen bemerkte. „So, und nun erzählst Du mir, wie Du Dir diese Narbe wirklich zugezogen hast!“, forderte ich schmunzelnd. Er knurrte ertappt auf. „Nein, das geht nicht.“, meinte er und rieb sich über die Wange. „Warum denn nicht?“ Er fuhr sich über den Bart. „Weil...mir das ziemlich unangenehm wäre.“ Ich stieß ihn leicht an. „Ich bitte Dich darum!“
Therowig zögerte noch einen Moment, dann seufzte er und gab nach. „Na schön...sie stammt von einer Prügelei. In einer Taverne.“, gab er widerstrebend zu. Meine Augenbrauen zogen sich erstaunt hoch. „Du hast Dich in einem Gasthaus geprügelt?“ Ich konnte kaum glauben, was er sprach und versuchte wieder ein verräterisches Funkeln in seinen Augen auszumachen, doch es gab keins. „Ja...“, brummte er. „Mit so einem Kerl, wir waren beide bestimmt nicht ganz nüchtern...ich weiß auch nur noch, daß er schon beinahe aufgeben wollte und vor mir auf dem Thresen lag. Ich wollte ihm noch eine Faust in den Kiefer mitgeben, um den Kampf zu beenden, als er den Kopf wegzog und ich meinen Arm statt in sein Gesicht in einen Bierkrug rammte, der dort herumstand. Er zerbrach und die Schnittkante der Scherben haben mir dann das hier beschert.....“, schloß er und winkelte seinen Arm an, nun selbst die zackige Narbe darauf betrachtend. „Das war wirklich unangenehm. Aber ich werde es niemandem verraten.“, sagte ich.
„Ich auch nicht, wenn Du mir etwas Unangenehmes zu erzählen hast.“, erwiderte er. Das Lächeln auf meinen Lippen gefror und wich wieder der Wehmut. Doch der Schatten, der auf mir gelegen hatte, kam nicht wieder zurück. So sah ich Therowig nur an. „Ich weiß.“, flüsterte ich.
Und dann schloß ich die Augen und lehnte mich an seine Schulter.

Tiefer, traumloser Schlaf schenkte mir den Mut, den ersten Sonnenstrahlen des neues Tages mit zurückgekehrter Zuversicht zu begegnen.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich zuerst ein grünes Glitzern, das durch meine Wimpern drang. Sonnenlicht durchbrach die Blätter der Ulme, die vor meinem Zimmerfenster wuchs und deren Äste nun in einer leichten Brise über das Glas der Scheibe streichelten. Ich öffnete die Augen ganz und atmete tief in mein weiches Kissen hinein. Dann hob ich den Kopf an und sah an mir hinab, ich steckte noch in den Kleidern, die ich am Abend zuvor getragen hatte. Meine Füße waren staubig und mein Haar fiel mir gelöst in dichten Locken in die Stirn.
Ich schlug mir ein wenig unangenehm berührt die Hand vor den Mund und richtete mich auf. Ich hatte Therowig am Abend gebeten, bei mir zu bleiben, weil ich nicht allein sein wollte mit mir und den Gedanken an Yhared. Und als er dageblieben war, da hatte ich mich auch nicht allein gefühlt. Er hatte die Schatten vertrieben, die mich sonst eingehüllt hätten. Und nachdem er das getan hatte, war ich eingeschlafen. Ich spürte das Echo seiner Schulter an meiner Wange.
Natürlich war er dann gegangen. Irgendwann. Ich lächelte dankbar, ohne, daß er es jetzt sehen konnte. Und es gab nur einen Weg, ihm seine Sorge zu vergelten: dem Tag, der heute auf mich wartete, und dem Gang nach Bree zu Bürgermeister Zartlärche, so aufrecht und unverzagt wie möglich zu begegnen.
Ich wusch mich. Zog mich um. Und bürstete mein Haar. Lang war es. Ich hatte es einfach immer wachsen lassen, ohne mich darum zu kümmern und zu verzieren, wie es die meisten Damen in Bree gerne taten. Die aus gutem Hause. Nun, aus schlechtem Hause war ich auch nicht, und wäre ich noch in Gondor, dann hätte man es gewiß auch als gut bezeichnet. Aber ich war einen anderen Weg gegangen und mein Haar war so geraten, wie ich geraten war: ungebändigt. Nun aber kämmte ich es glatt und flocht einen ordentlichen Zopf.
Als ich die Kammer verließ und leise die Treppe hinab in die Halle stieg, wähnte ich, daß ich alleine wäre, denn früh war es. Die Sonne erklomm gerade erst die Hügel hinter dem Haus und färbte sie rotgolden ein. Doch ich irrte, Magda hatte frisches Brot auf die Tafel in der Mitte der Halle gestellt und Tee dampfte aus einem großen Krug.
Therowig saß schweigend am Tisch und kaute auf einem Apfel herum, er sah auf, als er mich bemerkte. „Guten Morgen.“, sagte er leise und ich erwiderte es freundlich. Er gähnte verhalten und dann fiel mir auf, als er sich über die Augen rieb, wie müde sie wirkten. So, als hätte er in der Nacht nicht geschlafen. Ich setzte mich vorsichtig zu ihm und zog die Füße über die lange Bank hinweg und unter den Tisch.
Therowig trug immer einen Bart, den er fein stutzte, doch jetzt sah ich einen Schimmer auf seinen Wangen und unter seinem Kinn. Er war noch nicht rasiert und ich verengte leicht die Augen. „Therowig...“, begann ich. Er sah auf. „Hm?“ „Du hast nicht geschlafen!“, stellte ich fest und traf einen Ton, der ihn mehr tadelte, als ich beabsichtigt hatte. „Nein, habe ich nicht.“, erwiderte er ruhig und biß wieder in den Apfel. „Warum nicht?“, fuhr ich fort und griff nach dem Brot. Er hob eine Augenbraue und bedachte mich mit einem erstaunten Blick, als hätte er meine Frage nicht recht verstanden. „Ich bin Waffenmeister dieses Hauses, einer seiner Wächter...also habe ich nach dem, was Dich gestern durch die Hügel gejagt und so in Schrecken versetzt hat, Ausschau gehalten. Ich habe gewacht; das ist schließlich der Dienst, der mir aufgetragen ist, nicht?“, erklärte er.
Ich öffnete den Mund, immer noch das Brot in der Hand haltend, ohne davon zu kosten. Ich biß mir auf die Unterlippe. „Verzeih mir.“, murmelte ich. „Ich hätte Dir sagen müssen, daß es vergebens ist, nach ihm Ausschau zu halten.“ Therowig hob ruckartig den Kopf. „Ihm?“, fragte er sogleich und ich biß mir abermals auf die Lippen.
Doch bevor er mir weitere Fragen stellen konnte, deren Antworten ich noch zurückhalten wollte, betrat Aegmar die Halle.
Ich ließ das Brot zurück auf den Teller gleiten und sprang auf. Ich begrüßte Aegmar hastig, ging dann an ihm vorbei und war schon wieder halb die Treppe zu meinem Zimmer hinauf geeilt. „Ich hole nur noch meinen Mantel!“, rief ich nach unten.

Ich war auf einmal von wilder Entschlossenheit erfüllt. Es war viel zu warm, um einen Mantel überzustreifen, und so wartete ich nur eine kleine Weile ab, um die Kammer dann wieder ohne das Kleidungsstück zu verlassen. Lautlos betrat ich erneut die Halle und war beinahe froh, daß Therowig nicht mehr am Tisch saß.
Aegmar streifte sich seine Handschuhe über und zog den Schwertgurt um seine Hüfte fest. „Ich hatte noch nicht damit gerechnet, daß wir so früh aufbrechen würden – aber Du hast Recht, Nariena, je eher desto besser. Gehen wir und treten vor den Stadtherren von Bree.“, sprach er und deutete dann zur Tür.
Ich ging an Aegmar vorbei und drehte mich erst zu ihm um, als wir das Haus verlassen hatten und er den Knecht anwies, die Pferde in den Hof zu bringen. „Wo...wo ist Therowig?“, fragte ich vorsichtig. Aegmar schirmte die Augen mit der flachen Hand gegen die tiefstehende Morgensonne ab und drehte sich um. Dann streckte er den Arm aus und wies in Richtung der westlichen Hügel. „Er steigt hinauf zu den Weiden. Er meinte, es könnte ein Wolf vielleicht eins der Schafe in der Nacht gerissen haben.“, antwortete er und ich nickte schwer. Ein Wolf...nur ich wußte, was für ein Wolf wirklich dort oben in den Hügeln gewesen war. Aber nun war ich mir sicher, daß Therowig es ebenfalls wußte.
Ich schwang mich zuerst in den Sattel, als der Knecht uns die Pferde brachte. „Laß uns schnell reiten, Freund.“, sagte ich zu Aegmar. „Nicht nur um meinetwillen, sondern vor allem auch, um die Stadtwache um den Wolf wissen zu lassen. Es ist wichtig.“ Aegmar sah mich kurz an und seine Brauen zogen sich leicht zusammen, dann wanderte sein Blick nach Westen zu den Hügeln, und schließlich wieder zu mir. Abrupt, und mit ahnungsvollem Erstaunen. Er biß die Kiefer aufeinander und seine Miene wurde ernst. Auch er hatte nun verstanden.

Kurz bevor der Stand der Sonne den Vormittag anzeigte, erreichten wir Bree. Das Stadttor stand weit geöffnet, um Karren, Gespanne und Reisende, die zu Fuß oder zu Pferd unterwegs waren, in den riesigen Schlund der Stadt einzulassen.
Für jemanden, der darauf achtete war es deutlich, daß die Stadtwachen am Tor und auf den Wehrgängen der Mauern verdoppelt worden waren. Fast überall sah man nun das Stadtwappen glänzen, stolz zur Schau getragen und den Eindruck vermittelnd, daß hier nur gute Absichten und reine Herzen willkommen waren.
Ich bemühte mich in dem Gedränge auf der Straße dicht hinter Aegmar zu bleiben. Wir kamen langsam voran, doch das Rathaus der Stadt lag nicht weit entfernt vom Südtor, durch das wir geritten waren. Der weite Platz vor dem Rathaus war leer. Vielleicht lag es daran, daß hier die Präsenz der Wache besonders zahlreich war. Aegmar betrachtete es nur beiläufig, ihn interessierte in diesem Moment einzig der Umstand, möglichst rasch zum Bürgermeister selbst vorgelassen zu werden.
Sein Schwert mußte er einem der Wachmänner an der Pforte überlassen, was er nur widerwillig tat, dann durften wir eintreten. Im Inneren des Gebäudes war es dunkel und unsere Augen brauchten einige Sekunden, um sich daran zu gewöhnen. Zartlärche saß an einem großen Tisch in einem kleinen Empfangssaal im rückwärtigen Flügel des Hauses. Briefe, Dokumente und andere Zeugnisse lagen verstreut vor ihm, doch mir schien es, daß er sich eines davon besonders aufmerksam besah.
Als Aegmar und ich ihm angekündigt wurden, horchte er auf und trat um seinen Schreibtisch herum. Er streckte Aegmar zum Gruße beide Hände entgegen, mir nickte er nur knapp zu. Er bat uns Platz zu nehmen und nachdem er und Aegmar sich über das Wetter in Bree und den Zustand der Straßen ausgetauscht hatten, kam abrupt jener unheilvolle Grund zur Sprache, der meinen Fürsten und mich hierher geführt hatte.
Zartlärche ließ Aegmar zuerst sprechen und hörte sich sehr genau an, was er vorbrachte. Er erzählte ihm direkt und ohne Umschweife, was ich ihm über Yhared gesagt hatte und fügte seine eigene Einschätzung der Dinge an. Er schloß mit jenem Satz, den Herr Aneawin gesprochen hatte: es kann sich hier nur um Rache handeln, und sonst nichts.
Zartlärches Blick schwenkte von Aegmar schließlich zu mir und er sah mir eine Weile ins Gesicht. Dann richtete er das erste Mal das Wort an mich: „Ich kenne Euren Herrn Vater sehr gut, Fräulein Nariena. Er war immer ein angesehener Mann, als Eure Familie noch in Bree lebte – lange bevor sie sich entschloss, hinaus auf das Land zu ziehen. Und ich erinnere mich gut an das Ereignis, daß sie dazu bewegte. Yhared spielte darin ja eine nicht unerhebliche Rolle.“, sagte er. Aegmar drehte langsam den Kopf zu mir, ich wehrte seinen fragenden Blick ab. „Aber wie dem auch gewesen sein mag...“, fuhr er dann fort, „...der Bericht von Herrn Aegmar, ebenso seine zu höchst geschätzte Meinung zu den jüngsten Vorfällen, decken sich mit einem Geständnis, das ich aus anderer Feder als der Euren heute morgen bereits erhalten habe.“
Aegmars Blick wandte sich wieder von mir ab und bedachte nun den Bürgermeister mit größtem Erstaunen. Ich tat es Aegmar gleich. „Was meint Ihr?“, fragte ich überrascht. „Was für ein Geständnis?“ Zartlärche nahm wieder den Brief in die Hand, den er zuvor so interessiert betrachtet hatte, und legte ihn so hin, daß wir ihn einsehen und lesen konnten.



Einen schönen Gruß dem Herrn Bürgermeister Gustav Zartlärche und seinen breeländischen Vasallen,

mit größter Sicherheit haben die edlen Herren schon festgestellt, daß das schändliche Verbrechen, begangen an unserem geschätzten Stadtoberhaupt höchstselbst, nicht von der Hand Frau Nariena Ghaldeans verübt worden ist. Sollte dem nicht so sein, bin ich sicher, daß im Laufe dieses Tages, empörter Protest von Seiten ihres erlauchten Fürsten Aegmar und dem Hause Faust und Feder darob bei Ihnen eingehen wird.
Ich erlaube mir hiermit, diesem vorzugreifen und zu bestätigen, daß besagte Dame völlig unschuldig sei, obgleich ein Beweis ihres Tuns am Ort der Tat gefunden wurde. Ich gestehe hiermit, diesen dort platziert zu haben, um den Verdacht auf so offenkundige Weise auf sie zu lenken. Über meine Gründe hierzu mögen die Herren nun streiten, ich gestehe aber des weiteren, daß auch dieser offen vor Ihnen liegt, denn wie aktenkundig ist, hatte ich vor einiger Zeit das Vergnügen, im Gefängnis zu Bree beherbergt zu werden. Und wer mir diese Unterkunft verschaffte, ist auch in den Akten verzeichnet.
Man möge mir also mein kleines Unterfangen, das ich allein und selbsttätig ausführte, verzeihen. Oder auch nicht. Das überlasse ich den edlen Herren.

Mit meinen besten Empfehlungen,
Yhared Manu


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#6

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:52
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Aegmar und ich blickten beide schweigend auf das Dokument, auch, nachdem wir es ein zweites Mal durchgelesen hatten. Ich erkannte die Handschrift wieder, es war die von Yhared, und es bestand kein Zweifel daran, daß er dieses Geständnis tatsächlich selbst geschrieben hatte. Ich schürzte die Lippen und auch Aegmar runzelte nachdenklich die Stirn. Doch Zartlärche streckte uns bereits wieder seine Hand zum Abschiedsgruß hin. „Also...ich entschuldige mich für die Unanehmlichkeiten, bin jedoch sicher, daß es dafür Verständnis gibt. Ich betrachte die Angelegenheit nun als erledigt und Bree wird sein Augenmerk auf den wahren Täter lenken. Vielleicht tröstet das meine Frau ein wenig über den Verlust ihres Schmucks hinweg.“, versuchte er noch zu scherzen, doch Aegmar verabschiedete sich mit reichlich ernster Miene von ihm. Zartlärche wünschte uns einen erfolgreichen Tag, bat Aegmar noch, Frau Magda schöne Grüße auszurichten, und entließ uns dann aus der Amtsstube.
Ich folgte Aegmar aus dem Gebäude, wo er sein Schwert zurück erhielt, es sorgsam umgürtete und wir uns dann nach unseren Pferden umsahen. Wir saßen nicht auf, sondern führten sie am Halfter aus der Stadt hinaus. Und erst, als wir Bree ein Stück weit wieder hinter uns gelassen hatten, atmeten wir tief durch und sahen uns ratlos an. „Nun...ich bin froh, daß sich die Dinge geklärt haben, wenn auch auf eine....ungewöhnliche Weise.“, meinte Aegmar, griff dann in die Mähne seines schwarzen Pferdes und zog sich in den Sattel hinauf. Ich blieb noch für einen Augenblick auf der Straße stehen und streichelte über die Nüstern meines Reittieres. „Ich stimme Dir darin zu, daß ich für die Klärung dankbar bin. Aber ich muß auch sagen, daß ich ihr nicht traue.“ „So?“, fragte Aegmar. Ich stieg nun ebenfalls in den Sattel und wir ließen die Pferde langsam antraben.
Ich atmete tief durch und sah zu Aegmar hinüber. „Das ergibt doch alles keinen Sinn!“, sagte ich, etwas heftiger, als ich es beabsichtigt hatte, aber ich konnte die Worte kaum mehr zurückhalten. „Nunja, es war recht einfach.“, sprach Aegmar. Ich schüttelte den Kopf. „Es war viel zu einfach. Erst bringt Yhared mich in Schwierigkeiten, und dann gesteht er die Tat selbst ein? Warum und zu welchem Zweck hat er das getan? Bestimmt nicht, weil er sein Tun plötzlich bereute. Nein, er hatte einen ganz bestimmten Grund, das zu tun.“, fuhr ich fort. „Er wollte Dir einen Schrecken einjagen, Nariena, und ein bißchen Ärger bereiten, für das, was auch immer zwischen ihm, Dir und Deiner Familie vorgefallen ist. Ich wußte nicht, daß er der Grund dafür war, daß Dein Vater es vorzog, Bree zu verlassen.“, versuchte Aegmar mich zu beruhigen. Seine hellen Augen blickten freundlich und aufmunternd, doch ich schüttelte abermals den Kopf. „Mein Vater ist ein überaus stolzer Mann. Nachdem Yhared ihn bestohlen und dazu den Ruf meiner Familie sehr geschädigt hatte, hat er Bree verlassen. Er konnte es nicht mehr ertragen, mitleidig angesehen zu werden, weil es irgendeinem Halunken gelungen war, ihm übel mitzuspielen. Einem, den er auf meinen Wunsch hin fast wie einen Sohn in sein Haus aufgenommen hat. Darum ist er gegangen.“
Aegmar nickte bedächtig. „Ich verstehe. Yhared macht es sich gern zum Geschäft, andere zu demütigen und zu beweisen, daß er einfach ein großer Betrüger ist, vor dem man nie sicher zu sein scheint. Ich denke, genau das wollte er auch Dir beweisen, da er jetzt wohl wieder auf freiem Fuße ist.“ „Das erklärt immer noch nicht, warum er es getan hat. Aegmar...sei nicht zornig auf mich, wenn ich Dir jetzt sage, daß Yhared vergangene Nacht in den Hügeln hinter dem Anwesen herumgeschlichen ist.“, fuhr ich behutsam fort und wandte den Blick geradeaus.
Aegmars Sattel gab ein leises, knarrendes Geräusch von sich, als er sein Gewicht verlagerte. „Nun...Therowig hatte eine ähnliche Vermutung am Morgen. Und ich bin tatsächlich der Ansicht, daß Du es mir oder ihm sofort hättest sagen müssen, daß Du ihn gesehen hast. Er hätte auch in mein Haus einbrechen und dort Unheil stiften können.“, erwiderte er. „Es war nicht seine Absicht, etwas zu stehlen. Er wollte mich nur sehen. Und mir etwas sagen.“, sagte ich. „Was hat er Dir gesagt?“ „Er hat mich gewarnt. Und zwar vor Dir.“

Aegmar zog abrupt die Zügel an und sein großes Pferd kam mit einem leichten Wiehern zum Stehen. „Bitte? Vor mir hat er Dich gewarnt?“, fragte er und brach dann in schallendes Gelächter aus. Aber mir war nicht zum Lachen zumute. „Vor mir?“, wiederholte er erneut. „Was für ein Narr dieser Yhared ist.“ Ich hatte Aegmar noch nicht alles gesagt. „Vor Dir und vor allem davor, mit Dir bald wieder gen Osten zu ziehen.“ Aegmar lachte immer noch, atmete dann aber tief durch. „So, und warum solltest Du das nicht tun?“, fragte er erneut. „Das hat er nicht gesagt, er beschwor mich nur, daß, wenn ich in den Düsterwald aufbrechen sollte, es an seiner Seite tun sollte und nicht an der Deinen.“ Aegmar schüttelte den Kopf. „Mir scheint, dieser Yhared hat den Verstand verloren. Und nun gebe ich Dir Recht: das ergibt alles wirklich keinen Sinn.“ Er ließ die Zügel wieder fahren und sein Pferd trabte erneut an. „Wir kennen diesen Sinn nur nicht.“, murmelte ich. Aegmar wehrte mit einer Hand ab und es war entschieden. „Wir werden in fünf Tagen aufbrechen – ob es Deinem Freund gefällt oder nicht! Und was immer er auch glaubt, was im Osten geschehen könnte, ich kenne diese Lande und weiß, daß sie unheilvoll sind. Du wirst mir aber wohl mehr vertrauen als ihm. Wir sind vorbereitet. Und zwar auf alles.“ Aegmars Blick wurde leicht ärgerlich. „Vielleicht wird er uns folgen. Er hat es angedeutet.“, sagte ich. „Soll er.“, brummte Aegmar. „Dann wird er mich kennenlernen! Ich habe langsam genug von diesem breeländischen Pack, das mir die Laune verdirbt! Es wird Zeit, daß ich das Schwert an meiner Seite wieder gebrauche und mir der Schlachtenwind um die Nase weht. Es lauern größere Dinge in dieser Welt, denen es entgegen zu treten gilt, als so einem kleinen Ganoven!“
Mit diesen Worten spornte er sein Pferd an und wir preschten die Straße entlang.

Nach Hause.

Der fünfte Tag kam. Der Tag, den Aegmar ersehnt hatte, und dem wir alle voller geschäftiger Aufregung und langen Stunden der Planung entgegengegangen waren.
Am Vorabend waren alle Lichter im Haus entzündet, und Magda hatte mit Wehmut die Tafel in der Halle reichlich gedeckt. Ich hatte ihr geholfen, und nur mit Mühe ihr stetes, gemurmeltes „O weh, o weh!“ ertragen. „Er geht wieder fort, der junge Herr, möge das Schicksal ihn behüten.“, hatte sie dann händeringend angefügt und den Blick beschwörend an die Zimmerdecke geheftet. Ich hatte es irgendwann aufgegeben, sie beruhigen und ermuntern zu wollen. Ihr zu versichern, daß wir im nächsten Sommer alle wieder wohlbehalten ins Breeland zurückkehren würden.
Als Therowig einmal in der Küche erschienen war, um eine Flasche Wein zu holen, hatte sie ihm sogar in die Wange gekniffen und ihn angefahren, daß er „auf ihren guten Herren doch ja Acht geben möge!“
Therowig hatte diese Geste glücklicherweise mit einem Augenzwinkern hingenommen und der alten Köchin wohlmeinend die Hand auf die Schulter gelegt. „Er ist so ein Raufbold!“, hatte sie dann gebrummt und mich finster angeblickt. „Wer? Herr Therowig?“, fragte ich erstaunt und Magda nickte. „Magda, er ist alles andere als ein Raufbold. Außerdem ist er der beste Freund unseres Fürsten, das solltest Du nicht vergessen. Aegmar wählt seine Freunde mit Bedacht aus.“, erwiderte ich lächelnd. Vielleicht stellte es die Köchin zufrieden, vielleicht auch nicht – aber wenigstens schwieg sie nun.
Das Mahl dagegen, das uns von Haus und Hof verabschiedete und uns ein letztes Mal seine warme Gemütlichkeit schenkte, war alles andere als schweigsam. Aegmar war bester Laune, Herr Aneawin war es ebenso und selbst Therowig ließ sich dazu verführen, es abermals als Geschichtenerzähler zu versuchen. Es gelang nicht recht, woran allerdings nicht ein mangelndes Redegeschick Schuld trug, sondern eher ein Krug Bier, den er zuviel geleert hatte. Aber das sorgte nur für noch mehr Heiterkeit und kein Gemüt blieb an diesem Abend der ausgelassenen Fröhlichkeit verschlossen. Nur Maethruth, still und eher betrachtend, als teilnehmend, hielt sich von dem Gelächter fern und zog sich irgendwann an den großen Kamin in der Halle zurück. Er zog eine Pfeife hervor, stopfte sie sorgsam und ein bißchen kam es mir vor, als weilten seine Gedanken nicht im Düsterwald, wie er vor uns lag, sondern in den vergangenen Tagen, in denen er den Wald mit seinen uralten Augen noch auf andere Weise gesehen und besucht hatte. Ich konnte mir nie richtig vorstellen, daß diese dunklen Lande einst von blühendem Grün überzogen gewesen sein sollten, prächtig gediehen unter elbischer Hand und erfüllt von elbischem Leben. Aber er berichtete uns davon und stimmte, als die Tafel abgeräumt war und langsam Stille einkehrte im Hause, eine Weise an:



Im Funkenregen der Gelichter,
Der durch der Blätter Dach erglüht,
Da seh'n einander zwei Gesichter,
Und seh'n wie Eins das And're sieht.

Inmitten der smaragd'nen Funken
Unendlich grüner Waldeshall'n,
Da sind sie ganz und gar versunken,
Eins dem And'ren zu gefall'n.

Jahrelang würd' es sie freu'n,
Solang' der Wald auf Erden wohne,
Dem Blick des And'ren Freud' zu sein,
Vereint von Wurzel bis zur Krone. *




Wir lauschten ihm still und träumend, und in einer Träne, die sich in den ein oder anderen Augenwinkel schlich, spiegelten sich die Bilder wider, die er mit seiner hellen Stimme besang. Vielleicht war dies sein ganz eigener Grund in den Krieg zu ziehen: dem Wald das Leben zurückzubringen, so wie es einst gewesen war.
Dann brach die Nacht herein und noch ein paar Stunden Schlaf wollten wir finden, bevor der Morgen auch die Stunde unseres Aufbruchs bestimmte.

Einige Kisten stapelten sich abenteuerlich in der Halle, Reisesäcke und prall gefüllte Satteltaschen. Schwerter standen in einer Reihe an die Wand im Vorraum gelehnt, dazwischen ein paar Bögen und eine Armbrust. Zwei Köcher, ein Streitkolben und Herrn Aneawins schwere Hellebarde. Ja, wir zogen in den Krieg. Und wie Aegmar gesagt hatte: wir waren auf alles vorbereitet.
Der Sonnenaufgang war noch eine Stunde fern, doch ein roter Schimmer kündigte ihn bereits am östlichen Himmel an. Wie ein loderndes Feuer, dachte ich. Oder wie Blut. Aber diesen Gedanken verwarf ich sofort wieder. Er war ungehörig, denn niemand von uns war ohne Zuversicht und Hoffnung.
Ich hatte nur einen Rucksack bei mir, der mir über die Schulter hing, als ich die Halle betrat. Gekleidet war ich in Reisemantel und weiche Hosen aus dunklem Leder, die Aegmar mir hatte schneidern lassen. Ein Wams trug ich dazu, noch ärmellos, doch war es leicht mit Pelz auszufüttern, wenn der Winter irgendwann kam. Neue Stiefel hatte ich, und das schlanke Schwert, das Therowig mir beschafft hatte. Alles in allem war es nicht viel, aber ich brauchte ja auch nicht viel.
Wenn mir etwas fehlen sollte, dann hatte ich es immer irgendwie beschaffen können. Ich stellte meine Tasche zu den anderen.
Aegmar steckte in einem langen Kettenhemd, über dem er seinen Waffenrock mit dem Wappen seines Hauses trug. Ich hatte ihn lange nicht mehr gerüstet gesehen, doch als er auch seinen großen Schild zur Hand nahm und ihn schulterte, da war mir sein Anblick wieder mehr als vertraut. Mit leuchtenden Augen und stolzem Gesicht überwachte er, wie die Kisten und Truhen langsam aus dem Haus geschafft und auf die Packpferde geladen wurden.
Therowig stolperte in die Halle, sich mit einer Hand noch den Schwertgurt um die Hüfte windend, mit der anderen versuchte er die Schnallen seines Panzers zu schließen. Magda brummte etwas, daß ich nicht recht verstand, aber es sollte wohl bedeuten, daß sie Therowig wieder einmal für einen Rüpel hielt. Ich schmunzelte und ging auf den Freund zu. „Laß mich Dir helfen.“, sprach ich sanft und trat an seine Seite, wo ich unter seinem abgewinkelten Arm den kühlen Stahl seiner Rüstung berührte und die letzte Schließe zuzog. „Vielleicht hätten wir Dich auch noch zum Rüstschmied schicken sollen, Nariena.“, sagte Therowig zwinkernd und hob nun den anderen Arm an, daß ich auch dort unter seiner Achsel den Schließriemen festziehen konnte. Ich lachte. „Bei Elendil, ich könnte dieses Ding, in dem Du steckst, nicht einmal hoch heben, geschweige denn mich darin nützlich bewegen.“ Therowig schmunzelte und überprüfte dann den Sitz des Panzers. Schließlich dankte er mir, ging und nahm seine Klinge von der Wand. Sie fand Platz an seiner Hüfte und dann kam aller Aufruhr zu einem Ende. Unser Gepäck war verstaut. Segen und Wünsche wurden nun ausgesprochen. Abschied genommen und der letzte Blick getan.

Wir waren fünf Reiter, als wir den Hof verließen. Die Nacht lag in unserem Rücken und vor uns breitete die Sonne die Arme für unsere lange Reise nach Osten aus.




________________
*Gedicht verfaßt von Maethruth. Titel: "Einander - ein Entpärchen". Heiteres Gedicht der Waldelben

(Danke!)


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#7

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:53
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Die Straße trug uns an den sumpfigen Ufern des Mückenwassermoores vorbei, führte uns über den Paß der Wetterberge und durch das hügelige Grasland der Einsamen Lande. Vorbei an verfallenen Ruinen, an weiten Tälern und ausgetrockneten Flüssen. Über Brücken und Stege bis tief hinein in die Wildnis der Trollhöhen. Eine Woche verging, zwei Wochen, bis wir die Feste Thorenhad passiert und uns langsam der Furt des Bruinen näherten, der die Trollhöhen wie ein magisches Band teilte. Vor uns lagen die Berge, steil aufragend, bewachsen mit uraltem Baumwerk und dunklem Gestein. Irgendwo hinter den Zacken der zahlreichen Gipfel lag versteckt die Zuflucht von Bruchtal. Wir überquerten den Bruinen, verließen dann die Straße und folgten einem Pfad, der an seinem Ostufer entlang weiter in die Wildnis führte.
Unsere Vorräte waren geschrumpft, doch nicht verbraucht. Und hatte Aegmar einen gemächlichen Schritt eingeschlagen, um die Pferde zu schonen, so kamen wir doch gut voran – ganz so, wie er es geplant hatte. Das Wetter war uns hold, die Bäume schützten uns vor dem Regen, der ab und an eingesetzt hatte, und die hohen Schluchten vor dem Wind.
Langsam wurden die Nächte kühler, doch wir froren nicht, denn immer brannte ein helles Feuer, wenn wir lagerten und die Felsen waren noch warm von der Sonne.
Ich hatte viele Tage schweigend mit meinen Gefährten verbracht, meist in Gedanken, die immer zurück gerichtet waren. Meine Augen hatten stets auf den Horizont geblickt, bis das Dämmerlicht die Schatten verschwimmen ließ und alle Umrisse unkenntlich machte. Und dann suchten sie im Unterholz nach Bewegungen und Blicken, die auf mich gerichtet waren.
Irgendwann vergaß ich meine Vorsicht, denn nie sah ich etwas, das mich aufschreckte, nie hörte ich das Nahen lauernder Schritte, die mir folgten. Da war nichts, keine Spur von Yhared, und ich gab Aegmar langsam Recht: er hatte mir nur einen Schreck einjagen wollen, und seine Warnung nicht wahrgemacht.
Der Bruinen begleitete uns noch einen Tag lang, dann trennten wir uns von seinen Uferwegen und begannen einen kleinen Aufstieg über einen der Ausläufer des Gebirges. Ein schmaler Pfad schlang sich um die Wand des Berges und zu unserer Linken fiel er steil ab in eine tiefe Schlucht. Dann mündete er auf einem Hochplateau, das uns einen wolkenverhangenen Blick auf die fernen Gipfel des Nebelgebirges freigab. Ein paar niedrige Bäume und Büsche wuchsen hier, und da es eine kleine Quelle gab, beschloß Aegmar, daß wir hier eine längere Rast einlegen würden und unser Lager aufschlugen.
Wir stellten ein Zelt auf und banden die Pferde an die Bäume. Hohes Gras gab es an diesem Ort und einen lauen Wind, der uns erfrischend durch das Haar strich.
Und hier bereute ich auch das erste Mal, meine Umsicht und meine Ahnungen aufgegeben zu haben.

Die Sonne wich der Dämmerung und dann der Nacht, als ich ins Lager zurückkehrte, die Arme beladen mit trockenem Feuerholz, das ich gesammelt hatte. Ich hatte meine Decken neben der Feuerstelle aufgeschlagen und lud das Feuerholz daneben ab, als mein Blick auf meinen Rucksack fiel. Er war offen. Und ich hatte ihn nicht offen zurückgelassen. Ich hob den Kopf und drehte mich um, mit den Augen nach meinen Gefährten suchend.
Aegmar hatte sich in das Zelt zurückgezogen, Maethruth ebenfalls. Aneawin saß etwas abseits unter einem der Bäume, den Rücken an den Stamm gelehnt, und schlief. Aegmar hatte ihn wie zumeist für die Nachtwache eingeteilt, und so hatte er sich schon zur Ruhe begeben, noch bevor ich aufgebrochen war, um Feuerholz zu finden. Ich drehte mich um, bis ich auch Therowig entdeckt hatte. Er stand bei seinem Pferd, hatte eines seiner schlanken Beine zwischen seine Knie geklemmt und kratzte etwas aus dem Huf des Tieres. Nein, keiner meiner Gefährten hatte Hand an mein Gepäck gelegt.
Sie hatten dazu weder Grund noch Anlaß, und doch fühlte ich leichtes Mißtrauen in mir aufsteigen. Ich betrachtete wieder die offen stehende Tasche. Vielleicht hatte ich es doch einfach vergessen, sie zu schließen, bevor ich gegangen war. Ich war mir nun nicht mehr sicher – vor allem wollte es mir nicht einfallen, wie Yhared hätte in das Lager gelangen sollen, ohne daß er entdeckt worden wäre. Das wäre selbst für einen erfahrenen Schleicher wie ihn eine nicht zu meisternde Herausforderung gewesen.
Ich kaute auf meiner Unterlippe, dann zog ich den Rucksack einfach zu und beachtete ihn nicht mehr. Ich sagte auch nichts zu meinen Gefährten darüber. Nicht, solange ich mir nicht vollkommen sicher war, daß ich nicht doch selbst so unachtsam gewesen war.
Doch bereits zwei Tage später gab es ein weiteres Anzeichen dafür, daß wir nicht länger alleine waren. Und diesmal war es deutlicher. Wir hatten den Berg umrundet und den Abstieg in die Lande von Eregion begonnen, das sich an den Flanken des Nebelgebirges ausbreitete.
Der Hulsten-Wald verschluckte uns, und dort, wo er nicht ganz so dicht war und sich eine Lichtung aufgetan hatte, rasteten wir wieder. Ich vermißte am Morgen darauf einen kleinen Handspiegel, den ich mit mir geführt hatte. Er war einfach fort, nicht mehr aufzufinden. Zuerst wähnte ich, daß ich ihn verloren haben mußte. So unauffällig wie es mir möglich war, ohne bemerkbar zu machen, daß etwas abhanden gekommen war, suchte ich im Lager umher. Meine Gefährten hatten sicher keine Verwendung für dieses Kleinod. Aegmar und Therowig ließen sich die Bärte einfach wachsen, Herr Aneawin rasierte sich stets freihändig und der Elb brauchte es gar nicht zu tun. Nein, entweder ich hatte ihn verloren – oder er war gestohlen worden. Doch wieder war ich mir nicht sicher, was zutraf, und so sprach ich abermals nicht.

Doch dann verriet Yhared sich. Nein, er wollte sich verraten! Es war am vierten Tage, nachdem wir den Bruinen überquert hatten und ein letztes Mal das Lager im Hulsten-Wald aufschlugen, bevor wir am Morgen in die weite Ebene Eregions reiten würden. Wieder war es kurz nach Sonnenuntergang und ich warf meine Decke neben das glimmende Lagerfeuer, als ich plötzlich aufschrak und die Luft harsch durch die Zähne einzog, denn aus meiner Decke fiel ein kleiner weißer Zettel. Ich ließ mich rasch auf die Knie fallen und bedeckte ihn mit der Handfläche. Ich sah mich um, ob es niemand außer mir bemerkt hatte. Dann nahm ich ihn auf und steckte ihn rasch in die Hosentasche. Aegmar kam auf mich zu, lächelte kurz und schöpfte dann etwas Suppe aus dem Kessel, der über dem Feuer hing, in seine Schale. Er setzte sich neben mich und bot mir etwas an, doch mir war der Hunger vergangen und ich lehnte ab. „Moria ist nicht mehr weit. Ich hoffe, wir kommen rasch voran, denn die lange Dunkelheit der Minen ist mir stets unerträglich.“, sagte er. Ich nickte nur. Ich wußte, was er meinte. Dunkelheit machte mir eigentlich nichts aus, doch in den letzten Momenten hatte auch ich begonnen, sie zu fürchten. Aegmar trank seine Suppe aus und streckte sich. „Ich lege mich zur Ruhe, sag Aneawin, er soll mich wecken, wenn der Mond hoch steht um Mitternacht, dann löse ich ihn zur Wache ab.“ „Ja, das werde ich.“, erwiderte ich und sah Aegmar nach, wie er sich erhob und das Bärenfell, das den Eingang des Zeltes verschloß, hinter sich hinabließ. Mich beseelte plötzlich der Wunsch, ihn aufzuhalten und zu bitten, hier bei mir zu bleiben, doch schon im gleichen Augenblick kam ich mir wieder ungehörig und dumm vor.
Ich wußte ja noch gar nicht, was auf dem Zettel in meiner Hosentasche stand. Vielleicht hatte ich ihn selbst geschrieben und dann nicht mehr daran gedacht. Ich wandte mich ab, vergewisserte mich vorher noch, daß weder Aneawin, noch Maetruth oder Therowig in meiner unmittelbaren Nähe weilten, und zog das Papier dann vorsichtig wieder hervor.
Meine Hand zitterte, als ich es entfaltete, und ich scholt mich selbst dafür. Aber noch bevor ich eins der Worte gelesen hatte, die darauf geschrieben standen, erkannte ich die Handschrift und zuckte innerlich zusammen. Es war nicht meine Handschrift. Ich biß mir so fest auf die Lippe, daß es schmerzte. Dann schloß ich die Augen und brauchte einen Moment, um mich zu sammeln und sie wieder zu öffnen.



Katze,
warte, bis der einfältige Hauptmann schläft, dem ihr stets so leichtsinnig die Nachtwache anvertraut. Dann gehe eine halbe Meile nach Süden, bis Du die drei großen Felsen am Fuße eines Tümpels siehst. Wir treffen uns dort. Und sollte es Dir einfallen, einen Deiner Freunde mitzubringen, vermißt Du morgen nicht nur Deinen Spiegel.

Y.




Ich knüllte das Papier wütend zusammen und warf es in das Feuer. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Ich konnte mir wahrhaftig nicht erklären, wie Yhared es geschafft hatte, mich abermals zu finden. Er mußte uns gefolgt sein, aber nie hatte ich ein Pferd gesehen und ich hätte es doch sehen müssen, wenn er hinter uns her geritten wäre! Oder hatte er uns überholt? Den Weg erraten, den wir nehmen würden? War er schon lange vor mir hier in Hulsten gewesen und hatte auf mich gewartet? Und wie hatte er ungesehen in das Lager kommen können? Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen konnte, war, daß mir seine Unberechenbarkeit nun wieder mehr als bewußt war. Sein Geschick, sein Mut – und seine Gefährlichkeit.

Ich mußte entscheiden, was ich tun wollte. Ich könnte mich einfach in meine Decke hüllen und versuchen zu schlafen. Oder ich wartete tatsächlich ab, bis ein günstiger Moment kam, um das Lager zu verlassen und Yhared zu treffen. Aber wollte ich ihn treffen? Allein, irgendwo in der Dunkelheit? Nein, das wollte ich nicht, aber etwas sagte mir, daß ich es mußte.

Wir, die in dieser Nacht nicht Wache halten mußte, saßen am Feuer und aßen zusammen. Maethruth stand irgendwann auf und ließ sich abseits des Feuers nieder. Er zog aus seiner Tasche ein ledergebundenes Buch und eine schlanke Feder, die kurz darauf leise über die Seiten zu kratzen begann. Er versank vollkommen in seiner Schrift und seine ruhigen Augen folgten jeder einzelnen Silbe, die er schrieb, mit der größten Sorgfalt. Ich schüttelte kurz den Kopf. Aber jeder mochte sich auf seine eigene Weise auf das vorbereiten, was im Düsterwald auf uns wartete. Aneawin ging schließlich auf seinen Wachposten. Er trat aus dem Lichtkreis des Feuers, und ich sah ihn nur noch als Schatten, der aufrecht zwischen den nahen Bäumen stand und in die Nacht spähte.
Therowig verblieb bei mir und wir unterhielten uns. Doch wirklich folgen konnte ich dem Gespräch nicht, meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Zu drei Felsen, die südlich am Ufer eines Teiches standen. Und zu denen ich aufbrechen wollte...
„Nariena, hörst Du mir überhaupt zu?“, fragte Therowig nun zum wiederholten Male und riß mich aus meiner Nachdenklichkeit. Ich sah ihn entschuldigend an und konnte nicht sagen, ob er verwundert oder ärgerlich war. „Verzeih.“, murmelte ich. „Ich bin schon recht müde, es war ein langer Tag.“ Therowig sah mich noch einen Moment lang an, dann nickte er und wandte das Gesicht dem Feuer zu. Ich seufzte lautlos und fühlte mich schuldig. Wir sprachen nicht mehr. Er stand nach einer Weile auf, ging um das kleine Feuer herum und setzte sich dann auf der anderen Seite auf seine Decken.
Es war eine laue Nacht, warm, klar und mit vielen Geräuschen erfüllt. In der Ferne heulte irgendwo ein Wolf und wir hörten eine Eule rufen. Es knackte im Gehölz und ein paar Nachtfalter summten an unserem Feuer. Mir schien jeder Laut plötzlich so laut wie ein Donnerhall zu sein. Meine Sinne waren auf das Äußerste geschärft, meine Nerven gespannt. Ich wurde unruhig. Lange konnte ich nicht mehr warten. Mitternacht nahte, der Mond zog träge seine Bahn über den Sternenhimmel.
Therowig warf mir einen letzten Blick über das knisternde Feuer hinweg zu, dann strich er seine Decken glatt, öffnete sein Hemd und wickelte sich in seinen Umhang ein, nachdem er es sich von den Schultern gestreift hatte. Er legte sich auf den Rücken und schloß die Augen. Endlich..., dachte ich und wünschte doch gleichzeitig, daß er mich länger in einem Gespräch festgehalten hätte.
Ich wartete noch, bis ich ihn ruhig und tief atmen hörte und wähnte, daß er eingeschlafen war. Ich sah zu Maethruth hinüber, der die Feder fortgelegt hatte und vollkommen gefangen in seinen Aufzeichnungen las. Aneawin war nicht mehr zu sehen und Aegmar ruhte nach wie vor im Zelt.

Lautlos stand ich auf. Lautlos trat ich aus dem Lichtkreis des Feuers. Und lautlos verschwand ich in der Nacht, den Blick nach Süden gerichtet. Ich bemerkte nicht, daß Maethruth im gleichen Moment von seinem Buch aufgesehen hatte – sich vorbeugte und dann den Arm nach Therowig ausstreckte, um ihn wieder zu wecken.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#8

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:54
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Der Waldboden war weich und ich war dankbar, daß er die Geräusche meiner Schritte verschluckte, die ich nun zweifellos in der vollkommenen Dunkelheit hinterließ. Ich stolperte mehr vorwärts, als daß ich ging, bis meine Augen gelernt hatten, das karge Licht der Sterne zu nutzen, um sich zu orientieren.
Ich hoffte, daß ich immer noch nach Süden ging. Ich zählte meine Schritte, um einschätzen zu können, wie weit ich ging und bemühte mich, nie die Richtung zu verlieren, in der sich das Lager befinden mußte. Irgendwo hörte ich einen Waldtroll wüten, Holz splitterte. Ich blieb stehen, um zu lauschen. Ich glaubte, daß er nicht in meiner Nähe war und ging dann langsam weiter. Die tiefhängenden Blätter eines Hulsten-Baumes stachen mich in die Schulter. Ich verzog kurz den Mund und schob die Zweige beiseite, die mir nun auch über das Gesicht strichen. Und dann sah ich den Teich und die Felsen, die Yhared in seiner Nachricht beschrieben hatte.
Ein dünner Halbmond brach sich in silbernem Licht auf der Wasseroberfläche des Tümpels, verschwamm in wabernden Kreisen, als ein dumpfes „Plomm!“ ertönte. Jemand warf Kieselsteine in das Wasser. Ich erkannte eine Gestalt, die auf einem der Felsen saß und dann hörte ich auch eine leise Melodie, die sie vor sich hin pfiff.
Ich biß ärgerlich die Zähne aufeinander und trat näher.

„Komm, setz Dich zu mir.“, forderte Yhared mich auf und ich gehorchte unwillkürlich. Ich griff nach dem harten Stein und zog mich neben ihn auf den Fels. Er legte einen Arm um meine Schultern, dem ich mich sofort entwand. Yhared lachte leise und ich sah seine Augen neben mir funkeln.
Er schien in guter Stimmung und war auf eine mir unheimliche Weise sehr heiter. Vergnügt griff er nun nach meiner Hand. „Ich nehme an...Dir reicht es nicht, hier mit mir im Mondschein zu sitzen und dieser wundervollen Nacht zu lauschen? Bestimmt möchtest Du wissen, wie ich hierher gekommen bin und vor allem: warum ich wollte, daß Du mich triffst?“, sagte er. „Wie gut Du mich doch kennst, Yhared...“, erwiderte ich und konnte nicht verhindern, daß leiser Spott in meiner Stimme mitklang. Yhared lachte auf. „Nun...um Dir die Fragen zu beantworten...ich war bereits hier, als Ihr eingetroffen seid. Darauf bist Du vermutlich schon selbst gekommen, denn sicherlich hast Du nach mir Ausschau gehalten. Weißt Du, Dein Fürst hat nicht gerade ein Geheimnis aus seinen Reiseplänen gemacht und sich in Bree vielfach nach dem Zustand der Passagen bis Moria und darüber hinaus erkundigt. Außerdem ist der Weg durch Hulsten der einzige, der zu dieser Jahreszeit noch begehbar ist. Ich habe Euch gesehen, als Ihr den Bruinen erreicht habt, von dort an war ich Euch immer ein paar Stunden voraus. Einmal habe ich Euch beinahe verloren, das gebe ich zu, weil Ihr länger als erwartet gerastet habt – aber Deine edlen Begleiter machen so viel Lärm, daß Ihr nicht schwer wiederzufinden wart. Klappernde Rüstungen und Schwerter an ihren Hüften...so bewegt man sich nicht ungesehen in der Wildnis.“, schmunzelte er. „Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken, Yhared. Im Gegensatz zu Dir werden wir nicht gesucht...“, sagte ich. „Ach ja...richtig. Gut, daß Du es erwähnst, Katze. Da sind wir gleich bei der Beantwortung Deiner zweiten Frage. Ich möchte Dir versichern, daß mir diese kleine Sache mit Zartlärche wirklich sehr leid tut. Und wo ich schon dabei bin, mich zu entschuldigen....mir tut auch alles andere irgendwie leid. Alles, was war, meine ich.“, fuhr Yhared fort und ich kam nicht umhin, ihn überrascht anzusehen.

„Es tut Dir leid? Einfach so? Und Du glaubst, damit würde ich alles vergessen? Was Du meinem Vater angetan hast? Was Du mir angetan hast?“, sprach ich. „Nein, das glaube ich nicht. Ich würde mir das an Deiner Stelle vermutlich auch bis an mein Lebensende nachtragen. Du warst sehr lange sehr unglücklich, aber....Nariena...ich will die Dinge wieder gutmachen, weißt Du. Ich habe ein Geschenk für Dich.“, meinte er. „Was denn, Yhared? Einen weiteren Betrug?“, fragte ich nach, die Ablehnung in meiner Stimme war unverkennbar. „Nein, nein. Ich habe Dich vor Deinem Aufbruch bereits gewarnt, in den Düsterwald zu gehen. Ich warne Dich hiermit noch einmal.“, erwiderte er. Ich schüttelte den Kopf und wollte aufstehen. „Ich vergeude meine Zeit.“, entschied ich. Doch bevor ich mich abwenden konnte, packte er mein Handgelenk. Fest. Sehr fest.
„Du warst schon einmal dort, Nariena, nicht wahr? Ich kenne Dich wahrhaftig, Deine Neugier hat Dich dorthin hingebracht.“ Ich hielt inne. „Ja.“, sagte ich knapp. „Seit Du das letzte Mal diese Wälder gesehen hast, hat sich viel verändert. Nicht nur die Elben haben ihr Heer aufgerüstet und sich Verbündete an ihre Seite geholt. Auch die Orks haben es getan – und es ist eine Macht, die direkt aus den schwarzen Landen im Osten hierher blickt!“, verkündete er und senkte dann die Stimme. Ich zog die Brauen leicht zusammen. „Woher weißt Du das, Yhared?“, fragte ich. Mißtrauisch. Er hob die Achseln. „Na, ich war dort. Ich habe sie gesehen. Ich finde das alles recht....interessant.“, meinte er. „Interessant? Du glaubst wirklich, alles sei ein Spiel, oder?“, fuhr ich ihn an. Er zuckte wieder mit den Schultern. „Ein Spiel oder nicht. Ernst oder nicht. Jedenfalls weiß ich mehr, als Dein Fürst weiß.“

Ich hatte nun genug. Ich spannte die Muskeln in meinem Arm an und entriß Yhared mein Handgelenk „Yhared...laß mich zufrieden. Ein für allemal.“, sagte ich und meinte es so. Ich wollte nichts mehr hören, zu gerne hätte ich mir gar die Hände auf die Ohren gepreßt. Ich machte einen Schritt vor. Ich würde zum Lager zurückkehren und dann würde ich Aegmar aufwecken und ihm alles berichten. Ich würde ihm sagen, daß ein Schatten uns verfolgte, mit der Maske eines Wolfes. Daß er hier war, seit Tagen schon. Doch kaum hatte ich die Kante des Felsens erreicht, sprang Yhared hinter mir auf die Füße, kam hinter mich und schlang mir einen Arm um den Bauch. Er riß mich zurück, drehte mich um, noch bevor ich mich zur Wehr setzen konnte. Seine zweite Hand schoß vor, packte meinen Arm und drehte ihn mir auf den Rücken, daß ich vor Schmerz einen Stöhnen unterdrücken mußte.
Er hielt mich fest, winkelte meinen Arm an und preßte ihn mir so fest zwischen die Schulterblätter, daß ich schon fürchtete, er würde mir aus dem Gelenk springen. Er sah mich an, kam meinem Gesicht mit dem seinen ganz nahe. Ich fühlte seinen Atem über mein Gesicht streichen. „Ich warne Dich nicht noch einmal. Ich will, daß Du wieder auf meiner Seite stehst. Und ich bekomme immer, was ich will. Dir ergeht es besser, wenn Du bei Deinesgleichen bist – und nicht bei diesen Edelleuten. Wer sind die schon? Ein reicher Fürst, den es nur nach ruhmreichen Taten in der Schlacht gegen das vermeintlich Böse verlangt? Zusammen mit seinem Hauptmann, der nur bis zur Spitze seiner Hellebarde denken kann? Ein blasser Elb, der mit seinem Gestank nach Licht und Aufrichtigkeit die Nachtluft verpestet? Ach ja, und dieser andere Kerl, der Dich ständig anstarrt und Dir nachgafft, als wärst Du ein Schankmädchen, das für ihn mit den Hüften wackelt? Ein häßlicher Rohirrim? Habe ich Recht, ist er ein Pferdekopf?“, zischte Yhared mich an. Als ich nicht sogleich etwas erwiderte, zog er meinen Arm noch fester an. Ich stöhnte auf, ich konnte den Schmerz diesmal nicht verbergen. „Antworte! Ist er einer?“, herrschte er mich an. „Ja!“, rief ich aus, Tränen schossen mir in die Augen. Und sie taten es nicht nur, weil die Qual in meinem Arm und in meiner Schulter sie dazu trieb, sondern auch, weil ich es sofort zutiefst bereute, Yhared auch nur eine kleine Information über meine Gefährten preisgegeben zu haben. „Ein jämmerlicher Haufen, gegen den Du Deine alten Freunde eingetauscht hast...“, schloß er. Ich blinzelte die Tränen fort, die mir über die Wange liefen und für die ich mich schämte. Ich kam mir schwach vor, elend. Und wie gerne wäre ich Yhared mit Stärke entgegen getreten und nicht gewichen, aber es war mir nicht gelungen. Was auch immer es war, etwas an ihm ließ mir den Mut sinken und erfüllte mich mit Verzweiflung.
Er öffnete den Mund, setzte erneut an, doch er sprach nur noch kurz zu mir. „Überlege es Dir gut, Nariena. Sehr gut. Bis wir uns wiedersehen. In den Wäldern.“ Abrupt und plötzlich hob er den Kopf, fluchte und dann ließ er mich los. Ein greller Lichtblitz schoß vor meinen Augen vorbei, als ich einen jähen, stechenden Schmerz in der Schulter spürte. Ich rutschte von dem Felsen und brach in die Knie. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Yhared auf der anderen Seite des Steins hinabsprang und dann irgendwo in der Finsternis zwischen den Bäumen verschwand. Laub raschelte, ein Ast knackte. Dann war es totenstill. Nur in meinen Ohren rauschte wild mein Blut und ich griff an meinen Arm und meine verletzte Schulter. Ich senkte den Kopf und zu meiner Scham liefen die Tränen wieder. Wütend versuchte ich sie aufzuhalten, blinzelte, biß die Zähne zusammen und versuchte meine Kraft zu sammeln und mich zu konzentrieren.

Ich hörte nicht, daß nur wenige Augenblicke später wieder Schritte die Zweige auf dem Boden zertraten und sich von Süden jemand näherte. Seine Anwesenheit hatte Yhared vertrieben und er griff nun mit großen Händen nach mir. Doch waren es behutsame Hände, die mir vertraut waren. Ich ließ mich auf die Füße ziehen und lehnte mich dann dankbar an Therowigs Brust. Als ich ihn spürte, war es mir gleich, daß ich weinte und meine Tränen feucht in den Stoff seines Hemdes drangen.

Er ließ mich weinen. Er sagte nichts. Bis ich von selbst wieder sprach und den Kopf hob. „Es tut mir leid.“, brachte ich erstickt hervor. Er schüttelte das Haupt. Seine Hand legte sich an mein Gesicht und sein Daumen strich mir die versiegenden Tränen fort. „Yhared.“, stellte er dann nur heiser fest. „Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid.“, konnte ich nur wiederholen. „Schschsch.“, flüsterte Therowig. Es klang beruhigend. Er wartete einige Augenblicke, bis kein Naß mehr meine Wangen bedeckte. Ich entschuldigte mich erneut, dafür, daß ich ihm nichts von meiner Ahnung, daß Yhared uns tatsächlich nahe war, gesagt hatte. Dafür, daß ich es auch über den Diebstahl nicht getan hatte. Und seine Forderung, mich zu treffen. Auch dafür, daß ich ihm verraten hatte, wer Therowig war. Therowig hörte geduldig zu. Und auch wenn dies der unpassendste aller Orte dafür war, so zog er mich nun behutsam wieder an das Ufer des kleinen Teiches und setzte mich auf den Felsen. Er trat vor mich hin und stützte die Arme zu meinen Seiten gegen den Stein. Er sah mich an. Und ich sah ihn an. Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht, und dies war nun der sicherste Ort, den es für den Moment geben konnte, denn Yhared würde bestimmt nicht zurückkehren. Nein, er war bereits wieder auf dem Weg in den Düsterwald.
Therowig atmete tief durch. „Du erzählst mir jetzt alles. Von Anfang an.“, sagte er dann, die Stimme tief und klar. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über das Gesicht und ließ meine Schulter kreisen, sie schmerzte immer noch und so ließ ich den Arm rasch wieder sinken. Ich legte die Hände in den Schoß. Den Blick löste ich nicht aus Therowigs Gesicht. Er war nicht häßlich, dachte ich. Und auch kein Pferdekopf, wie Yhared ihn bezeichnet hatte. Nicht einmal jetzt, wo sein Bart lang geworden war und ihm das rotbraune Haar ungekämmt in die Stirn fiel. Nein, er war noch nie häßlich gewesen, aber ich hatte darüber auch nicht nachgedacht. Ich nickte ihm aufrichtig zu. Dann begann ich endlich zu erzählen:

„Yhared...ist der Grund, aus dem ich mich der Schurkengilde zu Bree angeschlossen habe. Wie Du weißt, hat meine Familie eine lange Zeit in der Stadt gelebt, nachdem mein Vater entschieden hatte, daß er Rohan verlassen wollte, um dem Zwist mit Gondor zu entkommen, den er nicht gutheißen konnte. Er fühlte sich heimatlos und so hoffte er, daß er seinen Wurzeln wieder nahe kommen könnte, wenn er die Dunedain fand, die sich noch in den alten Königreichen aufhielten und sich ihnen anschloß. Und eine zeitlang, nachdem er ein Haus in Bree gekauft und sich dort niedergelassen hatte, schien es auch so, daß er seinen Frieden finden würde. Der Krieg mit Mordor und das kalte Schweigen zu den Verbündeten in Rohan, die unerträgliche Hoffnungslosigkeit, die sich dadurch ausbreitete, rückte in die Ferne. Er verwand sogar irgendwann den Tod meiner Mutter, die in Rohan gestorben war. Meine Großmutter und seine drei Töchter waren nun seine einzige Familie und uns schenkte er seine ganze Liebe. Wir wuchsen heran, behütet und mit allem Wohlwollen. Iona...sie ist die Älteste, fand irgendwann einen Mann in Bree. Sie heiratete und zog aus dem Haus aus. Auch Nariala, die Jüngste, gab ihre Hand schließlich an einen Burschen. Vater gab seinen Segen dazu, denn meine beiden Schwager sind aufrechte und gute Männer. So überraschte es ihn kaum, daß auch ich im nächsten Jahr vor ihn trat und ihm einen Mann vorstellte, den ich seit geraumer Zeit kannte. Es war Yhared, er hatte mich eines Tages auf dem Markt angesprochen und mir Blumen gekauft. Das tat er fortan jeden weiteren Tag und bemühte sich sehr. Ich war geehrt, geschmeichelt und verliebte mich bald. Meinem Vater gefiel Yhared nicht. Er konnte mir nie sagen, was ihm nicht gefiel. Er sagte, er habe nur ein Gefühl, daß etwas an ihm nicht stimmig war, aber deuten konnte er es nicht. So schob ich seine Einwände darauf, daß es ihm nur schwerfiele, auch seine letzte Tochter aus seiner Obhut zu entlassen. Ich habe Yhared nicht aufgegeben, auch nicht, als ich mich mit meinem Vater seinetwegen zu streiten begann. Yhared zeigte mir die Dächer von Bree, auf die er verschlungene Wege kannte. Wir betrachteten den Mond und die Sterne und jede Nacht gehörte uns. Ich wunderte mich nicht darüber, daß ich ihn nie bei Tage sah. Ich habe ihn geliebt...sehr.“

Ich machte eine kurze Pause. Ich hörte wie Therowig bei meinen Worten ausatmete und für einen Moment den Kopf senkte. Dann hob er ihn wieder an. „Weiter.“, sagte er leise. Ein seltsamer Unterton war in seiner Stimme, aber er wich, als er ein „Bitte.“ anfügte. Ich hielt noch einen Moment inne, dann fuhr ich fort:

„Eines Tages sagte er mir, daß er mich gerne mit an einen geheimen Ort nehmen würde, den er sonst niemandem zeigte. Es war das Gildenhaus. Ich war sehr überrascht, aber gleichzeitig neugierig. Ich bewunderte Yhared so sehr, daß es mir verlockend erschien, zu lernen, was er konnte. Sich ungesehen zu bewegen, jeden Pfad und jeden Winkel zu erspähen, um sich dort zu treffen und niemanden um sich herum zu haben. Es war sogar zu verlockend. Und ich überwarf mich mit meinem Vater, denn zu spät bemerkte ich, daß Yhared seine Fähigkeiten nicht einsetzte, um einfach im Verborgenen zu bleiben und ein Späher zu sein, wie er es nannte, sondern um Unheil zu stiften. Da hatte ich jenen Weg bereits eingeschlagen, der mich ebenso dorthin bringen würde, wo Yhared war. Mein Vater wußte, daß er mich trotz allem nicht von ihm würde trennen können und um mich nicht gänzlich zu verlieren und mich vielleicht doch noch beschützen zu können, stimmte er schließlich zu, daß ich Yhared heiraten durfte – wenn wir noch eine zeitlang zusammen im Hause der Familie leben würden. Wir kamen überein und mein Vater nahm Yhared auf. Er zahlte ihm eine hohe Mitgift, wie es üblich war. Doch am Vorabend der Hochzeit, wir waren alle schon zu Bett gegangen, hörte ich plötzlich seltsame Geräusche im Haus. Sie drangen aus dem Keller, und ich schlich mich aus der Schlafkammer, um nachzusehen, woher sie wohl kommen mochten. Ich...kann mich noch an die Fassungslosigkeit erinnern, die mich ergriff, als ich sah, wie die Kellerluke zur Straße weit offen stand und Yhared zusammen mit zwei Männern, die ich nicht kannte, unseren Keller ausräumte! Alle Habseligkeiten meines Vaters lagen gebündelt um ihn herum und er reichte sie aus der Luke. Der Schmuck meiner Mutter, meiner Großmutter. Alles. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Ich hielt es für einen Scherz, selbst als ich mir längst bewußt war, daß ich betrogen worden war und mein Herz zerbrach. Ich löste mich endlich aus der Erstarrung, rannte auf Yhared zu, packte ihn und wollte ihn davon abhalten, diese Tat an mir zu begehen! Aber er stieß mich weg, nannte mich ein dummes kleines Mädchen und dann – er trug den goldenen Siegelring meines Vaters an der Hand – schlug er mich ins Gesicht, daß ich zurücktaumelte. Der Edelstein auf dem Ring grub sich tief in meine Wange und von all dem Schmerz in meinem Gesicht und vor allem in meinem Herzen verlor ich die Besinnung. An die folgenden Tage erinnere ich mich kaum mehr...sie verschwommen zu grauem Nebel, der mich einhüllte und mich betäubte.“

Therowigs Hand löste sich von dem Felsen, auf dem sie geruht hatte, und berührte die blasse Narbe, die sich über meine Wange zog. „Dann hat er das also getan.“, sagte er und ließ die Hand dann wieder sinken. Sie war zu einer Faust geballt, als er sie wieder auf den Stein legte. Ich nickte kurz.

„Nun...wie es weiterging...das habe ich bereits berichtet. Mein Vater war außer sich und klagte Yhared an. Er kam ins Gefängnis von Bree und wurde aus der Gilde ausgeschlossen. Ich blieb. Warum...vielleicht habe ich gedacht, ich würde nie wieder einem Betrüger anheimfallen, wenn ich selbst einer würde. Wenn mein Ruf nur schlecht genug würde, dann wäre mir nie wieder jemand nahe, der mich verletzen könnte – weil ich dann gemieden wurde.“

Therowigs Faust löste sich und er zog die Hände nun zurück. Kopfschüttelnd verschränkte er die Arme vor der Brust und wandte sich von mir ab. Er sah über das Wasser des Teichs, auf dessen Oberfläche sich das Mondlicht nun ruhig spiegelte.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#9

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:54
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

„Ich weiß...“, sagte ich und hoffte, ihm damit zuvorzukommen, „...es ist ein falscher Gedanke, denn er birgt nichts als Verbitterung. Und er hat mir mehr geschadet, als genutzt. Aber nichtsdestotrotz war er sehr lange Zeit mein steter Begleiter und eine Zuflucht, in der ich mich sicher glaubte.“ Therowig schüttelte abermals den Kopf. „Nein, er war Dir ein Gefängnis, in das Du Dich selbst eingeschlossen hast. Und Du hast Yhared das Geschenk gemacht, daß er der Einzige zu sein scheint, der Dich daraus wieder befreien kann. Er ist wieder da, und spielt mit Dir genauso, wie er es schon einmal getan hat.“, meinte Therowig und es klang dunkel und rau. Ich wollte ihm widersprechen und öffnete schon die Lippen, doch dann schloß ich sie wieder, denn Therowig hatte Recht.
Yhared war zurück, und kaum daß er sich offenbart hatte, umfing mich eine so eisige Klaue der Furcht, daß ich wie gelähmt war und viele falsche Dinge getan hatte. Ich hatte meinem Fürsten wichtige Dinge verheimlicht, ich hatte mich davon geschlichen, ich hatte Informationen weitergegeben, die zwar unbedeutend gewesen sein mochten, aber die Yhared dennoch hatte hören wollen. Ich hatte mich genauso verhalten, wie er es gewollt hatte. Vor allem aber hatte er mir meine Sicherheit und meine Stärke genommen. Ich berührte die Narbe auf meiner Wange und fühlte mich wie gebrandmarkt. Und da endlich faßte ich den Entschluß, daß das alles ein Ende haben mußte. Diesmal redete ich mir das nicht nur ein, diesmal war es mein entschiedener Wille.
Als ich aber nichts sagte, drehte Therowig sich wieder zu mir um. „Ich wünschte...Du hättest längst gesehen, daß unter Deinen Freunden einer ist, der es mit Deinem Herzen besser meint, als er es getan hat.“, sagte er. „Das habe ich...“, entgegnete ich und nahm wieder diesen sonderbaren Unterton in Therowigs Stimme war. „Tatsächlich?“, fragte er, aber er erwartete keine Antwort, er sah mich nur stumm an und da war jetzt auch etwas in seinem Blick, daß ich nicht deuten konnte. Vielleicht war es nur die Nacht, die seine grünen Augen vor mir verbarg und nur als ein vertrautes Glänzen in der Dunkelheit wahrnehmen ließ. Doch als mein Herz plötzlich pochend zu schlagen begann, war ich sicher, daß da plötzlich etwas war, das vorher nicht da gewesen war. Zwischen Therowig und mir. Hier und Jetzt.
Doch was es sein mochte, welcher Funke gerade geschlagen wurde, welches Band geknüpft – es zerriß, als Therowig vortrat und mich an der Schulter berührte. Der Schmerz durchzuckte mich mit unbändiger Kraft und ich stöhnte auf. Therowig zog sofort seine Hand zurück. „Hat er Dich verletzt?“, fragte er und nun war es Zorn, den ich in seiner Stimme hörte. Ich rang nach Atem. „Ich weiß nicht....mein Arm...“, brachte ich hervor. Therowig holte tief Luft, dann spürte ich erneut seine Hände, diesmal mit beherztem Griff. „Halt Dich an mir fest und beiß die Zähne zusammen.“, hörte ich ihn sagen. Ich konnte gerade noch mit den Fingern irgendwo in sein Hemd greifen, mich irgendwo gegen seine Seite lehnen, da spürte ich, daß er meinen Arm mit einem Ruck in die Tiefe riß und es in meinem Schultergelenk laut knackte. Das Gelenk sprang zurück und ich sackte, einen gleißenden Blitz vor Augen, nach vorn. Ich riß die Augen erstaunt auf, dann war es vorbei und ich wurde wieder auf die Füße gestellt.
Dann wurde ich hoch gehoben und wie benommen sah ich die Bäume an mir vorbeiziehen. Therowig trug mich. Und er fand, so schnell er konnte, den Weg zurück zum Lager.

Das Feuer, daß wir entzündet hatten, brannte jetzt hell. „Wir brechen auf. Sofort!“, rief Therowig, als er in den Lichtschein trat. Meine Gefährten verloren keine Zeit. Das Zelt wurde abgebrochen. Die Pferde gesattelt. Das Gepäck verstaut. Und als wir losritten, wußte ich nicht, ob wir Yhared nachjagten – oder er uns ein weiteres Mal zu einem Ziel lockte, das nur er kannte.

Wir verließen den Hulsten-Wald im Morgengrauen in raschem Galopp. Nur ein einziges Mal hatten wir angehalten, um Therowigs Gepäck auf mein Pferd umzupacken. Ich hatte mich nicht im Sattel halten können, mein Arm schmerzte so sehr, daß ich nicht verhindern konnte, daß ich die Besinnung verlor. So trug sein Reittier nun Zwei, und er hielt fest den Arm um meine Mitte geschlungen. Mein Kopf ruhte in seiner Halsbeuge und ich fiel in einen Dämmerschlaf, der mich nur Schatten um mich herum wahrnehmen ließ.
Mit dem zunehmenden Licht der aufsteigenden Sonne verblassten die Schatten, wurden zu Felsen und kargen Hügeln inmitten des grünen Graslandes von Eregion. Das Land war verlassen und doch spürten wir, daß wir nicht mehr fern dem Krieg waren, obwohl noch das Nebelgebirge und die Goldenen Wäldern von Lothlorien zwischen uns und dem Anduin lagen, der die Grenze bildete zwischen Frieden und wilder Schlacht.
Wir ritten weiter, folgten einer Straße, die vor Jahrtausenden angelegt worden war, als dieses Land noch von den Elben bewohnt war. Doch nun war das Pflaster brüchig und zersprungen, überwachsen von Moos und Buschwerk. Zerfurcht war sie von den Rädern der Karren und den Hufen und Stiefeln anderer Heerscharen, die vor uns hier entlang gezogen waren. Ab und zu sahen wir Orks in den Ruinen lauern, die die Straße säumten, doch waren sie rasch vertrieben und behelligten uns nicht.
Ich sah meine Gefährten zu meiner Seite, ihre Gesichter grimmig und erschöpft. Wir würden Yhared nicht wiedersehen; nicht, bis wir nicht den Anduin überquert hätten. Aber dennoch trieb sein Versprechen eines letzten Treffens uns an. Aegmar hatte klar entschieden, daß er ihn nicht verschonen würde. Er hatte sich vorgenommen, Hälse durchzuschneiden, und Yhareds Hals würde der Erste sein. So hatte er geflucht, fortwährend.
Als der Mittag heraufzog und die Sonne hoch am Himmel stand, erreichten wir den Außenposten von Echad Eregion. Er lag zu unserer Linken direkt an der Straße, eine kleine Zuflucht, in der wir die Pferde tränken und Vorräte auffüllen konnten. Wir trafen auf eine andere Abteilung Reisender, die auf dem Weg nach Bruchtal waren. Aegmar schloß sich ihnen sofort an, um sich mit ihnen auszutauschen über Neuigkeiten aus dem Osten. Er erkundigte sich nach den Wegen durch Moria und war sichtlich erleichtert, daß sie ihm als weitgehend zurückerobert und gesichert beschrieben wurden. Natürlich marodierten noch Orks und Bilwisse durch die Tiefen unter dem Berg, doch die Gefahr war längst nicht mehr so groß, wie sie noch vor einem Jahr gewesen sein mochte.
Therowig hob mich vom Pferd, ich mußte mich ausruhen. Die steten Erschütterungen durch den schnellen Ritt hatten in meiner Schulter ein dumpfes Pochen verursacht, daß mir den Arm lähmte. Aegmar versuchte meinen Arm ruhigzustellen, in dem er ihn schließlich in eine Schlinge legte. Wir mußten innehalten, wir alle brauchten etwas Ruhe. Und in dem kleinen Außenposten schien es jedenfalls für den Moment sicher zu sein.

Ein Feuer in der Mitte des Gebäudes erhellte am Abend die einst weißen Mauern, die unter Sonne und Regen nun verblichen und ergraut waren. Ich hatte mich zurückgezogen in einen der Winkel der Ruine und versuchte, zu schlafen. Ein Strom aus Gemurmel und dem Klimpern von Schwertern und Rüstungen begleitete mich.
Als ich die Augen irgendwann nach Sonnenuntergang wieder aufschlug, war der Posten immer noch belebt. Reisende, Händler und vor allem Soldaten standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Sie aßen Suppe, oder lehnten ringsum an den Wänden, den Helm tief in die Stirn gezogen, um Schlaf zu finden. Boten kamen, wechselten die Pferde und ritten sogleich weiter.
Mein Arm fühlte sich leidlich erholt an, der Schmerz war schwächer geworden, doch das taube Gefühl noch geblieben. Ich hoffte, daß kein Muskel gerissen war, oder eine Sehne an meinem Schultergelenk.
Ich sah Hauptmann Aneawin, wie er an der Schmiede stand und die Klinge seiner Hellebarde nachschleifen ließ. Aegmar suchte immer noch das Gespräch mit den Reisenden, die aus dem Osten kamen. Maethruth war versunken in seine Aufzeichnungen, und Therowig war fort.
Ich richtete mich auf und ließ suchend den Blick nach ihm wandern. Als Aegmar es bemerkte, verabschiedete er sich aus seiner Unterhaltung und kam zu mir herüber. Freundlich sah er mich an und schien sichtlich erleichtert, daß es mir langsam besser ging. „Wir werden bis morgen hier in Echad Eregion bleiben. Am Mittag reiten wir weiter, so daß wir am Abend das Hulsten-Tor erreichen. Bei Tage umrunden wir den schwarzen See, und dann mag es keine Rolle mehr spielen, ob Tag oder Nacht ist, wenn wir Moria betreten.“, sagte er. Ich nickte und war ihm dankbar. Aegmar sah auf. „Aneawin!“, rief er dem Freund zu. „Geh und hol Therowig zurück, das Tor wird gleich geschlossen für die Nacht. Ich möchte nicht, daß er dann noch draußen in der Ebene ist. Die Orks werden bald aus den Hügeln kommen und hier herumstreunen.“ Aneawin nickte und sagte irgendetwas zu dem Schmied, der seine Waffe nun nachpolierte. Vielleicht, daß er sich beeilen solle. „Wo...ist Therowig hingegangen?“, fragte ich leise. Aegmar deutete in unbestimmter Geste nach Norden. „Er hat etwas gefunden, das er sich ansehen wollte.“, erklärte er. „Dann möchte ich ihm bitte Bescheid sagen, daß wir nun das Nachtlager aufschlagen.“, sagte ich. Aegmar sah mich etwas erstaunt an und ich selbst war es auf einmal auch. Ich versuchte ein wenig zu lächeln, meine Augen baten ihn um den Gefallen. Er hob die Brauen, dann ließ er sie nach kurzem Nachdenken wieder sinken und nickte schließlich. Er fuhr sich über den Bart. „Wenn Du es möchtest, dann sei es so.“, sagte er langsam. Er winkte Aneawin wieder ab.
Als ich aufstand und ging, sahen sie mir beide nach und ich atmete, ein wenig befangen, tief aus. Ich spürte Unruhe.

Ich trat durch den Torbogen der kleinen Feste. Wieder kam ein Reiter über die Straße, doch hielt er nicht an, sondern sprengte in Eile weiter durch die Nacht nach Osten. Ich trat rasch einen Schritt zur Seite, als er mir mit einer Geste zu verstehen gab, daß ich aus dem Weg gehen solle. Was auch immer er an wichtigen Botschaften und nützlichem Wissen bei sich trug, ich wünschte ihm das Glück, sein Ziel unbeschadet zu erreichen.
Dann überquerte ich den Weg und ging nach Norden in die Felder. Weit mußte ich nicht gehen, Therowig kam mir bereits entgegen. Ich sah ihn als kleinen Lichtpunkt einen Hügel hinabkommen. Er trug eine Öllampe bei sich, die in seiner Hand schwang und das Gras vor seinen Füßen beleuchtete.
„Aegmar wünscht, daß Du in der Feste bleibst, sie werden bald das Tor verschließen.“, sagte ich. Therowig blieb stehen und nickte. „Dir geht es besser.“, stellte er fest. „Das ist gut.“ Dann drehte er sich noch einmal um zu der Anhöhe, die hinter ihm lag. „Nun, eigentlich wollte ich nur die Lampe auffüllen und dann wieder...“, fügte er an. Ich fiel ihm ins Wort. „Nein!“, sagte ich und er verstummte. Er schob die Kapuze seines Umhangs aus der Stirn und sah mich an, aber ich selbst war mehr überrascht über die Heftigkeit in meiner Stimme als er und lächelte sogleich entschuldigend. „Es ist nur...Aegmar hält es für besser, wenn Du bei uns bleibst. Es sind mehr Orks als üblich in den Hügeln. Je mehr aus Moria vertrieben werden, desto mehr....sammeln sich nun hier....und außerdem sind wir nahe am Gebirge. In den Hängen der Nebelberge gibt es auch....zahlreiche Orks. Und wie Du weißt, sind sie nachts ja besonders...“, setzte ich zu einer recht unbeholfenen Erklärung an, bis Therowig es nun war, der mir den Satz abschnitt. „Seit wann ist Aegmar denn so besorgt wegen ein paar Orks?“, sagte er und ein amüsierter Ausdruck schlich sich in seinen Blick. „Er...er...“, begann ich erneut, holte dann aber tief Luft und hob die Hand. Ich wollte überhaupt nicht über Orks sprechen, sie waren mir vollkommen unwichtig, selbst wenn sich ihre schwarzen Augen in diesem Moment auf das Licht der Öllampe gerichtet hätten und ein Dutzend dieser garstigen Kreaturen auf einmal hinter mir dem Boden entwachsen wäre. „Therowig, es geht hier überhaupt nicht um Orks!“, sagte ich endlich und es schienen die ersten Worte zu sein, die richtig klangen, seit ich ihm auf dem Feld begegnet war.
Therowig hob die Laterne ein wenig an, so daß er nun gewiß deutlich mein Gesicht sehen konnte. Er betrachtete es. Ich machte einen Schritt auf ihn zu. „Du hast Recht, es geht mir wieder besser. Und das verdanke ich Dir. Ich weiß nur zu gut, was Du getan hast. Ich möchte, daß Du mit mir zurückkehrst, weil ich nicht will, das gerade jetzt, heute, oder irgendwann etwas passiert....daß Dich wieder aus meiner Nähe verschwinden läßt!“, brachte ich hervor. Dann schwieg ich und preßte die Lippen aufeinander.
Therowig stand reglos, nur die Laterne erzitterte einmal in seiner Hand, als er sie langsam wieder sinken ließ. Dann huschte ein Leuchten über sein Gesicht und ein Funken von Freude glomm tief in seinen grünen Augen auf. Ich hörte meinen eigenen Worten nach. Sie klangen eigen und schwerfällig, aber sie waren ehrlich. Für eine sehr lange Zeit hatte ich keinem Wesen mehr gesagt, daß ich mich um es sorgte, an ihm Anteil nahm, es gar gern hatte. Und Therowig: ihn hatte ich mehr als gern, das wußte ich nun. Das Band zwischen uns wurde erneut geknüpft. Als ich mich schließlich auf die Zehenspitzen stellte, seinen Arm berührte und ihn auf die Wange küßte, wurde es gefestigt.
Er lächelte und atmete tief aus, dann nahm er meine Hand. „Ich habe...nicht weit entfernt sonderbare Spuren gefunden. Wenn...ich also nicht allein bleiben soll, um sie mir anzusehen, dann bitte ich Dich, mit mir zu gehen.“, sagte er nach einer Weile, in der noch meinen Blick eingefangen und stumm festgehalten hatte. Ich nickte, meine Unruhe war fort. Er wußte nun, was ich ihn wissen lassen wollte.

Wir gingen gemeinsam wieder zu den Hügeln, die hinter uns in der Nacht lagen. Der letzte Schein der Laterne offenbarte uns die Fährte einer Reiterschar, die ihren Weg hier entlang genommen haben mußte. Die Spuren waren sehr tief auf dem trockenen Untergrund, was darauf hindeutete, daß die Schar in größter Eile gewesen war, zudem sehr schwer bepackt. Auch waren die Abdrücke unregelmäßig, als seien die Hufe der Pferde nicht beschlagen gewesen. Zwischen den Spuren lag etwas, ein kleiner Gegenstand, der im Licht der Öllampe nun zu funkeln begann. Ich sog harsch die Luft ein, als ich ihn erkannte: es war der Handspiegel, den ich verloren geglaubt hatte. Das Glas in der bronzenen Fassung war zerbrochen, die Scherben tief in die Abdrücke versunken – und so, wie er dort lag, schien mir, daß er bewußt und absichtlich fortgeworfen worden war. Nicht, damit er gefunden wurde, sondern um mir zu zeigen, daß Yhared jederzeit zerstören konnte, was mir wertvoll war.
„Mein Spiegel!“, entfuhr es mir. Therowig wandte den Kopf nach mir um. „Er gehörte Dir?“ Ich nickte. „Ich dachte, daß ich ihn verloren hätte – aber nun bin ich sicher, daß Yhared ihn mir entwendet hat. Er war eines Morgens verschwunden, nachdem wir den Bruinen überquert hatten.“ Therowig fuhr sich über das Kinn und durch den Bart. „Es sind viele Spuren.“, sagte er. Dann richtete er sich auf, die Laterne begann zu flackern. „Es war nicht nur ein Pferd, das hier entlang kam. Ich sehe mindestens drei. Yhared...ist nicht allein.“


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#10

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:55
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich nahm den Spiegel behutsam an mich und bedachte mit einem traurigem Blick das verbogene und zerkratzte Metall, das die nun blinde Aussparung umgab, in die das polierte Glas eingefaßt gewesen war. Er war nicht aus Gold und auch nicht besonders kunstvoll gearbeitet gewesen, aber er hatte mir viel bedeutet, weil er meiner Mutter gehört hatte. Seine Beschädigung berührte mich sehr. Therowig nahm mir den Spiegel behutsam aus der Hand und verbarg ihn in dem Wams, das ihn unter dem Kettenhemd kleidete. „Vielleicht finden wir einen Goldschmied, der ihn wieder richten kann.“, meinte er und ich war ihm dankbar für seine freundlichen Worte.
Eine halbe Meile folgten wir den Spuren noch, dann flackerte die Flamme der Lampe erneut und erlosch, das Öl war nun gänzlich aufgebraucht. So wandten wir uns um, um nach Echad Eregion zurückzugehen. „Ich finde es seltsam, es ist beinahe so, als hätte jemand diese Spuren finden sollen. Sie sind neben der Straße geritten – auf dem Pflaster hätten die Pferde keinerlei Abdrücke hinterlassen.“, sagte Therowig, als wir die Straße erreichten. Er ging in die Hocke und berührte mit den Fingerspitzen die zersprungenen Steinplatten. „Es ist alles so, wie Yhared es will. Er spielt nicht länger nur mit mir, Therowig.“, erwiderte ich. Er nickte. „Ich komme mir langsam vor wie eine Maus.“, knurrte er ärgerlich. Trotz allem mußte ich lächeln. „Und dabei war ich es, die man einst Katze nannte.“, sprach ich und klopfte dann an das Tor der Feste, um in die schützenden Mauern eingelassen zu werden. Alles, was zwischen mir und dieser Nacht stand und sie ausperrte, begrüßte ich nun mit Dankbarbeit.

Therowig und Aegmar berieten sich noch lange. Das Lagerfeuer brannte im Morgengrauen herunter, ich hörte es noch einmal im verbrannten Holz knistern, bis es verglomm und die Sonne die Mauern des Außenpostens in mattgoldenes Licht zu tauchen begann.
Am Mittag brachen wir wieder auf und erreichten zur Abendstunde das Lager von Echad Dúnann; unsere letzte Wegstation, bevor wir durch das Hulsten-Tor reiten und die Tiefen von Moria betreten würden.
Mulmig war uns, als wir die langen Treppen in die alten Zwergenminen hinabstiegen und gewundene Pfade vorbei an bodenlosen Schluchten und Schächten betraten. Die Pferde mußten wir führen, langsam und behutsam. Moria war nicht so finster, wie es einst gewesen war, bevor die Zwerge ihre alten Stätten zurückerobert hatten und nur streckenweise mußten wir durch vollkommen lichterlose Dunkelheit ziehen. Vorbei am uralten Stein des Nebelgebirges und unter seinen gewaltigen Gipfeln hindurch.
Eine Woche kostete uns die Passage unter dem Gebirge, doch dann schlugen wir die gemeißelten Pforten wieder auf, die auf der Ostseite der Nebelberge in die Bergwand getrieben waren. Sonne empfing uns, warmes Licht und klare Luft, in der es nach den Wäldern und dem langen See duftete, der zu unserer Linken lag. Ein Wasserfall rauschte in unserem Rücken und ein Steinadler zog seine Runden über dem üppigen Fels, der um uns herum aufgetürmt in den Himmel ragte. Wir alle atmeten tief durch, froh den Hallen aus Stein endlich entkommen zu sein, in denen sich die Zwerge so wohl fühlten.
Wir führten die Pferde hinab in die Schlucht und folgten der Straße, die an den Ufern des Sees entlang weiter nach Osten führte. Die Felswände wichen irgendwann zurück und entließen uns in ein weites Tal, das in der Ferne in den goldenen Wald von Lothlorien mündete. Schimmernd lagen die Wipfel des Waldes im Dunst, wiegten sich sanft im Wind und hießen jeden Wanderer willkommen, der Gutes brachte und reinen Herzens war. Für die Orks aber war dieser Wald ein unerträglicher Flecken von strahlendem Licht, das sie in den dunklen Augen blendete und das sie darum so sehr haßten. Lothlorien war noch stark und die Macht der Elben hier groß und gefürchtet.
Die Bäume umfingen uns wie stumme Wächter und behüteten uns, als wir der Straße weiter folgten und die Wälder endlich betraten. Wir waren still und wagten kaum zu sprechen, jedes Flüstern hätte die Ruhe und den Frieden dieses Ortes stören mögen. Manchmal war uns, als würden die Bäume für uns sprechen, Nachrichten von Ast zu Ast und von Wipfel zu Wipfel tragen. Als erzählten sie Geschichten und Legenden über alte und neue Taten und den Wandel der Welt. Niemand begegnete uns.
Erst, als wir den Wald durchquert hatten und zum Hafen gelangten, der an einer kleinen Bucht lag, die der Anduin hier bildete, hörten wir Stimmen und vielerlei Aufruhr. Wir setzten über den Fluß, mit anderen zusammen, die das gleiche Ziel hatten und sich der Schlacht anschließen würden.
Wir alle teilten den gleichen Gedanken, als wir die Boote verließen und den Fuß auf das braune Ufer auf der anderen Seite des Flusses setzten: wir sind da. Wir sind da, wo wir vielleicht niemals hinwollten, und unsere Herzen uns doch geboten hatten, zu gehen, auf daß unsere Völker nicht untergehen. Wir waren im Düsterwald.

Schwarz und kahl waren die Bäume hier, die Luft roch feucht und moderig. Das Wasser in den Bächen war brackig und selbst das Moos auf den Bäumen und auf dem Grund wirkte welk und trüb.
Doch der Wald war dicht und nur der angelegte Weg, auf dem wir ritten, war eine Schneise durch die traurige Wirklichkeit dieser Stunden.
Maethruth seufzte einmal, was sonst nicht seine Art war, und ich spürte, wie sehr dem Elben der Anblick des zerstörten Waldes wirklich zusetzen mußte. „Wo Schatten ist, muß auch ein Licht scheinen. Und wenn es nur in unserer Erinnerung ist.“, sagte er leise. Er ritt an die Spitze unserer Schar und führte uns schließlich an. Ich versuchte einige Wegpunkte wiederzuerkennen und vielleicht den Pfad zu erspähen, den ich einst genommen hatte, als ich einst das erste Mal in dieses Land gekommen war. Es gelang mir nicht, Schlingpflanzen versperrten die Sicht in das Unterholz oder kahle Stellen waren gerissen worden, wo ich zuvor noch Bäume und Buschwerk hatte stehen sehen.
Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto deutlicher und häufiger wurden die Spuren des Krieges und die Zeugnisse von geführten Schlachten: verrostende Teile von Rüstungen lagen am Wegesrand im Gebüsch, abgebrochene Pfeile steckten in den Baumstämmen. In der Ferne erklangen Trommeln, verhaltene Stimmen im Nebel, der irgendwann um die Bäume schlich und die Hufe der Pferde umspielte.
Das Licht nahm mehr und mehr ab, erstickt von der dräuenden Dunkelheit, die der Wald selbst ausstrahlte. Wir waren angespannt, unsere Sinne aufmerksam und auf jedes Geräusch, jeden Laut gerichtet, der zu uns drang.
Therowig schloß zu mir auf und ritt neben mir her. Er sah mich an. „Hinter der nächsten Biegung ist es.“, meinte er leise. Ich hob den Kopf und sah nun zum ersten Male etwas, das mir bekannt schien: ein Felsen, der an der Straße halb versunken im Boden ruhte. Hier hatten Aegmar und ich vor beinahe genau einem Jahr den Weg verlassen, um Therowig zu finden, den wir in einem Lager der Orks gefangen wähnten, das in der Nähe war. Das Lager war längst zerstört und aufgegeben; so sah ich, als sich hinter der Biegung eine weite Lichtung auftat. Die Erde war verbrannt, ein großer Kampf mußte hier stattgefunden haben und die Orks waren geflohen.

„Ich bin froh, daß diese Dinge vorbei sind.“, sagte ich. „Ich kannte Dich noch nicht, doch als ich Dich kennenlernte, begann es mich noch mehr zu schmerzen, was Dir hier widerfahren war.“ Therowig lachte leise. „Geschehen und vergessen, Nariena. Als Krieger denkt man nicht lange nach über das Übel, das einem begegnet. Sonst würde man den Mut nicht mehr aufbringen, in die nächste Schlacht zu ziehen.“, erwiderte Therowig. Ich schob mir die Kapuze leicht aus der Stirn. „Du denkst wirklich nie darüber nach?“, fragte ich. Er schürzte leicht die Lippen und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Welchen Nutzen hätte es darüber nachzudenken, was mir passieren könnte, wenn ich ausziehe? Ich kann nur den Sieg am Ende eines Kampfes in meinen Gedanken haben, nicht den Weg dahin. Sonst würde ich vermutlich an mir selbst und meiner Furcht scheitern.“, meinte er. „Du erscheinst mir immer über die Maßen furchtlos zu sein, Therowig.“, entgegnete ich. Er lachte erneut. „Ich müßte mich selbst einen Dummkopf nennen, wenn ich keine Furcht hätte. Aber damit andere mich nicht einen Dummkopf nennen, lasse ich meine Furcht niemanden erkennen. Sie ist mir eine Warnung und zugleich ein Ansporn, sie zu überwinden.“ „Ich würde Dich nie einen Dummkopf nennen, auch wenn ich nun weiß, daß Du nicht furchtlos bist.“, sagte ich. „Nein? Wie würdest Du mich denn nennen?“, zwinkerte er. Ich zog meine Kapuze wieder in die Stirn und richtete den Blick geradeaus, er sah mich noch erwartungsvoll von der Seite an, als ich antwortete: „Ich würde Dich nie anders als Therowig nennen, denn Dein Name birgt den größten Stolz und die größte Zuneigung, die ich für Dich empfinde.“ Ich senkte den Kopf, nachdem ich das gesagt hatte, und trabte leicht an, Therowig schließlich zurücklassend. Sein Blick wich nicht von mir und hinterließ einen wärmenden Punkt auf meinem Rücken. Ich lächelte – und dann fiel unsere Sicht auf die große Festung von Emyn Lûm. Sie lag vor uns in einer Talsenke, gewaltig und dem kalten Himmel trotzend, der mit Sturm und Regen ihre Mauern über die Jahrhunderte langsam abtrug. Aber heute und in den nächsten Wochen würde sie uns beschützend mit ihren Armen aus Stein umfangen.

Ich legte den Kopf in den Nacken, und ließ den Blick über die hohen Zinnen wandern, als wir durch das Westtor der Feste ritten. Krähen umkreisten die Türme und klagten mit zitternden, hohen Schreien die Wolken und den Himmel an. Andere nisteten in den zahlreichen Spalten des Mauerwerks. Nichts stand still im Inneren der Feste, weder die, die sie bevölkerten, noch der Wind, der in den leeren Torbögen und Fenstern pfiff. Die Tiere nicht und vor allem nicht unsere Gedanken. Hier war es nun, das größte und das letzte Bollwerk, das die freien Völker errichtet hatten, um dem entgegen zu treten, der sie unterwerfen und vernichten wollte. Ich sah Menschen, Elben, Halblinge und Zwerge, die alle beieinander standen und sich zu einer Reihe zusammenschlossen, zu einem Heer formten und gemeinsam die Klinge unter einem Banner erhoben.
Der Moment berührte mich und ich sah vor allem in Aegmars Augen ein Glänzen, in dem Eifer und Bestimmung lagen. Die Festung war verwinkelt, Jahr um Jahr um weitere Teile erweitert und gewachsen, die angefügt worden waren, wo sie gerade Platz gefunden hatten zwischen den Hängen des Tals. Wir saßen schließlich ab, führten die Pferde hinter uns her, bis wir den Innenhof erreicht hatten. „Ich werde beim Befehlshaber der Festung unsere Ankunft melden.“, sagte Aegmar. Er übergab Aneawin die Zügel seines Pferdes und ging. Wir anderen sahen uns weiterhin um und bemerkten, daß dann plötzlich ein Mann und eine Frau in heller Rüstung auf uns zugelaufen kamen. Therowig hob die Hand und winkte ihnen grüßend zu. Sie trugen beide das Wappen des Hauses Faust und Feder auf den Umhängen, aber ich kannte sie nicht. Als sie uns erreicht hatten, schlugen sie freudig die Hände mit Therowig und Aneawin ein, Herrn Maethruths Gruß war wie immer verhalten und kühl, wenn auch nicht unhöflich. Die Frau nahm schließlich ihren Helm ab und stellte sich mir als Frau Arhaleth vor. Sie war größer als ich und ihr Haar war recht kurz geschnitten. Sie wirkte aufrecht und kühn, doch zwinkerten ihre Augen freundlich, als sie mir die Hand schüttelte. Der Mann, Cunilos hieß er wohl, war recht ernst, und es interessierten ihn sehr die Umstände der Reise und vor allem die Zahl der Orks, denen wir begegnet waren.
Frau Arhaleth klemmte sich schließlich ihren Helm unter den Arm und deutete nach Süden. „Wir haben im Südflügel der Festung Quartier bezogen. Viel Platz gibt es nicht, aber er wird reichen. Die anderen sind gewiß ebenso froh wie Herr Cunilos und ich, daß Ihr endlich bei uns seid. Doch sagt mir, wo Herr Aegmar ist – wir haben unseren Fürsten eine lange Zeit nicht gesehen und umso stolzer wird nun unser Banner wehen, da er wieder bei uns ist.“, sprach sie. Und kaum hatte sie geendet, trat Aegmar wieder auf uns zu. Ein paar Zwerge passierten seinen Weg und er schüttelte leicht den Kopf, ihnen mißmutig nachblickend, als sie ihn beinahe angestoßen hätten. Er war in Begleitung einer Elbin, die ebenfalls das Wappen der Feder und der Faust auf ihrem Umhang trug. Sie war schön anzusehen und ihre Hände waren so ebenmäßig, die sie uns zur Begrüßung reichte, daß ich kaum glauben konnte, daß sie mit dem großen Schwert an ihrer Seite umzugehen wußte. Ihre Augen aber waren ähnlich wie die von Maethruth so klar und erhaben, daß kein Zweifel daran blieb, daß sie es konnte. „Ich bin Tinuveen.“, sagte sie. „Und ich danke Elbereth, daß nun wieder zusammengefügt ist, was so lange getrennt war. Nun wird keine Träne mehr die Wange beflecken im Angesicht eines schrecklichen Morgens, weil der Tag im Kreise unserer Gemeinschaft enden wird und die Einsamkeit nun aus der Nacht vertreibt.“ Ihre Worte klangen so klar und wahrhaftig, daß ich sie nicht mehr vergessen wollte und die Wärme darin in meinem Herzen spürte.
Aegmar bedachte jeden seiner Schar mit den besten Wünschen und der größten Freude, ihn wiederzusehen. Frau Arhaleth führte uns schließlich zum Südflügel, wo in einem alten, lange unbenutzten Saal das Lager der Schar aufgeschlagen war. Etwa zwanzig Schlafstätten sah ich; Feldbetten oder einfache Decken nur auf dem Boden gerichtet für ohnehin kurze Nächte mit wenig Schlaf. Wir luden unser Gepäck dort ab, wo es noch Platz für uns gab. Einfach war das Quartier in der Tat, doch es war so, wie Frau Arhaleth gesagt hatte: es reichte vollkommen aus und mehr als uns selbst brauchten wir auch nicht, um an diesem Ort und in dieser Zeit zu bestehen. So wollten wir alle hoffen und versicherten es uns gegenseitig.

Aegmar ging mit seinen Hauptleuten zu dem Feuerbecken, das in der Mitte des Saales brannte. Er war müde und erschöpft, wie wir alle, doch brannte zu sehr seine Wißbegier alle Dinge zu erfahren, die sich ereignet hatten. Ich hörte die Männer bald darauf leise miteinander sprechen, ihre Mienen ernst und nur erhellt vom gelegentlichen Aufflackern der Flammen in der Tiefe des Beckens.
Lauschen wollte ich nicht und so suchte ich mir einen freien Platz in einer Nische des Saales, der noch frei schien und ließ meine Tasche und meine Decken dort fallen. Die Mauer in meinem Rücken war feucht, einige Steine waren aus der Wand gebrochen und hatten den Regen eingelassen. Moos wuchs in den Ritzen zwischen den Steinquadern und verbreitete einen leicht würzigen und erdigen Duft. Ich setzte mich neben meine wenigen Habseligkeiten und löste dann meinen Umhang unter dem Kinn. Für Momente schloß ich die Augen und rieb mir mit der Hand über die schweren Lider. Ich erschrak, als ich sie wieder aufschlug und eine Gestalt vor mir stehen sah. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie sich genähert hatte. Es war Tinuveen, die mich milde mit einem interessierten Blick betrachtete. Ich neigte leicht das Haupt. Die Gesellschaft der Elbin war nicht unwillkommen.
„Ihr gehört zum dunklen Volk.“, sagte sie unvermittelt, doch sanft, als sie sich neben mich setzte. Ich hob erstaunt die Augenbrauen und sah sie an. Als sie meine Verwunderung über ihren Ausspruch in meinem Gesicht las, lächelte sie knapp und hob eine ihrer schlanken Hände. „Verzeiht, ich meine damit nicht, daß Ihr von der Art der Ostlinge seid. Ich meine Euer Haar, das so schwarz ist wie der Krähen Federkleid und Eure Kleidung, die ebenso aus den Farben der Nacht gewirkt ist. Ihr wandelt in den Schatten – und dazu mag Euch beides dienlich sein.“, erklärte sie. Ich atmete aus, eine kleine nebelweiße Wolke aus der kühlen Luft in meiner Lunge bildete sich vor meinem Gesicht und entschwand dann wieder. Ich wußte kaum etwas auf Tinuveens Worte zu erwidern und nickte nur zögerlich. In plötzliche Verlegenheit geraten, strich ich mir eine Strähne meines Haares aus der Stirn und hatte nun das Gefühl, daß diese Geste Tinuveen in ihrem Ansinnen Recht gab: ich gehörte zum dunklen Volk, wie sie es nannte und ich würde nie frei davon sein – ganz gleich welche Farbe mein Haar oder meine Kleidung hätte.
Die Elbin erhob erneut die Stimme. Aus Neugier, vielleicht aus wirklichem Interesse. „Sehen Eure Augen in der Dunkelheit?“, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. „Meine Augen sehen so wenig wie die aller Menschen, wenn es kein Licht gibt. Aber da ich das Kundschaften gelernt habe, brauche ich meine Augen nicht, um zu sehen. Andere Sinne tun es für mich. Ich finde mich in der Nacht zurecht, meine Finger spüren die Schatten, die ein Hindernis oder aber ein offenes Tor sein können. Und meine Ohren sagen mir, ob sich hinter jenen Toren Gutes oder Schlechtes verbirgt.“, erwiderte ich. Tinuveen nickte langsam. „Ich nehme zu jeder Zeit die Finsternis wahr, ob es Tag ist oder die Nacht sich bereits gesenkt hat. Es ist eine Finsternis, die in jedem Ding zu sein scheint, tief in seinem Kern, und die jedes Licht verschluckt. Etwas in Euren Augen zeugt davon, daß auch Ihr bereits in die Dunkelheit im Inneren der Welt geblickt habt und ahnt, was ich meine.“, sagte sie. Ihr Blick wurde forschend und ich fröstelte ein wenig. Mir wahr, als sähe sie direkt durch mich hindurch und dann tief in mich hinein. Aber ich versuchte über ihre Worte nachzudenken. „Ich komme aus Gondor. Und Gondors Farben sind dunkel. Aber da ist auch ein Weiß in seinem Wappen und in den Bannern der Städte und Fürstenhäuser. Es gibt viele Arten das zu deuten. Die einfachste ist wohl, daß wir stets mit dem Guten, das wir in uns selbst glauben, und dem Schlechten, das hinter unseren Grenzen wohnt, zu leben wissen. So würde man es wohl einem Kind erklären. Und in Euren Augen, Frau Tinuveen, bin ich nicht mehr als ein Kind. Das Volk Gondors lebt in weißen Städten, gemauert aus weißem Stein. Und doch sehen wir immer das Dunkel, das hinter schwarzen Bergen lauert: dort, wo die Grenze nach Mordor im Osten verläuft. So mag jeder von meinem Blut in das Antlitz geschaut haben, was Ihr beschreibt. Aber wir lieben den Schein der Sonne und das Licht der Sterne auf unserer Seite der Grenze. Auch wenn es diese bald nicht mehr geben mag – und darum sind wir Beide nun hier, nicht wahr? Mit all den anderen.“, sprach ich schließlich.
Tinuveen erhob sich, was sie über meine Worte dachte, konnte ich nicht deuten. „Für Kundschafter gibt es viel zu tun. Ihr solltet Euch umhören.“, sagte sie und wandte sich dann ab. Sie ging zwei Schritte, dann blieb sie wieder stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. Sie trug ihr Schwert blank am Gürtel und es blitzte einmal auf, als es den Schein aus dem Feuerbecken auffing. „Lichter...gibt es viele.“, schloß sie und nun meinte ich ein Lächeln in ihren Mundwinkeln zu erkennen. Ihr Blick heftete sich langsam auf die Mitte des Saales, auf Herrn Aegmar. Stumm mußte ich ihr zustimmen.

Und abermals mußte ich es, als nun auch Therowig die Halle betrat. Das Wams stand ihm offen über der Brust und er trug seine Rüstung nicht mehr. Ein großes Leinentuch hing ihm dafür über der Schulter und sein Haar glänzte naß. Offensichtlich hatte er sich gewaschen oder auch nur mit dem kühlen Wasser die Müdigkeit vertreiben wollen. Raschen Schrittes durchquerte er den Saal und schloß sich Aegmars Runde an, die immer noch Rede und Beratung am Feuer abhielt. Ich hörte Frau Tinuveen leise und heiter lachen, doch als ich sie ansah, begegnete mein Blick nur ihrem stillen Gesicht. Ihr Lachen klang in meinen Gedanken, dann verstummte es und ich hob wieder die Brauen. Verwirrt diesmal. Die Elbin nickte mir zu, dann entschwand sie und ich sah, wie sie den Saal verließ.
Ich fühlte mich nun rastlos. Sie hatte Recht: ich sollte mich umhören, was es für mich zu tun gab. Und so erhob ich mich, um es ihr gleichzutun und wieder hinaus in die Feste zu gehen.
Eine Krähe, die ungesehen in der Höhe über mir auf einem Mauervorsprung geruht hatte, setzte sich neben meinen Fuß auf den Boden und begann sich zu putzen. Ich stieß leicht mit der Stiefelspitze nach ihr. Nicht, um sie zu verletzen, sondern um sie zu vertreiben. Ich mochte keine Krähen, ihre Augen bargen für mich stets eine sonderbare, undurchschaubare Tücke – sofern das auf die Augen eines Vogels zutreffen konnte.
Das Tier ließ sich nicht vertreiben. Es krächzte empört auf, als ich es nun mit der Hand zu verscheuchen suchte, flatterte auf und setzte sich dann zwei Schritt entfernt wieder auf den Boden, wo es zwischen den Steinen und dem Stroh auf dem Boden herumzupicken begann.
Ich ließ von der Krähe ab, auch wenn ich plötzlich das Gefühl hatte, als sollte ich sie im Auge behalten. Ich schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein Vogel, Nariena, hast Du jetzt schon Angst vor einem kleinen Tier?“, murmelte ich zu mir selbst. Dennoch machte ich einen Bogen um die Krähe, als ich den Saal verließ. Sie hüpfte mir nach, breitete dann die Flügel aus und verschwand über der Pforte des Raumes in der Dunkelheit.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#11

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:56
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich fand das Zelt der Kundschafter recht bald. Es stand in der Mitte des Innenhofes der Feste, dort wo auch die Befehlshaber der Elben ihren Rat hielten. Es war nicht groß, doch an der Kleidung derer, die dort ein und ausgingen, erkannte ich schnell, daß es jene waren, die mit dem Wald und seinen Schatten zu verschmelzen suchten, um verborgene Pfade zu den Befestigungen des Feindes auszuspähen. Es gab große Bewegungen in seinen Reihen, wie ich aus ihren Gesprächen erfuhr. Spione, die er selbst immer wieder zur Feste sandte und die sich vor den Toren herumtrieben. Bilwisse hauptsächlich, die sich nahe an die Festung wagten und sich manchmal sogar hinein. Und wurde einer von ihnen entdeckt und erschlagen, so kamen gleich zwei Neue dafür aus dem Unterholz, das auf den Hügeln wuchs und gegen die Mauern der Feste drängte.
So wurde Tag und Nacht darüber gewacht, was sich im Tal bewegte und im Verborgenen Auge und Ohr auf das Elbenheer und alle Verbündeten richtete.
Ich sprach schließlich bei einem Halbling vor, der mir als der Anführer und Ausbilder der Kundschafter und Späher in Emyn Lûm genannt wurde. Ich war mehr als willkommen. Unter all den anderen: Rasse, Familie, Herkunft, Treueschwüre an Könige und Fürsten hoben sich nun auf. Das Heer war ein buntes Heer, und jeder, der sich in seinen Dienst stellte, lebte fortan nur unter einem Banner – dem der freien Völker. Mann und Weib, Elb und Zwerg standen in einer Reihe nebeneinander. Ihre Farben und Wappen verschmolzen zu einem einzigen großen Band, das uns alle hielt und umgab. Dessen Teil wir alle waren. Und war dies einerseits ein erhabenes Gefühl, ein Eindruck großer Stärke und Verbundenheit, so war es gleichzeitig das Echo eines großen Schreckens, der das gesamte Aufgebot aller freien Geister und starker Arme forderte, um ihm entgegen zu treten.
Nie zuvor war so deutlich gewesen, daß wir an der Wende der Zeiten standen: das Schicksal hatte eine Münze geworfen, die sich drehte und drehte und in atemberaubender Geschwindigkeit um sich selbst wirbelte. Und unklar war es, welche Seite nach oben zeigen würde, wenn sie einst hernieder fiel: Leben oder Tod. Abhängen würde es nur davon, welche Kraft, die auf sie einwirkte, den Krieg zu überdauern vermochte. Die, die sich hier in dieser Feste sammelte, oder jene, die außerhalb der Mauern danach trachtete, sie zu vernichten.
Ich wollte nie Teil des Schicksals der Welt sein. Ich haderte viel zu oft mit meinem eigenen, dessen Weg ich zu erkennen versucht hatte. Ich wollte nur meinen Weg gehen. Und wenn ich genug von ihm hatte, wollte ich ihn verlassen und einen anderen versuchen. Es war anders gekommen. In jener Stunde, in der ich Aegmar das erste Mal begegnet war, hatte es begonnen. Ich hatte mich in eine Gemeinschaft eingefügt, die ich stets abgelehnt und verneint hatte, und die ich nun so sehr brauchte und schätzte.
Ein winziges Blütenblatt, das auf einem Fluß einem großen See entgegentrieb, in den viele Flüsse mündeten. Das war ich nun. Es gab breite Ströme und kleine Bäche, die der See aufsog, um schließlich zu einem Meer zu werden, das mit mächtigen Wellen gegen dunkle Klippen schlug. Wer nicht schwimmen konnte, würde an ihnen zerschellen.
Ich war Therowig plötzlich sehr dankbar, daß er versucht hatte, mir beizubringen, wie man mit einem Schwert umging. Ich hatte die Klinge noch bei mir, die er mir geschenkt hatte, aber sie ruhte in meinem Gepäck. Ich zog den Dolch, der an meinem Gürtel hing und betrachtete ihn wie einen liebgewonnenen Freund. Ich konnte keine Schlacht schlagen, aber ich würde tun, was ich konnte, um nicht zu ertrinken.

Ein paar Tage lang hielt die Feste den Atem an. Eine gespannte Ruhe herrschte, durchzogen von Strängen emsiger Geschäftigkeit, wenn Reiter kamen und wieder fortgesandt wurden. Wenn Boten einkehrten und sogleich wieder aufbrachen, Befehle gerufen und Anweisungen kundiger Kehlen an den Mauern der Feste widerhallten. Aber der Sturm, auf den alle warteten, brach noch nicht los. Grau war es am Horizont, doch hielten die Kräfte, die den Düsterwald erschüttern würden, inne. Keiner wagte es, den Fuß auf eine Straße zu setzen, deren Verlauf ungewiß war. Nur ihr Ziel war bekannt: es würde zu einem Kampf kommen, der entscheiden würde, ob die Orks oder die Elben künftig den Düsterwald beherrschen würden.
Nein, der Sturm blieb noch aus, doch spürten wir alle den Wind, der sich bereits erhob. Ich wurde von meinen Gefährten getrennt, jeder Einzelne von uns war mit Aufgaben und Aufträgen betraut und wir sahen einander kaum mehr als in den Abendstunden, wenn ein langer Tag zuende ging und wir müde in unsere Decken sanken.
Aegmar verbrachte die meiste Zeit an einem Tisch mit dem Kommandanten der Festung und seinen Offizieren. Er war ein Elb, sein Name war Fuirgam. Therowig, Maethruth und Herrn Aneawin sah ich, wenn sie im Morgengrauen in die Wälder aufbrachen und dort mit einer Schar zusammentrafen, die die Orks von den Befestigungen der Elben im ganzen Landstrich fortjagte. Am Abend erst kehrten sie zurück, oftmals erschöpft, manchmal verletzt. Momente für ein Lächeln blieben, für ein Kopfnicken, einen zarten Gruß. Denn dann ging ich, die Nacht war wieder der Boden, auf dem ich mich bewegte und meine Feinde jagte.
Aber ich ging nie, bevor ich nicht sicher war, daß all meine Gefährten wieder zurückgekehrt waren.

Pläne formten sich langsam, Schlachtpläne. Ideen, Vorhaben, Ziele. Und nachdem wir nun eine Woche in der alten Festung der Elben verbracht hatten, wurden aus den Informationen, die wir alle zusammengetragen hatten, sehr genaue Schachzüge zur Rückeroberung des Düsterwaldes erdacht. Es war zu spüren, daß sich die Gedanken verdichteten und sich das Augenmerk des Heeres und seiner Anführer zu bündeln begann. Die Elben wagten Ausfälle, und eines ihrer Ziele war die alte Sternwarte von Minas Gîl, die im Südosten von Emyn Lûm zwischen dunklen Hügeln lag. Zauberer gingen dort um, hieß es.
Sie wirkten Magie von mächtiger und boshafter Art und bedienten sich schattenhafter Kräfte, die in der Nacht unheimliche Lichter zwischen den Bäumen entzündeten. Das Licht lebt ein unnatürliches Leben, sagten einige. Es sei wie ein Wesen, das atmet und doch keine Luft braucht, um zu bestehen. Relikte voller Macht seien in der Sternwarte verborgen, die den Elben einst wertvoll gewesen seien, nun aber mißbraucht und beschmutzt wurden durch die Hand von Mordors Armee. Viele Legenden und Erzählungen rankten sich um diesen Ort, doch was Fuirgam, den Anführer des Goldenen Heeres, wohl am Meisten an der alten Warte interessierte, war der überaus hohen Turm, über den sie verfügte: früher hatten die Elben von dort die Sterne beobachtet, denn er ragte hoch über die Wipfel der Bäume in den Himmel. Beinahe der gesamte Wald war von dort oben zu überblicken. Und wer scharfe Augen besaß, der sah von der Turmspitze alles, was er zu sehen begehrte. Er überblickte die Straßen und Wege, die sich durch den Wald zogen. Die Befestigungen, Lagerstätten und Ruinen, in denen sich wieder Leben regte.
Fuirgam wollte die Sternwarte wieder unter dem Schutz der freien Völker wissen. Und viele Bemühungen begannen sich nun darauf zu richten. Die erste Entscheidung war gefallen, ein erstes Ziel benannt.
Als der zehnte Tag in den Wäldern anbrach, begrüßte er uns mit einem grauen Regen, der mit dem ersten Licht der Sonne einsetzte und bis zum Mittag anhielt. Ich erhielt in der Stunde nach dem Mittagsmahl die Weisung, zu jener Sternwarte zu ziehen. Nach Minas Gîl. Dieser Name war plötzlich in aller Munde und erfüllte viele mit Furcht. Magie war etwas, das viele erschreckte. Vor allem jene, die mit Klinge, Bogen und Schild gegen die Orks kämpften. Gestalten aus Fleisch und Blut waren sie, berechenbar und vor allem: sterblich. Doch Magie schien etwas Ungreifbares, Unwirkliches; eine Kraft, gegen die Stahl und Pfeile nutzlos waren. Doch galt es nicht, die Magie zu bekämpfen, sondern jene, die sie wirkten. Und die Zauberer in der Sternwarte waren gewiß aus Fleisch und Blut und damit auch sterblich. Das sagte ich mir, als ich mich rüstete, mit meiner kundschaftenden Gruppe am Abend dorthin aufzubrechen. Ich wollte mich nicht fürchten, obgleich mir Magie ebensowenig behagte wie anderen, die nicht kundig sind, mit ihr umzugehen.

Ich saß auf meinen Decken und schnürte mir die Stiefel, als eine Gestalt zu mir trat und einen Schatten auf mein Gesicht warf. Überrascht blickte ich auf, doch sogleich spürte ich Freude, als ich sah, daß es Therowig war. Er ging vor mir in die Hocke, legte die Handflächen aneinander und hob die Fingerspitzen nachdenklich an sein Kinn. Ich sah ihn fragend an, als er nichts sagte und den Kopf hängen ließ, dabei tief ausatmete.
Ich beugte mich vor und berührte seine Schulter. „Was hast Du?“, fragte ich ihn. „Ist etwas geschehen?“ Er schüttelte langsam den Kopf, und obgleich er immer noch nichts sagte, spürte ich, daß er beunruhigt war. Ich versuchte zu lächeln. „Ich habe Dich seit Tagen nicht gesehen und nicht gesprochen – und nun hast Du mir nichts zu sagen, da wir endlich ein wenig beieinander verweilen können?“, fuhr ich fort. Er atmete erneut tief aus. „Verzeih.“, sagte er dann leise. „Ich weiß, die Momente, die ich in der Feste verweilen durfte, waren rar. Es gibt zuviele Orks in den Wäldern und zu wenige Schwerter, um sie zu bekämpfen.“ Er sah mich an und ich lächelte erneut, ließ die Hand nun auf seiner Schulter ruhen und drückte sie sanft. „Das werfe ich Dir nicht vor.“, entgegnete ich. Er nickte. „Warum ich gekommen bin...“, begann er dann endlich, „...ist, weil ich gehört habe, daß Du nach Minas Gîl aufbrichst mit der Schar, zu der Du nun gehörst, Nariena.“ „Ja, ich werde gehen, sobald das Sonnenlicht erloschen ist und die Nacht uns schützt.“ Therowig löste seine Handflächen voneinander und berührte meine Hand. „Ich will Dich fragen, was Du über die Sternwarte weißt. Was man Dir darüber anvertraut hat.“, sagte er. Ich betrachtete ihn für einen Moment. „Nicht viel.“, mußte ich dann zugeben und bemerkte einen Zug auf Therowigs Gesicht, der mir nun deutlicher seine Unruhe beschrieb. Er verzog leicht einen Mundwinkel. „Aegmar...hat mir etwas erzählt. Er bekommt mehr von den Dingen mit, die in den Zelten der Anführer und an ihrem runden Tisch besprochen werden. Er sagt, Pläne, Minas Gîl einzunehmen, seien weise. Die Warte ist nahezu unbeschädigt, ihre Mauern sind nicht dem Verfall preisgegeben worden, auch ist der hohe Turm nicht eingestürzt und noch vollkommen intakt. Ein überaus großer Vorteil ergäbe sich daraus, solch einen Aussichtspunkt zu besitzen. Jedoch...ist die Warte in der Hand Mordors und sie wird nicht von Orks verteidigt, sondern von Menschen.“, meinte er.
„Davon habe ich gehört, Therowig. Und ich weiß, daß einige hier jene Menschen und ihre dunkle Zauberkunst fürchten. Es wird gesagt, daß die Warte ein Hort böser Magie ist. Aber ob dem so ist oder nicht, das werde ich heute Nacht in Erfahrung bringen.“, erwiderte ich. Therowig hob die Hand und ließ meine nun los.„Mordor und seine Schergen haben uns zugesetzt, wo sie es nur vermochten – doch etwas ist seltsam an der Sternwarte.“, sagte er. „Aegmar ist der Ansicht, daß seit einigen Tagen gezielte Angriffe von dort aus stattgefunden hätten. Und ihm kam es vor, als wollte der Feind Fuirgam und das freie Herr dazu bringen, genau dorthin zu ziehen. Die Lichter, die wir alle schon gesehen haben, strömend aus dem Inneren merkwürdiger Kristalle, tanzten in der vergangenen Nacht besonders hell und etwas kam ihm darin sogar vertraut vor.“ Ich hob die Brauen. „Vertraut? Wie meinst Du das?“ „In der Art, wie die Aufmerksamkeit nun auf diesen Ort gezogen wird, so als solle sie von anderen Dingen abgelenkt werden. Spottend, höhnisch sei der Lichtertanz...“ „Du denkst, und Aegmar denkt das auch, daß der Feind will, daß die Elben die Sternwarte angreifen?“, fragte ich. Therowig nickte. „Ja, aber aus welchem Grund, das wissen wir nicht.“ Ich zog meine Hand ebenfalls zurück. „Dann ist es eine kluge Entscheidung, mich dorthin zu senden und den Grund herauszufinden. Ich bin nur ein Späher, ich werde in keinen Kampf geraten.“, sagte ich und dachte, daß dies wohl der Grund für Therowigs Sorge sei. „Wer auch immer in Minas Gîl haust, wird erwarten, daß Fuirgam jemanden dorthin schickt, Nariena.“

Ich richtete mich auf und machte einen festen Knoten in meinen Stiefelriemen. „Dann danke ich Dir für die Warnung.“, sagte ich und wandte mich um, meinen Umhang zu ergreifen. Therowig richtete sich ebenfalls auf. „Du willst trotzdem ausziehen?“ Erstaunt sah ich ihn an, nicht minder entschlossen. „Natürlich.“, erwiderte ich und zog mir langsam den Stoff meines Mantels über die Schultern. „Und wenn ich Dir sage...daß ich nicht will, daß Du es tust?“, sagte er dann und seine Stimme klang rau. Ich hielt inne, hob wieder den Kopf, um Therowigs Blick einzufangen. Dunkel wie das tiefe Grün auf dem Grund eines Waldsees schimmerten sie in dem spärlichen Licht des Kohlebeckens, das den Saal erleuchtete. „Und wenn ich Dir sage, daß ich nicht möchte, daß Du weiter in den offenen Kampf gegen die Orks ziehst? Würde es Dein Gehör finden? Nein, das würde es nicht. Somit ist Deine Frage beantwortet.“, sprach ich und es klang harsch. Mehr, als ich beabsichtigt hatte, denn seine Sorge rührte mich an.
„Das ist etwas anderes!“, entgegnete Therowig. Ich zog den Umhang unter dem Kinn zusammen und steckte die Spange fest, die ihn hielt. „Warum ist es etwas anderes? Sage mir nicht, daß es damit zu tun hat....“ Ich deutete auf das Schwert an seiner Seite, dann stand ich auf. Therowig tat es mir gleich und für einige stillschweigende Momente standen wir uns gegenüber, uns nur ansehend in lautlosem Ringen. Dann senkte er zuerst den Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. „Weil ich Deinem Vater versprochen habe, Dich vor Unheil zu bewahren.“, sagte er schließlich. Ich sog die Luft ein und machte einen Schritt auf Therowig zu. Ich war ihm so nahe, daß ich ihn beinahe berührte. „Meinem Vater? Du hast es meinem Vater versprochen? Wann? Als Du nach Esteldín gegangen bist, um ihm den Brief Deines Königs zu überreichen? Warum hast Du da überhaupt mit ihm über mich gesprochen? Du hattest andere Angelegenheiten!“, rief ich aus. Therowig preßte die Lippen zusammen und in seinen Augen blitzte es plötzlich auf. Er wurde ärgerlich und mein Ausspruch reute mich sofort. „Ich habe mit ihm über Dich gesprochen, als....als ich ihn um Erlaubnis gebeten habe, in Deiner Nähe sein zu dürfen.“
Nun wußte ich nichts zu sagen und blinzelte einmal. „Du hast...“, begann ich, aber dann versagte mir die Stimme und meine Kehle wurde trocken. „Ich bin kein Bauer. Daher achte ich die Dinge, die mir der Anstand gebietet. Und auch wenn Du mir nie einen Blick geschenkt und nie ein Wort gesprochen hättest, daß mir Deine Zuneigung versichert hätte, wenn nie dieser Moment gekommen wäre...so wollte ich um sein Einverständnis wissen, wenn Du doch eines Tages bemerkt hättest, daß Du nicht nur einen Freund in mir hast.“, fügte er an und ein Seufzer entrang sich mir. Reue war nun wahrlich in meinem Herzen und ich senkte das Haupt, lehnte die Stirn gegen Therowigs Brust und schloß die Augen. „Nein, Du bist kein Bauer. Vergib mir.“, sagte ich und das Lächeln kehrte auf mein Angesicht zurück. Er löste die Arme und sie umfingen mich behutsam. „So etwas fragst Du meinen Vater und kehrst zu mir zurück, ohne daß er Dich mit Speer und Klinge durchbohrt hat?“, fragte ich und mein Lachen erklang leise an Therowigs Schulter. Ich spürte, wie sich seine Anspannung löste und sein Ärger verflog. „Nun...er nannte mich einen lausigen Tölpel und war der Ansicht, daß meine Arme kaum stärker als eine junge Birke in ihrem ersten Frühling seien, aber nachdem seine Verwunderung darüber, daß ich überhaupt imstande war, ein Schwert zu halten, vergangen war, gestattete er mir immerhin, zu beweisen, daß ich seine...wie sagte er...seine Jüngste mit dem sturen Geist ihrer Mutter...behüten kann.“ Mein Lachen erklang heller. „Verzeih einem Mann, der mit drei Töchtern geschlagen wurde, solche Worte. Er sprach sie zu jedem Recken, der sich einer von ihnen zu nähern wagte. Aber gewiß meint ers nicht so.“, flüsterte ich und löste mich von Therowig. Ich sah ihn schmunzeln, als ich ihn erneut anblickte. „Nein, vermutlich nicht. Aber er hatte Recht: ein stures Weib zu behüten will bewiesen werden.“ „Dann weißt Du, daß ich gehen werde. Trotz Deines Versprechens, Therowig. Streiten werden wir uns nicht darum. Ich habe nun diesen Weg gewählt und ich werde ihn auch zu Ende gehen.“ Ich bückte mich und griff nach meinem Gürtel, in dem mein Dolch steckte. Dann schob ich mir die Kapuze des Umhangs über das Haar und verbarg es sorgsam darunter. „Laß mich mitkommen.“, sagte Therowig, doch barg seine Stimme keine Hoffnung, daß ich ihm stattgeben würde. Ich tat es auch nicht, aber ich zögerte, als er weitersprach: „Da ist noch etwas.“
Erneut wurde mein Blick fragend, als ich den Gürtel festzog. „Vielleicht...wirst Du in Minas Gîl jemandem begegnen, den wir bereits gut kennen.“, beantwortete er meine stumme Frage und ich war mir plötzlich mit größtem Unbehagen bewußt, daß Therowig auf Yhared anspielte. Seit Tagen hatte ich nicht mehr an ihn gedacht und seine Prophezeiung vergessen, daß wir uns noch einmal wiedersehen würden. Umso schmerzlicher wurde dieser Fehler nun in mir wachgerufen. „Yhared? Aber...was sollte er an diesem Ort....ich meine....wenn es wirklich eine Stätte dunkler Zauberkunst ist...damit ist er nie umgegangen.“, überlegte ich und wollte Therowigs Worte widerlegen. „Sagtest Du nicht, bis heute wäre ungewiß und unbekannt, wie er aus dem Gefängnis von Bree entkommen ist?“, meinte Therowig und ich mußte ihm Recht geben. In der Tat stimmte mich dieser Gedanke nun nachdenklich. Ich hatte Vieles über Yhared nicht gewußt. Vielleicht hatte er wirklich die Magie erlernt, auch wenn mir das immer noch unmöglich erschien. Es hätte ein Anzeichen geben müssen, wenigstens eine Andeutung. Irgendetwas. „Und wie konnte er Dir ungesehen den Spiegel entwenden?“, fuhr Therowig fort. Ich öffnete den Mund, um erneut zu widersprechen, doch eine Antwort hatte ich nicht und so blieb ich still.
Mein Blick fiel plötzlich auf die Krähe, die vor wenigen Tagen zwischen meinen Füßen herumgestrichen war und die ich nicht hatte vertreiben können. Und wenn Yhared sich der Vögel bedient hatte? Der Krähen? Das Tier hüpfte in einigen Schritt Entfernung um den großen Feuerkessel in der Mitte des Saales umher und es wäre auch in unserem Reiselager nicht aufgefallen. Niemand machte sich schließlich Gedanken um einen Vogel, wenn er durch die Wildnis zog – dort gab es unzähliges Getier.
Ich schwieg immer noch. „Das sind nur Vermutungen. Ich muß jetzt gehen, Therowig.“, entschied ich dann, aber das ungute Gefühl, das in mir keimte, blieb. Ich wandte mich um, legte noch einmal knapp die Hand auf Therowigs Arm und verließ ihn dann. Er blieb zurück und ich spürte noch lange seinen Blick auf mir ruhen. Auch, als ich zu meiner Schar stieß und wir in der Dunkelheit, die nun wie ein dichter, aus schwerem Leinen gewebter Schleier um uns herumlag, die Festung verließen.

Minas Gîl - das Geheimnis der Sternwarte sollten wir ergründen. Vielleicht kannte ich es bereits, aber ich wußte, ich brauchte einen Beweis, um es auch zu glauben.


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#12

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:56
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich begann über die Bedeutung von Furcht nachzudenken. Sie ist ein Ratgeber, hatte Therowig gesagt. Einer, der uns abwägen ließ, ob die Dinge gut oder schlecht um uns standen. Er hatte auch gesagt, daß sie gleichermaßen eine Schwäche sei, die uns daran hindern konnte, genug Mut aufzubringen, um schlechte Dinge wieder in gute umzuwandeln.
Ich fürchtete Yhared. Nein, eigentlich fürchtete ich nicht ihn, sondern das, was er zu tun imstande war. Ich fürchtete seine Unberechenbarkeit, seine Boshaftigkeit und die Gewißheit, das nichts in ihm edel war. Ich war ihm durch diese Furcht unterlegen, die er gesät hatte. Unsicherheit war seine Waffe. Und das war in der Tat eine Art der Magie, gegen die sich schwer etwas ausrichten ließ. Therowig und Aegmar hatten sie auf ihre Weise zu bekämpfen versucht: Therowig mit Tapferkeit und Aegmar mit Zorn. Doch ich konnte Beides nicht aufbringen.
Ich sah die verhüllten Gestalten meiner Gefährten, die nur wenige Schritt von mir entfernt, zwischen den Bäumen umgingen. Wir hatten keine Pferde mitgenommen, unsere Sohlen sollten weich und lautlos auf dem Waldgrund klingen und nichts davon künden, daß wir nach Minas Gîl zogen. Auf den Schutz der Nacht hatten wir gehofft, doch er blieb aus. Ein Gewitter zog herauf, das Grollen des Donners erklang zuerst in der Ferne, dann kam es näher. Regen fiel schließlich auf uns hernieder und der Wind trieb ihn in wehenden Schleiern vor uns her, so daß wir keine gute Sicht hatten.
Nach Südosten gingen wir, und je näher wir der Sternwarte kamen, desto weiter entfernten wir uns voneinander. In einem Halbkreis wollten wir uns dem Bauwerk nähern, jeder soweit von dem anderen getrennt, daß er ihn gerade noch sehen konnte, aber nicht jeder von uns von der Feste aus gesehen werden konnte. Ich hatte Therowigs Warnung weitergetragen: vielleicht würde man uns erwarten.
Der Aussichtsturm der Sternwarte war ein Bau von solch eleganter Größe, daß ich den Kopf in den Nacken legen mußte, um seine Spitze sehen zu können, um die nun dichte Wolken hingen und sich dunkel zusammenzogen. Blitze erhellten die Nacht für winzige Augenblicke und der Stein der Sternwarte glänzte naß im Regen. Das große hölzerne Tor auf der Westseite war fest verschlossen, in den Fenstern des Hauptgebäudes brannte kein Licht. Sie wirkte verlassen, aber sie war es nicht.
Eine Straße führte auf den Hügel hinauf, auf dem die Sternwarte errichtet worden war. Der Wald reichte bis an das Mauerwerk heran und dürre Äste kratzten über den alten Stein.

Beobachten sollten wir, abwarten. Abwägen und spähen.
Ich war auf die Nordseite des Gebäudes gegangen, in den Schatten des großen Turmes. Als ich nach links blickte, sah ich einen meiner Gefährten, der mir ein Zeichen gab und nach oben deutete, gerade als wieder ein Blitz den Himmel zerschnitt. Ich sah auf, direkt über uns bildeten die Äste einer großen Eiche ein Dach über unseren Köpfen. Regentropfen fielen schwer aus ihrer Krone und platschten träge und dumpf auf unsere Füße. Ich nickte und hob die Hand, dann trat ich an den Stamm des Baumes und ließ die Finger über die knorrige Rinde gleiten. Rau fühlte sie sich an, glatt nur, wo Moos auf ihr haftete. Aber ich fand ein Astloch, in das ich meine Hand verkeilte und mich schließlich hochzog. Mit einem Fuß stieß ich mich ab, zog die Hand dann nach und griff den untersten der Äste über meinem Kopf. Mit der zweiten Hand griff ich ebenfalls zu, und dann schwang ich das Bein über den Ast. Ich balancierte mein Gewicht aus und kam schließlich in einer mühevollen Hocke auf dem Holz zum Stehen.
Langsam richtete ich mich auf, um weiter zu klettern – höher hinauf, so hoch es nur ging. Wieder durchzuckte ein Blitz die Nacht und ich kauerte mich kurz zusammen. Dann preßte ich den Rücken an den Stamm des Baumes und hielt mich fest. Langsam drehte ich mich um. Die Mauer der Sternwarte war mir nun so nahe, daß ich sie beinahe berühren konnte, wenn ich den Arm ausstreckte.
Unter mir begann plötzlich ein Licht zu schimmern. Zuerst war es nur wie ein verhaltenes Glühen durch den Regen zu erkennen, dann wurde es heller und satter. Es nahm ein tiefes Violett an und strahlte eine unsagbare Kälte aus. Auch mein Gefährte hatte es gesehen und begann nun, Handzeichen in die andere Richtung zu machen, das alle, die mit uns waren, Schutz auf den Bäumen suchen sollten. Aber das hatten sie bereits getan.
Das Licht war formlos, es pulsierte, waberte, richtete sich auf zu einem leuchtenden Kegel und schrumpfte dann wieder zusammen zu einer winzigen Kugel, nicht größer als eine Faust. Ich glaubte in seinem Inneren etwas zu erkennen, das mich an einen großen Kristall erinnerte – aber Kristalle lebten nicht. Schon gar nicht bewegten sie sich, doch dieser tat es. Langsam begann er zwischen den Bäumen umher zu schweben und sie zu umkreisen. Dann formte sich noch ein Licht in der Nacht. Und noch eins. Und ich wußte, ich würde meinen Baum wohl nicht mehr verlassen, solange diese Kristalle unter meinen Füßen waren. Ich seufzte lautlos und konnte mich nur glücklich darüber schätzen, daß ihr Licht nicht ausreichte, um einen Kreis zu werfen, der groß genug gewesen wäre, mich zu bescheinen und sichtbar zu machen.
Ich lehnte mich wieder an den Stamm der Eiche, bog einen laublosen Ast vor meinen Leib, um wenigstens einen geringen Schutz zu spüren, und ließ dann den Blick über die Mauer vor mir schweifen. Da war ein schmaler Fensterschlitz, etwa vier Köpfe über mir. Ein schwarzes, ausgespartes Loch an einem ohnehin dunklen Ort. Ich wagte mich einen Schritt vor, der Ast, auf dem ich balancierte, ächzte leise und ich hielt wieder inne. Mit einer Hand hielt ich mich immer noch am Baumstamm fest, dann beugte ich mich leicht vor und hob mich selbst auf die Zehenspitzen an. Aber ich konnte nichts durch den Fensterschlitz erkennen, ich mußte höher klettern. Ich überlegte es kurz, dann entschied ich, daß ich es wagen würde. Hier, wo ich nun war, war ich vollkommen nutzlos. Ich konnte nicht zurück, also mußte ich vorwärts gehen.

Ich streckte die Arme aus und zog mich auf einen weiteren Ast, der über mir hing. Er war dünner, schmaler, aber er trug mein Gewicht. Behutsam richtete ich mich erneut auf und konnte nun durch die Öffnung in der Mauer blicken.

Zuerst sah ich nur Finsternis, dann nahm ich einen Lichtschein wahr, der tief im Inneren der Sternwarte zu glimmen schien. Ich sah Bewegungen, sie huschten auf der anderen Seite der Mauer hinter dem Fenster vorbei. Es war das Treppenhaus des Turmes, in das ich blickte. Doch hier, auf dieser Ebene des Turms, befand sich ein Zugang, der weiter in die Sternwarte hineinführte. Eine Türe stand offen, durch die auch der Lichtschein fiel.
Das erneute Zucken eines Blitzes machte ich mir zu Nutze, um einen langen Blick durch das Fenster zu werfen, dann zog ich mich wieder zurück. Durch die Tür hatte ich weitere Treppen erkannt, die aber an den Wänden eines Saales zu verlaufen schienen. Kurz hatte ich Regale erblickt, ein Archiv vielleicht. Ich wartete einige Augenblicke, doch außer dem Regen und dem Donner vernahm ich nichts. Einen weiteren Blick tat ich, diesmal zählte ich sechs Gestalten im Inneren. Eine ging direkt vor mir an der Fensteröffnung vorbei, sie war auf dem Weg nach unten, die fünf anderen standen in dem Archivraum dicht beieinander, schien zu reden, und gingen dann wieder auseinander. Sie alle trugen lange Roben und Kapuzen, die ihre Angesichter verhüllten – aber ich kannte dieser Kleider. Auch sie waren von einem matten Violett, verziert mit schwerem Gold und versehen mit dem Zeichen des großen Auges. Schergen von Mordor. Kundige, Zaubermeister und Adepten eines Ordens, der sich aus jenen arkanen Kräften bediente, die dunkel und unheilvoll waren. Die Gerüchte stimmten und ich wünschte, es wäre nicht so gewesen.
Eine der Gestalten trug etwas auf den Armen, aber ich konnte nicht sehen, was es war. Ich wollte auch nicht darüber nachdenken, gewiß war es nichts Gutes. Vielleicht eines jener alter Elbenartefakte, das nun zerstört und beschmutzt worden war.
Ich hatte genug gesehen. Es gab Wege in die Sternwarte, und wenn mir auch die leuchtenden Kristalle, die immer noch zwischen den Bäumen flirrten, mir Unbehagen bereiteten, so war ich sicher, daß es auch an ihnen einen Weg vorbei gab. Das Tor von Minas Gîl war nur aus Holz. Altem, schweren Holz und vielleicht mit magischen Siegeln versehen, aber einem Feuersturm würde es nicht standhalten. Das alles wirkte einfach, beinahe einladend, und ich war gewarnt, nicht als einfach hinzunehmen, was sich mir bot. Doch für den Augenblick hatte ich nicht mehr zu berichten als das.
Ich senkte den Blick, spähte zwischen meinen Füßen hindurch. Der Kristall, der um den Fuß des Baumes geschwebt war, entfernte sich langsam. Ich faßte den Ast, auf dem ich mich hielt, fest mit beiden Händen und ließ mich langsam in die Hocke hinab, um mein Versteck wieder zu verlassen.
Der Donner entfernte sich und auch der Regen ließ nach. Es war günstig, wieder zu verschwinden und nach Emyn Lûm zurückzukehren. Ich blickte über meine Schulter zu meinem nahen Gefährten, auch er nutzte den Moment, und ließ sich von seinem Baum herab. Er winkte mir kurz zu, dann sah ich, wie er hinab auf den Waldboden sprang und nur einen Wimpernschlag später in den Schatten des Waldes verschwand.
Ich nickte und sah wieder nach unten. Mein Blick streifte dabei noch einmal die glaslose Fensteröffnung in der Turmmauer – und ich erschrak plötzlich bis ins Mark!

Dort stand jemand. Der Lichtschein aus dem Archivraum war verdeckt von einer Gestalt, der Stoff einer Robe drängte sich in die Öffnung und ich erkannte den goldenen Gürtel, der um ihre Hüften lag, die Schnalle ein lidloses Auge aus glänzendem Metall. Dann beugte sich die Gestalt herab, ihre Kapuze erschien vor dem Fenster und sie blickte hinaus in die Nacht. Ich zog mich, so gut ich konnte, in das Astwerk des Baumes zurück und verfluchte den nahen Winter, in dem es blattlos war und kaum Schutz bot. Aber ich konnte mich kaum rühren. Meine Knie zitterten, auch taten es meine Füße. Vielleicht vor Anstrengung ob der langen Zeit, die ich nun in der angespannten Balance auf dem Ast verbracht hatte. Kälte kroch auf einmal durch meine Adern. Dann hörte der Regen auf, als hätte jemand den Deckel auf ein tropfendes Faß gelegt. Ein letzter Blitz schoß durch die Finsternis, bevor das Gewitter verklang, aber er reichte aus, daß ich sehen konnte, wer vor dem Fenster stand und mich nun direkt anstarrte.

Es war ein Mann. Er schob seine Kapuze zurück. Es war Yhared.

Ich erstarrte, tonlos verhallte ein Aufschrei in meiner Kehle, als ich den Mund in Furcht aufriß. Ich preßte fest die Augen zusammen, um mich zu sammeln. Als ich sie wieder öffnete, war er verschwunden, der Fensterschlitz leer und dunkel wie zuvor. Meine Hände zitterten und nur noch mit Mühe hielt ich mich auf dem Ast. Er knarzte wieder, knackte. Ich atmete tief durch, ich mußte meine Fassung wiedergewinnen, aber mein Verstand schien lichterloh zu brennen. War er dort gewesen? Oder war es ein Trugbild? Hatte er mich wirklich angesehen und bemerkt, oder hatte ich mir auch das nur vorgestellt, weil ich es befürchtet hatte? Ich konnte es nicht mehr sagen, ich konnte es einfach nicht, denn fort war er jetzt. Fort. Mein Arm begann zu schmerzen, der nun mein ganzes Gewicht zu tragen schien.
Verzweifelt sah ich mich um, atemlos suchend nach einem neuen Halt. Ich nahm alles zusammen, was ich an Mut aufbringen konnte und ließ den Ast los, an dem ich hing. Für einen Moment schwan.kte ich, als ich fiel, doch meine Hände streiften bereits neue Zweige und ich wollte zugreifen. Meine Fußspitzen berührten einen tiefer wachsenden Ast und suchten sicheren Stand darauf. Erleichtert wollte ich ein Gebet zu Elendil schicken und Dankbarkeit für mein Glück schäumte in meinem Herzen auf – als mir etwas ins Gesicht schlug und mir die Sicht nahm. Ich hörte ein lautes Krächzen an meinem Ohr und glatte Federn streiften meine Wangen und meine Schläfen. Krallen stoben über meine Kapuze und fingen eine Haarsträhne, an der sie zerrten.
Eine Krähe war aus dem Fenster geschossen und in schnellem Flug direkt auf mich hinab gestürzt. Ich schlug mit der Hand nach ihr, verlor dadurch wieder den vagen Halt, den ich gewonnen hatte.
Dann spürte ich den scharfen Schnabel des Tieres auf dem Rücken meiner anderen Hand. Sie pickte nach mir und mehr erschrak ich, als daß es mich schmerzte, aber ich zog auch diese Hand fort aus den sicheren Zweigen.
Ich besiegelte damit meinen Fall. Und als ich fiel, glaubte ich, ein dumpfes Lachen zu hören, daß durch die Mauer vor mir bis in mein Herz drang. Dann spürte ich nur noch den Aufprall auf dem Waldboden und eine Pein in der Brust, die mir die Luft aus den Lungen drückte.

Ich blieb liegen, am Fuße der großen Eiche, und rang nach Atem. Brennend füllte sich meine Kehle mit Luft und ich schluckte sie gierig hinunter. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich mir eines der Lichter zu nähern begann. Ich vernahm ein Sirren in der Luft, wie Metall, das geschliffen wurde, aber es war auch ein Klingen in diesem Laut, daß mir unwirklich erschien. Es war der schwebende Kristall, der, in Schwingung versetzt, diese Geräusche machte, wenn er sich bewegte. Aber wer hatte ihn in Bewegung gesetzt? Die Zauberer von Minas Gîl? Ja, wer konnte es sonst gewesen sein...
Fragen schossen mir durch den Kopf, bis mich der Schmerz in meinem Leib wieder daran erinnerte, daß ich die Gedanken darauf richten sollte, von diesem unseligen Ort zu entkommen. Ich zog mich auf die Knie und hielt mir die Seite, dann versuchte ich, ob ich aufstehen konnte. Es gelang und ein wenig war der Gedanke tröstlich, daß mir mein Sturz keine gebrochenen Gliedmaßen eingebracht hatte. Die Krähe, die mich angegriffen hatte, saß auf einem Ast, der nun abgeknickt aus dem Stamm der Eiche ragte und betrachtete mich mit ihren scharfen und seltsamen Augen. Ich verwünschte sie und stolperte dann vorwärts. Meine Knie knickten leicht ein, aber sie trugen mich. Und mehr ungelenk hinkend wie ein Fohlen, das seine ersten Schritte in einer neuen Welt tut, lief ich voran. Der schützende Wald kam näher.
Noch immer nahm ich das Licht und das kalte Summen wahr, das es verursachte, aber es zog an mir vorbei. Ich glaubte, ein Poltern zu hören, ein hallendes Brummen, das vom Tor der Sternwarte herrührte. Lösten sie die Verriegelungen der Pforte, um ein Heer zu entlassen und mich zu verfolgen? Mich und meine Gefährten? Erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich tatsächlich entdeckt worden war und der Vogel mich gewiß nicht zufällig aus meinem Versteck vertrieben hatte. Er war geradewegs auf mich zugeflogen und die Jahreszeit war nicht danach, daß er irgendwo in der Krone des Baumes ein Nest haben könnte, das er gegen mein Eindringen zu verteidigen suchte.
Ich schauderte, während ich weiter vorwärts lief und mit einem erleichterten Seufzen endlich das Unterholz erreichte. Ich biß mir auf die Unterlippe, als ich das Flüstern meiner Gefährten hörte, die an einem großen Felsblock auf mich warteten. Das Flüstern erstarb, als ich mich näherte und sie alle sahen mich an: ihre Augen ein vertrautes Glitzern in der Dunkelheit. Niemand sprach ein Wort, doch unser aller Unbehagen stand wie eine mächtige Säule zwischen uns. „Gehen wir und verlassen diesen Wald, verflucht sei er.“, raunte schließlich jemand und es bedurfte keiner weiteren Aufforderung, das wir uns umgehend auf den Weg nach Emyn Lûm begaben.

Die Straße, die hinab in das Tal zur Festung führte, glänzte feucht im Mondschein. Hier und da troff noch der Regen aus dem Gezweig der Bäume und verlieh der Nachtluft einen frischen Hauch. Warme Feuer brannten im Inneren der Feste und luden alle ein, die heimkehrten. Mich fröstelte, ich zitterte, aber in mir brannte eine Glut, die mich mit Heftigkeit antrieb, sofort meinen Bericht vorzulegen. Ich sah, daß meine Begleiter Ähnliches im Sinne hatten und so führte uns unser Weg sogleich in das Zelt unseres Kommandanten, Fuirgam.
Als er wußte, was wir Späher zu berichten hatten, erschien mir das aber plötzlich nicht genug zu sein. Ich war von Unruhe ergriffen und der Grund dafür war, daß ich nicht gesagt hatte, jemanden in der Feste erkannt zu haben. Meine Entdeckung nahm Fuirgam mit einem Stirnrunzeln auf. Ich hätte ihm erklären können, daß ich keinen Fehler begangen hatte. Ich hätte ihm erklären können, das dieses Unglück aus anderen Kräften geboren war und mit persönlichen Dingen zu tun hatte, für die es aber nach wie vor keine Erklärung gab. Vielleicht hatte ich deswegen geschwiegen und nichts gesagt, denn wie tölpelhaft hätte es wohl geklungen, wenn ich gesagt hätte, daß es unter den Männern von Minas Gîl einen gab, der mich scheinbar überall und zu jeder Zeit finden konnte und ich dies nur Magie, Glück oder etwas anderem Ungreifbarem zuschreiben konnte. Nein, ich nahm den Tadel in seinem Blick hin und ging. Therowig hatte Recht gehabt: ich hätte erst gar nicht nach Minas Gîl gehen dürfen. Er hatte es besser gewußt als ich.
Als ich aus Fuirgams Zelt trat, wußte ich, daß ich unbedingt Aegmar finden mußte. Ich mußte mit ihm sprechen und nur ihm würde ich glaubhaft erklären können, was an der alten Sternwarte geschehen war.
Ich ging suchend im Innenhof umher, bis ich schließlich anfing zu rennen – getrieben von einer Hast, die mich schier zu übermannen drohte. Ich sah viele, die an den Feuern kauerten und sich wärmten, andere, die auszogen und die Feste in kleinen Gruppen verließen. Solche, die an den Schmieden standen und warteten, daß ihre Klingen geschliffen wurden und vor allem jene, deren Tagwerk vollbracht war, und die nun scherzten und tranken und sich die Kälte aus den Gliedern trieben, in Gesang und froher Gesellschaft.
Ich traf auf Frau Arhaleth, die junge Heermeisterin, die mich bei meiner Ankunft so freundlich begrüßt und uns das Quartier gewiesen hatte. Und als ich eben jenes in schnellem Schritt betreten wollte, stieß ich mit ihr zusammen, daß sie beinahe ihren geflügelten Helm fallen ließ, den sie wieder unter dem Arm trug. „Frau Nariena!“, rief sie ein wenig empört und heischte dem wertvollen Rüstungsteil nach, als es ihr zu entgleiten drohte. Erstaunt sah sie mich dann an, zwinkerte aber, als sie bemerkte, daß ich sehr aufgeregt war. „Ist Sauron persönlich hinter Euch her, gute Dame?“, fragte sie und es sollte mich wohl beruhigen, aber das tat es nicht. „Ich muß sofort zu Herrn Aegmar, wo ist er? Habt Ihr ihn gesehen?“, fragte ich, ohne sie zu begrüßen. Sie deutete über ihre Schulter. „In seinem Lager. Aber es ist spät, meint Ihr nicht, daß Ihr ihn morgen früh...“, fuhr sie fort, aber ich schüttelte den Kopf und wollte mich an ihr vorbeischieben, in den Saal hinein. Ihre Schultern, die in der Rüstung breit und kräftig wirkten, versperrten mir den Weg. Wieder stieß ich die Heermeisterin an, daß sie nun einen Arm nach mir ausstreckte und mich einen Schritt weit zurückschob. Ihre gepanzerte Hand stemmte sich gegen mein Brustbein und sie bedachte mich nun eines äußerst ernsten Blickes.
„Bei Allem, was mir heilig ist, laßt Ruhe walten! Viele unserer Mannen schlafen bereits, weckt sie nicht auf, denn ihr Tag war lang und nicht ohne Kampf!“, sagte sie und senkte die Stimme. Da endlich schien diese fiebrige Unruhe tatsächlich von mir abzufallen und ich schüttelte leicht verwirrt den Kopf. Meine Gedanken wurden klarer, als hätte sich der Himmel in einem kräftigen Wind von allen Wolken befreit. „Verzeiht mir.“, sprach ich und atmete tief ein. „Es ist wirklich wichtig, was ich ihm sagen muß.“, fügte ich dann an und Arhaleth zog ihre Hand zurück. „Dann geht...Ihr seid doch lautloser Schritte mächtig, werte Freundin.“, meinte sie und lächelte knapp. Ich sah sie an und betrachtete ihr fein geschnittenes Gesicht. „Nicht mehr...“, erwiderte ich und fühlte mich ob meiner Worte plötzlich matt und hilflos, aber sie waren wahr.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#13

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 00:59
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Arhaleth trat zur Seite und sah mir erstaunt nach, wie ich an ihr vorbeiging und langsam den Saal betrat. Das Kohlebecken brannte nur mäßig hell und ließ Schatten über die gemauerten Wände zucken. Rings umher sah ich Gestalten, die fest in ihre Decken gewickelt, ruhten und schliefen. Ich blieb stehen und sah mich um. Im fahlen Schein des kleinen Feuers schienen nur Therowig und Herr Cunilos wach zu sein. Sie würfelten und scherzten leise miteinander, Herr Maethruth stand hoch aufgerichtet an ihrer Seite und sah ihnen mißmutig dabei zu.
Ich war mir sicher, daß Elben nicht das Geringste für Glücksspiel übrig hatten, doch ich mußte mit einem leichten Schmunzeln feststellen, daß Maethruth Therowigs Miene interessiert betrachtete, als er in stummer Geste die Arme hochriß und das Gesicht verzog. Herr Cunilos lachte dagegen leise, offenbar war das Glück in dieser Nacht auf seiner Seite. Zumindest waren es die Würfel und Therowig übergab ihm eine schimmernde Münze.
Als er mich entdeckte, verflog die Enttäuschung über das verlorene Spiel auf seinem Gesicht und ein erleichtertes Lächeln legte sich darauf. Er hatte auf mich gewartet und hob die Hand zum Gruß. Ich erwiderte ihn knapp, stieg über einen schlafenden Gefährten hinweg, der sich zu meinen Füßen in seinen Umhang gerollt hatte und leise schnarchte. „Aegmar, wo ist er?“, fragte ich sofort, als ich Cunilos und Therowig erreicht hatte. Maethruth war es, der hinter sich deutete. Ich dankte, verfolgt von den Blicken der Männer am Feuer. Vor allem Therowigs Blick war es, der auf mir haftete, als ich um den Elben herumstieg und in seinem Rücken meinen Fürsten schlafend auf einem Stuhl vorfand.
Aegmar hatte die langen Beine ausgestreckt und die Arme vor der breiten Brust gekreuzt, der Kopf war ihm weit in den Nacken gesunken und er schlief tief und fest. Neben ihm lag ein umgestürzter Würfelbecher und nur zu deutlich war, wie erschöpft er sein mußte. Es schmerzte mich fast, ihn aufzuwecken, aber meine Nachrichten konnten nicht warten.
Mit einem leisen Husten schlug er die Augen auf, blickte noch im Traum gefangen um sich, bevor sich sein Blick klärte und er sich aufrichtete und Haltung einnahm. „Hm?“, fragte er schläfrig und auch Maethruth drehte sich zu uns um. Er hob eine Braue und alle Augen, die mich nun ansahen, fragten das Gleiche: was war passiert?

Atemlos berichtete ich und stumm hörte Aegmar mir zu. Dann wurde er bleich im Gesicht. Nicht, weil er erschrocken war. Als an seiner Schläfe eine Ader zu pulsieren begann, wußte ich, daß er zornig war. Und zwar über die Maßen zornig. Mit dem Fuß stieß er den Würfeltisch um und erhob sich von seinem Stuhl. Er sah auf mich hinab, daß ich es war, die nun erschrak. Er knurrte auf. Er ballte eine Hand zu einer Faust und schlug sie in die offene Handfläche der anderen. „Es wird Zeit, sich dieses Kerls endgültig anzunehmen!“, rief er duster. Er raffte seinen Umhang, bedachte uns alle mit keinem weiteren Blick mehr, sondern marschierte nun geradewegs aus dem Saal hinaus. Wen er dabei anstieß, schien ihn nicht mehr zu interessieren – und einige der Männer erwachten, erhoben sich mit trübem Blick und zerzaustem Haar und fühlten, daß etwas in Gang gesetzt worden war, das sich nun nicht mehr aufhalten ließ. Etwas würde geschehen, und zwar bald. Die Luft begann zu knistern und Aegmars Zorn hing in ihr wie eine Gewitterwolke, schwer und dumpf.

Gespürt hatten wir den Wind bereits, der sich erhoben hatte. Nun schmeckten wir den Sturm.

Maethruth, Therowig und Cunilos sahen mich an, dann warfen sie sich gegenseitig Blicke zu. „Dann werde ich wohl mein Schwert holen gehen...“, verkündete Herr Cunilos, nickte uns zu und entfernte sich. Maethruth senkte nur den Blick und verließ dann ebenfalls die Feuerstelle. Nur Therowig blieb zurück und fuhr sich nachdenklich über den Bart. Neben uns wurde eine Decke zurückgeschlagen und Aneawin sah verschlafen zu uns auf. Er gähnte laut, rieb sich dann über die Augen und sah sich um. Ich hörte, wie Cunilos Schwert und Kettenhemd anlegte. „Was ist denn los?“, fragte Aneawin. Herr Cunilos trat nahe an ihn heran und zog sich den Schwertgurt fest. „Krieg, Freund, es ist Krieg.“, erwiderte er duster. Aneawin nickte und schlug die Decken gänzlich zurück. Er erhob sich und begann im Saal umherzugehen, behutsam weckte er seine Schar auf.
Ich atmete aus und ließ mich auf den Stuhl fallen, auf dem Aegmar geruht hatte. Es war eine schlimme Nacht und ich verwünschte sie aus der Tiefe meines Herzens. Ich schlug mir die Hände vor das Gesicht. Krieg, es war Krieg. Das hatten wir alle gewußt, und doch entsetzte mich das nun mehr, als ich angenommen hatte. Dennoch war ich gleichzeitig erleichtert und wußte, daß ich eine Entscheidung nur willkommen heißen würde. Eine Entscheidung darüber, wie die Dinge nun enden würden. Yhared war gewiß nur ein kleiner Stein, den das Heer der freien Völker auf seinem langen Weg beiseite rollen mußte – aber für mich hatte er eine andere, größere Bedeutung. Er war nicht nur eine Schranke, die der Freiheit Mittelerdes Grenzen aufzwingen wollte, sondern er nahm mir auch meine eigene Freiheit. Und vor allem diese wollte ich zurückhaben.
Ich hörte das Rasseln von Kettenhemden und das leise Stampfen von Stiefeln, das den Saal zu erfüllen begann. Therowig hatte sich nun dem Feuer zugewandt, er schien der Einzige in dem aufbrandenden Meer aus Soldaten zu sein, der nicht sein Rüstwerk anlegte und sich kampfbereit machte.
Und er war es auch, der auf einmal die Hand hob. „Nein, bei Helm Hammerhand, wartet!“, rief er laut aus und alle Bewegungen gerieten ins Stocken. Er ließ den Blick schweifen. „Ich denke nicht, daß wir etwas überstürzen sollten – ganz gleich, welche Wut in uns lodern mag und welches Sehnen unser Blut endlich einer Schlacht entgegen führen will, die dieses Belauern und Bespitzeln beendet und das Zeichen setzt, auf das wir alle gewartet haben: die Völker Mittelerdes haben sich erhoben und stehen für das ein, was sie sind. Frei! Aber noch nicht. Ich bitte Euch zu warten, bis ich noch einmal mit Fürst Aegmar gesprochen habe.“, fügte er an. Aneawin zog die dunklen Brauen zusammen. „Das hier ist etwas Persönliches, Therowig, und jeder, der unser Haus und unsere Schar je persönlich bedroht hat, wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Es mag sein, daß dies vorzeitig die Schlacht einläutet, aber jeder Zeitpunkt ist gut, um, wie Du sagtest, dafür einzustehen, weswegen wir gekommen sind.“, widersprach er. Therowig schüttelte abermals den Kopf. „Ich bitte Euch als Euer Schwert- und Schildbruder und auch als Euer Freund: gebt mir eine Stunde Zeit und wartet! Bleibt hier.“, sagte er und drehte sich dann zu mir um. „Und vor allem Du bleibst hier.“, meinte er zu mir. Dann wandte er sich um und ging, den Saal zu verlassen.

Ich schluckte und blieb zurück. Ich gehorchte ihm diesmal. „Das ist doch Unsinn, wir sind mehr als bereit.“, hörte ich einen Mann neben mir sprechen, er war blond und seine Augen von strahlendem Blau. Er gehörte zu Frau Arhaleths Schar, die nun im Rahmen der Pforte erschien und sich ihren Weg durch den Saal hin zu dem Feuerbecken in der Mitte bahnte. „Wir brechen auf?“, fragte sie und auch sie klang überrascht. „Nein, tun wir nicht.“, knurrte Aneawin mißmutig. „Therowig ist dagegen. Warten wir ab, was er zu sagen hat, wenn er zurückkehrt.“, antwortete er dann. Wieder hörte ich andere Stimmen, die dafür das Wort erhoben, die Schlacht zu beginnen.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und auch wenn ich diesem Saal und in dieser Versammlung von Kriegern und Offizieren wohl die geringste Stimme hatte und das wenigste Gewicht, so wagte ich doch, sie zu erheben: „Und Euer Waffenmeister hat Recht damit, Euch warten zu heißen. Ich bin gefordert worden von dem, dem Fürst Aegmars Zorn gilt: Yhared Manu, der ein Adept ist in den Künsten der üblen Magie. Auch andere hier sind von ihm gefordert worden. Aneawin, Therowig, Maethruth. Er hat uns beleidigt und bestohlen. Aber Tücke mit unvorsichtiger Wut zu begegnen kann nur weiteres Unheil bringen. Ich wünsche mir mehr als jeder von Euch, daß es endet, doch fügen wir der Macht unserer Klingen auch die Überlegung hinzu, wie Tücke zu begegnen ist. Es könnte eine Falle sein. Minas Gîl ist groß – und wir wissen nicht, was sich in ihrem Innern verbirgt.“
Das sagte ich, und war selbst von meinen Worten überrascht. „Wohl gesprochen.“, sagte Frau Arhaleth. Herr Cunilos schürzte die Lippen. „Nun, gute Worte, ja. Aber wenn Ihr überlegen wollt, dann überlegt einmal dies: ich nehme an, daß ich es richtig verstanden habe, daß Ihr entdeckt worden seid, als Ihr die Sternwarte beobachten solltet. Und da dem nun so ist, wird der Feind selbstverständlich darauf schließen, daß sein Stützpunkt in unser Interesse geraten ist. Er wird Vorbereitungen treffen, sich zu schützen. Und es wäre dumm, zu warten, bis er ein Bollwerk errichtet hat, daß wir erst einrennen müssen. Es ist besser, ihn zu schlagen, bevor es dazu kommt. Ich bin sicher, daß Herr Aegmar den gleichen Gedanken hatte – und daran tut er gut. Es ist nicht die erste Schlacht, die er geschlagen hat. Er tat es schon, bevor Ihr je seinen Namen gehört habt!“, sagte er. Frau Arhaleth hob die Brauen und sah mich an, den Kopf leicht schief gelegt. „Da hat er Recht. Alte Heerführerweisheit...triff Deinen Gegner, bevor er Dich trifft.“, sagte sie und es sollte wohl aufmunternd klingen.
Doch ich konnte nur noch eines denken: Yhared hatte seiner Waffe der Furcht noch eine weitere hinzugefügt – die des Streits und der Mißgunst. Und um Beides nicht noch weiter anzufachen, schwieg ich und ging zur Pforte des Saales. Ich ließ mich in einer der Nischen nieder und starrte hinaus auf den Innenhof der Feste.
Es hatte wieder begonnen zu regnen und ich sah zwei Gestalten, die dort draußen standen und sich nicht um das Wasser zu kümmern schienen, das der Nachthimmel auf sie ergoß. Ich fröstelte wieder und mit pochendem Herzen konnte ich den Blick nicht von Therowig und Aegmar lösen, die sich mit eindringlichen Blicken bedachten und laut stritten.
Ich seufzte nur. Sie waren doch Freunde, dachte ich. Und konnte Freundschaft nicht gegen alles bestehen?

Das Rauschen des Regens überdeckte ihre Worte, aber ich konnte sie auch so gut genug verstehen. Aegmar war immer noch außer sich vor Zorn und Therowig versuchte ihn zu beschwichtigen, obgleich er nicht ohne Wut war. Eine Weile sprachen sie nur, dann riß Aegmar auf einmal einen Arm hoch und reckte eine Faust. Das braune Haar schmiegte sich naß an sein edles Gesicht und nur seine Augen blitzten darin hervor. Der Umhang zerrte schwer an seinen Schultern. Therowig redete nur auf ihn ein, wurde unterbrochen, und setzte von Neuem an. Auch sein Haar war nun vollkommen naß, das Leinenhemd, das er trug, klebte ihm an Brust und Bauch. Ich ahnte, das seine Worte verhallten und Aegmar seine Entscheidung unumstößlich gefällt hatte. Als er Therowig schließlich den Rücken zuwandte und durch die grauen Regenschleier davonstapfte, war ich sicher, daß es so war.
Therowig blieb noch für einen Moment allein auf dem Hof zurück und sah dem Freund nach, dann drehte auch er sich um und kam zurück zu unserem Quartier im Südflügel. Ich erhob mich und trat aus den Schatten, als er durch die Pforte trat. „Aegmar geht und meldet Fuirgam, daß das Haus Faust und Feder im Morgengrauen nach Minas Gîl ziehen wird.“, sagte Therowig und seine Stimme klang heiser und rau. „Und Du wirst mit ihm gehen, obwohl Du es für falsch hälst.“, sagte ich leise. Therowigs Blick verdunkelte sich und er preßte hart die Kiefer zusammen, daß seine Wangenmuskeln sich anspannten. „Aegmar hat sich entschlossen und seine Gründe sind gut. Also wird es so geschehen. Und ja, natürlich gehe ich mit ihm! Aber Du wirst es nicht tun, auch das hat er entschieden.“, brachte er dann hervor. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen. Ich berührte Therowigs Arm, als könnte das Aegmars Meinung irgendwie ändern. Sein Hemd war naß unter meiner Berührung und ich spürte seine warme Haut darunter. „Warum nicht?“, rief ich aus. „Warum soll ich zurückbleiben, wenn alle anderen gehen?“ Therowig wandte mir nun das Gesicht zu und es gefiel mir nicht, was ich darin las. „Weil...weil er Dich für ein Risiko von unbekannter Größe hält. Und die jüngsten Ereignisse dürften bewiesen haben, daß dem so ist.“, raunte er dunkel. Ich ließ seinen Arm los und war erschüttert.
Wider meinen Willen schossen mir Tränen in die Augen. „Das ist nicht gerecht...“, flüsterte ich. „Gerecht....nein. Wahrscheinlich nicht.“, erwiderte er und beinahe klang es traurig. „Ich muß jetzt gehen.“, sagte er dann und entfernte sich ein paar Schritte, mich an der Pforte zurücklassend. Meine Kehle schnürte sich zu und ich hob eine Hand, dorthin, wo mein Herz immer noch schmerzhaft in meinem Brustkorb schlug. „Therowig!“, rief ich ihm nach. Er hielt noch einmal inne, wandte sich um und sah mich zaudernd an. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine grimmige Entschlossenheit, gemischt mit dem Zweifel an einer ungewissen Tat. Die Entschlossenheit siegte schließlich. Er kam zurück, kam mir nahe. Er nahm mein Gesicht fest in seine Hände und ich spürte, wie er es zu sich emporhob. Der Blick seiner Augen traf mich und dann küßte er mich auf die Stirn. Einen langen Moment, bevor er mich endgültig losließ und in den Saal zurückkehrte, um Aegmars Entscheidung kundzutun, der er sich nun angeschlossen hatte.

Ja, der Sturm war entfacht...

Versunken in stille Gedanken verharrte ich in meiner Nische seitlich der Pforte und betrachtete schweigend, wie meine Gefährten sich zu rüsten begannen. Etwa ein Dutzend und noch ein halbes dazu zählte ich. Die meisten suchten ihre Waffen zusammen, wählten aus, wie sie dem kommenden Kampf begegnen wollten und dann kehrte allmählich Ruhe im Quartier ein. Es war noch ein paar Stunden hin bis zum Morgengrauen und wer noch ein wenig Schlaf finden konnte, der nahm ihn sich. Auch Therowig hatte sich auf sein Lager begeben, aber ich wußte, daß er nicht schlief. Zwar hatte er die Augen geschlossen, aber sein Atem war nicht tief und immer wieder drehte er sich herum.
Ich konnte Aegmar nichts verübeln, noch ihm etwas vorwerfen. Es war schwer, eine Entscheidung zu treffen und es war an ihm, es dennoch zu tun. In Frage stellen würde ich nichts, auch wenn Schlimmes ihn und alle, die mit ihm waren, ereilen sollte. Aber ich bedauerte, wie diese Nacht geendet hatte; auch, wenn ich daran dachte, daß ein Kampf um Minas Gîl ohnehin unausweichlich gewesen war. So ging eine weitere Stunde dahin und irgendwann kehrte völlige Stille in der Halle ein. Ich lehnte mich an die Wand, auch ich würde bestimmt nicht schlafen. Ich hielt den Blick auf den Himmel gewandt, an dem träge die Regenwolken hingen und mir durch die Pforte einen Ausschnitt von Dunkel gewährten, das bald vom Morgenlicht vertrieben werden würde.
Als eine weitere Stunde verstrichen sein mußte, sah ich jemanden auf mich zukommen. Es war keiner meiner Gefährten, er trug auch nicht das Wappen meines Hauses. Es war ein Junge, wohl nicht älter als Dreizehn oder Vierzehn. Vielleicht der Knappe von einem der anderen Edelleute, die nach Emyn Lûm gekommen waren. Noch bevor ich mich fragen konnte, was ihn wohl herführte, hatte er mich schon erreicht und sah ein wenig ängstlich zu mir auf. „Bitte...bitte verzeiht, werte Dame.“, stammelte er. Ich bemühte mich um ein Lächeln. Es waren genügend furchtsame Dinge geschehen in dieser Nacht, ich wollte nicht auch noch einen Jungen mit meinen düsteren Gedanken erschrecken, die mir zweifellos in das Gesicht gemeißelt waren. „Ich suche eine Abgesandte des Hauses Faust und Feder, sie heißt Nariena Ghaldean.“, fuhr er fort und schluckte. Ich hob überrascht die Augenbrauen. „Das bin ich...“, gab ich zurück und stellte dann fest, daß der Junge nicht meinetwegen so verlegen wirkte, sondern wegen etwas, das er bei sich trug. Zaghaft hielt er mir ein kleines Bündel hin. Etwas, das in Leinen eingeschlagen und verschnürt war. „Dann ist dies für Euch. Ein Mann kam in das Lager meines Herren, am Nordende der Feste. Er gab das für Euch ab, und sagte, daß es auch nur für Euch sei. Aber da er sich wohl geirrt hatte und Ihr ja hier zu finden seid, schickt mein Herr mich nun freundlicherweise zu Euch, daß ich es übergeben kann.“ Er deutete eine unbeholfene Verbeugung an, drückte mir dann das Bündel in die Hand und rannte so rasch wieder davon, daß meine Frage, wer der Mann gewesen sei, der mir das sendet, ungehört verhallte.
Ich stutzte, aber ich löste die Schnüre, die das Päckchen hielten. Es fühlte sich seltsam kalt an, als hätte es lange an einem kühlen Ort gelegen. Ich fand im Inneren des Pakets einen Dolch, der mir unbekannt war und zudem fremdartig erschien. Der Griff war geformt wie ein Schlangenkopf und die Klinge seltsam matt, obgleich sie sehr scharf geschliffen war. Es war eine hübsche Waffe, aber keine, wie ich sie zuvor gesehen hatte. Als ich sie berührte, spürte ich, daß die leichte Kühle von der Klinge selbst auszugehen schien. Beigefügt war ihr ein Pergament, das ich entfaltete. Und kaum hatte ich das getan, ließ ich die Klinge fallen, denn die Schrift, die mir entgegen sprang, war mir nur allzu bekannt. Yhared hatte mir den Brief geschrieben.
Der Dolch klapperte laut auf dem Steinboden, als er aufschlug und erfüllte mein Ohr mit einem unheilvollen Singen. Zitternd las ich die Zeilen und schlug mir dann die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien:



Nariena,

ich weiß von dem Versuch Deiner Freunde, mich wie einen Fuchs aus dem Bau locken zu wollen. Ich werde sie erwarten und sie werden alle ihrem Untergang entgegen sehen. Doch Du kannst sie retten. Das passende Werkzeug habe ich Dir beigelegt. Du mußt nur eines tun, wenn ich sie verschonen soll: töte den Rohirrim!

Y.




Meine Augen wanderten zu Therowig.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 03.03.2012 02:19 | nach oben springen

#14

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:00
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Er lag immer noch stumm auf seinem Lager, irgendwo am Rande des großen Saales. Er war endlich eingeschlafen. Sein Unterarm ruhte auf seinen geschlossenen Augen, als würde er sich abwenden von einem hellen Sonnenstrahl oder sich vielleicht auch nur schützen vor den Albträumen der Nacht. Er atmete ruhig, doch seine Atemstöße waren kurz. Er schlief tief und fest. Es wäre leicht, ihn jetzt zu töten. Aber ich hatte noch nie ein lebendes Wesen getötet, wenn ich es nicht verzweifelt gemußt hatte. Es gab solche, die das taten, wenn ihre Bezahlung nur gut genug war; das Gold stimmte, das man ihnen in die offene Hand zählte. Auch meine Bezahlung wäre gut, sie wäre ein Dutzend Leben wert, wenn Yhared Recht hatte und wirklich über die Macht verfügte, ein ganzes Heer zu vernichten.
Yhareds Zeilen bereiteten mir eine Pein, die mich tief in meiner Seele traf. Doch nachdem der grauenhafte Schrecken, der mich ergriffen hatte, sich langsam auflöste und ich mich zwang, seine Botschaft noch einmal zu lesen, da spürte ich noch etwas anderes in mir aufkeimen. Ich fällte keine Entscheidungen darüber, wer leben und wer sterben sollte. Ich konnte es nicht, und schon gar nicht entschied ich über das Leben von einem, der mir soviel bedeutete, daß es Yhareds Haß ebenso lodernd schürte wie ich ihn schätzte. Was mich aber nun wirklich bewegte, war die Gewißheit, daß ich Yhared einfach keinen Glauben schenkte. Beinahe wollte ich denken, daß er sich fürchtete und daß dieser Brief an mich das Bevorstehende abwenden sollte. Er teilte mir mit, daß er von dem Angriff auf die Sternwarte wußte – das war eine Information, die wertvoll war, und er gab sie nun frei heraus. Nur zwei Dinge konnte dies bedeuten: er warnte seinen Feind vor der Falle, die gestellt war, in der Hoffnung, daß dieser weichen und sich zurückziehen würde, denn von welchem Übel wäre es schließlich, wissentlich in den Untergang zu ziehen. Oder aber er versuchte die Flamme der Wut in Aegmars Herzen zu verzehrender Glut zu treiben, denn wenn Aegmar nun zurückzog und den Angriff aussetzte, so könnte ein böswilliger Geist ihn der Feigheit bezichtigen. Und in Yhareds Augen würde Aegmar nicht als Feigling gelten wollen, ganz gleich, wie absurd der Vorwurf sein mochte.
Alles, was Yhared getan hatte, hatte einen Zweck gehabt – und dieser Zweck war jedesmal erfüllt worden. Nein, ich hatte wahrlich keine Entscheidung über Leben und Tod zu fällen. Nur darüber, ob ich jemanden außer mir von dem Brief wissen lassen würde oder nicht. Ob ich es Aegmar wissen lassen würde oder nicht.
Ein sanfter Lufthauch strich durch die Pforte in den Saal hinein und ließ das Feuer im Kohlebecken flackern. Schattengestalten tanzten in dunklem Reigen über die Mauern der Halle und sahen mich fragend an. Wirst Du, Nariena, oder wirst Du nicht? Ich biß mir fest auf die Unterlippe – und dann sah ich, daß mir meine Entscheidung abgenommen worden war: Therowig hatte den Kopf gehoben und sah mich an.

Was nun geschah, geschah schnell und ich nahm es nicht mehr wahr. Es war, als würde ich selbst schlafen und die Dinge durch einen trüben Schleier betrachten. Ganz so, als säße ich im Inneren einer Glaskugel, die mit Wasser gefüllt war. Ich spürte, wie Therowig auf mich zukam, mir vorsichtig die Hand fortbog, die ich immer noch vor Schrecken erstarrt auf meinen Mund gepreßt hatte. Dann nahm er die Botschaft, las sie und verließ den Saal. Wohin er ging, wußte ich nur zu gut. Er würde Aegmar suchen. Maethruth war an meiner Seite, der Elb nahm das Leinentuch auf, daß ich fallengelassen hatte und warf es über den Dolch, der immer noch kalt schimmernd auf den Steinplatten lag. Er wickelte die fremde Klinge darin ein und nahm sie an sich. Aneawin rief etwas durch den Saal, aber ich verstand es nicht. Dumpf klang seine kräftige Stimme in meinen Ohren und der Schleier, der meine Augen getrübt hatte, löste sich in einer einzelnen Träne auf, die auf meinen Handrücken fiel.
Die nächste Stunde verging in bleierner Schwere, jede Sekunde schlug in meinem Herzen wie ein eisiger Gong. Und dann kam er, der Morgen. Er kündigte sich mit einem Sonnenaufgang an, der grau war und blaß, als hätte selbst das Licht jede Leichtigkeit verloren. Aegmar rüstete sich, er würde gehen. Ich hörte, wie sich seine Schar am Osttor der Feste versammelte und wie viele sich an seinen Flanken drängten, um es zu verabschieden. Fuirgam hatte seinem Anliegen stattgegeben und mit ihm würden auch die Elben ziehen. Es waren dreißig Pferde zu zählen – und allen voran stand Aegmars großes schwarzes Schlachtroß. Eine Trompete wurde geblasen, ein langer, hoheitsvoller Ton, der in den Krieg rief. Dann ritten sie – und ich blieb zurück und konnte nicht sagen, ob es die Entscheidung war, die Yhared Aegmar hatte abtrotzen oder verhindern wollen.

Ich erfuhr es erst, als der Tag die Mittagsstunde überschritt.

Stimmen drangen durch die Feste und Rufe hallten wild von ihren alten Mauern wider, als von einer der Zinnen plötzlich ein gelb gefiederter Pfeil abgeschossen wurde und sich in der Nähe des Zeltes des Kommandanten in den Boden bohrte. Der Wächter auf der Zinne, der ihn abgeschossen hatte, winkte mit dem ausgestreckten Arm. Ein zweiter Pfeil traf ein, ebenfalls mit gelben Federn. Dann ein dritter, ein vierter. Auch sie waren gelb, das bedeutete: Heimkehrer!
Das Volk in Emyn Lûm geriet in Aufruhr und das mächtige Osttor wurde weit geöffnet, um die einzulassen, die von den spähenden Augen auf der Zinne entdeckt und willkommen geheißen worden waren. Doch dann ebbten die Stimmen ab und die Rufe verklangen zu einem traurigen Schweigen, das sich mit festem Griff um unser aller Gemüter legte.

Niemand wagte zu zählen, wie viele heimkehrten, denn es waren zu wenige.

Ich erkannte nur eines der Gesichter wieder, die an mir vorüberzogen: es gehörte Frau Arhaleth. Sie war zu Fuß, ihr Pferd war wohl zurückgelassen worden. Vielleicht war es tot. Mit hellen Augen sah sie mich schweigend an und schüttelte dann den Kopf. Mehr brauchte sie nicht zu tun, um zur Gewißheit werden zu lassen, was ich längst geahnt hatte: die Schlacht war verloren gegangen.

Aneawin sah ich nun, der ebenso verletzt und verbrannt wie Frau Arhaleth wirkte. Zwei oder drei andere sah ich noch, die mir bekannt waren und die das Wappen der Faust und der Feder trugen. Und dann erblickte ich die, die heimgekehrt waren, aber mit dem Leben dafür bezahlt hatten. Mit stummem Gebet bedachte ich die Toten und bot ihnen die letzte Ehre. Die Gesichter derer, die mir am meisten in dieser Schar bedeutet hatten, fand ich nicht. Ich fuhr herum zu Frau Arhaleth. „Wo ist Herr Therowig?“, fragte ich sie. Die Heermeisterin sah mich an, dann hob sie die Schultern. „Ich kann es nicht sagen. Er verschwand vom Schlachtfeld, als...als diese Lichter auf uns niedergingen und dieses....Schattenfeuer....der Verband wurde zerschlagen und einige verschwanden plötzlich, als hätte sie der Boden verschluckt! Wir sahen Herrn Therowigs Klinge nicht mehr, die bis dahin wütend durch die Reihen des Feindes geschnitten war; wir fanden nur noch sein Pferd, das verendet auf dem Hügel lag. Es tut mir leid.“, flüsterte sie.
„Herr Aegmar, was ist mit ihm?“, fragte ich weiter. Arhaleth hustete trocken, sie legte eine Hand auf meine Schulter und stützte sich für einen Moment auf mir ab. Sie hustete immer noch, als sie den Kopf hob und mit einer vagen Geste zum Tor deutete. Es wurde geschlossen, die mächtigen Flügel der Pforte rasteten wieder ein und sandten einen grollenden Donnerhall über den Innenhof. Zwei aus der Schar der Waldelben hatten den Hof betreten und in ihrer Mitte trugen sie etwas, das wie eine hastig zusammengebaute Bahre anmutete. Es lag jemand darauf. Ein Arm hing leblos über den Rand der Bahre hinab und die Fingerspitzen einer Gestalt berührten beinahe den Boden. Arhaleth mußte ihre Stimme nicht wiederfinden und zu mir sprechen - ich wußte, wer die Gestalt war. Aegmars Siegelring glänzte mattgolden an seinem Finger und trotzte schwach funkelnd dem dunklen Blut, das seinen Handrücken und seinen Unterarm bedeckte.
Ich wußte nicht, ob ich beten oder alles verfluchen sollte. So blieb ich stumm und folgte den Elben nur mit bleiernem Schritt in den Saal der Heiler.

„Es ist meine Schuld.“ Ein Flüstern erklang hinter mir, fast tonlos und seinem lebendigem Klang beraubt. Ich drehte mich langsam um, setzte dabei den Wasserkrug ab, den ich in den Händen gehalten hatte. Aegmar hatte endlich die Augen aufgeschlagen. Sie glänzten, als stünden Tränen darin. Ich trocknete mir die Hände an der Schürze ab, die ich nun über dem Gewand trug, dann ging ich rasch zu seinem Bett hinüber und setzte mich auf die hölzerne Kante. Ich suchte nach Aegmars großer Hand und nahm sie auf. Sie war kalt und klamm und lag kraftlos in der meinen. Er schluckte und dann bewegten sich seine Lippen erneut: „...meine...Schuld.“, sprach er wieder, aber es kostete ihn die größte Kraft. Ich berührte seine Stirn und strich durch sein dunkles Haar. „Du bist nicht Schuld. Schuld ist der, der dieses Leid heraufbeschworen hat. Du hast Dich ihm entgegengestellt und versucht, ihn aufzuhalten. Daran ist nichts verwerflich.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Aegmar drehte leicht den Kopf zu mir. Er atmete schwer und Schmerz und Trauer waren in seine Züge gebrannt.
Ich ließ die Hand auf seinem Haupt ruhen und sah ihn lange an. Ich sah ihm dabei zu, wie er mühsam um jeden Atemzug rang und wie sein Blick ruhelos über die Wände und die Decke wanderte, als versuchte er noch immer zu verstehen, was passiert war. Ich sah das Zittern auf seinen Lippen, wenn sich jene Bilder in seinem Geist formierten, die heraufbeschworen, was er in den letzten Stunden erlebt hatte. Ich spürte seine Hand, die sich um die meine schloß und sich dann wieder löste, als suchte sie den Schwertgriff seiner Klinge, die auch jetzt noch abzuwenden versuchte, was über ihn und seine Gefährten gekommen war. Aegmars Kampf war noch nicht zu Ende und obgleich er hier lag, neben mir und ohne Kraft, so bäumte sich der Wille des Kriegsherren noch immer in ihm auf und gab nicht verloren, was längst verloren war.
Er stöhnte und es klang zornig. „Aegmar...“, begann ich und fühlte selbst den Stoß von unbändiger Ohnmacht, der durch den Körper meines Freundes zuckte. „Aegmar, hör mir zu.“ Ich umschloß seine Hand fest und hob sie hoch an mein Gesicht. Sein Kopf drehte sich mir wieder zu und er sah mich hoffend an, als könnte ich ihm nun sagen, welchen Fehler er begangen hatte, daß die Schlacht sich gegen ihn gewandt hatte. Aber das konnte ich nicht.
„Ich will, daß Du gesund wirst. Daß Du Dich rasch erholst. Wir alle brauchen Dich. Ich will keinen Freund verlieren, der mir so teuer ist wie Du. Was geschehen ist, kannst Du nicht rückgängig machen. Aber Du kannst dafür sorgen, daß es nicht umsonst gewesen ist, hörst Du mich?“, sprach ich. Aegmar schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann gar nichts tun.“, flüsterte er und ich zog die Brauen zusammen. „Ich kann nicht gegen mich selbst kämpfen.“, fuhr er fort. Ich wußte nicht, was das bedeuten sollte und ließ seine Hand sinken. „Was meinst Du damit?“, fragte ich ihn sanft, aber Aegmar antwortete nicht mehr. Seine Augen schlossen sich und sein Bewußtsein schwand. „Aegmar!“, rief ich ihn, doch er hörte mich nicht und sein Kopf fiel auf seine Schulter.
Ich seufzte tief und wollte mich erheben, nachdenklich, wie ich nun war. Die Tür öffnete sich aber und Aneawin trat ein.

Gewaltig schob sich sein Schatten über die Schwelle und schwebte dann langsam auf mich zu. „Wie geht es ihm?“, fragte er dunkel und deutete auf Aegmar. Ich löste vorsichtig Aegmars Hand aus der meinen und zog die Decke darüber, nicht ohne den Ring an seinem Finger noch einmal zu berühren und mich an den Stolz zu erinnern, mit dem er ihn immer getragen hatte. Auch breitete ich die warme Decke über den Körper des Freundes und ließ dann die Hände auf seinen Schultern ruhen. „Ich weiß es nicht.“, war alles, das ich Aneawin antworten konnte. „Wird er...wird er von uns gehen?“, fragte Aneawin erneut und seine Stimme war nurmehr ein Hauch. „Der Heiler, mit dem ich sprach, sagte mir, daß er Hoffnung hat, daß Aegmar zurück ins Leben finden wird. Er hat Verletzungen, die...jedoch besonderer Pflege bedürfen. Er hat mir Kräuter hier gelassen und gereinigtes Wasser. Er kommt bald wieder, denn von der hohen Heilkunst der Elben verstehe ich nichts – und sie wird hier gebraucht, nicht meine bescheidenen Fähigkeiten im Umgang mit Gift und Wunden. Ich tue jedoch, was ich vermag.“, sagte ich und drehte mich dann zu Aneawin um, der stumm nickte und die breiten Arme vor der Brust verschränkte.
„Herr Aneawin....Hauptmann...sagt mir, was geschehen ist. Frau Arhaleth sprach zu mir, doch waren ihre Worte wirr und unvollständig. Sie sprach von Schattenfeuer und Lichtern und vom Erdboden, der sich aufgetan hat...was hat das alles zu bedeuten? Aegmars Worte waren, daß er nicht gegen sich selbst kämpfen könnte – ich verstehe das alles nicht. Es klingt nur, als wären alte Legenden und Mythen plötzlich zum Leben erwacht!“ Aneawin schürzte die Lippen, zog sich dann einen Stuhl heran und fuhr sich durch das schwarze Haar. „Ich glaube, genau das ist passiert.“, sagte er schließlich und mein Herz begann unangenehm zu pochen.
Als er sich vorbeugte und mich ansah, wich ich unwillkürlich vor ihm zurück. „Da war ein dunkles Feuer, das mit Flammen aus Schatten brannte. Es verletzte und verbrannte uns, doch es hat uns nicht getötet, sondern nur unseres Willens und unserer Stärke beraubt. Wir waren wie die Kinder, mutlos und ohne Ziel. Leichte Beute für einen Gegner, der durch unsere Schwäche an Macht gewann. Er zehrte von unserer Lebenskraft und es fühlte sich an, als wären wir nur leere Hüllen, die gleich einer Marionette an ihren Strippen dem Umtergang entgegen geführt wird. Da waren auch diese Löcher im Boden, die sich ohne Vorwarnung unter unseren Füßen auftaten. Wirbelnde Mahlströme aus gestaltloser Schwärze, die uns in die Tiefe zogen, hinab in das Schattenreich, in dem wir den wahren Gesichtern unserer Feinde ins Antlitz sehen mußten. Geister, Wesen, die nicht lebten und nicht tot waren. Und über sie herrschte einer, der eine dunkle Krone trug und den sie nur ihren Leutnant nannten. Geister, Nariena, genährt von dem Geist Saurons, dessen Echo immer noch im Düsterwald erklingt, obwohl er vor Jahrzehnten zurück nach Mordor gejagt worden ist. Er verschwindet nie ganz von einem Ort, an dem er seine Saat in den Boden gepflanzt hat und an dem es Gestalten wie diese Priester in der Sternwarte gibt, die sie zu ernten verstehen. Wir waren gewarnt, daß Schlimmes passieren wird – aber daß uns etwas begegnet, das wir mit Schwertern und Pfeilen kaum bekämpfen können, das ahnten wir nur. Was wir gesehen haben, erfüllte uns mit Furcht und machte uns fast vollständig willenlos – das wird Aegmar gemeint haben, wenn er sagte, daß er nicht gegen sich selbst kämpfen kann. Wir waren nicht gewappnet, und ich wünschte, wir wären es gewesen. Keiner von uns kann sich selbst bezwingen.“, sagte er und richtete sich dann auf, nur um einen Moment später den Kopf verzweifelt auf die Brust sinken zu lassen.

„Bei Elendil.“, flüsterte ich.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#15

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil IV

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:00
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich spürte beinahe selbst die Angst, die Aneawin empfunden haben mußte. Deutlich spürte ich aber nun die Scham, die er darüber fühlte. „Aegmar gibt sich die Schuld.“, sagte ich. Aneawin schüttelte langsam den Kopf. „Niemand hat Schuld, wenn er in Saurons Augen sieht und ihm das Herz in der Brust zerspringt. Selbst, wenn es das Herz eines Fürsten ist.“ Er kniff die Lippen fest zusammen, dann erhob er sich schwer von seinem Stuhl.
Ich nickte. „Eines noch, wenn Ihr erlaubt, Freund...diese Löcher im Boden, die Ströme...kehrten die, die in ihnen gefangen wurden, zurück?“, fragte ich erneut, aber es sollte die letzte Frage an Herrn Aneawin sein. „Wir fanden ihre Körper nicht, weder tot noch lebendig. Sie mögen noch im Schattenreich verweilen, dann sind sie für uns verloren. Oder der Sog brachte sie an einen anderen Ort, vielleicht in die Sternwarte. Dann sind sie gefangen und wir sollten ihnen den Tod wünschen, um ihnen alles Weitere zu ersparen.“, erwiderte er, grüßte knapp und ging zur Türe. Bevor er jedoch durch die Pforte entschwand, drehte er sich noch einmal zu mir um.
„Ich weiß, warum Ihr mich das fragt, Frau Nariena. Herr Therowig gehört zu denen, die verschwunden sind. Und mit ihnen andere, die uns ebenfalls teuer sind. Ich will Euch weder die Hoffnung nehmen, noch sie Euch geben, daß er am Leben sein könnte. Ich gebe Euch nur einen Rat: wenn er durch das Schattentor gefallen ist, ist er nicht mehr der, den ihr gekannt und geliebt habt. Besser, Ihr findet Euch damit ab, ihn als tot hinzunehmen. Und wenn Ihr diesen Rat für hart und ungerecht haltet, dann seid Euch gewiß, daß er auch mir nicht nur ein Waffenbruder, sondern vor allem ein geschätzter und enger Freund gewesen ist, dessen Verlust mich zutiefst schmerzt.“

Als Aneawin gegangen und die Türe sich hinter ihm leise geschlossen hatte, war mir, als sähe ich Therowigs Bild von mir schemenhaft durch den Raum wandern. Ja, ein Bild nur, geboren aus einem Wunsch und einer Erinnerung. Aber ein Bild, das lebte und auch wenn Aneawins Rat mir vernünftig erschien, so würde ich ihn doch nicht befolgen. Ich würde Therowig nicht verloren geben. Ich sah seine grünen Augen, die entschlossen waren und kühn, wenn er sich rüstete und sein Herz das Blut der Rohirrim wild durch seinen Leib pumpte. Ich sah seine Augen, die schelmenhaft waren, wenn er die Rüstung ablegte und den schäumenden Krug erhob, um seinen Kameraden zuzuprosten. Ich sah sie, wie sie glänzten, wenn ich etwas zu ihm sagte, das ihn freute und ihm teuer war. Und ich sah sie, wie sie mich einst tief bewegt angesehen hatten, nachdem er mich aus Räuberhand entrissen und in die Arme geschlossen hatte. Seit wir uns kannten, hatte er mir etwas beizubringen versucht. Etwas, das auch Aegmar bemüht war, mich zu lehren: Menschen geben einander nicht auf, ihre Freundschaft wird sich auch in der dunkelsten Stunde erheben und sie wieder einander zuführen. Und sie hatten mir beide viele Male bewiesen, daß es so war.
Ich warf einen letzten Blick auf Aegmar, beugte mich über ihn und zog die Decke behutsam hoch bis unter seinen Hals, wo ich sie um ihn legte wie einen Kranz. Für ihn konnte ich im Augenblick nichts tun. Für ihn nicht. Aber für mich konnte ich etwas tun. Und für alle, die am heutigen Tage gelitten und sich selbst begegnet waren im Angesicht der Furcht, die ein böser Geist verbreitet hatte.
Aber selbst als böser Geist war Yhared eben nur ein Geist. Geister, so wußte manches Kind, das in den dunklen Ecken seiner Kammer einen zu sehen geglaubt hatte, verloren ihren Schrecken, wenn jemand zu ihm kam und ein Licht entzündete.
Ich richtete mich auf und griff nach der Kerze, die auf dem Tisch an der Kopfseite des Bettes brannte. Ich schob sie näher an Aegmar heran, so daß ihr Schein seinen Oberkörper wie ein leuchtendes Kissen aus Licht umgab. „Ich komme wieder, Freund. Aber jetzt habe ich etwas zu tun.“, flüsterte ich Aegmar zu, auch wenn ich wußte, daß er mich nicht hören würde. Dennoch wollte ich mich verabschieden, denn ich würde Emyn Lûm verlassen. Und zwar noch in dieser Stunde. Ich brauchte nur noch ein geeignetes Licht.

Noch während ich die Halle durchquerte, den Blick zu Boden gerichtet, um nicht in die Gesichter derer blicken zu müssen, die hier niederlagen, löste ich die Schleife meiner Schürze auf dem Rücken. Ich streifte sie ab, ließ sie zu Boden gleiten und stieg über sie hinweg. Auch zog ich mir das lange Gewand aus, das ich trug und drückte es einem überraschten Botenjungen in die Hände, der meinen Weg kreuzte und mir beschämt nachsah, da ich nun nurmehr mein Unterkleid trug. Es kümmerte mich nicht, als ich den Saal betrat, in dem meine Schar lagerte – oder diejenigen, die vom Hause Faust und Feder noch übrig geblieben waren. „Du hättest mich mitnehmen müssen, Aegmar.“, flüsterte ich vor mich hin und erreichte schließlich mein Lager. „Wenn Du eine Schuld auf Dich geladen hast, dann vielleicht diese.“
Ich zog mir auch den langen Unterrock über den Kopf und das Leibchen, dann stieg ich in meine Weichlederhosen und in mein Wams. Der vertraute Duft nach Erde und Wald und Staub, der in ihnen haftete, stieg mir sofort in die Nase und ich spürte, wie meine Sinne, auf diesen Geruch bedacht, sich sofort zu schärfen begannen. Es war der Duft, der mich stets begleitet hatte, wenn ich allein war. Wenn ich die Wildnis durchstreifte und neue Pfade erkundete, wenn ich in dunklen Hauseingängen gelauert und gewartet hatte, bis ich mich ungesehen in ein Gebäude oder auf ein Dach schleichen konnte. Doch ich war nicht länger allein. Und ich würde nun den zurückholen, der zu mir gehörte.

Ich schnürte meine Stiefel und hüllte mich in meinen Umhang, dann nahm ich meinen Rucksack, drehte ihn um und schüttete ihn in meine Schlafdecke aus. Auch die kleinen, eingenähten Fächer an Innenseiten und Boden leerte ich. Ich suchte mir nur aus, was mir wirklich nützlich erschien und verbarg es in meinem Stiefelschaft, im Hemdsärmel, im Haarknoten, den ich mir flocht, und im Gürtel. Zuletzt griff ich zu meinem Dolch.
Der Abend brach an, aber nicht nur aus diesem Grunde suchte ich nun nach einem Licht, was ich mit mir nehmen wollte. Ich wollte Yhared nicht in der Dunkelheit begegnen, es mußte ein bestimmtes Licht sein. Ein magisches Licht. Und es gab nur einen, der ein solches besaß.
Ich fand Maethruth, wie er im Innenhof der Festung an einem der zahlreichen Feuer saß, die entzündet worden waren, als die Sonne untergegangen war. Er trug sein Kettenhemd, doch sein langes Schwert lag neben ihm auf dem Steinboden. Er sah nicht auf, als ich neben ihn trat und der Saum meines Umhangs ihn leicht streifte. „Ihr seid am Morgen nicht mit in den Kampf gezogen.“, wandte ich unvermittelt das Wort an ihn. Maethruth hob nun leicht den Blick und sah mich an. Es stand weder Reue noch Bedauern in seinen stets unberührten Augen, doch spürte ich, daß das Schicksal der Kämpfer und der Ausgang der Schlacht ihn betroffen gemacht hatten. „Nein, das bin ich nicht.“, sagte er ruhig. „Ich bin nicht hier, um meine Klinge in den persönlichen Angelegenheiten der Menschen sprechen zu lassen und ihren Hochmut zu bestrafen. Meine Anwesenheit unter dem Banner der Faust und der Feder ist ein Geschenk, keine Pflicht. Jene besteht für mich nur darin, diesen Wald von seinem wahren Widersacher zu befreien, und das ist einer, der älter und mächtiger ist als jenes Wesen, dem Ihr in Rache nachjagt.“, fügte er dann hinzu. Ich ging langsam in die Hocke und setzte mich neben den Elben, ob es seine Zustimmung fand oder nicht. „Ihr habt Recht, es ist Eure Entscheidung, wen ihr bekämpft. Wenn es Eure Sache ist, den Herrscher und nicht seine Vasallen zu bekämpfen und auf diesen Tag wartet, um Eure Kraft zu entfalten, dann sei es so. Dennoch möchte ich Euch ob meiner persönlichen Angelegenheit, oder...meinem Ansinnen in Rache...wie Ihr es nennt, um einen Gefallen bitten.“
Maethruth wandte mir wieder den Kopf zu. „Einen Gefallen?“ Er hob eine Augenbraue und ich atmete tief ein. „Ihr habt etwas bei Euch. Einen leuchtenden Kristall. Ich weiß, daß Ihr ihn mitgenommen habt, als wir Moria durchquert haben. Er hat es Euch erlaubt, auch in der Nacht Eure Aufzeichnungen zu machen und zu lesen. Ihr macht ab und an von seinem Licht Gebrauch, wenn es kein anderes gibt. Ich weiß auch, daß Ihr dem Stein nach Eurem Denken und der Kunst Eures Volkes noch etwas hinzugefügt habt: er kann sein Licht verändern, wenn Ihr es wünscht.“ Maethruth hob nun auch die andere Augenbraue, dann verlagerte er sein Gewicht und sah wieder in die tanzenden Flammen des Feuers. Er schüttelte den Kopf. „Nein.“, sagte er und ich spürte maßlose Enttäuschung. Dennoch wollte ich mich noch nicht zurückziehen und griff den Elben am Oberarm, was er mit einem raschen Blick beantwortete, der kühl und ungehalten war. Ich zog die Hand wieder zurück; etwas, das ich von ihm wollte, hatte ich nun wieder: seine Aufmerksamkeit. „Herr Maethruth, ich weiß, daß dies nicht der Kampf eines Elben wie Euch ist und daß auf Euch andere Dinge warten, aber ich bitte Euch...ich bitte Euch mit meiner vollkommenen Aufrichtigkeit und meinem allergrößten Begehren...leiht mir den leuchtenden Stein! Ich bin sicher, Ihr habt bereits in meinem Herzen gelesen, daß ich aufbrechen werde und auch wißt Ihr, wohin. Also laßt mich nicht ohne ein Licht gehen, das weder Sturm noch Dunkelheit zu löschen vermag! Eure Freundschaft ist ein Geschenk, aber ist es die Eurer Gefährten nicht ebenso an Euch?“
Maethruth ließ nun einen Laut verklingen, der ein Seufzen gewesen sein könnte.

„Frau Nariena“, antwortete er, „der Kristall stammt fürwahr aus Moria, doch erlangte ich ihn in einer Zeit, welche viele Menschenleben vor dem Euren verging, nicht auf der jüngsten Reise. Er ist mir kostbar. Und doch will ich ihn Euch frei heraus geben. Ich habe Euch einst Elbenfreundin geheißen. Euch mit dem Kristall ziehen zu lassen, bedeutet, so fürchte ich, dass ihr in Euer Verderben geht. Deshalb habe ich ihn Euch verweigert. Da Ihr Euch aber ohne Zweifel auch ohne dieses Kleinod der Gefahr stellen werdet und nichts, was ich sagen oder tun kann, Euch daran zu hindern vermag, wie ich sehe – nehmt ihn mit meinem Segen, und möge er sich Euch an einem dunklen Ort wahrlich hilfreich erweisen.“
So sprach er schließlich, zog dann den Stein hervor und betrachtete ihn noch für einen Moment, bevor er ihn mir bar weiterer Worte übergab. Er lag leicht in meiner Hand und sein eigentümliches, türkisfarbenes Licht floß über meine Haut. Ich schloß die Faust um den Stein und sein Licht erlosch, doch kaum öffnete ich sie wieder, strahlte er und es war mir fast, als täte er es heller als zuvor. „Danke.“, sagte ich schlicht und verbarg den Kristall wieder in der geschlossenen Hand. Dann drehte ich mich um und ging. Als ich das Tor passierte, spürte ich nur die drückende Schwermut der Wachen und ihren lodernden Zorn auf das, was jenseits der Mauern im Dunkeln lauerte. Doch niemand richtete auch nur ein Wort an mich oder stellte sich mir gar in den Weg.

Yhared hatte stets vorausgesehen, was geschehen würde. Alles, was er geplant hatte, war eingetroffen, und so war ich sicher, daß er auch jetzt wußte, daß ich auf dem Weg zu ihm war. Über mir am Nachthimmel zog eine Krähe ihre Kreise. Erst, als ich den Kopf hob und kurz stehen blieb, um sie zu betrachten, stieß sie einen krächzenden Schrei aus und flog von dannen. Ich machte mir also nicht die Mühe, mich zu verbergen und mich geräuschlos durch den Wald zu bewegen. Ich ging über die Straße bis zu jener Kreuzung, von der nur ein kleiner, kaum gesehener Trampelpfad abzweigte, der zu den südöstlichen Hügeln hinaufführte, in denen die alte Sternwarte von Minas Gíl lag. Wer mich sehen wollte, der konnte mich sehen, und es kümmerte mich nicht. Ich zog nun Maethruths Kristall hervor und beleuchtete meine Schritte. Auch wenn ich meine Ankunft nicht verbergen wollte, es auch gar nicht konnte, wollte ich wenigstens nicht über eine Wurzel oder einen Stein fallen.
So folgte ich dem Pfad und die Nacht um mich herum war still. Weder erklang das Trommeln der Orks in den Wäldern, noch hörte ich die Rufe der Eulen. Ab und an knackte es im Unterholz, wenn ein Kaninchen oder ein F.uchs in seinen Bau schlüpfte, doch andere Geräusche blieben aus. Der Pfad ging irgendwann in brüchigen Pflasterstein über, ich hatte die Straße erreicht, die unmittelbar vor der Sternwarte begann und an ihrer Pforte mündete. Beinahe hätte ich schon erwartet, daß das Tor offen stand, so friedlich erschien mir plötzlich alles, bis ich erschauderte, als ich am Wegesrand einen zerbrochenen Schild liegen sah. Ich hob die Hand, in der Maethruths Stein funkelte und leuchtete in den Wald zu meiner Linken hinein. Ich fand einen weiteren Schild, gesprungen in mehrere Teile und mit den schwarzen Schmauchspuren bedeckt, die ich bereits auf den Rüstungen meiner heimgekehrten Gefährten gesehen hatte. Die Bäume standen licht und zwischen ihnen waren immer wieder große schwarze Flecken wie dunkle Pfützen zu entdecken, die verbrannte Erde waren. Pfeile lagen umher, zersplitterte Schwerter und auch die Baumstämme waren bedeckt mit dunklem Ruß und einer anderen Substanz, die trotz ihrer schwarzen Farbe einen seltsamen Glanz aufwies.
Ich ließ meine Hand schließlich wieder sinken, ich wollte die Spuren der Schlacht nicht sehen. Auch fürchtete ich, daß sich der leblose Körper eines Freundes vor mir auftun könnte, obgleich ich nicht einmal ein totes Pferd erblickt hatte. Alle Spuren von Leben schienen wie aufgesogen zu sein in den schwarzen Schmauchspuren, die nun auch das Straßenpflaster bedeckten.
Das Tor der Sternwarte jedoch, das ich in diesem Moment erreichte, war vollkommen unversehrt. Ich hielt inne und sah mich verwundert um. Niemand war hier. Keine Wache zu Seiten der Pforte, nicht auf der Zinne, nicht in einem der Fenster. Ich schlug die Kapuze meines Umhangs zurück und strich mir über das Haar, was mir im gleichen Augenblick töricht erschien. Ich war nicht zu einem Fest erschienen, auf das ich höflich eingeladen worden war. Ich war einfach nur hier. Mir wurde bewußt, daß ich mir nie überlegt hatte, was ich eigentlich tun wollte, wenn ich hier war. Was ich Yhared sagen würde, wenn er vor mir stand. Ich hatte nur hier sein wollen.
Ich wußte es immer noch nicht, als ich die Hand hob und an das Tor klopfte.

Mein Pochen verhallte dumpf im Inneren der Warte. Momente, lang wie Ewigkeiten, lauschte ich diesem Geräusch nach – und dann veränderte sich plötzlich etwas. Das Echo meines Anklopfens kehrte zu mir zurück und ein weiterer Laut wurde ihm hinzugefügt: das kreischende Rasseln einer schweren Kette, die gelöst wurde und zu Boden fiel. Das Tor erzitterte, es stöhnte und ächzte, und dann schwang es langsam auf. Nur einen Spalt breit, so daß ich hindurch paßte, wenn ich mich seitwärts drehte. Ich betrat die Feste und kaum hatte ich die Pforte durchschritten, fiel der Türflügel wieder zurück in sein Schloß. Die Kette rasselte erneut und schlang sich um die beiden eisernen Türgriffe auf der Innenseite, ohne daß ich eine Hand erkennen konnte, die sie betätigte.
Ich schauderte leicht und hob den Kopf, blickte in das trübe Licht eines Kronleuchters, der vor mir in einem langen Flur von der gewölbten Decke hing und einen einst rotgefärbten Teppich unter meinen Füßen beschien. Der Teppich dämpfte meinen Schritt, aber dennoch hallte er von den getünchten Wänden wider. Der Flur mündete schließlich in einer weiten Halle, deren Decke sich hoch hinaufschwang, so daß ich sie kaum erkennen konnte. Das obere Gewölbe lag in Dunkelheit, in die zahlreiche Galerien an den Seitenwänden der Halle nach oben führten. Drei mächtige Säulen stützten die Decke ab, sie waren überzogen mit Zeichnungen und Sternkarten, wie mir schien. Edelsteine waren in den Marmor eingelassen, immer dort, wo sie die Position eines Sterns markieren sollten.

Ich ging bis zum Ende des Flures und legte die Hände auf das geschmiedete Geländer, das den Aufgang zur ersten Galerie des Gewölbes umschmiegte. Dann wartete ich.
Weitere Momente vergingen, weitere lange Augenblicke, bis sich mir endlich jemand zu nähern schien. Ich vernahm das Geräusch von Händen, die langsam ineinander schlugen, als applaudierten sie müde einem schlechten Bühnenstück. Ich drehte mich um und erblickte eine hochgewachsene Gestalt in einer langen, violetten Robe, die mit kostbaren Goldfäden durchwirkt und von einem edlen Gürtel zusammengehalten wurde. Die Gestalt näherte sich mir, bis sie direkt vor mir stand. Dann hoben sich ihre Hände und schoben sich die weite Kapuze aus dem Gesicht. Ich erkannte Yhared sofort, obgleich sein Haar nun kurzgeschoren war und seine lange, leicht gebogene Nase in seinem Gesicht nun noch schärfer und dadurch falkenartig wirkte. „Willkommen...“, sprach er matt, „...in meinem bescheidenen Reich. Ich freue mich, daß Du den Weg hierher gefunden hast. Wirklich, Nariena. Selbst, wenn mich Deine Anwesenheit natürlich nicht im Mindesten überrascht.“
Auch ich schob die Kapuze von meinem Haar und löste meinen Umhang leicht. Ich erwiderte Yhareds Blick und seufzte leise. „Natürlich überrascht sie Dich nicht. Nichts, was bis hierhin geschehen ist, hat Dich überrascht. Ist es nicht so?“, erwiderte ich. Yhared nickte vage und es wirkte beinahe gelangweilt. „Du und Deine Gefährten, Ihr seid so einfach zu durchschauen und in jede Richtung zu bewegen, die ich mir wünschte. Ich bin enttäuscht, ein wenig mehr hätte ich Deinem Fürsten doch zugetraut. Und vor allem Dir.“, sagte er. Ich hob eine Hand. „Yhared, ich habe genug von Deinem Gerede. Du wolltest doch, daß ich komme. Da bin ich nun, also sag mir, was Du von mir erwartest. Willst Du angefleht werden? Gebeten werden um etwas? Gar angebettelt? Willst Du mich weinen sehen vor Trauer? Dann sei wirklich enttäuscht, denn nichts davon wird geschehen!“, sprach ich. Yhared lachte leise. „Dann sag Du mir, Katze, warum Du sonst gekommen bist.“
Ich hob das Kinn und bemühte mich, Yhareds Blick nicht auszuweichen, der so kalt auf mir lag, als seien seine mir einstmals so vertrauten Augen aus Eis gemeißelt worden. „Ich bin hier, weil ich zwei Dinge von Dir will, Yhared. Und das Erste ist: ich will Antworten! Warum hast Du das getan? Warum mußten so viele sterben?“, fuhr ich ihn an, obgleich ich mir vorgenommen hatte, meine Beherrschung nicht zu verlieren. Doch in diesem Moment gelang es mir nicht mehr, meine Wut und meinen Schmerz zu verbergen. Yhared schüttelte den Kopf. „Niemand hätte sterben müssen. Zum einen habe ich Deinen Fürsten mehrfach gewarnt, hierher zu kommen und mich herauszufordern. Und zum anderen...lag es doch in Deiner Hand, alles zu verhindern. Ich sagte Dir, geh nicht mit ihm. Und in meiner Großzügigkeit, nachdem Du es doch getan hast, schlug ich Dir einen Handel vor: das Leben Deines rohanischen Gefährten gegen das Leben aller. Vielleicht hast Du sie in den Tod geschickt, und nicht ich?“, schloß er und auf seine Lippen legte sich ein Schmunzeln. „Yhared, Deine Spitzfindigkeit ist bemerkenswert, aber äußerst unangebracht, denn sie beantwortet meine Frage nicht. Die Stunde, in der Du mir Schuld auflädst und mein Herz damit beschweren kannst, ist vorbei. Ich glaube Dir nicht mehr. Und ich will, daß Du dieses Spiel nun beendest und mir sagst, warum das geschehen mußte!“, entgegnete ich. Yhareds Schmunzeln verschwand augenblicklich und er packte mich grob am Arm. Sein Gesicht schoß vor, daß seine Nase beinahe die meine berührte.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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