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RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 04.01.2013 02:35
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Der große Ork atmete wild und aufgebracht. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich wie ein Schiff, das ein gewaltiger Orkan über die aufgewühlte See jagte. Er hob einen seiner langen Arme und reckte ihn zum Ausgang, dabei so laut aufbrüllend, daß der Berg erneut zu wanken schien.
Aegmar verzog das Gesicht, als das tiefe Dröhnen aus Ragbashs Kehle betäubend an sein Ohr drang. Zweifellos war dieser Uruk wütend und zwar mehr, als er und Aneawin es sich vorgestellt hatten. Schwarzes Haar klebte ihm am Rücken einer zerrissenen Rüstung und Blut war darunter auf seiner seltsam blaugrauen Haut zu erkennen. Er schien unbewaffnet, doch als er beide Hände zu Fäusten ballte, wirkten sie so groß wie der Kopf einer Streitaxt. Noch immer hatte er die beiden Männer nicht bemerkt, die in der Dunkelheit in seinem Rücken warteten, denn seine Aufmerksamkeit galt seinem Trupp, der nur wenige Schritt von ihm entfernt unter einer Lawine aus Stein und Schnee begraben worden war.
Ragbash schien zu überlegen, was er als Nächstes tun wollte: sollte er wieder ins Freie treten und jenen entgegentreten, die seine Gefolgsleute getötet hatten - oder sollte er seinem Auftrag, gar seiner Bestimmung, folgen, und weiter in das Innere Morias ziehen? Rache konnte er später noch üben; wichtiger war es jetzt, seinem Herrn zu gehorchen. Dies mußte er sich schließlich gedacht haben, als er nach einem weiteren Moment und einem weiteren tiefen Brüllen in Richtung des Risses herumfuhr und einen Schritt den Gang entlang tat.
Aneawin richtete sich behutsam auf, sein Rücken streifte die kalte Felswand hinter ihm und seine Hände packten fest den Griff seiner Waffe. Auch Aegmar spannte sich nun an, atmete so lautlos wie möglich Luft in seine Lungen und fühlte, wie die Muskeln in seinen Armen jede verfügbare Kraft ansammelten, um einen gewaltigen Streich gegen den Uruk zu führen. Aegmar verlagerte sein Gewicht für einen besseren Stand - und dann passierte etwas, das Aegmar nicht beabsichtigt hatte: ein Kiesel sprang unter seinem Stiefel weg!

Plopp.

Klack.

Ein winziges Geräusch nur, ein leiser Hall erklang, als er einen Schritt weit von Aegmar entfernt wieder auf dem Boden aufschlug. Aneawin weitete erschrocken die Augen und Aegmar hob den Kopf. Seine Lippen formten sich zu einem traurigen Lächeln. "Verflucht...", war alles, was er noch zwischen den Zähnen hervorpressen konnte, bevor Ragbash alarmiert auf ihn zusprang, in den Schatten griff, in dem er sich verborgen hatte, und einer seiner gewaltigen Klauen direkt an seinen Hals griff. "Nein!", schrie Aneawin laut auf und warf sich nach vorn, doch Ragbash hatte Aegmar bereits gepackt, ihn in die Mitte der Höhle gezerrt und herumgewirbelt. Düster starrte er in das Gesicht des Menschen vor sich.
Nur im letzten Moment konnte Aneawin noch mit einer beherrschten Drehung seine Klinge so zur Seite reißen, daß er nicht Aegmar traf und der Hieb, den er zur Rettung seines Fürsten führen wollte, stattdessen irgendwo neben ihm an die steinerne Wand krachte. Ein Splitter löste sich aus der Schwertschneide und hinterließ eine große Scharte darin.
Ragbash lockerte seinen Griff um Aegmars Hals nicht und stieß ihn nun mit dem Rücken zurück gegen den Felsen, so daß Aegmar ein oder zwei Rippen knacken hörte. Er wollte aufstöhnen, aber es fehlte ihm die Luft dazu, und so preßte er nur die Augen fest zusammen, um dem Schmerz zu begegnen, der sich in seiner Seite ausbreitete. Ragbash hielt ihn mit der Rechten gegen die Wand gedrückt und holte nun mit der Linken aus, um sie ihm ins Gesicht zu schmettern. Doch in diesem Moment fing Aneawin sich wieder, sammelte sich für einen erneuten Angriff und begann das Schwert zu heben. "Komm her, Du häßlicher Mistkerl!", brüllte er und trat auf den Uruk zu, der beinahe noch einen ganzen Kopf größer war als er selbst. Ragbash ignorierte ihn aber weiterhin und starrte fortwährend Aegmar an, seine Beute genau betrachtend. Blut troff ihm aus dem Mundwinkel und all der Zorn, den er ob des Verlustes seines Begleittrupps in sich trug, legte sich in den Hieb, den er nun mit seiner Faust ansetzte. Und hätte Aneawin nicht auf Ragbashs Ellbogen gezielt, hätte er sein Schwert nicht herumgedreht, um Ragbash mit der unversehrten Seite der Schneide zu treffen, hätte er gar nur ein bißchen weniger Kraft besessen, so hätte dieser Hieb Aegmars Gesicht zertrümmert - doch so war es Ragbash, der nun etwas verlor: seinen Unterarm und seine linke Hand.

Aneawin taumelte von der Wucht des eigenen Schlages zurück und Aegmar sackte jäh zu Boden, befreit von dem mörderischen Griff um seine Kehle. Er hustete und schnappte nach Luft. Seine Hände glitten zitternd und verzweifelt suchend über den rauen Felsboden, um das eigene Schwert wiederzufinden, das er längst verloren hatte während dieses ungleichen Kampfes.
Immer noch hustend fiel er nach vorn auf die Knie und ließ für einen Moment den Kopf hängen. Sterne tanzten vor seinen Augen und in seinen Ohren rauschte es, doch er durfte jetzt nicht aufgeben. Er mußte sich aufrichten. Jeder Augenblick zählte nun – denn auch Ragbash würde sich nicht ewig seinem Schmerz hingeben und um sein Leben kämpfen.
Beinahe den Verstand verlierend vor Wut fuhr der große Uruk zu Aneawin herum, der zwei Schritte zurück in die Höhle taumelte, um Ragbash von Aegmar fortzulocken. „Komm schon...“, zischte der Hauptmann erneut und Ragbash kam dieser Aufforderung ohne zu Zögern nach. Als wäre es ein Sieg und kein Verlust gewesen, reckte er den blutigen Armstumpf in die Höhe und stürmte dann mit gesenktem Kopf auf Aneawin zu. Die unversehrte Hand ballte er zu einer gewaltigen Faust. Aneawin versuchte auszuweichen, so weit es in der Enge der Höhle möglich war, doch Ragbashs Faust traf ihn in den Magen und Aneawin sackte für einen Moment vornüber – gegen den Uruk. Ragbashs Schulter hieb sich gegen Aneawins Brust und drückte den Hauptmann gegen die nächste Wand. Aneawin hob den Schwertarm und hieb den Schwertgriff von hinten auf das Schulterblatt des Uruks, genau dorthin, wo er vermutete, daß es ihm am meisten weh tun mußte. Doch er fand sich nur hilflos zwischen Uruk und Felswand eingeklemmt und zappelte wie ein Wurm, den man zwischen zwei Fingern hält, bevor man ihn auf einen Angelhaken spießt. „Aegmar...“, preßte er hervor und starrte in die Dunkelheit, einen verzweifelten weiteren Hieb mit dem Schwertknauf auf Ragbashs Rücken führend. „Am Leben...“, antwortete Aegmar atemlos. Er tastete immer noch nach seinem Schwert und gab es dann auf, als Aneawin ihn zur Hilfe rief.
Ohne einen weiteren Gedanken stürzte er sich nach vorn und trat Ragbash recht unfürstlich von hinten in die Kniekehle. Der Uruk schien es nicht einmal wahrzunehmen. Er keilte immer noch den Hauptmann mit seiner Schulter an der Wand fest und begann mit der freien Hand die Faust gegen seinen Kopf zu schwingen. „Laß ihn los!“, brüllte Aegmar, erntete aber nur ein höhnisches Lachen dafür. „Menschen...nicht mehr als Ungeziefer...ich werde Euch zerquetschen!“, grollte Ragbash – und wenn Aegmar nicht rasch etwas unternahm, würde er damit vermutlich auch Recht behalten.


– ~ –


Mein Tritt traf Arnulf an der Schläfe, doch tat er nicht die Wirkung, die ich mir erhofft hatte. Er kippte, durch den Schwung seines eigenen Schlages nach mir, leicht zur Seite. Mit der freien Hand stützte er sich auf dem Boden ab, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren, doch ich ließ ihm keine Zeit, sich zu fangen. Der Wasserschlauch verfehlte mich nur knapp, ich spürte ihn nahe meines Ohres und in meinem Haar, das er im Flug streifte. Dann landete er mit einem weichen „Klatsch!“ irgendwo an der Wand hinter mir. Ich fuhr herum und zog mein Knie an, rammte es Arnulf unter das Kinn und packte gleichzeitig mit beiden Händen nach seinem Kopf. Meine Finger krallten sich hinter seinen Ohren in seinem Haar fest. Ich spürte seine Kiefer aufeinanderschlagen und hörte ihn aufjaulen, sein Bart drückte gegen meine Handflächen. Er schloß die Augen und ich war sicher, daß ihm der Schmerz dieses Angriffs in Mark und Bein gefahren war. Seine Nase begann zu bluten und wenn ich Glück hatte, hatte er sich vielleicht sogar auf die Zunge gebissen.
Ich hoffte, daß er für einige Momente benommen war, denn um mich zu retten und diesen Kampf zu gewinnen, mußte ich Abstand zwischen ihn und mich bringen. Er war zu groß und zu kräftig für mich, um ihn in unserem Unterschlupf bekämpfen zu können. Ich mußte die Höhle also verlassen.
Abrupt ließ ich Arnulfs Kopf los und stieg über den kauernden Mann hinweg. Sofort spürte ich unter meinen Stiefelsohlen die scharfe Felskante: unter mir lag direkt die schroffe und steil abfallende Felswand. Der schmale Steg, der hinauf führte, lag unter einer dicken Schicht Neuschnee begraben und ich konnte ihn nicht ausmachen. Ich versuchte abzuschätzen, wie tief es hinuntergehen mochte. Zehn Meter...vielleicht zwölf. Ein Sprung, der mich wahrscheinlich nicht töten, aber möglicherweise schwer verletzen würde, wenn ich ihn zu unüberlegt tat. Etwa drei Meter von der Felswand entfernt wuchs eine Kiefer. Zu weit entfernt, um nach ihr greifen zu können und daran hinab zu klettern. Auch war sie nicht hoch genug, um überhaupt an den Höhleneingang heranzureichen. Aber sie war dennoch eine winzige Möglichkeit, meinen Sprung ein wenig abzufedern.

Ich spürte, daß Arnulf sich langsam zu erholen begann. Die Lederhose, die er trug, knirschte leise, als er sich herumdrehte. Mit dem Handrücken wischte er sich das Blut von der Oberlippe, das immer noch aus seiner Nase rann. Sein Kiefer wirkte verrenkt und in seinen Augen glomm gewiß nichts Gutes. Jetzt galt es: ich mußte springen oder mich ihm stellen. Beides schien mir verhängnisvoll – aber wenn ich bei meinem Sprung sterben würde, dann hatte ich dieses Schicksal wenigstens selbst gewählt. Arnulf hatte sich nun vollends zu mir herumgedreht und ich trat mit dem rechten Fuß einen Schritt zurück, um Sprungkraft zu sammeln.


– ~ –


„Ich kann es immer noch nicht fassen, daß Du Dir bei dieser Winterkälte lieber nasse Füße geholt hast, als Dein Pferd zurückzulassen, Junge.“, raunte Galariad mißmutig und warf einen knappen Blick zurück über seine Schulter. „So etwas hab ich noch nicht erlebt! Rohirrim...ertrinken lieber selbst, als daß es ihren Gaul das Leben kostet...“, fuhr er fort. Therowig zuckte nur verhalten die Schultern und seufzte lautlos in die Decke, in die er sich eingewickelt hatte. Die ganze vergangene Nacht und den halben angebrochenen Tag hörte er sich nun schon Galariads Worte an, die sich stetig wiederholten – nur unterbrochen von gelegentlichem, immer noch ungläubigem Kopfschütteln. Ja, das Eis auf dem Fluß hatte ihn nicht getragen und war gebrochen. Und ja – er war gerannt, als er es gemerkt hatte, und Galariads alarmiertem Ruf gefolgt. Er hatte es bis an das andere Ufer des Glanduin geschafft. Nicht sehr elegant, wie er zugeben mußte, sondern mit einem gewaltigen Sprung, der ihn der Länge nach in die Uferböschung befördert hatte. Dort hatte er sich in seinem Umhang gefangen und vermutlich gezappelt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er hatte einen Handschuh verloren, ebenso seine Umhangspange und sich das Wams eingerissen. Das Herz hatte ihm bis zum Halse hinauf geschlagen und er hatte sich mächtig erschrocken. Sein Pferd, das er über das Eis geführt und dessen Zügel er dann fahren lassen mußte, um sich zu retten, wieherte in blanker Panik hinter ihm auf. Das hatte ihn rasch wieder zur Besinnung gebracht – oder auch um den Verstand, wie Galariad es formulierte, denn Therowig war aufgesprungen und zurückgerannt. Er war in das eiskalte Wasser des Anduin getreten und hatte das Pferd am Zügel gepackt, um es herauszuzerren. Das Pferd bockte, wehrte sich und verdrehte die Augen, doch er hatte all seine Kraft aufgebracht, damit es nicht unterging. Er hatte wie ein Besessener am Halfter des Tieres gezogen, bis es endlich den Boden unter den Füßen wiederfand und stürmisch aus der Flut hinausgaloppierte. Es hatte Therowig gestreift und ihn erneut umgeworfen, was ihn seinen zweiten Handschuh gekostet hatte. Galariad mußte schließlich hinter dem durchgegangenen Pferd her reiten, um es wieder einzufangen. Dann hatten sie rasten und ein Feuer machen müssen, um sowohl das Pferd als auch Therowigs Füße zu trocknen. Doch das alles war es ihm wert gewesen, meinte Therowig. Er mußte nicht zu Fuß durch den Schnee stapfen und so kamen sie doch deutlich rascher voran. Um nichts in der Welt hätte er wie ein Knappe hinter Galariad hergehen mögen. Narienas Vater sah ihn ja so schon oft genug an, als sei er ein unwürdiger Bauernjunge.
Therowig beugte sich vor und tätschelte den Hals seines Pferdes. Nein, es war gut so gewesen. Da ertrug er auch gerne jeden Spott. Das Pferd war sein Stolz.

Galariad murmelte noch etwas, was er nicht verstand – oder auch nicht verstehen wollte. Er versuchte sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren, ignorierte dabei jegliche Aussagen über Rohirrim, Halsstarrigkeit und unüberlegte Sprünge in eiskalte Flüsse. Er dachte lieber daran, wie er den Weg durch Enedwaith wiederfand, den Arnulf und er einst genommen hatten. Da war es Frühling gewesen und die Landschaft nicht unter Schnee begraben. Es fiel ihm schwer, sich zu orientieren. Lediglich die Felsformationen und die Ansammlung einiger Fichten und Kiefern kamen ihm vage bekannt vor. Er zog die Zügel an und hielt inne, richtete sich leicht im Sattel auf und sah sich um. Galariad entfernte sich ein Stück von ihm, bevor er bemerkte, daß Therowig angehalten hatte. Fragend drehte er sich herum, folgte dann dem Blick des Freundes, der beobachtend umher schweifte. „Haben wir uns verirrt oder ist das noch der Weg nach Südosten?“, rief er dann. „Nein...wir sind noch auf unserem Weg...ich dachte doch, daß mir diese Klippe dort hinten vertraut scheint. Ich glaube, wir haben dort unser Nachtlager aufgeschlagen, bevor Arnulf und ich den Glanduin überquerten. Auf halber Höhe gab es einen Spalt, der groß genug war, um dort zu übernach...“, erwiderte Therowig überlegend, brach aber mitten im Satz ab und streckte dann plötzlich den Arm nach Westen aus. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Galariad wendete das Pferd und trabte zu Therowig zurück, als dieser auf etwas zu deuten schien. „Trügen mich meine Sinne – oder hat dieser Baum sich dort gerade bewegt...“, fragte Therowig und zog langsam den Arm wieder zurück. Galariad starrte nun in die gleiche Richtung und auch er nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: der Wipfel einer hochgewachsenen Kiefer bewegte sich, Schnee stob aus ihrem Geäst auf und hinterließ eine feine Wolke in der kalten Luft, die sich langsam auflöste und in feinstem Schneestaub zu Boden rieselte. Dann knickte ein Ast am Stamm des Baumes ab. Dann noch einer. Und noch einer. Ein Schatten fuhr am Stamm der Kiefer hinab zu Boden – und blieb dann regungslos liegen.



– ~ –



Aegmar trat erneut zu, genau in die sehnige Kniekehle des Uruks. Auch diesmal zuckte Ragbash nicht einmal. Er hieb mit der Faust in Aneawins Gesicht und die Versuche des Hauptmanns, sich zu befreien, wurden mit jedem Schlag schwächer und langsamer. Aegmar holte schließlich mit der Faust aus und zielte auf den Armstumpf des Uruks. Ragbash jaulte und Aegmar spürte so etwas wie Hoffnung in sich aufkeimen. Er schlug erneut zu, dann traf ihn etwas am Kopf, das sich anfühlte wie ein Felsbrocken. Ragbash hatte sich zu ihm umgewandt und seine Stirn gegen Aegmars Scheitel gerammt. Aegmar taumelte leicht benommen zurück und griff sich an die Stirn. Der Funken Hoffnung in ihm schwand wieder, doch dann jauchzte er innerlich unbändig auf. Er war auf etwas Metallisches getreten, das nun leicht schepperte, als er den Fuß zur Seite setzte und mit der Stiefelspitze anhob. Es war sein Schwert. Zitternd nahm er es auf und betrachtete für einen Moment einen fahlen, kaum wahrnehmbaren Lichtschimmer, der sich vom Eingang her auf der Klinge spiegelte. Dann packte er die Klinge fester und trat keuchend wieder hinter den Uruk.
Aneawin hatte seine Gegenwehr beinahe völlig eingestellt, seine Sinne schwanden und sein Blick trübte sich. „Bring ihn um...worauf wartest Du...“, flüsterte er, als er hinter Ragbashs Schulter Aegmars Klinge auftauchen sah. Doch der Freund zögerte. Wenn er Ragbash von hinten das Schwert in den Leib stoßen würde, könnte es durch ihn hindurch gehen und Aneawin ebenfalls treffen. Der Hauptmann schien plötzlich den gleichen Gedanken zu hegen und schüttelte den Kopf. „Tu es, Aegmar...tu es.“, beschwor er ihn, bevor ihm die Stimme versagte. Ragbash sog genüßlich die Luft ein und ein triumphierendes Knurren entkam ihm. Ein Schlag seiner Faust noch und seine Beute würde endlich aufgeben, dessen war er sich sicher. Dann würde er den Menschen einfach fallen lassen und ihn zerstampfen! Er packte Aneawin unter dem Kinn und hob sein Gesicht an, lehnte seinen Kopf beinahe behutsam zurück gegen die Felswand, um ihm ins Gesicht zu blicken, bevor er sein Leben nahm. Aneawin blickte zurück, direkt in die schwarzen unheilvollen Augen des Uruks. „Tu es...“, flüsterte er ein letztes Mal und schloß dann die Augen, um sich zu wappnen.

Er verzog den Mund, als ein sengender Schmerz ihn in die Seite traf. Etwas Hartes und Kaltes stieß an seinen Rippenbogen, hielt dann inne und drehte sich herum. Es knirschte und ein Knochen splitterte. Und auch wenn Aneawin immer noch ein helles Stechen verspürte, so schien es doch, als wäre es nicht sein Knochen, der geteilt und geborsten war. Ragbash ließ ihn plötzlich los und wollte sich herumdrehen, doch er konnte nicht. Irgendetwas hielt ihn fest. Der Uruk zuckte und wand sich, wirbelte mit den Armen und traf Aneawin einmal mit der Hand, als wollte er ihn ohrfeigen, doch er kam nicht von der Stelle. Dann verschwand er aus Aneawins Sichtfeld und der Hauptmann konnte einige Schritt entfernt den taghellen Ausgang des Risses ins Nebelgebirge sehen. Ragbash kniete zu seinen Füßen und Aegmar war über ihm, stemmte sich mit seinem gesamten Gewicht auf sein Schwert, das er mit beiden Händen umklammert hielt und in den Rücken des Uruks trieb. Die Spitze der Klinge ragte aus Ragbashs Brust und Aegmar dirigierte ihn wie eine Marionette zu Boden. Er zwang ihn immer weiter auf die Knie hinab.
Mit der ihm verbliebenden Hand griff Ragbash nach dem Stahl, der aus seiner Brust ragte, vermochte aber nicht ihn zu entfernen, sondern schnitt sich nur die Handflächen daran auf. Aneawin beugte sich vor, stütze die Hände auf die Knie und atmete tief durch. Ihm war schwindelig von den zahlreichen Hieben in sein Gesicht und auf seinen Kopf, auch fühlte sich sein rechtes Auge geschwollen an. Seine Nasenspitze berührte beinahe die des Uruks und er sah dem Gegner erneut in die schwarzen Augen. Ragbashs Maul öffnete sich, er zeigte seine Zähne und zischte. Auch Aneawin öffnete die Lippen und ein für den Hauptmann ungewohnt bösartiges Grinsen legte sich darauf. Dann begann er leise zu lachen. „Wer zerquetscht jetzt wen...“, keuchte er und Ragbashs Zischen wurde lauter.

Urplötzlich richtete er sich auf, ungeachtet der Klinge, die in seinem Leib steckte. Er holte mit seinem langen Arm aus. Aneawin richtete sich ebenfalls überrascht auf und dann passierten drei Dinge gleichzeitig: Aneawin stieß zurück an die Wand und hob seinen Ellbogen auf Kinnhöhe, um sich gegen den Faustschlag zu wappnen. Aegmar zog das Schwert aus Ragbashs Rücken, um ebenfalls auszuholen – doch weder Aegmar noch Ragbash kamen je dazu, ihren letzten vernichtenden Streich zu tun. Ein grauer, hochgewachsener Schemen tauchte im Eingang des Risses auf und ein Pfeil schoß aus der Dunkelheit heran, direkt an Aegmars Ohr vorbei und über seine Schulter hinweg! Er traf Ragbash genau in den Nacken und zerschmetterte seinen Halswirbel. Der Uruk begann zu röcheln und zu gurgeln und kippte dann vornüber. Aegmar atmete mit weit aufgerissenen Augen aus und drehte sich herum. Auch Aneawin stöhnte auf und ließ den Arm sinken, als Ragbashs Kopf genau zwischen seinen Füßen aufschlug und der erwartete Schlag ausblieb.
Die beiden Männer starrten zum Höhleneingang und sahen gerade noch, wie der Schemen einen langen schlanken Bogen sinken ließ und elegant Haltung annahm. Er nickte ihnen zu und hob anmutig grüßend eine Hand. „Der Elb...“, flüsterte Aneawin und sah Aegmar ungläubig an. Aegmar räusperte sich, wischte sein Schwert an Ragbashs Rüstung blank (jedenfalls einigermaßen und halbwegs leidlich) und steckte es dann ruhig und gefaßt zurück in die Scheide an seinem Schwertgurt. Er neigte den Kopf und deutete eine Verbeugung an. „Ich glaube, wir sind hier fertig.“, sagte er dann, stieß den Uruk aber vorsichtshalber noch einmal mit der Stiefelspitze an, als wolle er sichergehen, daß er auch wirklich tot und die Aufgabe vollbracht war. „Und grüß Dich, Maethruth.“, fügte er dann an. Aneawin stieg angewidert über den leblosen Körper Ragbashs hinweg und trat neben seinen Fürsten hin, jedoch nicht ganz so gefaßt. Er öffnete fassungslos den Mund und deutete mit dem Zeigefinger auf den toten Uruk, dann auf Maethruth und schließlich wieder auf den Uruk. „Er...er...er hat einfach...auf uns geschossen...ich meine, auf ihn...er hätte uns treffen können!“, stieß er hervor. Aegmar legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. Ihm fielen aber auch nicht die rechten Worte ein, die er nun hätte sagen können und die diesem Moment angemessen gewesen wären. Zu groß war die Erleichterung, die er in diesem Moment verspürte – also sagte er gar nichts, sondern tätschelte nur die Schulter des Freundes, der immer noch den Zeigefinger anklagend auf Ragbash gerichtet hielt.
„Nein, ich hätte Euch nicht treffen können. Ich wußte, was ich tat.“, sprach Maethruth und trat nun an die Freunde heran. Aneawin schüttelte Aegmars Hand ab. „Du...Du....Du Elb!“, preßte er hervor und Maethruth hob eine Augenbraue – unsicher, ob Aneawins Ausspruch eine Beleidigung oder eine Feststellung sein sollte.
Dann standen sie schweigend in der Dunkelheit des Berges beieinander und nur ihr Atem war zu hören. Und schließlich, nachdem viele Momente vergangen waren, in denen jeder von ihnen mit sich selbst ausgemacht hatte, was er nun denken und fühlen sollte, blickten sie gemeinsam hinaus in das Licht der Wintersonne. „Laßt uns gehen.“, sagte Aneawin. „Ich habe Hunger.“


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 04.01.2013 02:41 | nach oben springen


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