#16

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:22
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

So warteten wir und es wurde immer kühler, meine Füße ob der mangelnden Bewegung langsam steif. Ein Stern blinkte am Nachthimmel auf und warf sein silbernes Auge durch die kahlen Zweige der Bäume auf uns hinab. Ich betrachtete ihn eine Weile, bis ich bemerkte, wie Erelias den Kopf hob und sein Gewicht verlagerte. Er hatte etwas vernommen, das mein Ohr noch lange nicht erfassen würde, dessen war ich sicher. Auch Arnulf bewegte sich leicht und ich konnte auf einmal wieder den weißen Teppich aus Schnee vor uns entdecken, als er sich langsam zu mir herumdrehte und mich ansah. Er griff sich an die Stirn. „Verflucht, ich bin ein Dummkopf!“, brummte er mißmutig. Ich hob eine Augenbraue. „Was ist denn?“, fragte ich zurück und hörte ihn ausatmen, eine kleine weiße Wolke schwebte für einen Augenblick zwischen uns, bevor sie sich verflüchtigte. „Ich...habe vergessen, das Netz zu befestigen. So kann es jeder Fuß, der es berührt, einfach beiseite schieben.“, erwiderte er und griff sich in die Hosentasche, aus der er mehrere hölzerne Haken hervorholte.
Ungläubig sah ich ihn an. „Das ist doch wohl nicht Euer Ernst! Ich dachte, Ihr macht das nicht zum ersten Mal! Und dann passiert Euch so etwas?“, raunte ich, so leise wie ich konnte, auch wenn ich ihn am liebsten laut angefahren hätte.
Daß er solch einen Fehler begangen hatte, ging in diesem Moment wahrhaftig über mein Verständnis hinaus. Arnulf seufzte. „Ich muß es nachholen, sonst ist die Falle nicht stabil genug und ein Ork würde sie sofort bemerken, wenn er sich mit dem Fuß darin verfängt. Würdet Ihr solange....?“, fragte er und ließ die Armbrust sinken, die er mir gleich darauf in die Hände drückte, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie war schwer und lag unhandlich in meinen Handflächen und ich betrachtete sie argwöhnisch. Dann seufzte auch ich. „Ich kann mit so etwas nicht umgehen....!“, flüsterte ich barsch und versuchte, einen besseren Griff für die schwere Waffe zu finden, aber sie fühlte sich immer noch plump und grob an und meine Anstrengung, sie auszurichten, endete mehr als unbeholfen. „Ach nein?“, meinte Arnulf und es klang seltsam, aber ich erwiderte nichts darauf.
Arnulf sah mir noch Momente lang zu, bis ich ihm die Armbrust schließlich wieder zurückgab. „Gebt mir die Haken, ich befestige das Netz!“, entschied ich schließlich und streckte die Hand aus. Zögernd ließ er sie hineinfallen und nickte mir zu. Ich zog mir die Kapuze tief in die Stirn und beugte mich leicht vor.

Gerade wollte ich einen Schritt tun, um so rasch wie möglich das Netz zu erreichen und dann sofort wieder in unsere Deckung zurückzukehren, als Erelias abermals den Kopf hob. Doch Arnulf machte plötzlich einen Schritt auf ihn zu und stieß ihn dabei an, schien es aber nicht zu bemerken. Er streckte einen Arm an dem Elben vorbei und deutete hinaus auf die Ebene. „Ihr findet das Netz unter einem kleinen Haufen Schnee, den ich ich wie einen Halbmond geformt habe.“, sagte er rasch. „Ich weiß, wo es liegt...“, gab ich zurück und dann wandte ich mich ab, um endlich zu gehen.
Erelias sagte irgendetwas in meinem Rücken, aber ich lief so eiligen Schrittes voran, daß ich mich zu schnell entfernt hatte, um es genau verstehen zu können. Ich folgte der Richtung, die ich noch im Gedächtnis hatte, und in der unsere Falle liegen mußte. Dennoch mußte ich mich zweimal umsehen und meinen Weg ändern, bis ich tatsächlich die richtige Stelle wiederfand.
Als ich mir den Handschuh auszog und in den Schnee griff, um das Netz zu ertasten, tat mein Herz plötzlich einen schmerzhaften Satz und mein Brustkorb zog sich für eine einzelne Sekunde zusammen. Ein Gedanke traf mich wie ein Blitz und ich erstarrte. Nicht Arnulf war hier der Dummkopf – nein, sondern ich war es! Ich verstand just in diesem Moment, was Erelias hatte sagen wollen, bevor Arnulf ihn angestoßen und unterbrochen hatte, auch ohne, daß ich seine Worte vernommen hatte. Arnulf hatte die Falle ausgelegt, und den Köder gleich dazu: mich!

Erschrocken, zornig und vor allem furchtsam fuhr ich herum und hörte im selben Augenblick unsere Pferde wiehern, die sich weit hinter mir in unserem Versteck aufbäumten und an den Zügeln rissen, mit denen sie an die Bäume gebunden waren. Und dann sah ich etwas auf mich zulaufen: eine gedrungene, gekrümmte Gestalt, die mit langen Schritten und einem dunklen Knurren hastig den Schnee durchpflügte. Ich sah ihre Augen in der Dunkelheit glühen. Es war ein Ork.

Ich taumelte einen Schritt zurück und spürte, wie sich mein Umhang schwer um meine Fußknöchel legte und zwischen meine Beine geriet. Hastig warf ich den Blick nach links, dann nach rechts, denn instinktiv konnte ich nur noch eines denken: Flucht! Die Kreatur kam auf mich zu, einen Arm hoch erhoben; ein gähnender schwarzer Riß vor der sternüberfluteten Schönheit des Nachthimmels. Ich beugte leicht die Knie, einer Katze gleich, die bereit zum Sprung war, aber dann kam die Ernüchterung. Wohin hätte ich fliehen sollen, wohin mich wenden? Ich stand allein auf der Weite des glitzernden Schnees und in welche Richtung auch immer ich mich gewandt hätte - die Kälte hätte mir bald die Kraft geraubt und ich hätte mich nirgendwo vor den feindlichen Augen verstecken können, die mich erfaßt hatten. Nirgendwo verbergen können vor dem schnüffelnden Maul, das mein menschliches Fleisch gerochen hatte und begehrte.
Arnulf hatte mich betrogen und mich ausgetrickst und ich hatte es nicht bemerkt. Ich hatte ja sogar selbst die Entscheidung getroffen, das Netz zu befestigen. Um darüber nachzudenken, warum er das getan hatte, fehlte mir nun jedoch die Zeit. Ich konnte nur hoffen, daß sein Plan weit genug reichte, um mich aus der Situation zu retten, in die er mich gebracht hatte. Bis dahin blieb mir nur eine Möglichkeit: mich zu verteidigen. Ich spielte also das Spiel, das Arnulf begonnen hatte und so zog ich meinen Dolch und blieb stehen, wo ich war: genau auf dem Netz.
Ich hörte den Klang von Schwertern, der über die Ebene zu mir drang. Der Ork war nicht allein und er war, wie ich es vermutet hatte, nicht dem Pfad gefolgt, sondern über die Hügel gekommen. Sein Trupp mußte Erelias und Arnulf in den Rücken gefallen sein. Sie waren den Hang hinab gestürzt und hatten sofort den Kampf eröffnet. Aber auch Arnulf mußte das gewußt haben und so kam mir mein Platz weit draußen auf der Straße und fernab der tödlichen Enge unseres Verstecks plötzlich gar nicht mehr so aussichtslos vor.
Der Ork hatte mich nun beinahe erreicht, ich konnte sehen, daß sein schwarzer Leib keuchte und bebte, während er rannte. Zehn Schritt vielleicht war er noch von mir entfernt – und dann löste sich hinter ihm von der Felswand eine weitere Gestalt. Sie war groß und ihre Schultern breit und stark und ich ahnte, daß es Arnulf sein mußte. Er löste sich aus dem Schatten der kleinen Baumgruppe und setzte dem Ork nach. Mit langen Schritten rannte er, bis er auf halbem Wege stehen blieb und die Armbrust hob. Er zielte nur kurz, dann löste sich ein Bolzen und ich vernahm das leise Plock!, mit dem er in den Körper des Orks einschlug.
Er jaulte auf, stürzte, noch während seine Füße dem Schmerz zu entkommen versuchten und seinen Leib weitertrugen. Er überschlug sich einmal und mit rudernden Armen wirbelte er den Schnee auf, der ihn in eine kalte Wolke aus Dunst hüllte. Aber er war nicht tot, der Bolzen hatte nur seinen Unterschenkel getroffen, und als er dumpf auf den weichen Boden aufschlug, war seine Kraft nicht verloschen.
Sein Arm streckte sich wieder wie eine schwarze Klaue nach mir aus und griff nach mir.
Arnulf warf die Armbrust beiseite und rannte weiter. Schwer fiel die Waffe in den Schnee und schwer waren auch seine Schritte, doch seine Eile war die eines Falken, der in behändem Sturzflug aus dem Himmel auf seine Beute niederfährt. Der Ork richtete sich langsam wieder auf, doch Arnulf hatte ihn fast erreicht. Er breitete die massigen Arme aus, just als die Kreatur den Oberkörper erhob, und setzte zum Sprung an.
Seine Arme schlossen sich fest um den Ork und das Gewicht seines Körpers und der Schwung seines Griffs rissen sie nun beide zu Boden.
Erneut stob der Schnee in wildem Tanz auf und durch den Dunst schrie Arnulf mich wild an: „Runter vom Netz!“ Ich konnte gerade noch meinen Fuß fortziehen, als Arnulf auch schon in fester Umklammerung mit seinem Gegner direkt neben mich fiel. Die Klaue des Orks streifte mein Knie und ich biß die Zähne zusammen, um einen Laut von Schmerz zu unterdrücken. Dann begrub Arnulf den Ork unter sich, der zu zappeln begann und zu knurren, doch er entkam dem Jäger nicht. Arnulf drückte den Ork nieder, kniete sich auf seinen Bauch und hob den Arm. Ein Faustschlag ging direkt in seine aufgerissene Schnauze, die mit mit spitzen Zähnen um sich schnappte und den Widersacher zu erhaschen versuchte.
Ich hörte den Kieferknochen des Orks knacken und sein Kopf fiel benommen zur Seite. Arnulf nutzte den Moment, um zur Seite zu springen. Hastig, doch sicher, fand er das untere Ende des Netzes und riß an einem Seil, das darin eingeflochten war. Augenblicklich zog sich die große Schlinge zu und der Ork war gefangen. Er jaulte wieder auf und stieß einen dunklen Fluch aus, erst ein Tritt von Arnulfs Stiefel brachte ihn zum Schweigen.
Arnulf kam auf die Füße und atmete tief durch, seine Hände waren immer noch zu Fäusten geballt und mit finsterem Blick starrte er auf das verschnürte Bündel hinab, das seine lebendige Beute war. Sein Brustkorb hob und senkte sich noch einige Male rasch, dann bückte er sich und packte den Ork mit seinen großen Händen an den Füßen. Er zog ihn einige Schritt weit hinter sich her, bis er bemerkte, daß ich immer noch wie angewurzelt hinter ihm im Schnee stand und ihm nicht folgte. Er bedeutete mir mit einer Geste seines Kopfes, zu ihm aufzuschließen. Ich konnte mich immer noch nicht bewegen, so erstarrt war ich. Mein Knie schmerzte. Erst als Arnulf mich anfuhr, daß ich endlich verschwinden und mich in Bewegung setzen sollte, konnte ich gehorchen und zu ihm gehen. Erst langsam und unsicher, dann immer schneller, bis ich ihn schließlich überholte und vor ihm an unserem Lager angelangt war.

Vier Orks waren es gewesen, die Arnulf und Erelias überfallen hatten. Und drei von ihnen lagen tot und erschlagen zwischen den Bäumen, der Vierte zappelte nun wieder in seinem Netz. Pfeile steckten in den Leibern der Orks und Erelias wischte sein Schwert ab, als er ihnen allen die Hälse durchgeschnitten hatte, um sicher zu gehen, daß sie auch wirklich tot waren. Erleichtert nickte er mir zu, als ich ihn erreichte. Arnulf bedachte er nicht einmal mit einem Blick, sondern wandte sich wortlos ab.
Doch den Jäger störte das nicht, er schleifte den gefangenen Ork hin zu jener Stelle, an der er die Holzpflöcke in den Boden getrieben hatte. Dann zog er den Krummdolch, jene furchteinflößende gezackte Klinge, die er irgendwie aus den Händen eines Haradrim gewonnen hatte. Er schlitzte das Netz damit an der Kopfseite auf und zerrte einen Arm des Orks hervor, den er an den ersten der Pflöcke band. So verfuhr er auch mit seinem zweiten Arm, seinem linken, seinem rechten Bein. Wie ein gegerbtes Fell, das man in der Sonne zum Trocknen aufspannt, hing der Ork nun fest und Arnulf trat ein paar Schritte von ihm zurück. Er ließ den Kopf auf die Brust sacken und stemmte die Hände in die Seiten. Er atmete tief durch und schloß die Augen.
Ich sah daß er zitterte, vor Anspannung, vielleicht vor Kälte, denn er trug seinen Mantel nicht mehr.
Um ihn herum war der Schnee nicht länger weiß, sondern er war aufgewühlt, von Schmutz durchzogen und von dunklem Blut. Nur die Sterne über uns funkelten in unvergänglichem, erhabenen Glanz und bewahrten etwas von der atemlosen Ruhe der Nacht.
Arnulf fuhr sich über den dichten Bart und durch das blonde Haar, dann hob er den Kopf wieder an. Er trat zu den Bäumen hinüber, zwischen denen irgendwo sein Umhang zu liegen schien. Als er zu Erelias und mir zurück kam, hielt er ihn in den Händen und reichte ihn mir. „Seid so gut...und verwischt ein letztes Mal unsere Spuren. Ihr müßt das Folgende nicht mit anseh...“, sagte er und seine Stimme klang belegt, doch weiter kam er nicht. Ich holte aus und unterbrach seinen Satz mit einer schallenden Ohrfeige!
Danach brannte meine Handfläche und ich zog sie zurück an meine Brust. Der Schlag hatte Arnulfs Kopf nur wenige fingerbreit zur Seite schnellen lassen und ihn vermutlich keineswegs beeindruckt, dennoch lag ein seltsamer Ausdruck auf seinem Gesicht, als er den Kopf langsam wieder zurücknahm und mich ansah. Er nickte. „Gut, die mag ich verdient haben.“, brummte er und berührte seine Wange. Ich konnte ihn nur wütend anfunkeln, dann fuhr ich herum und ging zu jener Stelle zurück, an der das Netz verborgen gewesen war.
Ich breitete den Umhang aus und zog ihn rückwärts gehend hinter mir her, ganz so, wie ich es zuvor bei Arnulf beobachtet hatte. Als jedoch ein gellender Schrei die Nacht zerriß, hielt ich inne und richtete mich auf. Ich schüttelte den Kopf. Unsere Spuren zu verwischen, während die Schmerzlaute eines Orks weit in das Land hinaus drangen, erschien mir nun sinnlos. Ich sah auf zu den Sternen. Arnulf hatte mich nur wieder einmal nicht dabei haben wollen.

Die Schreie wurden zu einer langen Klage, immer wieder abrupt unterbrochen von einem Fluch oder einem dunklen Wort, das wie ein Grunzen klang. Ich war Arnulf nun beinahe dankbar, daß er mich fortgeschickt hatte, um mich zu beschäftigen und abzulenken; ganz gleich, ob meine Arbeit nützlich war oder nicht. Ich hätte fast Mitleid mit der Keatur empfinden können, die nun dem Verhör unterzogen wurde, und nur der Gedanke daran, daß der Ork mit mir keines gehabt hätte, wäre ich an seiner Stelle gewesen, hielt mich von diesem Gefühl ab.
Ich verrichtete meine Aufgabe langsam und gewissenhaft, gewiß hatte ich es nicht eilig, in unser Versteck zurückzukehren.
Erelias hatte wieder den Bogen gespannt und sein Blick wanderte aufmerksam über alles, was sich in unserer unmittelbaren Nähe befand. Er war nervös und ich konnte ihm nachempfinden, das auch er hier keinen Augenblick länger als nötig verweilen wollte. Wir wußten nicht, ob jener, den wir abgefangen hatten, der einzige Orktrupp gewesen war, der in dieser Nacht zum Gebirge hin unterwegs war. Vielleicht hatten wir Glück, und es war so. Vielleicht hatte Aneawin doch Recht gehabt und der vergangene Sturm hatte die Hauptmacht der Orks verbergend in die Nebelberge geleitet, so daß diese hier nur ein paar Nachzügler gewesen waren. Aber wie auch immer es sein mochte, wir mußten ohnehin warten, bis Arnulf mit unserem Gefangenen fertig war und er ihm verraten hatte, was er wissen wollte.
Lange, zähe Minuten vergingen, die zu einer Ewigkeit anschwollen, aber das laute Klagen und Jaulen des Orks ebbte irgendwann zu einem Wimmern ab – und dann verhallte es ganz. Arnulf hatte ihm die Kehle durchgeschnitten und seiner Qual und seinem Leben ein Ende gesetzt.
Im Mondlicht warf er einen fahlen Schatten, als er zu Erelias und mir trat. „Gehen wir...“, sagte er dunkel und ich senkte den Blick. An Arnulfs Händen klebte schwarzes Blut und auch die Klinge des Krummdolches troff davon, als er sie hoch vor sein Gesicht hob.
Er betrachtete sie einen Moment lang, dann drehte er sich um und warf sie in hohem Bogen zurück zu dem toten Ork, dessen Leib leblos und verkrümmt im schmutzigen Schnee lag. Die Klinge bohrte sich neben seinem Kopf in den Boden. „Geben wir seinen Gefährten noch ein kleines Rätsel auf, wenn sie ihn irgendwann finden. Vielleicht fragen sie sich eine Weile, was eine Waffe der Haradrim, die zweifellos zu Mordors Verbündeten zählen, soweit im Norden macht – bevor sie uns auf die Fährte kommen.“, fügte er dann an und es klang beinahe amüsiert.
Es war eine seltsame Geste, aber ich reichte ihm seinen Umhang zurück, den er zögerlich nahm. „Danke.“, sagte er knapp und schüttelte ihn aus, um ihn von Schnee und Erdreich zu befreien, dann warf er ihn sich um die Schultern und wischte sich die verschmierten Hände daran ab.
Erelias nahm es mit einem entsetzten Aufstöhnen hin und ging dann, um unsere Pferde und unser Gepäck zu holen.
Arnulf blieb bei mir stehen und ich meinte, einen Hauch von Unschlüssigkeit auf seiner Miene zu erkennen. „Hat der Ork Euch etwas verraten?“, fragte ich ihn und Arnulfs hellblaue Augen fanden mein Gesicht. Er nickte. „Ja. Das hat er. Aber das sollten wir nicht hier besprechen.“, erwiderte er und wollte sich zum Gehen wenden, um Erelias zu helfen. Ich hielt ihn am Arm fest und er widersetzte sich nicht, aber diesmal sah er mich nicht an, als ich erneut das Wort an ihn richtete: „Warum habt Ihr das getan? Warum habt Ihr mich hinaus in die Ebene geschickt? Hätten die Orks Wurfäxte oder Armbrüste bei sich gehabt...hätte ich sterben können.“, sagte ich und Arnulf fuhr zu mir herum, entwand sich jedoch nicht meinem Griff. „Vielleicht wollte ich wissen, wie mutig Ihr seid.“, erwiderte er und ich verengte die Augen. „Seid nicht so ein Esel!“, fuhr ich ihn an und Arnulf wurde nun vollkommen ruhig. Er räusperte sich und holte einen Moment lang tief Luft. „Niemals und zu keiner Zeit hätte ich das zugelassen. Ihr wart weder aus meinem Blick, noch aus meiner Reichweite – so bestand für Euch keine Gefahr, daß Ihr getötet würdet.“, antwortete er und der Klang seiner Stimme war so ernst, daß ich ihm glaubte. Ich hätte es nicht tun sollen, auch nicht tun müssen, aber ich tat es, denn irgendetwas in seinem Unterton sagte mir, daß er die Wahrheit sprach – so unwahrscheinlich das im Angesicht dessen, was passiert war, erschien.
„Sie waren schon eine Zeit über uns und haben sich am Hang des Hügels versteckt, Erelias hat die Orks sehr früh bemerkt. Sie konnten uns nur von hinten angreifen – und wärt Ihr bei uns geblieben, so hätten sie sich zuerst auf Euch gestürzt. Ich weiß, Ihr hört das nicht gern, aber mit Verlaub, als Frau seid Ihr das erste Ziel für einen Ork. Vielleicht wärt Ihr schneller tot gewesen, als ich hätte eingreifen können, wenn Ihr bei uns geblieben wärt. Ich konnte unsere Position nicht verändern, ohne sie wissen zu lassen, daß wir sie gesehen haben. So erschien es mir sicherer, Euch fortzuschicken und sie hervor zu locken. Das Risiko, daß sie Wurfwaffen besitzen, mußte ich eingehen, aber es erschien mir gering. Da sie schnell unterwegs waren, haben sie sich gewiß nicht mit schweren Waffen belastet.“, erklärte er weiter und ich ließ seinen Arm los. „Das nächste Mal...teilt mir einfach Eure Gedanken mit. Und zwar vorher.“, sagte ich und Arnulf hob das Kinn an. „Nun...wenn Ihr erst einmal eine Dame des Hofes von König Theodén seid, werdet Ihr doch gewiß Momente wie diesen vermissen, meint Ihr nicht?“, erwiderte er spöttisch. „Und wenn ich Eurem Vetter von diesem Moment erzähle, werdet Ihr vermutlich bald Euren Kopf vermissen.“, gab ich zurück und Arnulf lachte leise in der Dunkelheit auf. „Ich habe heute gesehen, daß Ihr ein überaus mutiges Herz habt. Ihr habt weder den Schutz, noch die Vergeltung durch Therowig nötig.“, meinte er und rieb sich über die Wange, wo ihn mein Schlag getroffen hatte. „Aber er sollte Euch einmal zeigen, wie man richtig mit der Faust zuschlägt.“
Ich öffnete den Mund, um noch etwas zu erwidern, doch Erelias unterbrach mich, als er mir den Pferden herankam, und so blieb es unausgesprochen. „Man wartet auf uns.“, warf er ein und seine Augen kündeten von Dringlichkeit. So beendete ich das Gespräch mit Arnulf und nahm Erelias dankend die Zügel meiner Stute aus der Hand.

Diesmal schonten wir die Pferde nicht und es ging im eiligsten Galopp zurück nach Westen, den weißen Mauern Mirobels entgegen. Nur noch einmal wandte ich das Wort an Arnulf, als die Nacht in wabernden Schatten an uns vorüberflog und der Schnee unter den Hufen unserer Reittiere zu einem verschwimmenden Meer gerann. Die Zeit schoß dahin und wir ersehnten den Morgen, der Moment der Ruhe war einsam und kurz. „Ihr habt Recht.“, sagte ich leise zu Arnulf, als wir kurz anhielten, weil sich Erelias' Satteltasche gelöst hatte und er sie richten mußte. „Ich bin keine Hofdame. Und ich werde auch nie eine sein.“
Es kam mir wie ein Geständnis vor und ich fühlte mich schuldig, weil meine Worte mir ebenfalls wie ein Verrat an Therowig vorkamen. Aber sie waren wahr und das stimmte mich traurig, auch wenn der Tag noch fern war, an dem sich mein Schicksal endgültig entscheiden sollte.
Arnulf bedachte mich mit einem langen Blick, der schwer zu deuten war. „Ich muß mich wahrlich bei Euch entschuldigen.“, sprach er schließlich und hob eine Augenbraue. „Ihr unterscheidet Euch noch weitaus mehr von dem Weibsvolk, das mir bisher bekannt war, als ich dachte. Und ich fange langsam an, Therowig nicht mehr nur zu zürnen, sondern ihn auch ein wenig zu beneiden – selbst wenn sich Euer Auftreten des Öfteren nicht gerade ziemt. Reizvoll und besonders ist es allemal.“, fügte er hinzu, schnalzte mit der Zunge und ließ sein Pferd dann wieder antraben. Ich hörte ihn lachen und folgte ihm mit geröteten Wangen.

Meine Worte reuten mich nun wahrhaftig.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 02.02.2011 02:19 | nach oben springen

#17

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 02.02.2011 02:19
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Es mußte kurz vor der Morgendämmerung gewesen sein, als wir nach Mirobel zurückkehrten. Noch kündigte die Sonne nicht mit einem blassen Schein am östlichen Himmel den neuen Tag an, doch die Stunde war nicht mehr fern.
Träge ruhten die wenigen Wachen, gestützt auf Speere und Schwerter, auf den Zinnen der Feste, als wir die Straße beschritten, die sich den grauen Felsen hinaufwand, auf dem Mirobel erbaut war. In langsamem Trab ritten wir durch den zerfurchten Torbogen auf den Innenhof. Ein schmaler Pfad wand sich nun hindurch: der Schnee war vom Tor bis zum Eingang in die Wachstube und zu den Quartieren geräumt worden. Wir saßen ab und führten die Reittiere zu den Stallungen, immer noch begleitet von Dunkelheit. Nur wenige der Öllampen brannten, die ringsum an den Mauern befestigt waren; kein Feuer, kein Lichtschein hinter den Fenstern war zu sehen. Die Feste schlief, doch war es ein unruhiger Schlaf und bei dem geringsten Laut, der sich außerhalb ihrer Mauern ereignen würde, wäre sie wieder hellwach. In jedem Windhauch, der mich berührte, war es zu spüren.
Wir schwiegen, als wir langsam weitergingen. Die Stille, in der Mirobel jetzt versunken war, wollten wir nicht stören. Schlaf war etwas Kostbares und Seltenes geworden.
Als die Pferde abgesattelt und mit Futter versorgt waren, gingen wir, einer nach dem anderen, hinüber in den großen Wohnturm. Ich zögerte, bevor ich die Wachstube im untersten Stockwerk betrat und sah auf zu den Sternen. Dann schloß ich die Augen und zog tief die eiskalte Luft in meine Lungen. Mit einer Hand hielt ich meinen Rucksack über der Schulter und mit der anderen schob ich mir langsam die graue Kapuze meines Mantels vom Haupt. Schwarz glänzte mein Haar im fahlen Mondlicht und ich nahm eine lange Locke in meine Handfläche, die ich betrachtete.
Ich wußte, warum ich zögerte, hineinzugehen - in die Wärme, in die Geborgenheit des Wohngebäudes, in die Sicherheit seiner dicken Mauern, die bisher alles abgehalten hatten, was uns zugesetzt hatte: den Wind, die Kälte, die Feindseligkeit dieses Landes. Ich zögerte, weil ich erst die Gedanken der letzten Stundes unseres Ritts vertreiben wollte, bevor ich Therowig begegnete. Und begegnen würde ich ihm, zweifellos hatte er auf meine Rückkehr gewartet und verweilte irgendwo im Inneren der Feste. So legte ich behutsam die Hand auf die hölzerne Pforte, die mich von ihm trennte.

Die Tür war nicht verschlossen, sie war nur angelehnt und sprang lautlos auf, als ich sie ein Stück weit öffnete und zunächst in den Raum dahinter spähte, bevor ich ihn betrat. Er war erfüllt von einem rotgoldenen Licht, das matt und flackernd aus dem großen Kamin drang und zwei Schatten an die gegenüberliegende Wand warf. Sie waren unnatürlich groß und verzerrt, obgleich sie zwei großen Männern gehörten: Therowig und Arnulf.
Arnulf hatte sein Gepäck auf eine Sitzbank gelegt, die am Kopfende der Tafel stand und hielt die Arme verschränkt. Sein schmutziger Mantel hing über einer Stuhllehne und er richtete für einen Moment den Blick darauf, bevor er ihn wieder anhob und Therowig ansah, der direkt vor ihm stand. Therowig war barfuß und nur mit einer weichen, braunen Lederhose bekleidet. Er wirkte müde, obgleich er die vergangenen Stunden gewiß in der Schlafkammer verbracht hatte. Sein rotes Haar schien wirr und sein Bart war an diesem Tag noch nicht gestutzt worden. Er fuhr sich nachdenklich darüber und nun erst bemerkte ich, daß Arnulf mit ihm sprach: „...war es, wie ich es geplant hatte. Ich habe einen Namen erfahren und einen Zeitpunkt. Daß es unschön werden würde, war uns allen bewußt – auch, daß die Dinge hätten schlechter laufen können. So würde ich sagen, daß wir Beides hatten: viel Geschick und viel Glück. Wenn Du also der Ansicht bist, daß ich...“
Er unterbrach sich plötzlich und sein Kopf wandte sich zur Tür. Auch Therowig hob das Haupt und sie sahen mich nun beide an: Unmut war in ihre Mienen gemeißelt.
Ein Seufzen entkam mir, als ich die Tür nun gänzlich öffnete und endlich eintrat, sie danach leise wieder hinter mir verschließend. „Verzeiht, ich wollte Euch nicht stören.“, sagte ich und entschuldigte mich sofort für mein Eindringen, auch wenn es nicht nötig schien, schließlich lag auch mein Quartier in diesem Teil der Stadt und die Wachstube war der einzige Zugang. Dennoch schien es mir, als gehörte ich plötzlich nicht mehr hierher und mir wurde wieder bewußt, von welch eigenartiger Natur Arnulfs und Therowigs Feindschaft war: in jenem Moment, als sie das Gespräch unterbrachen und die Köpfe hoben, wirkten sie beinahe wie Brüder – gar wie Verschwörer. Ihre Abneigung ruhte vollkommen, wenn sich ihre Worte auf den Krieg richteten, der rings um uns herum begonnen hatte. Doch sobald gesagt war, was es in dieser Angelegenheit zu besprechen gab, da tat sich ein neuer Kampf auf, der nur zwischen ihnen beiden tobte, aber dafür umso heftiger war. .
Arnulf hob eine Augenbraue und sah mich an. Sein Blick beendete mein Nachsinnen. „Nun, da ist sie ja. Therowig hatte schon befürchtet, ich hätte Euch bei den Orks zurückgelassen.“, sprach er und lachte leise. „Ein wenig war es ja auch so, nicht?“, erwiderte ich mit dunkler Andeutung in der Stimme, was Therowig sogleich dazu brachte, die Hand von seinem Kinn sinken zu lassen und den Blick abrupt auf Arnulf zu heften.
Arnulf schürzte die Lippen und ein winziger Muskel zuckte unter seinem Auge, als wäre er nicht sicher, ob ich nun über unsere Fahrt berichten oder es bei meinen kurzen Worten belassen würde. Ein wenig genoß ich die Unentschlossenheit, die ihn ergriff und die ihn schwanken ließ zwischen Verweilen und Gehen. Zögerlich sah er seinen Vetter an. „Gute Nacht. Wir werden uns morgen noch einmal in aller Ausführlichkeit sprechen.“, brummte er schließlich und nahm sein Gepäck und seinen Mantel auf. Er wandte sich zum Gehen, machte jedoch einen großen Bogen um den Tisch herum, was ihn an mir vorbeiführte. Kurz blieb er neben mir stehen und senkte die Lippen an mein Ohr. „Nur zu...erzählt es ihm. Ich werde oben auf ihn warten...“, knurrte er und bleckte die Zähne, dann ging er und seine Schritte erklangen alsbald auf der Treppe.

Ich neigte leicht den Kopf, als ich ihm nachsah, und biß die Kiefer aufeinander, doch dann atmete ich tief durch und zwang das Gefühl von Ärger nieder, das Arnulf wieder einmal durch einen Ausspruch in mir auflodern ließ. Die Nacht war vorüber und ich war wieder daheim – oder jedenfalls an dem Ort, den ich in diesen Tagen als Heimat bezeichnete.
Therowig löste sich von dem Fenster, vor dem er gestanden hatte, und trat zu mir. Sein Schatten, den das Feuer an die Wand geworfen hatte, verschwand, aber ein dunkler Schleier schien auf seinem Gesicht und in seinen Augen zu liegen. Auch er hatte Arnulf einen prüfenden Blick nachgesandt, als er den Raum verlassen hatte, und der gleiche Blick traf nun mich.
Ich war nicht die Einzige, die in den vergangenen Stunden an etwas zu zweifeln begonnen hatte. Doch noch ahnte ich nicht um die Art von Therowigs Zweifel und deutete auch seinen Blick nicht in jene Richtung, die er genommen hatte, als Arnulf zu mir geflüstert hatte. Ich lächelte Therowig an, ehrlich froh darum, ihn zu sehen. Den winzigen Moment, den er zögerte, um dieses Lächeln zu erwidern, nahm ich nicht wahr. „Es...war eine ereignisreiche Nacht, wie ich vernommen habe.“, sprach er schließlich leise und ich spürte seine Hand auf meinem Arm, die warm war und die Kälte daraus vertrieb, was ihm meine Dankbarkeit schenkte.
Ich nickte und ließ endlich den Rucksack von meiner Schulter gleiten. Ich nahm Therowigs Hand und zog ihn daran mit mir zu dem großen Tisch in der Mitte des Raumes hinüber, um mich zu setzen. Er blieb vor mir stehen und sah auf mich hinab. „Das war sie und selbst wenn ich sagen muß, daß sie wohl notwendig war um zu erreichen, weswegen wir ausgesandt waren, hätte ich sie mir doch lieber erspart. Ich habe heute etwas über das Wesen des Krieges gelernt.“, erwiderte ich und Therowig setzte sich nun zu mir. „So?“, fragte er und fuhr sich über die blanke Brust, als fröstelte er. Dann stützte er einen Ellbogen auf die Tischkante und sein Blick war erwartungsvoll. „Es gibt jene, die ruhmreich sind und voller Glanz. Denen die Anerkennung Vieler gelten mag für das, was sie auf den Schlachtfeldern vollbringen. So wie Aegmar, der wie die Spitze eines Speeres ist, der Unheil und Verheerung in den Reihen des Feindes säht. Und so wie Du, der mit scharfer Klinge weder Tod noch Schmerz fürchtet und mit dem Zeichen höchster Tapferkeit nach Hause zurückkehrt. Doch es gibt auch andere, die nicht im Lichte stehen und mit Blut und Gewalt im Verborgenen den Weg ebnen. Die weder edle noch klangvolle Taten begehen, um zu tun, was getan werden muß. Ihnen gilt keine Anerkennung, kein Lob, oftmals nicht einmal bloßer Dank. Manchmal...denkt man sogar mit Verachtung von ihnen.“, sagte ich und Therowig runzelte leicht die Stirn. „Worauf willst Du hinaus?“, fragte er mich und meine Augen wanderten über die hölzerne, fleckige Tischplatte. „Dein Cousin hat heute einen Ork gefangen. Er hat ihn in eine Falle gelockt und ist ihm nicht in offenem Kampf entgegen getreten, so wie Du es vielleicht getan hättest. Er hat ihn gefesselt und dann hat er ihm Leid zugefügt, um Informationen aus ihm heraus zu pressen. Es war grauenhaft – und die Stille, die dieser Tat folgte, war wie der Schrei der Krähen, die den Tod als herbeigesehnte Erlösung verkünden und nicht als das natürliche Ende eines langen Lebens. Wir wissen nun viel, was vor uns verborgen sein sollte, aber niemand würde die vergangene Nacht je besingen, nicht wahr?“, fuhr ich fort und Therowig zog die Augenbrauen zusammen. Sein Blick richtete sich ebenfalls auf die Tischplatte, fort von meinem Gesicht.
„Ich weiß, was Du meinst.“, sagte er dunkel. „Wenn Du Arnulf für diese Grausamkeit verachtet hast, dann solltest Du es nicht tun. Auch ich tue das nicht. Aber ja, Du hast Recht: niemand wird wohl besingen, was heute geschehen ist. Krieg bringt in uns allen unsere schlimmsten Seiten zum Vorschein. Bestimmt habe auch ich Dinge in den langen Jahren der Schlacht getan, auf die ich nicht eben stolz bin. Auch Aegmar hat sie begangen. Wir sind manchmal eben nur Soldaten - und nicht immer Helden.“, fügte er hinzu und beinahe trat so etwas wie Bedauern in seine grünen Augen. „Warum beschäftigt Dich das, Nariena?“
Ich umfaßte fest seine Hand, bevor ich antwortete. „Weil irgendwann andere Tage kommen werden – und ich mich frage, wie wir sie begehen werden, nachdem all das auf uns lastet. Was wird aus jenen, die im Dunkeln geblieben sind, und nicht unter wehenden Fahnen zurückkehren werden? Gehöre ich nicht auch dazu?“, sagte ich dann sanft und es war mehr als nur der Ausspruch eines Gedankens. Was auch immer Therowig sagen würde, wäre mir ein Hinweis darauf, wie er über die Zukunft dachte. Über unser beider Zukunft.
Er fuhr sich durch das rote Haar, das im Dämmerschein des Kamins wie dunkles Gold wirkte. „Es...es ist doch so...“, begann er und schob eine Hand in seine Hosentasche. Als er sie wieder hervorzog, hielt er eine Münze zwischen den Fingerspitzen. Es war ein Goldstück und es glänzte matt. Therowig betrachtete es und warf es dann auf die Tischplatte, wo es sich für einen Moment drehte, bevor es fiel und auf einer Seite liegenblieb.
„Wir sehen immer nur den Glanz der Dinge, der obenauf liegt. Und doch wissen wir, daß jedes Ding noch eine andere Seite hat, die darunter im Schatten verschwindet.“ Er streckte den Arm aus und nahm die Münze wieder an sich, sie hoch vor sein Gesicht haltend. „Beide Seiten sind aber unzertrennlich miteinander verbunden. Was also auch immer damit geschehen wird...sie verlieren nie ihren Wert. Wie bei diesem Goldstück hier.“, sagte er und schloß nun die Faust darum. Ich war sonderbar erleichtert, als er das tat und nickte. Dann schüttelte ich den Kopf, jedoch nicht über Therowig, sondern über mich selbst. „Ich danke Dir.“, flüsterte ich und nahm seine Hand, die ich immer noch fest umschlossen hielt, hoch an meine Lippen. Dann erhob ich mich und griff nach meiner Tasche. Müdigkeit umfing mich nun und meine Augenlider wurden schwer. Was mich wachgehalten hatte, verflog, zerstreut von Therowigs weisen Worten und ich konnte nur noch staunen, warum ich für einen Moment vergessen hatte, warum er mir so teuer war. Und beschämt war ich, daß ich Zweifel daran zugelassen hatte.
Ich ging in Richtung der Treppe. „Nariena.“, rief er mir nach und ich wandte noch einmal den Kopf. Therowig hatte sich ebenfalls erhoben und ich sah in seinem Rücken die Morgenröte durch das Fenster aufgehen. Ein winziger Augenblick war es nur, der die Nacht plötzlich von einem neuen, wieder hellen Tag trennte und alle Schatten vertrieb. Das Licht wurde stärker und bezwang auch den Dunst der Wachkammer, so daß Therowig mir nun klarer erschien und seine Gestalt mir wieder so stark und vertraut wie stets entgegen schritt. Er legte das Goldstück in meine Handfläche. „Es gibt nicht viele Kräfte, die diese Münze zerstören und seine beiden Seiten, so unterschiedlich sie eben sein mögen, trennen könnten. Eine Streitaxt mag es vielleicht schaffen. Oder ein Schwert. Vor allem ein Schwert in der Hand eines Mannes, der entschlossen ist, etwas zu vernichten, was großen Wert besitzt. Wo immer Du Beidem begegnest, dem Schwert oder dem Mann – geh ihnen aus dem Weg, sonst wird viel verloren sein. Nicht nur das hier...“ Er wand meine Finger um das Goldstück und legte seine Hand darauf.
Ich sagte es Therowig nie, aber natürlich wußte ich, was er meinte. Auch er sprach es nie aus. Das mußte er auch nicht. Ich nahm die Münze an mich und ein Kuß tat es für uns beide, bevor ich hinauf in die Kammer stieg, um endlich zu schlafen. Arnulfs Zimmertüre war fest verschlossen, doch seine Klinge lehnte daneben an der Wand. Ich wandte rasch den Blick davon ab. Therowig hatte Recht: ich mußte ihm aus dem Weg gehen. Ihm. Und seinem Schwert.


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#18

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 03.02.2011 00:58
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich hatte viele Stunden wie ein Stein, der träge am Grund eines Flusses ruht, geschlafen, war aber plötzlich hellwach, als die Sonne vollends aufgegangen war und bereits den Mittag ankündigte.
Ich wusch mich und kleidete mich sorgsam an. Keineswegs hatte Aegmar erwartet, daß auch ich an der Besprechung teilnehmen würde, die am Vormittag stattfand. Es war unsere letzte Besprechung, bevor wir in einen Kampf ziehen mußten, der so viel entscheiden würde, das uns allein der bloße Gedanke daran mit Ehrfurcht und einem dunklen Schauern erfüllte. Es würde ein wichtiger Tag werden, einer, den wir herbei gesehnt hatten, seitdem wir hier verweilten. Einer, an dem wir endlich wissen würden, was zu tun war, um den drohenden Schrecken, der auf uns und allen Verbündeten, die fern im Osten in den Abgründen des Düsterwaldes um ihr Überleben kämpften, Einhalt gebieten konnten. Gingen wir fehl, konnte keiner von uns erahnen, was dann geschehen würde.
So war es Arnulf, auf den sich gespannt Auge und Ohr richtete, als ich die Wachstube betrat und meine Gefährten versammelt an dem langen Tisch in seiner Mitte sah. Sein Schwert hatte nicht mehr an der Wand neben seiner Zimmertüre gelehnt, wie ich bemerkt hatte, als ich die Treppe hinab geeilt war. Auch sein Reisegepäck war fort, das er daneben abgestellt hatte. Eine Spur von Schmutz auf dem Boden und etwas noch Dunklerem, das getrocknetes Blut gewesen sein mußte, kündete jedoch noch von den Dingen, die in der vergangenen Nacht geschehen waren.
Aegmar und Aneawin saßen so dicht neben Arnulf, daß sie ihn beinahe berührten. Gespannt waren ihre Mienen und ihre Augen glänzten von entschlossenem Eifer. Knisternde Stille schwebte über ihnen wie ein feiner Nebeldunst, der von einem eisigen Lufthauch vertrieben wurde, als Arnulf endlich den Mund öffnete und in die Runde blickte. Er sagte nur ein Wort. Es war ein Name, der von nun an unser Denken und unser Handeln bestimmen würde.

„Ragbash.“

So sprach Arnulf und gab endlich uns allen preis, was der Ork, den wir gefangen hatten, ihm verraten hatte. Er wiederholte es noch einmal: „Der, der aus Isengart kommen wird und auf den wir warten, heißt Ragbash.“
Wir sollten es nie wieder vergessen. Arnulf entrollte eine der Karten, die am Kopfende des Tisches lagen und glättete den Teil, der die Lande von Eregion zeigte. Dann legte er eine Karte des nahen Gebirges daneben und jenen von Hand gezeichneten Zettel, den wir bereits vor Tagen von einem Halbork erbeutet hatten. „Die Dinge verhalten sich tatsächlich beinahe so, wie wir es geahnt haben. Doch nun wissen wir es genau – und vor allem wissen wir, wann sie geschehen werden! Aber in einem Punkt waren unsere Vermutungen nicht richtig.“, fuhr Arnulf fort. „Dies hier...ist der Rothorn und dahinter liegt die Silberzinne, die beiden Berge hat Nariena den Markierungen auf der Karte, die die Halborks bei sich hatten, bereits zugeordnet...“ Er deutete auf die Karte. „Zwischen den Gipfeln verläuft ein Pfad, der uns bisher unbekannt war. Er führt zu einem Tal, an dessen Ende ein Ort liegt, den die Orks nur als „steinernen Riß“ bezeichnen. Das Kreuz auf der Karte markiert aber kein Lager oder einen anderen Treffpunkt, an dem Ragbash mit den Nebelgebirge-Orks zusammentreffen soll, wie wir zunächst dachten. Nein, es ist viel mehr genau das, was er in der einfachen Sprache der Orks bezeichnet: ein steinerner Riß. Ein geheimer Zugang nach Moria, und zwar in der westlichen Flanke des Rothorn.“
Aegmar zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und pfiff leise. „Eine Spalte im Berg, durch den die Orks Moria verlassen und betreten konnten, wie es ihnen beliebte...“, sagte er und nickte schwer. „So viele von ihnen wurden getötet und von den Zwergen vertrieben und dennoch schienen ihre Reihen nicht lichter zu werden. Wenn es also noch einen anderen Zugang zu den Minen als das Tor am schwarzen Teich gab, haben wir die Erklärung dafür gefunden, wie sie ihren Nachschub organisieren.“, fuhr er fort. Arnulf lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Oh, ich bin sicher, dies ist nicht der einzige Zugang, den wir nicht kannten. Das Gebirge hat viele Risse und Spalten in seinen unzähligen Schluchten, aber dieser hier ist leicht zugänglich, wenn man ihn denn kennt. Und das tun wir nun. Der eigentliche Treffpunkt mit Ragbash liegt irgendwo weit hinter dieser Pforte, in den Tiefen Morias, die noch immer von den Orks bewohnt werden. Aber...ihre Versammlung dort aufzulösen, das kann nicht mehr unsere Aufgabe sein. Wir sollten die Zwerge benachrichtigen, Moria ist ihre Angelegenheit. Auch muß der steinerne Riß verschlossen werden, dazu braucht es kundige Handwerker. Wir können nur Ragbash an seinem Eintreffen in Moria hindern. In zwei Tagen, wenn die Sonne untergeht, wird er dort erwartet. Er wird zwei Dutzend Uruks bei sich haben und mindestens ebenso viele Orks, die ihn eskortieren. Einen Tag wird er brauchen, um Eregion zu durchqueren und zum Rothornpaß zu gelangen, einen weiteren halben Tag, um über den verborgenen Pfad zum steinernen Riß zu gelangen. Wenn ich mich also nicht sehr irre, wird Ragbash schon morgen Mittag in unserer Reichweite sein und unweit Mirobels an uns vorbei ziehen müssen. Sein Heer ist ihm voraus, in der Tat zog es mit dem großen Schneesturm, um seine Ankunft vorzubereiten. Er folgt ihm mit jener kleinen Abteilung, die mir genannt wurde. Doch wenn es vielleicht nur fünfzig an der Zahl sein mögen, so sind es doch mehr als wir es sind – und sie kommen direkt aus dem schwarzen Schlund von Isengart. Dieses dreckige kleine Scheusal, daß ich gefangen habe, war davon überzeugt, daß Ragbash der größte Uruk ist, den Saruman je gezüchtet hat. Er fürchtet sich vor niemandem – und seine Wahl zum neuen Anführer der Orks diesseits des Anduin sei bereits entschieden und nur noch eine zeremonielle Angelegenheit. Er wird die Orks gegen die Zwerge in einen Krieg führen. Wir haben nicht viel Zeit, um diese Pläne zu verhindern, die schon seit Langem ohne unser Wissen hinter unseren Rücken geschmiedet wurden.“, schloß er und Aegmar und Aneawin lehnten sich nun ebenfalls mit verschlossenen Gesichtern nachdenklich zurück.

Ich hatte im Türrahmen gewartet und erst jetzt bemerkte ich Therowig, der direkt neben mir an einem der schweren Regale gelehnt hatte. Er hielt ein Stück Brot in der Hand, von dem nicht mehr als ein paar Krümel zurückblieben, als er die Faust ballte. „Es hätte auch niemand von uns angenommen, daß Saruman jemals zu einem Verräter werden würde, bis das Zeichen der weißen Hand auf den Rüstungen der umherziehenden Orks und Uruks so deutlich war, daß sein Zutun nicht mehr zu verneinen war und jede Hoffnung, daß sich seine Einmischung um einen Trugschluß handelte, aufgegeben werden mußte. Ebenso hätte niemand anzunehmen gewagt, daß er die Pforte von Rohan verschließen und unpassierbar machen würde, über die er lange Jahre als Verbündeter an der Seite meines Volkes gewacht hat. Alte Bande und Freundschaften existieren nicht mehr, sie haben sich in ihr Gegenteil verkehrt. Und umso härter trifft nun die Faust, die einst eine Hand war, die man gerne in Frieden und in Verbundenheit geschüttelt hat.“, sagte er und ich hatte selten solch bittere Worte von ihm gehört.
Sein Kopf sank langsam auf seine Brust, dann drehte er sich schwerfällig um. Er bemerkte mich und wischte sich die Hand an der Hose ab, zerdrücktes Brot blieb daran haften und ich nahm es mit einem traurigen Blick hin. Kein Lächeln gelang mir, auch wenn ich Therowig gerne eines geschenkt hätte.

„Bis morgen Mittag ist es wahrhaftig eine kurze Frist, die uns noch verbleibt, um Vorbereitungen zu treffen.“, ergriff schließlich Aegmar das Wort. „Es wird uns keine Zeit bleiben, Verstärkung aus Moria zu holen. Maethruth wird die Besatzung von Mirobel über die Neuigkeiten informieren, wir werden die Feste räumen und schutzlos zurücklassen müssen, denn wir brauchen jeden Mann, der verfügbar ist und mit uns ziehen kann. Werden die Elben kämpfen?“, fragte er den Freund.
Maethruth hatte in ruhiger Haltung etwas abseits gesessen und die Fingerspitzen nachdenklich aneinander gelegt. Er erhob sich langsam, das schwarze Haar fiel ihm auf die Schulter. Er verlor jedoch nichts von seiner Ruhe und seiner Stille, als er nickte. „Die Elben herrschen nicht mehr über Hulsten, noch wandeln sie unter seinen Bäumen – aber nichts ist vergessen. Sie werden es beschützen, wie sie es immer getan haben.“, sprach er und schob dann seinen Stuhl zurück. „Wenn meine Stimme erklungen ist und zur Schlacht ruft, werden es ihr bald viele gleich tun und folgen. Ich mache mich sogleich auf den Weg.“, fügte er an und wandte sich dann zum Fenster, um einen langen Blick hinaus zu werfen, bevor er zur Türe trat und sich von uns verabschiedete.
Auch ohne, daß er noch etwas sprach, wußte ich, daß sich seine Gedanken nun in eine ferne Zeit richteten, die nur er gekannt hatte. Gerne hätte ich ein paar der Bilder gesehen, die tief in seine Erinnerungen verwoben waren, aber ich konnte es nicht. Maethruth sparte mit seinen Worten und es mochte recht so sein, denn was in Eregion vor sich ging, mochte vor allem seine Angelegenheit sein. Die Wunden, die diesem Land zugefügt worden waren, reichten tiefer und weiter in die Seelen der Elben hinein als jene, die der Krieg in unseren Tagen ihm zufügte. Ich wünschte ihm nur, daß er Genugtuung finden würde und das Leid, das er zweifellos empfand, ein wenig abklingen mochte.
„Aneawin, Dich entsende ich nach Echad Dunann. Reite sofort los, wir werden uns morgen früh wieder mit Dir und jenen treffen, die Du dort erreichen und in unsere Sache einweihen kannst. Wir schicken Dir Nachricht, wo wir uns treffen werden. Sorge dafür, daß ein Bote nach Moria ausgesandt wird, der über den steinernen Riß berichtet. Die Zwerge sollen Maßnahmen treffen, ihn zu verschließen. Erelias, Ihr werdet unsere Ausrüstung zusammentragen. Sucht nach jedem Schwert, jedem Speer und jedem Helm, den wir noch nicht in die Waffenkammer getragen haben, und bereitet unser Rüstwerk vor. Vorräte brauchen wir nur wenige, wir müssen schnell reiten, als schafft nur das Nötigste herbei. Therowig, Dich beauftrage ich mit der Suche nach einem geeigneten Ort, wo wir Ragbash überfallen werden. Sieh Dir die Karten an und überlege die Route, die er nehmen wird. Finde einen Platz für einen Hinterhalt, wir können den Uruks nicht auf der Ebene begegnen, wir sind zu wenige. Wir müssen die Schlacht überraschend über unsere Feinde bringen und im ersten Streich so viele wie möglich überwältigen, wenn wir den Sieg in dieser Sache davontragen wollen. Arnulf wird Dir helfen, Dir etwas zu überlegen.“, sprach Aegmar wieder und dann sprang er von seinem Stuhl auf. Blicke begleiteten ihn dabei. „Und ich....ich habe mich noch um eine andere Angelegenheit zu kümmern, die lange gewartet hat und nun geklärt werden muß. Ich bin in meiner Kammer. Wir treffen uns am Abend wieder, dann müssen wir reisefertig sein. Es wird der Vorabend eines entscheidenden Tages sein – und ich erwarte, daß jeder tut, weswegen er gekommen ist. Entschuldigt mich.“, rief er nur noch und verschwand dann so hastig aus der Stube, wie ein Schatten, der von einem Blitz in einem rasch aufziehenden Gewitter zu glitzerndem Staub zermahlen wird.

Überrascht sah ich ihm nach, als er mich im Fortgehen an der Schulter anstieß, ohne es zu bemerken. Ein Blick aus seinen stahlblauen Augen streifte mich für einen Moment und er schüttelte kaum merklich den Kopf. In all der Zeit, in der ich Aegmar nun kannte, hatte ich gelernt, wann er Schweigen erwartete und keine Fragen. Ich hatte mir vorgenommen, ihm gehorsam zu sein, und jenes Vorhaben in vielen Momenten wieder verworfen. Doch jetzt, jetzt würde ich tun, was er wünschte. Ich ließ ihn gehen und folgte ihm nicht, auch wenn ich es gern getan hätte.
Es ging etwas vor sich, und das nicht nur außerhalb dieser Mauern in den unendlichen Eisfeldern Eregions und den namenlosen Tiefen des Gebirges – nein, auch hier in dieser Raum. Ich konnte es tief in seinen Augen sehen, auch wenn ich nur für einen winzigen Moment hineingeblickt hatte. Aegmar hatte eines immer von sich gewiesen und auch uns, seine Gefährten, beschworen, es nicht in unsere Gedanken zu lassen: es war jene Warnung, die ihm mitgegeben worden war, als wir Emyn Lûm verließen und die vor allem Erelias immer wieder an ihn heranzutragen versucht hatte, bis er und Aegmar darüber beinahe in großen Streit geraten waren. Doch jetzt, jetzt stellte Aegmar sich dieser Warnung, das wurde mir plötzlich bewußt: ein möglicher Verrat war die Angelegenheit, um die er sich kümmern mußte. Und damit um einen Verräter, der vielleicht in unserer Mitte weilte, wo er jene Fahrt, die wir nun begehen würden, zum Scheitern bringen konnte, noch bevor sie begann.
Ich konnte nicht sagen, was Aegmar nun vorhatte, ich hörte nur weit hinter mir eine Türe zuschlagen. Aber es war nicht seine Tür; nicht die Tür, die hoch oben im Turm in seine Kammer führte. Das Geräusch kam von weiter unten, irgendwo auf der halben Höhe der Treppe erklang es verhalten. Und dort gab es nur zwei Zimmer: das eine gehörte mir, das andere Arnulf.
Ein Schauer rann meinen Rücken hinab, als ich mir dessen gewahr wurde. Aegmar suchte etwas, und er tat es entweder in meinem Raum oder in Arnulfs. Ich wandte mich um in den Flur, der hinter mir lag und ins Treppenhaus führte. Ich konnte nicht ausmachen, welches Zimmer Aegmar betreten hatte. Ich konnte nur hoffen, daß es nicht meines war – denn das bedeutete, daß sein Verdacht auf mich gefallen war.
Aegmar hatte uns beschworen, niemanden zu verdächtigen und zusammenzuhalten. Auch er hatte nie einen Zweifel an einem von uns gehabt. Zumindest hatte er uns das glauben lassen. Bis jetzt.


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zuletzt bearbeitet 03.02.2011 01:09 | nach oben springen

#19

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.02.2011 13:53
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich sah hinüber zu Therowig, der Arnulf eine der Karten aus der Hand genommen hatte und sie ins Licht der Sonne hielt, das fahl durch die Fensterscheibe in die Stube drang. Ich war zuversichtlich, daß Therowig den richtigen Ort finden würde, an dem sich in wenigen Stunden entschied, ob wir siegen oder eine Niederlage hinnehmen mußten, die den gesamten Verlauf des Krieges auf das Bitterste beeinflussen würde. Ich war sicher, daß alles, was er ersinnen und sich ausdenken würde, all seinem Können und seinem Wissen entsprang.
Doch als ich Arnulf nun neben ihn treten sah und bemerkte, daß sein Blick nicht auf der Karte weilte, sondern seitwärts gewandt war und irgendwo in Therowigs Nacken ruhte, da spürte ich ein Unbehagen in mir aufkeimen. Es verstärkte sich zu einem unruhigen Herzpochen, als Arnulf hinter Therowigs Rücken eine Hand zu heben begann.
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, als mich ein Gedanke erfaßte: Aegmar war nicht in meinem Zimmer. Er war in Arnulfs Zimmer, denn ich war die Einzige, die er mit keinen Auftrag bedacht hatte. Aber ihn – ihn hatte er hier unten zu verweilen geheißen, um Therowig zu helfen. Ich konnte gehen, wohin ich wollte, doch Arnulf konnte es nicht, bis seine Aufgabe vollbracht war. Und bis dahin würde er sicher nicht seine Kammer betreten. Das verschaffte Aegmar Zeit.
Erleichterung überkam mich und dennoch Schwermut, ebenso eine gespannte Vorsicht, denn jener Gedanke barg auch die Andeutung, daß ich mich mit dem einzigen Wesen, das uns hier in Mirobel gefährlich werden könnte, in einem Raum befand. Und meine Gefährten: sie waren bereits fort.
Arnulfs Hand hob sich weiter und ich machte einen Schritt nach vorn, alarmiert und bereit, sie zu ergreifen, sollte sie Therowig etwas antun wollen. Zu tief war er bereits in die Aufzeichnungen versunken, die er nun auf der Fensterbank ausbreitete, um sie wahrzunehmen. Doch Arnulfs Hand glitt an Therowig vorbei, ohne ihn zu berühren, und öffnete nur das schmale Fenster einen Spalt breit, um die erfrischend kühle Luft einzulassen. Ein Seufzen entkam meinen Lippen und vermischte sich lautlos mit dem Winterhauch, der nun in die Stube drang.
Arnulf zog den Arm schließlich zurück und entfernte sich von seinem Vetter. Er lehnte sich an den Fensterrahmen und sah hinaus in den Hof. Seine Stirn runzelte sich und sein Blick glitt über die Mauern der Feste, als wartete er auf etwas. „Ich glaube...selbst wenn es waghalsig erscheint...es wäre am Klügsten, Ragbash voraus zu sein und ihn direkt am steinernen Riß zu erwarten. Gar vor ihm hindurch zu schlüpfen und ihm den Kopf abzuschlagen, sobald er ihn durch den Eingang steckt. In der Dunkelheit dahinter würde er uns nicht einmal bemerken. Es wäre der sicherste Ort, wo wir ihn auf keinen Fall verpassen würden. Es gar nicht könnten....“, murmelte Therowig leise und fuhr sich mit der Hand durch den Bart. Arnulf nickte ihm beiläufig zu und ich stutzte. Therowigs Gedanken interessierten ihn nicht, obgleich so viel von ihnen abhing. Er hielt immer noch den Blick in den Hof gerichtet. Ja, in der Tat wartete er auf etwas. Oder besser gesagt: auf jemanden. Und wer das war, das sollte ich in wenigen Momenten erfahren.

Woher Arnulf wußte, daß er eintreffen würde, genau jetzt, das war eine Frage, auf die ich niemals eine Antwort erhalten würde. Er ist ein Jäger, dachte ich. Vielleicht war es sein Instinkt. Vielleicht nur eine Ahnung. Aber er straffte sich, als er eine Gestalt auf den Hof reiten sah, noch bevor Therowig und ich sie sahen.
Arnulf verschränkte die Arme und fuhr zu seinem Vetter herum, ihn nun direkt ansehend. „Ein waghalsiger, wie Du sagst, aber vortrefflicher Plan. Ich habe noch einen Vorschlag dazu.“, sagte er hastig und Therowig hob den Kopf, Arnulf dabei mit einem fragenden Blick bedenkend. Arnulf deutete mit dem Kinn zu mir und ich sah, wie sich sein Mund zu einem verhaltenen Lächeln verzog, das etwas Lauerndes barg. Etwas beinahe Hämisches und vor allem etwas, das seine Augen aufblitzen ließ in einem Schimmer von unheimlicher Gewißheit. Therowig folgte seiner Geste und drehte sich ebenfalls zu mir um, aber er verstand nicht recht, was Arnulf andeuten wollte. Nicht, bevor er es aussprach: „Wir könnten Nariena wieder als Köder für die Uruks verwenden.“
Die Karte in Therowigs Hand knisterte und bekam einen langen Riß, als er sie zusammenknüllte und er den Kopf wieder herumriß, um den Vetter nun glühenden Blickes anzustarren. „Was meinst Du mit 'wieder'?“, knurrte er und Arnulf zuckte die Achseln. „Na, was denkst Du denn, wie ich in der Nacht einen Ork gefangen habe? Bestimmt habe ich ihn nicht höflich in die Falle hinein gebeten, ich habe schon einen hübschen Köder für ihn auslegen müss...“, erwiderte er, doch weiter kam er nicht.
Ich sah die Karte, die einer Feder gleich zu Boden schwebte. Ich sah das Fenster, das krachend zuschlug. Und ich hörte meinen eigenen erschrockenen Aufschrei, der wie in weiter Ferne verhallte, bevor er zurück an mein Ohr drang und das Geräusch der Faust überdeckte, die Arnulfs Wangenknochen traf und seinen Kopf gegen das Fenster schlagen ließ. Die Scheibe knackte und ich stand wie gelähmt auf meinen Füßen, die sich nicht bewegen wollten – und das, obwohl ich in diesem Moment alles daran setzen wollte und mußte, um Therowig daran zu hindern, seine Fassung zu verlieren.
Aber es war bereits zu spät. Seine Wut bahnte sich seinen Weg und überwand den inneren Damm, den er errichtet hatte, um Aegmars Wunsch zu entsprechen und die Gemeinschaft vor Streit und Zwietracht zu bewahren. „Du hast was?!“, brüllte er Arnulf außer sich vor Zorn an und packte ihn am Hemdskragen. Er zerrte ihn zu sich heran, doch noch bevor Arnulf antworten konnte (er schien es aber auch gar nicht zu wollen, denn noch immer lag jenes seltsame Lächeln auf seinen Lippen...), ließ er ihn abrupt wieder los und ich spürte, wie sich meine Füße plötzlich wieder bewegten, denn in einem Satz retteten sie mich auf die Seite, als Arnulf inmitten eines Regens aus Scherben und Splittern auf die Tischkante krachte. Ein Arm, mit dem er um sein Gleichgewicht rang, verfehlte mich nur knapp und ich duckte mich.
Therowig war sofort wieder über ihm, ergriff ihn erneut und zog ihn von dem Tisch wieder herunter, zu einem weiteren Schlag ansetzend, dem Arnulf ruhig entgegen blickte – ohne sich zur Wehr zu setzen, ohne auch nur den geringsten Anschein zu erwecken, diesem ausweichen zu wollen. Denn dann passierte das, was er erwartet hatte: die Türe zur Wachstube öffnete sich und der Reiter, der über den Hof gekommen war, trat ein. Verdutzt hob er den Kopf und schob sich die Kapuze vom Haupt, als Therowig an ihm vorbeistolperte und Arnulfs schwerer Leib direkt vor seinen Füßen zu Boden stürzte.
Der Atem stockte mir in der Kehle, als ich in das Gesicht des Unbekannten blickte und eine vertraute Erkenntnis warm und freudig in mir aufstieg. Es hatte mich mein Leben lang begleitet, denn es war das Gesicht meines Vaters.

Er brauchte nur einen kurzen Blick, einen knappen Atemzug, um sich von seinem Erstaunen zu erholen und sich umzusehen. Seine Augen hefteten sich mißmutig auf Therowig, der ihn immer noch nicht bemerkt zu haben schien und wieder die Faust ballte, um auszuholen. Arnulf wälzte sich auf den Rücken und fuhr sich mit der Hand über die blutende Unterlippe, dann hob er den Arm schützend über seine Augen.
Doch der nächste Schlag, der ihn hätte treffen sollen, erreichte ihn nie. Mein Vater war vorgesprungen und hatte Therowig an der Schulter ergriffen. Der ungewohnten Berührung zum Trotze fuhr Therowig herum und starrte nun ihn wild und aufgebracht an, bis seine Wut sich in erkennenden Schrecken und eine tiefe Verlegenheit wandelte und die Röte in seinen Wangen einer verzweifelten Blässe wich. „Herr Galariad...“, stammelte er und ich hörte meinen Vater tief und schneidend die Luft einziehen. „In der Tat, Herr Therowig.“, gab er zurück und kein Gruß, kein freundliches Nicken, war an ihm zu erkennen. Ich biß mir auf die Unterlippe, denn die warme und gütige Stimme meines Vaters hatte einen solch tadelnden und dunklen Unterton angenommen, den sie nur bekam, wenn ihm etwas über die Maßen mißfiel und er seine Abneigung darüber ausdrücken wollte.
Er zog seinen Arm nur langsam zurück und ließ Therowig los, dann streckte er die Hand aus – jedoch nicht zu ihm, sondern hinab zu Arnulf, um ihm aufzuhelfen.
Schwerfällig kam der Jäger auf die Beine und strich sich das lange blonde Haar zurück, das ihm verworren an Schläfen und Bart klebte und nun die Wunden freigab, die Therowig ihm beigebracht hatte. Er hielt sich die Seite und ächzte schmerzerfüllt, was mich dazu brachte, den erschrockenen Blick von meinem Vater auf ihn zu lenken.
Arnulfs Lächeln war von seinen Lippen verschwunden, aber in der Tiefe seiner grauen Augen glomm es noch und ich ahnte, daß er jeden Schmerz und jede Blessur in Kauf genommen hätte, nur um meinen Vater zu Therowig sagen zu hören, was er nun zu ihm sprach: „Bis zum heutigen Tage habe ich Euch für einen Edelmann gehalten, und nicht für einen Raufbold, der sich wie ein ungewaschener Bauernsohn in einer noch schmutzigeren Taverne prügelt! Entweder Ihr habt eine gute Erklärung für das hier, oder ich muß Euch mein Einverständnis, das ich Euch in Bezug auf meine Tochter gab, auf der Stelle wieder entziehen!“
Therowig schluckte und trat einen Schritt zurück. „Ich...“, begann er, aber die Stimme versagte ihm. Und es war vielleicht auch gut so, daß er einen Moment gewann, um sich zu sammeln und sich wieder zu fassen, denn endlich wandte Galariad sich mir zu und winkte mich heran. Er schloß mich in die Arme und sah mich dann lange an.
Ich hätte nie in meinem Leben das Gesicht meines Vaters vergessen können. Es war zerfurcht von den vielen Stürmen, die er durchwandert hatte, und dennoch barg es eine solch weise Güte, daß er niemandem je unfreundlich erschienen wäre, wenngleich auch sein Wesen seine Härte und seine Entschlossenheit nicht verbarg. Seine Augen waren dunkel wie die meinen und das ehemals schwarze Haar berührte in silbergrauen Strähnen seine kurzen Wimpern. Es reichte hinab bis zu seinem kurzgeschorenen Bart. Es war nicht schütter, auch wenn es von den Jahren kündete, die er schon in dieser Welt verweilte.
Nachdem er mich betrachtet hatte und sich sicher war, daß ich unverletzt war, wandte er sich wieder an Therowig, ohne jedoch eine Hand von meiner Schulter zu nehmen, als müßte er mich jederzeit wieder hinter sich schieben, um mich wie ein gewaltiger Schild vor ihm zu schützen.
Therowig wagte es nicht, in Galariads Gesicht aufzusehen, sondern betrachtete vielmehr die dunkle Waldläufer-Kleidung, die er trug, und die silberne Spange, die seinen Umhang an der Schulter zusammenhielt. Sie zeigte nicht das sternförmige Wappen der Dunedain, mit denen er geritten war, denn er war keiner. Aber sie war geformt wie ein Greif, der seine Schwingen über einem blühenden Baum ausbreitete: das Siegel meiner Familie.


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zuletzt bearbeitet 20.02.2011 05:24 | nach oben springen

#20

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 20.02.2011 05:24
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Galariad fixierte Therowig dafür umso mehr und ein polterndes „Nun? Ich warte!“ ließ Therowig aufschrecken und Haltung einnehmen. Wie ein Rekrut, der das erste Mal seinem Hauptmann begegnet, stand er dort im Raum und fand endlich die richtigen Worte. „Ich...bin mir bewußt, daß mein Zorn nicht zu Eurem Wohlwollen beiträgt, Herr Galariad, aber laßt mich sagen, daß all mein Handeln meiner Zuneigung zu Eurer Tochter entsprang, an der erst vor wenigen Stunden eine üble Tat begangen wurde, welche nun durch meine Hand gesühnt worden ist.“, sagte er. Galariad atmete tief ein und ich spürte, wie er sein Gewicht verlagerte und den Oberkörper leicht zurücknahm. „So, und welche Tat kann das gewesen sein, die nur durch die Faust gesühnt und nicht mit Worten verhandelt werden kann? Auch das werdet Ihr berichten.“, sprach er. Therowigs Kiefermuskeln bewegten sich leicht und er verengte die Augen, als er um Beherrschung ringend, das Gesicht zu Arnulf wandte. „Dies ist mein Vetter, Arnulf Bayard, und sein Auftrag lautete, in der vergangenen Nacht einen Ork gefangen zu nehmen und zu verhören. Die Sache, um die es hierbei ging, ist Euch bekannt. Nicht bekannt ist Euch, daß Nariena ihn in diesem Unterfangen zur Seite stehen sollte, denn Spuren in der Nacht zu finden, mag ihren Fähigkeiten entsprechen. Daß sie selbst aber in eine Falle geschickt wird, um jenen Ork hineinzulocken, ist gegen ihre Art und vor allem gegen sie selbst. Es hätte sie das Leben kosten können – und verzeiht mir, daß mich diese Nachricht so aufbrachte, aber ich habe sie erst wenige Augenblicke vor Eurem Eintreffen erhalten.“, fuhr Therowig fort und rieb sich dabei verhalten die Knöchel seiner Hand.
Galariad schob mich nun tatsächlich mit einem entschiedenen Griff seiner großen Hand hinter seinen Rücken; nicht aber, um mich länger von Therowig fernzuhalten, sondern von Arnulf, dem er sich zuwandte. Seine freie Hand wanderte an den Knauf des Schwertes, das an seinem Gürtel hing, und blieb darauf liegen. „Ist das wahr?“, fragte er den Jäger und seine Stimme wandelte sich von dunklem Unmut in kalte Verachtung.
Aber nicht Arnulf beantwortete meines Vaters Frage, sondern zu meinem größten Erstaunen war es Aegmar, der es plötzlich tat. Nichts hatte seine Anwesenheit angekündigt, aber er stand nun auf der untersten Stufe der Treppe, durchquerte rasch den schmalen Flur, der das Treppenhaus von der Wachstube trennte, und betrat den Raum. In der Hand hielt er eine kleine, braune Ledertasche, die mit Federn und Steinperlen bestickt war. Es war jenes Behältnis, das Arnulf selbst als Beutestück dunländischen Ursprungs benannt hatte und das die orkische Karte enthalten hatte, die uns das Geheimnis des steinernen Risses verraten hatte. „Ja, es ist wahr, er sprach es selbst zu Therowig. Ich habe es gehört – und es hat einen Ausbruch von Zorn zur rechten Zeit und zu dienlichem Zweck entfacht, der in jedem Fall von Herrn Galariad bemerkt werden sollte, will ich meinen.“, erklang Aegmars Stimme, ruhig und tief, neben mir, als er uns passierte und die Tasche auf den Tisch warf.
Er deutete mit einer Hand darauf. „Ich fragte mich schon seit ein paar Tagen, wo dies Ding verblieben ist. Wir verwahrten es mit anderen Hinweisen in dieser Halle auf – und dann war es auf einmal fort, unbemerkt, denn es schien von keinem großen Interesse mehr zu sein. Für Euch jedoch schon, denn in Eurer Kammer wars, Freund Arnulf. Warum aber? Ein Andenken an gute Freunde? Habt Ihr sie darum genommen und bei Eurem Besitz verwahrt?“, fuhr er fort, winkte aber mit der Hand ab, als Arnulf wütend und empört aufknurrte. „Ach, es ist auch unwichtig, warum Ihr sie an Euch nahmt – denn sie ist nur ein Indiz in einer Reihe vieler Indizien, die Ihr aber klugerweise nie zu einem Beweis habt werden lassen dafür, was Euch wirklich in die Mitte unser Schar getrieben hat. Gewiß erinnert Ihr Euch an den Alarm, der vor zwei Tagen gegeben wurde, als einige Dunländer sich plötzlich in die Nähe Mirobels wagten. Kurz zuvor habt Ihr die Feste verlassen, um die Bibliothek aufzusuchen. Nie zuvor war unser Feind uns so nahe – wer sagt mir, daß Ihr Euch nicht mit ihm getroffen habt, denn Ihr hattet die Bibliothek noch nicht erreicht, als ich ging, um Euch zu suchen und Euch zu warnen.“, fuhr Aegmar fort.
Arnulf bleckte die Zähne, sie schimmerten rötlich unter einem Schleier von Blut. „Das könnt Ihr in der Tat nicht beweisen...“, flüsterte er rau. „Ich habe nichts mit Dunländern zu schaffen, denn es sind Feinde meiner Heimat! Aber da ich das Dunland durchqueren wollte, um mich vielleicht doch irgendwie nach Rohan durchzuschlagen, wenn wir...wenn ich hier fertig bin...dann sollte solch ein Zeichen von Freundschaft und Bündnis mir eine sichere Passage gewähren.“, fügte er dann an und deutete ebenfalls auf den verzierten Beutel. Ob er es so meinte oder nicht, war ihm nicht anzusehen, aber Aegmar nickte.
„Was einen Ork ausgezeichnet hat, mag Euch ebenso stehen. Aber wie dem auch sei, beweisen kann ichs eben nicht, ob Ihr den Dunländern zugetan seid oder Euch nur ihrer Flagge bedient, denn niemand hat Euch mit ihnen gesehen. Auch kann ich nicht beweisen, daß die Vergiftung der Athelas-Vorräte nach Eurem Eintreffen in Emyn Lûm damit zusammenhängt, daß Ihr nur kurz zuvor davon erfahren habt, daß sich Euer Vetter Therowig dort aufhielt und verwundet niederlag. Aber daß Ihr Euch nicht scheutet, eine aus unserer Mitte absichtlich in Gefahr zu bringen – den Beweis habt Ihr durch Eure Worte selbst erbracht. Gewiß sollten jene Worte nicht an meine Ohren dringen, aber es gibt jemanden...der mich erst kürzlich den Nutzen des Lauschens gelehrt hat und ich will meinen, daß es in der Tat nicht unnütz ist.“
Aegmar warf mir einen Seitenblick zu, dann richtete er sich sofort wieder aufmerksam an Arnulf.

Der Jäger ballte langsam seine Hände zu Fäusten und spuckte aus, sein Brustkorb begann sich in einem heftigen Atemzug zu heben und seine Augen nahmen einen aufgebrachten Schimmer an. Er machte einen Schritt zur Seite, langsam, wie ein lauerndes Tier, das um seinen Bau herumschleicht und einen Eindringling erwartet. Der Eindringling war Aegmar und Arnulf fixierte ihn genau. Atemlose Momente lang fing er den Blick meines Fürsten ein, bevor er den seinen wieder schweifen ließ und und seine Augen uns alle streiften. Abwartend, beobachtend.
Er wog etwas ab, dachte ich. Zwei Gedanken, die in ihm um etwas kämpften. Mein Vater stand vor ihm, zwei Schritt entfernt. Aegmar hielt sich zu seiner Linken und Therowig war an Arnulfs rechte Seite getreten. Wohin Arnulf sich auch wenden würde, er wäre gefangen und das machte auch aus einem Jäger plötzlich selbst ein Tier. Arnulf war von wilder, freier Art und besaß große Stärke – ihn zu bedrängen konnte ein Fehler sein und ich legte behutsam eine Hand auf meines Vaters Oberarm, um ihn zu warnen.
Ich fürchtete, daß Arnulf einen Sprung tun könnte, wie eine Katze, die sich aus einem Käfig befreien will, der sich langsam um sie schließt. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut: es raubte einem Wesen, das gewohnt war, Freiheit zu atmen, die Luft und den Verstand. Aber dann wurde Arnulf plötzlich ruhig, das aufgebrachte Glimmen in seinen Augen verblaßte. Nichtsdestotrotz war er aufmerksam und seine Miene spiegelte nichts wider außer seiner enormen Kraft.
„Ich habe Therowig nicht töten wollen, auch wenn Ihr das vielleicht denkt.“, brummte er und Aegmar zog die Augenbrauen ob dieses Geständnisses nach oben. Er schürzte leicht die Lippen, als wüßte er nicht recht, wie er darüber denken sollte, daß Arnulf seinen Beschuldigungen so unvermittelt nachgab. Ich mutmaßte, als ich Aegmar ansah, daß mein Fürst nur geraten hatte. Gewagt und ohne die Vernunft, die ihm sonst so zu eigen war, nur Dinge anzunehmen, die ihm eindeutig bewiesen worden waren. Aegmar schien selbst über die Maßen überrascht zu sein, daß er sich mit dem Verdacht, den er ausgesprochen hatte, nicht geirrt zu haben schien.
Aber Arnulf schien jetzt auch kaum mehr eine Wahl zu haben; selbst wenn er den Vorwurf abstritt, der nun wie Blei zu seinen Füßen lag, würde ein Hauch an ihm haften bleiben, der ihm nie wieder Vertrauen oder Freundschaft bringen würde.

„Als ich hörte, daß Therowig in Emyn Lûm weilte, bin ich dort hingereist. Er hat mich gesehen, aber sich verhalten, als hätte er es nicht. Ich wußte, daß er in einer Schlacht verletzt worden war und ich habe sie gesehen...“, er reckte das Kinn in meine Richtung, so daß ich unbewußt einen halben Schritt hinter Galariads Rücken vortrat, als ich spürte, daß ich auf einmal angesprochen war. „Sie, die Tag und Nacht bei ihm weilte. Mir war rasch bewußt, welcher Art ihre Verbindung zueinander war. Und als ich dann die Gerüchte von einem neuen Übel im Süden hörte und Fuirgam schließlich zu mir kam, um mich darüber zu befragen, was ich über die Machenschaften Isengarts in Eregion und Enedwaith wüßte, da ahnte ich, daß er bald jemanden dorthin schicken würde. So kam es auch – und ich wollte verhindern, daß Therowig dieser Schar angehörte. Ich wollte ihn von Nariena trennen. Er sollte zurückbleiben. Allein.“, erklärte er.
Ich schüttelte erschüttert den Kopf und Arnulf sah mich an, Bitterkeit lag auf seiner Miene. „Aber warum?“, brachte ich hervor. „Warum wolltet Ihr das? Und warum habt Ihr das Athelas vernichtet? Es gab andere in der Feste, die verwundet waren, Euer Tun hätte so Viele treffen können!“, fuhr ich fort. Arnulf blickte mich nun nachsichtig und milde an und hob die Hand. „Glaubt mir, ich hätte das Heilmittel sofort ersetzt, nachdem Ihr abgereist ward. Genug hatte ich zuvor an mich gebracht, daß es ausgereicht hätte, um die Feste nicht mittellos zu lassen. Therowig sollte am Leben bleiben, um zu spüren, wie Einsamkeit und Verlust sich anfühlen. Ihr hättet ihn sehen sollen, wie erbärmlich er anzusehen war, nachdem Ihr sein Zimmer verlassen und Euch von ihm verabschiedet hattet. Er stand da....am Fenster und hätte am Liebsten geweint wie ein geschlagener Knabe!“, rief Arnulf dann aus.
„Ich verstehe es nicht.“, sagte Therowig matt, seine Wut schien glücklicherweise gänzlich verraucht und er beantwortete die schmähenden Worte seines Vetters auch nicht. „Ich weiß, daß Du versucht hast, Nariena von mir zu trennen – seit wir uns hier wieder begegnet sind, hast Du das gewollt. Und auch schon zuvor, auf Eurem gemeinsamem Weg nach Mirobel. Aber ich verstehe den Grund nicht, Arnulf.“ Therowig legte den Kopf schief und ich konnte ihm ansehen, das er das Gesprochene genauso bedauerte und mit großem Ärger aufgenommen hatte wie ich selbst. Arnulf reckte das Kinn und sein seltsames Lächeln legte sich wieder auf seine Lippen. „Tja, es mag Dir merkwürdig vorkommen nach all der Zeit. Du hast es wohl vergessen, so wie Du Vieles vergessen hast, da bin ich sicher, aber...was zählt ist, daß ich es nicht vergessen habe. Du hast mir viele Streiche gespielt, als wir Kinder waren. Und als wir heranwuchsen, da waren es noch mehr. Ich habe Dir jeden einzelnen verziehen, denn Du bist mein Vetter. Doch einen....einen nicht, denn dieser eine war zuviel. Aina hieß sie und ihr Haar war lang und so golden wie die aufgehende Sonne. Du wußtest, daß ich wirklich in sie verliebt war. Du wußtest, daß ich sie heiraten wollte, denn ich habe Dich um Deinen Beistand gebeten. Daß dieser ausgerechnet darin enden würde, daß Du sie....daß Du sie mir....daß ich sie an Dich verliere...“
Arnulfs Stimme ebbte ab, als sei es ihm unmöglich, seine Erinnerungen in Worte zu kleiden und das, was ihm widerfahren war, vor uns allen auszusprechen.
Aber in Therowigs Gesicht erwachte diese Erinnerung nun und auch er konnte sie nur in ein lautloses Seufzen kleiden. „Wenn Du es wenigstens ehrenhaft und ernst mit ihr gemeint hättest, Therowig, dann hätte ich Euch vielleicht sogar Glück wünschen können. Aber wie immer war es nur das kurzweilige Vergnügen, das Dich bewogen hat, sie in Dein Haus zu führen. Zu mir kam sie danach nicht zurück. Und nun, Therowig, da das Schicksal es zuguterletzt so eingerichtet hat, daß auch Du Dich verliebst – vielleicht zum ersten Mal in Deinem Leben wahrhaftig und aus einem Ernst heraus, der Dir lange fremd war - da wollte ich, daß Du Dich wenigstens eine Zeit lang so fühlst wie ich mich damals. Daß Dein Herz bricht und Du die verlierst, die Dir von allem am Meisten bedeutet. Nariena paßt gut zu Dir, sie hat einen ebenso wilden und unerschrockenen Geist wie Du. Und auch sie vergißt in so erlauchter Gesellschaft wie der des Fürsten Aegmar und seiner Schar gerne, wer sie wirklich ist. Fast wäre es auch mir bei so viel Ehrbarkeit und Edelmut um mich herum ergangen und ich hätte aufgegeben, weswegen ich gekommen bin. Aber eben nur fast.“, griente er und sah mich wieder an. Kurz jedoch nur, denn Therowig hob die Hände. Es war eine ergebene Geste, die ich nie zuvor an ihm gesehen hatte. Er atmete tief durch und schluckte und dann hob er die Augen in Arnulfs Gesicht.

„Es tut mir leid.“, sagte Therowig mit einer Aufrichtigkeit, die keinen Zweifel daran zuließ, daß er wirklich meinte, was er sprach. „Es tut mir leid, Arnulf. Und ich entschuldige mich für das, was ich einst getan habe. Ich wußte nicht, daß es Dir soviel bedeutet hat. In jenem Alter, in dem wir damals waren, haben wir viel vom Heiraten gesprochen, ohne es jedoch so zu meinen, denn sie alle waren schön und haben unsere Herzen betört. Ich...“, wollte er fortfahren, doch Arnulf schnitt ihm mit einer wilden Geste seiner Hand das Wort ab. „Das ist noch nicht alles, Therowig, nicht wahr? Erzähl Nariena, was geschah, als wir vor einigen Monaten nach Bree gelangten, gemeinsamen Auftrag aus des Königs Mund auf unser beider Schultern ruhend. Erzähle es ihr!“ Therowig öffnete den Mund, doch er sprach nicht weiter.
Ich tat es für ihn. „Ihr habt Bree erreicht, als Boten aus Rohan. Therowig verblieb dort und Ihr seid weitergezogen nach Norden. Ihr wolltet Euren Auftrag erfüllen, auch wenn Euch die Nachricht erreicht hatte, daß Ihr nicht mehr zurückkehren könntet, denn Krieg war über Eure Heimat gekommen und der Weg versperrt.“, sprach ich und gab preis, was Therowig mir einst berichtet hatte. Arnulf schüttelte den Kopf. „Das ist nur die halbe Wahrheit. Bevor ich Bree verließ und wir uns trennten, ist noch etwas anderes geschehen....na los, sag es ihr.“, forderte er seinen Vetter erneut auf.
Mein Vater räusperte sich leise und ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf sein zerfurchtes Gesicht. Ich sah ihm an, daß seine Gedanken kreisten ob der Dinge, die er vernommen hatte. Sein Zorn über Therowigs rohes Handeln hatte sich gelegt, aber was er nun hörte, stimmte ihn dennoch nicht guten Willens. Ich berührte abermals knapp seinen Arm, als ich nun gänzlich hinter ihm hervortrat und mich vor Therowig hinstellte. Aegmar lehnte sich gegen die Tischkante und verschränkte die Arme, auch in seinen Augen war zu lesen, daß er sich wohl eingestehen mußte, Therowigs Vergangenheit in einem neuen Licht betrachten zu müssen. Scherzhaft, und nur um mich aufzuziehen, hatte er mir einmal erzählt, wie vielen Röcken der Freund wohl nachgejagt haben mußte. Aber hier ging es um mehr. Um viel mehr.
Therowig zögerte noch immer, Arnulfs Aufforderung nachzukommen, doch dem Blick aller Augenpaare, die auf ihm ruhten, konnte er sich nicht länger entziehen. Vor allem mich betrachtete er mit einem Unbehagen, das Schuld ausdrückte und gleichermaßen den Widerwillen, diese Schuld anzuerkennen. FürchteteTherowig sich? Sah ich zum ersten Mal an ihm den Schatten von Angst – und das nicht vor einem bevorstehenden Kampf, der mit Klinge und Blut gefochten wurde, sondern mit bloßen Worten?
Aber irgendwo dahinter lag der Grund begraben, der uns den langen Weg bis an diesen Punkt der Geschehnisse gebracht hatte. Der uns zu entzweien gedroht, ihn und auch mich willentlich in Gefahr gebracht und diese Stunde noch düsterer gefärbt hatte im Angesicht dessen, was uns ohnehin bald erwarten sollte. Auch ich hatte Angst. Davor, daß er etwas sagen würde, daß mich dazu brachte, ihn als Fremden zu sehen und nicht mehr als den Mann zu betrachten, der er war: gut, edel und aufrichtig.

Therowig nickte langsam und dann begann er endlich zu sprechen: „Als...als wir Bree erreichten...damals...“, sagte er und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie mein Vater das Kinn anhob und jedes Wort, das Therowig nun sprechen würde, würde sich für immer in sein Gedächtnis einprägen. Ich kannte diese Geste nur zu gut, die er tat, wenn er sein Gegenüber einer Prüfung unterzog, die über Vieles entscheiden konnte.
Es war still im Raume und nur Therowigs Stimme erklang. Leiser als sonst, dafür umso ernster: „...und zum ersten Male in die Stadt einritten, da waren wir stolz. Wir hatten kräftige Pferde, wie man sie selten gesehen hatte in dieser Gegend, denn sie stammten von Rohans Roßfeldern und wenige Tiere sind von edlerer Art. Unsere Rösser waren geschmückt mit prächtigen Decken, die das Wappen eines Königs trugen, von dem man hier nur in Erzählungen gehört hatte und in jeder von ihnen mochte er an Ruhm gewonnen haben, der schließlich bis zu den Wolken hinaufreichte. Unsere Rüstung war von bronzener Farbe und glänzte und unsere Helme zierte ein mächtiger Pferdeschweif. Ich selbst trug ein Schwert, dessen Griff von goldener Farbe war und das mein Vater für mich hatte schmieden lassen, als mein König uns aussandte. Ich war sehr stolz darauf, denn es gab keinen Blick, der nicht voller Bewunderung dafür und unser Erscheinen gewesen wäre.“, sagte er und sah zu Arnulf, der nun fest die Lippen aufeinanderpreßte, als Therowigs Worte uns alle langsam in die Vergangenheit zurückführten, die für ihn ruhmreicher gewesen war als seine Gegenwart.
„Unsere Helme...die haben wir als Erstes verkauft. Die Pferde folgten alsbald, denn als wir feststellten, daß wir Bree nicht mehr verlassen konnten, daß unsere Heimat abgeriegelt war und wir nicht mehr würden zurückkehren können, weil der Krieg langsam erwachte, da war es nur eine Frage der Zeit, bis wir sie nicht mehr ernähren konnten: das Geld ging uns aus. Unsere Rüstungen wurden mit der Zeit matt und unsere Kleidung zerschliss, weil wir in den Wiesen und unter den Bäumen schlafen mußten. Blicke voller Bewunderung gab es nicht mehr. Die Helme brachten ein paar Nächte in einem Gasthaus ein und warmes Essen dazu, aber auch dies konnte nicht von Dauer sein. So verkauften wir auch die Rüstungen. Das Einzige, das ich nie versetzt habe, war mein Schwert. Und bei Helm Hammerhand, selbst wenn ich verhungert wäre, ich hätte es nicht gewagt, mich davon zu trennen! Ebenso behielt Arnulf seine Armbrust, die ihm sein Vater mitgegeben hatte. Mein Onkel. Der Hunger kam in der Tat und wir hatten schließlich nichts mehr, das wir hätten verkaufen können. Unser Stolz gebot es uns, eher zu sterben, als um ein Almosen zu bitten, wie es Viele in den Straßen Brees taten, die wir stets mit Abscheu bedacht hatten. Uns selbst traf nun die Abscheu. Und vielleicht wären wir sogar verhungert, wenn ich nicht eines Tages auf Aegmar getroffen wäre, der nach Bree kam, und nach Schmieden, Schneidern und Bauern gesucht hatte, um seine Schar zu rüsten und zu versorgen, die er unter seinem Banner in den Krieg führen wollte. Ich habe nicht gezögert, ihn anzusprechen. Ich war kein Schmied, auch kein Bauer – aber ich war ein Krieger und ich hatte noch mein Schwert. Aegmar sah mich an. Er brauche keine Söldner, er brauche aufrechte Recken, die mit dem Herzen kämpfen, sagte er. Mir sank nicht der Mut, denn auch wenn ich keineswegs mehr aussah wie ein Soldat, sondern mehr wie ein heruntergekommener Dieb, so wollte ich nicht aufgeben. Er ließ zu, daß ich ihm erzählen konnte, was mir widerfahren war – und schließlich...willigte er ein, mich aufzunehmen. Was ihn bewog, weiß nur er selbst. Mitleid vielleicht, Großmut...gesagt hat er es mir nicht.“


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#21

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 20.02.2011 05:25
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Therowig machte eine Pause und stieß tief die Luft aus. Aegmar verschränkte die Arme. „Weder Mitleid noch Großmut, sondern Erkenntnis war es.“, sagte er und sein Blick ruhte nachdenklich auf dem Freund. „Was man am Äußeren sieht, mag nicht immer auf das Innere zutreffen. Das habe ich schon vor langer Zeit gelernt.“, fügte er an und obgleich ich Aegmar nicht sehen konnte, denn er war in meinem Rücken, wußte ich, daß seine Augen auch mich streiften, als er den Kopf wieder senkte.
Arnulf straffte sich nun. Unbewegt hatte er dagestanden und Therowig angestarrt, hatte jedes Wort von ihm wie kostbare Atemluft eingesogen und erwartete nun, daß er aussprechen würde, worauf er solange gewartet hatte. „Los, sag ihr, wie es dann weiterging...nachdem Aegmar Dich an seine Seite geholt hat. Sag ihr...und den anderen....was dann geschehen ist.“, knurrte er und Therowig hob den Blick.
Er sah Aegmar an, dann sah er mich an und schüttelte den Kopf. „Es ist nichts geschehen.“, sagte er knapp und ich schnappte überrascht nach Luft. Beinahe ungläubig fiel die Anspannung von mir ab und das Pochen meines Herzens verklang. Ich blinzelte einmal und sah Therowig verständnislos an. „Was...meinst Du damit, daß nichts geschehen ist? Ich dachte...Du hättest etwas getan, das Arnulf irgendwie....“, begann ich und wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Arnulf kam zu uns herüber und stellte sich nahe neben seinen Vetter, sich leicht zu ihm hinabbeugend. „Versteht Ihr nicht, Frau Nariena? Genau das ist es: es ist nichts geschehen, weil Therowig nichts getan hat. Gar nichts. Er ritt mit seinem neuen Herren davon, ohne sich um das zu kümmern, was hinter ihm lag. Hast Du Herrn Aegmar jemals erzählt, daß Du nicht alleine warst? Daß es noch jemanden gab, der seine Hilfe genauso gebraucht hat, wie Du selbst?“
Arnulf richtete sich auf und sah mich an. „Er ließ mich zurück, wie er es immer getan hat. Verletzt. Doch diesmal nicht nur im Herzen, sondern auch in der Seele. Ich hätte verhungern können und es hat ihn nicht mehr gekümmert, denn sein Bauch wurde nun gefüllt.“, sprach er und spie dann verächtlich aus.
Therowig hob abrupt wieder den Kopf. „Du warst nicht mehr in Bree, als ich zurückkam!“, widersprach er. Arnulf schnalzte mit der Zunge. „Woher willst Du das wissen? Hast Du überhaupt versucht, mich zu finden, oder ist das nun nur eine Ausrede, um noch einen letzten Rest Ehre zu retten?“, gab Arnulf bissig zurück. „Bei Helm Hammerhand, natürlich hab ichs versucht, aber Du warst fort. Du bist in die Wälder gegangen, hat man mir gesagt – und wer wüßte besser als ich, daß ich Dich dort niemals wiedergefunden hätte. Du warst von uns beiden immer der Jäger, der sich überall zurecht fand – wohin wir auch gingen. Du hast jeden Pfad entdeckt, war er auch noch so versteckt und schmal. Ich...hatte nur eine Klinge, mit der ich etwas anzufangen wußte, sonst nichts.“, erwiderte Therowig erneut und in den Gesichtern beider Männer sah ich wieder den Zorn auflodern. Arnulf schüttelte den Kopf. „Nein, Du hast mich vergessen. Und etwas anderes werde ich Dir nicht glauben.“, sagte er und es schien sein letztes Wort. Nur noch seine grauen Augen sprachen jetzt und was darin zu deuten war, war nur noch das verbitterte Aufbäumen eines gejagten Tieres, das jeden Augenblick zum vernichtenden Sprung ansetzen konnte.

Ich hörte Galariad tief die Luft einziehen. „Hm.“, machte er und kaute für einen Moment auf seiner Unterlippe. „In der Tat nicht das, was ich gern über den Mann gehört hätte, in dessen Hand ich die Hand meiner Tochter zu legen gedachte. Einen Fehler habt Ihr begangen, Herr Therowig, und zwar einen, der schwer zu verzeihen ist, denn er entstand aus Eigennutz heraus. Eure Lage war verzweifelt und dennoch meine ich, daß es der größte Frevel ist, trotzdem nicht auch an die Verzweiflung anderer zu denken. Aber...es gibt wenige Leben, die frei von Fehlern sind. Und wenn sie eingestanden und bereut werden, so können sie vielleicht irgendwann verziehen werden.“, sagte er und wandte sich an Arnulf. „Verziehen, nachdem um Verzeihung gebeten wurde – und nicht gerächt. Vor allem nicht gerächt auf eine Art, die ebenso niederträchtig ist und sich auch gegen solche wendet, die unschuldig sind. Ihr werdet Euch verantworten für das Unheil, das Ihr über Viele gebracht habt. Ich bin sicher....Fürst Aegmar wird eine geeignete Lösung finden, wenn andere Dinge geschehen sind, die eilen und die erledigt werden müssen. Nicht zuletzt das Tor nach Moria zu beschützen, nicht wahr?“, fuhr er fort.
Ich hörte, wie Aegmar sich erhob. Der Tisch, an dem er gelehnt hatte, ächzte leicht und die Balken, aus denen er gezimmert war, knarrten. Sein Stiefel hinterließ ein scharrendes Geräusch auf dem kalten Steinfußboden und ich spürte, wie er schwer nickte. „Ja.“, sagte er nur und es war einer der wenigen Momente, in dem selbst Aegmar nicht seine unerschütterliche Ruhe bewahren konnte und zuerst seine Gedanken klären mußte. Er atmete tief durch und seine Stirn runzelte sich. „Ich...denke, es ist das Beste, wenn ihr Euch in Eure Kammer begebt, Arnulf. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr sie nicht verlaßt, bis wir zurückgekehrt sind. Dann....beraten wir weiter.“

Arnulf fuhr zu ihm herum und ich spürte einen leisen Lufthauch auf meinem Gesicht. Aber ich konnte den Blick nicht von Therowig nehmen, der nun stumm dastand und ihn nicht erwiderte. „Ihr wollt mich einsperren?“, fragte Arnulf, seine Stimme erklang direkt neben mir. Der Unterton, den sie plötzlich hatte, hätte mich warnen sollen, aber er tat es nicht, denn zu sehr war ich darin gefangen, auf meine eigene Stimme zu lauschen, die wild in meinen Gedanken wütete. Meine Vorstellung sträubte sich immer noch, einzusehen, daß es tatsächlich Therowig gewesen sein sollte, der jemals in seinem Leben einen anderen zurückgelassen haben sollte. Er hatte versucht, seinen Vetter zu finden, davon war ich überzeugt. Und ich glaubte ihm, als er sagte, daß er dazu nicht imstande gewesen war. Ich wollte es ihm einfach glauben. „....lasse mich nicht einsperren. Weder Ihr noch sonst jemand in diesem Teil der Welt, hat das Recht, über mich zu richten, denn ich unterstehe nur dem Herren Rohans – selbst wenn dieser der Erste gewesen sein mag in einer langen Reihe von Ereignissen, der die Seinen im Stich ließ. Nie hat er versucht, jene zurückzuholen, die er in die Fremde gesandt hat und die seitdem verschollen sind.“, nahm ich Arnulfs Stimme verschwommen an meinem Ohr wahr. Die meines Vaters mischte sich ein. „Dem muß ich widersprechen.“, sagte er. „Ihr selbst wart es doch, ebenso Euer Vetter, der Briefe an jene im Exil zu überbringen hatte. Und was Euch selbst betrifft: es brach Krieg über Rohan herein, dem er sich annehmen mußte. Das hat ihn gewiß mehr beschäftigt als ein verschwundener Bote!“
Eine Strähne blonden Haares berührte meine Wange, als Arnulf wild den Kopf schüttelte, aber ich strich sie nur zur Seite, wie eine lästige Mücke. Abwesend und beiläufig; noch immer war ich nicht gewarnt, noch immer weilten meine Sinne auf dem, was ich glauben wollte und dem, was ich gehört hatte. Ich merkte nicht, wie nahe Arnulf plötzlich bei mir stand.
„Krieg, den er nicht alleine bestreiten kann! Die Bayards haben dem Hause Eorls stets treu gedient!“, hallte Arnulfs hitzige Stimme durch den Raum und ging schließlich unter in einem lauten Vielklang, der nun voller Streit entbrannte. Ein neuer Streit, der verwirrend war, und Recht und Unrecht durcheinander warf. Ein verworrenes Rauschen von Stimmen erhob sich.
Und so hörte ich es nicht kommen und sah es auch nicht, als ein Arm plötzlich nach mir griff, mich herumriß und sich fest um meinen Hals preßte. Ich schluckte nur überrascht und stellte dann fest, daß ich dann nicht mehr schlucken konnte, denn meine Luftröhre wurde zusammengedrückt. „Ihr wißt nichts! Und wenn Ihr es wagt, mich anzurühren – dann stirbt sie auf der Stelle. Ich gehe jetzt und ich nehme sie mit. Jagt Eure Orks, darum seid Ihr hier. Und ich vollende, warum ich gekommen bin.“, zischelte Arnulfs Stimme an meinem Ohr.
Ich riß die Hände nach oben und meine Finger klammerten sich um seinen Unterarm, der sich so fest gegen meine Kehle drückte, als würde mein Kopf gegen eine Wand aus Stein gepreßt. Ich brachte ihn nicht wieder davon ab. Schwindelig wurde mir, weil ich keine Luft mehr bekam und weil mich die Erkenntnis traf, daß Arnulf mich abgelenkt hatte. Mich wieder einmal betört und hervorgelockt hatte, ohne daß ich es bemerkt hatte. Und nun steckte ich erneut in der Falle.

Er hatte uns alle in seine Geschichte verwickelt, unsere Gedanken eingefangen und sie auf Therowig gelenkt, als es für ihn selbst schon längst keinen Ausweg mehr gab. Wer hatte Arnulf da noch angesehen? Ich hatte es nicht getan und die Hände und Fäuste, die sich nun nach ihm reckten, als meine Gefährten sich alle gewahr wurden, daß sie es ebenfalls nicht mehr getan hatten, sanken wieder unter Flüchen nieder. Niemand rührte Arnulf an, nur ihre Blicke trafen ihn. Sein Arm war stark, kräftiger noch, als ich es vermutet hatte. Mit einem einzigen Ruck konnte er mir das Genick brechen. Und so wurde ich ganz still. Ich zwang mich dazu. Ruhe. Ruhe, Nariena, nur die Ruhe, sprach ich zu mir selbst. Ich wußte, wie es Arnulf in diesem Moment erging. Ich kannte das Gefühl, auch den letzten Weg gehen müssen, um etwas zu Ende zu bringen, selbst wenn dort der Abgrund lauerte. So wußte ich auch, daß er alles tun würde, um ihn zu erreichen. Ruhe. Das war alles, was ich nun tun konnte, um nicht mit ihm unterzugehen.
„Bleibt, wo Ihr seid...“, knurrte Arnulf dunkel. Dann zog er mich mit sich in Richtung der Tür und als er sich dabei einmal vorbeugte, um noch die Dunländer-Tasche vom Tisch aufzuheben und sie an sich zu nehmen, drückte sein Arm sich so fest in meinen Hals, daß mir für einen Moment die Besinnung schwand. Doch Arnulf ließ mich weder fallen, noch gab er mich frei. Er schüttelte mich leicht und ich kam zu mir, wie die kalte Winterluft mich traf, als er nach draußen in den Hof trat.
Erelias stand dort, etwa zwanzig Schritt entfernt.

Er hatte getan, was Aegmar ihm aufgetragen hatte: unsere Ausrüstung und leichtes Gepäck für unseren Ritt zusammengetragen. Arnulf hielt abrupt inne, als er den Elben sah und starrte ihn an. Erelias' Augen verengten sich und seine Lippen bewegten sich tonlos. Er streckte einen schlanken Arm aus und griff behutsam an den Sattel des Pferdes, das er noch am Halfter gehalten und zu den anderen geführt hatte. Sein Bogen hing am Knauf und er hob ihn langsam herunter. „Nicht!“, rief eine Stimme hinter mir. Es war die meines Vaters. „Bei allem, das noch Vernunft besitzt, haltet ein und nehmt den Bogen herunter!“
Arnulf lachte leise und beugte sich zu mir. „Ein braver Elb, gehorcht einem alten Mann aufs Wort.“, schmunzelte er und schob mich dann weiter. Mir fehlte die Atemluft, um etwas zu antworten. Mir wurde wieder schwindelig und ich spürte nur noch, wie wir weiter durch den kalten Schnee schritten, der den Hof bedeckte. Die Kälte kroch hinauf in meine Knie, in meine Schenkel und in meine Hüfte. Ich hatte keinen Umhang, keinen Mantel bei mir, und begann zu zittern. Vielleicht war es auch nicht nur die Kälte, die mich zittern ließ: ich spürte ein bedrohliches Ziehen in meinem Nacken, als Arnulf Erelias mit einer Bewegung seiner freien Hand zur Seite scheuchte und seinerseits den Sattelknauf ergriff. Ich hörte Erelias nicht, seine Schritte verursachten kaum einen Laut auf dem weichen Schnee, aber ich spürte, wie er sich entfernte. „Steig auf.“, raunte Arnulf mir zu und sein Griff lockerte sich leicht. Nicht weit genug, daß ich mich hätte nach unten fallen lassen und aus seinem Arm entgleiten können, aber ich spürte wieder einen Schwall frischer Luft in meine Lunge dringen und sog sie gierig ein. „Es tut mir leid, daß es so kommen mußte, das meine ich so. Aber glaub nicht, daß ich nicht ernst meine, was ich nun angefangen habe, Mädchen.“, fuhr er fort und ich hatte beileibe auch keinen Zweifel daran.
Ich tastete nach dem Sattelknauf und berührte Arnulfs Hand dabei. Ich wollte die meine zurückziehen, aber er griff danach und hielt sie fest. Ich zog mich auf den Rücken des Pferdes und Arnulf verlor keinen Augenblick, es mir gleich zu tun. Er kam hinter mir in den Sattel und sofort spürte ich wieder seinen Unterarm an meiner Kehle. Er ergriff die Zügel und tippte sich zum Abschied an die Schläfe. „Vielleicht lasse ich sie an der Grenze laufen – aber das hängt davon ab, ob Ihr so dumm seid mir zu folgen oder nicht. Also tut lieber nichts Törichtes und kümmert Euch um die Orks.“, rief er. Seine Stimme klang dumpf an den Mauern wider. Und dann trat er dem Pferd in die Flanken, das es einen Satz machte und riß die Zügel herum. Mein Rücken wurde an Arnulfs Brust gepreßt und der Torbogen der Feste verschwand irgendwo hinter uns. Das Pferd stolperte das gefrorene Pflaster entlang, das den Hügel von Mirobel hinab in die Ebene bedeckte und den Weg nach Süden öffnete.
Süden, wo Enedwaith lag. Und die Pforte von Rohan.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 30.04.2011 02:33 | nach oben springen

#22

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 30.04.2011 02:33
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Eine Krähe hatte auf der Turmspitze gesessen. Ihr Schnabel war lang und gelb und ihr Gefieder dicht und schwarz. Den ganzen Morgen schon hatte sie auf einem zerbrochenen Ziegel gehockt, ab und an den Kopf ruckartig nach unten bewegt, wo in der Tiefe der verschneite Hof der Feste von Mirobel lag. Kein Wurm, kein Insekt, das der Winter verschont haben mochte, hatte die schützenden Ritzen und Spalten in dem alten Gemäuer verlassen, wo sich noch ein Rest der aufsteigenden Wärme aus dem Inneren des Gebäudes festgesetzt haben mochte. Aber Krähen waren geduldig und dies nicht der erste Winter, den sie erlebt hatte. Ihre glänzenden Federn wärmten sie und sie preßte die Flügel eng an den Leib. Sie blinzelte einmal und dann schlossen sich ihre Augen langsam, denn das lange Warten hatte sie schließlich schläfrig gemacht.
Doch mit einem Male erwachte sie und riß den Kopf wieder in die Höhe, breitete erschrocken die Flügel aus und stieß sich mit den Krallen von ihrem Ziegel ab, um sich so rasch sie konnte in die kühlen Lüfte zu erheben. Aufgeregt überquerte sie den Hof, flog einen Bogen über das schimmernde Weiß unter ihr und ließ sich mit schlagendem Herzen auf der großen Mauer nieder, die im Norden die Festung begrenzte.
Einer der Menschen, die seit geraumer Zeit die Feste bewohnten und hier ihr Quartier aufgeschlagen hatten, hatte plötzlich laut und wütend aufgeschrien und war hinaus auf den Hof gestürmt. Seine Stiefel warfen den Schnee zu wehenden Schwaden auf, als er vollkommen außer sich zum Torbogen im Osten rannte und dort unter dem runden, gemeißelten Portal in die Knie brach und nach vorn auf seine Hände fiel.
Die Krähe legte den Kopf schief, noch immer erschrocken und aufgebracht verfolgte sie, wie der Kopf des Mannes auf seine Brust sank und er schwer zu atmen begann. Rotbraun war sein Haar und der aufgewirbelte Schnee verfing sich darin, als er sich langsam wieder zu senken begann. Seine Gefährten folgtem ihm, eilten an seine Seite – und einer von ihnen durchquerte sogar das Portal und lief einige Schritt weit den gepflasterten Pfad hinab, der von der Feste in das Land darunter führte.
Aber keiner von ihnen ging weiter, keiner wagte es, Mirobel zu verlassen. Sie alle starrten nur fassungslos einem Pferd nach, das wenige Augenblicke zuvor zwei Reiter aus der Feste getragen hatte und alsbald in der Ferne verschwand.

„Ich bringe ihn um!“, schrie der Mann, der immer noch unter dem Torbogen kniete und sich nun langsam aufrichtete. Deutlich setzte sich nun sein rotes Haar von seinem schneebestäubten Wams ab. Die Krähe breitete wieder ihre Schwingen aus, bereit zur erneuten Flucht – aber der Ausruf galt nicht ihr. Er mochte einem der beiden Reiter gegolten haben, denn kein Blick war auf den Vogel gerichtet worden. Nein. Die Blicke wurden nun gesenkt und rückwärts gerichtet. Ein letzter Gefährte verließ den Turm, es war ein älterer Mann, das dunkle Haar silberdurchwoben. Seine Hand ruhte nahe seinem Herzen auf seiner Brust und er ging leicht gebeugt einher, als hätte er an jener Srelle eine schwere Verletzung erlitten.
Und das hatte er. Keine Wunde war ihm geschlagen worden, kein Pfeil hatte ihn getroffen, aber in seinem Inneren brannte ein großer Schmerz. Mit langsamem Schritt trat auch er irgendwann unter den Torbogen, als sei dieser die Kreuzung eines ungewissen Scheidewegs und er wüßte nicht, wohin er sich nun wenden sollte. Er sah auf, dann sah er wieder nieder. Seine Augen schlossen sich, wandten sich schließlich in weite Ferne – bis er dem rothaarigen Manne zu seinen Füßen eine Hand auf die Schulter legte und sie fest drückte. Dann schob er sie unter dessen Achsel und bat ihn kraftlos, aufzustehen.
Sie sahen sich an. „Ich bringe ihn um...“, wiederholte dieser atemlos, doch der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. „Ihr werdet nichts dergleichen tun, mäßigt Euch, Herr Therowig.“, mahnte er und atmete dann tief durch. Er ballte eine Hand zur Faust und hielt sie zwischen sich und seinen Freund. „ICH werde ihn umbringen!“, verkündete er dann duster und zog sich den Umhang fest unter dem Kinn zusammen. Ein langes Schwert schimmerte kurz an seiner Seite auf, bis der schwere, dunkle Stoff seines Mantels darüber fiel. Dann trat er zu jenem, der noch auf der Straße stand, weit hinter dem Tor, und hinab in die Ebene spähte. „Fürst Aegmar!“, sprach er und der Angesprochene fuhr wütenden Blickes zu ihm herum. „Bitte tretet wieder zurück – Arnulf sagte uns, das wir ihm nicht folgen sollten. Mag er zu diesem Zeitpunkt einen von uns erblicken, der seine Fährte im Auge behält, fürchte ich um das Wohl meines Kindes!“
Aegmar betrachtete den Redner einige Momente lang, dann nickte er schwer und folgte dem Rat. „Ihr habt Recht, Herr Galariad. Ich...“, begann er, doch Galariad hob die Hand und Aegmar schwieg. „Vor Euch liegen Entscheidungen – und da sie schwer für Euch zu treffen sind, werde ich das mit Verlaub für Euch tun. Ich weiß, daß Ihr ein Freund meiner Tochter seid, doch vor allem seid Ihr Anführer dieser Schar. Ich bedaure, daß ich Euch nicht länger folgen kann, obgleich ich eben erst angekommen bin, um Euch zur Seite zu stehen. Doch haben sich die Dinge gerade geändert und ich kann mein Versprechen nicht einhalten. Ich kann nicht mit Euch die Orks jagen, denn ich muß einem anderen Wesen nacheilen, das bei sich hat, was ich mehr liebe, als ich Euch sagen kann.“, sagte er. Aegmar nickte erneut. „Ich weiß. Und glaubt mir...hinge nicht soviel davon ab, daß der Ork, den ich verfolge, sterben muß, so wäre ich bei Euch. Nein, ich wäre Euch noch mit all meiner Kraft voraus geeilt.“, sprach Aegmar und seine Worte waren voller Zorn, Sorge und Traurigkeit gleichermaßen. „Es ist ein schlimmer Tag, an dem meine Schar nun zerrissen wurde und somit eines Teils ihrer Stärke beraubt ist, wo sie sie doch so dringend gebraucht hätte.“, fügte er an und fuhr sich unentschlossen über den dunklen Bart. „Aegmar!“, wandte sich nun auch Therowig an den Fürsten. „Wenn Herr Galariad geht, so will ich mit ihm gehen. Sobald er denkt, Arnulf einen angemessenen Vorsprung eingeräumt zu haben, der ihn in Sicherheit wiegt, will ich aufbrechen.“, rief er aus und Aegmar nahm die Hand herunter. Er starrte den Freund an. „Therowig, ich brauche Dich in der kommenden Schlacht!“, erwiderte er ernst, doch Therowig schien bereits entschlossen. Galariad legte ihm erneut seine Hand auf die Schulter. „Herr Therowig, brecht keinen Eid der Treue, den Ihr geschworen habt! Das wäre verwerflich und über die Maßen unehrenhaft. Nariena würde das nicht wollen, zu sehr schätzt sie Euich um Eurer Tugenden Willen!“, warf er ein. Therowig antwortete nichts darauf, er fing nur Aegmars Blick ein, der immer noch durchdringend auf ihm ruhte. „Dann muß mein Treuebruch eben mit Aegmars Segen geschehen...“, sagte er leise.

Momente verstrichen, in denen nun Stille einkehrte auf dem Hof. Kein Wort, kein Laut durchdrang sie und nur eine seltsame Schwermut legte sich zwischen die dicken Mauern, die jede Regung zu ersticken schien. „Aegmar! Bitte!“, brachte Therowig endlich hervor und seine Worte entrangen Aegmar ein Seufzen, das ergeben war und zugleich von folgenreichem Mißmut zeugte. Aber er willigte ein und nur eine Geste seines Kopfes brachte es zum Ausdruck. „Ja. Geh. Möge Elendils Stärke und sein Wohlwollen heute auf uns liegen, auf daß wir beide die Kämpfe bestehen, vor die wir gestellt wurden.“, flüsterte er und drehte sich dann um. Er verließ als Erster den Platz und trat zurück in den Turm.
Therowig sah Galariad an, der ihm zunickte. „Besprecht Euch noch mit Herrn Aegmar und dann kehrt zu mir in den Hof zurück. Noch wird Euer Vetter meiner Tochter nichts antun, denn noch braucht er sie, um sich einen raschen Verfolger vom Leibe zu halten. Wir haben etwas Zeit und seine Spuren im Schnee werden wir leicht sehen. Nariena wird einen Weg finden, uns dabei zu helfen – ich kenne sie gut. Und Ihr kennt sie auch.“, sprach er und ging dann, sein und auch Therowigs Pferd zu holen.
Therowig verließ wortlos den Hof, nur gefolgt von Erelias, der ebenfalls schweigend abgewartet hatte und noch seinen Bogen in der Hand hielt. Er ließ die Waffe sinken und hängte sie sich über seine schmale Schulter.
Aegmar sah nur kurz auf, als Therowig hinter ihm die Wachstube betrat, und unterbrach nicht das Anlegen seines Schwertgurtes, mit dem er begonnen hatte. Therowig atmete tief aus, als er nach seiner eigenen Klinge und seinem Umhang griff und sich dann wieder hastig zur Tür wandte. "Warte!", rief Aegmar ihm nach und es klang scharf. Selten hatte man einen solch donnernden Ton an ihm vernommen und er traf Therowig hart. Zögernd legte er die Hand auf den Türknauf und hielt inne. "Du weißt, wie dankbar ich Dir bin, Aegmar...", begann er, als er seinen Fürsten nahen spürte. Doch Aegmar entgegnete nichts darauf, sondern griff an das Revers von Therowigs Kragen. Mit einem Ruck riß er eine kleine silberne Spange ab, die daran angebracht war, und umschloß sie fest in seiner Faust. Dann wandte er sich ab und trat an das Fenster. Therowig sah ihm erschüttert nach. "Das war mein Offiziersabzeichen....", brachte er heiser hervor und Aegmar nickte. "Vielleicht wirst Du es wiederbekommen, sollten wir uns wiedersehen und Du den Willen hast, mir einen neuen Eid zu schwören.", erwiderte er knapp.
Therowig berührte die nun leere Stelle an seinem Kragen und schloß für einen Moment die Augen. "Wir haben beide viel verloren, Aegmar, denn unser Leben ist nicht so verlaufen, wie wir es uns einst erhofft hatten. Der Krieg kam - und mit ihm der Schmerz und die Trauer. Dunkelheit senkt sich über die Welt und ich werde nicht das wenige Licht erlöschen lassen, das noch darin brennt.", sagte er. "Dann geh und suche das Licht. Ich...werde die Dunkelheit suchen.", antwortete Aegmar. Es waren die letzten Worte, die sie miteinander sprachen.


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zuletzt bearbeitet 30.04.2011 02:33 | nach oben springen

#23

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 30.04.2011 03:47
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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Es war kalt und doch brannte mein Gesicht in lodernder Hitze, die mein Zorn und meine Scham gleichermaßen hervorrief. Ich war töricht gewesen und bar jeder Vorraussicht, für die ich mich stets gerühmt hatte. Und war es mir früher gleichgültig gewesen, wo ich mich befand, denn jeder Ort auf der Welt war mir recht, so wußte ich dafür in diesem Moment nur um so genauer, daß ich nicht war, wo ich sein sollte.
Das Pferd unter mir jagte in vollem Galopp über die weite Ebene dahin. Seine Hufen sprengten den Schnee in großen Schollen zur Seite und der Atem, der seinen Nüstern entkam, preschte voran wie eine Dampfwolke aus heißem Rauch. Ich schwankte und beugte mich immer wieder leicht nach vorn, denn ich wollte nicht Arnulfs Brust berühren, gegen die mein Rücken immer wieder unter seinem Griff gepreßt wurde. Er hielt mich fest, aber nicht mehr, um mich an einer Flucht zu hindern, sondern um mich sicher im Sattel vor ihm zu halten. Wie unsinnig mir seine Sorge nun vorkam, war er es doch gewesen, der noch vor Kurzem mein Leben bedroht und nicht gezögert hätte, es mir zu nehmen, wenn er sein eigenes dadurch gerettet hätte.
Aber wohin hätte ich auch fliehen sollen: selbst wenn es mir gelingen würde, aus dem Sattel zu springen, ich würde mir jeden Knochen brechen, wenn ich auf dem Boden aufschlug.
So ritten wir stumm weiter gen Süden - zu sagen gab es auch nichts. Wir waren uns beide unserer Lage nur allzu bewußt.

Vielleicht hätte ich nach vorn sehen sollen, meine Gedanken auf das richten, was Arnulf vorhaben konnte. Aber ich schaffte es nicht, denn all mein Sehnen war weit hinter mir zurückgeblieben. Ein Stich fuhr mir in den Leib, als ich daran dachte, wie meine Schar nun ohne mich ins Gebirge aufbrechen mußte. Denn bei Elendil, genau das würden sie tun. Sie konnten mir nicht zu Hilfe eilen, wenn Wichtiges vor ihnen lag, daß das Schicksal vieler beeinflussen würde. Ich konnte nur hoffen und in meinem Innersten flehen, daß sie erfolgreich sein würden und die Stunde kam, in der ich sie wiedersah.
Der fassungslose Blick in Aegmars hellen Augen hatte sich tief in mein Empfinden gebrannt. Und Therowigs Zorn - dieser unbändige Zorn, den er so lange bezwungen und es doch vergebens getan hatte. Um seinetwillen reute mich meine Unachtsamkeit am meisten und ich spürte, wie die Hitze in meinen Wangen nun auch mein Herz erreichte. Ich atmete tief und schmerzvoll aus und Arnulf lockerte seinen Griff nun vollends, als er es bemerkte.
Ich drehte den Kopf leicht über meine Schulter und sah ihn das erste Mal seit seiner Flucht an. Seine Miene war starr und duster und verdunkelte sich noch mehr, als ihn die Verachtung in meinen Augen traf. Dann stoppte er plötzlich seinen wilden Ritt und zog die Zügel des Pferdes an, um es zum Stehen zu bringen.
Ich hielt erschrocken die Luft an, als Arnulf sich hinter mir bewegte und sein Leib meinen Rücken streifte. "Ihr seht mich gewiß zurecht so an, meine Dame. Und ich wünschte, die Dinge wären anders gekommen. Ihr dürft mich sogar einen Feigling nennen, der nicht durch das Schwert irgendeines Fürsten sterben wollte - aber seid Euch dennoch bewußt, daß Ihr hier draußen sterben werdet, solltet Ihr mit dem Gedanken spielen, mich vorzeitig verlassen zu wollen.", traf mich seine dunkle Stimme nahe an meinem Ohr. Ich wagte es, wieder auszuatmen. Ich war immer noch wie gelähmt vor Wut und Schreck, doch ich sprach ruhig, als ich antwortete: "Das weiß ich. Ich werde Euch folgen - und Euch noch eine Weile Sicherheit gewähren. Bis Ihr...mir die Kehle durchschneidet oder mich an einen Baum bindet und vergeßt."
Zu meiner Überraschung lachte Arnulf nun leise auf. "Euch an einen Baum binden? Ihr sprecht wie ein beleidigtes Kind. Ich werde nichts dergleichen tun, auch wenn ich in der Tat noch nicht genau weiß, was ich mit Euch anfangen werde. Ihr seid keine Jägerin, wenngleich auch flink und geländekundig. Aber...wie ich Euch kennengelernt habe, werdet Ihr Euch vermutlich in dieser Situation alle Mühe geben, mir ein Klotz und eine Last zu sein, damit ich Euch so früh wie möglich laufen lasse, weil Ihr einfach unerträglich und hinderlich für mein Fortkommen seid. Habe ich Recht?", fragte er und ich nickte widerstrebend. "So in etwa....", gab ich zu. Es amüsierte Arnulf weiterhin. "Nun...was auch immer Ihr Euch einfallen laßt, um mir möglichst lästig zu sein, seid Euch gewiß, daß ich äußerst geduldig bin, sonst hätte ich Euch schon vor Tagen die Kehle durchgeschnitten. Allein aus dem Grunde, nicht mehr mit Euch streiten zu müssen und Eurer scharfen Zunge zu entgehen. Ich bin weder ein Dummkopf noch ein Narr, Frau Nariena, und zum Glück auch nicht ganz der Unhold, für den Ihr mich haltet.", sagte er noch, dann trat er dem Pferd wieder leicht in die Flanken und es trabte an. Gemächlich diesmal. Sein Fell dampfte und ich schwieg. Wenigstens für einige Augenblicke, bis ich mich wieder zu Arnulf umdrehte. Fragend schaute er auf mich herab. "Eines noch...", begann ich und er hob eine Augenbraue. "...es wäre nicht das Schwert irgendeines Fürstes gewesen, daß Euch gerichtet hätte." "Sondern?" "Es wäre das Schwert meines Fürsten gewesen.", schloß ich und sah dann wieder nach vorn.
Arnulf wiegte den Kopf. "Ja, Ihr habt Recht. Ich nehme das zurück. Ich habe Edelmänner gesehen, die weitaus polierter waren als Euer Herr Aegmar und weniger zu sagen hatten. Trotzdem: ein Richtschwert bleibt ein Richtschwert, nicht wahr?", entgegnete er und ein eiskalter Schauer überlief mich, als ich plötzlich seine Hand über meinen Nacken streifen spürte.

Der Mittag mußte schon vorüber sein, als Arnulf das Pferd von dem Weg ablenkte, den er so strikt gen Süden eingehalten hatte. Hügel erhoben sich zu unserer Rechten und ein paar Bäume und Büsche reckten ihre kahlen Köpfe aus dem weißen Mantel hervor, der sie umschloß. Sorgsam lenkte Arnulf das Reittier über einen unsichtbaren Pfad zwischen ihnen hindurch, bis sie uns verschluckten. Es war windstill und ruhig, als er hinter einer der Anhöhen anhielt und schließlich aus dem Sattel sprang. Eine sanfte Talmulde umgab uns.
Arnulf streckte mir eine Hand entgegen, aber ich ergriff sie nicht und stieg selbst aus dem Sattel. "Es ist nicht einmal Nachmittag, solltet Ihr nicht wenigstens durchreiten, bis die Abenddämmerung einsetzt?", fragte ich und es war nicht ohne Spott. Arnulf verzog leicht einen Mundwinkel und bückte sich, um den Sattelgurt unter dem Bauch unseres Pferdes zu lösen. "Tja, sollte jemand so gedankenlos sein und uns tatsächlich verfolgen, wird er das wohl auch annehmen. Aber ich muß gestehen, daß ich nur ungern auf das Pferd verzichten möchte - und mit Verlaub, es ist bereits erschöpft. Es hatte schließlich schon einen langen Patrouillenritt hinter sich, bevor ich es mir ausgeliehen habe. Wir machen hier Rast und reiten weiter, wenn es dunkel ist. Verzeiht, daß mir wenig Zeit blieb, um an Vorräte zu denken. Ihr werdet also ein bißchen hungern müssen, bis ich uns etwas erjagen kann.", sagte er und ich wandte mich ab. Ich verspürte tatsächlich Hunger, aber gewiß keinen Appetit.
Ich ging ein paar Schritte und rieb mir über die Oberarme. Ich fröstelte, der Kälte und auch Arnulfs unheimlicher Ruhe wegen. Ich blickte auf in den Himmel. Er war grau, aber es würde nicht schneien. "Wenigstens das nicht...", dachte ich. Weniger um meiner selbstwillen, sondern eher in guten Wünschen für Aegmar, der zweifellos schon längst aufgebrochen war und die ersten Ausläufer des Nebelgebirges erreicht haben mußte.
Dann wurde ich jäh aus meinen Gedanken gerissen, als Arnulf mich plötzlich am Handgelenk packte und zu sich herumriss. Noch bevor ich ihm meinen Arm wieder entwinden konnte, hatte er eine geknüpfte Schlinge darum gelegt, die er wohl sonst verwendete, um ein Tier zu fangen.
Schon wieder hatte ich einen Fehler begangen: ich hatte ihm den Rücken zugewandt und nicht gesehen, was er dort hinter getan hatte: jedenfalls hatte er nicht den Sattel des Pferdes gelöst, sondern in dessen Taschen nach einem Seil gesucht. Ich biß mir auf die Unterlippe und unterdrückte einen Laut, als er mich erneut am Arm packte und zu einem der Bäume hinüberstieß. Er warf das andere Ende der Schlinge um den schmalen Stamm und band es fest. "Ich binde Euch doch lieber an einen Baum, aber ich verspreche, Euch hier nicht zu vergessen.", sagte er und zwinkerte mir zu, daß ich vor Empörung den Mund öffnete. So unpassend war diese Geste, so ungehörig! Aber ich konnte nichts tun, als ihn nur wütend anzustarren. Der Strick saß fest - und erst dann machte Arnulf sich daran, den schweren Sattel zu lösen.


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#24

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 16.05.2011 00:24
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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Aegmar biß die Zähne fest zusammen und schloß für einen Moment die Augen. Sein Kinn sackte ihm auf die Brust, als er tief durch die Nase die Luft einsog und sie sofort wieder ausstieß, bevor sie seine Lungen in starrendes Eis verwandelte. Ein zuckender Schmerz hatte seinen Arm getroffen, als er nach einem Felsen griff, um sich daran hochzuziehen. Seine Gefährten bemerkten es nicht, sie warteten tief unter ihm in seinem Rücken. Eine der vielen Felsspalten, die das Gebirge zerteilte, verbarg sie. Doch was Aegmar erblickte, als er sich endlich über den Felskamm gearbeitet hatte, waren nur weitere Gesteinsbrocken, trockene Büsche und gefrorenes Geröll. Erneut ließ er das Kinn sinken und griff unter seinen Mantel, wo das beinahe zerrissene Pergament steckte, das eine Karte dieser verlassenen Gegend unter dem Rothorn sein sollte. Steinschlag und Lawinen hatten die Pfade, die auf ihr eingezeichnet waren, längst verdeckt und Aegmar mußte sich schließlich umwenden und den Kopf schütteln. Auch hier gab es kein Weiterkommen, sie saßen fest - und das, wo sie bereits Stunden damit vergeudet hatten, die Ausläufer des Gebirges zu durchkämmen und einen Weg hinauf zum Paß zu finden. Das Sonnenlicht begann bereits zu verblassen und die Dunkelheit zog herauf - die Zeit drängte.
Mit einem lautlosen Seufzen ließ Aegmar die Hand von dem Felsen gleiten, an dem er sich festgehalten hatte, und sprang zurück auf einen Vorsprung, der etwa zwei Schritt unter ihm lag.
Er verankerte einen Fuß und richtete sich behutsam auf. Düster glitt sein Blick über die nebelverhangenen Gipfel des Gebirges hoch über ihm und dann über die wartende Schar zu seinen Füßen. Er mußte den steinernen Riß finden, das war das Einzige, das ihn tief in seinem Inneren beschäftigte.

So bemerkte er nicht, daß Aneawin irgendwann zu ihm heraufkletterte und neben ihn trat. Der Hauptmann mußte zweimal das Wort an seinen Fürsten richten, bevor dieser aufsah und ihm das ernste Gesicht zuwandte. "Es würde mir besser gefallen, wenn Du mit mehr Zuversicht dreinblicktest, Aegmar.", sprach er und runzelte die Stirn. Aegmar atmete nur tief aus und blickte dann wieder nach vorn. "Ragbash muß sterben, alles andere ist nicht wichtig.", entgegnete er und Aneawin beugte sich nun leicht vor, um Aegmars Blick wieder einzufangen. "Sprich nicht, als hättest Du nicht vor, aus dieser Schlacht zurückzukehren. Therowig fehlt uns, aber wir haben schon früher Schlachten ohne ihn bestritten. Fühl Dich nicht von ihm im Stich gelassen, Du hättest in seiner Lage vielleicht das Gleiche getan.", warf er ein und Aegmar nickte schließlich. "Ja, vielleicht. Ich weiß es nicht.", gab er zu und warf Aneawin einen knappen Seitenblick zu. Der Hauptmann war in einen dicken Fellumhang gehüllt, der kaum von der grauen Farbe des Gesteins zu unterscheiden war.
"Mich ärgert, daß ich es nicht vorausgesehen habe. Ich hätte Arnulf früher zur Rede stellen müssen, als er noch nicht die Gelegenheit hatte, uns alle zu entzweien, um sich für seine Einsamkeit zu rächen.", fuhr Aegmar fort und Aneawin wiegte den Kopf. "Du kannst nicht alles erahnen, was sich in der Welt zuträgt, Freund. Und Arnulf zu beschuldigen, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben, hätte uns weitaus teurer zu stehen kommen können, als es das ohnehin schon getan hat. Ich weiß, daß Du ihm nie getraut hast...", erwiderte er und Aegmar atmete erneut tief aus. "Ich dachte...wenn ich ihn in meiner Nähe behalte, wäre das klug. Aber das war es nicht, es war ein Fehler. Ich konnte unsere Schar nicht vor ihm beschützen.", sagte er. Aneawin nickte. "Glaub mir, daß er uns so ausgetrickst hat, nagt an unser aller Stolz. Aber...so unsinnig dieser Gedanke nun erscheinen mag...er hat jetzt Nariena bei sich und damit einen Gegner, der sich ebenfalls auf das Austricksen versteht. Weit wird er nicht kommen.", fügte er an. Ja, es war ein unsinniger Gedanke. Aber einer, der wenigstens ein kleines Schmunzeln auf Aegmars Gesicht zurückbrachte - so zynisch es auch sein mochte.
"Die anderen warten.", sagte Aneawin schließlich und wandte den Kopf um. Aegmar nickte und sein Blick fand Maethruth, der mit den Elben sprach, die ihm gefolgt waren. Viele waren es nicht, vielleicht zwei Dutzend, aber das mußte eben ausreichen. Wenigstens hatten sie einander auf der Straße gefunden und dieses eine Wiedersehen war nach Plan verlaufen.
"Wir sollten vielleicht unser Lager aufschlagen und im Tageslicht einen anderen Weg versuchen.", riet Aneawin dann seinem Fürsten. Aegmar drehte sich um und sprang auf einen weiteren Felsen unterhalb. "Nein. Ich werde Maethruth die Führung anvertrauen, nur Elbenaugen bringen uns jetzt noch weiter, wenn die Nacht hereinbricht. Und weiter müssen wir.", entschied Aegmar und überwand die letzten Meter, die ihn von seinem kleinen Heer trennten.
Maethruth trat ihm entgegen, als hätte er die Gedanken des Freundes bereits erraten. Er hob die Hand und gab ein Zeichen zum Aufbruch. Die Sonne verschwand in diesem Augenblick hinter dem gewaltigen Gipfel des Rothorn und tauchte seine zerklüfteten Hänge in Finsternis.


- ~ -



"Arnulfs Spur zu finden, wird uns ein Leichtes sein - sie jedoch in der Nacht nicht zu verlieren, nicht.", stellte Galariad fest, als er in Therowigs Begleitung langsam das Tor durchritt und die Feste hinter sich ließ. Als sie die Straße erreichten, warf er einen Blick zurück. Verwaist und still lag Mirobel nun da, denn alle hatten die alte Elbenstadt verlassen. Jeder auf seine Weise: manche im Guten, manche im Bösen.
Therowig runzelte die Stirn, als er sein Pferd südwärts lenkte und es in leichten Trab versetzte. "Er hat einen überaus großen Vorsprung erhalten, meine ich. Und ich kann nur hoffen, daß er nicht zu groß war. Wißt Ihr, Herr Galariad...irgendwie glaube ich aber, daß Arnulf irgendwo auf uns warten wird. Er ist geflohen, aber damit sind die Dinge noch nicht an ihrem Ende und er und ich haben uns nicht zum letzten Mal gesehen. Das weiß er so gut wie ich selbst.", meinte er und Galariad wirkte erstaunt. "Auf uns warten? Denkt Ihr wirklich, daß er so dumm sein wird?", fragte er und zog dann die Augenbrauen hoch, als Therowig ihm antwortete: "Ja...und wenn er nur sehen will, ob ich so dumm bin, ihm zu folgen."
Galariad lachte, als er die Worte des Gefährten vernahm. "Bei Elendil, dann gibt es wohl nur noch Dummköpfe in diesem Teil der Welt!", rief er aus und ließ die Zügel fahren. Sein Pferd beschleunigte in den Galopp und eine Wolke aus weißem Schnee erhob sich um seine schlanken Beine. Therowig folgte ihm rasch.



- ~ -



Ich spannte die Muskeln in meinen Arm an und zerrte so unauffällig, wie ich es nur konnte, an dem Seil. Ich brachte es nicht los und ließ ich mich schließlich auf meine Knie fallen. Das Pferd stöberte neben mir mit den Nüstern durch den pulverigen Schnee und schnaubte. Dann scharrte es einmal mit dem Huf und ein Schwall Schnee landete auf meiner Hose, als es seine verzweifelte Suche nach ein paar Grashalmen unter dem gefrorenen Weiß fortsetzte. Mißmutig betrachtete ich das Tier und sah dann die Flanke des Hügels hinauf.
Arnulf hatte sich vor einer Weile an den Aufstieg gemacht und war hinter der eisigen Kuppe verschwunden. Was er dort suchte, wußte ich nicht. Vielleicht wollte er spähen, vielleicht jagen. Mir blieb nichts, als auf ihn zu warten. Er hatte mir die Satteldecke umgehängt, bevor er gegangen war. Ich fror nicht mehr, aber dafür stieg mir ein Geruch nach nassem Pferdefell und Stroh in die Nase, der meine Stimmung nicht verbesserte. Sie war trübe und gespannt zugleich. Für den Moment wähnte ich mich in Sicherheit, aber das konnte sich mit einem Wimpernschlag wieder ändern.
Aegmar mußte das Gebirge erreicht haben, vielleicht hatte er sogar schon den Rothornsteig erklommen und schlug irgendwo in der Nähe des Gipfels sein Lager auf. Ich hoffte wieder, daß ihm das Wetter hold blieb, und nicht ein Schneesturm mit eisigen Winden seine Pläne verzögerte, gar verhinderte.
Hier unten in den Ebenen blieb es weiterhin still und klar und es würde eine bitterkalte Nacht werden. Wir würden sie nicht überstehen, wenn Arnulf nicht bereit war, ein Feuer zu entzünden. Doch dazu mußte er einen geeigneten Platz finden, vielleicht suchte er auch danach und hatte mich darum hier zurückgelassen. Ich wäre ihm gewiß keine Hilfe dabei gewesen, nicht einmal in meinem eigenen Interesse.

Es war stockdunkel, als Arnulf endlich zurückkehrte. Er rutschte den Hang hinab und breitete die Arme aus, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nur schemenhaft konnte ich erkennen, daß er dann einen Finger auf die Lippen legte und mich zur Ruhe gemahnte. "Es ist verflucht still hier, nichts und niemand regt sich.", flüsterte er, als er an mich herantrat und sich den Schnee von der Hose klopfte. "Außer uns.", gab ich zurück und er nickte beiläufig. "Ich konnte nicht einmal ein paar Schneehühner finden. Keine Krähen sind in der Luft, keine Füchse in den Büschen. Jeder, der atmet und bei Verstand ist, hat sich in seinen Bau zurückgezogen. Das Land wartet auf etwas. Etwas, das bald geschehen wird.", fügte er an und es klang unheilvoll. Er drehte den Kopf und verengte die Augen, als erwartete er, daß ihm etwas den Hang hinunter folgen würde. Dann griff er an mir vorbei und löste lautlos das Seil, das er um den Baumstamm gewunden hatte, um mich an der Flucht zu hindern. "Wir gehen nach Südosten.", raunte er. "Ich will den Grenzfluß Glanduin überqueren. Noch heute Nacht."
Ich fuhr auf, noch bevor Arnulf mich auf die Füße ziehen konnte und starrte sein dunkles Gesicht an. "Heute Nacht? Seid Ihr verrückt?", zischte ich ihn an und spürte gleichzeitig, wie er das Seil anzog, was zuerst meinen Arm und dann mich selbst nah an ihn heranzog. So nah, daß meine Handfläche gegen seine Brust stieß und ich die Hand flach darauf legte, um ihn von mir zu stemmen. "Als ich sagte....daß dieses Land auf etwas wartet, etwas, das bald passieren wird...meinte ich damit nicht, daß ich nicht weiß, was es sein wird.", hörte ich seine Stimme nahe an meinem Ohr. Ich konnte Arnulfs warmen Atem darauf spüren. Ein, zwei Momente brauchte ich, um zu erahnen, was er meinte. Ich preßte die Lippen fest aufeinander und der Druck meiner Handfläche gegen seinen Oberkörper ließ nach, wurde gar sanft, was ihn zu überraschen schien. Ich spürte sein langes Haar über meine Wange streichen, als er den Kopf senkte und meine Finger betrachtete. "Ihr meint Ragbash. Er kommt. Vielleicht habt Ihr ihn sogar gesehen, als Ihr fort gegangen seid....?", fragte ich und es klang freundlich.
Arnulf verlagerte sein Gewicht, aber weder bejahte noch verneinte er meine Frage. So fuhr ich fort: "Die Dinge stehen schlimm, Arnulf, aber nicht so schlimm, als daß Ihr sie nicht wieder wenden könntet...", sagte ich und es mußte beinahe zart für ihn geklungen haben. "Was meinst Du damit?", fragte er mich und seine Stimme klang rau. "Noch habt Ihr jede Gelegenheit, umzukehren und Ragbash in den Rücken zu fallen. Ihr könntet ihm folgen und Aegmar zu Hilfe eilen. Ich bin sicher, eine gute Tat würde eine schlechte aufwiegen.", fügte ich an und wußte im gleichen Augenblick, daß es ein gewagter Vorschlag war. Meine plötzliche Freundlichkeit änderte nichts daran.
Und so wähnte ich auch nur für einen winzigen Augenblick, daß Arnulf tatsächlich darüber nachdachte. Ja, nur für einen winzigen Augenblick - bis sich seine Hand ärgerlich um meine Kehle schloß.


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zuletzt bearbeitet 16.05.2011 15:30 | nach oben springen

#25

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 16.05.2011 15:34
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

"Versuch....so etwas... nicht noch einmal!", knurrte er und ließ mich dann abrupt wieder los. Ich schnappte erschrocken nach Luft und er preßte mir eine Hand auf den Mund. "Ruhig!", fuhr er mich zischend an. Ich schloß die Augen und zwang mich, meine Atmung zu verlangsamen. Gierig sog ich die Luft durch die Nase, bis mein Herz mir nicht mehr angsterfüllt gegen die Rippen schlug. Ich nickte, ich hatte verstanden.
Arnulf zog langsam die Hand von meinem Mund und löste dann meine Finger von seinem Wams, die sich darin verkrallt hatten. "Wir gehen. Und zwar nach Südosten! Wir müssen in Bewegung bleiben, dann werden wir auch nicht erfrieren, bis wir irgendwo einen Lagerplatz gefunden haben.", entschied er und ich hob den Kopf. Das Seil an meinem Handgelenk spannte sich wieder, als Arnulf zu unserem Pferd trat und ihm dem Sattel auf den blanken Rücken warf.
Ich folgte ihm, denn er hatte Recht: wenn wir kein Feuer entfachen konnten, mußten wir weitergehen.

Wir stiegen langsam den Hang hinauf und wandten uns nach Südosten, wo das verschneite Flußbett des Glanduin lag, der Eregion von Enedwaith trennte. Oft hatte ich jene Stelle betrachtet, wo der Sirannon in diesen Grenzfluß bei Mirobel mündete, aber nie seine steilen Ufer begangen.
Ich zog die Decke mit der freien Hand unter meinem Hals zusammen und atmete lautlos aus. Arnulf streckte eine Hand nach mir aus, um mir beim Abstieg zu helfen. Das Land jenseits der Hügel war flacher und fiel zum Fluß hin weiter ab. Besorgt warf ich einen Blick hinter mich und hielt ihn dann westwärts gerichtet, wo die alte Elbenstraße verlief, die wir so oft auf Kundschaftsritten in den vergangenen Tagen begangen hatten. Fast glaubte ich, daß jeden Augenblick die dunklen Silhouetten von Ragbash und seinem Gefolge vor meinen Augen auftauchen und wir direkt in seine Arme laufen könnten.
"Es stimmt.", erhob Arnulf plötzlich die Stimme, wenngleich immer noch gedämpft und leise. Er drehte sich nicht zu mir um, schien aber ein paar meiner Gedanken erraten zu haben. "Ich habe ihn tatsächlich gesehen.", fuhr er fort und ich schluckte. "Er war auf der Straße, nicht weit von der Talsenke. Ich bin sofort umgekehrt, für den Fall, daß er Dich und das Pferd gerochen hat.", sagte er dann und ich hörte ihn leise lachen. "Dann hättet Ihr nicht zu mir zurückkehren, sondern weit fort laufen sollen.", gab ich bissig zurück. "Er ist gewiß nicht allein und gegen ein Dutzend Uruks könnt Ihr nicht bestehen."
Arnulf blieb stehen und drehte sich zu mir um. Sofort blickte ich wieder gen Westen, denn es war kein guter Ort für eine Rast - mitten auf den Uferhängen des Glanduin. Orks sahen gut in der Dunkelheit, und Uruks vielleicht sogar noch besser.
Arnulf öffnete den Mund, aber er sagte nichts und ich stutzte. Würde er mir wieder die Hände an die Kehle legen und mich diesmal erwürgen? Nein, er tat nichts dergleichen, er zögerte noch immer und ich stutzte wieder. Ich nahm den Kopf leicht zurück. Er würde mich nicht umbringen, ganz im Gegenteil, und ich begann innerlich zu schmunzeln. Ich hätte es vielleicht nicht tun sollen, aber ich wagte es erneut, dicht an ihn heranzutreten. "Es wäre Euch gleichgültig gewesen, nicht wahr, wenn Ragbash Euch getötet hätte - zusammen mit mir. Ihr wollt nur kein Feigling mehr sein. Denn im Moment seid Ihr das...und es ist Euch zuwider.", sagte ich. Arnulf sog harsch die Luft ein. "Halt den Mund oder ich stopfe ihn Dir, bei Helm Hammerhand.", fuhr er mich an. Es erschreckte mich nicht. "Zweifellos würdet Ihr das....", erwiderte ich. "Es wäre gewiß eine weitere mutige Tat."
Mein Spott traf ihn, ich spürte es, ohne daß ich ihn dafür sehen mußte. Arnulf zog nur das Seil wieder an, das er nun wie eine Leine in der Hand hielt. Er zerrte auch an den Zügeln des Pferdes in der anderen und führte uns beide hinter sich her.
"Therowig hätte genauso gehandelt." sagte ich noch und er kam: der Punkt, an dem Arnulf endlich die Fassung verlor, und den ich hatte finden wollen. Wild stob der Schnee auf, als er augenblicklich auf dem Absatz kehrt machte. Sein Schatten fiel auf mich und ich sah auf in Arnulfs Gesicht. Es war verzerrt, in einem Widerspruch aus unbändiger Wut und verletztem Stolz.

Ich wartete auf seine Faust, als er sie hob und in meine Richtung niederfahren ließ. Aber sie traf mich nicht. Ich sprang zur Seite und um ihn herum, warf dabei die Pferdedecke ab. Plump fiel sie in den pulverigen Schnee. Das Pferd zuckte erschrocken zusammen und machte einen Ausfall, so daß es Arnulfs Arm mit sich riß, um den er die Zügel gewunden hatte. Als ich hinter den Jäger kam, schlang sich das Seil, an dem er mich hielt, um seine Mitte und zerrte seinen zweiten Arm in die entgegengesetzte Richtung. Er knackte im Schultergelenk, als er nach hinten gerissen wurde und seine Hand gegen seinen Rücken schlug. Im gleichen Augenblick noch trat ich in Arnulfs Kniekehle, daß er aufstöhnte und leicht nach vorne sackte. Aber das brachte ihn noch nicht zu Fall. Dennoch mußte er sich entscheiden, wen von uns Beiden er gehen lassen mußte: mich oder das Pferd, bevor einer seiner Arme brechen würde.
Ich trat erneut zu und Arnulf entschied sich: er öffnete seine Linke und mit einem ledrigen Schnappen lösten sich die Zügel von seinem Unterarm. Sie entglitten ins Nichts. Ich griff an Arnulf vorbei und gab dem Pferd einen groben, schmerzhaften Klaps auf das Hinterteil. Es wieherte auf, verdrehte die Augen - und dann preschte es davon. Arnulf ruderte nach seinem Gleichgewicht, um nicht vornüber zu kippen, als er verzweifelt versuchte, das Tier aufzuhalten, bevor es davongaloppierte. Aber er griff ins Leere und fuhr zornig herum. Ich entfernte mich rasch ein paar Schritte von ihm. Entkommen würde ich ihm nicht - aber ich konnte den Moment noch hinauszögern, in dem sein Zorn mich treffen würde.



- ~ -



Maethruth löste sorgfältig das Zaumzeug des großen weißen Pferdes, auf dem er geritten war. Bis zu diesem Ort, an dem er es gehen lassen mußte. Behutsam und mit ruhiger Stimme flüsterte er etwas in die aufgestellten Ohren des Tieres, dann wandte er sich ab und schulterte die große Tasche, die an seinem Sattel gehangen hatte. "Es ist ein Jammer....", raunte Aneawin bedauernd, als auch er seinem Pferd die Last abnahm und auf seinen eigenen Rücken umlud. Er kraulte seinem Hengst ein letztes Mal die dunkle Mähne und seufzte auf. "Auf den Schneefeldern vor uns sind die Pferde nutzlos, Freund. Wir können sie nicht weiter mitnehmen, sie würden nur stecken bleiben und uns unnötig aufhalten.", sprach Maethruth zu ihm und der Hauptmann nickte schwer. "Mögen sie ihren Weg nach Hause finden und nicht in die Fänge hungriger Orks geraten...", sagte er leise und schloß zu seinen Gefährten auf, die auf einem schmalen Pfad bereits auf ihn warteten. Sie alle mußten ihre Pferde zurücklassen, denn es war wahr, was Maethruth gesprochen hatte: vor ihnen lag der Westhang des Rothorn und der Schnee, der ihn bedeckte, war selbst für die Männer knietief und schwer zu durchdringen.
Mühsam kämpften sie sich weiter voran, ein jeder von ihnen versunken in seine Gedanken und tief verborgen in den dicken Mänteln und Umhängen, die sie trugen. Maethruth setzte sich wieder an die Spitze der kleinen Schar und nur er schien guter Dinge zu sein. Er hielt den Kopf aufrecht und blickte voran, niemals zurück.


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#26

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 16.05.2011 15:34
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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"Was ist das?", rief Therowig aus und richtete sich im Sattel auf. Irgendwo in der Nacht vor ihnen bewegte sich ein Schemen durch die Dunkelheit. Eine Silhouette nur, ein Alb - nebelgleich und doch von tieferem Schwarz als die Finsternis, die sie fernab des sternübersähten Himmels in der Tiefe umgab. "Ich weiß nicht...", murmelte Galariad. Auch seine Augen hatten die Gestalt wahrgenommen und er hatte sein Pferd angehalten. Es schüttelte widerstrebend den Kopf und sein Zaumzeug klimperte leise, als spürte es die Eile, die seinen Reiter innerlich erfüllte.
Therowig wandte den Kopf, als der Schatten an ihnen vorüberglitt und dann zog er fassungslos die Augenbrauen hoch. "Es ist ein Pferd! Aber es ist reiterlos.", sprach er und preßte die Hacken an den Unterleib seines Reittieres, um es rasch wieder in Bewegung zu setzen. Er jagte dem Schatten nach und brauchte nicht lange, ihn einzuholen. Das flüchtende Pferd war nicht so schnell, wie es in der Dunkelheit zunächst den Anschein gehabt hatte, dennoch schlug es einen verzweifelten Galopp an, als es Therowig bemerkte, der ihm nachsetzte.
Sein Fell dampfte, seine Nüstern stießen heißen, erschöpften Atem aus und es wehrte sich kaum, als Therowig sich hinüber beugte und in seine losen Zügel griff. Dennoch riß es den Kopf leicht beiseite und hätte seinen Verfolger beinahe aus dem Sattel gerissen. "Ho!", rief Therowig und schlang die Zügel um seine Hand. "Ho..."
Er preßte die Schenkel fest zusammen, um sich im Sattel zu halten. Das Tier, das er gefangen hatte, war erschrocken, seinem Besitzer durchgegangen und obgleich es mehr als atemlos war, hatte er alle Mühe, es zu beruhigen. Es tänzelte und Therowig mußte sich nun gefährlich weit zur Seite beugen, um es nicht wieder zu verlieren. Immer wieder versuchte es auszubrechen und sich zu befreien.
Galariad preschte nun ebenfalls heran. "Geht man so in Rohan mit einem verrückten Gaul um?", spöttelte er und Therowig warf ihm einen knappen Blick über seine Schulter zu. "Ho!", rief er erneut und schließlich schien das Pferd ihm nachzugeben. Es bäumte sich ein letztes Mal auf und blieb dann abrupt stehen.
So abrupt, daß es Therowig nun tatsächlich aus dem Sattel riß. Nicht schnell genug konnte er selbst auf den plötzlichen Stopp reagieren und sein eigenes Pferd zum Stillstand bringen. Es lief noch einige Schritte weiter, seines Reiters längst beraubt. Dumpf prallte Therowig auf den kalten Boden und knurrte, als er sich aufrappelte und auf die Füße sprang. Der Blick, den er Galariad nun zuwarf, war verlegen, auch wenn dieser es in der Dunkelheit vermutlich nicht sehen konnte. Er überholte Therowig stattdessen und fing das Pferd des Freundes ein. Dann machte er kehrt und schloß wieder zu ihm auf. "Habt Ihr Euch verletzt?", fragte er und es klang amüsierter, als es Therowig lieb gewesen wäre. "Nein." antwortete er knapp und rieb sich verhalten die Schulter. "Mutig, einem Gaul in vollem Ritt in die Zügel zu greifen. Nicht sehr elegant, aber wirkungsvoll. Ihr hättet Euch das Genick brechen können, mit solch einem Unterfangen müßt Ihr mich also nicht beeindrucken.", fuhr er fort. Ob Galariad spöttelte oder seine Worte ernst meinte, konnte Therowig nicht sagen - er hatte in der Gegenwart von Narienas Vater ohnehin ständig das Gefühl, nicht mit besonderem Ernst bedacht zu werden und einer steten Prüfung zu unterliegen. Vor allem, nachdem er in Mirobel seine Fassung verloren und sich zweifellos Galariads Mißbilligung zugezogen hatte. Aber vielleicht täuschte er sich auch und so atmete er nur tief durch und legte beide Hände auf den Kopf des scheuen Pferdes.

Es bewegte sich keinen Fingerbreit mehr, stand nur wie erstarrt vor ihm und blickte mit aufgerissenen Augen auf den Mann hinab, der es gefangen hatte. "Es muß meilenweit gelaufen sein, ich glaube nicht...daß es...noch sehr viel weiter gehen wird.", sagte Therowig leise und bedauernd. "Etwas hat es verschreckt und es hat einen Weg nach Hause gesucht."
Galariad nickte. "Es wird sterben. Aber es kann uns dennoch von Nutzen sein.", fuhr er fort und sprang aus dem Sattel, neben Therowig tretend. "Das Zaumzeug...", sagte er und deutete auf das feine, verzierte Leder, das sich um das Maul des Pferdes wand. Therowig ließ einen Finger darüber gleiten. Es war schwer, ein Muster zu erkennen und er blinzelte, aber das Leder war weich und ganz gewiß kunstvoll gearbeitet. Dann warf er einen Blick über seine Schulter. Das Pferd hatte auf jene Richtung zugehalten, aus der sie gekommen waren: Mirobel. Galariad trat um das Tier herum und bemerkte, das sein Rücken wund gescheuert war. Der Sattel hing schief darauf und es lag keine Decke unter. "Elbisches Reitzeug.", stellte er fest und fuhr mit der Hand über den glatten Sattel.
Therowig nahm schließlich die Hände von dem Kopf des Tieres und legte sie auf seinen Hals, als es mit den Nüstern gegen seine Brust stieß und dann langsam in die Knie sank. Es schnaufte. "Ich glaube, es ist Erelias' Pferd.", sagte er und Galariad wandte rasch den Kopf zu ihm. "Das würde ja bedeuten...es ist der Gaul, den Arnulf gestohlen hat. Aber...was macht er...ich meine...", begann er seinen Gedanken und verstummte dann.
Die Männer sahen sich in der Dunkelheit an. Stumm. Bis Therowig die Stille brach und aussprach, was sie nun beide zu hoffen gewagt hatten: "Wir haben soeben unsere Spur zu Eurer Tochter gefunden.", sagte er duster und deutete mit dem Kinn auf die Hufabdrücke, die vor ihnen im Schnee glitzerten. Sie führten nach Südosten.
Einen Moment lang noch starrten sie auf die aufgewühlte Spur, die sich durch den Schnee flügte, dann zog Therowig sein Schwert und setzte die Spitze behutsam auf den Hals des Pferdes. Es fiel langsam auf die Seite, sein Atem ging jetzt rasselnd und keuchend. Therowig preßte die Lippen aufeinander und schüttelte traurig den Kopf. Dann holte er tief Luft und stach zu.
Als das Pferd sich aufbäumte und zuckte, bevor es starb, zog er die Klinge wieder hinaus. "War das wirklich nötig?", fragte Galariad heiser. "Es wäre grausamer gewesen, es hier erfrieren zu lassen - es sei denn, Ihr hättet Euch die Mühe machen und die Zeit nehmen wollen, ihm den Schweiß abzureiben und ihm die Hälfte unserer Vorräte zu überlassen.", antwortete Therowig. "Nein....natürlich nicht. Eine grausame Spur, die Nariena gelegt hat. Aber vielleicht blieb ihr nichts anderes übrig.", meinte Galariad und wandte sich ab. Er machte sich daran, wieder in den eigenen Sattel zu steigen.
Therowig nahm eine Handvoll Schnee auf und säuberte seine Klinge. "Glaubt Ihr, daß sie es war?", fragte er den Gefährten. Galariad nickte. "Ja. Euer Vetter wird wohl kaum so freundlich gewesen sein, uns einen solchen Hinweis entgegen zu schicken."

Therowig warf einen letzten Blick auf den toten Leib des Tieres zu seinen Füßen. Der Schnee dampfte, wo sein Blut ihn benetzte. "Dann müßte sie davon ausgehen, daß ihr jemand folgt.", sprach er und stieg dann ebenfalls zurück in den Sattel. Galariad sah ihn an. "Natürlich tut sie das. Sie weiß, daß ich sie nicht zurücklassen würde. Ich bin ihr Vater. Und...von Euch weiß sie es ebenso.", schloß er und lenkte sein Pferd in die Spur, die Erelias' einstiges Reittier in der Nacht zurückgelassen hatte. "Das Legen dieser Spur wird nicht ohne einen Preis für Nariena gewesen sein, eilen wir uns also lieber, Freund Therowig.", sprach er und trabte an. Therowig schloß für einen Moment voller Unbehagen die Augen, dann folgte er dem Freund.



- ~ -



Der Schnee brannte mit sengender Kälte auf meiner Wange, als mein Kopf auf den Boden schlug. Ich hatte Arnulf nichts entgegen zu setzen gehabt, als er meine Flucht nach nur wenigen Schritten beendet und sich gegen mich geworfen hatte. Er war so schwer wie ein ausgewachsener Bär und die Pranke, mit der er in mein Haar griff, mochte ebenfalls die eines Bären gewesen sein. Er drückte mein Gesicht harsch auf den eisigen Boden und ich wußte, daß ich mich besser nicht bewegte, wenn ich nicht wollte, daß er mir den Schädel zertrümmerte. So hielt ich still und ließ zu, daß er mir die Arme auf den Rücken drehte und die Schlinge des Seils nun um beide Handgelenke wand.
Als er das getan hatte, ließ er mich los und sprang auf die Füße. Er spuckte neben mir aus, dann entfernte er sich von mir und stemmte die Hände in die Hüften. Er stieß lautlose Flüche hinaus in die Nacht und trat wild einen Stein fort, der irgendwo unter der Schneedecke geruht hatte. Ich blinzelte und wagte es immer noch nicht, mich zu bewegen.
Ich beobachtete Arnulf nur, stumm und erstarrt, bis er wieder zu mir zurückkehrte, mich erneut an den Haaren griff und wieder auf die Füße stellte. Dann bückte er sich plötzlich, bohrte mir die Schulter in den Magen und hob mich hoch. Meine Stirn fiel gegen seinen Rücken und ich fühlte seine Arme, die sich fest um meine Knie schlangen, als er sich herumdrehte und mich vorsichtig den Hang zum gefrorenen Lauf des Glanduin hinuntertrug. Trotz allem lächelte ich und war froh, daß Arnulf es nicht sehen konnte.
Ich bemühte mich, den Kopf leicht zu heben und gen Norden zu blicken - nach Mirobel, oder wenigstens in die Richtung, wo es irgendwo in der Ferne lag. "Lauf, Pferd, lauf...", dachte ich nur und hoffte vage, daß es seinem Instinkt folgen würde. Dem Instinkt, den jedes Lebewesen tief in sich verborgen hielt, wenn es verängstigt in der Fremde zurückgelassen worden war: den Weg nach Hause zu finden.
Es war jedoch ein mühsames Unterfangen und mein Nacken schmerzte alsbald, so daß ich den Kopf wieder sinken ließ. Arnulf ächzte leise, als er die Eisschicht auf dem Fluß überquert und auf der anderen Seite den Aufstieg begonnen hatte. Er ist langsam, dachte ich. Und das war gut so. Obgleich ich keine schwere Last für ihn war (...zumindest nicht an meinem Körpergewicht gemesssen), so trug er doch gewaltig an mir.

Erst, als die Hänge auf der anderen Seite zu steil für ihn wurden und seine Stiefel immer wieder im Schnee abrutschten, setzte er mich ab und sah mich an. Wortlos deutete er nach vorn und hieß mich vorangehen. Er preßte eine Hand in meinen Rücken, denn die meinen konnte ich zum Klettern nicht gebrauchen. Er schob mich mehr voran, als daß ich selbst meinen Weg fand, und auf der anderen Seite des Hangs zog er mich wieder hinunter.
"Wir sind in Enedwaith.", sagte er irgendwann und es war alles, was er für den Moment mit mir sprach. Aber er nahm etwas unter seinem Wams hervor und hängte es sich um: die Dunländer-Tasche, die Aegmar und ich erbeutet hatten. Hier in diesem Land gab es nun neue Feinde. Wo immer ich auftrat, bemühte ich mich, es mit möglichstem festem Schritt zu tun. Als Arnulf bemerkte, daß ich eine neue Spur zu legen begann, hob er mich kurzerhand wieder hoch über seine Schulter. Doch er selbst war es nun, der unter dem neuerlichen Gewicht tief einsank und allzu deutliche Abdrücke im Schnee hinterließ. Er begann wieder zu fluchen. Ich wußte nur zu gut, wie sehr seine Flüche mir galten. Sein fester Griff um meine Beine ließ es mich deutlich spüren.


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#27

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 16.05.2011 18:43
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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"Ich komme mir schon beinahe selbst wie ein Ork vor...", murmelte Aneawin, als er für einen Moment stehenblieb und sich rückwärts wandte. Die Beine seiner dicken Hose waren nass vom Schnee und so steif gefroren wie die Eiszapfen, die überall von den Felsen um ihn herum herabhingen. Er blickte hinab auf das weite Schneefeld, das den Hang des Rothorn bedeckte und das in diesem Moment wie der ausgebreitete Königsmantel eines überirdischen Wesens auf ihn wirkte: die silberne Robe eines Valar selbst. Er hob die Augenbrauen und blinzelte einmal, denn ihm wurde bewußt, daß er das Schneefeld tatsächlich sehen konnte - nicht länger war es nur ein verschwommener Ozean aus weißem Nebel, der etwas heller schien als der Rest dieser verfluchten Nacht.
Erstaunt sah er auf zum Firmament und suchte dann Maethruths Blick, der an ihm vorbeiging, als kostete es ihn nicht mehr Mühe, als durch die Wälder Loriens zu wandeln und einen Sommertag zu genießen. Nein, der Elb schien die Strapazen des Aufstiegs in den vergangenen Stunden nicht einmal wahrgenommen zu haben und das verstärkte Aneawins Mißmut zunehmend.
"Welche Stunde mag es wohl sein, Freund?", rief er Maethruth zu, der ihm nur einen knappen Blick schenkte. "Es ist kurz vor dem Morgengrauen.", antwortete er und Aneawin pfiff durch die Zähne. "Wohlan, dann naht der Moment der Schlacht. Endlich wieder etwas zu tun für einen Soldaten...", knurrte Aneawin und wechselte sein Bündel auf die andere Schulter. Doch er verharrte noch einen Moment und betrachtete die anderen Elben, die Maethruth folgten. Wochen schien das nun her zu sein, daß sie sich am Fuß der Berge getroffen hatten, obgleich erst eine Nacht vergangen war. Doch Aneawins Beine fühlten sich so schwer an, als hätte er nie etwas anderes getan, als dem Wild und den Bären gleich einen Weg durch das Gebirge zu suchen.

Aegmar erreichte ihn, der sich irgendwo zwischen den Elben eingereiht hatte und den Kopf tief gesenkt hielt. Er schlug Aneawin auf den Oberarm und ermunterte ihn wortlos, den Weg fortzusetzen. "Es kann nicht mehr weit sein und wir werden rasten.", sagte er leise. Aneawin stapfte ihm nach. "Und dann?", knurrte er. Aegmar hob kurz die Schultern, jedenfalls sah es so aus. Genau war das unter dem schweren, fellbesetzten Mantel, den er trug, nicht zu erkennen. "Und dann durchqueren wir den Riß und werden auf der anderen Seite warten.", erwiderte er. Aneawin folgte ihm nun rasch. "Das klingt nicht gerade nach einem Plan...", meinte er und Aegmar hob wieder die Schultern. "Nun, zu mehr Planung kam Therowig nicht mehr.", schloß er. Aneawin schwieg und runzelte die Stirn. "Na, dann wollen wir hoffen, daß der Elb eine bessere Idee hat.", murmelte er mehr zu sich selbst, aber Maethruth schien es dennoch vernommen zu haben.
Er sah nicht nur besser in der Dunkelheit, als die beiden Menschen, die ihm folgten, er hörte auch noch gut. "Natürlich habe ich eine Idee. Vergeßt nicht, daß ich es war, der Euch nach Eregion gerufen hat. Eure und meine Angelegenheiten sind in diesem Land eins und in der kommenden Stunde werden sie beide auf ihre Weise erfüllt. Es ist lange her, daß mein Volk sich in diesem Teil der Welt gegen die Orks erhoben hat, doch nun wird es wieder so sein. Ein älterer Anspruch, als Saruman ihn erhebt, wird eingefordert werden.", sprach er und setzte sich wieder an die Spitze des kleinen Heeres. "Na, was Du nicht sagst...", raunte Anewin und diesmal tat er es so leise, daß Maethruth es ganz gewiß nicht hören konnte.

Die Nacht war nicht mehr schwarz. Sie wurde grau und irgendwann silbern. Und so war auch die Welt: der trübe Himmel verschmolz mit dem matten Schimmern des Berges und nur weit unter ihnen, wo sie vor Stunden die Baumgrenze hinter sich gelassen hatten, war ein dunkler Streif zu sehen.
"Wir müssen doch wohl nicht bis hinauf zum Gipfel?", richtete Aneawin irgendwann wieder fragend das Wort an Maethruth. Der Elb schmunzelte plötzlich auf seltsame Weise. "Nein...ich glaube nicht...", sagte er nur und streckte dann den Arm aus, eine weite Geste mit der Hand beschreibend. Und tatsächlich: als endlich ein früher Sonnenstrahl den Morgennebel auf dem Berg durchbrach, sahen sie alle, daß sie angekommen waren. Der Pfad vor ihnen fiel steil in eine schmale Schlucht ab, an deren Ende ein Durchgang wie ein geöffnetes Maul krumm und zahnlos in der Bergflanke prangte. Ein Riß, geschaffen von Wind und Eis. Schmelzwasser machte den Weg zu jenem Spalt im Frühling gewiß unpassierbar und so war er bisher verborgen geblieben. Doch jetzt, im Winter, war er ein Durchlaß in das Innere des Berges - ein geheimer Pfad in die Tiefen Morias.
Unrat bedeckte den Grund der Schlucht, Hinterlassenschaften der Orks, die vor ihnen hier durchgezogen waren, um irgendwo an einem noch unbekannten Ort auf der anderen Seite des Risses mit ihrem neuen Anführer zusammenzutreffen. Tierknochen lagen auf dem Boden, vielleicht von Gemsen oder Steinböcken. Schwarzverkohlte Äste markierten noch die Stellen, wo Lagerfeuer gebrannt hatten. Sie waren nicht vom Schnee bedeckt und konnten nicht allzu alt sein.
Maethruth hob die Hand, mit der er voraus gedeutet hatte und die ganze Schar hielt augenblicklich an. Der Elb blickte nun zurück.
"Vorsicht jetzt...", gemahnte er mit ruhiger Stimme, doch nur ein Narr zweifelte daran, daß er nicht gefaßt und angespannt war. "Der Wind weht bergab ins Tal, was auch immer hinter uns und um uns herum sein mag, hat uns gerochen und weiß, daß wir hier sind.", fuhr er fort. Aneawin nickte. "Sollen sie nur kommen...", brummte er und suchte mit der freien Hand nach dem Riemen, der ihm sein Schwert auf den Rücken band. Auch Aegmar öffnete seinen schweren Mantel und griff nach der Klinge, die an seinem Gurt hing.
Doch er kam nicht dazu, sie zu ziehen. Ein Schatten erhob sich plötzlich zu ihrer Linken auf dem Grat der Schlucht. Dann noch einer und noch einer. In der Luft waren sie nun, auf der Felswand - und dann sprang etwas auf Aegmars Schulter und trieb seine Kiefer tief in das Fell seines Mantels, um das darunter liegende Fleisch zu verletzen.
"Bilwisse!", brüllte Aneawin, ließ sein Bündel fallen und zerrte mit einem heftigen Ruck das Schwert von seinem Rücken.
Bewegung geriet in die Schar und das stählerne Singen blanker Schwerter erfüllte die Luft. Beine fuhren herum und Köpfe wurden hoch gerissen, der angreifenden Horde entgegen. Aegmar stürzte mit einem dumpfen Krachen vor Aneawins Füßen zu Boden und der Hauptmann griff sofort zu, um seinen Fürsten von dem zappelnden Wesen zu befreien, das sich in seiner Schulter verbissen hatte.



- ~ -



"Tja, hier endet die Spur.", stellte Galariad nachdenklich fest und ging in die Hocke, um mit den Fingerspitzen den aufgewühlten Schnee beiseite zu streichen, als könne er darunter irgendetwas erkennen, das ihm einen Hinweis darauf gab, wohin er sich nun wenden sollte.
Therowig sprang hinter ihm aus dem Sattel und trat zu ihm. Aber sein Blick war nicht auf den Boden gerichtet, der zerfurcht war, als hätte hier, mitten in der Ödnis, ein Kampf stattgefunden. Er blickte vielmehr gen Süden, wo eine Senke den Lauf des Glanduin verriet. "Arnulf hat den Fluß überquert, er ist auf dem Weg nach Enedwaith.", mutmaßte er. "Der einzige Weg, der ihm nicht verschlossen ist und wo ihn niemand von uns erwartet.", sagte er.
Galariad erhob sich langsam. "Nun, aber dort beginnt die Wildnis. Ich war vor einigen Tagen dort. Die Dunländer haben sich zwar tief in ihre abgelegenen Dörfer zurückgezogen, um zu überwintern, aber sie sind da. Will Arnulf es wirklich mit ihnen aufnehmen?", fragte er und Therowig schürzte kurz die Lippen. "Auf unserem Weg aus Rohan ins Breeland hatten wir einst das Vergnügen mit ein paar Dunländer-Stämmen. Die meisten haben uns in Ruhe gelassen, aber nicht alle...", sprach er und fuhr sich abwesend über den Oberarm, als sei dort eine alte Erinnerung an eine dieser Begegnungen verborgen. "Ich bin trotzdem sicher, daß er diesen Weg genommen hat. Er will nach Hause."
Galariad fuhr sich über den Bart. "Es sind etliche Tagesmärsche bis nach Rohan, falls er überhaupt die Pforte im Süden überwinden kann. Saruman hält sie jetzt, sagtet Ihr doch.", warf er ein, doch Therowig runzelte nur die Stirn. "Die Schar von Dunedain, mit der Ihr gezogen seid, hat doch ebenfalls diesen Weg genommen.", meinte Therowig und Galariad nickte. "Ja, aber es ist eine große Schar. Und sie ist beritten und gut bewaffnet. Aber wohlan, vermutlich habt Ihr Recht und es ist die einzige Fährte, der wir folgen können. Jedenfalls die einzige, die wohl für den Augenblick einen Sinn ergeben mag. Also gehen wir."

Sie saßen nicht mehr auf, sondern führten die Pferde an den Zügeln bis hinab zu den Ufern des Glanduin, wo das Eis begann und wo noch in der Tiefe das ungefrorene Wasser des Flusses gluckerte, das nordwärts floß, um hinter Mirobel in den Sirannon zu münden.
Therowig kniete zwischen den Ufersteinen nieder und klopfte auf das Eis. "Hm, schwer zu sagen, wie dick das Eis ist. Wir müssen einzeln hinübergehen, zusammen mit den Pferden wird es uns nicht tragen.", stellte er fest und erhob sich langsam wieder. "Ich werde vorangehen.", entschied Galariad und setzte sofort einen Stiefel auf das Eis. Es knackte leicht, aber es trug ihn. Er zog sein Schwert und schob vor jedem neuen Schritt den Schnee beiseite, um dünnere, nicht tragfähige Stellen sogleich entdecken zu können. Therowig wartete angespannt und tätschelte den Hals seines Pferdes.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Galariad das andere Ufer erreicht hatte, obgleich der Fluß an dieser Stelle kaum mehr als zwanzig Schritt in der Breite messen mochte. Sein Pferd rutschte immer wieder leicht auf dem eisigen Untergrund aus und seine Hufe trieben tiefe Kerben in das Eis, aber es war folgsam und Galariad winkte Therowig schließlich zu, daß er ihm folgen sollte.
Therowig zog sachte an den Zügeln seines Reittieres und bemühte sich, in den Spuren Galariads zu bleiben, als er nun seinerseits das Eis betrat. "Na komm...", raunte er dem Tier zu und meinte vielleicht auch ein bißchen sich selbst damit. Ihm war unwohl zumute, denn er war schwerer als Narienas Vater.
Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, das Pferd folgte ihm zögernd. Er atmete tief aus, als er die Mitte des Flusses erreichte. Ein paar Luftblasen waren hier in die Eisdecke eingeschlossen und er konnte das graue Wasser des Glanduin gemächlich darunter hinweg fließen sehen. Die Blasen bewegten sich, als Therowig weiterging.
Und dann brach plötzlich eine davon auf und ein lautes Knacken durchbrach die Stille des heraufziehenden Morgens. Wasser sprudelte auf die Oberfläche und benetzte Therowigs Stiefel.
"Renn!" hörte Therowig nur noch Galariads verzweifelten Ruf.


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#28

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 25.06.2011 01:06
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

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Vielleicht war ich eingeschlafen, vielleicht hatte mir die Kälte eine zeitlang das Bewußtsein genommen. Es herrschte ein fahles Dämmerlicht, als ich müde die Augen aufschlug. Die Sonne geht auf, dachte ich. Aber es war nicht die Sonne, die das flackernde Licht um mich herum spendete. Das Zucken hauchdünner Lichtstrahlen kam vielmehr von einem Feuer, das zu meinen Füßen brannte. Ich gab einen Laut des Erstaunens von mir und strampelte für einen Moment mit den Beinen, um in eine aufrechte Lage zu kommen. Mein Rücken stieß gegen eine massive Felswand und ich zog instinktiv den Kopf ein, bis eine große Hand in mein Gesicht fuhr und meinen Kiefer zusammendrückte.
Mit geweiteten Augen starrte ich Arnulf an und er starrte zurück. Dann tätschelte er meine Wange und ließ mich los. "Gut, Du bist wach. Ich dachte schon, der Winter hätte Dich nach Deinem törichten Tun zur Strecke gebracht.", murmelte er und lehnte sich nach hinten. Er setzte sich auf die andere Seite der kleinen Feuerstelle und starrte auf seine Hände. Schatten zuckten über sein Gesicht und ich bemerkte plötzlich, daß Arnulf verletzt war. An seinem Mundwinkel klebte Blut, das er sogleich fortwischte. "Was...was ist passiert?", fragte ich ihn, die Stimme nicht zu mehr als einem Flüstern erhoben. Gleichzeitig sah ich mich um und mußte feststellen, daß er mich in eine Höhle gebracht hatte: nicht mehr als ein winziges Versteck gegen Wind und Wetter, aber offenbar benutzt. Und zwar von Dunländern, die in dieser Gegend leben mußten, denn an den felsigen Wänden und auf dem Boden zeigten sich deutliche Spuren ihrer Anwesenheit. Zwei tönerne Krüge lehnten aufgereiht an der Wand, sie enthielten Wasser. Ein Kräuterbündel hing von der Decke, an einer mit Federn und Steinperlen verzierten Schnur. Ein Jagdversteck, vielleicht sogar eine Vorratskammer.

"Wir sind in der Wildnis.", war Arnulfs einzige Antwort und ich konnte nur ahnen, daß er um diesen Unterschlupf hatte kämpfen müssen. Im Feuer lag bereits verglühtes Holz, es hatte also schon eine Weile gebrannt. Wen auch immer Arnulf überrascht und bezwungen hatte, er hatte ihm die Verletzung in seinem Gesicht beigebracht und gewiß dafür bezahlt - nicht nur mit der Preisgabe seiner Behausung.
Ich hatte keine Erinnerung an einen Kampf. Zudem spürte ich meine Zehen und meine Finger nicht. Vielleicht hatte Arnulf Recht: der Winter war in der Tat kurz davor gewesen, mein Leben einzufordern, nachdem ich uns unseres Pferdes und damit unserer Ausrüstung beraubt hatte.
Ich spürte, daß ich dem Jäger dankbar sein sollte, aber es war eine bittere Dankbarkeit und sie machte nichts von dem, was er getan hatte, wieder gut. Meine Hände lagen vor mir in meinem Schoß, sie waren nicht mehr gebunden, doch auch meine Oberarme waren taub und ich bemerkte nicht sogleich, daß Arnulf mich befreit hatte.
Ich wartete einige Augenblicke, in denen wir uns stumm gegenüber saßen, dann gab ich nach und seufzte lautlos. Ich kam auf die Knie und bemühte mich, meine Hände und meine Arme dem Feuerschein nahe zu bringen und sie zu wärmen. Ein unangenehmes, leicht schmerzhaftes Kribbeln erfüllte meine Fingerspitzen, als das Blut wieder darin zu zirkulieren begann. Die Haut war weiß und blau verfärbt und nach einer Weile wurde sie tiefrot. Es tat weh, die Finger zu bewegen.
"Du hattest Glück.", meinte Arnulf und deutete mit dem Kinn auf meine Hände. "Du hättest sie verlieren können."
Es fiel mir schwer, aber ich sprach schließlich zu ihm. "Danke.", sagte ich leise und er nickte. "Es ist Dein gutes Recht, mir Schwierigkeiten zu bereiten - aber Du solltest Dich nicht selbst in welche dabei bringen.", fuhr er fort und ich kam nicht umhin, in eine seltsame Verlegenheit zu geraten.
"Therowig will Dich sicherlich in einem Stück zurückhaben, meinst Du nicht?" Ich hob ruckartig den Kopf, als Arnulf Therowigs Namen erwähnte. Der Jäger schmunzelte ob meiner Geste und betrachtete mich dann. Er verbirgt etwas, dachte ich. Er hat etwas gesehen und nichts wäre ihm nun lieber, wenn ich ihn danach fragen würde - nur um mich dann einige quälende Augenblicke lang auf eine Antwort warten zu lassen. Er verengte die Augen leicht, forderte mich stumm heraus, doch ich widerstand. Noch. Aber nicht lange.
Wenige Momente nur hielt ich es aus, Arnulf nicht nach seinem Vetter zu fragen, und öffnete die Lippen. Ich hätte die Frage herausschreien mögen, Arnulf an den Schultern packen und ihn so lange schütteln wollen, bis er mir verriet, was er gesehen hatte. Aber ich bezwang mich, wenigstens das vermochte ich. "Ihr...Ihr habt ihm gesagt, daß er es nicht wagen soll, Euch zu folgen.", stammelte ich nervös. "Und Ihr habt geglaubt, daß er sich daran halten würde? Nein nein, er ist uns gefolgt.", erwiderte Arnulf sogleich. "Er hat Euren Fürsten Aegmar verraten und ihn im Stich gelassen, dann ging er seinen eigenen Weg, so wie er es immer tut. Er ist eben ein Verräter, daran ist nichts zu ändern.", fügte er wie beiläufig an und ich richtete mich auf. "Das ist nicht wahr!", fuhr ich Arnulf an, mit meiner Selbstbeherrschung war es augenblicklich vorbei. Ich streckte sogar die schmerzenden Hände nach Arnulf aus, als könnten sie irgendetwas gegen den Jäger ausrichten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Arnulf lächelte und griff nach meinen Handgelenken. "Spar Deinen Zorn auf, um wieder zu Kräften zu kommen, Mädchen. Er ist uns gefolgt, das ist wahr - aber jetzt folgt er uns nicht mehr!", sagte er und es klang unheilvoll.
Ich hielt inne und starrte Arnulf voller Abscheu an. "Was meint Ihr damit, daß er uns nun nicht mehr folgt? Was habt Ihr getan?!", zischte ich und Arnulf ließ meine Handgelenke los. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich wieder zurück. "Nun, er ist tot.", sprach er dann, als würde es nichts weiter bedeuten.
Mein erstarrter Blick wandelte sich in blanke Fassungslosigkeit und mein Mund wurde trocken. "Habt Ihr...", entkam es mir nur heiser, doch Arnulf schüttelte augenblicklich den Kopf. "Ich hatte damit nichts zu tun. Er muß versucht haben, den Glanduin zu überqueren und ist samt seines Pferdes durch das Eis auf dem Fluß gebrochen. Ich war dort, als ihr geschlafen habt. Die Grenze liegt etwa eine Stunde von uns entfernt und ich sah, daß die Eisdecke zersplittert ist. Und falls Ihr mir keinen Glauben schenkt, dann...", er griff hinter sich und holte etwas hervor, das in seinem Rücken verborgen gelegen hatte, "...dann solltet Ihr dem hier glauben.", fügte er dann an und warf etwas in meine Richtung.

Matt glänzend lag die Schließe von Therowigs Umhang nur einen Schritt von mir entfernt neben dem Feuer. Ein paar Wasserperlen hatten sich auf der Oberfläche gesammelt, als das Eis zu schmelzen begann, in dem sie eingeschlossen gewesen sein mußte. Ja, es war seine. Es war zweifellos Therowigs Spange. Sie zeigte eine Faust, die eine Adlerfeder umschlossen hielt, das Wappenzeichen von Aegmars Haus. Und sie war aus purem Gold, was bedeutete, daß sie nicht von irgendjemandem aus Aegmars Gefolge getragen worden war. Nein, derjenige hatte einen hohen Rang innegehabt. Nicht einmal ich hatte solch eine Spange besessen, es gab also keinen Zweifel.
"Sie lag neben der Einbruchstelle, zusammen mit ein paar anderen Dingen, für die ich jedoch nicht die Mühe aufgebracht habe, sie einzusammeln. Ich hoffe, Ihr versteht das.", sagte Arnulf, dann schwieg er. Auch ich schwieg, denn Finsternis senkte sich auf mich und jedes Wort, daß ich noch hätte sprechen können, entglitt mir. Die Tränen, die nun meine Augen füllten, waren heiß und versengten mir das Gesicht, als ich den Kopf senkte und in all dem erstickenden Schmerz, den ich nun fühlte, einen Weg suchte, nicht zu verzweifeln.



- ~ -


"Arrrrhhhhrrrr!!!", gab Aegmar außer sich vor Wut von sich, als er die blanken, spitzen Zähne fühlte, die sich irgendwo in seine linke Schulter gruben. Er schlug mit der Faust nach dem Ding, dessen Klauen nun über seinen Oberkörper glitten und das ihn nicht freigeben wollte. Aneawin war über ihm und hieb mit dem Knauf seines Schwertes auf das Genick der Kreatur ein, bis es endlich zusammensackte und seine Beute freigab. Schnaufend kam Aegmar auf die Füße und griff sich an die schmerzende Schulter. Als er die Hand zurückzog, benetzte rotes Blut seine behandschuhten Finger. Aber er hatte kaum Zeit, sich darum zu kümmern und wischte sich die Hand nur achtlos an der Hose ab. Ein schlankes Elbenschwert hieb unmittelbar neben seinem Kopf gegen die Felswand, als es nach einem Bilwiss schlug, der jedoch unter der Klinge hinwegtauchte und sich gegen die Beine seines Angreifers warf. Aegmars Arm schoß vor und er griff dem strauchelnden Elben unter die Achsel, der das Schwert geführt hatte; dann zog er endlich seine eigene Klinge und stieß sie geradewegs in den Schädel der Kreatur.
Der Elb nickte ihm kurz und atemlos zu, bevor er sich herumdrehte und einen Satz hinab in die Schlucht tat. Aegmar brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, dann rannte er dem Gefährten nach. In der Enge des schmalen Zugangs zum steinernen Riß tobte der Kampf: eine Abteilung Bilwisse, angeführt von einem größeren Ork, war über die Elbenschar gekommen. Rasch und unerbittlich. Vielleicht hatten sie Ragbash empfangen sollen, vielleicht hatten sie aber auch ihr Lager in diesem Teil des Gebirges aufgeschlagen. Es war ein schlecht ausgerüsteter Haufen: mit Knüppeln und ein paar stumpfen Äxten und Steinen waren sie bewehrt, doch nichtsdestotrotz versuchten sie, das kleine Heer am Durchgang in das Innere des Berges zu hindern - und der Kampf würde Spuren hinterlassen, die Ragbash warnen konnten.

Er dauerte nicht lange, Minuten nur, so schien es. Aegmar atmete tief aus, als der plötzliche Lärm sich senkte und die Stille wieder einkehrte, die vormals diesem Ort innegewohnt hatte. Nurmehr eine fahle Erinnerung schien der Überfall jetzt zu sein, wäre der Schnee nicht aufgewühlt und von frischem Blut besudelt.
Aegmar straffte sich, dann schritt er die Reihe der Elben ab, um sich zu vergewissern, daß niemand ernsthaft verletzt oder gar gefallen war. Sie alle lebten und die geschlagenen Wunden waren nicht tief und so dankte er Elendil, daß sie Glück gehabt hatten und dies nur ein kurzer Zwischenfall gewesen sein mochte. Was er sie jedoch tatsächlich gekostet haben mochte, das würde sich erst später zeigen.
Aneawin winkte Aegmar knapp zu und auch Aegmar hob die Hand, um dem Freund zu bedeuten, daß alles in Ordnung war. Maethruth kam heran und heftete den Blick auf den zerrissenen Stoff über Aegmars Schulter. "Nicht von Bedeutung.", raunte Aegmar und Maethruth ging augenblicklich weiter. Seine Miene war stumm und von tiefem Ernst erfüllt. "Wir können die Bilwisse hier nicht zurücklassen.", entschied er und griff den, der ihm am nächsten war, an den Füßen. Er zog ihn an der wartenden Schar vorbei in Richtung des Risses. "Das ist nicht sein Ernst...", flüsterte Aneawin rau, doch Aegmar nickte bestätigend und der Hauptmann ließ die massigen Schultern hängen. "Ich fürchte doch - und er hat Recht damit.", meinte er, säuberte seine Klinge an dem ledernen Schurz eines Bilwisses zu seinen Füßen und steckte es dann zurück in das Waffengehänge an seinem Gürtel.
Der Morgen wandelte sich in den Vormittag und bald würde er den Mittag ankündigen. Kein Bilwiss lag mehr in der Schlucht, als Aegmar schließlich zurückblickte; doch was hier passiert war, schien dennoch unverkennbar. Aufgetürmt lagen die Kreaturen auf der anderen Seite des Risses, es blieb keine Zeit, sie tiefer in den Berg hinein zu schaffen, und Maethruth wies nun selbst alle, die ihm folgten, an, durch den Felsbogen zu treten, und sich im Inneren des Berges einzufinden.

Es war finster dort, die Luft kühl und modrig. Wasser tropfte in der Ferne von einem Vorsprung und der Boden schien an manchen Stellen glitschig. "Ich sehe rein gar nichts...", murrte Aneawin und fügte dann ein überraschtes "Oh!" an, als Maethruth plötzlich nahe seines Gesichtes eine der mitgebrachten Laternen entzündete. "Elb!", fuhr er den Freund an und wäre die Lage, in der sie sich befanden, nicht mehr als angespannt gewesen, so hätte Aneawin geschworen, daß Maethruth ihm zugezwinkert hätte.
Das Licht der Lampe enthüllte eine gedrängte Höhle, die das Schmelzwasser des Berges in jahrhundertelanger Arbeit aus dem Fels gewaschen haben mußte. Sie war nicht hoch, ein Mann konnte gerade aufrecht in ihr stehen, ohne sich das Haupt zu stoßen. In der Breite mochte sie fünf Schritt messen. Je tiefer die Höhle jedoch in den Berg führte, desto breiter wurde sie. Sie gab einen Pfad preis, der eben war und leicht bergan stieg. Der Fels war bräunlich gefärbt und nicht mehr länger nur grau. Maethruth hob die Hand. "Ihr müsst Euch beeilen.", sagte er und deutete mit der ausgestreckten Hand den Pfad hinauf. Er sah jedoch nur Aegmar und Aneawin dabei an.
Der Hauptmann verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich leicht vor. "Was meinst Du denn nun schon wieder damit?", sprach er und es klang keineswegs erfreut. Diesmal schien Maethruth ihm tatsächlich zugezwinkert zu haben, als er sich straffte und wieder rückwärts zum Ausgang der Höhle wandte. "Nun...wir werden nicht mit Euch gehen.", erwiderte er. Aneawin schnappte hart nach Luft und sah den Freund fassungslos an - doch es bestand kein Zweifel, daß er sich verhört haben konnte, denn die Elben folgten Maethruth bereits wieder hinaus ins Freie.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#29

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 09.08.2011 01:10
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

-- ~ --


Eine Minute, zäh wie eine Ewigkeit, verging. Arnulf sah mich immer noch schweigend an, doch ich erwiderte den Blick nicht.

Eine weitere Minute verharrten wir still.

Noch eine.

Und noch eine.

Dann hörte ich auf, die Minuten zu zählen. Zeit spielte keine Rolle mehr. Nicht mehr für mich.


-- ~ --


"Rrrrrrrraaaaaa! Du verfluchtes Spitzohr!", brüllte Aneawin so laut, daß es an den grauen Wänden der Höhle düstern widerhallte. Er ballte die Faust und in den dicken Handschuhen, die er trug, wirkte sie noch gewaltiger, als sie es ohnehin schon war. Ohne den nötigen Respekt, den er Aegmar sonst entgegenbrachte, stieß er den Freund grob zur Seite und polterte mit einem langen Schritt an ihm vorbei. Er hob den Arm, und hätte Aegmar sich nicht sofort von des Hauptmanns Stoß gefangen und wäre er nicht herumgefahren, um ihm in den Ellbogen zu greifen und seinen massigen Arm hinunterzudrücken, so wäre Aneawins Faust vermutlich mit einem heftigen Schlag auf Maethruths Hinterkopf niedergefahren.
Aegmar griff sich in den pelzbesetzten Kragen seines Umhangs und zog ihn herunter, so daß sein Gesicht frei lag und er sowohl seinen Hauptmann als auch Maethruth deutlich anblicken konnte. "Wartet! Das ist nicht die Zeit für Scherze! Und auch nicht dafür, sich gegenseitig zu bekämpfen!", knurrte er. Aneawin drehte ihm ruckartig den Kopf zu. "Du hast doch gehört, was der Elb gesagt hat. Du hättest ihm eben nicht die Führung übertragen sollen, das ist schlichter Irrsinn!", herrschte Aneawin seinen Fürsten immer noch außer sich vor Zorn an, obgleich dieser eher Maethruth galt. Aegmar indes atmete tief durch und hob das Kinn. Seine hellen Augen schimmerten dunkel im Zwielicht des Berginneren. "Wenn Du nicht mit uns gehst, dann verrate uns Deine Absicht!", sprach er zu Maethruth. Auch Aegmar war angespannt, aber er wußte zu gut, daß Maethruth selten etwas ohne eine tieferen Grund tat.

Maethruth blickte von einem seiner Gefährten zum anderen und schien beinahe verwundert, aber dann nickte er verstehend. "Ich wollte Euch nicht erzürnen. Das Wort des Anführers in dieser Schar gilt stets ohne hinterfragt zu werden, so war es jedenfalls früher....", sprach er ruhig und blickte auf Aegmar. Aneawin schnaufte. Dann straffte Maethruth sich. "Ich werde die meinen auf den Hang über der Schlucht führen - und wir werden Ragbash den gleichen Hinterhalt bieten, in den wir gelockt wurden. Sollte einer der Uruks überleben, so werdet Ihr ihn erwarten. Ganz sicher aber werdet Ihr auf Ragbash treffen, ich werde nur dafür sorgen können, daß er alleine ist. Und so die Valar es wollen und wir am Leben bleiben, nachdem wir es den Uruks genommen haben, werden wir uns danach wiedersehen.", erklärte er und seine Miene war ernst.
Aneawin starrte ihn stumm an, noch nicht gänzlich wieder Herr seines Zorns. Maethruths knappe Erklärung reichte ihm noch nicht aus. "Warum zum Henker?", knurrte er. "Irrsinn ist das. Irrsinn. Wir sollten zusammenbleiben! Das sind nicht irgendwelche feigen Irrwichte, die uns verfolgen, sondern Uruks. Uruks, Elb! Weißt Du, was das bedeutet?" Maethruth zog leicht die dunklen Augenbrauen zusammen und ein Schimmer von Unruhe huschte über sein ebenmäßiges Gesicht. "Ich weiß, was ein Uruk ist. Und ich weiß auch, daß ihre Geruchssinne ausgezeichnet sind. Sie sind nahe und haben uns vielleicht schon gewittert. Sie müssen durch diese Schlucht, aber sie werden vielleicht zögern und etwas ersinnen, daß uns überrascht. Wenn Ihr also einverstanden seid, Hauptmann Aneawin, möchte ich ihnen damit zuvorkommen. So dumm Irrwichte und Bilwisse auch sein mögen, haben sie uns doch gezeigt, daß der Hang über dem Riß ein geeigneter Ort für eine Überraschung ist. Und nun werde ich gehen - es sei denn, Ihr fürchtet Euch, hier zurückzubleiben und Ragbash zu begegnen.", schloß er und wandte sich wieder um. Diesmal würde es endgültig sein.

Aegmar griff erneut nach Aneawins Arm und drückte ihn abrupt zur Seite, als er des Hauptmanns Zorn bei Maethruths letzten Worten erneut erwachen fühlte. "Es ist ein guter Plan. Und der einzige, den wir haben.", gemahnte Aegmar den Freund. Dann ließ er Aneawins Arm vorsichtig los. Maethruth war verschwunden. "Fürchten....ich mich fürchten...", knurrte Aneawin und schüttelte seinen Arm aus. Er spuckte auf den Boden und zog sich dann in die Höhle zurück, machte ein paar Schritte in die Richtung des Berginneren. "Als ob wir schlimmer als so ein paar dreckige Uruks stinken würden....wittern....uns...pah.", murmelte er und Aegmar seufzte lautlos. Auch ihm behagten Maethruths Gedanken nicht. Sie hatten beide Recht: Aneawin und der Elb ebenso. Es war gut, Ragbash in einem Hinterhalt zu überraschen und seine Eskorte zu vernichten. Aber es war gefährlich, sich zu trennen und die Schar zu entzweien.
Er zog den Umhang wieder fester um seinen Hals und verhüllte Nase und Mund gegen die eisige Luft. Nicht ganz so schneidend war sie im Inneren des Berges, doch immer noch kalt genug, um auch das tapferste Herz gefrieren zu lassen. "Gehen wir.", sagte Aegmar und es klang dumpf und matt. Er war müde und doch brannten seine Gedanken wild und lodernd in seinem Kopf. "Wenn wir alle am Leben bleiben....werden wir uns wiedersehen.", wiederholte er Maethruths letzte Worte, dann verschluckte ihn die Dunkelheit.


-- ~ --


War es Nacht - oder war es Tag...

Die Zeit war stehengeblieben. Sie war ein Schleier aus grauem Nebel, der dickflüssig wie verdorbene Milch über mir hing.

"Du solltest etwas trinken.", drang Arnulfs tiefe Stimme aus weiter Ferne an mein Ohr und dann spürte ich, wie er seine Wasserflasche an meine Lippen setzte. Ich stieß seine Hand mit meiner Faust zur Seite, in der ich immer noch die Schließe von Therowigs Umhang fest umschlossen hielt. Ich wollte nichts trinken. Arnulf ließ sich zurückfallen. "Wir müssen bald weiter.", sagte er knapp. Ich schüttelte langsam den Kopf. "Ich begleite Euch nicht.", sprach ich. Es klang wie das heisere Krächzen einer alten Krähe.
Arnulf nahm mein Kinn in seine Handfläche und hob mein Gesicht zu sich an. "Ich weiß, wie Euch zumute ist. Aber das ändert nichts daran, daß wir weiter gehen werden.", sprach er und diesmal klang seine Stimme näher. Abermals schüttelte ich den Kopf. "Warum? Der, der Euch folgte, ist...ist nicht mehr. Ihr braucht mich also nicht mehr zu Eurer Sicherheit. Laßt mich hier...", erwiderte ich matt und spürte, wie die Tränen wieder in meine Augen zu quellen begannen. Arnulf sagte wieder etwas zu mir, doch diesmal war es so fern, daß ich es nicht mehr verstehen konnte - und es auch gar nicht wollte.


-- ~ --


"Ich glaube, wir sind jetzt weit genug gegangen. Warten wir hier.", flüsterte Aegmar rau und lehnte sich an die massive Felswand zu seiner Linken. Aneawin nickte und blieb stehen, doch schien er unschlüssig und biß sich auf die Unterlippe. Er machte einen Schritt zur Seite, dann trat er wieder zurück, als wolle er den Durchmesser des Bergpfades bemessen. Er blickte zum Eingang des Risses, das Tageslicht dahinter verblaßte und war in der Dunkelheit des Berginnern kaum noch zu erkennen. "Maethruth wird uns brauchen...unsere Klingen werden ihm und seinen Spitzohren fehlen. Das sage ich Euch.", knurrte er.
Aegmar sah nur kurz zu seinem Gefährten auf und zog dann so langsam und lautlos als möglich sein Schwert. Das Scharren der Klinge warf trotzdem einen metallenen Hauch an die Bergwand. Sofort hielt er inne und verzog leicht den Mund. "Nein, der Vorteil seines Plans liegt auf der Hand, Freund. Wenn wir alle dort draußen getötet würden, gäbe es niemanden mehr, der Ragbash daran hindern könnte, die Orks in Moria zu treffen und sie in den Krieg zu führen. Wir sind alles, was zwischen diesem Uruk und dem, was er werden könnte, steht. Wir sind dann noch alles, das die Finger an Sarumans Hand abschlagen und ihn vorerst daran hindern kann, sie weiter auszustrecken als gut für uns alle ist.", erwiderte er.
Aneawin schwieg und lehnte sich dann an die andere Seite der Höhlenwand. "Ich fürchte mich davor nicht.", brummte er schließlich und Aegmar mußte trotz allem leise lachen. Er beugte sich vor und schlug Aneawin auf die breite Schulter. "Das hat Maethruth auch zu keiner Zeit angenommen - sonst hätte er nicht uns beide mit dieser unheilvollen Aufgabe betraut.", sagte er und diesmal klang Aneawins Brummen äußerst zufrieden.

So warteten sie.

Der Berg um sie herum war alt. Alt und leblos, und nur die Kreaturen, die in seinen Eingeweiden umhergingen, verliehen ihm einen Herzschlag. Aegmar lauschte auf sein Herz, das tief und nervös in seiner Brust schlug. Und auch Aneawin schien es ihm gleich zu tun. Es waren die einzigen Laute, die sie vernehmen konnten.

Bumm.

Bumm.

Bumm.

Doch dann mischte sich zwischen das Pochen ihrer Herzen ein anderer Schlag:

Knack.

Und wieder:

Knack.

Knack. Klack.

Es klang wie der dröhnende Sturz einer Eiche, die Wind und Wetter nach Jahrzehnten aufrechter Wacht entwurzelten und zur Erde niederrissen. Der Boden erzitterte und der Berg selbst schien zu beben.

Krack.

Aber es war kein Baum der stürzte, sondern Felsbrocken, die in atemberaubendem Flug in die enge Schlucht vor dem Riß niederschossen. Sie rollten über den Hang und schlugen wie pechschwarzer Hagel in den aufgewühlten weißen Schnee. Ragbash und seine Schar hatten die Schlucht betreten. Und Maethruth hieß sie willkommen.


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zuletzt bearbeitet 15.09.2011 23:42 | nach oben springen

#30

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.09.2011 23:15
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

-- ~ --


Ruckartig fuhr ich auf und riß die Hände in die Höhe. Ein Brummen drang an mein Ohr, ein Dröhnen, als würde die Zuflucht, in die Arnulf mich gebracht hatte, über uns zusammenstürzen. Doch nichts bewegte sich, wie ich mir zitternd die Fäuste auf die Ohren preßte, um den einsetzenden Lärm zu vertreiben. Die Welt stand still und nicht einmal der Wind ließ in einem winzigen Atemhauch die Büsche und Gräser in der Ebene unter uns tanzen.
Ich blinzelte und weitete die Augen. Dann schloß ich sie wieder. Ein jäher Kopfschmerz war es, der jedes noch so winzige Geräusch plötzlich in einen tosenden Sturm in meinem Inneren verwandelte und ich konnte nicht mehr sagen, ob ich jenes donnerhafte Geräusch nur in meinem schwarzen Traum vernommen oder es tatsächlich gehört hatte. Trotzdem hob ich eine Hand vor meine Augen und suchte nach einer Spur von Blut oder irgendeinem anderen Anzeichen, daß ich mir den Kopf an der Felswand in meinem Rücken angestoßen und mich verletzt hatte. Aber da war nichts. Nur ein ungutes Gefühl blieb in meinen Eingeweiden zurück.

Verwundert blickte ich mich schließlich um und sah nur Arnulf, der hoch aufgerichtet vor dem Eingang der kleinen Höhle stand und nach Norden blickte. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und starrte gebannt geradeaus. Sein massiger Rücken versperrte mir die Sicht auf das, was er zu betrachten schien. Ich blinzelte noch einmal, schüttelte dann den Kopf, um den immer noch pochenden Scmerz zu vertreiben und zuckte zusammen, als ein blitzartiger Schmerz in meinen Nacken und meinen Rücken fuhr. Ich mußte eingeschlafen sein. Vielleicht war ich auch nur benommen gewesen, überwältigt von dem, was ich in den letzten Stunden gefühlt oder gedacht hatte. Der kurze Schlaf hatte meinen Verstand beschützt, den ich langsam zu verlieren befürchtete.
Therowigs Umhangspange war meiner Hand entglitten und ich fiel in größter Aufregung nach vorn auf meine Knie, ignorierte dabei die Verspannung in meinen Gliedern. Ich mußte das Schmuckstück wiederfinden - und so tastete ich nur blind auf den Decken und Fellen unter mir herum, bis ich endlich jenen kleinen harten Gegenstand wieder zwischen meine kalten Finger gleiten spürte. Sofort hob ich ihn auf und drückte ihn an mein Herz.

Arnulf drehte sich in diesem Moment zu mir herum, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Seine grauen Augen funkelten dunkel und ich erkannte Anspannung auf seiner Miene. Etwas war geschehen, er spürte es auch. Und vielleicht hatte auch er den fernen Donnerhall gehört und er war nicht nur meiner Einbildung entsprungen. "Nebel steigt vom Gebirge auf. Ich kann es nicht richtig erkennen, wir sind zuweit fort. Möglicherweise gab es eine Lawine.", meinte er düsterer Stimme und machte sich dann daran, unsere wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken, die verstreut auf dem Boden herumlagen.

"Eine Lawine...", wiederholte ich seine Worte in Gedanken und ich spürte, wie mir Hitze ins Gesicht stieg. Nein, es war kaum möglich, daß wir davon etwas vernommen haben sollten. Meilen um Meilen waren wir vom Gebirge entfernt, aber mehr als deutlich lag ein Schatten in der kalten Luft, der von einer Veränderung zeugte. Ich sollte Schrecken spüren, erneute Trauer, als mir klar wurde, was eine tatsächliche Lawine bedueten konnte: auch den letzten Freunden, die mir in dieser Welt geblieben waren, könnte Unheil und Tod widerfahren sein. Aber ich war nicht erschrocken und ich trauerte auch nicht. Mein Geist konnte nicht noch mehr solcher Gedanken fassen, meine Seele nicht noch mehr Übel ertragen und so schüttelte ich nur den Kopf. Das war nicht das Ende, es durfte einfach nicht so sein.
Es war genug. Ein für allemal. Arnulf hatte mich von allen Dingen fort gerissen, die mir je etwas bedeutet hatten. Er, der viel verloren und noch mehr in seinem Leben weggeworfen hatte, und der nun andere dafür bestrafte, daß es ihm so ergangen war - ihm wollte ich nicht mehr zugestehen, mich auf den selben Pfad der Einsamkeit zu bringen. Ich hatte noch nicht alles verloren. Wenn ich nur noch etwas in dieser Welt retten konnte, dann, bei Elendil würde ich es tun. Ich war bereits auf den Wegen geschritten, die er ging. Ich war in meinem Leben schon lange genug alleine gewesen. Und ich war nicht mehr die, die es einst genossen hatte, nur auf sich selbst gestellt zu sein.
Arnulf machte mich plötzlich wütend, wie er um mich herumkroch mit seiner behäbigen Gelassenheit, die doch nur dazu diente, seine innere Unruhe zu verbergen. Auch wenn ich mir immer noch gewünscht hatte, ihn ein wenig schätzen und achten zu können, so war dieser Wunsch nun zu Asche verglommen und vergangen. Wieder verbarg er etwas vor mir und teilte seine wahren Gedanken nicht. Wieder hielt er mich zum Narren und wähnte mich offenbar gefügig und in dem Netz gefangen, daß er um mich gesponnen hatte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, mich anzusehen oder mich aufzufordern, ihm zu helfen und mich reisefertig zu machen.

Nun...aber das brauchte er auch nicht - denn ich würde nirgendwo mehr hingehen. Hier und jetzt wußte ich mit einer unwiderrufbaren Gewißheit, daß nur noch einer von uns beiden diese Zuflucht verlassen würde.

Ich erhob mich von den Knien langsam auf meine Füße und machte einen ungelenken Schritt zur Seite. Arnulf wandte mir den Rücken zu, als sich an den Eingang der Höhle kauerte und etwas von dem Schnee, der davor lag, in seinen Wasserschlauch zu füllen suchte, um später Trinkwasser zu gewinnen. Ich trat neben ihn und er sah nur kurz zu mir auf, bevor er mit seinem Tun fortfuhr.
Kein Mißtrauen lag in seinem Blick, nicht die übliche Vorsicht, die er mir sonst entgegenbrachte. Er hielt mich in der Tat für berechenbar, verstummt und kraftlos. Und das wäre ich auch gewesen, wäre nicht eines passiert: ich wurde zornig. Sein schierer Anblick versetzte mich plötzlich in eine solch unbändige Wut, wie ich sie lange nicht mehr verspürt hatte.
"Ihr schuldet mir eine Antwort.", sagte ich zu ihm, darum bemüht, es ruhig und matt klingen zu lassen. Wieder traf mich sein knapper Blick, unwillig und abwesend. "So?", brachte er auch nur wie beiläufig hervor, bevor er seinen Wasserschlauch verschloß und sich umwenden wollte. Aber ich trat ihm in den Weg und er starrte für einen Moment auf mein Knie, bevor sein Blick an mir emporglitt und in meinem Gesicht haften blieb.
"Sagt mir, warum Ihr mich nicht gehen laßt, wenn es doch keinen Verfolger mehr gibt, für den Ihr ein Pfand Eurer Sicherheit zurückbehalten müßt...", fuhr ich fort und erwartete Arnulfs Antwort. Er zögerte und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel, den Oberkörper nahm er leicht zurück. "Ich bin kein Unhold, trotz allem nicht. Ließe ich Euch alleine weiterziehen, würdet Ihr sterben.", erwiderte er dann. Es klang bedächtig. Ich glaubte ihm nicht. So schüttelte ich langsam den Kopf und betrachtete Arnulf noch für einen Moment, bevor ich die Faust öffnete, in der ich immer noch die goldene Schließe von Therowigs Umhang umschlossen gehalten hatte. Ich hielt das Kleinod in die Höhe und ein Sonnenstrahl fing sich auf dem hellen Metall, brachte es matt zum Glänzen.
"Habt Ihr das hier wirklich unten am Fluß gefunden - oder habt Ihr Therowig dies Ding schon früher entwendet, um es im richtigen Moment gegen ihn einsetzen zu können?", fragte ich weiter und Arnulf war überrascht. "Wie lange tragt Ihr es schon bei Euch? Antwortet!", fuhr ich ihn an. Ich konnte die Ruhe nicht mehr aufrecht erhaltet, zu hell loderte nun der Zorn in mir.

Arnulf stutzte und senkte leicht den Kopf auf die Brust, so daß ihm das lange blonde Haar nach vorn auf die Brust fiel. Er verzog den bärtigen Mund zu einem vagen Lächeln, das bitter wirkte und hob vorsichtig die Hand, in der er den Wasserschlaucht hielt. "Ich habe dieses Schmuckstück tatsächlich am Flußufer gefunden.", sprach er. "Aber...Ihr habt Recht. Ich weiß nicht, ob Therowig dort gestorben ist oder nicht. Zweifellos hat er den Glanduin jedoch an jener Stelle überquert und es mag nicht leicht gewesen sein. Ich wollte nur sehen, wieviel er Euch wirklich bedeutet, nachdem ich Euch die Nachricht seines Todes überbracht habe...", schloß er dann.
Ein wütendes Zischen entkam mir. "Ihr sagt einen Menschen tot, nur um zu sehen, wie sehr er von einem anderen geliebt wurde?", fuhr ich ihn an. Arnulf ließ leicht die Schultern hängen und ich meinte, daß er sich nun selbst zu schelten schien, weil er angenommen hatte, daß ich ihm nun tatsächlich eine weniger anstrengendere Gefährtin sein würde. Er wiegte den Kopf und entzog meinem Gesicht seinen Blick. Vielmehr blickte er nun auf seine Stiefelspitzen und seine Faust schloß sich fester um den ledernen Wasserschlauch.

Nein, die Dinge waren noch nicht an ihrem Ende und nichts war für immer verloren - noch nicht. Ich hoffte und ich betete, daß das eisige Wasser des Flusses Therowig verschont haben mochte. Ebenso hoffte und betete ich, daß die Lawine nicht das Ende für Aegmars Fahrt bedeutet hatte. Für mich selbst erbat ich nichts, auch wenn nun der letzte Moment anbrechen konnte, indem ich noch atmend und lebend in dieser Welt weilte: Arnulf und ich spürten es beide. Seine Jagd, sein Spiel und seine Täuschungen wurden nun nicht länger hingenommen. Wir würden hier und jetzt unseren eigenen Kampf führen, inmitten der großen Schlacht und dem heraufziehenden Krieg, der um uns herum auf Mittelerde fiel wie ein gewaltiger Schatten.

Hier und Jetzt.

Und so war es auch: Arnulf holte aus und der prall gefüllte Wasserschlauch flog mir entgegen, während ich mein Gewicht verlagerte und meine Stiefelspitze jäh in sein Gesicht stieß.


-- ~ --


Aegmar hielt die Luft an und schloß für einen Moment die Augen. Schnee trieb in wilden Flocken durch den Eingang des Risses, wirbelte auf und sank in einem glitzernden Tanz langsam auf den Fels nieder. Gesteinsbrocken folgtem ihm, sprangen von den Wänden wider und fielen klackernd zu Boden. Eine Staubwolke erhob sich dann, machte das Atmen schwer und versperrte die ohnehin geringe Sicht zum Eingang des Risses.
Aneawin riß einen Arm in die Höhe und hustete trocken gegen den dicken Stoff seines Mantels, den er sich schützend vor Mund und Nase drückte. Der Berg über ihnen erzitterte und auch im Inneren des Risses lösten sich Steine von der Decke und polterten laut zu Boden. "Vorsicht!", rief Aneawin, erstickt und dumpf, kaum hörbar. Aegmar vernahm die Warnung erst im letzten Moment und sprang zur Seite, bevor ihn einer der größeren Steine treffen konnte.
Als das Grollen vorüber war, husteten sie beide und sogen gierig die Luft zurück in ihre Lungen, die immer noch erfüllt war von feinen Staubkörnchen und Schnee. "Was bei Elendil treibt der Elb da draußen...", raunte Aneawin. "Will er den ganzen Berg zum Einsturz bringen?" "Pschscht! Sei still!", erwiderte Aegmar und hielt dann erneut die Luft an, als das Zittern verklang und das Grollen sich wieder legte. Fest preßte er sich mit dem Rücken zurück gegen die Höhlenwand und hob behutsam das Schwert. Staub klebte ihm in Haar und Bart und er unterdrückte ein weiteres Husten, denn jemand näherte sich mit lauten und hastigen Schritten dem Höhleneingang.
Er war groß, seine Schultern breit - und seine Silhouette pechschwarz. Er brüllte laut auf vor Wut.

"Es ist Ragbash...", flüsterte Aneawin. Aegmar nickte nur stumm.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 17.10.2011 03:39 | nach oben springen


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