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Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:14
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

http://www.youtube.com/watch?v=iKGXJVRGNJ8
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"There is a wholesome air about Hollin. Much evil must befall a country before it wholly forgets the Elves, if once they dwelt there.“ „That is true.“, said Legolas. „But the Elves of this land were of a race strange to us of the silvan folk, and the trees and the grass do not now remember them. Only I hear the stones lament them: 'Deep they delved us, fair they wrought us, high they builded us; but they are gone.' They are gone. They sought the Havens long ago."
(The Ring goes South, TFotR)


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Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

- Der Beschützer von Hulsten -






Die Wolken wanderten träge über den weiten Himmel und die Nachmittagssonne ließ ihn in einem solch satten Blau erstrahlen, wie man es sonst nur aus dem Frühling kennt. Die Luft aber war kühl und beinahe gläsern, denn es war Winter und das gefrorene Gras in den Ebenen knirschte unter den Stiefeln.
Eregion lag einsam unter einer Decke von glitzerndem Reif und den letzten Wehen gefallenen Schnees. Und so unberührt dieses Land nun in den kältesten Tagen des Jahres schien, so konnte es aber doch niemand durchqueren, ohne Spuren zu hinterlassen. Nicht einmal ein Elb.
Tiefe Fußspuren drückten sich in das matte Weiß der Hügel und brachten das schlafende Grün unter dem Mantel aus Frost und Eis wieder hervor, wo Maethruth einher gegangen war. Er blies warme Wolken aus Luft vor sich her und sein Atem floh keuchend durch die endlose Stille. Sein Blick fiel zurück auf den Pfad, den er an der Flanke der Anhöhe hinterlassen hatte und er stützte sich auf seinen langen Speer, um zu rasten. Über ihm, auf dem Gipfel, den er fast erklommen hatte, lag Mirobel, doch streiften seine Gedanken nicht über die verblaßte Schönheit der ehemals starken und kunstvollen Bauten, die zwar verlassen, aber immer noch erhaben, in den Himmel ragten. Viel mehr war sein Augenmerk auf die Berge gerichtet, die noch weit hinter der alten Elbenstadt in der Ferne lagen: das Nebelgebirge. Weit im Osten erhob es sich wie ein gewaltiger Wall aus Schnee und Stein. Seine gekrümmten Zacken zerschnitten den Horizont und warfen lange Schatten auf die Wiesen und Wälder Eregions. Sturmwolken türmten sich zwischen seinen Hängen und Schluchten auf und würden neuen Schnee bringen. Vielleicht aber brachten sie auch noch etwas anderes.
Maethruth schüttelte schließlich den Kopf, hob die Augen an und betrachtete einen der Türme Mirobels, der ihn wie ein stiller Wächter zu begrüßen schien. Er packte den Speer und setzte seinen Weg fort, die Stirn in tiefe Falten gelegt.
Als der das Tor zur Stadt durchschritt, wurde ihm etwas leichter zumute, einige seiner Sorgen schwanden, doch neue kamen sogleich hinzu. Er horchte auf. Ein Pferd wieherte irgendwo auf der alten, gesprungenen Straße, die sich durch die Stadt wand und die Mauern warfen sein Klagen in widerhallendem Echo zurück. Feuer knisterten in geschmiedeten Laternen und Schritte erklangen irgendwo vor ihm. Es war immer noch kalt. Bitterkalt. Und als Maethruth erneut zum Himmel blickte, biß er hart die Zähne zusammen, denn er hatte bereits etwas von seinem Blau eingebüßt. Als er noch länger hinsah, wurde es deutlich: die Wolken zogen sich zusammen und bildeten langsam ein undurchdringliches Kleid aus unheilvollem Grau.
„Es kommt sicher nur ein kleiner Schneesturm.“, murmelte ein Mann, der an Maethruth vorüberging und sich bemühte, den Elben aufmunternd anzusehen. Als Maethruth jedoch nicht antwortete, blieb er stehen und blickte den Elben fragend an. „Oder meint Ihr nicht?“, fügte er an. Maethruth senkte den Kopf. „In manchen Gegenden ist selbst das Wetter von Bosheit durchdrungen. Vor allem, wenn sich das Heulen von Orks in den Klang des Windes mischt.“, erwiderte er schließlich. Der Mann sah ihn weiterhin an, überrascht diesmal, und rieb sich über das Kinn, dann legten sich seine Augenwinkel wieder in winzige Fältchen, als das Schmunzeln auf seine Miene zurückkehrte. „Ich bin ja nur ein fahrender Hufschmied, aber selbst ich weiß, daß es hier schon immer Orks gegeben hat. Sie kommen aus den Bergen und streifen durch das Land, aber hierher nach Mirobel haben sie sich noch nie gewagt. Und selbst wenn sie es tun würden, wir werden schon mit ihnen fertig. Ein paar krummbeinige Orks halten nicht den Nachschub nach Moria und die Lande dahinter auf.“, schloß er dann. „Nicht immer.“, antwortete Maethruth leise. Der Hufschmied zog die Brauen hoch und beugte sich leicht vor. „Wie meinen?“, fragte er. „Nicht immer gab es Orks in Eregion. Und ja, ein paar von ihnen werden solche wie Euch nicht aufhalten, die bald weiter nach Moria ziehen. Doch ein Sturm verschließt das Tor vielleicht wieder, das geöffnet wurde, um Euch einzulassen.“, sagte er, dann wandte er sich um. Der Hufschmied lachte. „Elben sehen auch in jedem zerknicktem Grashalm das Böse...“, sprach er noch, winkte ab und entfernte sich.
Auch Maethruth setzte seinen Weg fort. Wenn ihn der Ausspruch des Mannes verärgert hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Die Zeit, ihn zurechtzuweisen, fehlte ihm ohnehin. Und es wäre vermutlich ebenso vergeudete Zeit gewesen. Er betrat nun den Turm auf dem Gipfel, der Einzige, der noch nicht eingestürzt war.
Zeit. Zeit zerstörte langsam, was einer Ewigkeit hätte standhalten sollen. Und Zeit war es, die nie endete und doch in diesem Augenblick kaum einholbar entschwand.
Maethruth nahm nicht einmal den Umhang von seinen Schultern, wärmte sich nicht am Feuer, bis aus seinen Händen und Fingern das lähmende Gefühl der Kälte wich. Zu lange hatte er nun in Eregion geweilt und war der Ahnung gefolgt, die ihn vor Wochen aus dem Düsterwald hierher gebracht hatte. Nein, die Zeit floh vor seinen Augen und er mußte Nachricht senden!


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Manchmal, wenn die Luft klar ist, und der Himmel weit, gibt es einen besonderen Augenblick vor dem Sonnenuntergang. Er währt nur eine winzige Sekunde lang und zu leicht ist er zu verpassen für den, der unaufmerksam ist und es nicht wagt, dem gleißenden Angesicht der Sonne direkt entgegen zu sehen. Doch der, der geduldig ist und sein Augenmerk auf den westlichen Horizont richtet, bis das Licht verschwindet und sich hinter die Linie von Tag und Nacht zurückzieht, der wird belohnt: die Welt erstrahlt golden und sie ist rein und gut. Durchflutet von Wärme und Helligkeit und einem Schein, der Trost bringt und jene Kraft offenbart, die allem Leben innewohnt. Es ist ein Moment, der Erinnerungen verstummen und Sorgen vergehen läßt.
Heute war so ein Abend, an dem die Luft frisch und der Himmel unendlich schien. Und kurz bevor die Sonne ihr Auge schloß und sich zum Schlaf hinter den Bergen bettete, schenkte sie allen, die sie angesehen hatten, ihr hellstes Licht und ihren kostbarsten Glanz.
Ein Seufzen entrang sich mir, denn auch, wenn im Westen noch eine Weile der verblassende Schein des Tages zu sehen sein würde, so würde doch bald die Nacht hereinbrechen und die Wälder mit Dunkelheit verschlingen. Aber es war kein Abschied auf ewig vom Tage, selbst wenn die Nachtstunden hier im andauernden Winter lang und zäh wie Teer waren. Auch davon erzählte der letzte Augenblick des Sonnenuntergangs: von der Hoffnung auf einen neuen Tag und den Beginn wacher Stunden mit neuem Mut im Herzen.
Jede Kraft, die ich bekommen konnte, wollte ich aufnehmen. Jeden Mut, der mir zuteil würde, mußte ich ergreifen. Ich fürchtete mich – jedoch nicht die Nacht, die vor mir lag und die alle Kreaturen, die außerhalb der Mauern der Feste Galadh zwischen den Bäumen herumkriechen mochten, näher an die Festung heranführen würde. Ich fürchtete einen Blick, der auf mir ruhen würde, sobald ich einen Brief, den ich in der Hand hielt, überbracht hätte. Ein tadelnder Blick würde es sein, vielleicht ein zorniger, ganz gewiß aber ein enttäuschter. Und da er mich aus den Augen meines Fürsten treffen würde, war es mir umso schlimmer darum. Ich hatte den Brief geöffnet und ihn gelesen, aber er war nicht für mich bestimmt gewesen, sondern für ihn.
Ich hatte ihn später nicht wieder verschließen und das Siegel darauf nicht ersetzen können. Jetzt lag er da, in meiner Handfläche. Ein Stück Pergament nur, aber dennoch ein stummer Zeuge für eine Tat, die das Vertrauen, das Aegmar mir schenkte, gebrochen hatte. Ich hatte es aus Neugier getan, vor allem aber aus Sorge und auch ein wenig, weil ich verärgert war.

Drei Wochen waren vergangen, seitdem Maethruth unsere Gemeinschaft verlassen und nach Eregion aufgebrochen war. Nur wenige Tage nach seiner Abreise hatte ich ihm geschrieben, wichtige Angelegenheit drängte mich dazu: Therowig litt unter einem seltsamem Schmerz und einer Müdigkeit, die ihn selbst nach jener Schlacht, wie wir sie in Minas Gíl geschlagen hatten, nicht so lange hätte schwächen dürfen. Er lag nieder, oftmals in allertiefstem Schlaf, und ein Fieber wütete in ihm, das ihn langsam seiner Kraft beraubte. Es ging aus von der Wunde auf seinem Arm, die Yhared ihm auf der Spitze des Turmes der Sternwarte zugefügt hatte.
Ein kleiner Schnitt, doch tief genug, um mit unerklärlicher Macht in Therowigs Seele vorzudringen. Er erholte sich nicht von jenem Kampf und hatte er doch seine Pflicht tun wollen, so war es ihm nach wenigen Tagen nicht mehr möglich gewesen auf den Zinnen der Feste zu wachen und die Orks zu vertreiben, die durch das Umland strichen. So hatte ich Maethruth um den Dolch befragt, der Therowig diese Wunde beigebracht hatte. Es war jener gewesen, den Yhared mir geschenkt hatte. Maethruth hatte ihn an sich genommen, nachdem er mir in die Feste gesandt worden war, und seitdem aufbewahrt. Ich hatte Therowig damit töten sollen, doch wie hätte ich das jemals tun können?
Yhared hatte jedoch noch einen Dolch besessen, jenen, den er mir abnahm, als ich in seine Feste zog, um meine Gefährten gegen mich selbst einzutauschen, nachdem Yhared sie in unheilvoller Schlacht in seine Gefangenschaft gezwungen hatte. Jeder der Zauberer, die in Minas Gíl umgegangen waren, besaß einen Dolch. Mordor-Klingen zumeist. Und irgendetwas war mit meiner Waffe in Yhareds Hand geschehen. Sie hatte nicht nur Therowigs Körper verletzt. Sie hatte eine Wunde geschnitten, die tiefer ging. Viel tiefer. Es war unverkennbar.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 04.03.2012 00:05 | nach oben springen

#2

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:15
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Dringend hatte ich auf Antwort gehofft, auf ein Schreiben von Maethruth, das mir von der Wirkung schwarzer Klingen berichtete. Wenige Zeilen nur hatte ich mir erwünscht, aber sie blieben aus. Bis zu diesem Abend. Aber Maethruth hatte nicht mir geschrieben, er hatte sich an Aegmar gewandt.
Ich konnte nicht warten. Ich mußte wissen, ob etwas über den Dolch in jenem Brief stand und ob Maethruth einen Rat hatte, wie der Düsternis, die am Werke war, zu begegnen sei. Ich betrachtete den Siegelwachs, der sich verräterisch unter meinem Fingernagel rot abzeichnete. Dann besah ich mir abermals den Brief. Delikat wurde meine Lage besonders dadurch, daß er keinen jener Ratschläge enthielt, die ich erfragt hatte. Dennoch war er beunruhigend und mußte zweifellos in Aegmars Hände gelangen:



Seid gegrüßt, Aegmar von Gondor!

Wenn dieses Schreiben Euch erreicht, woran ich nicht zweifle, bedeutet dies, dass der oder die Überbringer sicheren Weges von Mirobel zum Westtor Khazad-dums, durch Zwergenmine und -binge unter dem Gebirge hindurch, den Schattenbachsteig hinab, durch Lorien, über den Anduin bis nach Ost-Galadh gelangen konnten. Noch vor kurzer Zeit wäre es undenkbar gewesen, eine solche Reise überhaupt zu wagen. Und tatsächlich besteht keine geringe Gefahr, dass die befreite Passage schon bald wieder verschlossen sein wird.
Gerade in den Monaten des Winters, wenn die hohen Pässe nur schwer oder gar nicht gangbar sind, ist die Zwergenstraße unter dem Gebirge ein Geschenk, welches die freien Völker nicht hoch genug schätzen können.
Ihr stammt aus Gondor. Und Ihr habt selbst gesehen, dass Eriador keine leere Wüstenei ist, sondern dass sich hier, einmal aus dem Schlummer erweckt, eine nicht unbeträchtliche Macht erheben kann, welche, wie überhaupt alle guten Mächte, die noch in der Welt wohnen, am Ende im Süden gebraucht wird, wenn der weisse und der dunkle Turm ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben, ihre Karten offenlegen und ihre Spielfiguren ins Feld schicken. Doch ist die Pforte von Rohan versperrt, der Weg, auf dem Ihr einst in den Norden kamt, der Weg, auf dem Ihr nach Gondor zurückkehren wolltet, und der Weg, auf dem Eriador dem Süden zu Hilfe eilen könnte. Könnt Ihr sie wieder öffnen? Oder dünkt es Euch leichter, das Erreichte zu bewahren und die befreite Straße unter dem Berg zu verteidigen? Oder mag sogar beides gelingen? Ich selbst bin in dieser Frage noch unentschlossen. Doch war ich in dieser Sache jüngst um alle Nachricht und Neuigkeiten bemüht und teile meine Erkenntnisse mit Euch ebenso gerne, wie ich Euer Urteil vernähme.
Wenn Eure Angelegenheiten in Ost Galadh also abgeschlossen sind, so erwägt doch, den umgekehrten Weg dieses Briefes zu nehmen, damit wir uns in Eregion beraten und zu gutem Entschluß für unser beider und alle freien Völker finden können. Ich werde Euch einen Teil des Weges entgegenreisen und in Echad Dunann erwarten.

Ein gütiges Schicksal behüte Euch!
Maethruth




Ich biß mir auf die Unterlippe. Die ersten Sterne begannen am Abendhimmel zu blinken, als ich sie mit einem Blick bedachte, der die Zeit noch hinauszögern sollte, bevor ich die Bank, auf der ich saß, verlassen mußte um vor meinen Fürsten hinzutreten. Ebenso entsprang das erneute Richten meiner Beinkleider einem Zögern, das ich nurmehr nicht anders als Feigheit bezeichnen konnte. Feige wollte ich aber keineswegs sein, so zwang ich meine Füße schließlich, mir einen festen Stand auf dem Boden zu suchen, und endlich mein Versteck an der hohen Festungsmauer zu verlassen. Mit gutem Zureden zu meinen Knien gelang es mir, mich zu erheben. Der Boden war gefroren und so war langsamer Schritt angebracht, wenngleich der meine vielleicht auch etwas langsamer als nötig war. Dennoch brachte er mich unaufhaltsam den Quartieren näher, die im Süden der Festung lagen.
Ein guter Moment. Ein guter Moment war alles, was ich brauchte. Einer, in dem Aegmar ausgezeichneter Laune war, dann war sein strafender Blick gewiß nicht ganz so beschämend.
Als ich ein lautes, fröhliches Lachen und ein aufmunterndes Gebrüll aus dem Quartier schallen hörte, wähnte ich mich dankbar und einem großen Glück verpflichtet, daß ein solcher Moment tatsächlich gerade vorüber gegangen war.

Die Luft war warm und feucht, als ich das Quartier betrat. Kohlebecken brannten in der Mitte des Saales und an den dunklen Seitenmauern. Die Mannen der Feste drängten sich dicht darum, hauchten dampfenden Atem hinein und streckten die Hände nach der lichten Wärme aus. Doch ihre Augen, die waren allesamt zum größten Feuerschein in der Halle gerichtet, wo ein langer, hölzerner Tisch aufgestellt war. Hier wurde gespeist, sich beraten und am Abend Würfel gespielt. Es wurden Geschichten erzählt und Neuigkeiten ausgetauscht, manchmal wurde sich auch gestritten. Da nicht alle zu Gängen mit der Klinge neigten, um ihre unterschiedlichen Ansichten zu verteidigen, und dies zudem im Angesicht des Krieges in diesen Landen unpassend gewesen wäre (schließlich war man ja doch irgendwie verbündet...), fielen einige Entscheidungen auf ganz einfache Art: Mann gegen Mann und Arm gegen Arm.
An meinem Glück zweifelte ich zu meinem Verdruß wieder, als ich feststellte, daß Aegmar zwar unter den Anwesenden weilte, sich aber leider nicht in der zuschauenden, gut gelaunten Menge befand, sondern an jenem Tisch saß! Seinen Umhang hatte er abgelegt, zusammengefaltet hing er über der Stuhllehne hinter ihm. Und er legte sein Wappen nur ab, wenn er sich (was selten vorkam, aber eben doch passierte) einmal gänzlich unfürstlich zu benehmen gedachte.

Sein Gegner war ein Mann aus einem Haus, das ich nicht kannte, doch selbst im Sitzen überragte er meinen Fürsten um gut einen halben Kopf. Er trug einen wirren blonden Haarschopf und einen ebenso wirren blonden Bart. Was zwischen Aegmar und diesen Recken geraten sein konnte, konnte ich ich mir nicht erklären. Aegmar war mehr als einer bekannt, der Streitigkeiten schlichtete, als sie zu suchen. Doch zweifellos herrschte Groll zwischen ihnen, was eindeutig das sehr verächtliche Grinsen auf der Miene des blonden Riesen beschrieb, als er Aegmars Hand und seinen Unterarm einer der brennenden Kerzen zuführte, die links und rechts auf den Seiten des Tisches aufgestellt waren.
Aegmar preßte verbissen die Lippen aufeinander und seine freie Hand klammerte sich kraftsuchend um die Tischkante, als er schon die Hitze der Kerzenflamme auf seinem Handrücken spürte. Seine Stirn glänzte und ich sah die gespannten Armmuskeln unter seinem Hemd hervortreten. Ich wußte nicht so recht, ob ich erstaunt oder erheitert sein sollte, als Aegmar plötzlich den Kopf auf die Brust sacken ließ, ihn mit einem lauten „Raaarrrrrrrrrrrrrr!“, wieder hochriß und dann ein Gesicht machte, als hinge sein Leben davon ab, seine Hand vor dem Feuer zu retten. Er wollte nicht aufgeben und er tat es auch nicht. Langsam, ganz langsam, kam sein Arm wieder hoch, richtete sich auf und drängte den des Gegners zurück, der dieser Anstrengung nur mit einer verblüfften Fassungslosigkeit begegnen konnte. Ihre Arme waren so fest ineinander verhakt, daß ich fast wähnte, sie seien nie wieder voneinander zu lösen. Dem Blonden gefiel nicht, daß Aegmar offenbar die Niederlage abgewendet hatte. Schlimmer noch, ihn entschlossen der eigenen zuführte, in dem er weiter gegen ihn hielt und seine Faust nun mit eisernem Griff langsam auf seiner Seite des Tisches in Richtung der Kerze drückte. Es kam jedoch nicht dazu, daß der Hüne den Kuß des Feuers spürte. Als er nur noch eine Handbreit von der Flamme entfernt war, sprang er plötzlich auf. Und zwar so heftig, daß der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, polternd umfiel. Für einen Moment herrschte Stille in der Halle, dann brach tosender Jubel und gellender Aufruhr los. Der Blonde ballte die freie Hand zur Faust und stieß sie gegen Aegmars Kinn, dessen Kopf herumgerissen wurde, was ihn beinahe ebenfalls seinen Stuhl und sein Gleichgewicht gekostet hätte. Ich sog harsch die Luft ein und konnte nur stumm die Lippen öffnen, als Aegmar ärgerlich knurrend herumfuhr, aufstand, dann seinerseits über den Tisch langte und den Gegner am Kragen packte. Er zog ihn mit gewaltigem Griff zu sich heran, so daß der Oberkörper des Mannes krachend auf die Tischplatte schlug. Vollkommen überwältigt sah er sich um und dann schmerzerfüllt auf, als er Aegmars Unterarm spürte, der sich in seinen Nacken preßte, um ihn niederzuhalten. Nur ein Hieb in Aegmars Magen konnte ihn von dieser Schmach befreien und ich sah meinen Fürsten, der loslassen mußte, sich daraufhin krümmte und dann rückwärts taumelnd irgendwo in der Menge verschwand. Der Blonde setzte ihm unter einigen zustimmenden und ebenso vielen unflätigen Rufen nach.
Ich seufzte. Aber ich wußte nun, daß ich Aegmar nun nicht mehr aufsuchen mußte, denn es würde nicht lange dauern, da würde er mich finden. Und das tat er auch.

Ich ging und wartete. In den Räumen der Heiler auf der Nordseite der Festung war es still. Es waren die einzigen Quartiere, die noch einen Kamin besaßen und er strahlte eine angenehme und heilsame Wärme aus. Die meisten Betten und Lagerstätten waren belegt, doch nahe der Türe fand ich eine leere Pritsche. Aus einem der Schränke nahm ich eine Schale, füllte sie mit Wasser aus dem Kessel, der im Kamin hing, und bedeckte sie dann mit einem Leinentuch. Ich stellte sie neben mich auf die Pritsche und schlug die Beine übereinander.
Später, wenn man jemanden aus dem Haus Faust und Feder dazu befragte, war der Kampf unentschieden ausgegangen. Einige, die Aegmar besonders nahe standen, meinten sogar, Aegmar hätte ihn vielleicht sogar gewonnen. Also eigentlich jedenfalls. Andere, die nicht unser Wappen trugen, waren der Ansicht, er hätte ihn verloren Was davon zutraf, war nicht mehr festzustellen, aber als ich schließlich die Türe neben mir leise knarren hörte und Aegmar eintrat (sich dabei Wange und Kinn haltend), stand zeifellos fest, das keiner von beiden Kämpfern zurückgesteckt hatte.
Ich betrachtete ihn einen Augenblick und vernahm das leichte Zucken um seine Mundwinkel, das entschuldigend und triumphierend zugleich wirkte, bis ein feiner Schmerz irgendwo in seinem Leib Aegmar zusammenzucken und neben mich auf die Pritsche sinken ließ. Er räusperte sich und zuckte dann erneut zusammen. „Laß es mich sehen...“, flüsterte ich nur, um jene nicht zu wecken, die in erholsamem Schlaf die Kammer mit uns teilten. Ich nahm Aegmars Hand und bog sie sachte von seinem Gesicht fort, dann drehte ich es in das goldene Licht des Kaminfeuers.
Während ich das Leinentuch in das Wasser tauchte, sah ich Aegmars Blick wissend funkeln und las seine stille Dankbarkeit darin. Der gute Moment, den ich brauchte, um ihm Maethruths Schriftstück zu überbringen, war vielleicht noch nicht vorüber.

Ich betupfte das Blut auf Aegmars Wangenknochen so behutsam ich konnte. „Erzählst Du mir, wer dieser Kerl war und welchen Grund Euer Streit hatte?“, fragte ich ihn. „Es war nicht mein Streit mit ihm.“, erwiderte Aegmar langsam. „So? Dann habe ich mich vielleicht getäuscht und Eure...Begegnung...war selbstverständlich von freundschaftlicher Art.“, schmunzelte ich. Aegmar räusperte sich erneut. „Nunja, eigentlich war es Therowigs Streit. Dieser Mann, seinen Namen habe ich womöglich schon wieder vergessen, ist irgendein Vetter von ihm. Sie haben sich vor einiger Zeit schon hier getroffen. Welcher Art ihre Streitigkeit ist, weiß ich nicht recht, glaube aber zu ahnen, daß es wohl etwas mit einem Mädchen zu tun hatte. Wegen einer alten Geschichte, die ohnehin beendet ist...“, Aegmar warf mir einen flüchtigen Blick zu, „...wollte jener edle Cousin nicht auf einen Akt der Vergeltung verzichten. Da Therowig kaum aber auf die Herausforderung antworten konnte...“ „...hast Du es stattdessen getan. Ich verstehe.“, führte ich Aegmars Erklärung zuende und schüttelte den Kopf. „Feine Freunde seid ihr.“ Aegmar hob leicht die Schultern, ließ sie aber sogleich wieder sinken. „Ich habe heute durchaus gelernt, daß man sich besser nicht in die Angelegenheiten des rohirrischen Adels einmischt.“, gab er zu. „Ganz gleich, welche das sind.“
Ich lachte leise und griff wieder nach Aegmars Hand, als er sein Kinn berühren wollte. „Nicht. Halt still.“, sagte ich und wrung den Lappen aus. Das Wasser in der Schale färbte sich rötlich und ich betrachtete es mit Leid. „Therowig hat mir nicht erzählt, daß Verwandte von ihm in Emyn Lûm sind.“, meinte ich und drehte Aegmars Gesicht nun etwas zu mir. „Ich würde Dir solche Verwandten auch nur ungern vorstellen.“, erwiderte er. Ich lachte erneut. „Ich hatte nicht immer Gefährten, die wissen, daß ein Messer auch zum Brotschneiden dienen kann, Aegmar. Es liegen andere Zeiten hinter mir.“, sagte ich. Er nickte. „Das weiß ich. Therowig mag seine Gründe haben – vielleicht wollte er ja nicht, daß Du von anderen Röcken erfährst, denen er einst nachgejagt hat.“ Ich hielt inne und wrung den Lappen erneut in der Schale aus. „Oh, ich weiß, daß er einst oft und gern verliebt war. Aber das ist kein Grund, ihm in diesen Tagen nicht zu vertrauen. Dinge ändern sich, sonst wäre auch ich nun nicht hier.“, sprach ich. Aegmar nickte vorsichtig und verzog das Gesicht. Er atmete tief ein, als ich seine Schulter berührte. „Vermutlich verstaucht.“, murmelte er dunkel. „Wie geht es Therowig denn?“, fragte er dann. Ich fuhr mit der Handfläche über Aegmars Schulterblatt. „Unverändert. Noch immer. Meine Sorge schwindet nicht. Doch kam Nachricht von Maethruth vor einer Stunde, ich wollte Dir den Brief überbringen, als....nun. Vielleicht beantwortet er meine Fragen über Therowigs Verletzungen, die mir so dunkel erscheinen und die auch die Elben mit ernstem, aber hoffnungsvollerem Blick betrachten als ich. Ich wünschte, er würde sich endlich erholen und der Schatten in seinem Antlitz verschwinden.“, antwortete ich und griff in mein Wams, um den Brief hervorzuziehen.
Ich zögerte noch einen Augenblick, dann gab ich ihn Aegmar. „Er ist an mich gerichtet.“, stellte er fest. „Aber warum ist er geöff....au!!!“ Zu fest hatte ich mit dem Tuch auf eine Stelle an seinem Kiefer gedrückt. Ich zog die Hand zurück und fühlte mich schuldig und erleichtert zugleich, daß Aegmar seinen Satz ungewollt abgebrochen hatte. Unbewußt war dies meine Gelegenheit gewesen seine Gedanken in eine andere Richtung als auf das gebrochene Siegel zu lenken. „Lies ihn ruhig.“, sagte ich rasch und griff vor Aegmar hin, um den Brief aus dem Umschlag zu ziehen. Er verfolgte meine Hand mit einem Blick, der nicht sehr freundlich war und gleichsam überrascht. „Er ist sicher wichtig.“ Ich hielt seinen Augen nicht mehr stand und ging, um das Wasser in der Schale zu erneuern.
Auch meinen Schritt zum Kamin verfolgte Aegmar ahnungsvoll, nahm dann aber kopfschüttelnd die Nachricht auf und begann sie zu lesen. Ich biß mir auf die Lippe und mußte schmunzeln.


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#3

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:15
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Während er las, wusch ich das Blut, das nun beinahe getrocknet war, von seiner Schläfe. Ich erzitterte leicht, als er geendet hatte und erneut den Mund öffnete. Er nahm dabei den Kopf zurück, als erwarte er einen neuen, zu festen Druck meiner Hand, wenn er wieder auf das Siegel zu sprechen kommen würde. Er legte den Umschlag aus der Hand und schob ihn beiseite, sein Blick dabei war prüfend auf mich gerichtet. Diesmal hielt ich ihm jedoch stand. Wir wußten beide, daß ich es gewesen war, die das Dokument zuerst gelesen hatte. So lächelte ich nur entschuldigend und Aegmar beließ es dabei, tadelnd eine Augenbraue zu heben. „Weißt Du, was seltsam ist...“, begann er leise und beugte sich dann zu mir vor. „Ich habe auch einen Brief von Maethruth erhalten. Und er ist an Dich adressiert. Er kam ebenfalls vor einer Stunde an.“
Aegmar griff in sein Hemd und zog einen zerknitterten Umschlag hervor. Als er ihn mir gab, spürte ich, wie meine Wangen glühend rot wurden vor Scham. „Der Bote war wohl nicht sehr zuverlässig.“, fügte er an. Nun war er es, der lachte, als ich gegen seine Schulter sank und die Stirn daran verbarg. „Oh, bei Elendil...es tut mir leid.“, murmelte ich. Aegmars Lachen wurde lauter und einer der Schläfer im Raum drehte sich unruhig unter seiner Decke herum, so daß Aegmar sogleich verstummte und nur noch ein jungenhaftes Glucksen zu hören war. „Dem einen ist Neugier eine Tugend, dem anderen ein Fluch.“, sagte er und ich hob abrupt den Kopf. „Es war nicht Neugier, sondern Sorge!“, erwiderte ich und er hob eine Hand. „Ich sehe es Dir nach. Über Maethruths Botschaft werden wir uns ohnehin unterhalten müssen.“, meinte er dann und ich nickte. Ich rückte schließlich ein Stück von ihm ab und sah in sein Gesicht. Tagelang würde es noch Spuren von diesem Abend tragen. „Mehr kann ich heute nicht mehr für Dich tun. Die Wunden sind gesäubert, sie werden rasch verheilen – hoffe ich.“, sprach ich also. Aegmar fuhr sich behutsam über das Kinn, das eine blau anlaufende Prellung trug. „Mein Stolz wurde härter getroffen.“, sagte er und erhob sich langsam und schwer. Einen Moment lang brauchte er, sich aufzurichten. „Ich gehe nun schlafen, in der Frühe werde ich Dich wecken. Dann beraten wir, was zu tun ist. Maethruths Befürchtung ist eine ernste Angelegenheit: sollte das Tor in unserem Rücken sich verschließen und der Feind eine starke Linie in Eregion errichten, dann wird das schlimm enden und jeder Sieg, der bisher errungen wurde, könnte umsonst gewesen sein.“ Er klang nachdenklich, als er so sprach und das Schmunzeln wich aus seinem Gesicht. Dann atmete er tief aus und ging.
Ich blieb zurück und sah auf den Brief in meiner Hand. „Danke, Maethruth.“, flüsterte ich leise und glitt von der Pritsche hinunter auf den dünnen Teppich vor dem Kamin. Hastig riß ich das Schreiben auf und meine Augen hasteten im flackernden Feuerschein über die Zeilen, die so fein und doch in Eile geschrieben worden waren:



Werte Frau Nariena,

ich sende Euch diesen Brief aus Ost-in-Edhil, welches man heute Mirobel nennt, in der Zuversicht, dass er Euch auf schnellem Wege erreichen wird. Die Öffnung der Minen durch die Eiserne Garnison hat so Vieles ermöglicht.
Es geht um jenen Dolch, den ich seinerzeit in Ost Galadh an mich nahm und über den und die Verletzung, die er Herrn Therowig schlug, Ihr recht besorgt wart. Eure Sorge war nicht unbegründet. Es handelt sich bei der Klinge in der Tat um eine der schwarzen Waffen des Feindes, denen ein übler Zauber innewohnt, welcher nicht nur Fleisch, sondern auch Seele versehrt. So bestätigten mir die Elben, welche die Ruinen der alten Schmieden der vergangenen Elbenstadt durchforschen. Unter ihnen sind Angehörige der einstigen Mirdain, und an ihrem Urteil kann nicht gezweifelt werden. Ihren Rat befolgend habe ich die Waffe in sicheren Händen nach Bruchtal senden lassen, wo sie eingeschmolzen und ihr dunkler Zauber ganz und gar ausgetrieben wird.
Doch bei alledem sorgt Euch nicht zu sehr, denn Dolch und Zauber waren von schwächerer Natur, und ohne Zweifel kennen die Elben in Ost Galadh Mittel und Wege, solches Ausmaß des schwarzen Atems zu lindern und die Verwundung vollkommen zu heilen. Womöglich wißt Ihr selbst, dass das Athelaskraut für diesen Zweck besonders geeignet und wirkungsvoll ist.
Zusammen mit diesem Brief sende ich Nachricht an Herrn Aegmar. Sollte er dem, was ich ihm mitzuteilen hatte, zustimmen, werden wir uns vielleicht in Kürze wiedersehen.

Bis dahin mögen Euch die Sterne leuchten!
Maethruth




Als ich den Brief gelesen hatte, tat ich einen langen Seufzer. Eine Last wich von mir, wenn auch nicht gänzlich. Ich stand auf und bemühte mich um besonders leisen Schritt, als ich den Raum durchquerte und eine Treppe hinaufstieg, die hinter einem schmalen Durchgang in der Wand in das obere Stockwerk der Heilerquartiere führte. Therowig ruhte hier seit einigen Tagen in einer kleinen Kammer, auch wenn er sich zunächst geweigert hatte, die Halle seiner Schar zu verlassen. Aegmar hatte es schließlich verfügt und Therowig gehorchen müssen. Die Stille in diesem Raum hatte ihn endlich zur Ruhe gebracht und als ich zu ihm trat, da war auch mir, als sei sein Schlaf nun deutlich weniger einer beunruhigenden Bewußtlosigkeit ähnlich und weitaus erholsamer.

Lautlos ließ ich mich auf der Bettkante seiner Liege nieder und strich ihm behutsam das rotbraune Haar aus der Stirn. Sein Gesicht war blaß, nur seine Augen von tiefer Farbe, als er sie aufschlug und mich müde ansah. „Nariena...“, flüsterte er, die Stimme trocken und rau. Ich lächelte dennoch. „Es ist ein Brief von Maethruth angekommen, schau!“, sagte ich und Therowig richtete sich mühsam auf. Er lehnte sich mit dem Rücken an das hölzerne Kopfende des Bettes und zog die Öllampe, die neben ihm auf einem Tisch brannte, näher heran. Dann nahm er mir das Schreiben aus der Hand und überflog es.
„Bruchtal, hm? Soviel Mühen wegen eines kleinen Schnittes.“, brummte er und sein Blick richtete sich auf seinen verbundenen Oberarm. „Seit einer Woche trinke ich doch schon nichts anderes als Athelas-Aufguß.“ „Dann wird er Dir auch bald helfen und die Schatten wieder vertreiben. Manche Dinge brauchen Zeit, um in der Tiefe zu wirken, vor allem wenn sie wirklich Böses wieder vertreiben müssen. Und die Waffen des Feindes sind wahrlich nicht frei davon, wie Du weißt.“, erwiderte ich. Therowig nickte nur. „Unnütz zu sein ist nicht angenehm für mich. Noch weniger als alles andere.“, sprach er und sein Blick verfinsterte sich. Ich nahm seine Hand. „Du bist nicht unnütz, nur verletzt. Manch anderer ist sein Leben lang unnütz, selbst wenn er unverletzt bleibt.“, sagte ich und Therowig lehnte den Kopf zurück. Den Brief legte er auf den Tisch und umschloß dann meine Finger. „Erzähl mir, was in der Feste vor sich geht. Gibt es Neuigkeiten? Ich vernahm vor einiger Zeit solch einen Lärm, er schien irgendwo aus den Quartieren zu kommen.“, fragte er und sah mich erwartungsvoll an. Ich öffnete die Lippen, schloß sie dann aber wieder; unsicher, ob ich Therowig von Maethruths zweitem Brief berichten sollte. Dunkel ahnte ich, was dann geschehen würde: augenblicklich würde er in Aufruhr geraten und sein Bett verlassen. Ich entschied, vorerst zu schweigen und bis zum Morgen zu warten, wenn Aegmar ihn zweifellos selbst aufsuchen würde.

„Lärm...nun...ja, es gab einigen Unmut über den Ausgang eines Wettstreits, will ich meinen.“, sagte ich stattdessen. „Ich fürchte, Aegmar und....Dein Vetter....waren daran maßgeblich beteiligt.“ Therowigs Brauen zogen sich nach oben. „Mein Vetter?“, meinte er überrascht und dann huschte ein schmerzliches Leuchten über sein Gesicht. „Ach ja...“, murmelte er, als wollte er sich nur ungern an den Verwandten erinnern. Verübeln konnte ich es ihm nicht, daher schmunzelte ich. „Er heißt Arnulf. Er hat mich vor ein paar Tagen besucht, als er in der Feste ankam. Wie ich wurde er einst als Bote ausgesandt, ein gutes Stück des Weges aus Edoras sind wir sogar zusammen gereist, bis sich unsere Wege trennten, denn er mußte weiter nach Westen, während ich in Bree blieb. Als uns bewußt wurde, daß wir nicht mehr zurück nach Hause konnten, hat er sich irgendwo niedergelassen, ebenso wie ich. Aber ich hörte danach nichts mehr von ihm – bis zuletzt. Er ist jetzt Söldner, in wessen Dienst er aber steht, wollte er mir nicht sagen. Sollte sich die Pforte von Rohan jemals wieder öffnen, so wird in der Heimat sein Tun vermutlich auch nicht gutgeheißen werden.“, erklärte Therowig. „Vielleicht hatte er keine andere Wahl.“, überlegte ich. „Fern von zu Hause zu sein fällt jedem nicht leicht und das Glück zu haben, gute Freunde zu finden, ist ebenso schwer.“
Therowig nickte. „Vielleicht. Aber was hat das nun mit Aegmar zu tun?“ Ich stieß ihn leicht an. „Offenbar wenig mit Aegmar selbst, sondern eher mit Dir. Aegmar sagte, Arnulf hatte einen Streit mit Dir austragen wollen – auf die...wie sagte er...althergebrachte Art, um ein für allemal ein paar Dinge zwischen Euch zu klären. Wenn Du mich fragst, ein unrühmliches Ansinnen, da Du ja kaum in der Lage bist...“, ich unterbrach mich, als ich bemerkte, wie Therowig mich daraufhin finster anzublicken zu begann, „...ich meine, da Du gegenwärtig ja kaum die Zeit hast, Dich mit ihm auseinanderzusetzen. Aegmar hat das für Dich getan.“, sagte ich rasch. Therowig verzog einen Mundwinkel. „So.“, brummte er und ich lachte leise. Doch dann richtete er sich abrupt auf und seine Augen begannen plötzlich zu strahlen, als ihm bewußt wurde (auch ohne meine nähere Erklärung), was vorgefallen sein mußte. „Und? Hat Aegmar gewonnen?“, platzte es aus ihm heraus und er ballte eifrig eine Hand zur Faust, so daß ich harsch die Luft einzog. „Therowig!“, entfuhr es mir tadelnd. Er sah mich an. „Was? Wenn Aegmar meine Angelegenheiten in die Hand genommen hat, werde ich jawohl wissen dürfen, wie es ausgegangen ist!“, meinte er empört. „Sie haben sich geprügelt!“, fuhr ich fort, aber Therowig nahm es unbeeindruckt hin und sah mich weiterhin gespannt an. „Dein Vetter Arnulf ist grob wie ein Ochse, und er hat Aegmar beinahe den Kiefer gebrochen! Was ist das überhaupt für eine Geschichte, daß Ihr Euch deswegen wie zwei Halunken aufführen müßt?!“

Das aufgeregte Leuchten in Therowigs Blick verblaßte ein wenig und er schürzte leicht die Lippen, dann winkte er ab. „Bedeutungslos.“, murmelte er. Ich stieß ihn an. Er schwieg. Erneut tat ich es und er gab nach. „Na schön, aber es ist wirklich nur eine Kleinigkeit. Da war dieses Mädchen...wir trafen sie irgendwann auf dem Grünweg, sie war mit einem Händlerzug unterwegs. Wir begleiteten den Zug eine Weile, der Anführer der Gruppe war ihr Vater – und Arnulf fand sie ganz...nett. Er hat ihr ein bißchen nachgestellt, bis er dann...ich weiß nicht mehr, eines Abends eben....mich und sie dabei erwischte, wie wir....nunja.“, schloß er und räusperte sich. Ich sah ihn weiterhin an, ich wußte, es war noch nicht das Ende der Geschichte. Und das war es auch nicht: Therowig setzte nach einigen Momenten erneut an. „Und vielleicht....also möglicherweise....habe ich früher, zu Hause, als wir beide kaum dem Knabenalter entwachsen und gerade in das Heer eingetreten waren...das eine oder andere Mal mit einem anderen Mädchen, das ihm gefiel...Du weißt schon.“ Erneut atmete ich tief ein und er hob sogleich die Hände. „Aber das war ja nicht meine Schuld! Ich meine, ich kann ja nichts dafür, wenn ich nunmal, Familie hin oder her, derjenige bin, der wohlgeratener und klüger ist!“, fügte er an und bemühte sich, reichlich unschuldig dreinzublicken, was ihm nicht recht gelang, denn das Schmunzeln auf seinen Lippen konnte er nicht gänzlich bezwingen. Es verschwand erst, als ich die Augen zusammenkniff und die Hände in die Hüften stemmte. Er schluckte. „Das ist verflucht lange her!“, rief er aus. Ich hob das Kinn. „Du überschätzt Dich ein wenig.“, sagte ich und Therowig schnaubte. „Na, würdest Du einen Tölpel wie ihn mir vielleicht vorziehen?“ Ich beugte mich leicht zu ihm vor. „Ich weiß nicht, vielleicht muß ich mir Deinen Vetter noch einmal genauer ansehen!“, antwortete ich und der unsichere Blick in Therowigs Augen wich nun einem beinahe blanken Schrecken. Er öffnete den Mund, aber es drang kein Laut heraus. Einige zähe Momente lang sah ich ihn noch scharf an, dann konnte ich kaum mehr an mich halten und brach in vergnügtes Gelächter aus.

Er beantwortete es mit einem dunklen Knurren und ich beschloß, ihn nun nicht länger zu bedrängen. Ich küßte ihn auf die Wange und er lehnte sich versöhnt zurück in seine Kissen. Ich nahm die Decke und zog sie ein Stück über seinen Bauch. „Ich werde jetzt wieder gehen und Dich schlafen lassen. Ich komme morgen wieder.“, sagte ich sanft und fing seinen Blick. Wie sehr ich doch hoffte, daß er sich rasch erholte und wie ungeduldig ich doch war. Auch mir war es schwer, ihn anzusehen und zu wissen, wie geschwächt er wirklich war, auch wenn er das mit allerlei Scherz und heiteren Worten zu verbergen suchte.
Bevor ich die Kammer verließ, rief Therowig mich noch einmal bei meinem Namen und ich drehte mich ein letztes Mal um. Er verschränkte einen Arm hinter seinem Kopf und grinste. „Hat Aegmar denn nun gewonnen oder nicht?“, fragte er. Ich warf die Decke über seinen Kopf, dann schloß ich lachend die Tür.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

zuletzt bearbeitet 04.03.2012 00:23 | nach oben springen

#4

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:16
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Eine Hand berührte mich an der Schulter und schüttelte mich vorsichtig. Ich schlug einmal mit den Wimpern, bevor ich den Schlaf vertreiben konnte und aufsah. Der Morgen hatte gerade erst einen zarten Schimmer von hellem Silber über die Welt gelegt und die Sonne geweckt. Matt drang das Licht durch die Fenster in den Schlafsaal und ich konnte Aegmars Gesicht nur schemenhaft erkennen, das sich über mich beugte.

„Verzeih.“, sagte er leise. „Ich weiß, Du bist müde, Du hast viel über Therowig gewacht in der letzten Zeit und Deine Nächte waren daher kurz, aber ich muß mit Dir sprechen. Wenn Du kannst, dann folge mir.“ Ich gähnte verhalten, dann nickte ich und warf die Decke zurück. Sofort fröstelte ich und Aegmar reichte mir meinen Umhang, als er es bemerkte. Ich schlang ihn um meine Schultern und bemühte mich, mir darunter wenigstens Wams und Hosen überzuziehen. Höflich wandte Aegmar sich ab, doch ich sah, wie er ungeduldig das Gewicht verlagerte und seine Finger in ständiger Bewegung waren. Er trug seinen Waffenrock - und darunter sein Kettenhemd. Auch hing der Schwertgurt bereits um seine Hüfte, das Schwert daran fehlte aber. Ich schlüpfte in meine Stiefel und fuhr mir durch das Gesicht. Das Haar ließ ich offen über meine Schulter fallen und trat dann eher ungebührlich, aber so geziemlich wie möglich in der Eile des Augenblicks, neben meinen Fürsten. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und drehte sich zu mir um. Mit dem Kinn deutete er zur Türe. „Komm.“, sagte er nur knapp und ich folgte ihm seufzend.
Schneidend kalt war die Luft, als wir den Saal verließen und meine Finger wurden sofort taub. Ich zog meinen Umhang fest zusammen und klemmte mir die Hände unter die Achseln. Zügigen Schrittes überquerte Aegmar den weiten Hof und betrat eines der großen Zelte, die in der Mitte aufgebaut waren und den elbischen Heerführern der Festung als Quartier und Beratungsraum dienten.

Fuirgam wartete dort auf uns, jener Waldelb, der das Oberkommando in Emyn Lûm führte und der Aegmar zuvor schon zur Seite gestanden hatte. In seiner Miene glaubte ich zu lesen, daß er über Maethruths Brief und damit auch über dessen Befürchtungen informiert war und sich mit Aegmar bereits besprochen hatte. Seine Augen jedoch sahen mich ruhig und freundlich an und ließen nicht erahnen, welche Last und welch dunkle Verantwortung er trug. Er grüßte mich und ich neigte das Haupt. Obwohl kein Tuch oder Fell den Eingang des Zeltes verdeckte, war es in seinem Inneren angenehm warm und ich öffnete den Umhang etwas. Er bat mich Platz zu nehmen und deutete auf einen der edlen, aus poliertem Holz gefertigten Stühle, die um einen langen Kartentisch herum standen. Etwas verlegen nahm ich Platz und spürte, daß mich irgendetwas nervös zu machen begann.
Das Gefühl ließ nach, als Aegmar sich neben mich setzte und ich ihn tief ausatmen hörte. Ich warf ihm einen raschen Seitenblick zu, aber seine Augen waren mit vollster Aufmerksamkeit auf den Elben gerichtet, der leicht auf und ab ging und dann die Hände auf dem Rücken verschränkte. Er sah uns beide einen langen Moment an. „Mazog ist tot.“, sagte er dann unvermittelt und ich konnte mich nicht erwehren, nur mit einem fragenden Blinzeln zu antworten.
Unsicher sah ich zu Aegmar. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser Mazog war, und lächelte dankbar, als Aegmar zu einer Erklärung ansetzte: „Mazog war der Große Ork von Moria, der Anführer aller Orks, die in den Zwergenminen hausen. Er hat sie alle befehligt, sie ausgeschickt, sie gelenkt. Selbst mußte er sich nur der Macht des dunklen Turms beugen.“ Ich nickte. Fuirgam ergriff wieder das Wort. „Mazog wurde vor ein paar Wochen von den Zwergen Khazad-dûms gefangen genommen und es wurde beschlossen, ihn in den Düsterwald zu überstellen. Es hatte die Hoffnung bestanden, ihn hier austauschen zu können gegen Gefährten, die in die Fänge Mordors geraten waren. Aber die Zwerge wurden betrogen und der Handel zerschlagen. Mazog verblieb in Barad Guldur, ohne daß es einen Austausch gegeben hatte. Aber nun ist er tot, erschlagen von einem der unseren, als ein Ausfall in den Turm der Festung unternommen worden war. Tausende Orks hatte er unter sich – und Tausende sind nun führungslos. Was einerseits also eine gute Nachricht sein mag, birgt andererseits großes Übel. Ich teile die Besorgnis Eures Freundes Maethruth, der in Eregion weilt. Herr Aegmar war so freundlich, mir von seinen Erkenntnissen zu berichten. Das Nebelgebirge ist jener Ort, an den sich alle Orks, die aus Moria und Eregion vertrieben wurden, zurückgezogen haben – und wo sie einst herkamen. Viele von ihnen wurden getötet, vielleicht sogar die Meisten – aber ihre Zahl dennoch zu unterschätzen, wäre ein Fehler, der unverzeihlich ist. Ich erachte es daher ebenfalls als notwendig, das Augenmerk nach Westen zu richten und in Erfahrung zu bringen, was in jenen Landen vor sich geht. Wir können nicht mit der rechten Hand im Osten und mit der linken gleichwohl im Westen kämpfen.“, sprach er und ich biß mir auf die Unterlippe, den Blick senkend.

„Wir müssen wissen, was die Orks nun tun werden. So gedenke ich eine kleine Schar nach Eregion zu entsenden, Herr Aegmar wird sie anführen. Nicht viele sollen es sein, denn viele können wir hier auch nicht entbehren. Nur fünf an der Zahl.“ Fuirgam sah mich nun direkt an und ich hob wieder das Kinn. „Er wünscht sich Hauptmann Aneawin an seiner Seite – und Euch. Eine hervorragende Kundschafterin seid Ihr, sagte er. Jedoch habt Ihr hier in Emyn Lûm eine Verpflichtung, von der Ihr nicht leicht loszusprechen seid und die zurückzulassen Euch auch nicht mit einem Befehl auferlegt werden soll.“, fuhr er dann fort und meine Gedanken richteten sich bei seinen Worten sofort auf Therowig. Fuirgam nickte wortlos, als hätte ich sie laut ausgesprochen. Ich sah Aegmar an und betrachtete ihn traurig. Sein Blick ruhte ernst auf mir und er faltete die Hände, die Ellbogen auf die Stuhllehne stützend. „Ich zwinge Dich nicht, mit mir zu gehen, wenn Du bei Therowig bleiben möchtest. Ihn kann ich nicht mitnehmen, so gerne ich es wollte.“, sagte er. „Weiß...weiß er schon von diesem Vorhaben, nach Eregion zu ziehen?“, brachte ich schließlich hervor. Aegmar neigte den Kopf. „Er weiß es. Ich habe mit ihm gesprochen, bevor ich zu Dir kam. Er weiß auch, daß er nicht mitkommen wird.“, antwortete er.
„Wenn es mir erlaubt ist...würde ich gerne zuerst mit ihm reden und dann entscheiden.“, bat ich. Aegmar und Fuirgam wechselten einen Blick und der Elb nickte schließlich. „Natürlich. Sprecht mit ihm. Ich werde in der Zwischenzeit noch zwei weitere Gefährten auswählen, die Euch begleiten sollen.“ Fuirgam erhob die Hand zum Gruße und ich stand auf.
Beißend empfing mich wieder die Kälte, als ich das Zelt verließ. Noch nie zuvor hatte ich die Orks so sehr verflucht.

Als ich Therowigs Kammer betrat, erwartete ich, daß er in Aufruhr sein würde, vielleicht sogar zornig. Aber er war es nicht. Ruhend und still saß er auf seinem Bett und blickte nachdenklich aus dem Fenster in den grauen Winterhimmel hinaus. Ich trat zu ihm und er drehte den Kopf.
„Du kommst, um Dich zu verabschieden.“, sagte er matt. Ich senkte den Blick. „Ich weiß es nicht, Therowig.“, erwiderte ich. Er schüttelte das Haupt. „Natürlich weißt Du es. Die Frage, die Dir zweifellos gestellt wurde, ist keine, die unbeantwortet bleiben kann. Wir lassen in jedem Krieg jemanden, der uns teuer ist, zurück. So ist es nun einmal. Und es darf keinen Einfluß auf unsere Entscheidungen haben.“, sprach er, aber ich atmete nur lautlos aus. „Ich bin nicht wie Du, mir fallen die Dinge schwerer und ich glaube auch nicht, daß ich jemals meine Pflicht über mein Herz stellen könnte.“, antwortete ich schließlich. Therowig stützte sich auf den Bettpfosten und erhob sich schwerfällig und mit einiger Mühe. Er machte einen Schritt auf mich zu. „Wenn Aegmar Dich braucht, dann laß ihn nicht im Stich. Auch das würdest Du Dir nicht verzeihen. Ich bin hier in guten Händen, und so denn die Sterne günstig stehen, werde ich bald nachkommen können.“, sagte er. Ich nickte, als ich seine Hand auf meinem Arm spürte. „Er wird noch heute aufbrechen.“, flüsterte ich und mir wurde Therowigs Nähe plötzlich bedeutender als jemals zuvor. Ich griff nach seiner Hand und umklammerte sie fest.
„Ich wollte Dir noch etwas geben. Mir scheint nun der richtige Augenblick dafür.“, sagte er und ich sah zu ihm auf. „Sieh mal unter das Bett, da steht eine kleine Holzkiste.“, forderte er mich dann auf und ich ließ mich überrascht nieder, ihn jedoch nicht dabei loslassend.

Unter dem Kopfende fand ich das Kästchen, das er meinte, und zog es hervor. Als ich es öffnete, drang mir der würzige Duft von Pfeifenkraut entgegen. Therowig ging neben mir in die Knie und deutete auf ein samtenes Säckchen, das zwischen einem Haufen getrockneter „Alter Tobi“-Blätter lag. Ich nahm es heraus, stellte die Kiste wieder zurück unter das Bett, und öffnete es. In meiner Hand lag der kleine Spiegel, den Yhared mir entwendet und zerbrochen hatte. Mein Kopf fuhr zu Therowig herum und ich sah ihn aufgeregt an. „Mein Spiegel! Er ist wieder ganz!“, rief ich erfreut aus und drückte das Kleinod an mich. Therowig lächelte ein wenig verlegen. „Es war gar nicht einfach, hier jemanden zu finden, der in Goldschmiedekunst bewandert ist – die meisten sind doch eher Waffen- oder Hufschmiede. Aber ich habe es Dir versprochen. Und ich halte meine Versprechen.“, meinte er. „Dann versprichst Du mir auch, daß Du nach Eregion reist, sobald Du es kannst?“, fragte ich. „Ja, das tue ich.“, erwiderte er. „Ich danke Dir, Therowig. Dafür und für den Handspiegel. Er ist mir wichtig.“, sagte ich, dann erhob ich mich langsam. Auch Therowig richtete sich auf.

Stumm sahen wir uns an, der Moment des Abschieds lag zwischen uns wie schwarzer Teer. Ich hätte ihm noch viel sagen mögen, oder aber auch nichts. Und ich sagte auch nichts, ich schmiegte mich nur für einen langen Augenblick in seine Arme und spürte seinen Atem auf meinem Haar. Dann drehte ich mich um und ging.

Ich nickte Aegmar nur stumm zu, als ich sah, daß er auf dem Innenhof der Feste auf mich wartete. Mehr mußte ich auch nicht tun, daß er mich verstand. Den Spiegel drückte ich an meine Brust und er beruhigte mich ein wenig. Dann suchte ich die Quartiere auf, um meine Ausrüstung zusammenzusuchen und meine Sachen zu packen. Ich traf auf Aneawin, der über seinem Reisesack wachte und den Blick mißmutig durch ein Fenster auf die Stallungen gerichtet hielt.
Er fuhr zu mir herum, als ich neben ihn trat und deutete mit dem Kinn hinaus auf den Hof. „Scheint, als wären wir vollzählig.“, brummte er und ich folgte seiner Geste. An der Mauer lehnte ein Elb, ich kannte ihn nicht, aber er trug dunkelgrüne Kleidung und das Emblem des goldenen Heeres darauf. Ein Waldelb aus Fuirgams Garde. Doch neben ihm, und das versetzte auch mich in eine ungute Stimmung, erblickte ich unseren fünften Gefährten – es war jemand, den ich sehr wohl kannte: Arnulf.
Er packte ein Pferd am Zügel und zerrte es aus dem Stall. „Dieser Kerl kommt doch nicht etwa mit?“, rief ich aus, aber Aneawin nickte zustimmend. „Fuirgam hielt es wohl für eine großartige Idee, Therowig von seinem Cousin vertreten zu lassen. Daß er uns damit keinen Gefallen tut, weiß er nicht, und Aegmar hat ihm auch nicht widersprochen. Hätte er es doch getan...“, knurrte er weiter. Ich hob die Brauen und strich mir das Haar hinter ein Ohr. „Können wir uns denn auf ihn verlassen? Therowig sagte, er wäre ein Söldner.“ Aneawin zuckte die Achseln. „Tja, wollen wir hoffen, daß er gut bezahlt wurde.“ Dann drehte er sich um und schulterte sein Gepäck.

Ich blieb am Fenster stehen und betrachtete Arnulf weiterhin. Das Pferd bockte auf, als er es erneut am Zügel griff und in den Hof ziehen wollte. „Als Rohirrim sollte er doch wissen, wie man mit einem Pferd umgeht...“, murmelte ich zu mir selbst und schüttelte den Kopf. Ich wandte erst den Blick ab, als das Tier ruhig im Hof stand und Arnulf es zu satteln begann. „Wirklich...eine großartige Idee.“, murmelte ich erneut und dachte daran, daß Arnulf mit Therowig so gar nichts gemeinsam zu haben schien.
Aber ich sollte mich noch irren. Und das würde ich bald erfahren.

Ich nahm nur leichtes Gepäck. Einen Rucksack, meinen wärmsten Umhang. Wir würden rasch reisen. Und vor allem würden wir es im Stillen tun. Es war diesmal ein andere Sache, die auf uns wartete. Keine Schlacht, kein Heereszug, nicht die offene Seite des Krieges, die laut und lärmend war. Es war bekannter Boden, auf dem ich mich bewegen würde; Schatten, die mich nicht verfolgten, sondern verhüllten.
Ich war die Letzte, die zu der kleinen Schar stieß. Die anderen hatten sich bereits vor den Stallungen versammelt. Noch im Gehen betrachtete ich sie alle und im Besonderen richtete ich mein Augenmerk auf Arnulf. Er hatte eine Hand zur Faust geballt und massierte seine Fingerknöchel. Sie knackten laut, als Aegmar an ihm vorüberschritt. Weder beeindruckt, noch bewegt, blieb Aegmar jedoch vor dem Manne stehen und nahm den Obersten von einem Stapel grauer Umhänge, die über seinem Arm hingen. Er reichte Arnulf das Kleidungsstück und nickte ihm zu. Dann ging er weiter und übergab auch Aneawin einen Umhang, der ihn nur zögerlich entgegennahm. Der Elb löste sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, und reihte sich nun ein. Ich trat neben ihn hin und ein flüchtiges Lächeln huschte über Aegmars Gesicht, als er auch zu mir kam und mir den letzten der Umhänge überreichte.
Als ich ihn in Händen hielt, bemerkte ich, daß seine Farbe nicht tatsächlich Grau war, sondern daß er viel mehr abgetragen und verschmutzt wirkte. Jemand, der eine lange Reise getan und viel von der Welt gesehen hatte, würde vielleicht solch einen Umhang tragen. Einer, der durch viele Widrigkeiten gegangen und das einfache Leben auf den Straßen erfahren hatte. Ich sah zu Aegmar auf, der nun vor seine Schar hintrat und die Hände auf dem Rücken verschränkte. In den Gesichtern meiner Gefährten stand die gleiche Frage, die auch ich auf den Lippen spürte. „Wenn wir aufbrechen, und das werden wir, noch bevor die Sonne den Mittag verkündet, möchte ich nicht, daß wir es als Soldaten tun. Wir werden für jeden Ork, der uns angreifen und Rache an uns nehmen möchte, ein lohnendes und einfaches Ziel sein. Und jeder Ork, der das wagen wird, wird sich bitter in uns irren, denn unsere Waffen werden verborgen und versteckt sein, aber ihn keineswegs verschonen. Ich möchte einen Ork fangen und ich bin sicher, wenn wir Moria durchqueren, werden wir die Gelegenheit dazu bekommen. Also legt jene Umhänge an, die ich Euch gegeben habe, legt Rang- und Wappenzeichen dafür ab und gewöhnt Euch daran, die Maske einfacher Männer zu tragen. Besorgt Euch Kleidung, die Rüstung und Kettenhemd verbergen kann. In einer halben Stunde treffen wir uns hier wieder und dann erwarte ich, das jeder bereit ist. Ungesehen werden wir nach Eregion ziehen und uns unter das fahrende Volk mischen: Händler, Handwerker, Kundschafter. Auf später.“, erklärte Aegmar knapp.
Schon wollte er sich wieder umdrehen, als Arnulf vortrat und die Hand hob. „Einen Moment.“, sprach er. „Für uns ist es eine Sache, sich als Waschweiber und Feiglinge zu verkleiden – aber was ist mit dem Elb? Die Orks werden ihn doch auf Meilen erkennen und er wird den Plan, so hübsch er auch überlegt sein mag, zunichte machen.“, fügte er an und deutete mit dem breiten Kinn auf den Waldelben, der nun ebenfalls vortrat und Arnulf musterte. Er öffnete den Mund und entblößte zwei Reihen makellos weißer Zähne. Und als er sprach, klang es selbst für einen Elben recht unfreundlich: „Ich bin Erelias vom Düsterwald. Und noch bevor der Erste Eurer Ahnen das Licht dieser Welt erblickt hat, habe ich sie schon bewandert und sie meine Heimat genannt. Wenn ich sie durchqueren muß und dabei unerkannt bleiben soll, dann werde ich das auch. Mein Volk ist niemals laut, Mensch aus Rohan!“, erwiderte er.

Arnulf knurrte auf und wäre Aegmar wohl nicht zwischen ihn und Erelias getreten, hätte er vermutlich etwas geantwortet, das in der Tat sehr laut gewesen wäre. Doch Arnulf schwieg nun, als Aegmar ihn anblickte und ich mußte zugeben, daß mich das überraschte. „Erelias, das ist Arnulf Bayard. Wahrhaftig ein Mensch aus Rohan, aber einer, der vielleicht mehr Orks erschlagen hat, als wir alle zusammen und der sie über die Maßen gut kennt, also will ich nicht auf seine Begleitung verzichten, denn mehr als hilfreich wird sie uns sein. Vor allem, wenn wir lebend einen Ork fangen wollen.“, sagte Aegmar und es klang entschieden.
Noch weiter stieg meine Überraschung, als ich vernahm, was er über Arnulf erzählte. Auch Aneawins Augenbrauen zogen sich erstaunt in die Höhe und ich mußte eine Hand auf den Mund legen, um mein Schmunzeln zu verbergen, als der Hauptmann sich zu mir hinabbeugte und ein „Für mich ist der Kerl nur ein Großmaul!“ nahe an meinem Ohr flüsterte.
Aegmar wandte sich erneut an den Elben: „Ihr seid nur Fuirgam verpflichtet, ihm werdet Ihr berichten, denn in seinem Dienst steht Ihr. Dennoch werden wir alle Gefährten sein und gemeinsam diese Reise und diesen Auftrag begehen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.“, schloß er und warf einen Blick in den Himmel. Dann wandte er sich zum Gehen. „Die Zeit schreitet voran. Ich möchte heute Abend den Anduin erreichen, also eilt Euch bitte.“ Grüßend nickte er noch einmal, dann ging er. Ich sah Erelias und Arnulf ebenfalls noch einen letzten Blick wechseln, dann entfernten auch sie sich und Aneawin und ich blieben noch für einige Momente allein zurück.
Aneawin stieß hart die Luft aus. „Daß das kein fröhlicher Saufabend wird, habe ich mir ja schon gedacht, aber daß es gleich schon so anfängt...“, murrte er. „Dieser Arnulf ist also ein Orkfänger, ja? Habe ich das eben richtig verstanden?“, fragte er mich und ich hob die Schultern. „Nun, so scheint es wohl.“, antwortete ich. Aneawin seufzte erneut. „Ein stinkender Ork hat mir in dieser Reisegesellschaft unbedingt noch gefehlt.“, sagte er und ich mußte lachen. Ich klopfte gegen den Panzer auf seiner Brust. Es klang dumpf und blechern. „Sieh lieber zu, daß Du etwas findest, was den hier verbergen kann, sonst läuft jeder Ork, den wir aufgreifen könnten, sofort wieder vor uns weg.“, rief ich aus. Aneawin hob eine Hand an die Stirn, warf mir einen mißmutigen Blick zu und machte sich dann endlich auf den Weg zu den Schlafsälen.


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#5

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:17
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Eine kleine, helle Glocke schlug irgendwo in der Feste und zeigte die Mittagsstunde an. Viele der Krieger, die in Emyn Lûm weilten, ließen sich zum Essen nieder. Die Wachschichten auf der Zinne wechselten und auch einige der Patrouillen kehrten aus den umliegenden Wäldern zurück. Es war eine geschäftige Stunde und die Winterstille wurde belebt durch allerlei Rufe und das Geklapper von Hufen.
Als wir unser Gepäck auf den Rücken der Pferde verstauten, beachtete uns niemand. Auch nicht, als wir die Festung verließen und die Weststraße nahmen, die uns an die Ufer des Anduin und weiter nach Lothlorien bringen sollte. Aegmar gab ein eiliges Tempo vor, doch keines, das die Pferde vorzeitig ermüdete. Wir waren wie vorbeihuschende Schatten in einer ohnehin grauen Schattenwelt.
Dort, wo der Schnee die Baumkronen nicht überwunden hatte, lag schwarzer Boden zu unseren Seiten und verschluckte die Kälte des Winters. Es knackte im toten Holz der Bäume und nur wenn die knorrigen Äste das Gewicht ihrer weißen Mäntel nicht mehr tragen konnten, rieselte der Schnee zu Boden und oftmals auf unsere Köpfe.
Aegmar führte die Schar an und dicht über die dampfenden Hälse unserer Reittiere gebeugt, folgten wir ihm. Er hatte sein großes schwarzes Roß in Emyn Lûm zurückgelassen und gegen eines eingetauscht, das weitaus weniger edel und stark war. Ich hatte meinen Fürsten zweimal ansehen müssen, um ihn überhaupt zu erkennen. Die Kapuze seines grauen Umhangs hing ihm tief in die Augen und das Kettenhemd, das er noch immer trug, war verborgen unter einem braunen Lederwams, wie ich es viele Jäger schon hatte tragen sehen. Nichts an ihm deutete darauf hin, wer er war und welches Blut wirklich durch seine Adern floß.
Auch Aneawin hatte sich selbst verborgen unter allerlei pelzgefüttertem Gewand, das ihn mehr wie einen Fallensteller als einen Soldaten wirken ließ. Wir alle wirkten so, wie Aegmar es verlangt hatte. Und Stolz durfte hierbei keine Rolle spielen. Mit Bedauern hatten wir unsere Wappen abgelegt, doch welche Absicht Aegmar auch immer damit verfolgte, gewiß war es eine gute Absicht und bis auf Arnulf mochte das auch niemand anzweifeln.

Wir rasteten nicht und ritten in einem fort, bis das breite Band des Anduin schimmernd die Landschaft vor uns teilte. Die Sonne sank und stahl dem Himmel langsam das Licht. Die Schatten wurden lang und zäh und wir waren froh, als wir die freundlichen Banner an der Anlegestelle endlich zwischen den Bäumen flattern sahen. Große Boote lagen an dem mächtigen Steg vertäut, der tief in das dunkle Wasser des Flusses hineinragte und seinem Gegenstück auf der anderen Seite entgegen zu blicken schien.
Auch hier gönnte Aegmar uns weder Pause noch Erholung, sondern veranlaßte sofort unsere Überfahrt. Immer zu zweit und mit unseren Pferden setzten wir über den Fluß und das goldene Licht Lothloriens empfing uns bald. Die Flußufer waren gut bewacht und befestigt, doch Aegmar wähnte, daß sie nicht nur unter dem Blick der Elben standen und so hieß er uns sogleich wieder aufsitzen, kaum daß wir uns alle am Hafen versammelt hatten. Er wollte Caras Galadhon erreichen, Lothloriens Hauptstadt, und nur dort würde er sich ein bißchen sicher fühlen und vor Augen geschützt, die ihn erkennen könnten.
So wurde es Nacht, bis wir unser Lager aufschlugen und endlich erschöpft auf unsere Decken niedersanken, um Ruhe zu finden und die knurrenden Mägen zu füllen. Irgendwo unter den gewaltigen Bäumen, in deren Kronen die Stadt ruhte, fanden wir Schutz. Obgleich es Winter war, war die Luft hier mild und nicht mit jener beißenden Kälte erfüllt, die uns in den Landen jenseits des Anduin die Leiber betäubt hatte. Das Laub der Bäume war golden und von frischem Grün durchsetzt und eintausend Lichter leuchteten wie die Sterne am Himmel um uns herum.
Wer es nicht wußte, wer es nicht selbst gesehen hatte, der konnte kaum vermuten, daß die Elben in den Krieg gezogen waren und nur wenige Meilen entfernt Leid und Tod das Schicksal bestimmten.
Ich hatte Lothlorien schon zuvor gesehen und war selbst in Caras Galadhon gewesen, als mehr oder minder willkommener Gast. Die Elben mochten Fremde nicht sehr und noch weniger mochten sie das Unheil, das sie von jenseits ihrer Grenzen vielleicht mitbringen würden. So waren Lothloriens Augen stets wachsam und ein mächtiger Zauber lag darüber, fein gewebt und aufrecht erhalten von uralter Magie.
Ich fühlte mich etwas beklommen und auch wenn die Elben längst der Notwendigkeit wegen ihre Lande für neue Verbündete und durchreisende Gäste geöffnet hatten, so kam ich mir dennoch vor wie ein Eindringling, der nicht hierher gehörte. Für viele, die Caras Galadhon erblickt hatten, war es der schönste Ort, den Mittelerde je hervorgebracht hatte. Und wenn sie die Stadt wieder verließen, so glaubten sie, daß sie nie wieder etwas erblicken könnten, was dieser Schönheit gleichkam. Ein bißchen war es auch für mich so und mit Bewunderung und Erstaunen betrachtete ich die zahlreichen Brücken, die zwischen den Häusern und den Fletts über mir hin- und herführten und jeden einzelnen Baum mit den anderen verband. Die Elben hatten sich dem Wald angeglichen und ihn sich nicht zu eigen gemacht; sie lebten mit ihm, er war ihre Lebensader.

Als Arnulf neben mich trat und seinen Sattel fallen ließ, so daß er beinahe auf meinem Fuß gelandet wäre, wurde ich jäh aus meinen Gedanken gerissen und sah den großen Mann verärgert an. Er lachte leise. „Mach den Mund zu, Mädchen, sonst verschluckst Du noch eins von diesen Lichtern, die hier überall herumschwirren.“, sagte er und ich holte tief Luft.
Er lachte erneut und hob eine Hand, als wollte er sich sogleich für den groben Scherz entschuldigen, doch dann zeigte er auf mich. „Mit Deinem Haar mußt Du etwas tun. Am Besten schneidest Du es ab.“, sprach er und meine Hand fuhr unwillkürlich an den langen Zopf, der mir über die Schulter hing. „Warum sollte ich das tun?“, fragte ich. Arnulf sah mich erstaunt an. „Abgesehen davon, daß es ohnehin hinderlich ist, ein Weibsbild mit auf eine solche Reise zu nehmen, sollte man Dich vielleicht nicht gleich als eins erkennen – sonst werden wir nichts anderes zu tun haben, als die Orks von Dir fern zu halten, wenn wir Moria erreichen. Sie sind nicht gerade mutig, weißt Du, und eine wie Du ist daher sicher ein begehrtes Ziel.“, erklärte er und fuhr sich über den langen Bart.
Ich nahm meine Hand herunter und steckte sie in die Hosentasche. Ich erinnerte mich plötzlich an Aegmars Worte, die uns beschworen hatten, diese Reise gemeinsam und in Frieden zu begehen, und so schluckte ich meinen Zorn herunter und bezwang die Worte, die sich schon auf meinen Lippen formten und Arnulf entgegen geschleudert werden wollten. „Ihr kennt mich überhaupt nicht. Also stellt besser keine Vermutungen darüber an, ob ich mit einem Ork zurecht komme oder nicht.“, entgegnete ich daher nur schroff.

Arnulf ging schwer in die Knie und begann den Sattel abzureiben. Dann zog er einen kleinen Tiegel hervor und machte sich daran, das Leder einzufetten. Er sah nicht mehr zu mir auf, seine Augen verfolgten genau jeden Handgriff, den er tat. Als ich mich jedoch umdrehen wollte, wandte er sich wieder an mich: „Oh, ich weiß genau, wer Du bist.“, sagte er und ich blieb stehen. „Du stehst meinem Vetter sehr nahe, vielleicht bist Du sogar sein Weib.“, fuhr er fort. „So? Und das hat Euch wer gesagt?“, fragte ich, mein Ärger kam zurück.
Arnulf schürzte für einen Moment die Lippen. „Gesagt hat es mir niemand, das war auch nicht nötig. Wer Augen im Kopf hat, hat gesehen, wie oft Du in die Halle der Heiler geschlichen und zu seiner Kammer hinauf gestiegen bist. Stundenlang warst Du dort drin, hast ihm Essen gebracht und andere Dinge, nach denen er wohl verlangt hat. Das tut man für niemanden, der einem nichts bedeutet.“, schloß er und ich klappte den Mund auf, aber ich konnte nicht sprechen. „Außerdem...siehst Du nicht wie eine Heilerin aus.“, fügte er dann noch an und ich meinte ein Grinsen auf seinen Mundwinkeln zu sehen. Ich atmete tief durch. „Ihr habt Recht, eine Heilerin bin ich nicht, aber ich kenne mich mit Ork-Giften aus. Und das ein oder andere Mal...mag das ein nützliches Wissen gewesen sein und hat ein Leben gerettet. Was allerdings Euren Vetter betrifft....“, setzte ich an, bis Arnulf mich unterbrach. „...das geht mich nichts an, ich sage nur, was mir aufgefallen ist. Ich hätte Dich allerdings nicht fortgehen lassen an seiner Stelle.“, sprach er und drehte den Sattel um, um auch die Unterseite zu begutachten.
Diesmal konnte ich nicht mehr an mich halten und eine Antwort, die gewiß unhöflich war, entkam mir: „Vielleicht schätzt Therowig Pflicht und Loyalität eben höher ein als ein gewöhnlicher Söldner, der seine Ehre für Gold an den Höchstbietenden verkauft!“, rief ich aus und trat einen Schritt zurück, als Arnulf abrupt den Kopf hob und sein Blick mich hart traf. „Auch Du kennst mich nicht, also stelle ebensowenig Vermutungen über mich an, wie Du es Dir selbst nicht wünscht, verstanden?“, knurrte er und ich spürte ein ungutes Gefühl in mir aufsteigen.
Ein Funkeln lag in Arnulfs Augen und etwas darin brachte mich plötzlich zum Zaudern. Ich mußte den Kopf senken und fühlte eine leichte Scham, doch gänzlich verrauchte mein Zorn nicht. „Therowig hat mir erzählt, daß Ihr Söldner geworden seid, nachdem Ihr Euch in Eriador ein neues Leben einrichten mußtet.“, sagte ich und es klang diesmal leiser und milder. „Nicht jeder hatte soviel Glück wie mein Vetter und konnte sich aussuchen, wie er überlebt, nachdem seine Reisekasse aufgebraucht war und keine Möglichkeit mehr bestand, nach Hause zurückzukehren.“, erwiderte Arnulf und nun begann es mir wahrlich leid zu tun, daß ich ihn beleidigt hatte.
Dennoch konnte ich seine Worte über mich nicht einfach hinnehmen. Und da war noch etwas anderes: Arnulf hatte meine Neugier geweckt. War ich ihm zuvor lieber aus dem Weg gegangen ob seiner groben Art, so interessierte es mich nun, etwas über ihn zu erfahren. „Ihr wollt aber niemandem sagen, welchem Herrn Ihr nun dient – das mag den ein oder anderen mißtrauisch stimmen. Und es ist auch keine gute Gepflogenheit, will ich meinen.“, sagte ich und sah Arnulf erwartungsvoll an. Er sah mir direkt ins Gesicht, dann wanderte sein Blick plötzlich an mir vorbei. Ich erschrak leicht, als ich einen Schritt hinter mir vernahm und fuhr herum: Aegmar stand in meinem Rücken und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe ihn bezahlt.“, sprach er und ich konnte für einen Moment nichts anderes tun, als meinen Fürsten ungläubig anzusehen.
„Du? Wie...ich meine...Ihr habt Euch doch erst gestern Abend...“, entfuhr es mir, aber Aegmar schüttelte den Kopf und ich schwieg. „Unseren kleinen Streit meinst Du...nunja..“, fügte er dann an und ich war nun vollkommen sprachlos.
Arnulf tippte sich grüßend an die Stirn und erhob sich. Er schulterte den Sattel und entfernte sich langsam, ob ihm Aegmars Offenbarung gefallen hatte oder nicht, konnte ich nicht mehr in seinem Gesicht erkennen.
„Ich brauchte jemanden, der Therowig ersetzen konnte. Fuirgam bestand darauf, daß einer seiner Leute uns begleiten sollte, doch noch einen Fremden wollte ich nicht mitnehmen. Das hier ist eine vertrauensvolle Angelegenheit. Arnulf ist Jäger, und er hat in vielen Schlachten gegen die Orks gekämpft. Ebenso ist er gut darin, Informationen zu beschaffen – er wurde mir deswegen empfohlen...und da er mit Therowig verwandt ist, hat Fuirgam ihn für mich gefragt, ob er uns begleitet. Aber..er vergibt seine Dienste nicht umsonst. Das mußte ich ihm zugestehen.“
Nun war ich es, die den Kopf schüttelte. „Aegmar...“, begann ich und er atmete tief durch, sein Blick verhärtete sich leicht. „Bevor Du diese Entscheidung in Frage stellst, frage Dich selbst, ob Du Deine Hilfe vor zwei Jahren noch ohne eine entsprechende Bezahlung angeboten hättest!“, rief er aus und ich war zum dritten Male an diesem Abend sprachlos.
Ich konnte schließlich nur nicken und Aegmar stattgeben. Doch als er sich zu mir beugte, klang seine Stimme wieder leise. Ein seltsamer Unterton lag jedoch darin: „Dennoch halte Dich lieber in meiner Nähe. Aus vielerlei Gründen.“, sagte er und ich hob die Augen zu ihm. „Du vertraust ihm nicht.“, stellte ich fest und sah, wie sich Aegmars Blick in jene Richtung wandte, in der Arnulf verschwunden war. „Nein.“, flüsterte er und dann legte er eine Hand auf meinen Arm. „Aber jetzt wollen wir gehen und endlich etwas essen.“


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#6

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:17
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Das Licht versiegte nie ganz in Caras Galadhon. Auch in der Nacht war die Stadt hell erleuchtet und es gab keine Schatten, vor denen man sich hätte fürchten müssen.
Aegmar schlief nicht, und auch ich tat es nicht.
Arnulf dagegen war in tiefe Träume gefallen, sein Kopf ruhte auf seinem Sattel und er schnarchte leise vor sich hin. Aneawin hatte es ihm gleich getan und sich an den Stamm eines mächtigen Mallornbaumes gelehnt. Das Kinn ruhte ihm auf der Brust und er hatte die Augen fest geschlossen. Waffen waren in der Stadt nicht gern gesehen, aber ich wußte, daß sein Schwert unter dem Bündel an seiner Seite ruhte. Erelias war fort. Der Elb sprach nicht viel und über seine Absichten teilte er uns nichts mit; sein Bogen war jedoch an einen Baum in der Nähe des Lagerplatzes gelehnt – ein Zeichen dafür, daß er zurückkehren würde. Ich lag auf dem Rücken im hohen Gras und blickte hinauf in die Lichter, die über mir in den Bäumen tanzten. Arnulf drehte sich irgendwann herum und schnaubte, als ein Blatt sich von einem Zweig löste und ihm auf die Nase sank.

Es fiel mir schwer, an diesem Ort nachzudenken, vor allem über jene Dinge, die uns überhaupt bewegt hatten hierher zu kommen und zu rasten. Vielleicht würden wir nie wieder an einem solch sicheren und behüteten Platz Schlaf finden und zur Ruhe kommen. Doch jedesmal, wenn ich meine Gedanken auf den dunklen Schlund Morias richten wollte, der nicht weit entfernt lag, zerstreuten sie sich wieder und wurden hinauf gesogen in das bunte Lichtermeer und sein hoffnungsvolles Leuchten.
Ich seufzte und hob schließlich den Kopf. Dann stand ich auf und zupfte mir ein paar Grashalme von meiner Hose. Ich steckte die Hände in die Taschen und ging hinunter zur Straße, die unterhalb des kleinen Hügels verlief, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Es war der Rundweg, der einmal die gesamte Stadt entlang ihrer Befestigung umfaßte. Ein feines, altes Steinmuster schlängelte sich durch Wiesen und über Bäche hinweg, durch Gärten und an den Pavillons und Zelten der Elben vorbei, die sich nicht hoch oben in den Baumkronen befanden. Niemand, der mir entgegen kam, hatte es eilig, und niemand schien dunklen Gemüts zu sein. Es war das Geschenk, das hier jedem Gast zuteil wurde: Frieden.
Ich nahm die Straße in östlicher Richtung und folgte ihr, unsicher, wohin sie mich führen würde. Erst, als ich Aegmar an einem der großen Pfeiler des Stadttores lehnen sah, wußte ich es.
Er bemerkte mich nicht. Vielmehr stieß er sich von dem hellen Holz in seinem Rücken ab und begann, unter dem weiten Torbogen hin und her zu gehen. Dabei stopfte er eine kleine Pfeife und asbald durchzog der würzige Duft von auenländischem Pfeifenkraut die Nachtluft. Er verschränkte die Arme und durchschritt schließlich das Tor, ging die langen weißen Stufen hinab, die bis an die breite Straße heranreichten, die weiter durch die Wälder führte – und irgendwann vor den Toren von Moria endete.
Ich konnte kaum sagen, warum, doch als ich ihm folgte, wollte ich auch nicht, daß er mich bemerkte. Er überquerte die Straße und stieg bis zu den Ufern des Celebrant hinab, der sich träge an der Straße entlangschlängelte und in einiger Entfernung über ein paar flache Felsen in einer Furt rauschte. Eine Brücke überspannte hier den Strom und ich fürchtete schon, daß die Tritte meiner Stiefel mich verraten könnten, als ich Aegmar hinüber folgte und dann sah, wie sich aus den Schatten der Brücke eine dritte Gestalt löste und neben Aegmar trat. Ich blieb sofort stehen und drückte mich seitwärts an die hölzerne Wand. Eine Laterne hing von einem der Pfeiler und ich zog mich rasch aus dem Lichtkreis zurück.
Ich mußte einmal blinzeln, um zu erkennen, daß Aegmars Begleiter Erelias war. Erstaunt hob ich eine Braue und bemühte mich dann, ruhig und möglichst flach zu atmen, um die Worte zu verstehen, die der Elb plötzlich an meinen Fürsten richtete: „Ihr schlaft nicht, so wie die anderen, Herr Aegmar.“, sprach er ruhig und eine graue Wolke feinen Pfeifendunstes wehte in meine Richtung, als Aegmar die Pfeife aus dem Mundwinkel nahm, um ihm zu antworten. „Und Ihr, Freund Erelias, Ihr ruht ebenfalls nicht. Überwacht Ihr meine Schritte?“, fragte er, aber es klang nicht unfreundlich.

Der Elb machte eine Pause, bevor er weitersprach. „Es ist gut, ein offenes Auge zu haben. Und vor allem in der Nacht sollten es zwei sein, wenn man es sich leisten kann.“ Aegmar lachte leise. „Ihr müßt keines auf mich haben, ich bin es nicht, dem man mißtrauen sollte.“, erwiderte er. Erelias schien zu nicken. „Ich weiß, daß Ihr als einer erachtet werdet, der das Vertrauen wert ist. Aber Ihr wißt, daß dies nicht bei allen so sein mag. In jedem Krieg gab es solche, die ihr Volk und ihre Verbündeten verraten haben. In jedem.“, sagte er und Aegmar verschränkte nun die Arme vor der Brust. „Ist das der Grund, warum Fuirgam Euch ausgewählt hat, mich zu begleiten? Glaubt er den Gerüchten, daß ein Verräter in Ost-Galadh umgeht? Ich gestehe, daß ich verwundert war, als er mich um den Gefallen bat, daß ich Euch mitnehme. Aber ablehnen wollte ich es keinesfalls, denn alle Verantwortung liegt bei ihm – und wenn er an allen Orten Mittelerdes und bei jedem Schritt, der getan wird, ein Auge und ein Ohr haben möchte, so ist es nur gut und gerecht.“, sagte er.
Erelias schob sich die Kapuze seines Umhangs zurück und für einen Moment sah ich hellblondes Haar im Schein der Lampen am anderen Ende der Brücke aufleuchten, bevor er einen Schritt nach vorne tat und die Nacht seine Gestalt schemenhaft verdunkelte. Ich mußte mich nun sehr anstrengen, um ihn noch verstehen zu können, und lauschte gebannt.
„Wir wissen, daß es einen gibt, der Informationen in die Festung bringt – und sie genauso auch wieder hinausschafft. Und die, die in Dol Guldur umgehen, müssen in diesen Tagen mehr denn je darauf bedacht sein, diese Quelle nicht versiegen zu lassen. Wir haben immer befürchten müssen, daß sich der freie Weg in unserem Rücken auch wieder schließen könnte. Khazâd-dum ist längst nicht von allen Orks befreit. Und so ist es gut zu wissen, wer dort hinein geht – und was er dort tut.“, antwortete der Elb.
Aegmar steckte sich die Pfeife wieder zwischen die Lippen und der Tabak darin glühte für einen Augenblick rot auf, als er daran zog. „Wenn wir anfangen, jedem Gefährten, der an unserer Seite steht, zu mißtrauen, gewinnen wir nicht unbedingt etwas dadurch, sondern verlieren nur unseren Zusammenhalt. Oder würdet Ihr es schätzen, wenn ein Verdacht auf Euch fiele, Erelias, daß Ihr plötzlich mehr an die Macht Mordors als an die Eures eigenen Volkes glaubt?“, sagte er dann und Erelias straffte sich. „Ich bin ein Elb!“, zischte er und beugte sich zu Aegmar vor, der ihm ungerührt ins Gesicht blickte. „Und ich bin ein Mensch.“, antwortete er knapp. Ich hörte, wie Erelias ausatmete. „Ja, Aegmar von Gondor, aus dem Reiche Isildurs...“, sagte er und betonte es sehr. „Und damit seid Ihr nicht weniger davor gefeit, wie andere von Eurem Blut zu versagen im Angesicht der Finsternis und ihr dienlich zu sein.“
Erelias' Umhang raschelte, als er ihn sich um die Schultern schlug und die Kapuze wieder über sein Haupt schob. „Aber wie ich Euch sagte: Ihr selbst seid befreit von Mißtrauen. Ihr habt Euch bereits bewiesen. Findet nun Ruhe und genießt den Frieden Lothloriens.“, sprach er noch, dann wandte er sich um ging.

Ich mußte Aegmar nicht sehen, um zu wissen, daß er verärgert war ob der Worte des Elben, auch wenn sie Wahrheit bergen mochten. Erelias' Anspielung auf Isildur ging ihm jedoch entschieden zu weit. Er schwieg und ich sah nur ein paarmal seine Pfeife in der Dunkelheit aufleuchten. In Schwaden fing sich der Rauch unter dem Baldachin der Brücke und ich seufzte lautlos. Ich versuchte darüber nachzudenken, was Erelias gesagt hatte: einer weilte unter uns, dessen Absichten im Unklaren lagen und an dem ein schwerer Verdacht haftete. Als ob die Zeiten nicht ohnehin schlimm genug waren, meinte ich. Aber Kriege wurden nicht immer nur auf den Schlachtfeldern ausgetragen, sie wurden auch stets im Stillen und im Verborgenen geführt – vor allem, wenn sich einige Dinge einer Entscheidung näherten. So wie jetzt, nachdem der große Ork Mazog erschlagen worden war und wir es vielleicht mit einer neuen, noch unbekannten Macht zu tun bekommen würden. Aber auch Aegmar hatte Recht gehabt: wenn wir uns gegenseitig mißtrauten, konnte das nur Ungutes bringen.
Unbewußt hatte ich den Kopf gesenkt. Und als ich ihn wieder hob, mußte ich feststellen, daß Aegmar verschwunden war. Der Rauch seiner Pfeife verflüchtigte sich langsam und die Brücke vor mir war leer.
Ich blickte mich um und fand es im gleichen Augenblick töricht, denn wenn er wieder nach Caras Galadhon zurückgegangen wäre, hätte er mich passieren müssen und ich hätte ihn ganz bestimmt gesehen. Nein, er war weiter in die Nacht hinausgewandert und ich wollte ihn finden.
Ich löste mich aus dem Schatten der Seitenwand und ging raschen Schrittes vorwärts, doch auch auf der Straße, die nun eine leichte Biegung beschrieb, war niemand zu sehen.
Für einen Moment hielt ich inne und wollte schon den Blick hinab zum Flußufer wenden, als mich plötzlich eine Hand grob am Arm packte, von der Straße zog und eine leichte Böschung hinunter zerrte. Ich spürte, wie ich mich mit dem Stoff meiner Hose in einem Strauch verfing und wollte sie erschrocken lösen (was unsinnig war, denn jene Hand, die mich fest gepackt hielt, war sicher das weitaus größere Problem...), doch ich kam nicht dazu, denn ein Arm wickelte sich nun grob um meinen Brustkorb und ich verlor den Boden unter den Füßen. Kurz darauf prallte ich heftig mit dem Rücken und dem Hinterkopf auf den Grund und die Luft wurde mir so hart aus der Lunge gepreßt, daß die Nacht für Augenblicke noch dunkler zu werden schien, bevor wieder der fahle Schein des Mondes zu mir drang.

Ich riß meine Hände in die Höhe, als ich ein schweres Gewicht auf mir spürte, daß mich niederdrückte, formte meine Finger zu Krallen und ließ sie niedersausen. Doch bevor ich ein Gesicht, einen Hals oder einen Arm fand, der gewiß einige Kratzer davon getragen und meine Freiheit bedeutet hätte, wurden meine Handgelenke gepackt und fortgebogen. Ich atmete tief ein – und dann hielt ich jäh die Luft an, als ich eine Stimme vernahm. Eine sehr vertraute Stimme. „Bei Elendil, Nariena! Bin ich nirgendwo vor Deiner Neugier sicher?!“, rief sie dunkel aus und das Gewicht auf meinem Leib verschwand. Der Griff um meine Handgelenke lockerte sich und mein Oberkörper wurde hochgezogen, so daß ich endlich wieder aufrecht saß und direkt in Aegmars grimmiges Gesicht blickte, auf das sich nun ein blasser Lichtschein legte. Er ließ sich zurückfallen und der Schatten eines Baumes verschluckte ihn wieder. Ich konnte nur noch seinen Schemen erkennen.
Ich richtete mein Wams und rieb mir dann die Handgelenke. „Ich wollte Dich nicht...“, begann ich, als mir bewußt wurde, daß Aegmar einen Verfolger bemerkt hatte, auch wenn er offenkundig nicht wußte, daß ich es gewesen war. „Nein? Und sicher wolltest Du auch nicht meinen Brief öffnen. Genausowenig, wie Du mich gerade belauschen wolltest, habe ich Recht?“, fügte er an und es klang zornig und ungehalten.
Ich schwieg. Mein Mund wurde trocken und ich konnte Aegmar nur ansehen. Er atmete tief aus und griff dann vor, um die Pfeife aufzusammeln, die er fallen gelassen oder weggeworfen hatte, um mich zu fangen. „Soll ich gehen?“, fragte ich heiser und fühlte mich schuldig, aber er schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Bleib.“, brummte er mißmutig und nahm dann wieder meine Hand. Er drehte sie und hielt mein Handgelenk in einen schmalen Lichtstrahl, der durch das Blätterdach eines Baumes hinabdrang und das Gras zwischen uns nun grün schimmern ließ. „Zeig her. Habe ich Dir weh getan?“, fragte er und betrachtete meinen Unterarm. „Nein, hast Du nicht. Du hast mich sofort losgelassen, als Du gemerkt hast, daß ich es bin.“, antwortete ich, auch wenn es nicht ganz stimmte. „Du solltest so etwas nicht tun, das nächste Mal merke ich es vielleicht nicht rechtzeitig und habe Dir schon längst die Kehle durchgeschnitten. Diese ganze Angelegenheit macht mich langsam nervös. Selbst hier in Lothlorien fange ich nun schon an, böswillige Geister zu vermuten.“, knurrte er und ließ mich wieder los. „Nun...offenbar ist diese Vermutung auch nicht ganz unberechtigt, wenn ich Erelias eben richtig verstanden habe.“, sagte ich, doch Aegmar schüttelte entschieden den Kopf.
„Es ist Unsinn. Wer von uns sollte denn einer sein, der tatsächlich die Hand Mordors ergriffen hat und ein Interesse daran hegt, den Feind über unsere Fahrt zu unterrichten? Du? Ich? Aneawin? Arnulf ist seinem äußeren Gebaren nach vielleicht der Typ für so etwas, aber einer, der wirklich etwas im Schilde führt, würde sich wohl kaum so offenkundig feindlich verhalten wie er. Außerdem ist er ein Rohirrim und sollte nicht irgendwo eindeutig verzeichnet sein, daß die Vorfahren der Familie Bayard dunländisches Blut besaßen, will ich nicht glauben, daß er uns eines Nachts im Schlaf erschlägt, um das Treffen mit Maethruth zu verhindern.“, grollte er und schüttelte dann ärgerlich die verloschenen Reste des Pfeifenkrauts aus dem hölzernen Kopf seiner Pfeife.
„Vielleicht denkt Erelias nicht, daß es einer von uns ist – sondern einer, der von unserer Reise erfahren hat und uns möglicherweise folgt, um zu sehen, wohin sie führt. Schließlich ist es ungewöhnlich, daß gerade Du das Schlachtfeld verläßt und Dich auch noch einer von Fuirgams engsten Vertrauten begleitet.“, meinte ich und bemühte mich, meine Stimme möglichst ruhig und behutsam klingen zu lassen. Tatsächlich stutzte Aegmar und steckte sich dann die Pfeife in die Hosentasche.
„Ja, Du hast wohl Recht. Vielleicht sollte ich damit beginnen, Dir gleich alles zu erzählen, was ich weiß, und Dich in die Dinge einzuweihen, die mich nicht nur im Groben beschäftigen. Dann müßte ich Dich nicht dabei erwischen, wie Du es sowieso herausfindest und mich hinterher dafür entschuldigen, daß ich Dir beinahe die Knochen gebrochen habe. Abgesehen davon...scheinst Du zu manch weiseren Ratschlüssen zu kommen als ich.“, sagte Aegmar und es klang versöhnt. Ich lächelte knapp. „Entschuldigst Du Dich denn?“, fragte ich keck und preßte sogleich die Lippen aufeinander. Aber ich hörte Aegmar lachen und es stimmte mich froher. „Ja, natürlich tue ich das.“, erwiderte er. „In aller Form.“ „Dann sag mir nun, was Dich wach gehalten hat. Wenn Du mir künftig mehr anzuvertrauen gedenkst, was Du sonst nur mit großen Hauptleuten an einem verborgenen Tisch besprichst.“, sprach ich und zwinkerte, auch wenn Aegmar es vermutlich nicht sehen konnte. Er klopfte gegen seine Hosentasche. „Eigentlich...hatte ich nur vorgehabt, die letzte Pfeife in vollkommener Ruhe zu rauchen.“, antwortete er. „Und was ließ Dich wohl keine Ruhe finden, Nariena Ghaldean? Doch nicht mein Rat, in meiner Nähe zu bleiben.“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es war Arnulf. Er schnarcht.“


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zuletzt bearbeitet 04.03.2012 00:56 | nach oben springen

#7

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:17
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ich gab Aegmar etwas von dem Pfeifenkraut, das ich bei mir gehabt hatte. Ich weiß nicht genau, warum ich es stets in meinem Rucksack mit mir trug, denn ich selbst rauchte nie etwas davon, aber vielleicht hatte ich auf eine Stunde wie diese gewartet, in der es jemand anderem eine Freude bereitete. Ich nahm immer die verschiedensten Dinge auf meine Reisen mit; man wußte zuvor nie, welchen Zweck sie erfüllen würden. Man konnte sie dereinst für etwas tauschen oder auch etwas kaufen, denn nicht jeder, der etwas anzubieten hatte, wollte Gold dafür haben.
Heute war es das Kraut der Halblinge, das mir etwas erkaufte, das in der Tat mit Gold nicht zu erhalten war: eine kurze Zeit der Ruhe und der inneren Einkehr für einen Freund.
So ging die Nacht doch noch mit einigen Stunden tiefen Schlafes vorüber, der alle Gedanken und Sorgen vertrieb.
Als wir Caras Galadhon am Morgen verließen, schien uns eine warme Sonne entgegen, deren Strahlen jedoch verblaßten und erkalteten, sobald wir die Grenzen Lothloriens hinter uns gelassen hatten und die goldenen Bäume des Elbenwaldes in der Ferne zurückblieben.
Gestein wuchs alsbald um uns herum und türmte sich auf zu hohen Schluchtenwänden neben steinigen Pfaden.
Es begann wieder zu schneien und irgendwo am Horizont ging eine Lawine in den Hängen des Gebirges nieder, deren Grollen das lange Tal, das wir auf dem Weg zum Tor nach Moria durchqueren mußten, mit Donnerhall erfüllte. Schattenbachtal wurde es genannt und lang waren hier die Schatten in der Tat. Wir betraten die Ausläufer des Nebelgebirges, die nicht sehr weit reichten und uns bereits nach einem kurzen Ritt an unser Ziel brachten.
Gewaltig gähnte das Tor zu den Zwergenminen von Moria in einer glatten, bis zu den Wolken aufragenden Steilwand und die Straße endete abrupt vor einer Reihe langer Stufen, die wir noch hinaufsteigen mußten, um es zu durchqueren und die Passage unter dem Gebirge bis nach Eregion zu beginnen.
Als Aegmar von seinem Pferd stieg, legte er den Kopf in den Nacken und ließ seinen Blick über den Himmel wandern. Ein Adler zog seine Kreise hoch über uns, auf der Suche nach irgendeinem Getier, das zwischen den Felsen herumhuschte. Wir vernahmen seinen Schrei, als Aegmar eine Hand ausstreckte und auf den Berg Silberzinne zeigte, dessen schneebedeckter Gipfel über dem Tor thronte und sich ein wenig zu uns zu neigen schien. Würde er einstürzen, würden wir wie Ameisen unter dem Absatz eines Stiefels zerdrückt – in Sekundenschnelle und ohne einen weiteren Gedanken oder ein weiteres Wort, dachte ich. Und Moria wäre verschlossen, wahrscheinlich für immer. Der einzige Weg, der nach Hause führte, dachte ich weiter.
Es gab einen Weg über einen der anderen Berge, über den Caradhras, der es erlaubte, das Gebirge auch über der Erde überqueren zu können, aber der Paß war nur für kurze Zeit im Sommer begehbar, wenn er überhaupt frei und zugänglich war. Als wir vor Wochen schoneinmal die Reise durch diesen Teil der Welt gewagt hatten, aus der anderen Richtung kommend, und es noch ein warmer Spätsommer gewesen war, war der Paßweg über die Berge schon versperrt gewesen. Damals hatte es uns nicht viel ausgemacht, unter ihnen hindurch zu gehen, doch diesmal betraten wir Moria mit einem anderen Gefühl.
Aegmar zog schließlich seine Hand zurück und winkte uns zu, auf daß wir ihm folgten. Er nahm die Zügel seines Pferdes in die Hand und führte es dann behutsam die breiten Steinstufen empor.
Als wir den Torbogen durchschritten, trat uns ein Zwerg in den Weg. Es war nicht dunkel unter dem Berg, doch fand das Licht nur spärlichen Platz, denn hauptsächlich verströmten große Feuerbecken und Fackeln die einzige Helligkeit, die es hier gab. Natürlich ebenso die großen leuchtenden Kristalle, die in den Minen wuchsen oder kunstvoll eingefaßt in großen Ringen von den Stollendecken hingen. Sie waren dem Kristall sehr ähnlich, den Maethruth mir geschenkt hatte, wenn auch weitaus größer und gewaltiger.
Ich betrachtete den Zwerg ein wenig, als meine Augen sich nach einigen Sekunden an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, das uns fortan begleiten würde. Er reichte Aegmar nicht einmal bis zur Brust, aber die große, breitblättrige Axt, die er in Händen hielt, ließ keinen Zweifel darüber entstehen, daß er sie gebrauchen würde, wenn ihm irgendetwas an seinem Gegenüber mißfallen sollte.
Er gehörte zu einer Gruppe von anderen Zwergen, etwa einem Dutzend, die hier am östlichen Ausgang der Minen einen Außenposten errichtet hatten und die Passage durch das Gebirge überwachten. Höflich stellte Aegmar sich und uns vor, nannte das Ziel unserer Reise, aber nicht unseren Beweggrund. Als der Zwerg ihn danach fragte, zögerte Aegmar. Und als er endlich, nach einigen Momenten Handel und die Überstellung wichtiger Güter nach Eregion als solchen benannte, knurrte der Zwerg mißtrauisch auf, denn Gepäck hatten wir nicht gerade viel bei uns, das seine Behauptung glaubwürdig erscheinen lassen konnte. Er glaubte Aegmar auch nicht und der Freund sah sich plötzlich hilfesuchend nach mir um. Ich seufzte lautlos. „Du bist einfach zu anständig, um vernünftig zu lügen, Aegmar.“, raunte ich ihm zu, als ich an ihm vorbei ging. „Also paß jetzt gut auf.“, fügte ich an und räusperte mich. Aegmar verzog leicht das Gesicht, trat aber einen Schritt hinter mich zurück, als ich vor den Zwerg hintrat und mir bedeutungsvoll die Kapuze vom Haupt schob.

„Ich sehe, Ihr glaubt meinem Freund nicht.“, sprach ich und der Zwerg sah grimmig zu mir auf. Er nickte. „Richtig! Ich sehe viele Reisende durch die Stollen ziehen, die mein Volk einst geschaffen hat. Und sie alle haben sicher guten Grund für ihre Reise. Aber wenn Euer Grund Handel sein soll, so sehe ich darin nichts Gutes, denn zum Handeln habt Ihr nichts dabei. Was könnten also vier Menschen und ein...Elb...transportieren, das so wichtig, aber nicht zu sehen ist?“, erwiderte er und ich schürzte die Lippen, dann drehte ich mich zu Erelias um. Ich bedachte ihn mit einem langen Blick, dann wandte ich mich wieder zu dem Zwergen. „Ihr könnt es sogar sehr gut sehen, denn es ist der Elb selbst, den wir durch die Berge bringen.“, sagte ich und die buschigen Brauen des Zwergen zogen sich nach oben. „Was denn? Ist das Spitzohr nicht mutig genug, sich selbst den Weg zu suchen?“, meinte er und sah an mir vorbei. Ich hob rasch eine Hand, Erelias stumm bittend, nichts auf die Beleidigung zu erwidern, denn auch ohne ihn zu sehen, wußte ich, daß er nur zu gern die Stimme erhoben hätte.
„Keine Frage des Mutes ist es, sondern der Wichtigkeit. Und wenn Ihr Euch nicht bald selbst bei Dain persönlich dafür entschuldigen wollt, daß Ihr ihn aufgehalten habt, so solltet Ihr uns nun gehen lassen, denn Wichtiges muß mit ihm rasch auf die andere Seite der Berge gelangen. Ihr kennt doch gewiß die Geschichte von jenem Zwergen, der ein Bierfaß verschluckt hat, um es durch die Reihen des Feindes zu schmuggeln und seinen Freunden auf der anderen Seite Gutes zu tun? So ähnlich verhält es sich auch mit diesem Elb. Nur war es kein...Faß.“, sagte ich und der Zwerg ließ die Brauen sinken.
„Nein, die Geschichte kenn ich nicht, aber sie klingt gut.“, erwiderte er, einen Blick auf Erelias werfend, der ihn von oben bis unten musterte. „Na, diese Geschichte erzählt man sich jetzt überall im Düsterwald. Sie ist dort schon zur Legende geworden!“, fügte ich schnell an. Der Zwerg wog den Kopf. „Könnte vielleicht ein Vetter von mir gewesen sein, dieser Zwerg. Guter Mann! Aber Dain? Einen sehr großen Namen nehmt Ihr da in den Mund, Weib!“, knurrte er ärgerlich und ich beugte mich leicht vor. „Groß und der Dinge angemessen, sonst würde ich es nicht tun! Diese Sache hier wird auch Euch betreffen. Im Guten, wenn sie vollendet wird und vor allem im Schlechten, wenn nicht. Soviel sei Euch gesagt, also erlaubt uns, weiter zu gehen.“, gab ich im gleichen Tonfall zurück und bemühte mich, nicht der Axt bewußt zu werden, die der Zwerg nun vor sich hielt und von einer Hand in die andere wechselte. „Hm.“, machte er. „Ein Bierfaß verschluckt, um es zu schmuggeln..“, fügte er dann an. „Der Berg soll sofort über mir einstürzen, wenn es nicht so war.“, meinte ich und hörte, wie Aegmar sich leise hinter mir räusperte. „Hm.“, brummte der Zwerg abermals, doch dann trat er einen Schritt zur Seite und deutete mit dem Kopf hinter sich. Wir durften den Posten passieren.
Erleichtert verbeugte ich mich, warf Aegmar einen Blick zu und beeilte mich, die Zügel meines Pferdes zu greifen. Meine Hand zitterte leicht, als ich es tat, doch dann zog ich das Tier ohne ein weiteres Wort mit mir, der Dunkelheit entgegen. Meine Gefährten folgten und ich spürte noch einige Zeit die mißtrauischen Blicke der Zwerge in unserem Rücken. Je eher wir tiefer in die Minen vordrangen, desto besser und so beschleunigte ich meine Schritte.
Die Hufe der Pferde klapperten matt auf dem behauenen Stein, der eine grobe Straße unter unseren Füßen beschrieb und sich nach Westen wand. Dunkel hörte ich schließlich eine Stimme hinter mir, die matt von der Wand widerhallte: „Hey, Gili, hast Du schon die Geschichte von meinem Vetter gehört, der zwei Bierfässer verschluckt hat, um sie durch ein Lager voller Orks zu schmuggeln?“, rief sie und ich atmete tief durch.

Erst, als wir vollkommen außer Sicht des Außenpostens waren und die Zwerge ganz sicher das Interesse an uns verloren hatten (mutmaßlich wandte es sich einer recht abenteuerlichen, wenn auch nach Zwergengeschmack durchaus hörenswerten Geschichte zu...), schloß Aegmar wieder zu mir auf. „Die Erwähnung von Dain war ziemlich gewagt...“, sagte er leise. „Ihm zu sagen, daß wir Handelsgüter mit uns führen, auch - wenn man bedenkt, daß wir nicht gerade viel bei uns tragen, um rascher voran zu kommen.“, entgegnete ich. Auch Erelias kam nun an meine Seite und blickte mich an. „Ein Elb muß nicht eskortiert werden, ganz gleich, wohin er geht! Und verschluckt hat er sicher auch nichts!“, sprach er und ich blieb stehen.
Ich sah einmal zwischen Aegmar und Erelias hin und her. „Wenn Ihr Beiden so unglaublich klug seid, warum wurden wir dann erst vorbei gelassen, als ich das Gespräch übernommen habe?“, fragte ich laut und auch ein bißchen verärgert. „Naja, ich meine ja nur...Du solltest vielleicht nicht gerade den König der Zwerge ins Spiel bringen...“, versuchte Aegmar zu schlichten. Ich stemmte meinen freien Arm in die Hüfte. „Wenn Du einen Zwergen belügen oder ihm etwas verheimlichen willst, dann sollte man sich durchaus auf das Größte und Eindruckvollste beziehen, was er sich vorstellen kann! Zwerge sind nämlich nicht gerade einfach zu überzeugen. Aber bitte – das nächste Mal, wenn Dir einer seine Axt unter die Nase hält, sieh nicht mich an, sondern regle die Dinge wieder selbst!“, sagte ich noch, dann setzte ich meine Schritte fort und ging weiter. Arnulf lachte laut hinter mir auf und ich mußte schmunzeln, als ich mir die Kapuze wieder über das Haar zog. „Ich fand die Geschichte gut!“, rief er und ich dankte ihm im Stillen.
Aegmar blieb noch für einen Augenblick verblüfft stehen und Erelias seufzte kopfschüttelnd. Aneawin war es, der ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. „Kopf hoch, Freund, sie hat es nicht böse gemeint. Also erfreut Euch Eurer Eskorte, bis Nariena die nächste Geschichte über Euch einfällt, die sie einem Zwergen erzählen kann. Hauptsache, sie sind eine Weile beschäftigt.“, sagte er.
Erelias antwortete etwas, das keiner von uns verstand, denn er tat es auf Elbisch – aber es reichte aus, um Arnulf erneut zum Lachen zu bringen. Und mich auch.


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#8

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:18
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Vier Tage dauerte die Reise durch Moria. Unzählige Stollen, in den Fels gemeißelte Treppen, aus dem Berg herausgeschälte Hallen und prachtvolle Gänge durchquerten wir, bis am Morgen des fünften Tages endlich wieder das Tageslicht durch eine Pforte auf der Westseite des Gebirges auf unsere Gesichter fiel.
Wir atmeten tief durch, wenngleich die Luft auch kühler war als in den weiten Sälen aus Stein, die hinter uns lagen. Aber dennoch: der freie Himmel lag über uns und nichts hätte uns einen schöneren Anblick bieten können. Wir bestiegen erneut die Pferde und mußten sie nicht länger hinter uns herführen. Begierig zupften sie das steife Gras aus dem Boden, hatte ihr Futter in den vergangenen Tagen aus kaum mehr als getrocknetem Korn und fahlem Stroh bestanden.
Aegmar warf einen langen Blick zurück in die Dunkelheit unter dem Berg und seine Stirn runzelte sich. „Rasch waren wir und unsere Reise kurz.“, sprach er nachdenklich, aber es klang nicht so froh, wie es vielleicht hätte sein sollen, denn tatsächlich hatten wir kaum Schwierigkeiten gehabt und waren nur wenige Male auf Orks gestoßen. Sie hatten uns belauert, ihre Augen hatten wir in allen Ecken und Spalten wahrgenommen. Wir waren nie allein gewesen, aber angegriffen hatten sie uns selten.
Ein Scharmützel in einem der weniger begangenen Stollen fernab der großen Zwergenhallen hatte uns zwei Stunden Wegezeit gekostet, und der Kampf mit Ork-Patrouillen, die ein oder zweimal unseren Weg gekreuzt hatten vielleicht eine weitere. Ich sah Aegmar an und teilte plötzlich sein Gefühl, das seinen Blick immer noch über die Felswände wandern ließ. Es war beinahe so, als hätten die Orks sich nicht für uns interessiert. Als wären sie mit etwas anderem beschäftigt, das ihre Aufmerksamkeit band. Es war kaum vorstellbar, denn schließlich haßten sie nichts mehr als die Zwerge und deren Verbündete, die ihre Heimstatt unter dem Nebelgebirge wieder an sich gerissen hatten. Ob sie wußten, daß Mazog tot war?, fragte ich mich. Ganz bestimmt wußten sie jedenfalls, daß er nicht mehr in Moria weilte und verschwunden war – und vielleicht brachte sie dies zu dieser sonderbaren Zurückhaltung, die wir erfahren hatten. Aufgegeben hatten sie Moria ganz sicher nicht, denn ihre Trommeln hatten laut geklungen in den Tiefen des Berges und ihre dumpfe Melodie war unser ständiger Begleiter. Hunderte waren noch hier, vielleicht Tausende. Irgendwo in den Minen.
Aegmar fuhr sich schließlich mit der Hand über den Bart und zuckte die Achseln. Sein Pferd tänzelte unruhig unter ihm, und für uns alle war es an der Zeit, den Schatten des Gebirges nun zu verlassen und hinaus nach Eregion zu reiten. Ein halber Tagesritt trennte uns noch von Echad Dunann, wo Maethruth auf uns wartete – und ich freute mich darauf, einen alten Freund wiederzusehen.

Zur Mittagsstunde sahen wir hinter einer Hügelkette und einer Reihe junger Hulstenbäume die Überreste der Zitadelle von Echad Dunann liegen. Weiß glänzte der alte Stein und golden schimmerten Torbögen und Fenster, wo der Schnee nicht liegen geblieben war. Der Klang von einem schweren Hammer, der auf einen Amboß fiel, drang an unsere Ohren. Das Dach des Gebäudes fehlte völlig, Stücke von Giebeln und Balken lagen, längst von Moos und Gebüsch überwachsen, um den Ort herum verstreut. Nur dort, wo die Straße nahe an der Zitadelle vorbeiführte, waren sie beiseite geräumt worden. Die Elben, die das Lager noch unterhielten, hatten Zelte aufgebaut oder nahmen die Bäume, die ebenfalls nun innerhalb der Mauern wuchsen, als Schutz. Obgleich alles offen wirkte, kaum sicher und befestigt, fühlte ich mich ruhig und zuversichtlich, als ich meinen Gefährten folgend Echad Dunann betrat. Auch ein zerstörtes Heim war dieser Tage eine Zuflucht, wenn nur ein warmes Feuer in seiner Mitte brannte, dachte ich. Und so war es auch.
Ungeduldig sah ich mich um, begierig darauf, Maethruth zu erblicken, den ich so lange nicht gesehen hatte. Ich stieg vom Pferd und löste den Rucksack und die Satteltaschen, in denen das Wenige verstaut war, das ich überhaupt mitgenommen hatte. Meine Gefährten taten es mir gleich – und dann sah ich plötzlich in Maethruths Gesicht, der hinter mir gestanden hatte, ohne daß ich es bemerkt hatte. Unwillkürlich schrak ich einen halben Schritt zurück, bis ich ihn unter der weiten Kapuze erkannte, die sein blasses Gesicht umrahmte. Er neigte knapp das Haupt und ein freundliches Lächeln huschte über seine Züge. Auch Aegmar bemerkte ihn nun, und der Blick des Elben zog sich von mir zurück, um den meines Fürsten zu treffen. „Maethruth!“, entfuhr es Aegmar freudig und der Elb verbeugte sich erneut. „Mellyn.“, sprach er leise und ergriff Aegmars Hand, die ihm grüßend entgegengestreckt wurde. Unser aller Hände ergriff er schließlich, doch glaubte ich, daß er Arnulfs Hand länger in der seinen Hand behielt, als es unbedingt nötig war, um einen Gefährten willkommen zu heißen. Maethruth betrachtete den Menschen einen langen Moment, dann zog er sich zurück. Und auch wenn er nichts sagte, so wußte ich, daß sein Blick prüfend gewesen war und er in diesem Moment etwas erfahren hatte, daß nur in den Herzen aller Lebewesen zu lesen war. Ich nahm mir vor, Maethruth später danach zu fragen und hoffte sehr, daß er auch antworten würde. Doch jetzt führte er uns zu einem der Zelte an der Westmauer, schlug das große Bärenfell vor dem Eingang zurück und hieß uns eintreten.
Es war warm im Inneren und ich streckte dankbar die Hände in Richtung eines Kohlebeckens aus, das neben einem langen Tisch aufgestellt war und eine milde Hitze verströmte. Maethruth schlug sich die Kapuze zurück und sein langes, pechschwarzes Haar ließ sein Gesicht noch blasser und erhabener wirken. Er ging um den langen Tisch herum und füllte ein paar Becher mit heißem Tee. „Setzt Euch.“, sprach er. „Lange teilten wir nicht mehr in Gemeinschaft eine Tafel, so wie es früher oft war. Und dennoch ist die Stunde, da wir ein Wiedersehen feiern können, noch nicht gekommen, denn Wichtiges haben wir zu besprechen, das nicht warten kann.“, fuhr er fort.
Gern hätten wir alle geruht und uns von dem langen Ritt zuerst erholt, doch Maethruth mochte Recht haben: er hatte nicht nach Aegmar gerufen, wenn es ihm nicht über die Maßen dringlich erschienen wäre. So setzten wir uns, knöpften Mäntel und Umhänge auf und ließen unser Gepäck stehen, wo es gerade Platz fand. Maethruth erhob seinen Becher. „Dunkel sind die Zeiten, die hinter uns liegen, und dunkel sind jene, die noch kommen mögen. Doch hier und jetzt wurde ein Licht entzündet.“, sagte er und trank.
Ich leerte meinen Becher ebenfalls und der Tee erfüllte meinen Leib wieder mit Wärme. Würzig lag der Geschmack von Kräutern auf meiner Zunge und schien augenblicklich auch meinen Geist zu erfrischen. Dennoch waren meine Beine schwer und ich streckte sie unter dem langen Tisch aus. Ich sah Aegmar an und war ein wenig verwundert, das er keinen von uns fortschickte. Zumindest hatte ich erwartet, das er Arnulf und mich von der Beratung ausschloß, aber er tat es nicht. Maethruth trat an das Kopfende der Tafel und legte eine Hand auf eine Pergamentrolle, die dort auf ihn gewartet hatte. Er betrachtete sie einige Augenblicke lang, ohne sie zu entrollen, dann sprach er endlich: „Noch immer wundert ihr euch womöglich über meine Abreise aus Emyn Lum unmittelbar vor eurem zweiten Angriff auf die Sternwarte. Ich möchte euch den Grund erklären, denn bisher tat ich es nicht. Am Vorabend der Schlacht ersuchte ich Fuirgam, den Feldhauptmann der Malledhrim, ein Gespräch über den mir zweifelhaften Sinn der Offensive seines Heeres zu führen. Über den Marsch der Elben in den Düsterwald, über den ich mich grundsätzlich stets im Zweifel befand. Einer der wenigen mochte ich gewesen sein, die der Eröffnung des Krieges durch die Malledhrim nicht mit Begeisterung...“, sein Blick wanderte kurz zu Aegmar, dann zu Aneawin, „...oder mit bloßem Pflichtgefüh gegenüberstanden. Niemand wußte jedoch um meine Zweifel, nicht einmal jene, die ich zu meinen engsten Freunden zähle.

Tatsächlich bestätigte Fuirgam meine Beurteilung, dass die Eroberung Dol Guldurs niemals Ziel des Angriffs gewesen war. Kein Sieg, sondern vielmehr nur ein Aufschub wäre das Erreichbare, eine Verzögerung des Aufmarsches der von Osten und Süden heranrückenden Streitkräfte des dunklen Herrschers durch die Zerstörung der großen Truppenlager von Gathburz. Auf mein Drängen räumte er noch einen weiteren Zweck der Anwesenheit des goldenen Heeres im Düsterwald ein, über den im Einzelnen zu sprechen ihm jedoch nicht gestattet wäre. Nur soviel deutete er an: Der Ork Mazog befände sich in unserer, der freien Völker Gefangenschaft. Nun ist die Neuigkeit, dass Mazog, der Herrscher der Orks Morias und wohl sämtlicher Orks des Nebelgebirges in unseren Händen sei, Anlass zur Freude - so sollte man wenigstens meinen. Mir aber bereitete sie Sorge, Sorge über das, was daraus erwachsen könnte.“
Maethruth machte eine Pause und seine Hand schloß sich nun fest um die Schriftrolle. Aegmar beugte sich vor. „Über Euer Ringen, Freund, wußte ich in der Tat nicht Bescheid. Die Elben offenbaren ihre wahren Gedanken meist spät, scheint es mir. So auch jene, die Mazog betreffen. Seit Kurzem wissen wir, daß Mazog nicht nur ein Gefangener war, sondern kurz vor unserem Aufbruch getötet wurde.“, sagte er.

Maethruth nickte langsam, hob dann aber die Hand: „Das vollkommene Verständnis meiner Befürchtungen, die auf diesen Geschehnissen aufbauen, setzt eine Kenntnis der Geschichte des Nordens voraus, welche ich bei euch, die ihr aus dem Süden stammt und euer Augenmerk zurecht auf andere Geschehnisse zu legen pflegt, nicht erwarten kann. Darum wisset nun Folgendes, doch seid guten Mutes, denn gegenüber Sterblichen pflege ich mich vergleichsweise kurz zu fassen. Seit vielen Jahren kämpfen Zwerge und Orks um die Vorherrschaft der Tiefen unter den Gipfeln des Nebelgebirges, das ist kein Geheimnis. In vielen Kriegen während dreier Weltalter rangen sie miteinander, einmal waren die Zwerge siegreich, ein anderes Mal die Orks. Vielleicht habt ihr schon von Azog gehört, und kennt somit den Namen, der vielen Zwergen der am meisten verhasste ist. Er war einst der große Ork des Nebelgebirges, sozusagen König seiner wilden Heerscharen. Er tötete Thror und entfesselte damit den letzten großen Krieg, und in der Schlacht von Nanduhirion tötete er Nain, bevor Dain ihn erschlug, welcher nun im Erebor herrscht. Vielleicht kennt ihr auch den Namen seines Sohnes und Nachfolgers Bolg, der in der Schlacht der fünf Heere von Beorn zermalmt wurde. Was nun Mazog betrifft - er ist entweder Bolgs Sohn, oder Azogs und damit Bolgs Bruder. Der Erbe der Herrschaft über die Orks des Nebelgebirges ist er unbestritten.
Nun aber, da er nicht nur gefangen ist, sondern gar tot, wie Ihr berichtet, Herr Aegmar, werden die Orks einen neuen Anführer suchen. Der Versuch, ihn zu befreien, lag ihnen gewiß ganz und gar fern – der Grund, warum es überhaupt möglich war, Mazog zu töten. Wäre er vorher tatsächlich befreit worden, kaum ein Ork wäre ihm weiter gefolgt. Bedenkt, unter den Orks herrschen gnadenlose Gepflogenheiten. Mazog ist fort aus seinem Reich, seine Macht damit erloschen. Er war nicht stark genug, er hat versagt, das ist es, was die Horden, welche er jüngst noch befehligte, nun über ihn denken. Gnadenlos wird auch der Streit um seine Nachfolge sein. Vielleicht gibt es noch einen weiteren Spross aus Azogs Blutlinie, oder ein anderer schwingt sich zu Macht und Größe empor. In jedem Falle aber bleibt ein wenig Zeit, bis unter ihnen ein Herrscher gefunden ist, denn nach ihrer Sitte muss er alle Nebenbuhler töten oder unter seine Peitsche zwingen.
Als nächstes wisst dies: Seit jeher trachtet der dunkle Herrscher danach, die Orks des Nebelgebirges zu seinen Zwecken lenken zu können. Es ist ebenso sicher anzunehmen wie nachvollziehbar, dass er sich unter ihnen Einfluss verschafft hat, und das bereits seit geraumer Zeit. Vermutlich war er es sogar, der vor Jahrhunderten die großen Uruks, die Vorfahren eines Azog, Bolg und Mazog, in die Orkhöhlen des Gebirges sandte, um auf sein Geheiß die Macht über die dortigen Stämme zu erringen. Indem nun Mazog als Herrscher der Orks gescheitert ist, war er gleichzeitig dem Feind als Diener nicht mehr von Nutzen. Er wird alles daran setzen, einen nächsten, ihm ebenso hörigen Ork auf den Knochenthron Morias zu heben.
Ferner jedoch wissen wir aus zahlreichen Berichten und Beutestücken der Eisernen Garnison, dass unter den Orks von Moria neben jenen, die das lidlose Auge tragen, auch solche sind, die unter dem Zeichen einer weißen Hand kämpfen. Es ist dieselbe weiße Hand, unter der viele Halborks und Bilwissmenschen Eregion unsicher machen und sogar in den einsamen Landen und am Grünweg gesehen wurden. Dieses Feldzeichen stammt nicht aus dem Osten, seine Scharen sind nicht die des dunklen Herrschers. Nein, die Diener der Hand kamen aus dem Süden, sie krochen westlich des Gebirges nach Eriador hinein, und hinein nach Moria, ganz wie der Feind von Osten und auf eine seinem Vorgehen erstaunlich ähnliche Weise darum bemüht, Einfluß zu gewinnen. Es kann mittlerweile kaum noch ein Zweifel daran bestehen, dass die sich hinter der weißen Hand verbergende, junge und aufstrebende Macht niemand anderer ist als Saruman in Isengard.“
Wieder machte Maethruth eine Pause und sah diesmal Arnulf an, der den Blick des Elben erstarrt und bleich erwiderte. Maethruth ließ seinen Blick auf dem Mann ruhen. „Nicht nur ein Rohirrim, der seit jeher mit den Namen Saruman und Isengard der Nachbarschaft zu seinem eigenen Lande wegen vertraut ist, mag sich nun fragen, wie die Dinge also stehen. Zum Einen betreibt Sauron seit jeher von Dol Guldur aus die Unterjochung der Orks. Doch zumindest im Augenblick ist ihm der Weg dorthin verschlossen, da die Malledhrim noch immer vor seiner Festung standhalten, wenn ich auch fürchte, dass das Ende des Vorstoßes unmittelbar bevorsteht. Bevor er also seine Kandidaten in den Machtkampf der Orks um die Herrschaft über die Minen senden kann, muss er den Düsterwald von Gathburz bis hin zu den Landeplätzen am Anduin wieder zurückerobern.
Zum Anderen aber streckt Saruman von Dunland, Enedwaith und Eregion seine Hand aus nach der Herrschaft über dieselben Orks. Und welch eine günstige Gelegenheit bietet sich ihm gerade in diesem Augenblick! Mazog, Saurons Lakai, ist fort. Tot. Und hier, westlich des Gebirges, lagert kein Heer wie das der Malledhrim im Osten, das seine Bemühungen erschweren oder unterbinden könnte; hier lagert keines, weil es keines gibt. Nichts weiter muß er tun, als seine weiße Hand auszustrecken, um die Macht über die führerlose Orkbrut der Minen zu ergreifen. Vesteht ihr nun meine Sorge, und erkennt die Gefahr?
Doch glaubt nicht, dass hier in Eregion und anderswo keine Kräfte wohnten, welche Sarumans Machenschaften entgegenwirken könnten. Doch müssen diese Kräfte gefunden und erweckt werden. Hierzu bedarf es keines Heeres. Die Anstrengungen Weniger können genügen, so sie geleitet sind von gutem Ratschluss und mit Entschlossenheit und Eile vollführt werden. Und just aus diesem Grunde rief ich euch, weiß ich doch, dass ihr über diese Tugenden verfügt.“

So schloß Maethruth, atmete tief aus und entrollte dann endlich das Pergament, das in seiner Handfläche gelegen hatte. Es war eine Landkarte. „Das hier...ist eine Karte von Eregion. Oder wie Ihr es nennt: Hulsten. Es muß beschützt werden, bevor es zermalmt wird zwischen den Händen eines gefallenen Zauberers. Wen auch immer Saruman durch dieses Land schicken wird, um die Orks im Nebelgebirge anzuführen - er muß sterben!“


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#9

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:19
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Stille herrschte nun und ein bedrücktes Schweigen senkte sich über unsere Gemüter, als sich unser aller Häupter der Nachdenklichkeit beugten. Arnulf war es, der sich irgendwann erhob und langsam auf und ab zu gehen begann. „Das hieße...jeden Ork von hier bis zur Pforte von Rohan zu erschlagen, weil es jeder von ihnen sein könnte. Und alle, die in den Schluchten des Nebelgebirges hausen, noch dazu – für den Fall, daß er schon angekommen ist.“, brummte er. „Wie sollen wir das schaffen? Wir sind sechs! Sechs, Elb! Du hättest ein ganzes Heer anfordern sollen!“, brummte er und stieß mit der Stiefelspitze gegen das Kohlebecken, so daß es bedrohlich zu schwan.ken begann. Aegmar schüttelte den Kopf und erhob sich ebenfalls. „Nein. Nein, das ist nicht nötig. Ich glaube, Maethruth meint, daß es ein ganz bestimmter Ork sein wird, und er ist noch nicht bei den Stämmen im Gebirge eingetroffen. Die großen Uruks waren stets jene, die die Orks anführten, und vielleicht wird es diesmal wieder ein Uruk sein. Einer, der stärker ist als die anderen. Und einer, der offensichtlich das Zeichen der weißen Hand trägt. Von solcher Sorte gibt es hier gewiß nicht viele, wir müssen ihn nur aufspüren und finden. Wir müssen nur rechtzeitig auf seiner Fährte sein, wenn er Hulsten erreicht und an uns vorbei zieht. Ich nehme an, nach diesem Uruk habt Ihr Ausschau gehalten, nachdem Ihr uns verlassen habt, Freund?“, sprach er und fuhr sich durch den Bart, Maethruth anblickend. Der Elb nickte. „Es gibt nicht viele Wege, die er aus Isengard hierher nehmen kann.“, erwiderte er. „Herr Therowig hätte sie uns nennen können, er ist einst denselben Weg gereist, als er Rohan verließ. Aber er ist nicht mit Euch gezogen, der Verletzung wegen, von der Frau Nariena mir schrieb?“, fragte er und ich konnte nur knapp nicken. „Doch ein anderer Landsmann von ihm hat Euch begleitet. Auch er wird die Route kennen.“, stellte Maethruth dann fest und griff nach dem Kohlebecken, das erneut ins Wan.ken geriet, als Arnulf im Zorn dagegen stieß. „Mirobel.“, knurrte Arnulf dann. „Dort laufen alle Wege zusammen. Jene, die die Schritte über die Straße führen und solche, die lieber durch die Steppe wandern. Aber an diesem Punkt muß jeder vorbei, der aus dem Süden kommt. Dort muß jeder über den Fluß, denn nur dort gibt es eine Furt.“, fuhr er fort.

Maethruth betrachtete die entrollte Karte und Aegmar trat neben ihn. „Bevor ich Euch entgegenreiste, um Euch hier zu treffen, war ich in Mirobel und habe jeden Tag den Fluß und die Straße nach Enedwaith ausgekundschaftet. Wir sollten dorthin zurückkehren.“, sagte Maethruth. Aegmar bückte sich und griff nach seinem Rucksack. „Dann haben wir hier genug Zeit verloren.“, beschloß er und schulterte seine Tasche. „Weiß jemand in Mirobel um Euer Ansinnen, Maethruth, und hat das Ausspähen fortgesetzt, während Ihr hier auf uns gewartet habt?“, fragte er dann. Maethruth neigte leicht das Haupt und ich meinte plötzlich ein Lächeln auf seinen Mundwinkeln zu sehen, was mir unwirklich erschien. „Ja, es gibt dort einen, der meine Sorge teilt. Hätte nicht ein Zufall uns miteinander bekanntgemacht, so hätte ich Euch nicht abholen können. Aber ein günstiger Stern schien mir. Derweil ist er nach Enedwaith gereist und sichtet die alte Oststraße, über die auch die Schar zieht, mit der er gekommen ist. Es ist jemand, den zumindest einer in diesem Zelt hier sehr gut kennen dürfte...“, erklärte Maethruth und ich war nun überrascht, denn er sah mich an. „Ihr meint, daß ich Euren Verbündeten kenne?“, platzte es erstaunt aus mir heraus.
Maethruth antwortete mir nicht, aber ich war sicher, das nun tatsächlich ein Lächeln auf seinen Lippen lag. Er nickte nur, dann streifte er sich wieder seine Kapuze über das schwarze Haar. „So denn es die Mühe der langen Reise, die Ihr bereits hinter Euch habt, noch zuläßt, können wir aufbrechen. Es ist nicht weit, ein Ritt von vielleicht drei Stunden.“, sagte er und rollte dann die Karte zusammen. Er verbarg sie unter seinem Umhang und verließ dann das Zelt.
Ich zog die Brauen zusammen und wandte mich an Aegmar. „Was meint er damit, das dort jemand ist, den ich gut kennen werde?“, fragte ich. Aegmar zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Aber offensichtlich hat selbst Maethruth bisweilen Sinn für ein wenig Frohgemut, wenn er Dich so in Spannung versetzt.“, lachte er und zwinkerte mir dann zu. „Er hat mich nicht...!“, protestierte ich, aber auch Aegmar trat nun hinaus ins Freie. Ich blieb zurück, ratlos, und konnte nur noch Aneawin und Erelias zusehen, wie sie ebenfalls an mir vorbei gingen. Arnulf war es, der zuletzt an meiner Seite stehen blieb und mir meine Tasche reichte. „Vielleicht eine weitere, kürzliche Eroberung, die Ihr gemacht habt, werte Dame? Ein verführter Recke, so wie mein Herr Vetter?“, sagte er und sein Unterton gefiel mir nicht. Aber ich erwiderte nichts darauf, riß ihm nur unfreundlich meine Tasche aus der Hand und verließ dann ebenfalls die wohlige Wärme des Zeltes.

Der Abend senkte sich über die weißen Ebenen Eregions, als wir Mirobel erreichten - ein steinernes Monument, das mit marmornen Fingern nach den lebendigen Sternen am Himmel griff. Sie waren nicht verborgen in dieser Nacht und funkelten zwischen den Wolken hervor, die sich grau und schwarz vor ihrem Antlitz bewegten und erst für den Morgen neuen Schnee ankündigten.
Maethruth hatte eine Kammer in einem der großen Wachtürme bezogen, die sich noch über der alten Festung auf einer Hügelkette erstreckten. Die Mauern waren rissig und gebeugt, aber nicht zerborsten und so fanden wir hier Schutz und Wärme, die wir nach der langen Reise so dringend benötigten.
Ich war müde und mehr als erschöpft und war Aegmar dankbar, daß er mich nicht noch für die Wache einteilte, die Maethruth für notwendig hielt und die er in den vergangenen Wochen stets allein verrichtet hatte. Uruks scheuten das Tageslicht nicht, so wie es die meisten Orks taten, und so vermutete er, das jener, auf den er wartete, sich demnach am Tage bewegte, dennoch wollte er nicht versäumen, die Straße und den Fluß auch in der Nacht im Auge zu behalten. Er führte Aegmar und Aneawin noch hinaus in die Hügel und zeigte ihnen die Festung, doch als sie irgendwann zurückkehrten, schlief ich bereits und hörte nur das verhallende Echo ihrer Schritte im Turm.
Erst am Morgen bemerkte ich, daß Arnulf sein Lager nicht unweit dem meinen aufgeschlagen hatte. Unter einer Treppenflucht zweigte ein Gang ab, der aus dem Turm auf die Mauer führte, die ihn mit einem anderen Teil der Feste verband. Zwei kleine Kammern lagen sich hier auf den beiden Seiten des Ganges gegenüber und ich hatte eine davon gewählt. In jenem Moment, als ich die Tür öffnete, tat Arnulf auf der anderen Seite des schmalen Flures das Gleiche – und ich sah ihm direkt ins Gesicht. Er nickte knapp und grüßte, dann ging er an mir vorbei in Richtung des Treppenhauses. Ich sah ihm nach und spürte dann plötzlich einen Stich in meiner Magengrube, den ich nicht recht deuten konnte. Vielleicht war es die Art, wie er an mir vorbei ging, wie er für einen Augenblick die Hand auf das Geländer der Treppe legte und dann mit einem langen Schritt die obersten beiden Stufen nahm. Irgendetwas in seiner Bewegung rief eine Erinnerung wach, einen vertrauten Gedanken und ich sah Therowig vor mir. Aber das Bild verblaßte sogleich wieder, denn Arnulf war nur ein Spiegelbild – und zwar eines, das im Schatten lag.
Aegmar vertraute ihm nicht, und ich tat es ebenfalls nicht, obgleich mich die Verwandtschaft und jene Ähnlichkeit, die er manchmal zu Therowig hatte, gern dazu bewegt hätte. Ich wußte, daß mein Mißtrauen nicht in Arnulfs Grobheit begründet lag, auch nicht in seiner Unfreundlichkeit. Ich wußte überhaupt nicht, welchen Anlaß es hatte.

Aber der Moment meines Zweifels verflog und so folgte ich Arnulf, wenngleich auch langsamer, die steinerne Treppe hinab, die in einem großen Raum mit einer gewölbten Decke und einem Kamin endete, welcher früher einmal als Wachraum gedient haben mochte.
Keine Tür verschloß ihn mehr und so drangen die Stimmen derer, die sich bereits zum Morgenmahl versammelt hatten, zu mir hinaus auf die Treppe. „Es ist mir gleich!“, hörte ich Aegmar sprechen. Die Art, wie er es sagte, ließ mich innehalten. Und ich tat, was ich ihm versprochen hatte, nicht mehr zu tun: ich drückte mich an die Wand und lauschte seinen Worten, ohne daß er ahnte, daß ich zugegen war.
„Es ist mir gleich, was dieser Elb meint!“, fuhr er fort und es klang verärgert. Da ich aber kurz darauf Maethruths Stimme vernahm, war ich zumindest sicher, daß Aegmar mit „dieser Elb“ nicht ihn, sondern Erelias gemeint haben mußte.
Doch was er gesagt hatte, und was offenbar Aegmars Unmut entfacht hatte, erfuhr ich erst später: „Seit wir aufgebrochen sind, versucht er mir einzureden, das die Dinge nicht so sind, wie sie mir erscheinen. Daß ich blind sei für das Übel, das mir folgt, aber das er nicht beim Namen zu nennen wagt! Außer Frage steht es, daß es seit geraumer Zeit einen Informanten in den Reihen des freien Heeres geben muß, das hat selbst Fuirgam bereits vermutet. Und vielleicht ist es so, daß unser Aufbruch nicht unbemerkt geblieben ist, aber ich bin kein Narr! Ich bin nicht bereit anzunehmen, daß sich einen Verräter bereits in Mirobel befindet. Wenn Erelias noch einmal davon zu sprechen beginnt, dann vergesse ich, wer er ist und wem er dient! Ich werde niemanden verdächtigen!“ „Wenn ihr niemanden verdächtigen könnt, dann solltet Ihr vielleicht alle verdächtigen.“, sprach Maethruth und seine Worte waren wie stets ruhig und bedächtig. „Gab es einen Anlaß, der solche Vermutung laut werden ließ?“, fragte er dann.
Einige Momente der Stille folgten, dann atmete Aegmar tief aus und senkte die Stimme, als sei ihm plötzlich bewußt, das er zu hören war. Ein Stuhl wurde über den Boden gerückt und jemand setzte sich hin. Ich tat einen Schritt die Treppe hinab und lehnte mich nun genau neben die Türöffnung. „Ja, den gab es in der Tat.“, sagte Aegmar und etwas Bitteres lag in seiner Stimme. „Therowig ist seit Wochen krank, und obgleich die Verletzung, die ihm zugefügt wurde, vom Schnitt einer schwarzen Klinge stammte, hätte ihn jene niemals so lange niederwerfen dürfen. Wie Ihr am Besten wißt, denn Nariena fragte selbst Euch in der Ferne um Rat, Maethruth, war jene lange Erholungszeit schließlich ein Grund zu großer Sorge, die mich eher traf, als ich es eingestanden habe. Solche Wunden werden mit Athelas behandelt – und wie festzustellen war, begab es sich, daß in einer der vergangenen Nächte beinahe alle Athelas-Vorräte in der Feste Galadh verdorben sind. Nicht etwa aufgrund falscher Lagerung; nein, jemand hatte sie in Fässer mit schlechtem Brackwasser gelegt und die getrockneten Blätter sind sämtlich verfault und waren somit nutzlos. An ein Unglück haben selbst die Heiler nicht geglaubt, aber ich habe es Nariena nicht gesagt. Fuirgam hat jemanden nach Caras Galadhon geschickt, der neue Vorräte beschaffen sollte. Sie sind knapp im Krieg und jeder Versorgungsaufschub kann Verderben bedeuten. Wir hatten jedoch Glück, nach einiger Zeit konnte er neue Pflanzen zurück in den Düsterwald bringen. Therowigs Erholung setzt nun endlich langsam ein, und ich kann wieder hoffen, das sie rasch voranschreiten wird.“

Ich schlug mir eine Hand vor den Mund, als ich Aegmars Worte hörte und sog lautlos die Luft ein. Ich spürte Zorn in mir aufsteigen, darüber, das jemand das Athelas vernichtet hatte – und darüber, das Aegmar es mir nicht gesagt hatte.
„Da gab es noch etwas...noch etwas, das passiert ist.“, sprach nun eine dritte Stimme. Sie gehörte Arnulf und ich zwang meinen Zorn hinab, um meine Ruhe wieder zu finden und zu hören, was er zu sagen hatte. Nicht verhindern konnte ich jedoch, daß eine heiße Träne der Wut in meinem Augenwinkel zurückblieb und auf meinen Handrücken fiel. Nur langsam löste ich die Hand von meinen Lippen und schob sie hinter mich zwischen meinen Rücken und die steinerne Wand des Turms. Sie zitterte.
„Eine Woche vor unserem Aufbruch, kurz nachdem ich in Emyn Lûm eingetroffen war, erhielt ich vom Kommandanten den Auftrag, einen der Bilwisse zu fangen, die in den Wäldern nahe der Festung entdeckt worden waren. Späher, Spione, die direkt nach Dol Guldur berichteten. Also besprach ich mich mit Fuirgam, suchte mir zwei Begleiter und zog in die Wälder, um mein Lager und ein paar Fallen aufzustellen. Aber alle Bilwisse waren plötzlich verschwunden. Wir suchten drei Tage lang und fanden keine Spur mehr von ihnen. Es war uns, als seien sie gewarnt worden. Dol Guldur hatte all seine Schergen zurückgerufen. Es könnten alles Zufälle sein, Unglücke, wenn Ihr es so wollt – doch seien wir ehrlich: wir führen Krieg gegen Mordor, nicht gegen ein paar Straßenräuber. Und da glaubt keiner von uns ans den Zufall.“, schloß er.
„Hm.“, machte Maethruth. „Die Worte von Erelias erfüllen Euch mit Zorn, Fürst Aegmar, dennoch erkennt ihre Wichtigkeit: unbeschadet seid Ihr hier bei mir in Eregion eingetroffen, verhindert wurde es nicht. Aber es mag nicht bedeuten, daß nicht versucht wird, aufzuhalten, daß wir den Abgesandten Sarumans töten werden. So denn, Herr Arnulf, seid Ihr vielleicht nicht nur mit Herrn Aegmar gezogen, um es anzustellen, einen Ork in diesem Land lebend zu fangen, der uns etwas über die Geschehnisse im Nebelgebirge jenseits sagen kann – sondern vielleicht ein Wesen, das aufrecht geht wie wir und von vertrautem Antlitz ist. Einer, der vielleicht weiß, wer der Uruk ist, den wir suchen. Der gar seinen Namen kennt, der ihn beschützen wird und im Inneren Isengards gewesen ist. Unser Auge muß sich nach Süden und nach Osten richten.“, sagte er dann.
Wieder ertönte das schleifende Geräusch eines Stuhls, der über harten Boden gezogen wird. „Ich sage es Euch noch einmal, Elb, wir sind zu wenige, um zwei Fallen zu stellen. Gibt es irgendjemanden sonst in Mirobel, dem Ihr vertraut, und den wir einweihen können?“, fragte Arnulf. „Es mag solche geben und ich werde sie auswählen, ich bin nicht der letzte Elb, der noch in diesem Land verweilt. Es wird Zeit, daß die Stimme der Elben wieder in den Hügeln erklingt. Der Zeitpunkt mag gekommen sein.“, erwiderte Maethruth. Eine Faust fuhr auf eine Tischplatte nieder. „Ich will einen Namen. Ich will wissen, wen wir suchen. Ich will diesen Uruk – und ich will den, der in unseren eigenen Reihen Verrat an seinem Volk begeht!“ Es war Aegmar, der erneut die grollende Stimme erhob.

Dann näherten sich Schritte der Tür und ich stieß mich rasch von der Wand ab. „Ich gehe nun und werde Nariena wecken, wir werden uns noch in dieser Stunde auf Spurensuche begeben und den Fluß entlang nach Süden reiten. Der Himmel verdunkelt sich und bald wird Schnee fallen, der alle Spuren verdeckt. Wir müssen uns eilen. Ach...aber noch etwas, Freund Maethruth, Euer Bekannter, den Ihr in Enedwaith wähnt und den auch unsere Gefährtin zu kennen scheint, wird er uns tatsächlich helfen können?“
Weitere Schritte näherten sich der Tür. „Ich habe noch keine Nachricht von ihm erhalten und weiß nicht, wann er zurückkehrt. Er hat andere Pflichten, aber er wird helfen. Wenn Ihr ihn trefft, werdet Ihr wissen, warum.“, erklärte Maethruth. Die Schritte erklangen nun im Türrahmen und so schnell ich nur konnte, ohne meine Anwesenheit zu verraten, sprang ich die Treppe hinauf. „Übrigens...ist sie schon wach.“, vernahm ich noch Arnulfs Stimme, die mir die Stufen hinauf folgte. „Ich habe sie schon gesehen, als ich vorhin mein Quartier verließ.“
Röte stieg mir in die Wangen und ich warf einen Blick über meine Schulter. Aegmar trat in mein Blickfeld, aber noch sah er mich nicht. So ging ich weiter und zog mich in meine Kammer zurück. Hastig blickte ich mich um und steckte dann in einem eiligen Gedanken den Kopf in die flache Waschschüssel, die auf einem niedrigen Tisch stand. Eiskalt rann mir das Wasser darin über die Haut und ich fröstelte, doch für Aegmar sollte es so aussehen, als hätte ich mich gerade erst angezogen.
Ein fehlerhafter Gedanke und ein törichter dazu, denn ich hätte gerade Arnulf wohl kaum am Morgen ungewandet und nicht zum Aufbruch bereit begegnen wollen. Aegmar klopfte dennoch an, als auch er mein Zimmer erreichte und wartete höflich ab, bis ich ihn hereinbat. Ein Kopfnicken war sein Gruß und er betrachtete mich, wie ich mir das nasse Haar kämmte. Ich fühlte, das meine Wangen wieder zu erröten begannen und wandte mich ab. Er bemerkte es, ich hörte es daran, wie er plötzlich tief einatmetete. „Nariena, wenn ich Dich fragte, ob Du ein weiteres Versprechen gebrochen und mich erneut belauscht hast...Du würdest mich nicht belügen, habe ich Recht?“, fragte er mich auch sogleich ohne Umschweife. Ich seufzte lautlos und sah ihn an. „Und wenn ich Dich fragte, wie es Therowig geht, würdest Du mich dann belügen?“, gab ich zur Antwort und hielt inne. Aegmar hob das Kinn an und seine Augen verdunkelten sich. Ich sah seine Kiefermuskeln, die sich in seinem Gesicht bewegten. „Ich...“, begann er, brach dann aber ab und legte sich eine Hand auf die Brust. „Ich...möchte gleich aufbrechen. Dabei werde ich Dich brauchen. Bitte mach Dich reisefertig. Wir treffen uns unten bei den Pferden.“, sagte er dunkel, dann ging er und ließ mich zurück.
Ich biß mir auf die Unterlippe. Dies würde kein guter Tag werden.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#10

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:19
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Ein gewundener Pfad führte von der Feste auf der Flußseite des Berges hinab zu einem weiten Ufer. Er war steil, und wo die Steigung beinahe senkrecht zu werden drohte, unterbrachen Stufen das Wegpflaster. Die Pferde hatten Mühe, sicheren Tritt auf dem gefrorenen Boden zu finden und ihre Hufe klapperten laut auf dem Stein. Nur langsam kamen wir voran und der Abstieg dauerte beinahe eine halbe Stunde, doch dann vernahmen wir das Rauschen des Flusses zu unserer Rechten und folgten ihm in südlicher Richtung.
Ich zog mir die Kapuze meines Mantels tief in das Gesicht, denn die Luft war so schneidend kalt, daß sie ein trockenes, brennendes Gefühl auf der Haut hinterließ. Aegmar ritt voran und ich sah auf seinen breiten Rücken, der sich leicht über den Hals seines Pferdes beugte. Ich wußte, daß er unter dem Umhang ein Schwert trug, auch wenn es nicht sichtbar war. An seinem Sattel hatte er zudem eine Armbrust befestigt, die der schwere lange Stoff verdeckte. Er sprach nicht mit mir und schlug einen langsamen Tritt an, sein Pferd blies warmen Atem in die Luft hinaus, der in feinen Schwaden in meine Richtung wehte und sich dann verflüchtigte.
Etwa zwei Meilen ritten wir schweigend am Flußufer entlang, bis wir einen kleinen, verfallenen Unterstand erreichten, der einst zu einer Weide gehört haben mochte. Aegmar sprang aus dem Sattel und löste die Armbrust. Er behielt sie in der Hand und deutete auf eine Hügelkuppe, die über uns lag. „Maethruth sagt, hinter den Hügeln beginnt ein Pfad, der ostwärts in den Rothornpaß führt und weiter ins Nebengebirge hinein. Wir werden dem Weg folgen, vielleicht entdecken wir etwas – frische Spuren, oder etwas, das die Orks verloren haben, während sie ihn benutzt haben. Wenn er noch oft begangen wird, werden wir das merken und haben vielleicht einen guten Anhaltspunkt, wo wir einen Spähposten errichten können.“, sagte er leise und band dann sein Pferd an einem hinabgestürzten Balken unter dem schiefen Dach des Unterstandes fest. Ich tat es ihm gleich und steckte die Hände in die Ärmel meines Mantels. Sie waren leicht gerötet. „Glaubst Du, daß Arnulf wirklich einen Ork fangen wird? Ich habe den Eindruck, daß sie die Ebenen meiden, seit wir hier sind. Jedenfalls...haben wir noch keinen in der Nähe von Mirobel oder dem Fluß entdeckt. In der letzten Nacht war es vollkommen still.“, erwiderte ich und trat hinaus ins Freie.
Aegmar ließ mich vorangehen, als wir uns dem Hügel vor uns näherten. „Er wird einen fangen. Und bei diesem Wetter wagen sich selbst die Orks nicht aus ihren Zelten, eine Gelegenheit für uns, ihnen nahe zu kommen.“, meinte er. Er folgte mir dicht auf und ich hörte seine Schritte deutlich in meinem Rücken, seine Stiefel knirschten auf dem gefrorenen Gras. Ich nickte und dann begann ich den Aufstieg.

Tatsächlich entdeckten wir einen Pfad, der aus westlicher Richtung kam, sich am Fuß des Hügels entlangschlängelte und dann irgendwo im Osten verschwand. „Keine befestigte Straße, nur zahlreiche Füße haben diesen Weg geschaffen. Der Verlauf ist uneben.“, stellte ich fest. Aegmar ließ den Blick wandern, schließlich zeigte er in Richtung des Gebirges. „Es ist vielleicht ein Marsch von fünf Stunden bis zum Paß – was sich dahinter verbirgt hat lange kein Menschen- oder Elbenauge mehr erblickt.“, sagte er, senkte den Kopf und machte sich daran, den Abstieg zu beginnen, doch ich griff plötzlich nach seinem Arm und fühlte den dic.ken, weichen Stoff seines Umhangs. Aus dem Augenwinkel hatte ich eine Bewegung wahrgenommen und auch Aegmar hatte nun etwas entdeckt: drei Gestalten bogen um die Flanke des Hügels und liefen unter uns vorbei. Wenn sie aufblickten, würden sie uns sehen.

Aegmar ließ sich sofort zwei Schritte zurückfallen und ging in die Hocke, ich duckte mich neben ihn. Es waren Halborks, mit braunen, verschrobenen Gesichtern. Eiligen Schrittes hasteten sie an uns vorüber und wir beobachteten sie mit aufmerksamem Blick. Als sie uns passiert hatten, blieb einer von ihnen stehen und drehte den Kopf. Aegmar ging nun auf die Knie und das weiche Leder seiner Hose berührte den eiskalten Boden. Er hob eine Augenbraue, beugte sich tief vornüber und zog sich den grauen Umhang über das dunkle Haar. Ich sah ihn nur kurz von der Seite an und bemerkte, wie müde er aussah. Sein Gesicht war blaß und seine Augen leicht gerötet, doch ich vertrieb den Gedanken schnell wieder, denn meine Konzentration sollte wohl den Halborks gelten, die nun offenbar bemerkt zu haben schienen, daß sie nicht mehr alleine waren. „Sagtest Du nicht, in Eregion wäre es ruhig gewesen in der letzten Nacht...scheinbar ist es gerade erwacht.“, flüsterte Aegmar mir zu und stützte langsam eine Hand auf den Boden, den Kopf noch weiter senkend.
Der Anführer der Halborks hob die Hand und auch seine beiden Gefährten, die ihn mittlerweile überholt hatten, blickten zurück und blieben plötzlich stehen. Sie sprachen miteinander, kurze, grollende Sätze, die ich nicht verstand. Dann blickten sie gemeinsam hinauf – und entdeckten Aegmar. Der Freund fuhr zu mir herum. „Sie haben mich gesehen, Dich noch nicht. Klettere den Hügel hinunter und bleib in Deckung, sie werden kommen.“, zischte er mir zu. Ich legte den Kopf schief. „Aegmar...“, begann ich. Ich wollte ihn nicht alleine lassen. „Tu', was ich Dir sage.“, knurrte er und ich seufzte lautlos, zog mich schließlich langsam zurück und kroch rückwärts den Hügel wieder hinab. Ich lief um die Anhöhe herum und hielt an der linken Flanke wieder inne. Die Halborks hatten sich getrennt, einer rannte nun direkt auf Aegmar zu, die anderen beiden näherten sich ihm von der Seite. Aegmar sprang auf die Füße und erwartete sie: er warf den Umhang zurück und zog das Schwert.

Es war still – bis die dunkle Stimme eines Halborks die Luft auf unheilvolle Weise durchtrennte: „Du bist weit fort von deiner Schar, Mensch. Bereite dich darauf vor, sie nie wieder zu sehen!“, rief er und hob eine grobe Axt, die er in beiden Händen hielt. Aegmar erwiderte nichts, aber ich hörte ihn leise lachen, was mir beinahe unwirklich erschien. Dann vernahm ich das laute Klirren von Metall, als sein Schwert auf das Blatt der Axt traf und einen ersten Angriff parierte. Ich wagte mich aus meinem Versteck und ging wieder ein paar Schritte bis zum Fuß des Hügels – dorthin, wo wir unseren Aufstieg begonnen hatten.
Die Halborks bemühten sich, Aegmar zu umzingeln und ihn zwischen sich einzuschließen, so daß sie ihn von drei Seiten gleichzeitig bedrängen konnten, aber er ließ sie nicht. Er wich immer wieder aus, wandte sich um und sprang zur Seite, so daß sie zueinander aufschließen und ihm von Angesicht zu Angesicht begegnen mußten. Dennoch prasselten ihre Hiebe ohne Unterlaß auf ihn ein. Sie waren mit Stärke, nicht mit Geschick geführt, aber Aegmar hatte Mühe, sie sich vom Leib zu halten und meine Hand wanderte an den Dolch, der in meinem Gürtel steckte.
Ich hatte etwas gutzumachen und ihn in seinem Vertrauen in mich wieder zu bestärken, in dem ich seinen befehlenden Worten folgte – aber dies war noch nicht der Moment dafür.
Ich ließ den Blick nicht von ihm: ich sah seinen Umhang in der Bewegung um seine Beine wehen, sein Schwert in tödlichem Tanz Äxten und Streitkolben begegnen und schließlich einen der Halborks gurgelnd zu Boden stürzen: die Kehle durchtrennt und die Brust durchstochen, aber dennoch ließ ich Aegmar diesen Kampf nun nicht länger alleine fechten.
Ich zog die feine Klinge aus meinem Gürtel und stürmte den Hügel wieder hinauf. Die beiden Halborks, die noch am Leben waren, bemerkten es mit einem kurzen Blick des Erstaunens, wenngleich sie sich durch mich ganz sicher nicht in die Flucht treiben ließen.
Einer von ihnen ließ sogleich von Aegmar ab und kam mir entgegen. Aegmars Augen folgten ihm und er fuhr herum, sein Arm streckte sich ärgerlich aus, als wollte er den davoneilenden Feind am Kragen packen und zurückhalten. Natürlich gelang es ihm nicht und ich spürte den kalten Lufthauch der Axt, die nach mir hieb und knapp an meinem Gesicht vorbeifuhr, als ich der stählernen Schneide auswich und mich duckte. Ich machte einen Satz nach vorn und war nun direkt in Aegmars Rücken, so nahe, daß ich ihn beinahe berührt hätte.
Seine Hand legte sich für einen kurzen Moment auf meinen Arm, warnend, bevor er sie wieder fortzog, den Griff seines Schwertes mit beiden Händen umfaßte und einen gewaltigen Streich gegen den Halbork führte, der seinen Streitkolben nach ihm schwang. Ich hörte Aegmar ein leises Stöhnen unterdrücken, spürte dann, wie er sich von mir entfernte und sich herumdrehte. Ich vernahm ein Knacken, dann ein Jaulen und einen dumpfen Aufprall, aber ich hatte keine Zeit, mich umzusehen – auch ich wurde angegriffen und sah direkt das große Blatt einer Axt vor meinem Gesicht auftauchen.
Ich konnte erneut gerade noch meinen Kopf zur Seite reißen und mich ducken, als der Halbork an mir vorbei rauschte und die Schneide seiner Waffe tief in den Boden trieb, direkt neben meinem Fuß. Ich hob die Dolchhand und stieß sie nieder. Die Klinge durchdrang eine zähe, lederne Rüstung und drang in dunkles Fleisch zwischen dunklen Rippen. Der Halbork knurrte auf und ich zog meinen Dolch zurück, auf dem nun dampfendes Blut klebte. Die Wunde war nicht tödlich, aber mein Gegner hatte deutliche Mühe, sich aufzurichten und seine Axt wieder zu heben. Sein nächster Schlag ging fehl, weit neben mir sauste die große Axt durch die Luft und verhallte kraftlos, ohne ihr schändliches Werk vollbracht zu haben.
Aegmar war nun wieder bei mir, er stieß leicht mich zur Seite und trat vor mich. Dann hörte ich ein drittes Mal an diesem Tage das kreischende Jaulen eines Halborks, der in der Winterstille Eregions den Tod findet und sein unseliges Leben aushaucht. Ich atmete tief aus und preßte die Lippen aufeinander. Mein Herz pochte.

Aegmar blieb noch für einen Moment stehen, das Schwert hoch erhoben, bevor es langsam sinken ließ und sich zu mir herumdrehte. Sein Gesicht war eine Maske aus Stein, als sein Blick mich traf. Ich konnte ihn beinahe spüren und wußte genau, was er sagen wollte – aber er tat es nicht. Der mahnende Ausdruck in seinen Augen reichte aus, um mir seinen Unmut über mein Eingreifen deutlich zu machen.
Schließlich stieß er einen der Halborks mit der Stiefelspitze an, als wollte er prüfen, ob die Kreatur wirklich tot war. Dann rammte er seine Klinge in den Boden neben ihrem Kopf, bückte sich und packte den Halbork bei den Füßen. Er zog ihn zum Rand des Hügels und warf ihn auf der dem Trampelpfad abgewandten Seite hinab. Ich sah ihm stumm zu, wie er mit den anderen beiden Leibern das Gleiche tat.
Er hatte Recht. Gewiß war es nicht klug, sie hier einfach liegen zu lassen, denn eines wußten wir nun genau: in der Tat war dieser Pfad benutzt und unter den Orks gut bekannt.
Als ihre Körper nun übereinander am Fuße der Anhöhe lagen, kletterte Aegmar ihnen nach. Ich zögerte einen Augenblick, zog dann jedoch sein Schwert aus dem Boden und folgte ihm vorsichtig. Er hatte sich neben unsere Feinde gekniet und durchsuchte ihre Sachen. Zuvor war es mir nicht aufgefallen, aber dafür sah ich es jetzt umso deutlicher: sie alle trugen ein Zeichen auf ihren Rüstungen, den weißen Abdruck einer ausgestreckten Hand. Aegmar löste einen der Harnische und steckte ihn ein. Als er sich zu mir umwandte, hielt ich ihm seine schwere Klinge entgegen. Wieder traf mich sein Blick, als er sie nahm, und ich verzog leicht einen Mundwinkel.
„Ich weiß. Ich sollte gehen, mich verstecken und mich aus dem Kampf heraushalten, so wie Du es gesagt hast.“, brach ich leise das Schweigen. Aegmar holte tief Luft, nickte und steckte das Schwert zurück in den Waffengurt auf seinem Rücken. „Das habe ich gesagt – und mich nur wenige Augenblicke später gefragt, warum Du so lange zögerst, bis Du doch in den Kampf eingreifst.“, fügte er an und ich senkte leicht betreten den Kopf. „Ich...“, begann ich erneut, aber Aegmar wehrte ab und schüttelte den Kopf. „Ich sehe den Tag kommen, an dem Therowig mir den Kopf abschlagen wird, weil ich den Deinen nicht beschützen konnte.“, sagte er. Ich sah auf. „Weder Du noch ich werden den Kopf verlieren, wir haben schon ganz andere Kämpfe überstanden.“, erwiderte ich. „Ja, bis jetzt...“, brummte er und ich mußte, auch wenn mir keineswegs danach zumute war, lächeln.
Aegmar verschränkte die Arme und blickte in den westlichen Himmel, dann nahm er noch einmal den Orkharnisch hervor und besah sich das Wappen der weißen Hand darauf. Er hob ihn an und hielt ihn in meine Richtung. „Was das hier ist, muß ich Dir nicht erklären.“, meinte er. „Nein.“, sagte ich nur und er wandte sich wieder nachdenklich nach Westen. „Um ehrlich zu sein...interessiert es mich nun gar nicht mehr, wohin die Halborks unterwegs gewesen sein mochten, sondern vielmehr, woher sie kamen. Der Weg führt nach Osten, ins Gebirge – ihr Ziel ist somit mehr als deutlich. Doch wo beginnt er? Mir scheint, es war eine Vorhut, die direkt aus dem Süden kam.“

Ich berührte den Panzer in Aegmars Hand knapp mit den Fingerspitzen. „Also gehen wir nach Süden...“, meinte ich, Aegmar zögerte jedoch. „Es wird bald schneien. Der Himmel ist wolkenschwer und seine Last groß. Wir werden heute nicht mehr weitergehen, wir kehren nach Mirobel zurück.“, entschied er. Ich zog meine Hand wieder zurück und nickte. Den Dolch, der immer noch in meiner Hand lag, steckte ich wieder an meinen Gürtel und zog den Umhang darüber. Ich wandte mich um, mein Blick glitt dabei noch einmal über die Halborks, die zu meinen Füßen lagen und mir fiel plötzlich etwas auf: ich bückte mich und löste einen Arm, der sich fest um den leblosen Oberkörper der Kreatur geschlungen hatte. „Er trägt etwas bei sich....“, murmelte ich und Aegmar trat neben mich, sich leicht vorbeugend. Dann ging er in die Knie und schob auch den zweiten Arm beiseite. „Ja, er hält eine Tasche unter der Rüstung.“, stellte er fest und zog daran. Eine flache, lederne Tasche kam zum Vorschein, die mit einem Riemen verschnürt war und an der merkwürdiges Schmuckwerk hing: Federn und kleine Perlen aus Stein.
Aegmar zog die Augenbrauen zusammen und drehte den Beutel in seinen Händen, auf der Rückseite war er mit einem kunstvollen Muster bemalt. „Das...sieht mir nicht orkisch aus.“, sagte er. „Nehmen wir es mit. Wir sollten uns nun ohnehin schleunigst davon machen, bevor noch mehr Halborks oder Orks auf dem Pfad auftauchen.“ Er gab mir die Tasche und richtete sich auf, dann nahmen wir den Weg zurück zu dem Unterstand, an dem wir unsere Pferde angebunden hatten. Zitternd warteten sie auf unsere Rückkehr und schienen dankbar zu sein für einen schnellen Ritt, der uns wieder nach Mirobel führte.

Der Nachmittag war bereits angebrochen, als wir die alte Festung erreichten. Hell und warm loderten die Kaminfeuer in der Wachstube des Turms, die nun als Beratungskammer und Küche genutzt wurde.
Arnulf war zugegen; er saß an dem schwerem Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand, und hatte die Füße auf die Tischplatte gelegt. Als er Aegmar eintreten sah, zog er sie herunter und nickte ihm knapp zu. Auch über mich wanderten seine Augen und ruhten auf jeder Bewegung, als ich meinen Mantel löste und die lederne Tasche, die wir bei einem der Orks gefunden hatten, auf den Tisch legte.
Arnulf stieß sich mit dem Rücken von der Stuhllehne ab und beugte sich aufmerksam vor. Mit einer Hand stieß er die Tasche an und drehte sie herum. „Wo habt ihr das her?“, fragte er dunkel und zog geräuschvoll die Nase hoch. Mit dem Handrücken fuhr er sich über Oberlippe und Bart und kratzte sich dann nachdenklich am Kinn.
Ich sah Aegmar an, der sich den Umhang von den Schultern zog und sein Schwert an die Wand neben dem Kamin lehnte. „Wir haben uns einen Pfad angesehen, der unweit durch die Hügel führt. Maethruth hat ihn entdeckt und wir glauben, daß er eine Verbindung jenseits der Straße von Enedwaith ins Nebelgebirge sein könnte. Ein paar Halborks waren dort unterwegs und wir...hatten leider eine kleine Auseinandersetzung mit ihnen. Der Anführer hatte diesen Beutel bei sich.“, erklärte Aegmar und Arnulfs Haupt fuhr in die Höhe. Er blickte mich durchdringend und prüfend an, auch etwas Fragendes lag in seinen Augen. Ich konnte es mir kaum erklären, aber sein Blick mache mich plötzlich verlegen. Ich legte meinen Mantel auf einen der Stühle und setzte mich ebenfalls an den Tisch. „Jemandem was passiert?“, fragte Arnulf, als ich nichts auf seinen fragenden Blick erwiderte. Seine Aufmerksamkeit galt nach wie vor mir, so daß ich rasch den Kopf schüttelte. „Nein, es ist alles in Ordnung.“, sagte ich leise.
Ein Moment der Stille trat ein, bis Aegmar um den Tisch herum ging und sich hinter meinen Stuhl stellte. Es hatte nichts zu bedeuten, dennoch war ich ihm auf einmal dankbar dafür. Arnulfs Augen lösten sich von mir und wanderten auf zu Aegmars Gesicht. Die beiden Männer tauschten einen seltsamen Blick und ich fühlte mich auf einmal unbehaglich zwischen ihnen. „Wir...sollten die Tasche vielleicht öffnen....“, sagte ich daher und es unterbrach die angespannte Ruhe, die sich auf einmal über den Raum gelegt hatte.
Arnulf nickte, zog erneut die Nase hoch und lehnte sich zurück. Er griff an seinen Gürtel und mit einem leisen Schleifen nahm er sein Jagdmesser auf, das daran hing. Der helle Stahl der Waffe glänzte im Licht des Kamins, als er sie für einen langen Moment hoch erhoben hielt und dann mit einem raschen Schnitt den Riemen durchtrennte, der den Beutel verschlossen gehalten hatte.
Er drehte die Tasche um und kippte ihren Inhalt auf die Tischplatte, dann glitt er mit den Fingern über das gegerbte Leder und besah sich die Verzierungen und den angebrachten Schmuck darauf.
Aegmars Hand griff an mir vorbei und berührte mich knapp an der Schulter, als er sich vorbeugte und einen zusammengefalteten Zettel aufnahm, der in der Tasche gewesen sein mußte und mit einigen bemalten Steinen und weiteren Federn ausgeschüttet worden war.
Behutsam entfaltete er ihn und ich wandte mich zu ihm um, seine Stirn legte sich in tiefe Falten. „Mhm...hm.“, machte er, nachdem er ihn betrachtet hatte. „Steht etwas darauf?“, fragte ich und Aegmar gab mir die Nachricht. Ich überflog sie, doch alles, was ich erkennen konnte, waren ein paar gemalte Striche, die scheinbar wahllos auf dem Pergament verteilt waren und einige Schriftzeichen, die ich nicht entziffern konnte. „Es wirkt, als hätte dies ein Kind angefertigt...“, murmelte ich, als ich Aegmar den Zettel wieder zurückgab. Er sah auf mich hinab. „Ich glaube kaum, daß es das Werk eines Kindes ist, wenn es von drei Halborks beschützt wird. Es ist eine Botschaft, wir verstehen sie nur nicht....noch nicht.“, sagte er und zog sich dann endlich einen Stuhl heran.
Arnulf beobachtete es aus dem Augenwinkel, wie Aegmar sich dicht neben mich setzte und die Nachricht immer und immer wieder betrachtete. Erneut kehrte Stille ein, doch diesmal war es Arnulf, der sie wieder brach: er hieb plötzlich mit dem Beutel in seinen Händen auf die Tischplatte und schubste sie von sich, so daß sie einen ganzen Schritt weit darüber rutschte und beinahe heruntergefallen wäre, hätte Aegmar sie nicht noch mit einer Hand aufgefangen. „Ich weiß, woher sie kommt!“, brummte Arnulf und es klang mehr als ärgerlich. Aegmar sah auf. „So? Dann laßt Eure Gefährten an Eurem Wissen teilhaben, Freund...“, sprach er und betonte es sehr, so daß ich mich ihm ungewollt wieder zuwandte und ihn fragend ansah. Ich legte den Kopf schief – etwas schien zwischen Arnulf und Aegmar vorgegangen zu sein, nachdem wir den Raum betreten und er mich so lange angesehen hatte. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, was es war, denn es blieb unausgesprochen – aber unverkennbar war es feindselig. Ich seufzte lautlos.


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#11

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:20
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

„Ich habe diese Muster schon einmal gesehen, die Bemalung, den Federschmuck. Es ist dunländisch.“, sagte Arnulf und verschränkte die Arme. „Dunländisch...“, wiederholte Aegmar ruhig. „Dunland ist in der Tat nicht weit, es liegt zwischen Enedwaith, an dessen Nordgrenze wir uns hier im südlichsten Teil Eregions befinden und...“, fuhr er fort, bevor Arnulf seinen Satz beendete: „...und Rohan.“
Aegmar nickte langsam. „Dann läßt das Finden dieser Tasche nur einen Schluß zu.“, sprach er und ich atmete tief aus. Ich wußte nicht, was er meinte, aber ich ahnte, daß seine Worte nichts Gutes bedeuteten. Arnulf und er schienen sich zudem plötzlich wieder einig zu sein, denn auch Arnulf nickte und seine Miene verdunkelte sich. Ich war ein wenig verlegen darum, aber mir blieb kaum etwas anderes übrig, als die beiden Männer nun danach zu fragen: „Bitte....ich verstehe nicht recht, welchen Gedanken ihr hegt. Erklärt es mir.“, sagte ich behutsam und sah sie dann beide an.

Aegmar legte die Nachricht, die er immer noch in Händen gehalten hatte, beiseite und verschränkte die Arme. „Kein Gedanke, eher die Gewißheit, daß Maethruth in allem, was er gesagt hat, Recht hatte. Die Halborks, die wir getroffen haben, trugen das Wappen der weißen Hand. Zweifellos kamen sie also aus Isengard oder gehören zumindest einem Stamm an, der Saruman treu ergeben ist. Diese Tasche hatten sie bei sich und wenn sie dunländischen Ursprungs ist, wie Arnulf sagt, dann bedeutet dies, daß Saruman nicht länger nur Orks um sich schart, sondern eine wahrhaft große Streitmacht aufstellt, der auch die anderen Bergvölker angehören werden. Orks, Nariena, schätzen Stärke – nicht nur bei ihresgleichen, sondern auch bei ihren Verbündeten. Ich bin sicher, wenn sie erfahren, daß auch die Dunländer Saruman die Treue geschworen haben, erscheint er ihnen als ein äußerst mächtiger Gefährte, auf den zu hören es sich wohl lohnen würde. Sein Einfluß auf die Wahl des neuen großen Orks ist hiermit unverkennbar. Und ebenso auf den gesamten Landstrich jenseits von Moria und dem Gebirge...“, sagte er.
„Und wenn es nur ein Beutestück ist? Wenn sie die Tasche nur einem Dunländer abgenommen haben, der ihren Weg gekreuzt hat?“, fragte ich, wußte aber sogleich, daß es eine unnötige Frage war, denn Arnulf schüttelte den Kopf. „Das Dunland und jene, die es bewohnen, sind ein erbitterter Feind Rohans. Der Krieg ist uns vielleicht näher, als wir glauben. Nicht mehr nur im Düsterwald, sondern beinahe direkt vor unserer Nase. Wenn Saruman Rohans ältesten Feind an seine Seite ruft, dann kann das nur bedeuten, daß er mein Volk angreifen wird. Wann...das steht noch nicht fest, denn er hat hier noch etwas zu tun: seine Macht unter den Orks des Gebirges zu festigen. Und wenn das gelingt, wenn er Eregion und ganz sicher auch Enedwaith im Süden unter seinen Willen zwingt, dann werden bald nicht nur Moria und Lorien abgeschnitten sein, sondern auch Rohan wird es bleiben. Ich hatte die vage Hoffnung, daß die Pforte von Rohan wieder geöffnet werden könnte, wenn der Sieg im Düsterwald errungen ist und das freie Heer eines Tages weiter gen Osten zieht, aber nun sehe ich diese Hoffnung schwinden, denn es ist der Krieg, der weiter nach Westen zieht und zu uns kommt. Es gibt viele Dunländer, die in Enedwaith leben, seit sie aus Rohan fliehen mußten. Ich bin sicher, sie würden gern zurückkehren und dieses Land den Rohirrim entreißen. Und selbst die Unterstützung von Orks würden sie dabei nicht ablehnen.“, fügte Arnulf hinzu, so daß ich ihn erschrocken ansah.

Mit einem Schlag wurde mir nun bewußt, in welch Nadelöhr wir zu sitzen schienen. Eine unsichtbare Hand legte sich um meine Kehle und schnürte sie mir zu. Ich schnappte nach Luft.
„Es ist ein kluger Plan und beinahe ringt er mir Bewunderung ab. So muß ich als Kriegsherr sprechen und Saruman meinen Tribut zollen.“, sprach Aegmar und nickte, eine Augenbraue dabei hochziehend. „Der alte Mann vergißt jedoch eines: jeder Zoll Boden, der noch frei ist, wird auch von einer freien Seele verteidigt werden. Unsere Augen sind nicht blind, sie sind sogar sehr scharf, wie die unseres Freundes Maethruth, der unsere Aufmerksamkeit zur rechten Zeit auf das gelenkt hat, was in unserem Rücken geschieht. Und nun sind wir hier. Sarumans Pläne sind nicht vollendet und daher können sie immer noch scheitern. Einen winzigen, einen sehr winzigen, aber vielleicht einen durchaus wichtigen Teil, können wir dazu beitragen. Wir werden den Orks zeigen, wie fehlbar ihr geschätzter neuer Freund ist und wie schwach seine Anhänger. Wir bleiben bei unserer Abmachung: wen auch immer er dazu ausersehen hat, im Kampf um den Rang des Anführers der Orks eine Rolle zu spielen, wird nicht an uns vorbei kommen! Noch wichtiger ist es daher von nun an, Geheimhaltung zu bewahren, denn zu Wenige sind wir in der Tat, um eine große Schlacht zu schlagen. Ganz gleich, wen Maethruth noch finden und überzeugen kann, Eregions Grenze zu verteidigen und sich der Wichtigkeit Eregions zu erinnern.“, sagte er. Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Pergament. „Das hier ist für irgendetwas gut...und ich will wissen, für was! Also strengt Euch an.“, verfügte er und erhob sich dann.
Ich sah ihn überrascht an und folgte ihm mit den Augen, wie er zum Kamin trat, wieder sein Schwert umgürtete und seinen Mantel vom Haken nahm. „Wo willst Du hingehen? Es hat begonnen, zu schneien.“, rief ich aus und deutete aus dem Fenster, vor dem nun große weiße Flocken vorbeitrieben und das langsam beschlug. Aegmar schloß die Spange seines Mantels unter dem Kinn und fuhr sich über den Bart. „Ich werde Aneawin und Erelias suchen, Maethruth ist vermutlich zu weit fort. Ich werde es sehen.“, erwiderte er, grüßte uns nocheinmal und ging.
Arnulf und ich blieben zurück und unser beider Blick fiel ratlos auf das Pergament, das zwischen uns auf dem Tisch lag.

Als der Abend anbrach, hatten wir die merkwürdige Botschaft unzählige Male gedreht und gewendet, ohne sie entziffert zu haben.
Schließlich mußten wir die Kerzen an den Wänden entzünden, als das Tageslicht schwand und wir kaum noch etwas erkennen konnten. Arnulf hatte irgendwann begonnen, mir etwas über Rohan zu erzählen – der Gedanke, daß seine Heimat in Gefahr war, hatte ihn mittlerweile mehr beschäftigt, als die Entschlüsselung der Nachricht, wie Aegmar sie uns aufgetragen hatte: „Rohan...“, sagte er, „...gehörte einst zu Gondor und war nur eine Provinz, die in längst vergangener Zeit den Namen Calenardhon trug. Erst durch Eorl und seine Verdienste in den Kriegen, die Gondor führte, fiel dieses Land als Lohn an seine Schar und er gründete jenes Königreich Rohan, das nun die Landkarten ziert. Wußtet Ihr das?“ Er sah mich an und rieb sich müde über die Augen. Auch ich spürte Erschöpfung und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gewußt.“, erwiderte ich und erhob mich, um einen Kelch und eine Flasche mit Wasser aus einem der Regale an der Wand zu nehmen.
„Das ist seltsam.“, fuhr Arnulf fort und wandte sich zu mir um. Ich fühlte seinen Blick auf meinem Rücken, hielt jedoch stand und füllte ruhig meinen Kelch. „Wo Ihr doch selbst aus Gondor stammt. Ich dachte, dort ist man stolz auf die Geschichte seiner Ländereien.“, fügte er an und in seiner Stimme lag ein lauernder Unterton.
Als er das aber sagte, erschrak ich und wich einen Schritt zurück. Ich war so überrascht, daß die Flasche in meiner Hand erzitterte und das Wasser über den Rand des Kelches auf meine Füße schwappte. Ich stellte die Flasche auf den Tisch und fuhr zu ihm herum, den Kelch hielt ich so fest in meinen Fingern, als wäre er die einzige Sicherheit in einem brandenden Sturm.
„Woher wißt Ihr das?“, fragte ich und betrachtete Arnulf nun genau. Er lachte leise, als er meine Verwunderung bemerkte – und darüber hinaus meinen Widerwillen gegen das Wissen, das er über mich zu besitzen schien. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Woher ich das weiß? Bis zu diesem Augenblick wußte ich es nicht sicher, aber ich habe es geahnt.“, antwortete er und ich biß mir auf die Unterlippe. Ich spürte Hitze in meinen Wangen aufsteigen und meine Füße waren schwer, als ich den Tisch umrundete und wieder auf meinem Stuhl Platz nahm.
Ich sah Arnulf abweisend an und er beugte sich vor, deutete mit dem Zeigefinger dabei auf mein Gesicht. „Ihr habt ein interessantes Gesicht – wenn Ihr es nicht unter einer Kapuze versteckt. Man muß zweimal hineinblicken, um Euch zu erkennen. Ihr geht stets leicht gebeugt, den Blick zu Boden gerichtet, und jeder, der Euch trifft und an Euch vorbei geht, wird Euch als angenehme Erscheinung wahrnehmen, aber auch als so unauffällig erachten, daß er Euch sogleich wieder vergißt.“, stellte er fest und ich trank einen Schluck aus meinem Kelch, um Arnulf nicht ansehen zu müssen.
„So ist es mir ganz recht.“, gab ich knapp zurück und er lachte erneut auf. „Ja, das glaube ich. Wie ich gehört habe, laßt Ihr die Leute um Euch herum gerne glauben, daß Ihr aus dem Breeland stammt. Manche munkeln, daß ihr einst mit Dieben und Söldnern verkehrt habt, vielleicht selbst eine Diebin wart. Aber wenn man Euer Gesicht kennt, dann weiß man, daß das nicht stimmen kann. Euer Haar ist zu schwarz, die Augen zu dunkel und die Haut nicht hell genug, um auf Vorfahren aus Bree hinzudeuten. Und die Stirn, die schmale Nase, gar die hohen Wangenknochen...man könnte meinen, daß in Euren Zügen Spuren von längst vergangenem Adel liegen. Gondorischem Adel.“, meinte er dann und ich hob den Kopf. „Na schön, Arnulf. Ihr seid ein hervorragender Beobachter. Und Ihr habt Recht. Mein Ururgroßvater war einer der Dúnedain, aber diese Blutlinie wurde mehr und mehr schwächer in meiner Familie. Ganz brach sie ab, als mein Vater eine Frau heiratete, die nicht einmal aus Gondor stammte. Die Herkunft spielt also keine Rolle mehr für mich. Diese Dinge sind vergangen und in unseren Tagen muß jeder auf seine Weise zurechtkommen, meint Ihr nicht auch?“, erwiderte ich und Arnulf nickte zögernd.

„Dann ist es also wahr, Ihr wart eine aus dem diebischen Breeländervolk...in der Tat haben wir dadurch etwas gemeinsam: als Jäger möchte ich auch nicht, daß meine Beute mich sieht, bevor ich sie erlege.“, sprach er und brach dann in helles Gelächter aus, als hätte der Gedanke an eine (wenn auch sehr vage...) Gemeinsamkeit ihn wahrhaftig amüsiert. Ich konnte indes nicht lachen und atmete lautlos aus.
Arnulfs Blick war jedoch äußerst freundlich, als sein Lachen verklang und er mich wieder ansah. Ich mochte es nicht, von ihm beobachtet zu werden. Ich wollte nicht, daß er noch mehr über mich erfuhr. „Ich gebe zu, daß ich mich allerdings wundere, daß mein Vetter in der Lage war, genau hinzusehen. Sonst hätte er kaum bemerkt, daß sich vor ihm ein Geschöpf verbirgt, daß es durchaus wert ist, erkannt zu werden. Einen schwachen Sinn für das Besondere mag er also haben.“, fügte Arnulf an und seine Augen wanderten über mein Gesicht. Ich setzte den Kelch ab. „Wenn Ihr mir ein Kompliment machen wollt, Arnulf, ist es ratsam, nicht im gleichen Atemzug Euren Cousin zu beleidigen. Ich weiß, daß Ihr nicht viel von ihm haltet, doch wißt, daß ich es dafür umso mehr tue.“, sagte ich und sah nun auch ihn an.
Mein Blick traf den seinen und Arnulf hob eine Augenbraue. „Oh, Ihr irrt. Ich schätze ihn sehr. Er ist loyal, aufrecht, ehrlich und über die Maßen tapfer. So, wie man es von einem Krieger erwartet, der aus einer der ältesten Familien Rohans stammt. Und auch er und Ihr habt etwas gemeinsam: Ihr wart beide einst Diebe. Er hat Herzen für sich beansprucht, die mir zugetan waren – und Ihr habt nach dem Gold anderer gegriffen.“, meinte er und ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das reicht jetzt. Wir werden nur in Streit geraten, wenn wir diese Unterhaltung weiter führen. Und das wäre unserer Aufgabe mehr als abträglich. Herr Aegmar kann jeden Augenblick zurück sein – und ich bin sicher, dann wünscht er zu erfahren, ob wir etwas herausgefunden haben.“, unterbrach ich Arnulf und zog wieder das Pergament mit den seltsamen Zeichnungen heran, um es zu betrachten.
„Ihr irrt wieder.“, sagte Arnulf. „Ich will nicht wegen meinem Vetter mit Euch streiten, ich will Euch vor ihm warnen.“ Erneut schüttelte ich den Kopf. „Das braucht Ihr nicht, denn ich kenne ihn. Und daher weiß ich, daß er nichts mehr gemein hat mit jenem ungestümen Rekruten, den Ihr noch in Eurer Erinnerung tragt.“, erwiderte ich und bemühte mich dann, meine Aufmerksamkeit der Botschaft zuzuwenden, die nun wieder ausgebreitet vor mir lag. „Ihr kennt ihn nicht, aber das werde ich Euch nicht in dieser Stunde beweisen.“, brummte Arnulf noch, dann verebbte unser Gespräch. Er räusperte sich und drehte den Kopf, um wieder gemeinsam mit mir auf die Symbole und Striche auf dem Pergament zu starren.

Meine Gedanken jedoch waren nicht so konzentriert auf unsere Aufgabe gerichtet, wie ich es mir gewünscht hätte. Arnulf erschien mir mehr und mehr undurchsichtig und ich kam nicht umhin, überzeugt davon zu sein, daß ihm mehr Fähigkeiten und Gaben zu eigen waren, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Hinter seiner rauen und groben Art steckte ein äußerst kluger Geist und beinahe schien mir das gefährlich zu sein. Er täuschte die, die um ihn herum waren – genau wie ich es oft tat. Doch welche Absichten dabei die seinen waren, das konnte ich nicht ersehen. Vielleicht war es so, wie er gesagt hatte: es war ihm hilfreich auf der Jagd. Ganz gleich, was er jagte: die, die im Exil waren, und die er genau wie Therowig zurück in die Heimat hatte bringen sollen; die Tiere im Wald und in den Ebenen – oder Orks, die uns Informationen geben sollten. Er stellte Fallen, und darin konnte sich offenbar jeder verfangen. Ich wußte nur, daß ich ihm fortan mit noch mehr Vorsicht begegnen würde.
Unbewußt wanderte mein Blick von dem Schriftstück in sein bärtiges Gesicht und ich mußte ihn wohl nachdenklich angesehen haben, denn ein verwundertes „Hm?“, entkam ihm, als er es bemerkte und ebenfalls den Kopf hob. Und dann sog ich plötzlich harsch die Luft ein, mir war ein Gedanke gekommen!

„Was habt Ihr da eben über Rohan gesagt?“, fragte ich ihn und fühlte, daß eine sonderbare Aufregung in mir aufzusteigen begann. „Über Rohan? Nun, es war einst eine Provinz Gondors, bis Eorl...“, erwiderte Arnulf, aber ich schüttelte rasch den Kopf und hob die Hand. „Nein, nein, ich meine danach!“, fiel ich ihm ins Wort. Arnulf überlegte einen Moment, als wollte er sich an den genauen Wortlaut erinnern. „Daß erst Eorl, nachdem er sich in den gondorischen Kriegen verdient gemacht hatte, jenes Land geschenkt bekam und dort das Königreich Rohan gründete, wie es nun auf den Landkarten zu sehen ist.“, sagte er dann und ich klatschte in die Hände. „Das ist es!“, rief ich aus und die Verwunderung in Arnulfs Blick wich nun der größten Überraschung. Er sah mich an, dann blickte er auf das Pergament und wieder auf mich, schließlich schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Natürlich....“, murmelte er. „Es ist eine Landkarte.“
Ich sprang auf und eilte zum Kopfende des Tisches, wo zusammengerollt die große Karte von Eregion lag, die Maethruth gehörte. Ich breitete sie aus und ließ mir von Arnulf das Pergament reichen; suchend ließ ich dan die Augen über die Karte gleiten, um eine Übereinstimmung zu entdecken, einen Punkt, den ich wiedererkannte und der einen Hinweis darauf geben konnte, welchen Abschnitt Eregions die kleine Karte der Halborks bezeichnete.
Arnulf trat neben mich und beugte sich vor, auch sein Blick schweifte geschwind über die beiden Karten. „Manchmal ist man eben blind für das Offensichtliche...für ein Geheimnis, das gar keines ist, nicht wahr?“, murmelte er irgendwann und ich glaubte sofort, daß dies wieder eine Anspielung auf mich sein sollte, bis er den Arm ausstreckte und sein Zeigefinger auf einem bestimmten Punkt auf der gezeichneten Karte der Orks landete.
„Dieser Gipfel hier...ist der Rothorn, dargestellt durch diese beiden Striche, die ein halbes Dreieck bilden. Das zweite, kleinere Dreieck daneben, ist dieser Gipfel...die Silberzinne. Die Runen auf der Nachricht benennen gewiß die beiden Berge. Irgendwo hier verläuft der Rothornpaß...bis zu einem Fleck, der etwas markiert. Ein Lager vielleicht oder einen Treffpunkt.“, schloß er und zog seine Hand zurück. „Ganz sicher bin ich mir aber nicht, wir bräuchten eine Karte mit einem kleineren Maßstab, um die Zeichnung wirklich damit vergleichen zu können.“ Er richtete sich auf und sah sich im Raum um, es gab keine weiteren Karten außer jener, die Maethruth mitgebracht hatte und die bereits vor uns lag.
„Dies ist doch eine ehemalige Festung der Elben, gibt es hier keine Bibliothek oder ein Archiv in Mirobel?“, fragte er mich dann und ich überlegte kurz. „Doch, es gibt eine Bibliothek. Sie ist etwas außerhalb, auf der anderen Seite des Flusses: die Schriftenhalle der Mirdain. Sie ist ein wenig verfallen, aber gewiß nicht geplündert.“, antwortete ich. Arnulf ballte freudig eine Hand zur Faust und sah mich lächelnd an, es wirkte beinahe übermütig. „Dann werde ich mich dort sogleich umsehen. Ihr bleibt besser hier, es ist bitterkalt – und zudem könnten sich einige ungebetene Gäste an den Ufern unterhalb der Feste herumtreiben.“, entschied er und wandte sich zum Gehen. Zu meiner eigenen Überraschung hielt ich ihn auf und berührte ihn für einen kurzen Moment am Arm. „Es wurden noch nie Feinde so nahe bei Mirobel gesehen. Ich komme mit, wenn wir zu Zweit sind, wird die Suche nach geeigneten Karten schneller voranschreiten.“, sagte ich. Arnulf sah nur kurz auf meine Hand. „Es ist eine dunkle Nacht, Wolken und Schnee treiben über das Land. Ihr würdet einen Ork erst bemerken, wenn er direkt hinter Euch stünde. Nein, Ihr bleibt.“, widersprach er und verabschiedete sich. Ich atmete tief ein und spürte Unmut in mir aufkeimen, aber dann fügte ich mich und kehrte an den Tisch zurück. Sorgsam rollte ich Maethruts Karte wieder auf und verbarg das Pergament mit dem kleinen Ausschnitt darunter.
Dann sah ich aus dem Fenster und hörte plötzlich eine kleine Glocke ertönen, die irgendwo im Innenhof der Festung leise, aber rasch, anschlug.

Es war eine Alarmglocke.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#12

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:20
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Deutlicher vernahm ich ihren Klang, als der Wind aufbrandete. Er trieb den Schnee heftig gegen die Fensterscheibe und sie begann zu klappern. Ich stand auf und lief zur Tür, riß nur meinen Umhang von einem der Stühle und warf ihn noch im Gehen um meine Schultern. Als ich die Pforte zum Innenhof der Feste aufschlug, stieß mir die Kälte wie eine Faust ins Gesicht und ich wandte den Kopf ab, verbarg ihn tief in der Weite meiner Kapuze und hob einen Arm vor meine Augen. Dichtes Schneetreiben versperrte mir die Sicht und ich mußte immer wieder blinzeln, um überhaupt etwas zu erkennen. Eine große, dunkel gewandete Gestalt schälte sich plötzlich aus dem Weiß des Schneesturms und kam auf mich zu. Sie griff nach meinem Ellbogen. „Geh' wieder hinein!“, rief sie laut.
Es war Aegmar. Er war endlich zurückgekehrt und ich sah den hellen Schnee, der sich in seinem Bart und seinen Augenbrauen verfangen hatte. Seine Haut war gerötet und ein Ausdruck lag in seinen Augen, der von Sorge und Eile kündete. Irgendwo hinter ihm hörte ich ein Pferd wiehern.„Was ist passiert? Warum schlagen sie die Glocke?“, fragte ich ihn und mußte die Stimme erheben, um den Wind zu übertönen, der durch die Mauern pfiff und immer mehr Schnee an den Seitenwänden und in den Winkeln des Hofes auftürmte. „Es wurden ein paar Dunländer unten am Fluß gesichtet! Die Wache auf dem Turm hat Alarm gegeben, aber scheinbar haben sie nur ein paar Pfeile auf die Mauern abgeschossen und sind dann weitergezogen.“, antwortete er und wollte mich dann zurück in Richtung des Wohnturmes drängen, doch ich hielt noch für einen Moment dagegen. „Arnulf ist hinunter zum Fluß gegangen, er wollte in die Bibliothek hinter der Brücke. Was ist, wenn sie auch ihn angegriffen haben?“, sagte ich und Aegmar hielt inne. Er ließ mich los und wandte sich um, sein Umhang bauschte sich dabei im Wind auf und schlug gegen meine Beine. „Erelias!“, brüllte er laut und ich sah, wie sich nur wenige Momente später der Elb näherte. Ein Schemen nur hinter dem undurchsichtigen Vorhang aus Schnee, der ihn von uns trennte. „Geht zur Brücke und haltet Ausschau nach Arnulf. Nariena sagt, er wäre nach Tham Mirdain gegangen!“, gebot Aegmar dem Freund und Erelias nickte verstehend, bevor er sich sogleich wieder umdrehte und verschwand. Aegmar sah mich nun wieder an. „Ich gehe mit ihm, Aneawin wird aber gleich bei Dir sein.“

Er drückte meinen Arm und dann ließ auch Aegmar mich zurück und ich wartete, bis ich Aneawin erblicken konnte. Aegmar gab ihm nur durch ein Zeichen zu verstehen, daß er abermals aufbrechen müsse, dann verschluckte ihn das Schneetreiben. Aneawin rieb die Hände aneinander, als er mich endlich erreichte, und ich war froh das freundliche Gesicht des Hauptmanns wieder zu sehen.
Er schüttelte sich und klopfte sich Schnee und Eis aus den Gewändern, als wir die wohlige Wärme des Turmes erreichten und die Pforte hinter uns zuschlugen, die den Winter wenigstens aus diesem Gebäude aussperrte. Aneawin zitterte und steckte sich die Hände schließlich unter die Achseln, dann begann er, vor dem Kamin auf und ab zu gehen, um sich aufzuwärmen. „So ein verdammtes Wetter habe ich ja noch nie erlebt, das geht nicht mit rechten Dingen zu, das sage ich Dir.“, brummte er unzufrieden und ich mußte ein bißchen schmunzeln. „Niemand kann das Wetter verzaubern, Aneawin.“, sagte ich, doch er warf mir nur einen zaudernden Seitenblick zu und stampfte mit den Stiefeln auf. „Ich bin mir keiner Sache mehr sicher. In diesem Schneesturm liegt ein Zauber, das schwöre ich.“, erwiderte er.

Ich lachte und erzählte ihm schließlich von der Tasche und der Landkarte, die wir gefunden hatten und er hörte mir mit einem großem Erstaunen zu, das bald tiefer Besorgnis wich. Die Neuigkeiten machten ihn nachdenklich, denn auch er mußte mir berichten, daß Erelias und er auf Dunländer und Halborks gestoßen waren. Im Norden jedoch, dort, wo das weite Grasland in die ersten Ausläufer des Nebelgebirges endete. „Sie sammeln sich.“, sagte er. „Bald ist es soweit und sie treffen die Entscheidung, wer sie künftig anführen wird. Wir können sie nur nicht mehr sehen, seit sich dieser Sturm erhoben hat, denn wir mußten umkehren und unsere Posten verlassen. Aber die Orks sind da, und sie ziehen durch das Land in Richtung des Gebirges. Davon bin ich überzeugt.“, fügte er hinzu und mich stimmten seine Worte nun ebenfalls nachdenklich.
Als Aneawin sich aufgewärmt hatte, besah er sich die Landkarte, die Aegmar und ich gefunden hatten, und stimmte Arnulfs Deutung zu. „Zwischen Rothorn und Silberzinne liegt in der Tat ein Ort, der wichtig ist. Ich denke, es ist ein Lager.“, meinte er und setzte sich zu mir an den Tisch. „Und bist Du mit diesem rohirrischen Tölpel ausgekommen?“, fragte er mich dann unvermittelt und es war unverkennbar, daß er Arnulf meinte. Ich erzählte dem Hauptmann nichts von dem Gespräch mit ihm, in dem es wieder einmal um Therowig gegangen war. Auch erzählte ich ihm nicht, daß Arnulf mich genauestens beobachtete und kaum mehr aus den Augen zu lassen schien. Er mochte Arnulf ohnehin nicht – und das würde ganz gewiß seinen Ärger schüren. So nickte ich nur und versuchte zu lächeln. Wir sprachen noch etwas über die seltsame Karte, bis Aneawin zu gähnen begann und der lange Ritt, den er hinter sich hatte, Schlaf und Erholung einforderte. Er verabschiedete sich und ich vernahm seinen schweren Schritt auf der Treppe, bis er irgendwann die Tür zu seiner Kammer schloß und Stille einkehrte.
Eine Weile noch blieb ich sitzen und blickte in das knisternde Kaminfeuer, bis auch meine Augen sich schwer und bleiern anzufühlen begannen. Ich faltete die Hände und stützte die Ellbogen auf die Tischkante.

Sie kommen nicht nach Mirobel, hatte Maethruth gesagt. Und doch hatten sie es an diesem Abend getan: keine Orks, aber eine Schar Dunländer, die sie nun ihre Verbündeten nannten. Ganz nah waren sie an der Festung vorbeigezogen und der Sturm hatte verhindert, daß die Wachen sie hatten kommen sehen. Es war unheimlich. Die Welt um mich herum betrachtete uns mit feindseligen Augen und immer schwieriger wurde es, ein freundliches Gesicht in ihr zu entdecken. Dunländer waren Menschen – und wie sehr erschreckte es mich, daß sie sich sogar an die Seite von Orks stellten, um gegen ihresgleichen vorzugehen. Wie groß mußte ihr Haß sein? Und warum war er so groß? Der Gedanke, daß sie nahe der Festung waren, ließ mich auch hier im Inneren des Turmes erzittern. Wir waren so wenige – und sie von solch großer Zahl. Wir versteckten uns und doch suchten wir sie. Ich hoffte, daß auch Maethruth bald zurückkehren würde, und daß wenigstens er gute Nachrichten mit sich führen würde. Wir konnten sie gut gebrauchen.

Mit einem unguten Gefühl erhob ich mich und verließ den Wachraum. Der Sturm tobte weiter um die Zinnen und Türme der Festung und trieb den Schnee wie eine Decke vor sich her, die sich über alles legte und uns einhüllte. Langsam stieg ich die schmale Treppe zu den Schlafkammern hinauf und erreichte im ersten Stock den Flur, in dem mein Zimmer lag.
Stumm blickte mich genau gegenüber Arnulfs Zimmertüre an, als ich die Hand auf die Klinke legte, und mich bei dem Gedanken ertappte, seine Kammer zu betreten und ein Feuer in seinem Kamin zu entfachen. Gewiß würde er eines nötig haben, wenn er aus der Bibliothek zurückkehrte; aber dann schüttelte ich den Kopf und schalt mich selbst als töricht. Es war vermessen, in diesen Raum einzudringen, auch wenn eine gute Absicht dahinter stand. Außerdem schuldete ich ihm gewiß keinen Gefallen. Entweder brachte er mich in Verlegenheit oder er verärgerte mich. Nein, ich war ihm nichts schuldg.
So ließ ich von diesem Gedanken ab und betrat mein Zimmer, das dunkel und kalt war. Nur für mich sollte ein Feuer brennen und nach einer Weile tat es das auch. Golden zuckte das warme Licht über die Wand hinter meinem Bett und erinnerte mich beinahe an die Dämmerung, wie sie im Frühling durch die Fenster scheint. Aber der Frühling war noch fern und ich fragte mich, ob es je wieder Frühling werden würde. Mit unruhigen Gedanken stieg ich unter die weichen Decken und schmiegte mich tief in die Kissen. Sie ließen mich jedoch nicht los und so war auch mein Schlaf unruhig, bis er mich nach allzu kurzer Zeit wieder hochschrecken ließ.
Meine Augen brannten leicht und ich spürte einen Kopfschmerz, der von der Kälte und der Müdigkeit herrühren mochte. Benommen fühlte ich mich und konnte nun nicht mehr sagen, ob vielleicht ein Geräusch meinen Schlaf unterbrochen hatte, oder ob es nur der Widerhall eines Traumes gewesen war. Ich setzte mich auf und schlug die Decke zurück, um zu lauschen. Vielleicht waren es Aegmar, Erelias und Arnulf, die aus der Bibliothek zurückgekehrt waren, doch im Treppenhaus war es nach wie vor still. Ich vernahm nicht die Schritte von Stiefeln und auch keine Stimmen.
Ich wollte mich wieder zurücksinken lassen, als ich nun tatsächlich etwas zu hören glaubte. Es war mehr ein Scharren oder ein Kratzen, verhalten und vorsichtig. Ich zog angestrengt die Brauen zusammen und kletterte aus dem Bett. Im Nachtgewand war ich nur, aber das kümmerte mich nicht. Kalt war der Stein unter meinen Zehen, als ich zur Tür schlich und ein Ohr daran legte. Ja, da war es wieder: ein Rascheln diesmal, kaum hörbar. Behutsam drückte ich die Klinke der Zimmertüre nach unten und schlüpfte durch den schmalen Türspalt hinaus auf den kleinen Flur. Der Boden war trocken, wie ich bemerkte, Arnulf schien also noch nicht zurückgekehrt zu sein und doch war ich sicher, daß ich nicht alleine war. Es war jemand mit mir im Turm und auch Aneawin konnte es nicht sein, denn dumpf drang sein Schnarchen durch die Pforte seiner Kammer nur wenige Stufen über mir.
Ich biß die Zähne aufeinander, als ich einen weiteren Schritt nach vorne tat und den Kopf über das Geländer beugte, um einen Blick nach unten zu werfen. Ich erkannte den Türrahmen des Wachraumes, aus dem schwaches Licht drang. Das Feuer im Kamin brannte dort stets und so war es nicht ungewöhnlich – doch erschrocken zuckte ich zurück, als plötzlich eine Gestalt auf der Schwelle erschien und wie ein Schatten sogleich wieder verschwand.
Ich atmete tief durch und sah nach oben. Sollte ich Aneawin wecken? Und hätte das laute Klopfen an seine Türe, das zweifellos nötig war, um ihn aus dem Schlaf zu holen, nicht den Eindringling verscheucht, bevor er gefaßt werden konnte? Wieder sah ich den Schatten an der Tür der Wachstube vorbeihuschen und wieder ertönte das Rascheln. Jemand durchsuchte unsere Karten und die Aufzeichnungen, die wir gemacht hatten! Nun war ich entschlossen, keine Zeit mehr zu verlieren und zog die Hände vom Treppengeländer zurück.

Hastig und doch mit der nötigen Vorsicht, um keine Geräusche zu verursachen, sprang ich die Treppe hinab und lehnte mich neben der Tür zur Wachstube an die Wand. Ich spähte hinein - und erkannte eine hochgewachsene Gestalt, die einen bodenlangen, beinahe farblosen Umhang trug. Farblos, wenn er nicht nur so von Schmutz und Nässe gestarrt hätte. Es war nicht Aegmar, auch nicht Arnulf. Schon gar nicht war es Erelias: es war ein Fremder. Er stand nun am Kamin und blätterte im blassen Licht des Feuerscheins in Notizen und Hinweisen, die gesammelt in einem der Regale gelegen hatten.Ich mußte ihn aufhalten, bevor er mit unseren Plänen wieder verschwand und alles mit sich nahm, was wir so sorgsam zusammengetragen hatten!
Ich sah mich um und wünschte mir, daß ich wenigstens einen meiner Dolche aus der Kammer mitgenommen hätte. Aber das hatte ich nicht und so ließ ich weiter den Blick durch den Raum gleiten: auf dem Tisch in der Mitte des Raumes standen noch der halbvolle Wasserkrug und mein Kelch.
Die Gestalt wandte mir den Rücken zu. Ich verengte die Augen, dann betrat ich den Raum und kletterte langsam auf einen Stuhl. Ich nahm den Wasserkrug und hob ihn an, bis er direkt über dem Kopf des Fremden schwebte. Er durfte nur nicht aufsehen, um den Schatten zu bemerken, den ich an die Wand vor ihm warf! Und gerade als er es tat, als sein Haupt sich unter der weiten grauen Kapuze auf einmal anhob, packte ich den Krug mit beiden Händen und ließ ihn mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, niederfahren!
Er krachte laut direkt gegen den Hinterkopf meines Gegners und zerbrach scheppernd in zwei Hälften. Das Wasser darin ergoß sich über den Rücken des Fremden und tränkte seinen Umhang, einige Scherben zersprangen klirrend auf dem Boden. Ich hielt noch den Henkel des Kruges in der Hand und wollte erneut zuschlagen, als ich ein schmerzverzerrtes „AUUU! Verflu....!!!“, vernahm, das mich innerlich erstarren und sofort innehalten ließ. Der Fremde brach leicht in die Knie, die Zettel entglitten seiner Hand, als er sie ausstreckte, um sich am Kaminsims festzuklammern und einen Sturz zu verhindern. Ich kannte den Klang dieser Stimme nur allzu gut und ich kannte auch den Fluch, den sie ausgestoßen hatte. Ein Name formte sich in meinem Geiste, doch ich kam nicht dazu, ihn auszusprechen, denn jemand schoß plötzlich an mir vorbei, stieß mich dabei an, so daß ich mich selbst bücken und an der Tischkante festhalten mußte, um nicht mit dem Stuhl umgeworfen zu werden, auf dem ich immer noch stand.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich nun Aneawin, der an mir vorbeigeeilt war, seinerseits nach meinem Trinkkelch auf dem Tisch griff, die schwan.kende Gestalt an der Schulter packte und grob herumriß. In der gleichen Bewegung schoß der Kelch auf den Kopf des Fremden nieder und auch Aneawins Erkennen kam dabei zu spät. Die Gestalt krümmte sich, brach nun endgültig in die Knie und lehnte sich stöhnend gegen die Wand. „Was zum...?!“, entkam ihr mehr überrascht, als ärgerlich, und brennende Reue überkam mich. Nun war ich mir ganz sicher, daß ich ihre Stimme kannte. Ich sprang von meinem Stuhl herunter und wollte zu ihr eilen, als sich zu meiner Rechten die Pforte zum Hof öffnte und ein Schwall kalter Luft, in den sich wirbelnder Schnee mischte, in die Kammer drang.


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#13

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:20
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Aegmar erschien im Türrahmen und mit einem Blick erfaßte er Aneawin, den Fremden, die Scherben auf dem Boden und mich. Seine Hand ballte sich zur Faust, noch bevor er Arnulf und Erelias verständigte, die gleich hinter ihm waren. Er hob den Arm, bereit zum Schlag, und machte einen langen Schritt in die Wachstube - da hob der Fremde erneut und unter großer Mühe den Kopf. Er schlug sich einen Arm vor das Gesicht, um es zu schützen, und riß die Hände hoch. „Du nicht auch noch!“, keuchte er verzweifelt und ich griff, so schnell ich nur konnte, nach Aegmars Faust und drückte sie nieder. „Nicht! Es ist Therowig!“, rief ich aus und nie hatte ich eine solche Überraschung auf Aegmars Miene gesehen. Auf unser aller Mienen nicht, als Therowig die Hände langsam herunter nahm und uns anblinzelte. Wasser troff ihm aus dem Haar und dann verzog er den Mund. „Bei Helm Hammerhand, wollt Ihr mich umbringen?“, keuchte er. „Nun, ich...war wohl kurz davor...“, gab Aegmar verlegen zu und räusperte sich.
Er warf einen Seitenblick auf mich und schließlich auf Aneawin; rasch streckte er dann die Finger aus, die sich immer noch zu einer Faust geschlossen hatten und verbarg sie hinter seinem Rücken.

Der Hauptmann löste sich als Erster aus seiner Erstarrung, stellte so behutsam wie möglich den Kelch zurück auf den Tisch, als fürchtete er plötzlich, daß er ihn zerbrechen könnte. Dann wischte er sich die Hand an der Hose ab und reichte sie Therowig, der sie ergriff und sich von dem Freund wieder auf die Füße stellen ließ. Benommen sah er uns an und schob sich die Kapuze zurück. „Mann, Therowig....“, sagte Aneawin und betrachtete Therowig mit einem beinahe bewundernden Blick von oben bis unten, wie er zuerst noch leicht taumelte, sich dann aber aufrichtete und den Oberkörper straffte. „Von allen Gefährten, an deren Seite ich gekämpft habe, hast Du bestimmt die meisten Hiebe auf den Kopf bekommen – und keiner einziger hat Dich je zu Fall gebracht und Dir das Licht ausgepustet.“ Er mußte bei seinen Worten leicht schmunzeln und atmete tief aus. „Wenn Du einem Baum einen Faustschlag verpaßt, stürzt er ja auch nicht gleich um.“, knurrte Therowig und unser aller Anspannung löste sich endlich. Ein erleichtertes Aufatmen war zu vernehmen.
Arnulf drängte sich schließlich an Aegmar vorbei und stieß Therowig dabei an, bevor er sich an den Tisch setzte und den Kelch füllte, um einen langen Schluck zu nehmen. Dann ließ er einige Pergamentrollen und Kartenbündel auf die Tischplatte fallen, die zuvor unter seiner Achsel gesteckt hatten. Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Lippen und warf Therowig einen mißmutigen Blick zu. „Weil der Baum aus Holz ist, genau wie Dein Schädel, Vetter.“, meinte er und brach dann in schallendes Lachen aus. Auch Aegmar konnte ein Grinsen nicht verhindern und senkte das Haupt, damit Therowig es nicht bemerkte.

Ich trat an eines der Wandregale und zog ein großes Tuch von einer Schüssel, das mehrere Laibe Brot bedeckt hatte und ging hinaus in den Hof. Die Kälte erfaßte mich wieder und meine Zehen, die immer noch bloß waren, schienen sogleich starr zu werden. Ich häufte etwas Schnee auf das Tuch und faltete es dann zusammen.
Mir war nun wohler und Ruhe erfüllte mich, als ich zurück in die Wachstube trat und sah, wie Therowig freundschaftlich mit Aegmar und Aneawin die Hand einschlug und sich nun ebenfalls mit ihnen an den Tisch setzte. Ich trat hinter ihn und drückte behutsam das kalte Tuch an seinen Hinterkopf. Er zuckte leicht zusammen, entspannte sich dann aber langsam wieder und berührte meinen Handrücken dankbar mit den Fingerspitzen. Fest umklammerte ich sie. Ich war mehr als froh, daß er wieder bei mir war, auch wenn ich es kaum glauben konnte. Ich legte die andere Hand auf seine Schulter und ließ sie dort liegen, um mich immer wieder zu vergewissern, daß er tatsächlich hier war. „Glaubt ja nicht, daß ich jetzt meine Kammer räume...“, brummte Arnulf mißmutig, als er es bemerkte. Sein Blick heftete sich für einen Moment lang düster auf meine Hand, dann wandte er ihn ab und nahm erneut einen tiefen Zug aus dem Kelch.

„Ich hatte eigentlich niemanden um den gewiß nötigen Schlaf bringen wollen.“, erklärte Therowig, als Aegmar ihn endlich gefragt hatte, wie er eigentlich hierher gelangt war. „Aber...ich habe Eure Aufzeichnungen gefunden und sie schienen mir zu wichtig, um sie ungelesen zu lassen.“ Aegmar nickte. „Wir sind zur rechten Zeit nach Eregion gekommen, wenn nicht sogar schon zu spät. In den Bergen wimmelt es nur so von Orks und beinahe zu jeder Stunde ziehen neue von Süden heran. Als dieser Sturm aufkam, mußten wie die Beobachtung ihrer Bewegungen jedoch abbrechen.“, fuhr er fort.
Therowig lehnte sich zurück und seine Schulter drückte sich tiefer in meine Handfläche. „Als ich das Hulsten-Tor nahe Echad Dunann passiert habe, sah ich den Sturm aufziehen. Die Wolken fegten rasch über den Horizont und schier endlos schien ihr Regen aus Eis und Schnee zu sein. Ich wollte sofort weiter reisen und nicht rasten, als ich Euch in Echad Dunann nicht fand. Ich habe nach Maethruth gefragt und man sagte mir, er hätte Quartier in Mirobel bezogen, der alten Hauptstadt der Elben. Mein Pferd habe ich auf dem Weg hierher verloren....es brach sich ein Bein, als der Boden von einem Augenblick zum anderen zu Eis wurde. Ich mußte es töten und zu Fuß weitergehen, darum bin ich zu so später Stunde angekommen. Gehofft hatte ich natürlich, Euch noch im Licht des Tages anzutreffen – um Mißverständnisse zu vermeiden.“, sprach Therowig und warf einen knappen Blick in die Runde, bei dem er einen Mundwinkel verzog. Arnulf setzte seinen Kelch ab und lachte wieder leise, begleitet von dem betretenen Schmunzeln der anderen.
„Ich sagte es ja bereits.“, ergriff nun Aneawin das Wort. „Dieses Wetter entspringt einem Zauber, es macht uns blind gegen den Zug der Orks ins Gebirge. Es beschützt sie, aber Frau Nariena wollte das nicht glauben.“, sagte er. Ich lächelte. „Es ist nur ein Schneesturm und wir haben Winter. Zugegeben ist er ungewöhnlich stark, aber in diesen Landen mag es eben so sein.“, erwiderte ich. Aegmar hob die Hand. „Wie dem auch sei, Zauberei oder nicht, Aneawin hat jedenfalls Recht damit, daß wir bei diesem Schneetreiben nicht viel ausrichten können und vorerst in der Feste bleiben müssen. Sobald das Wetter jedoch wieder besser wird, will ich endlich einen dieser Orks gefangennehmen – und vielleicht auch einen Dunländer, selbst wenn diese etwas klüger sind als ihre orkischen Gefährten.“, sagte er.

Dann trat Stille ein, wie ein Vorbote einer schlechten Nachricht. Sie legte sich plötzlich schwer über den Raum und knisterte wie das Feuer im Kamin. Arnulf war es, der sie brach mit jener Frage, an die wir alle gedacht, sie jedoch nicht gestellt hatten. Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Tischkante, seine Augen fanden Therowigs Gesicht und er blickte ihn ruhig an. „Sag mir eines...Vetter...als wir von Emyn Lûm aufbrachen, konntest Du kaum das Bett verlassen und gerade stehen. Und nun bist Du hier und hast einen anstrengenden Ritt hinter Dir, den Du kaum zwei Tage nach unserer Abreise begonnen haben mußt. Wie ist das möglich? Was ist mit Deiner Verletzung?“, fragte er und nicht nur Arnulfs Augen richteten sich auf Therowig.

Ich spürte unter meiner Hand, wie er sich straffte und seine Schulter entglitt mir schließlich, als er sich aufrichtete und seinen Hemdsärmel aufzukrempeln begann. Auf seinem Oberarm lag immer noch ein Verband und zeigte einen dünnen, roten Schnitt auf seiner Haut, als er ihn beiseite schob. Die Wunde war jedoch nicht mehr entzündet und verheilte langsam. „Es geht mir gut.“, antwortete Therowig. „Gleich, nachdem endlich das unverdorbene Athelas aus Lorien eingetroffen war, begann es sich zu bessern und ich...“ Ich fiel ihm ins Wort und sog hart die Luft ein: „Du hast es auch gewußt?“, entfuhr es mir und mein Herz pochte einmal deutlich spürbar gegen meine Rippen. „Du hast ebenfalls gewußt, daß das Heilmittel verdorben war, und mir nichts gesagt?“, wiederholte ich und starrte Therowig an. Er kniff für einen Moment die Augen zusammen und biß sich auf die Unterlippe, dann drehte er sich langsam zu mir um. „Ja...“, antwortete er und seine Stimme hatte einen unsicheren Klang. „Ich habe Dir nichts gesagt, weil Du bereits in größter Sorge warst. Ich wollte Dich nicht noch mehr...“, begann er, doch erneut schnitt ich seine Antwort ab. „Nicht noch mehr was? Beunruhigen? Du belügst mich also lieber?“, rief ich aus. Therowig hob die Augenbrauen und beschrieb mit der Hand eine vage Geste. „Nunja, du bist eben eine...“, begann er betreten und warf einen hilfesuchenden Blick zu Aneawin und Aegmar. „...eine Frau.“, beendete der Hauptmann murmelnd den Satz und senkte sogleich die Augen.
Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und sah sie alle miteinander der Reihe nach an – keiner wagte es, meinem Blick zu begegnen. „Ja, das stimmt, das bin ich. Und dennoch war ich ebenso wie Ihr im Schlachtfeld und habe mit Blut und Kraft dafür bezahlt!“, sprach ich und konnte kaum glauben, was ich da soeben gehört hatte. Ich funkelte Aneawin unfreundlich an.
Aegmar fuhr sich verlegen über den Bart. „Das ist wahr. Aber wir haben es ja nur gut gemeint. Die Tage zuvor waren schließlich sorgenvoll genug...“, sagte er leise, doch ich schüttelte den Kopf. „Es war wichtig! Denn wie Du selbst gesagt hast, Aegmar, ging es dabei nicht nur um Therowig, sondern es ging ebenso darum, daß es in Emyn Lûm jemanden gab, der einen Verrat begangen hat. Und noch immer wissen wir nicht, ob jener auch uns gefolgt ist und uns gleichermaßen verraten wird!“, schloß ich, zog den kühlenden Beutel mit einem Ruck von Therowigs Kopf und warf ihn ärgerlich auf den Tisch, so daß Therowig kurz aufstöhnte und sich betreten an der Schläfe kratzte. „Die Herren mögen mich nun entschuldigen. Ich bin sicher, Ihr habt Euch noch viel zu erzählen und Euch darüber zu beraten, was mir zuzumuten ist und was nicht.“, sagte ich noch, dann drehte ich mich um und ging.

Ich spürte Zorn in mir lodern, doch vor allem spürte ich eine maßlose Enttäuschung in meinem Herzen wüten. Ich wischte mir über die Augen, als ich schweren Schrittes die Stufen zu meiner Kammer empor stieg und schließlich die Türe hinter mir schloß. Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen sie und verschränkte die Arme, den Blick starr geradeaus gerichtet auf das Fenster, das doch nur eine weiße Wand aus Schnee und eisiger Kälte zeigte.
Auch tief in mir umfing mich Kälte und ich senkte schließlich den Kopf. Daß Aegmar und Therowig mir Kummer hatten ersparen wollen, konnte ich ihnen nicht verübeln. Nein, ein wenig freute es mich sogar, denn es zeugte von Freundschaft und Zuneigung. Und doch konnte ich mir dieser Freundschaft und dieser Zuneigung kaum mehr sicher sein, wenn Aegmar mir nicht genug vertraut hatte, um mir von dem Verrat zu berichten. Aber ging es hier wirklich um Vertrauen? Oder war nur ich es, die wieder die Bilder ihrer Vergangenheit heraufbeschworen sah und die mich nie loszulassen schienen? Machte ich mich selbst zu jener Diebin, die ich einst war und der niemand vertraut oder geglaubt hatte, und an die Arnulf mich wieder am Abend erinnert hatte?

Ich schloß die Augen, als es hinter mir an der Tür klopfte, und atmete tief aus. Auch ohne, daß er etwas sagte, wußte ich, daß es Therowig war. Er klopfte erneut und ich stieß mich von der Türe ab, um sie zu öffnen und ihn einzulassen. Stumm stand er vor mir und sah mich an, seine grünen Augen blickten mich direkt an und ich spürte, wie sie mein Herz berührten. „Hör zu...“, sagte er schließlich leise. „Ich weiß, was Du nun denkst, aber es ist nicht so.“ „Ich bin sicher, Du wirst mir meinen Irrtum erklären.“, gab ich zurück und wandte mich ab.
Ich spürte, wie mein Zorn verflog, als ich Therowig angesehen und seinen Blick erwidert hatte, und wollte unbedingt noch ein bißchen wütend auf ihn bleiben. „Dachte Aegmar, ich wäre nicht verschwiegen genug? Dachte er....ich würde in der Feste herumgehen, und jedem, der meinen Weg kreuzt, von seinem Verdacht auf Verrat erzählen und somit den Schuldigen warnen?“, sprach ich bitter zu ihm, als er eingetreten war und behutsam die Türe hinter sich schloß. „Nein. Er hat es wirklich gut gemeint, und ich ebenso. Und glaube mir, daß es mir schwerfiel. Ich weiß, ich habe Dir vor ein paar Tagen erst gesagt, daß solche Dinge eben im Krieg passieren. Daß die, die uns teuer sind, verletzt werden – und daß wir sie manchmal sogar zurücklassen und uns damit abfinden müssen. Aber Du hast Recht, so einfach ist es nicht, denn etwas wird uns immer dabei im Wege stehen: unser Gewissen und unser Herz. Weil wir Menschen sind. Und keine Orks.“, erwiderte er und legte sich eine Hand auf die Brust. Mein Zorn ebbte nun gänzlich ab und diesmal konnte ich ihn nich daran hindern. „Was war dann der eigentliche Grund?“, fragte ich und es klang versöhnlicher und milde. „Aegmar wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und keinen Verdacht erheben, der nicht bestätigt ist. Denn wenn er seine Gedanken ausgesprochen hätte, hätte sich zweifellos auch die Frage nach dem Schuldigen gestellt. Ich schätze, er wollte eine willkürliche Jagd vermeiden und das Aufkommen von Mißtrauen gegenüber allem und jedem. Auch das passiert leicht unter den Menschen.“, sagte Therowig und ich mußte widerstrebend nicken. „Und da es auch um Dich ging...hätte ich den Schuldigen finden wollen. Jeder wäre mir in der Tat dabei recht gewesen.“, gab ich zu. Therowig lächelte nur knapp. „Aegmar ist Dein Freund. Er hat Dich beschützt, vor Sorge – und vielleicht vor einem großen Fehler.“, meinte er und erneut mußte ich nicken. „Er kennt mich besser, als ich dachte. Und auch Du tust es. Wenn Du...wenn ich Dich verloren hätte...ja...dann hätte jemand dafür bezahlt. Auch, wenn es der Falsche gewesen wäre.“, gestand ich ein und Therowigs Lächeln wurde nun breiter. „Du bist hitzköpfig. Und bei Eorl, Dein Zorn möge nur auf den ärgsten Feind niedergehen, niemals aber auf einen Freund!“, sagte er und ich mußte lachen.
Ich ging auf Therowig zu und berührte seinen Arm, der mich sogleich umfing. Ich lehnte die Stirn gegen seine Brust, hob dann aber den Kopf wieder an und sah zu ihm auf. „Und Du bist naß.“, stellte ich fest. Therowig zog eine Augenbraue hoch und blickte auf mich hinab. „Ja, jemand hat einen Wasserkrug auf meinem Kopf zerschlagen...“, schmunzelte er und ich verbarg verlegen mein Gesicht wieder an seinem Hemd.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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#14

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:21
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Die Nacht ging still zu Ende und schenkte uns wenigstens noch ein paar Stunden erholsamer Ruhe, die wir alle dankbar annahmen. Als ich erwachte, war Therowig noch in tiefem Schlaf versunken und ich betrachtete ihn eine Weile, bevor ich mich aufrichtete und behutsam die Decken zurückschob. Ich strich ihm das rote Haar aus der Stirn, was ihn schließlich weckte. Er drehte sich auf den Rücken und verzog leicht einen Mundwinkel, seine Hand griff abrupt an seinen Kopf und dann schlug er die Augen auf. Er zog die Hand zurück und betrachtete seine Fingerspitzen. „Es blutet nicht mehr, Dein Kopf ist wohl wirklich aus Holz.“, flüsterte ich lächelnd und er sah mich müde an. „Ja, sehr lustig.“, brummte er und ich mußte lachen. „Es tut mir leid, das weißt Du.“, sagte ich und schwang die Beine aus dem Bett. Dann führte mein Gang mich zum Fenster und ich rieb mit der Hand über die beschlagene Scheibe, um hinauszusehen. „Es schneit noch ein wenig, aber der Sturm hat sich gelegt.“, stellte ich fest und drehte mich wieder um. Therowig richtete sich langsam auf und streckte sich. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hob die Hand und unterbrach ihn, denn plötzlich ertönten Geräusche hinter mir und ich wandte mich erneut dem Fenster zu, um hinaus zu spähen. Unten auf dem Hof erblickte ich einen Reiter, der auf einem großen weißen Pferd saß und es langsam über das verschneite Pflaster lenkte, bis er meinem Blick entschwand. „Es ist jemand nach Mirobel gekommen, ich glaube, es war Maethruth.“, beantwortete ich den fragenden Ausdruck in Therowigs Augen.
Mit einem Male schien er hellwach zu sein, sprang auf und griff nach seinem Hemd. „Maethruth!“, rief er aus und stolperte beinahe hin, als er hastig in seine Hosen stieg und sich darin mit einem Fuß verfing. In höchster Eile hüpfte er auf einem Bein und versuchte sich, schnellst möglich die Stiefel anzuziehen. Ich schüttelte den Kopf, als er dabei fast gegen mich stieß, aber Therowig sah mich nur voller Eifer an. „Er hat gewiß viel zu berichten und die anderen werden sich gleich mit ihm beraten. Ich wunderte mich schon, warum er gestern Abend nicht zugegen war und ich will nichts verpassen. Ich habe schon viel zu viel verpaßt!“, sagte er und dann riß er auch schon die Zimmertüre auf. Seine Bewegung wurde jedoch jäh gestoppt, als er auf dem Flur in Arnulfs Gesicht sah, der ebenfalls gerade sein Zimmer verließ. Für einen langen Moment starrten sie sich an und es war kein Blick voller Wohlwollen, den sie wechselten. Als Arnulfs Augen über Therowigs Schulter hinweg zu mir in die Kammer wanderten, schlug Therowig abrupt die Türe hinter sich zu und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich blinzelte erstaunt, atmete tief durch und dann begann ich ebenfalls, mich anzukleiden. Aber ich hatte es nicht ganz so eilig.

Tatsächlich war es Maethruth gewesen, der nach Mirobel gekommen war. Ungeduldig wurde er nicht nur von Therowig erwartet, dessen Anwesenheit Maethruth überrascht, aber mit Freude, aufnahm. Doch wie immer hielt der Elb sich nicht mit Höflichkeiten und Plaudereien auf, sondern legte in seine Worte das Wesentliche – und vor allem das Wichtige. Ich war die Letzte, die den Wachraum betrat und sich zum Morgenmahl an den Tisch setzte.
Maethruth hatte bereits seinen Bericht begonnen: „....bin ich sehr weit nach Süden geritten, bis in die nördlichen Ebenen Enedwaiths hinein. Da Ihr, Herr Aegmar, an den Flußufern des Sirannon entlanggezogen seid, und Erelias und Herr Aneawin sich nach Osten wandten, war dies mein Weg. Zudem wollte ich dort jenen Verbündeten treffen, dessen Bekanntschaft ich, wie ich bereits berichtete, vor einigen Tagen machte und der sich nun entschlossen hat, zu bleiben und in unserer Sache zu helfen. Er hat sich von seiner Schar getrennt und wird mir bald folgen, wir dürfen morgen sein Eintreffen erwarten, denke ich. So manchen, der seinen Weg beschreitet, sucht man wissend, und manchen findet man ganz unverhofft. Dies ist die gute Nachricht, die ich...“, sprach er und unterbrach sich, um mir zuzunicken, als er mein Eintreten bemerkte. Sein Blick ruhte auf mir, als wollte er weitersprechen und erwartete nur noch mein Einverständnis dazu, welches er gewiß nicht nötig hatte.

Dennoch faltete er die Hände vor der Brust und erhob erst wieder das Wort, als ich ihm ebenfalls zugenickt hatte. „Ich weiß, Ihr fragt Euch nach ihm, denn ich habe seinen Namen bisher nicht genannt. Ich tat es nicht, weil ich nicht sicher war, wie er sich entscheiden würde, und keine Freude wecken wollte, die nicht erfüllt werden kann. Ich habe erst seit heute sein Versprechen, das ihm nicht leicht fiel, und so will ich nun in meinem Bericht fortfahren. Laßt mich am Anfang beginnen: vor sechs Tagen vernahm ich am Abend ein Geräusch wie vom Getrappel vieler Hufe, und als ich neugierig aus der Kammer eilte, sah ich eine Schar von ungefähr dreißig Reitern von Norden nahen. Entschlossen und geschwind ritten sie, doch verhielten sie sich sonst weder auffällig noch feindselig. Zwar keine drei Dutzend an der Zahl, ist jene Schar dennoch eine Streitmacht, und wenngleich verborgen unter dem unscheinbaren Grau ihrer Mäntel, schienen die Reiter von edelstem Geblüt. Vor der nördlichen Uferböschung des ausgetrockneten Sirannon machten sie kurz Halt und trabten dann, einer nach dem anderen, über die das Flussbett noch überspannende schlanke Elbenbrücke. So entschwanden sie unter der Hügelflanke und aus meinem Blick. Ich erwartete, sie in wenigen Augenblicken auf den oberen Platz einreiten zu sehen, doch ihr Getrappel schien sich nach Südwesten zu entfernen, und nur ein einzelner Reiter kam zum noch bewohnten Teil Mirobels und den Quartieren hinauf. Behende saß er ab und zog sich die Kapuze zurück. 'Ich grüße euch, Freund!' sprach er und offenbarte sogleich seine Not, Vorräte für den sicheren Weiterritt seiner Schar erwerben zu müssen. Die Elben von Mirobel gewährten ihm Verpflegung und andere nützliche Dinge und weil er sehr höflich und vor allem im Umgang mit meinem Volke gewandt war, zögerte er auch nicht, sich vorzustellen. Hätte er das nicht getan, so wäre er wohl weitergezogen, ohne daß die Dinge den erfreulichen Verlauf genommen hätten, wie sie es taten – denn nur so konnte ich ihn aufhalten. Doch kann ich nicht hoffen, seine ganze Schar für unsere Sache zu gewinnen, denn sie sind in eigener Angelegenheit unterwegs und in großer Eile, ihr Ritt wird sie weiter gen Süden tragen.“

Arnulf räusperte sich und mit unüberhörbar spöttelndem Unterton sagte er: „Du scheinst ja über Jeden und seine Wege bestens Bescheid zu wissen, Elb.“ Maethruths Blich wanderte ruhig zu ihm hinüber und ernst klang seine Stimme, als er antwortete: „Dies war vor langer Zeit das letzte Reich meines Volkes, und von allen Trümmern all seiner vergangenen Reiche sind die Ruinen Eregions die einzigen, welche nicht in den Fluten des Meeres versunken sind. Und wenn auch Eregion als ein Niemandsland erscheinen mag, dessen Hügel Ork und Kreatur ungehindert druchstreifen, sage ich Euch: Die Elben wachen über dies Land. Niemand, der umgeht, und nichts, was geschieht, vermag sich ihrem wachsamen Blick zu entziehen. Die Reiter folgen einem Ruf, der in Caras Galadhon erschallte, getan von der Herrin des goldenen Waldes in ihrer weisen Vorausschau. Sie ziehen nach Rohan, als Vorboten des Krieges, der dort näher ist, als wir es uns dachten.“, schloß er und Arnulf ließ sich zurück in seinen Stuhl fallen. „Ich wußte es...“, murmelte er bitter und fuhr sich über den Bart. Auch Therowig preßte fest die Lippen aufeinander und zum ersten Mal, seit er wieder in Begleitung Arnulfs war, sah er seinen Vetter verständig und brüderlich in der gemeinsamen Sorge um ihre Heimat an.
Maethruths Miene erhellte sich nun aber wieder und er blickte erneut zu mir. Lächelnd fuhr er fort: „Nicht jeder, der Eregion betritt, führt Übles im Schilde. Und Eregion müssen wir unser Augenmerk schenken. Jener, der sich von seiner Schar trennte und dies ebenfalls erkannte, trägt den Namen Ghaldean.“, sagte er und griff nach einem der Kelche, die mit heißem Tee gefüllt, auf der Morgentafel standen.
Er betrachtete nicht länger mein Gesicht, als wüßte er bereits, daß ich im gleichen Moment, da er preisgegeben hatte, auf wen er getroffen war, erstarren und ihn ungläubig ansehen würde. Doch auch wenn Maethruth sich immer noch lächelnd abwandte, so richteten sich doch dafür alle anderen Augen direkt auf mich. Stumm erwiderte ich die Blicke und schluckte trocken, bevor ich die Lippen auseinanderbrachte und wiederholte, was Maethruth gesagt hatte: „Ghaldean...“ Mehr brachte ich für den Moment nicht hervor, selbst als ich ahnte, daß er nur meinen Vater meinen konnte. Einen weiteren Moment brauchte ich, bis ich meinen Gedanken aussprach. „Ihr sprecht von Galariad Ghaldean.“ Maethruth nickte und sah mich endlich wieder an, als hätte er nur die Freude sehen wollen, die nun auf meinem Gesicht erstrahlte, nicht aber die bleiche Verwunderung.

Arnulf beugte sich zu Therowig hinüber. „Galariad Ghaldean – wer zur Hölle ist das?“, raunte er dem Vetter zu und Therowig verzog leicht das Gesicht, dann schmunzelte er. „Narienas Vater....“, erwiderte er flüsternd und Arnulf zog die Augenbrauen hoch. „Ihr...? Oh.“, machte er und straffte sich. „Euer Vater reitet auf das Geheiß der Herrin von Lorien nach Rohan? Das ist...in der Tat interessant.“, sagte er nun lauter und ich schüttelte den Kopf. „Nein, ganz so mag es sich nicht verhalten.“, warf ich ein und trank nun meinerseits etwas von dem warmem Tee. „Ihr selbst wart doch begierig darauf, etwas über mich und meine Familie zu erfahren und so wißt Ihr, daß er keiner der Dunedain ist, die Maethruth zweifellos gemeint hat, als er die Reiter beschrieb. Einer anderen Schar hat mein Vater sich nie angeschlossen, lange Zeit hat er bei den Waldläufern des Nordens in Esteldín verbracht und nur ihr Aufbruch kann ihn bewogen haben, von dort fort zu gehen und ihnen zu folgen.“, erklärte ich und bemerkte, wie Therowig Arnulf einen unfreundlichen Seitenblick zuwarf und die Arme verschränkte. „Du hast sie nach ihrer Familie gefragt? Als ich nicht da war?“, brummte er und verengte die Augen. Arnulf winkte ab und erwiderte nichts darauf, was ihn jedoch nicht davor bewahrte, weiterhin von Therowig mit abweisenden Blicken bedacht zu werden.
Ich richtete rasch das Wort an ihn und legte eine Hand auf seinen Oberarm. „Therowig selbst überbrachte ihm vor einiger Zeit die Kunde des Herren von Rohan, die alle zurück in die Heimat rief, um sich auf einen bevorstehenden Krieg jenseits des Anduin und des Nebelgebirges vorzubereiten. Ihr hattet den gleichen Auftrag, wie ich weiß, Arnulf. Und zusammen seid Ihr nach Eriador geritten, um ihn zu erfüllen und jene zu suchen, die Rohan verlassen hatten und nun gebraucht wurden.“ Ich ließ Therowig los, als ich spürte, daß seine Anspannung langsam wieder verflog und wandte mich an Maethruth. „Ich freue mich wirklich sehr, daß Ihr meinem Vater begegnet seid und ihm berichten konntet. Ich wußte nichts von seiner Entscheidung, Esteldín zu verlassen, auch wenn er nach Erhalt der Botschaft König Theodens lange darüber nachgedacht hat.“, sagte ich und Maethruth nickte. „Als er erfuhr, daß Ihr auf dem Weg nach Mirobel seid, hat er sie erneut überdacht und schließlich entschieden zu bleiben und Euch wiederzusehen. Er ist seitdem an der Grenze nach Enedwaith verblieben, während ich mich bemühte bis zu Eurer Ankunft weiterhin meinen Dienst in Eregion zu versehen. Er wollte benachrichtigt werden, wenn Ihr eingetroffen seid – und das habe ich gestern getan, wenn auch verspätet ob dieses Schneesturmes, der über das Land gekommen ist.“, erwiderte er. „Ich danke Euch, Freund.“, sprach ich noch, dann atmete ich tief aus. Wahrlich gute Nachrichten hatte Maethruth gebracht; solche, wie ich sie mir erhofft und doch nicht zu erwarten erlaubt hatte.

Aegmar erhob sich schließlich und warf einen langen Blick in die Runde. Aufmerksam hatte er zugehört und auch ihm war anzusehen, daß er Maethruths Neuigkeiten mit großem Wohlwollen aufnahm. „Wir freuen uns, Deinen Vater kennenzulernen, Nariena. Aber unser Tagewerk darf dennoch nicht warten, bis er eingetroffen ist. Der Sturm hat sich gelegt und kann uns nicht länger von unserer Aufgabe fernhalten. Das orkische Gesindel strömt vor unseren Augen zum Gebirge und die Stunde ist gekommen, da wir einen aus ihren Reihen fangen und uns zu Nutze machen werden. Noch immer kennen wir den nicht, der Isengard verlassen hat und auf Sarumans Wunsch den Anspruch auf die Führung der Orks erheben soll. Arnulf wird aufbrechen und den Pfaden der Orks nach Osten folgen; wenn die Dämmerung anbricht, wird er Posten an den Hängen des Gebirges beziehen und den besten Moment finden, um seine Falle zu stellen. Wir anderen haben indes sehr viel hiermit zu tun...“, sagte er und deutete auf den Kartenstapel, den Arnulf aus der Bibliothek beschafft hatte. „Wir werden die Karte entziffern und den Treffpunkt genau bestimmen, dem alle Orks, Halborks und nun offenbar auch die Dunländer entgegen streben.“, verfügte er.
Arnulf nickte. „Ich möchte, daß Frau Nariena mich begleitet. Der Neuschnee hat alle alten Spuren verdeckt, und ich brauche jemandem, der sich im Gelände zurechtfindet und der mir hilft, sie wiederzufinden. Außerdem sind die Orks nicht alleine unterwegs, während ich meine Vorbereitungen treffe, muß jemand Wache halten und Acht geben.“, sagte er und ich legte sogleich wieder meine Hand auf Therowigs Arm, noch bevor er sich ebenfalls erhob, um Aegmar zu widersprechen. „Ist gut, ich begleite ihn.“, kam ich seinem Einwand zuvor und gab Arnulfs Vorschlag statt. Therowig hörte ich nur tief ausatmen.
Er schwieg, blickte Aegmar aber dunkel an, der Therowigs Gedanken zu teilen schien. „In der Tat, Ihr habt Recht – alleine solltet Ihr nicht ziehen, Ihr werdet bei diesem Unterfangen Hilfe benötigen. Narienas Fähigkeiten werden sehr dienlich sein...und Erelias wird Euch ebenfalls begleiten.“, forderte Aegmar den schweigsamen Elben auf. Er nickte nur knapp.
Therowig schien nicht beruhigt, aber zufrieden zu sein. „Dann ist die Besprechung beendet.“, sagte Aegmar. „Arnulf, trefft Vorsorge für Eure Ausrüstung. Nariena und Erelias ebenfalls, Ihr werdet vermutlich die Nacht fortbleiben. Aneawin, Du hast die erste Wache, Therowig löst Dich zur Mittagsstunde auf dem Turm ab. Das ist alles.“, schloß er und setzte sich dann wieder. Er zog sich die erste Karte von dem Stapel und begann sie zu entrollen.
Die Kelche wurden geleert, die Stühle gerückt. Auch ich stand auf, begleitet von Therowig und Arnulf.

Arnulf streckte sich und schlug die Hände aneinander. „Ich habe noch einen warmen Mantel, mit Wolfspelz gefüttert, wenn Ihr so etwas noch gebrauchen kö...“, sagte er zu mir, doch Therowig fiel ihm augenblicklich ins Wort und stellte sich direkt vor ihn. Mir fiel auf, daß er zwei Finger breit kleiner war als sein Cousin, doch der entschiedene Blick, mit dem er ihn bedachte, mochte diesen Unterschied wieder ausgleichen. „Sie kann meinen Mantel haben.“, knurrte er und ich sog harsch die Luft ein. Ich schob mich zwischen Therowig und Arnulf und sah erst den einen, dann den anderen an, bevor ich die Hände hob. „Hört auf. Und zwar alle beide. Ich habe selbst einen Mantel!“, rief ich aus und schüttelte ärgerlich den Kopf. Arnulf verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, dann sah er auf mich hinab. „Natürlich.“, murmelte er und drehte sich um, nicht ohne Therowig jedoch noch einen letzten Blick zuzuwerfen, bevor er ging.
Therowig hob sogleich die Schultern, als ich zu ihm herumfuhr und auch der Ausdruck in meinen Augen dabei gewiß mehr als nur mahnend war. „Na, er hat doch angefangen....!“, murmelte er und ich mußte widerwillig schmunzeln. „Versuche wenigstens, mit Arnulf noch eine Weile auszukommen. Ich werde jetzt mein Gepäck holen. Und meinen Mantel.“, sagte ich nur noch und nahm Therowigs Hand. Sie war warm und für lange Stunden würde es das letzte Mal sein, daß ich Wärme spürte. Ich mußte nun aufbrechen, denn nicht länger würden wir nur beobachten, sondern auch handeln. Die Nächte in Eregion waren kalt und unheilvoll – und noch kälter und unheilvoller wurden sie, wenn man auszog, um einen Ork zu fangen.


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#15

RE: Von Freundschaft und Finsternis, Teil V

in Geschichten und Erzählungen 19.12.2010 01:22
von Nari • Meisterschreiber | 592 Beiträge

Der Himmel glänzte stahlblau über meinem Kopf, als ich in den verschneiten Hof hinaustrat, gehüllt in meinen langen, gefütterten Mantel. Der Pelz auf der Innenseite des Umhangs war wohl das einzig Kostbare an diesem Kleidungsstück, aber ganz so hatte Aegmar es ja gewollt, bevor wir in Emyn Lûm aufgebrochen waren: unauffällig sollten wir erscheinen und nicht als das, was wir wirklich waren. So zierte auch kein Wappen seinen Rücken, keine Spange hielt die Kapuze unter dem Kinn zusammen, die ein Emblem zeigte.
Vereinzelt zogen noch ein paar Wolken über den matten Horizont und wichen schließlich beiseite, um einer milchigen Sonne Platz zu machen, die wie ein trüber weißer Fleck am Himmel hing. Unter ihrem Licht zeigte Eregion uns wieder, wie weit und gewaltig seine Ebenen waren. Die Luft war immer noch kalt und ließ unseren Atem gefrieren, aber die Sonne klärte die Sicht und beinahe konnte man das ferne Gebirge im Osten erahnen. Klein und wie mit der Hand zu fassen lag es hinter einer Wand aus weißem Dunst, der über den schneeüberfluteten Steppen wogte.
Arnulf bepackte sein Pferd und aufmerksam betrachtete ich, welch seltsam anmutenden Dinge er dabei auflud. Er nahm vier Pflöcke mit, die er zusammengerollt in einem Tuch in seine Satteltaschen steckte. Ein großes Netz, dessen Aufgabe mir als einziges deutlich war, eine schwere Holzkeule und mehrere lange Seile. Eine Armbrust steckte er ebenfalls dazu.
Als er bemerkte, daß ich ihn beobachtete, drehte er sich halb zu mir um und zog aus einem großen Bündel, das auch einigen Proviant beinhaltete, schwungvoll eine breite Klinge heraus. Er hielt den brüchigen, hölzernen Griff der Waffe fest in der Hand, und vermutlich konnte er auch nur so die Bewegung rechtzeitig aufhalten, bevor er mir die scharfe Schneide zwischen die Augen gestoßen hätte.
Er lachte leise auf und entschuldigte sich mit einem Zwinkern, als ich erschrocken einen Schritt zurückwich und seinen Arm schließlich beiseite bog. Was auch immer er in der Hand hielt, ich wollte es nicht vor meinem Gesicht haben, denn es würde sicherlich einen unerfreulichen Zweck erfüllen. Die Klinge am Ende des Griffs war nicht nur breit, sondern auch auf einer Seite gezackt und leicht gebogen. „Was ist das für ein abscheuliches Ding....?“, fragte ich und trat nun wieder einen Schritt näher. Arnulf hob die Klinge an und das fahle Sonnenlicht spiegelte sich für einen Moment darauf. „Das, meine Liebe...ist ein Haradrim-Krummdolch.“, erklärte er und genoß sichtlich mein Erstaunen. „Ein....?“, entkam es mir überrascht und er nickte.
Mit dem Zeigefinger fuhr er vorsichtig über die gezackte Schneide. „Wenn ich Euch diese Klinge in den Bauch stoße, durchtrennt sie nicht nur Eure Eingeweide...sondern würde sie regelrecht zerfetzen, wenn ich sie herumdrehe, bevor ich sie herausreiße.“, meinte er deutete eine entsprechende Bewegung an und berührte abermals die Zacken in der Schneide. Ich wollte es mir jedoch nicht vorstellen, was genau diese Waffe im Inneren eines Lebewesens anrichten konnte. „Und wo habt Ihr den her?“, fragte ich weiter, doch Arnulf wiegte nur den Kopf. „Das ist eine lange Geschichte, ich erzähle sie Euch ein anderes Mal. Wir müssen bald aufbrechen.“, erwiderte er und verbarg den Krummdolch wieder in seinem Bündel, daß er noch einmal fest verschnürte. „Ihr werdet einen Ork kaum höflich bitten können, Euch etwas zu verraten – ich fürchte, es werden andere Methoden notwendig sein. Ich kann Euch sagen...daß solch eine Haradhrim-Waffe dabei mehr als erfolgversprechend ist.“, fügte er an, als mein Blick ihn noch nicht losließ.
Ich schauderte, auch wenn ich wußte, daß es nur um einen Ork ging, der spüren würde, was Arnulf meinte. Aber dabei blieb es nicht. Ich schauderte noch mehr, als Arnulf plötzlich in seinen Kragen griff und Umhang und Wams darunter ein Stück zur Seite zog, um mir eine lange, wulstige Narbe an seinem Schlüsselbein zu zeigen, die genau mit dem Muster des Dolches übereinstimmte. Ich schloß die Augen und wandte mich kopfschüttelnd ab, Arnulfs erneutes Lachen begleitete mich. „Verzeiht.“, sprach er dann, „Ich dachte, ihr seid an solche Anblicke gewöhnt. Therowig hatte gewiß auch bereits mehr als einmal eine Klinge im Leib stecken, und jede davon hat wohl ihre Spuren hinterlassen.“

Ich entfernte mich ein paar Schritte von Arnulf und betrat den Unterstand, unter dem die Pferde angebunden waren, um das meine zu satteln. Arnulf folgte mir und nahm mir den schweren, dunklen Sattel ab, der mit den anderen an der Wand gehangen hatte. Er wuchtete ihn auf den Rücken der grauen Stute, die ich ritt, seit wir den Düsterwald verlassen hatten, und bückte sich dann, um den Sattelgurt unter ihrem Bauch festzuzurren. „Nein.“, sagte ich matt. „Ich sehe mir keine Narben an. Ich blicke über sie hinweg, weil ich nicht an die Dinge erinnert werden will, die sie verursacht haben.“, fügte ich an und Arnulf richtete sich auf. Er überprüfte den festen Sitz des Sattels und schien zufrieden. „Nun, aber das solltet Ihr. Sie sagen Euch etwas über denjenigen, der vor Euch steht. Und sie lügen nicht – anders, als Worte es tun können.“, meinte er und ließ eine Hand auf dem Sattel ruhen. „Versucht es einmal. Was sagt Euch meine Narbe über mich?“ Ich atmete tief aus. „Nun...offenbar seid Ihr einst in die Hände eines Haradrim geraten und er verlangte Informationen von Euch. Ihr habt sie ihm gegeben, denn sonst würdet Ihr diesen Dolch nicht mit auf die Orkjagd nehmen und ihn als erfolgversprechend bezeichnen. Da Ihr aber noch lebt und überhaupt im Besitz dieser Waffe seid, hatte jener Haradrim nicht viel von den Informationen, die Ihr ihm gestanden habt, denn Ihr habt ihm anschließend den Hals umgedreht und seid entkommen.“, antwortete ich und Arnulf zog die Augenbrauen hoch. Er klatschte einmal in die Hände. „Seht Ihr...das war doch gar nicht schwer. Ihr habt vollkommen Recht. Nun brauche ich Euch die Geschichte auch gar nicht mehr zu erzählen, denn Ihr konntet sie Euch selbst zusammensetzen. Eine Voraussetzung für einen guten Beobachter – und einen guten Jäger.“, sagte er, gab meinem Pferd einen seichten Klaps auf das Hinterteil und trat dann zurück in den Hof.
Ich sah ihm nach und spürte auf einmal Nachdenklichkeit in mir. Meine Hand wanderte unbewußt in mein Gesicht, wo ich selbst eine Narbe auf der Wange trug. Was sie ihm wohl über mich gesagt hatte?

Auch Erelias traf nun ein. Der Elb steckte in seinem grünen Umhang, der wie die Bäume im Sommer einen wohligen Fleck Wärme in das kalte Weiß der Festung strömen ließ. Arnulf betrachtete es jedoch mit Mißmut. „Elb, ich will einen Ork fangen und nicht die ganze Bande warnen...“, knurrte er, doch Erelias hob das Kinn und sein Blick war stolz. Er schulterte einen schlanken Bogen und einen ledernen Köcher von der gleichen Farbe des Umhangs. „Das werden wir auch, selbst Ihr werdet mich nicht mehr erspähen können, wenn die Dämmerung einsetzt. Die Mäntel der Elben beschützen den, der sie trägt.“, sagte er und Arnulf brummte nur noch etwas, das ich nicht verstehen konnte.

Er packte sein Pferd am Halfter, dann nahm er die Zügel und schwang sich in den Sattel. Erelias und ich taten es ihm gleich – und dann verließen wir Mirobel in langsamem Trab. Ich sah nicht zurück, aber ich spürte, daß Therowig im Türrahmen der Wachstube stand und uns stumm nachblickte. Arnulf war es, der sich umdrehte, als er mich nur traurigen Blickes den Kopf senken sah, bis der Schatten des Torbogens auf uns fiel und wir den Abstieg über die alte, verwitterte Treppe hinab in die Ebenen begannen.
Die Pferde sanken leicht in den weichen Neuschnee ein, der in der vergangenen Nacht gefallen war, und hinterließen tiefe Spuren. Im Schrittempo kamen wir voran, weil Arnulf die Kräfte der Tiere schonen wollte. Wir konnten nur die Straße erahnen, die irgendwo unter oder neben uns gen Osten zum Gebirge führen mußte. Baumlos war das Land unweit der Feste und erstreckte sich weit und ebenmäßig wie ein kostbarer Teppich, der im Licht seltsam funkelte.
Wir orientierten uns aber am dunstigen Schemen der Berge, die in der Ferne bläulich und grau schimmerten.

Arnulf wandte oft den Kopf und auch Erelias ließ seine Augen stetig und aufmerksam über das Gelände wandern. Drei dunkle Punkte waren wir, die durch das unendliche Weiß des Winters zogen, und gewiß einem Beobachter nicht schwerlich ins Auge fallen würden. Aber weder konnten wir etwas gegen die Schneedecke tun, noch dagegen, daß unsere Pferde eine lange Spur hinter uns herzogen. Doch noch waren wir einsame Wanderer und durchschritten allein das Land.
Irgendwann schloß Arnulf zu mir auf und brachte sein Reittier neben das meine. Erelias ritt uns ein Stück voraus, sein Blick mochte am Weitesten reichen; ebenso sein Sinn für etwas Unheilvolles, das sich erhob und uns auflauern konnte.
Arnulf räusperte sich leise und ich hob den Kopf. „Ihr seid nachdenklich, dabei hätte ich erwartet, daß Ihr zumindest wütend oder sehr zornig sein müßtest.“, begann er ein Gespräch und ich sah ihn fragend an. „Warum sollte ich das sein?“, erwiderte ich und er fuhr sich über den dichten, hellblonden Bart. „Noch am Vorabend habt Ihr erfahren, daß Ihr von jemandem, der Euch sehr viel bedeutet, belogen wurdet. Ihr machtet bisher nicht den Eindruck auf mich, als würdet Ihr so etwas schnell verzeihen.“, fuhr Arnulf fort und ich atmete tief die kalte Luft ein. „Ich habe verstanden, warum Therowig mich belogen hat. Und darum habe ich es verziehen, denn es war ein guter Grund. Laßt mich Euch nun etwas fragen: warum beschäftigt er Euch eigentlich so sehr, daß Ihr so oft über ihn sprecht?“, fragte ich dann und Arnulf verzog einen Mundwinkel. Es war, als müßte er einige Momente seine Antwort abwägen und sie gut auswählen. „Nun...es ist nicht Therowig, der mich beschäftigt, sondern viel mehr seid Ihr es. Und das, was er eines Tages tun könnte.“, sagte er nach einer Weile und ich lächelte. „Ihr wollt mich also wieder einmal vor ihm warnen. Und das, wo ich Euch doch bereits sagte, daß Ihr das nicht zu tun braucht.“, antwortete ich, aber Arnulf schüttelte den Kopf und sein Blick richtete sich südwärts, Mirobel entgegen und den verborgenen Landen, die sich irgendwo dahinter erstreckten. „Ihr macht Euch eines nicht bewußt, Nariena. Wir sind in Eregion – und damit sind sowohl er als auch ich näher an unserer Heimat, als wir es für eine sehr lange Zeit gewesen sind. Hinter dem Sirannon, an dem Mirobel liegt, erstreckt sich Enedwaith. Und es endet an der Pforte von Rohan. Vielleicht drei Tagesritte entfernt nur, beginnt der Boden unserer Väter und Vorväter, auf dem wir aufgewachsen sind. Und glaubt mir, es dürstet uns mehr als alles andere, dorthin zurückzukehren. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir genau das tun werden und Therowig vor allem wird es sein, der nach Edoras gehen wird – an den Hof seines Königs, an den er gehört. Und was denkt Ihr, geschieht dann mit Euch?“, meinte er und sein Blick suchte den meinen.
Nun war ich es, die einen Moment lang zögerte, bevor sie etwas erwiderte, denn in der Tat hatten meine Gedanken bisher nicht allzu weit in die Zukunft gereicht. Sie hatten auch keinen Grund dazu gehabt, denn jeder Augenblick, der im Hier und Jetzt verstrich, hatte meine gesamte Aufmerksamkeit gefordert. Wäre dem nicht so gewesen, hätte mich in jedem von ihnen der Tod ereilen können.
„Ich denke, daß ich mit ihm gehen werde.“, sagte ich schließlich, aber es klang zaudernd und ich wußte im gleichen Moment, daß mein Zaudern ein Fehler gewesen war, denn Arnulf begann heftig den Kopf zu schütteln. „Mit ihm gehen...ja, das mag wohl das Naheliegende sein. Aber seid Ihr ersteinmal da, dann wage ich zu behaupten, daß Ihr nicht von der Art seid, die sich in großen, prunkvollen Hallen je heimisch fühlen könnte. Es ist nicht nach Eurem Geschmack, aber nach Therowigs Geschmack ist es. Die schicksalschwere Luft und der alte, ehrwürdige Boden, über den durch die Jahrhunderte hinweg große Könige und edle Marschalle schritten. Über den Blut und Wein flossen und auf dem die Legenden der Altvorderen geschrieben und erzählt wurden. Auf dem Stiefel stampften, bevor die Soldaten in die Schlacht eilen, und über den zarte Schuhe tanzten, wenn die Damen des Hofes die Recken nach dem Sieg zurück erwarteten. Ihr seid keine Dame, die nur wartet und das edle Gewand pflegt, während sie es tut.“, sprach er und sah an mir hinab. „Ihr tragt zudem ohnehin lieber Männerkleidung...“, stellte er dann fest und ich verengte leicht die Augen.
„Arnulf, wollt Ihr mich warnen vor einem unglücklichen Schicksal oder mich beleidigen?“, fragte ich und mein Mißfallen seiner Worte lag deutlich in meiner Stimme. Er hob eine Hand, es wirkte beinahe ein wenig hilflos. „Niemals...ich möchte nur nicht, daß Ihr irgendwann feststellt, während Ihr Eure Stiefel geputzt habt, daß an Therowigs Händen nicht Lederwachs, sondern der feine Duft von der Seide eines anderen Rocks haftet.“, sprach er und ich zog abrupt die Zügel meines Pferdes an, so daß es leise aufwieherte und zu tänzeln begann.
Schnee stob auf, als ich mein Reittier so unsanft zum Stehen brachte. Ich funkelte Arnulf über den grauen Hals meiner Stute hinweg zornig an. „Jetzt geht Ihr zu weit! Wären wir nicht mitten in der Ebene Eregions und müßten uns jeder Auffälligkeit erwehren, seid Euch gewiß, daß eine Ohrfeige das Mindeste wäre, mit dem ich Euch klangvoll antworten würde! Für den Moment erwidere ich Euch daher nur, daß Ihr nun besser den Mund haltet – wenn Ihr sie nicht noch nachträglich erhalten und einen bitteren Streit mit mir beginnen wollt!“, entfuhr es mir.
Hatte ich nun eine Entschuldigung von Arnulf erwartet, so blieb sie aus. Stattdessen hob sich wieder sein Mundwinkel an und er betrachtete mich amüsiert, bis er in heiteres Gelächter ausbrach und jungenhaft in seinen Bart schmunzelte.

Verärgert ließ ich die Zügel wieder locker und spornte mein Pferd an. Ich schloß zu Erelias auf, der mich verwundert kommen sah, aber keine Fragen stellte, als er meinem Blick begegnete. Arnulf blieb fortan einige Pferdelängen hinter uns zurück. Vielleicht, um meiner Wut zu entgehen, vielleicht aber auch, um seine Worte nachwirken zu lassen. Das taten sie. Ich konnte sie nicht mehr vergessen und das machte mich ebenso wütend auf mich selbst.

Schweigend und einsam wie wir selbst es waren, gingen die nächsten Stunden vorüber. Wir waren keinem einzigen Ork begegnet, auch keinem Vogel oder einem anderen Tier. Eregion wirkte wie ausgestorben und nur ein gelegentlicher Lufthauch, der den Schnee um uns zum Tanzen brachte, zeigte uns, daß es noch lebte.
Der Abend kam früh und legte sich unter einem dunkelblauen Himmel friedlich über das Land. Der Untergrund begann stetig anzusteigen und wir merkten, daß wir dem Gebirge immer näher kamen. Es trügte, daß uns der weite Schlund des Rothornpasses, der uns von hier aus Einlaß ins Nebelgebirge gewährte, so nahe schien, daß wir ihn fast berühren konnten. Er war noch fern, aber doch nicht fern genug, als daß wir nicht irgendwann wieder auf die ersten Spuren stießen, die dunkle Orkfüße im Schnee hinterlassen hatten.
Die Dämmerung schritt rasch vorbei und doch war die Nacht hell, ein heller Mond schien uns und sein mattsilbernes Licht fand in tausend glitzernden Strahlen den Weg nach Eregion hinab. Der Schnee schimmerte weiß und geisterhaft und immer öfter wurde er von tiefen Löchern durchbrochen, die von stampfenden und eiligen Schritte stammten.
Arnulf hieß sein Pferd stehenbleiben und sprang aus dem Sattel, auch Erelias und ich hielten an und blickten zu ihm zurück. Mit den Füßen scharrte er den Schnee beiseite und untersuchte den Boden darunter, dann ging er ein paar Schritte und tat es erneut. Er beschrieb einen weiten Halbkreis, in dem er immer wieder den Boden freilegte, bis er gefunden hatte, was er zu suchen schien. „Hier ist der Pfad!“, rief er uns schließlich zu und sah sich um. Er deutete nach Westen, wo sich eine halbe Meile entfernt die Hügel des Vorgebirges erstreckten. „Gehen wir dort hinüber und lassen die Pferde zurück. Beeilen wir uns, der Abend wird bald zur Nacht – und dann werden wir nicht länger alleine bleiben.“, rief er uns zu und ich zwang mich, meinen Ärger, den ich immer noch empfand, hinunterzuschlucken und wenigstens für eine Weile zu vergessen.
So ritten wir also in die Hügel und fanden an einem Hang, der halbhoch über uns aufragte, eine kleine Gruppe von Bäumen, die kahl und schneebestäubt an seinem Fuße aufragten. Wir banden die Pferde fest und Arnulf begann, sein Gepäck zu entladen.
Die vier Holzpflöcke, die er in einem Bündel verschnürt hatte, nahm er zuerst hervor und ordnete sie in einem Rechteck auf dem Boden an. Zwei Schritt war jeder Pflock vom anderen entfernt und er nahm die schwere Holzkeule zur Hand, die er ebenfalls mit sich geführt hatte, um sie senkrecht in den gefrorenen Boden zu treiben.
Es kostete ihn Mühe, ebenso gut hätte er versuchen können, einen Pfeil in festes Felsgestein zu rammen, aber er setzte seine Arbeit entschlossen und mit aller Kraft fort. Solange, bis alle Pflöcke in der Erde verankert waren und er selbst sie mit dem allerfestesten Griff nicht wieder herausziehen konnte. „Wofür ist das gut?“, fragte ich ihn. Er wischte sich über die Stirn, auf die trotz der Kälte perlender Schweiß getreten war. „Das werdet Ihr schon sehen.“, erwiderte er atemlos und lächelte. Er löste die Seile von seinem Sattelknauf und warf ein paar von ihnen neben einen der Pflöcke. Ein anderes behielt er bei sich und nahm auch das große Netz zur Hand, das in einem Rucksack verstaut war. „Legen wir die Falle aus. Nariena begleitet mich. Erelias, Ihr bleibt bitte bei den Pferden. Solltet Ihr etwas bemerken, warnt uns. Ein Pfiff genügt.“, sagte er und Erelias nickte. Er hatte Recht behalten, sein baumgrüner Umhang hatte mit dem Untergang der Sonne die Farbe der Dämmerung angenommen. Hätten wir nicht gewußt, daß der Elb bei uns war, so hätten wir ihn womöglich nicht gesehen und ihn jemals entdecken können.
Arnulf winkte mir kurz zu, dann setzte er sich auch schon in Bewegung. Wir wandten uns von den Hügeln ab und gingen wieder in die Ebene zurück, unseren eigenen Spuren folgend. Als wir jene Stelle erreichten, an der Arnulf zuvor den Schnee beiseite geräumt und den Pfad freigelegt hatte, hielt er inne und breitete das Netz flach auf dem Boden aus. Der Mond beschien sein Tun und ließ die Haut auf seinem Handrücken bleich wirken.
Als das Netz platziert war, schaufelte Arnulf den Schnee wieder darüber, um es zu verdecken. Dann machte er ein paar Schritte rückwärts. „Das ist alles?“, fragte ich ihn erstaunt. „Ein verstecktes Netz mitten auf dem Pfad? Woher wollt Ihr wissen, daß ein Ork genau an dieser Stelle hineintappen wird? Bitte verzeiht, aber sie werden sich eher in den Schatten der Hügel bewegen und nicht durch das offene Gelände...“, fügte ich an und verschränkte die Arme. Arnulf rieb sich über die Hände, um sie wieder zu erwärmen und löste behutsam seinen Umhang. „Es wird ein Ork hier entlangkommen. Und zwar genau hier.“, antwortete er nur knapp und reagierte nicht weiter auf meinen Einwand. Er hieß mich zurückgehen und die Augen offen halten. Seinen Umhang breitete er wie eine Decke über unsere Spuren und zog ihn hinter uns her, um die Tritte zu verwischen und den Schnee wieder zu glätten. Wir kamen langsam voran, denn Arnulf war äußerst sorgsam, aber ich begann mich unwohl zu fühlen. Vor allem war ich von seinem Plan keineswegs überzeugt.

Erelias wartete bei den Pferden auf uns. Er hatte sie ruhig gehalten und sprach leise auf sie ein, gehorsam standen sie im Schatten der Hügelkuppe und hoben nicht einmal die Köpfe, als Arnulf und ich uns ihnen wieder näherten. „Nun heißt es warten.“, flüsterte er und zog so leise wie möglich die Armbrust, die er am Sattel seines Pferdes eingehängt hatte. Erelias nahm den langen Bogen von seinem Rücken und legte lautlos einen Pfeil auf, dann kauerte er sich zwischen die beiden vordersten Bäume, die ihn kaum verdeckten, aber nicht sogleich zu erkennen gaben. Arnulf spannte die Armbrust und stand aufrecht mit dem Rücken an die knorrige Borke eines anderen Baumes gelehnt, nur einen Schritt von Erelias entfernt. Er winkte mich zu sich heran und schob mich hinter sich. Seine breite Schulter verdeckte mir nun die Sicht auf die Stelle, wo er das Netz ausgelegt hatte, aber Erelias' scharfer Blick mochte genügen, um jedwede Bewegung sofort auszumachen, die sich ereignen würde.


Arsenica: 'Juhu, mehr knatschig, mehr schreien, mehr zanken, mehr Nari!!!'

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